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Michael Reaves &

Maya Kaathryn Bohnhoff

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Der letzte Jedi-Ritter

Aus dem Englischen von Andreas Kasprzak

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Die amerikanische Originalausgabe erschien unter dem Titel

»Star Wars™ The last Jedi«

bei Del Rey/The Ballantine Publishing Group, Inc., New York.

1. Auflage

Deutsche Erstveröffentlichung Februar 2014

bei Blanvalet, einem Unternehmen der Verlagsgruppe

Random House GmbH, München.

Copyright © 2013 by Lucasfilm Ltd. & ® or ™ where indicated.

All rights reserved. Used under authorization.

Translation Copyright © 2013 by

Verlagsgruppe Random House GmbH, München

Umschlaggestaltung: Isabelle Hirtz, Inkcraft, München,

nach einer Originalvorlage

Cover Art Copyright: © 2013 by Lucasfilm Ltd.

Cover art: Gene Mollica

Cover design: Scott Biel l

Redaktion: Marc Winter

HK · Herstellung: sam

Satz: omnisatz GmbH, Berlin

ISBN 978-3-641-12970-5

www.blanvalet.de

Für meine Familie – dafür, dass euch mein ganzes Geplapper über Droiden, Lichtschwerter und Machtadepten nichts ausgemacht hat. Und dafür, dass ihr mich stets daran erinnert, dass selbst Jedi essen, schlafen und die Wäsche machen müssen.

– MKB

Dieses Buch ist Grant Fairbanks gewidmet.

– JMR

Es war einmal vor langer Zeit in einer weit, weit entfernten Galaxis …

»Die Jedi sind ausgelöscht. Das Universum hat sie längst vergessen.«

Grossmoff Tarkin

Dramatis Personae

AREN FOLEE; antarianische Rangerin (Mensch)

DARTH VADER; Sith-Lord und Imperator Palpatines Vollstrecker (Mensch)

DEGAN COR; Anführer des toprawanischen Widerstands (Mensch)

DEN DHUR; ehemaliger Journalist (Sullustaner)

GERI; Mech-Techniker des Widerstands (junger Rodianer)

I-FÜNF; empfindungsfähiger Protokolldroide

JAX PAVAN; Jedi-Ritter (Mensch)

LARANTH TARAK; Graue Paladinin (Twi’lek)

MAGASH DRASHI; Dathomir-Hexe vom Clan des Singenden Berges (Zabrak-Mensch-Hybride)

POL HAUS; Präfekt der Sektorpolizei (Zabrak)

PRINZ XIZOR; Vigo der Schwarzen Sonne (Falleen)

PROBUS TESLA; Inquisitor (Mensch)

SACHA SWIFTBIRD; antarianische Rangerin (Mensch)

SHEEL MAFEEN; Poetin (Togruta)

THI XON YIMMON; Anführer der »Peitsche« (Cereaner)

TUDEN SAL; Agent der »Peitsche« (Sakiyaner)

TYNO FABRIS; Statthalter der Schwarzen Sonne (Arkanianer)

Teil I

Größer als Imperien

1. Kapitel

»Sakiyanischer Raumfrachter Fernpendler erbittet Abflugfreigabe.«

I-Fünfs Imitation von Tuden Sals barscher Stimme war makellos. Niemand, der zuhörte – oder, um genauer zu sein, kein Stimmanalysescanner –, würde erkennen, dass der sakiyanische Händler in Wahrheit in einem sicheren Versteck irgendwo in dem zwielichtigen, engen Straßengewirr in der Nähe des Westhafens saß und Schändlichkeiten gegen das Imperium plante. Das heißt, niemand, abgesehen von der Besatzung der Fernpendler und ihrem einzigen Passagier.

Jax Pavan, der seine Hände um den Steuerknüppel der Fernpendler geschlossen hatte, bemerkte, dass er den Atem anhielt, während er darauf wartete, dass der Flugdienstleiter des Westhafens ihrem Abreisegesuch stattgab. Er machte seiner Anspannung mit einem leisen Keuchen Luft und ignorierte das Verlangen, die Machtsinne auszustrecken, um dem Flugdienstleiter einen kleinen Schubs zu versetzen. Die Versuchung war groß, doch es war am besten, keinerlei Risiken einzugehen. Schon etwas so Unbedeutendes könnte Darth Vader auf ihre Machenschaften aufmerksam machen – zumindest, sofern Vader gegen jede Wahrscheinlichkeit tatsächlich noch am Leben war.

