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Hans Joachim Teschner

Der Raub des Wabbelsteins

Ein fantastisches Märchen





BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Ein fantastisches Märchen

 

 

Hans Joachim Teschner

 

DER RAUB

DES

WABBELSTEINS

 

 

 

 

 

 

 

Zippel und Bimballo

 

»Hoch lebe König Wabbel der Zweite!« Vor dem Balkon der Wabbelburg hatten sich die Wabbelanier eingefunden, um ihrem König zu huldigen. König Wabbel II. füllte mit seiner imposanten Gestalt den gesamten Balkon aus.

»Es wabbelt!«, rief er der Menge zu und warf eine Handvoll Gummibärchen über den Platz.

»S'wabbelt! S'wabbelt!«, schallte es hundertfach zurück.

»Wabbelanier!«, rief der König, »wie ihr wisst, feiert morgen Königin Wabbeline ihren Geburtstag. Aus diesem Anlass bleiben die Schulen geschlossen, und es darf nicht gearbeitet werden. Zu dem Fest in der Wabbelburg sind alle Bürger eingeladen. Es gibt Freibier und Wackelpudding.« Ein tosender Jubel brauste auf und unterbrach die Ansprache. Der König hob die Hand und rief: »Es wabbelt!«

»S'wabbelt! S'wabbelt!«, donnerte es vom Platz, »Hoch lebe Königin Wabbeline.«

Plötzlich hörte man eine schrille hohe Stimme: »S'wibbelt, s'wibbelt!« Das war Schneider Zippels dünne Fistelstimme, die da so aufgeregt kickste und tremolierte.

Bimballo, der Wirt des Gasthauses Goldener Dotter, puffte den Schneider Zippel mit seinem dicken Schmerbauch in die Rippen: »Es wabbelt, heißt es. Wann wirst du endlich begreifen, dass der offizielle Gruß S'wabbelt heißt.«

Zippel verlor das Gleichgewicht. Er trudelte, schlingerte, und ruderte mit den Armen. Normalerweise konnte einen Wabbelanier nichts aus dem Gleichgewicht bringen. Einzig Schneider Zippel machte da eine Ausnahme. Er hatte auch nicht wie alle anderen einen kugelrunden, ballonartigen Bauch, mit dem es sich richtig schön wabbeln ließ. Wenn Zippel vor Freude wabbeln wollte, klapperte es nur dürre und trocken. Meistens verlor er dabei die Balance. Und wenn ein Nachbar ihn freundschaftlich anpuffte, fiel er sowieso gleich über seine Glasnudelbeine. Wegen seiner spillerigen Gestalt hänselten ihn die Kinder, und sie riefen ihm nach:

»Schmergel, schrumpel, Schneiderbauch, passt durch jeden Gartenschlauch.«

Darüber erboste sich Zippel so sehr, dass er die freche Bande mit erhobener Nähnadel verfolgte und mit überschnappender Stimme schrie:

»Stech euch, stech euch in die Beine, wie die wilden Stachelschweine.« Aber die übermütigen Wabbelkinder lachten nur und spuckten ihre Bubblegums und Gummibärchen auf die Straße. Prompt glitschte der aufgebrachte Schneider darauf aus und brach sich fast die Beine. Vor Schadenfreude wabbelten die Kinder so heftig, dass sich die Fensterscheiben bogen.

Aber zurück zur Wabbelburg. Wieder einmal lag Zippel auf dem Pflaster und strampelte mit seinen Glasnudelbeinen. Bimballo, der schmerbäuchige Gastwirt, half Zippel wieder auf die Füße. Inzwischen hatte sich König Wabbel II. Vom Balkon zurückgezogen, und die Menge verlief sich in den Straßen.

»Komm«, brummte Bimballo gutmütig, »komm Zippel. Wir gehen zu mir in den Goldenen Dotter. Ich geb dir ein Glas Honigbier aus.«

Man muss wissen, dass die Wabbelanier alle Getränke mit Honig mischten. Ein Glas Bier bestand aus einem halben Glas Honig, in das ein Viertel Maß Bier hineingezapft wurde.