Jax glaubte, dass dem so war. Obgleich er die einzigartig starke Präsenz des Dunklen Lords in letzter Zeit nicht im Gefüge der Macht wahrgenommen hatte, war nur schwer vorstellbar, dass eine solche Kraft, ein solch konzentriertes Böses, einfach fort war, vorüber war, erledigt war. Und solange er Vaders Leichnam nicht mit eigenen Augen gesehen hatte, bis er seine Hände ausstrecken und ihn mit den Fühlern berühren konnte, die seine eigene Verbindung zur Lebendigen Macht darstellten, ohne eine Reaktion zu spüren …

Nun, bis es so weit war, wusste Jax, dass er nicht vorsichtig genug sein konnte – und apropos übervorsichtig sein: Dauerte das Schweigen auf der anderen Seite des Komlinks nicht ein wenig zu lange? Hatte jemand, dem die relativ neue sakiyanische Registrierung des Raumfrachters merkwürdig vorkam, das Schiff mit Jax Pavan in Verbindung gebracht?

Mache ich mir zu viele Gedanken?

»Fernpendler, Sie haben Aufstiegsfreigabe. Ihr Abflugfenster beträgt …«

Es folgte eine Pause, und wieder hielt Jax den Atem an. I-Fünf blickte ihn an und ließ zwei Leuchtelemente von links nach rechts über die oberen Außenränder seiner Fotorezeptoren wandern – das Pendant des Droiden zum Verdrehen der Augen.

»Zehn Standardminuten – auf mein Zeichen.«

»Aye«, sagte I-Fünf.

»Jetzt.«

»Beginnen mit Aufstieg.« I-Fünf unterbrach die Kom-Verbindung und wandte sich an Jax. »Das Schiff gehört ganz dir – und soweit ich sehen kann, ist uns kein einziger Schlachtkreuzer auf den Fersen.«

Jax ignorierte den Sarkasmus des Droiden. Seine linke Hand schob die Schubkontrolle behutsam nach vorn, während seine Rechte den Steuerknüppel hoch und dann nach hinten zog. Das Schiff, ein modifizierter corellianischer Aktion-VI-Transporter, stieg von der Andockbucht des Raumhafens in den Nachthimmel empor, der sich selbst in dieser Höhe als ein Lodern atmosphärischen Lichts über ihnen abzeichnete. Jax spürte das Vibrieren des Schiffs durch das Steuer, fühlte, wie es mit seinem Verlangen verschmolz, von Coruscant zu verschwinden, bis es für ihn den Anschein hatte, als würde die Fernpendler selbst mit Nachdruck darauf drängen, in den Hyperraum zu springen, bevor sie auch nur die Atmosphäre hinter sich gelassen hatten.

Der Himmel veränderte sich, hellte sich zu Zwielicht auf, zur Morgendämmerung, zum helllichten Tag, um dann wieder zu Abenddämmerung und Zwielicht überzugehen, als sie schließlich ins leere Schwarz des Weltalls aufstiegen. Sie sahen keine Sterne – der glorreiche Schein der Nachtseite des Stadtplaneten genügte, um selbst den nahe gelegenen Sternennebel des Kerns vollends zu übertünchen.

I-Fünf schickte mit Tuden Sals harscher Stimme eine letzte Nachricht an die Flugkontrolle: »Fernpendler unterwegs.«

»Aye, guten Flug.«

Der Droide deaktivierte das Komlink, und Jax steuerte das Schiff über Orbitalebene, passte den Kurs an und programmierte den Autopiloten mit ihren ersten Sprungkoordinaten. Dann lehnte er sich zurück, um den Kopf klar zu bekommen. Er spürte eine Berührung – im Bewusstsein und am Arm. Laranth! Er drehte den Kopf, um zu ihr aufzuschauen.

Laranth grinste ihn an – oder zumindest verzog sie ihr Antlitz zu etwas, das einem Grinsen so nahekam, wie es ihr nur möglich war. Ein Winkel ihres Mundes war mindestens einen Millimeter nach oben gezogen. »Nervös, hm?«, fragte sie. »Ich konnte deine Anspannung bis in die Waffenbucht spüren.«

»Was hast du da unten getrieben?«

»Ein Gefühl für den neuen Auslösemechanismus bekommen.«

»Nervös, hm?«, ahmte Jax sie lächelnd nach.

»Eigeninitiative.« Sie drückte kurz seinen Arm und ließ den Blick aus dem Sichtfenster schweifen. »Ich bin froh, wenn wir diese Gravitationsquelle weit genug hinter uns haben. Viel zu viel Verkehr hier. Jedes dieser Schiffe …« Sie nickte in Richtung der Schiffe, die ihnen am nächsten waren: ein toydarianischer Getreidetransporter, ein weiterer corellianischer Raumfrachter, eine Privatyacht. »… könnte uns just in diesem Augenblick ins Visier nehmen.«

»Du bist paranoid«, versicherte Jax ihr. »Wenn Vader uns im Auge hätte, wüsste ich das. Wir wüssten es.«

»Dass Vader einen im Auge hat, ist wirklich ein vergnüglicher Gedanke.« Den Dhur betrat die Brücke und rutschte auf den Notsitz hinter Jax. »Ich hoffe, er hat uns von jenseits des Krematoriums im Auge.«

»Paranoia«, meinte I-Fünf. »Noch eine menschliche Emotion, die sich mir einfach nicht erschließt. Die Liste der lebenden und toten Dinge in dieser Galaxis, die imstande sind, euch vollkommen zu vernichten, ist länger als ein Superstring … Doch offensichtlich sind reale Gefahren nicht genug: Nein, ihr Organischen müsst euch auch noch eine Schar fiktiver Schreckgespenster ausdenken, um euch noch mehr Angst einzujagen.«

Jax entgegnete nichts darauf. In den Monaten seit ihrer letzten Konfrontation mit dem Dunklen Lord – einer Konfrontation, im Zuge derer ein Mitglied der Peitsche sie verraten und sich ein weiteres bei dem Versuch, Vader zu ermorden, geopfert hatte – war ihnen nicht das Geringste über seinen Zustand oder seinen Aufenthaltsort zu Ohren gekommen. Es hatte keine Berichte im HoloNet gegeben, keine Gerüchte von hochrangigen Offiziellen, keine Spekulationen oder Geschichten von den verschiedenen Lebensformen an Orten wie den Schwarzgrubenslums oder dem Südlichen Untergrund. Es war, als sei der Gedanke an Vader zusammen mit seiner physischen Gestalt verschwunden.

Und doch glaubte Jax noch immer nicht, dass seine Nemesis tot war, sosehr er sich das auch wünschen mochte. Das ganze Szenario war einfach zu perfekt gewesen. Unter dem Einfluss einer starken Droge, die Machtfähigkeiten auf unvorhersehbare Art und Weise verstärkte, hatte Vader blindwütig zugeschlagen, um den vermeintlichen Attentäter abzuwehren. Die Energie, die dabei entfesselt wurde, hatte genügt, um den bedauernswerten Haninum Tyk Rhinann zu vaporisieren, der Vader einen harten Kampf geliefert und ihn über den Rand gestoßen hatte. Beide waren tief gestürzt. Rhinann war umgekommen – Vader war verschwunden.

Wäre Darth Vader ein gewöhnlicher Mensch gewesen – oder auch nur ein gewöhnlicher Jedi –, hätte Jax davon ausgehen können, dass er ebenfalls tot war. Doch er war keins von beidem. Er war zugleich weniger und mehr Mensch. Er war eine mächtige Fusion des Menschlichen und des Unmenschlichen. Er war ein Sith – der Jax einst seinen Freund genannt hatte. Denn Jax vermutete – nein, es war mehr als eine Vermutung, er wusste es –, dass Darth Vader früher Anakin Skywalker gewesen war. Das hatte er durch die Macht gespürt, und bei ihrer letzten Begegnung hatte Vader seine Annahme mit einem Versprecher bestätigt, der möglicherweise sogar beabsichtigt gewesen war.

Der Mann, der nicht sterben wollte.