Zippels Augen leuchteten auf. Durstig leckte er sich die schmalen Lippen. »Angenommen Kamerad«, fistelte er mannhaft und wabbelte mit seinem ganzen Körper. Oh je, es klang wie ein Sack alter Knochen. Mitleidig puffte Bimballo den Schneider an und schubste ihn in Richtung Goldener Dotter. Zwar stolperte Zippel unterwegs noch dreimal über seine eigenen Glasnudelbeine, aber er war wenigstens vor den Kindern sicher. Denn vor Bimballos mächtigen Schmerbauch hatten sie einen Heidenrespekt.

 

Im Goldenen Dotter

 

Zwei Stunden später saß Zippel immer noch im Goldenen Dotter. Zu Hause wartete niemand auf ihn. Welche Frau wollte schon solch einen spillerigen Mann haben? Er konnte ja nicht einmal richtig wabbeln. So verbrachte Zippel viele Abende bei seinem Freund Bimballo. Die Leute frotzelten schon, er habe ein Auge auf Melanie geworfen, der Tochter Bimballos. In ganz Wabbelanien fand man kein schöneres Mädchen als Melanie. Mit ihrem anmutigen Wabbeln verdrehte sie die Köpfe aller Männer. Und tatsächlich schielte Zippel sehnsüchtig hinter ihr her. Aber er dachte bei sich: »Es ist hoffnungslos. Ich und Melanie? Da wabbeln ja die Hühner.«

»Noch ein Glas Honigbier«, rief er Melanie traurig zu, »und außerdem einen Spezialwackelpudding.« Melanies Spezialwackelpudding war bis weit über die Landesgrenzen berühmt. Es handelte sich um einen Vierfarben-Wackelpudding mit einem Sahnehäubchen darauf, so zart, dass er wie von selbst auf der Zunge zerging. Wenn Reisende durch Wabbelburg kamen, blieben sie oft eine Nacht länger, um abends bei Bimballo in den Goldenen Dotter einzukehren. Denn den Genuss des Spezialwackelpuddings wollte sich niemand entgehen lassen. Aber natürlich war auch Melanies Schönheit nicht ganz unschuldig am guten Geschäft des Gasthauses. Wie Zippel warfen viele Gäste der Wirtstochter sehnsüchtige Blicke nach.

Wer nun glaubt, dass es im ganzen Lande Eifersüchteleien und Ehestreitereien wegen Melanie hätte geben müssen, irrt sich gewaltig. Denn um Melanie warben zwei Gesellen, mit denen sich niemand ernstlich anlegen wollte. Die beiden Helden kamen sich fast täglich in die Haare wegen der schönen Wirtstochter, obschon sie unzertrennliche Freunde waren. Ganz Wabbelanien fieberte um den Ausgang dieses zähen Buhlens. Sogar Wetten wurden abgeschlossen, wer von den beiden Kumpanen schließlich die Gunst Melanies erringen würde. Aber zum Leidwesen Bimballos konnte und konnte sich seine Tochter nicht entscheiden, denn sie hatte beide gleich gern. Mitunter sang Bimballo in einem klagenden Ton ein seltsames Lied:

»Wieder gehen zwanzig Jahre

in das schöne Wabbelan.

Melanie kriegt graue Haare

aber keinen Ehemann.«

Wer waren nun die beiden Wabbelanier, die sich wegen Melanie schier die Beine ausrissen? Um das zu erfahren, brauchte man im Goldenen Dotter nicht lange zu warten.

Krachend schlug die Wirtshaustür auf. »S'wabbelt!«, brüllte eine mächtige, voluminöse Bassstimme. Ein enorm dicker, kugelbäuchiger und muskulöser Wabbelanier schob sich durch den Türrahmen.

»S'wabbelt, Plumplum«, riefen einige Einheimische. Plumplum, der neue Gast, stapfte mit kurzen festen Schritten durch den Raum. Zwar war er von kleiner Gestalt, aber alles an ihm war rund und gedrungen. Selbst das stärkste Puffen konnte ihn nicht aus dem Gleichgewicht bringen.

»S'wibbelt, Plimplim, s'wibbelt«, fistelte nun auch Zippel von der Theke her.

»Aaah Zippel!«, brüllte Plumplum donnernd, »wieder mal die Einsamkeit begießen, he?«

Plumplum nahm Kurs auf den Schneider. Auf seinem Weg puffte er ein paar Bekannte an, und so nebenbei stieß er mit seinem prallen Bauch vier Stühle um.