»Willst du deine Bürde nicht mit uns teilen, Jax?« Den sah ihn mit Augen an, die einfach müde wirkten. »Hast du irgendetwas von Vader wahrgenommen, seit …?« Bumm! Der Sullustaner gestikulierte mit den stummelfingrigen Händen, um eine Explosion anzudeuten.

Jax schüttelte den Kopf. »Nichts. Aber, Den, wenn er tot wäre, glaube ich, wüsste ich das. Es hätte eine gewaltige Veränderung in der Macht gegeben, wenn ein Wesen von so immens konzentrierter Kraft vernichtet worden wäre.«

»Ich habe das Feuerwerk am Explosionsort gesehen«, wandte Den ein. »War das vielleicht keine Veränderung?«

»Nein, das war ein Lichtspektakel. Größtenteils Blitze mit nur wenig Substanz. Es hat zwar gereicht, um Rhinann zu töten, doch ich glaube nicht, dass es Vader umgebracht hat.«

Der Sullustaner sah Laranth an. »Und du hast auch nichts zu sagen, das meine Laune steigern würde?«

»Tut mir leid, Den. Ich bin derselben Meinung. Er liegt vielleicht irgendwo schwer verletzt in einem Bacta-Tank, aber er ist nicht tot. Das Beste, worauf wir hoffen können, ist, dass er lange genug außer Gefecht gesetzt bleibt, damit wir Yimmon in Sicherheit bringen können.«

»Du kommst gerade von Yimmon, oder?«, fragte Jax Den, und auf das Nicken des Sullustaners hin fügte er hinzu: »Was für einen Eindruck hat er gemacht?«

Den zuckte mit den Schultern. »Ungefähr den Eindruck, den man von einem Kerl erwarten würde, der in den letzten drei Wochen viermal beinahe draufgegangen wäre.«

Jax holte tief Luft und ließ sie dann langsam wieder entweichen. Diese Anschläge waren der Grund dafür, dass sie Thi Xon Yimmon von Coruscant fortbrachten. Der Anführer der vor Ort als »Peitsche« bekannten antiimperialen Widerstandszelle war in den vergangenen Wochen mehrfach von imperialen Streitkräften ins Visier genommen worden. Zweimal hatte allein der Umstand, dass Jax und seine Gruppe einen Freund bei der Polizei hatten – einen Zabrak-Präfekten namens Pol Haus, der ihnen rechtzeitig einen Tipp gab –, Schlimmes verhindert.

Auf verquere Art und Weise war die Aufmerksamkeit, die das Imperium der Peitsche – und speziell Yimmon – entgegenbrachte, schmeichelhaft. Es bedeutete, dass sie sich von einem bloßen Ärgernis zu einer ernsthaften Bedrohung entwickelt hatten. Womöglich hatte das Imperium mittlerweile sogar die Verbindung zwischen dem lokalen Widerstand im Imperialen Zentrum und der breiter angelegten Bewegung hergestellt, deren Zellen auf einer wachsenden Zahl entlegener Welten wie Pilze aus dem Boden schossen. Unterm Strich hieß das, dass sich die imperialen Befehle im Laufe der letzten paar Monate von »Erschießt sie, wenn sie euch in die Quere kommen« zu »Spürt sie auf und vernichtet sie« gewandelt hatten.

Außerdem hatte der Imperator seine Taktik geändert. Ausgerechnet die Macht witternden, raubtierhaften Inquisitoren waren bei diesen letzten Ausrottungsversuchen nicht zum Einsatz gekommen. Stattdessen kamen die Angriffe jetzt von machtunempfänglichen Kopfgeldjägern und Kampfdroiden. Es war, als würde der Imperator, nachdem er erfolglos versucht hatte, die Gaben der Macht gehen Yimmon und seine Kohorten zu kehren, jetzt einfach jede profane Waffe gegen sie einsetzen, die ihm zur Verfügung stand. Jax wollte glauben, dass dies das Vorgehen eines verzweifelten Tyrannen war, der gerade seine mächtigste Waffe verloren hatte. Das wollte er genauso sehr glauben, wie er glauben wollte, dass Vader tot war. Aber …

Der Mann, der nicht sterben wollte.