»Aaah!«, schrie Plumplum ungehalten, »wozu stehen diese elenden Holzgestelle im Weg herum? Ein anständiger Mensch setzt sich doch nicht mitten in den Weg!«

Und er schob mit seinen keulenförmigen Armen ein paar Tische mitsamt den davor sitzenden Gästen einfach an die Wand. Schließlich war er bei Zippel angelangt und drehte sich behäbig um. Der Raum des Gasthauses sah nun aus wie ein Bahnhofswartesaal: rechts und links an den Wänden klebten die Gäste hinter zusammengerückten Tischen und Stühlen. Eine breite Gasse in der Mitte zeugte von Plumplums ungestümen Durchmarsch durch die Stube.

Mitleidig puffte Plumplum gegen Zippels Klapperbauch. Zippel trudelte, ruderte mit den Armen und wäre auf die Nase gefallen, hätte Plumplum ihn nicht mit seinen Keulenarmen aufgefangen.

»Mußt mehr Pudding essen, Schneider!«, brüllte Plumplum. Noch nie hatte jemand ihn leise reden hören. Und so übertönte seine Bassstimme alle anderen Gespräche.

»Nimm dir ein Beispiel an mir, Zippel. Dann bekommst du einen echten wabbelanischen Bauch.« Mit seinen dicken Wurstfingern tippte er sich in seinen gewölbten Bauch.

Gerade schob Melanie einen riesigen Teller herüber, auf dem ein dreistöckiger Wackelpudding schlingerte. Durch die grüne Waldmeisterfarbe schimmerten Rosinen, und auch die Oberfläche war über und über mit Rosinen gespickt. Dieses opulente Mahl hatte den Namen Plumpudding, denn Melanie hatte ihn eigens für Plumplums großen Hunger erfunden.

Seufzend schaffte Bimballo wieder Ordnung in der Gaststube. Er stellte die Tische und Stühle zurück in den Raum, so dass alle Gäste reichlich Platz hatten. Bei den Fremden, die noch immer vor Schreck kein Wort herausbrachten, entschuldigte er sich mit tiefen Bücklingen.

Plumplum hatte seinen Plumpudding schon zur Hälfte aufgegessen, als erneut die Eingangstür aufgestoßen wurde und der Straßenwind durch die Stube blies.

»S'wabbelt! Ahoi!« Ein baumlanger Wabbelanier stieß mit seinem Kopf gegen den Türpfosten. Der pralle Wabbelbauch verjüngte sich nach oben hin, so dass die hünenhafte Gestalt wie eine übergroße Birne aussah. Auch der Kopf ähnelte stark einer Birne.

»S'wabbelt, Hübeldübel«, antworteten einige Wabbelburger. Plumplum ließ sich nicht beim Essen stören. Sollte er etwa jeden Tag zehnmal seinen Freund Hübeldübel grüßen?

»Heiß die Segel! Schotten dicht!«, rief Hübeldübel und knallte die Tür so heftig zu, dass sie in den Angeln schepperte.

»S'wibbelt, Hübeldübel, s'wibbelt.« Zippeis krächzige Fistelstimme erreichte das Ohr des Hünen.

»Ahoi Zippel, wieder mal die Einsamkeit begießen, he?« Trotz der großen Lautstärke hatte Hübeldübels Stimme einen singenden melodischen Tonfall, wie man ihn nur von irischen Seeleuten her kennt. Tatsächlich war Hübeldübel früher jahrelang als Schiffszimmermann durch die Welt geschippert.

»Kurs hart Backbord. Volle Fahrt voraus!«, befahl er sich nun selbst, drehte sich zur Theke und nahm tatsächlich Fahrt auf. Schon kippten die ersten Stühle links und rechts über Bord. »Beim Klabautermann«, rief er, »was stehen diese elenden Holzgestelle auf der Kommandobrücke herum. Ein anständiger Fahrensmann setzt sich doch nicht mitten auf den Steg.«

Und mit seinen langen, birnenförmigen Armen schob er einfach Tische und Stühle und die darauf sitzenden Gäste an die Wand. Schnaufend erreichte er Zippel und puffte ihn so ungestüm, dass dieser auf den Boden fiel, noch bevor ihn jemand auffangen konnte.

Bimballo raufte sich die Haare: Wieder einmal hatte seine gemütliche Gaststube eine starke Ähnlichkeit mit einem Bahnhofswartesaal. Rechts und links an der Wand klebten die Gäste hinter zusammengerückten Tischen und Stühlen. Eine breite Gasse in der Mitte zeugte von Hübeldübels Durchmarsch durch die Stube.