Er schüttelte sich, als ihm bewusst wurde, dass er angefangen hatte, Darth Vader als etwas Unausweichliches zu betrachten – und als unsterblich. Welch abscheuliche Wahrheit diesem Gefühl auch immer innewohnen mochte, Jax konnte nicht zulassen, dass es ihn von der bitteren Realität ablenkte, dass das Imperium die Peitsche tot und begraben sehen wollte. Und dieses hierarchische Ungetüm befand offenbar, dass sich das am besten bewerkstelligen ließ, indem sie die Gehirne der Organisation ausschalteten. Doch es war nicht gerade leicht, Yimmon – mit seinem Binärgehirn und einer persönlichen Gruppe von Einsatzkräften, zu der ein Jedi, eine Graue Paladinin und ein empfindungsfähiger Droide zählten – zu töten oder gefangen zu nehmen. Allerdings war der letzte Versuch fast von Erfolg gekrönt gewesen. Fast. Und fast war in diesem Zusammenhang definitiv schon zu viel. Bei dem Angriff waren mehrere Ladenfronten und mehr als ein Dutzend unschuldiger Bürger draufgegangen, die sich zufällig in der Nähe eines Lokals aufhielten, das die Peitsche zum Austausch von Botschaften verwendet hatte.

Jax konnte die Erinnerung daran nicht abschütteln, wie die Straße nach diesem Überfall ausgesehen hatte. Die Leichen, die auf dem Bordstein verstreut lagen, den scharfen Ozongeruch in der drückenden Luft, die photonischen Abbildungen von Leuten auf den Mauern der Gebäude wie umgekehrte Schatten, festgehalten im Moment ihres Todes. Der gedämpfte Eindruck, dass das gesamte Viertel den Atem anhielt, während es sich bereit machte, einen Aufschrei der Empörung auszustoßen – einen Aufschrei, der auf taube Ohren stoßen würde. Seiner Empörung über das Imperium Ausdruck zu verleihen, schien ein sinnloses Unterfangen zu sein – doch Jax musste an dem Glauben festhalten, dass dem nicht so war.

Die Entscheidung, den Widerstandsführer aus dem Imperialen Zentrum fortzubringen, war nahezu einstimmig gefallen. Die einzige Stimme des Widerspruchs gehörte Yimmon selbst. Erst nach viel Überzeugungsarbeit war er schließlich bereit gewesen einzusehen, dass es das Klügste war, ihre Operationsbasis nach Dantooine zu verlegen.

Und das keinen Moment zu früh.

Jax schüttelte das Gefühl des Schreckens ab, das sich über ihn zu senken drohte. Zum hundertsten Mal an diesem Tag öffnete er den Mund, um Laranth von den »Vorladungen« zu erzählen, die er vor drei Tagen von einem cephalonischen Informanten der Peitsche erhalten hatte. Doch Vorsicht und Dens Gegenwart hielten die Worte von seinen Lippen fern.

»Ich gehe noch mal nach hinten und rede mit Yimmon«, sagte er, während er aufstand. »Übernimmst du das Steuer?«

Laranth nickte und rutschte auf seinen Sitz.

Jax wandte sich an I-Fünf. »Gib mir Bescheid, wenn wir bereit für den Hyperraumsprung sind, in Ordnung?«

»Traust du uns nicht zu, dass wir auch ohne dich korrekt in den Korridor kommen?«, fragte der Droide.

Laranth sah Jax bloß mit ihren großen peridotgrünen Augen an.

»Natürlich traue ich euch das zu. Ich will bei dem Sprung bloß in der ersten Reihe sitzen. Ja, ich weiß, dass das nicht unbedingt vernünftig ist«, fügte er hinzu, als I-Fünf einen gereizten Klicklaut von sich gab. »Ich muss einfach sehen, wie sich die Sterne verändern. Ist das für euch okay?«

»Wie du meinst«, entgegneten der Droide und die Twi’lek in unheimlicher Einstimmigkeit, und es schien, als würde Den Dhur leise in sich hineinlachen.