 

Der Muntermacher


Und wieder mußte Bimballo Ordnung in seiner Gaststube schaffen. Missmutig brummte er in seinen Bart: »Einen Bahnhof sollte man hier bauen. Den Wartesaal kriege ich schließlich umsonst.«

»Murmelt hier jemand laut?«, kam die schallende Antwort von der Theke. Plumplum war – trotz seines lauten Organs – keineswegs schwerhörig.

Derweil hatte Melanie ins Regal gegriffen und einen großen gläsernen Stiefel herausgenommen. Diesen stellte sie unter den Honigzapfhahn und ließ ihn bis zur Hälfte mit dem gelben Trank volllaufen. Alsdann füllte sie den Stiefel bis an den Rand mit hochprozentigem Rum aus Jamaika. Ein entsetzliches Getränk. Hübeldübel nannte es seinen Muntermacher. Vorsichtig hob er den Stiefel an die Lippen und ließ den zähflüssigen Inhalt langsam in seine Kehle laufen.

Mit offenen Mäulern beobachteten die Gäste den Riesenschluck. Gleich müsste er tot umfallen, dachten sie. Das konnte doch niemand lebendig überstehen.

Jetzt hörte man deutlich ein Gluckern, welches aus Hübeldübels Birnenbauch kam. Es klang, als ob eine Regentonne mit Wasser aufgefüllt würde. Zuerst ein tiefes Glubsen. Dann pladderte es in einer höheren Tonlage. Dann ging es in ein helles Plitschern über. Gleich musste der Bauch voll sein. Atemlos verfolgten die Gäste das Schauspiel. Mit aufgerissenen Augen starrte Melanie auf den Hünen.

Da! Ein tiefes, ungehobeltes Rülpsen fuhr aus der Kehle des Säufers. Seine Augen kollerten und drehten sich. Der Stiefel glitt aus seiner Hand. Schwankend hob sich die birnenförmige Gestalt, drehte sich zweimal im Kreise und fiel der Länge nach auf die Dielen.

»Einen Arzt!«, rief ein Gast aufgeregt.

»Einen Leichenbestatter!«, rief ein anderer, »der ist doch mausetot.« »Einen Wackelpudding!«, brüllte Plumplum dazwischen.

»Einen Wackelpudding?« Empört wandten sich die Gäste um. »Einen Wackelpudding? Wozu einen Wackelpudding?«

»Na ich habe Hunger, was sonst?«, donnerte Plumplum und klatschte sich auf den Bauch.

»Unhold! Roher Geselle! Monstrum!« Und was die aufgebrachten Gäste noch alles riefen. Empört blubberten sie Pumplum an, dass einem Angst und Bange werden konnte

Wenn ein Wabbelanier ärgerlich war, blubberte er nämlich drohend, überhaupt hatte man in Wabbelanien stets seine Gefühle zu zeigen. Wer sich freute oder heiter war, hatte gefälligst zu wabbeln. Bei Wut und Ärger musste geblubbert werden. Auch ihre Angst durften die Einwohner nicht verbergen. Dann bibberten sie und fröstelten. Und dicke große Kullertränen wurden vergossen, wenn ein trauriges Ereignis die Familie heimsuchte. Ganz und gar unhöflich war es aber, wenn einer sich verstellte oder seine Gefühle vor den Mitmenschen verbarg.

So wundert es nicht, dass die Gäste den hartherzigen Plumplum anblubberten. Nur mit Mühe konnte Bimballo sie in Schach halten, und derbe puffte er sie mit seinem Schmerbauch auf ihre Plätze zurück.

»Gemach, gemach«, brummte er beruhigend.

»Ahoi.«

War das nicht Hübeldübels Stimme?

»Ahoi! Heiß die Segel!« Unüberhörbar erscholl der Singsang des ehemaligen Seefahrers. Benommen kam der Hüne wieder auf die Beine.

Melanie schluckte dreimal, bevor sie wieder ein Wort herausbekam. So war ihr der Schreck in die Glieder gefahren.

»Oh du schlimmer Narr.« Vor Erleichterung schlang sie ihre Arme um Hübeldübels Hals und küsste ihn mitten auf den Mund.