Jax fand Thi Xon Yimmon an einem mit Holzmaserung versehenen Duraplasttisch sitzend. Der Tisch wirkte allein deshalb wie Holz, weil Jax Holz mochte. Auf längeren Missionen im All – die immer häufiger zu werden schienen, während die Aktivitäten des Widerstands zahlreicher wurden und sich ausbreiteten – wollte er so daran erinnert werden, dass es irgendwo Welten mit lebenden, gedeihenden Wäldern gab. Er hatte einen echten Baum in seinem Quartier – ein winziges Ding in einem Keramiktopf. Der Baum war ein Geschenk von Laranth und trotz seiner geringen Größe viele hundert Jahre alt. I-Fünf hatte Jax mit einer uralten Kunstform namens Miisai vertraut gemacht, bei der es darum ging, die Äste in einer bestimmten Weise zu beschneiden und ihren Wuchs zu kontrollieren. Er wendete diese Technik nun mithilfe feingliedriger Machtfühler an.

Den Baum zu beschneiden war für Jax zu einer Art Meditation geworden – genau wie das Trainieren der zahlreichen Lichtschwertkampfstile mit seiner neuen Waffe, einem Lichtschwert, das er und Laranth mit einem Kristall konstruiert hatten, den er aus einer unerwarteten Quelle erhalten hatte. Das Gewicht der Waffe lastete beruhigend auf seiner Hüfte – nicht weniger beruhigend war es gewesen, endlich die Sith-Klinge ablegen zu können, die er bis dahin benutzt hatte.

In den vergangenen zwei Tagen hatte Jax keine Zeit zum Meditieren. Er hatte sich eingeredet, dass das an ihrem knappen Zeitplan lag, um Yimmon von Coruscant fortzuschaffen. Doch er wusste es besser. Der eigentliche Grund dafür war, dass zu meditieren ihn unweigerlich dazu bringen würde, über die Botschaft nachzudenken, die der Cephaloner ihm mit auf den Weg gegeben hatte.

Für einen Cephaloner war Zeit eine irgendwie formbare Substanz. »Wie Kunststoff«, hätte ein Philosoph oder Physiker vielleicht dazu gesagt. Den hingegen zog »schwammig« vor. Welche Bezeichnung zutreffender war, vermochte er nicht zu sagen, doch unterm Strich lief es auf dasselbe hinaus: Cephaloner »sahen« Zeit so wie andere intelligente Wesen räumliche Beziehungen. Irgendetwas konnte sich vor, hinter oder neben einem befinden, doch mit einer Drehung des Kopfes war es sichtbar. Wenn man um ein Objekt herumging, konnte man unterschiedliche Seiten davon sehen – andere Perspektiven gewinnen. Eine plumpe Analogie, aber der Art und Weise angemessen, wie Cephaloner die Zeit sahen. Ein Moment mochte sich vor, hinter oder genau über ihnen befinden – Zukunft, Vergangenheit oder Gegenwart –, doch sie waren imstande, ihren ungeheuer komplexen Verstand zu winden und den Moment wahrzunehmen, ihn zu umkreisen und ihn aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Diese Wahrnehmung mochte etwas mit dem Umstand zu tun haben – oder auch nicht –, dass Cephaloner über etwas verfügten, das wahlweise als erweiterte oder betonende Intelligenz bekannt war. Das bedeutete, dass sie zusätzlich zu einem großen Gehirn mehrere »Unterhirne« besaßen – eigentlich Ganglienknoten –, die für eher atavistische Körperfunktionen zuständig waren und dem großen Hirn so die Freiheit ließen zu tun, nun, was eben so zu tun war.

Dank seiner Verbindung zur Macht war Jax gelegentlich kurz davor gewesen, die Realität dieses Konzepts zu erfassen, doch nicht einmal ein Jedi vermochte die präzise Natur der cephalonischen Beziehung zur Zeit zu begreifen. Bedauerlicherweise verstanden sich die Cephaloner zudem nicht sonderlich gut darauf, das weiterzugeben, was sie wahrnahmen. Zeitformen hatten für sie keinerlei Bedeutung. Etwas, das gestern oder letztes Jahrhundert geschehen war, war für sie so »gegenwärtig« wie etwas, das am nächsten Tag oder erst in einem Jahrhundert passieren würde. Da sie außerdem durch die Macht miteinander verbunden waren, war ein Cephaloner womöglich durchaus imstande, etwas zu »sehen«, das gar nicht innerhalb seiner eigenen Lebensspanne passiert war und auch bis zu deren Ende nicht mehr passieren würde.