»Aaah!«, brüllte Plumplum, »so also erschleicht man sich neuerdings einen Kuss.«

»Erschleichen?«, fragte sein Kumpan erbost, »was soll das heißen?«

»Das soll heißen, dass alles nur ein mieser Trick war. Alles Schauspiel. Pfui Teufel!«

»Beim Klabautermann«, wollte Hübeldübel einwenden, aber sein Freund fuhr ihm hitzig in die Parade: »Und unfair ist es. Besonders unfair. Jeder weiß, dass ich selbst nie das Gleichgewicht verlieren kann. Also kann ich auch nicht umfallen. Also kriege ich auch keinen Kuss von Melanie.« Plumplum sprang von seinem Hocker und puffte Hübeldübel so heftig in die Seite, dass dieser durch den Raum rutschte. Schnell hüpfte Plumplum hinterher. Doch Hübeldübel umfaßte mit seinen langen Birnenarmen seinen kugelrunden Gegner und presste ihn mit aller Kraft. Plumplum streckte die Zunge raus. Sein Kugelkopf lief rot an.

»Schnell Melanie«, rief Bimballo, »hol die saure Milch.« Und zu Zippel gewandt: »Hast doch sicher eine Nähnadel dabei. Gib sie schon her.«

Trotz seiner Atemnot hatte Plumplum seine Keulenarme gegen Hübeldübels Taille gestemmt und preßte sie seinerseits wie einen Schraubstock zusammen. Hübeldübel röchelte. Sein Birnenkopf lief ebenfalls rot an.

Keiner der Gäste wagte es, dazwischen zu gehen. Melanie stürzte aus der Küche, einen großen Topf saurer Milch in den Händen. Bimballo sprang hinter der Theke hervor. In der Faust schwang er die große Ersatznähnadel von Zippel. Platsch! Da ergoss sich auch schon klumpige saure Milch auf die beiden Kampfhähne. Ein gut geführter Nadelstich piekste Plumplums dicken Hintern. Auch Hübeldübel bekam einen Streich ab.

»Autsch!«, jaulte Plumplum. K

»Igitt!«, schüttelte sich Hübeldübel.

Die beiden Freunde fuhren auseinander. Angewidert prustete Hübeldübel die saure Milch aus der Nase. Plumplum rieb sich den schmerzenden Hintern.

»Hohoho«, lachte Hübeldübel und zeigte voll Schadenfreude auf den jaulenden Kugelbauch.

»Hahaha«, lachte Plumplum mit verzerrtem Gesicht zurück: »hast wohl eine Schönheitsmilch nötig, he?«

Beide kamen so heftig ins Wabbeln, dass die Gläser in den Regalen zu klirren und zu tanzen anfingen. Auch Bimballo schlug sich auf seinen Schmerbauch vor Erleichterung. Nun konnten sich auch die anderen Gäste nicht mehr halten und wabbelten, was das Zeug hielt. Durch die Fenster schielten aufgescheuchte Straßenpassanten herein, um zu erfahren, was im Goldenen Dotter vor sich ging.

»Ruhe bitte!« Bimballo klopfte mit einem Löffel gegen ein Glas. »Ruhe Leute. Wir wollen nicht vergessen, dass unsere gute Königin Wabbeline morgen ihren Geburtstag feiert. Sie wird sicher nichts dagegen haben, wenn wir schon heute darauf antrinken. Deshalb sind alle von mir auf ein Freibier eingeladen.«

»Hoch lebe Königin Wabbeline. Hoch Bimballo!« Eine solch ausgelassene Stimmung hatte der Goldene Dotter schon lange nicht erlebt.


Ein seltsamer Gast


Nur einer der Anwesenden schien sich nicht so recht freuen zu können. Sein Tischnachbar, der Bauer Knollhut, der auf dem Markt süße Melonen verkaufte, dachte schon die ganze Zeit: 'Eine seltsame Figur. Irgendwie unangenehm. Richtig unheimlich.'

Aber Bauer Knollhut prostete ihm dennoch freundlich zu. Der Fremde, denn ein Wabbelanier konnte er unmöglich sein, beugte sich zu Knollhut hinüber und flüsterte: »Wer sind diese beiden rohen Gesellen?«

»Ach, das weißt du nicht? Du kennst Hübeldübel und Plumplum nicht? Die Hüter des legendären Wabbelsteins?«

Der Fremde rückte noch näher heran. »Hüter des Wabbelsteins? Diese ungehobelten Brüder behüten den legendären Wabbelstein?« Und zu sich selbst wisperte er: »He he, das trifft sich günstig.«

Bauer Knollhut rümpfte sich die Nase. Ihm schien, als habe jemand einen faulen Hering auf den Tisch gelegt.