Das war auch der Grund dafür, dass es Jax Pavans Jedi-Geduld auf eine harte Probe stellte, wenn er vor einer wichtigen Mission eine Botschaft von einem cephalonischen Agenten der Peitsche erhielt. Häufig schickte er den leidenschaftsloseren I-Fünf los, um mit Cephalonern zu reden, doch diesmal war das keine Option gewesen. Als Jax diese Nachricht empfing, war I-Fünf gerade mit Den Dhur und Tuden Sal unterwegs gewesen, um eine Reihe falscher Schiffskenncodes zu beschaffen, die sie vielleicht für ihre Reise nach Dantooine brauchten. Also hatte er sich persönlich in ihr altes Viertel in der Nähe des Ploughtekal-Markts begeben, um sich mit einem Cephaloner zu treffen, der sich in einem Wohngebäude niedergelassen hatte, das auf nicht sauerstoffatmende Lebensformen spezialisiert war. Cephaloner bevorzugten Methan und mochten ihre Atmosphäre lieber ein wenig »süffig«, wie Den es auszudrücken pflegte.

Jax hatte sich verkleidet bei der Adresse des Cephaloners eingefunden. Auf Außenstehende wirkte er wie ein Elomin-Diplomat – also genau wie die Art von Besucher, die man bei einem Cephaloner erwarten würde. Wenn es um künftige – oder vergangene – Ereignisse ging, waren Diplomaten und Politiker schließlich immer auf der Suche nach dem entscheidenden Vorteil – und die Cephaloner hatten keine Skrupel, Informationen auszuplaudern. Sie waren bloß nicht imstande, sie verständlich zu vermitteln.

Jax fand den Fremdweltler in einem Loft, das an cephalonischen Standards gemessen prachtvoll war. In dem methanhaltigen Habitat befanden sich eine Reihe kinetischer Brunnen, Skulpturen und Wanddisplays mit kunstvollen Darstellungen. Die Cephaloner mochten Bewegung. Das gewaltige Wesen – dessen Bezeichnung, Aoloiloa, ungefähr so viel bedeutete wie »Der vor Lo und nach Il« – lebte hinter einer großen gläsernen Barriere, in der es einer gigantischen, grau gesprenkelten Melone gleich in seiner Methansuppe trieb. Der Cephaloner aß und kommunizierte mithilfe von Barten, die Nährstoffe aus der Methansuppe filterten und vibrierten, um seinen Gedanken Ausdruck zu verleihen, die auch auf einer Anzeigetafel in einer Vorkammer außerhalb seines Privatgemachs angezeigt wurden. Jax wusste, dass der Name in erster Linie ein Zugeständnis an andere empfindungsfähige Wesen war, mit denen die Cephaloner interagierten – ein Hilfsmittel für jene zeitweise überforderten Seelen, um zwischen Individuen zu unterscheiden. Vermutlich hatten die Cephaloner dafür ihre eigenen geheimnisvollen Mittel und Wege.

Jax hatte sich mit dem Übersetzungsgerät neben der Anzeigetafel des Cephaloners angekündigt. »Ich, Jax Pavan, komme wie geheißen.« Jetzt warne mich vor einer imperialen Verschwörung.

Natürlich tat der Cephaloner nichts dergleichen. Stattdessen stellte er eine Frage: Du bist abgereist / wirst abreisen?

Jax blinzelte. Zweifellos eine Frage bezüglich eines künftigen Ereignisses. »Ja.«

Krux. Das Wort erschien auf der Anzeigetafel.

»Krux?«, wiederholte Jax. »Was für eine Krux?«

Nexus, sagte Aoloiloa. Ort. Dunkelheit kreuzt / kreuzte / wird Licht kreuzen.

»Ja, ich weiß, was eine Krux ist. Aber was soll das bedeuten – in diesem Fall?«

Die Krux: Die Wahl führt / führte / wird zu Verlust führen. Durch Zögern ist / war / wird alles verloren sein.

Jax wartete, doch der Cephaloner ging nicht ausführlicher darauf ein.

»Was soll das heißen: ›Die Wahl führt zu Verlust. Durch Zögern ist alles verloren‹?«

Es heißt, was es heißt. Alles.