Plötzlich fuhren beide erschrocken hoch. Wie ein Felsbrocken hatte sich Plumplum vor ihnen aufgepflanzt.

»Wird hier etwa laut gemurmelt!«, brüllte er mit seiner gewohnten Baßstimme. »Seit wann wird in Wabbelanien geflüstert und gewispert?«

Denn eines gehörte in Wabbelburg und Umgebung zu den ganz ungehörigen Manieren: geheimnisvoll zu tun und hinter der vorgehaltenen Hand zu flüstern.

»Aaah Bauer Knollhut!«, polterte Plumplum erfreut. »Hoffentlich sind die Melonen dieses Jahr besonders süß.« Mit seinen Wurstfingern drückte der Hüter des Wabbelsteins den Bauern auf den Stuhl.

»Und wie ist dein Name, Fremder? Denn ein Wabbelanier kannst du ja wohl nicht sein.«

Neben Plumplum hatte sich nun auch Hübeldübel aufgebaut. Mißtrauisch betrachteten beide den Fremden. Der hatte so gar nichts Wabbeliges an sich. Eckig stachen seine Schultern durch die Jacke, eine spitze Nase ragte aus einem Raubvogelgesicht, und ein hervorstehender Eckzahn hackte nervös auf der Unterlippe herum. Zwar schien der Mann erschreckt, aber er bibberte nicht und zeigte auch sonst keine Gefühle. Kühl erwiderte er: »Mein Name ist Brutus Ranzig. Fischhändler aus Kloakien. Verkaufe abgehangene Seeigel und gepökelte Stichlinge.«

Verblüfft glotzten die beiden Haudegen sich an.

»Seeigel?«

»Stichlinge?« Angeekelt schüttelten sie sich. »Ein echter Wabbelanier mag doch keine Stichlinge. Höchstens mal einen Süßwasseraal in Honigaspik.«

»Einen komischen Geschmack haben die Leute hier«, grantelte Brutus Ranzig. Voller Schadenfreude meckerte er Hübeldübel an: »He he, keine Stichlinge mögen, aber sich die saure Milch aus dem Bart lecken, he he.«

»Potztausend!«, fluchte Hübeldübel und wollte sich schon den Fremden vornehmen. Aber er hielt inne und schnüffelte mit seiner birnenförmigen Nase an Ranzig herum.

»Der Kerl stinkt wie eine sieben Tage alte Makrele!« Plumplum hatte seine Stirn in Falten gelegt und grübelte. »Stichling?«, dachte er, »an was erinnert mich das bloß?« Mit seinem Kugelbauch puffte er den Fremden an.

»Autsch«, heulte er auf, »der Kerl piekt. Ist selbst stachelig wie ein Seeigel.«

»Beim Klabautermann.« Hübeldübel griff sich an den Kopf. »Stinkt wie ein toter Fisch und piekst wie ein Seeigel? Das könnte ja direkt ein Stachelländer sein.«

Mit einem Schlag war es still in der Gaststube. Stachelland! Das feindliche Stachelland! Schon das Wort jagte den Wabbelaniern Schauer über den Rücken, und sie bibberten wie Espenlaub. Die bösen Stachelländer waren kriegslüsterne Plünderer jenseits des Faltengebirges. Herrscher über Stachelland war der brutale Generalissimo Krtzkrr Krieger. Ständig lebten die Wabbelanier in der Furcht vor den Überfällen seiner Soldaten. Und hier in Wabbelburg, ausgerechnet im Goldenen Dotter, sollte sich ein Stachelländer eingeschlichen haben?

Aber Brutus Ranzig ließ sich nicht einschüchtern. Kaltblütig meckerte er: »Was redet ihr denn? Seht ihr nicht, dass ich Honigbier trinke und Wackelpudding esse? Kein Stachelländer würde auch nur einen Schluck herunter bekommen. Ersticken würde er daran.«

Zum Beweis kippte Ranzig sich ein volles Glas Honigbier in den Hals.

»Recht hat er!«, brüllte Plumplum, »ein Stachelländer würde eher seine Großmutter verkaufen als ein Glas Honigbier trinken.«

Bimballo, der seinen Gast nicht verprellen wollte, meldete sich besorgt: »Mir scheint, die Aufregung ist unserem Gast auf den Magen geschlagen. Er ist ja schon ganz grün im Gesicht. Lasst ihn in Ruhe.«

In der Tat sah Ranzig recht mitgenommen aus. Schluckend wankte er zum Ausgang, um frische Luft zu schnappen. Draußen, vor der Gaststätte, brach er das ganze Bier wieder aus. Doch weder Bimballo noch Zippel noch sonst einer bemerkte dies.

Die Straßenlaternen leuchteten schon. Viele Gäste brachen auf, um für die morgige Geburtstagsfeier ausgeschlafen zu sein. Nur Ranzig, Zippel und die beiden Haudegen hockten noch zusammen und palaverten. Geschickt hatte Ranzig das Gespräch auf den Wabbelstein gebracht, den Staatsschatz von Wabbelanien.

»Wie kommt es«, fragte er listig, »dass die Hüter des Wabbelsteins in der Kneipe Bier trinken statt den Staatsschatz zu hüten? Habt ihr keine Angst, dass er gestohlen wird?«

»Aaah!«, brüllte Plumplum und klatschte seine Hand mit solcher Wucht auf Ranzigs Rücken, dass dieser einen alten Zahn ausspuckte. »Hahaha, was für ein Possenreißer. Ihr Kloakier seid schon lustige Pickelheringe. Erklär du es ihm, Hübeldübel, du kannst es besser.«

»Ahoi. Also höre: Die beiden Hüter des Wabbelsteins, diese mutigen und unerschrockenen Helden, diese tapferen und...«

»Hör auf Hübeldübel, das nimmt ja kein Ende«, stöhnte Bimballo, »kurz gesagt: Um zum Wabbelstein zu gelangen, müssen sechs eiserne Tore geöffnet werden. Drei Schlüssel verwahrt Plumplum, die anderen drei Hübeldübel. Nur abwechselnd können sie die schweren Tore aufschließen. Einer allein kommt nicht durch. Der Wabbelstein selbst aber ist in einem Schrein aufbewahrt. Dieser Schrein hängt an einem Hanfseil und ist mit einem komplizierten Schifferknoten befestigt, den allein Hübeldübel auflösen kann. Sollte aber doch jemand unbefugt den Knoten lösen, würden alle Glocken in Wabbelburg zu läuten anfangen. Denn das Hanfseil ist mit allen Glockensträngen in der Stadt verbunden. Es gibt nur zwei Einwohner, die stark genug sind, das Seil zu halten, ohne dass die Glocken läuten. Na und wer kann das schon sein außer den Hütern des Wabbelsteins, die leibhaftig neben dir sitzen.«

»Eine starke Rede«, applaudierte Zippel.

»Hat nur einen klitzekleinen Fehler«, meckerte Ranzig hinterhältig.

»So? Welchen denn, du Schlaumeier?«

»Na na, nicht so feindselig, mein lieber Zippel.« Brutus Ranzig tat sehr besorgt. »Es könnte doch jemand die Schlüssel stehlen.«

»Haha, köstlich.« Plumplum wabbelte vor Heiterkeit. »Dieser jemand müßte uns den Schlüsselbund vom Hals reißen. Hast du so was schon gehört Hübeldübel?« Vergnügt klopften sich die beiden Recken auf die Brust: sechs Schlüssel klingelten metallisch.

»Lasst es gut sein«, ließ Melanie sich vernehmen. Sie war müde und gähnte. »Dies ist die letzte Runde vor dem Geburtstag der Königin.«

»Dann lass einen Stiefel auf meine Kosten rundgehen.« Ranzig war aufgesprungen und warf Geldstücke auf die Theke.

»Ahoi. Der Kerl lernt endlich gute Wabbelsitten.« Bimballo zapfte einen großen Stiefel Honigbier. Den ersten Schluck nahm Ranzig selbst. Keiner bemerkte, wie er mit einer flinken Bewegung ein braunes Pulver in den Stiefel streute.

Als nächster nahm Zippel einen großen Schluck. Die Hüter des Wabbelsteins ließen sich auch nicht lange bitten. Bimballo schließlich schüttete den Rest hinunter. Er hob den leeren Stiefel und rief: »Hoch lebe Königin Wabbeline!«

»«S'wibbelt«, lallte Zippel, »ein verdammt starkes Gesöff.« Melanie löschte die Lichter.