Jax hatte Mühe, seine Gedanken gefasst zu halten. Hör zu, ermahnte er sich. Hör zu. »Wessen Wahl?«, fragte er. »Wessen Zögern? Meins?«

Wahl um Wahl. Entscheidung um Entscheidung. Das Zögern ist / war / wird stärker.

»Zögern über einen längeren Zeitraum? Oder das geballte Zögern von einer Reihe von Leuten?«

Der Cephaloner trieb langsam auf und ab, ehe er sich von der Transparistahlbarriere abwandte, die ihn vor der Sauerstoff-Stickstoff-Atmosphäre von Coruscant schützte.

So war Jax wortlos entlassen worden und zu dem Kunstausstellungs- und Veranstaltungszentrum zurückgegangen, das als Hautquartier der Peitsche diente. Dabei grübelte er über die Worte des Cephaloners nach: Die Wahl führt zu Verlust. Durch Zögern ist alles verloren. Wie immer er diese Worte auch deutete – sie hörten sich nicht gut an.

Jax blieb im Durchgang zum Mannschaftsraum der Fernpendler stehen und musterte den auf dem Holzimitattisch sitzenden Anführer der Widerstandsbewegung »Peitsche«. »Du hast dich immer noch nicht damit abgefunden, was?«, fragte er schließlich.

»Würdest du das denn tun, wenn man dich darum bäte, dich abzusetzen und dem Zentrum deiner Operationen den Rücken zu kehren? Ich war nur damit einverstanden, weil der Imperator so seine Bemühungen möglicherweise darauf konzentriert, mich zu finden, wenn er vermutet, dass ich geflohen bin. Das würde dem Netzwerk auf Coruscant wenigstens ein wenig Ruhe verschaffen.«

»Der Angriff bei Sils Cantina war einfach zu knapp, Yimmon. Und der Verlust all dieser unschuldigen Leben …«

Der Cereaner nickte müde. »Ja, das auch. Dieses Blutbad war – unverzeihlich. Dass er Kampfdroiden schicken würde, sie willkürlich und wahllos töten lässt …«

»Offensichtlich wussten sie, dass wir uns in dem Gebiet aufhalten, doch ihre Informationen waren nicht präzise genug, um uns effektiv ins Visier zu nehmen. Die photonischen Ladungen verschafften ihnen die Möglichkeit, einige von uns zu töten, ohne extreme Schäden an der Infrastruktur befürchten zu müssen.« Es gelang Jax nicht ganz, den Sarkasmus aus seiner Stimme fernzuhalten.

»Vielleicht. Und vielleicht …«

»Was?«

Der Cereaner schüttelte sein mächtiges Haupt. »Du hast es selbst gesagt: Man hatte den Eindruck, als sei der Imperator verzweifelt. Wenn Vader tatsächlich für eine Weile außer Gefecht ist und die Inquisitoren uns nicht aufspüren können, ohne dass du sie ebenfalls wahrnimmst, würde das Sinn ergeben, aber …«

Jax verspürte einen Anflug von Unbehagen, machte sich davon jedoch frei. Er redete sich ein, die Warnung des Cephaloners verstanden zu haben, und verhielt sich entsprechend.

»Willst du damit sagen, dass der Imperator womöglich gar nicht so verzweifelt ist, wie er wirkt?«, fragte Jax Yimmon.

Der Cereaner seufzte. Sein Atem grollte tief in der breiten Brust. »Sagen wir einfach, dass ich noch nie das Gefühl hatte, Imperator Palpatine neige zu Panik. Doch – wie ich bereits sagte – jetzt, wo sein wichtigster Streiter aus dem Weg ist …«

»Irgendwelche neuen Informationen von unseren Informanten?«

»Keine. Seit eurem letzten Zusammentreffen hat niemand Vader gesehen oder auch nur Gerüchte über seinen Zustand gehört.«

Ihr letztes Zusammentreffen – bei dem Vader versucht hatte, Jax dafür zu bestrafen, noch immer ein Jedi zu sein, bei dem er einen Verräter in Jax’ Gruppe gepflanzt hatte, bei dem er den Versuch unternommen hatte, einen seltenen biologischen Wirkstoff zu nutzen, um die eigene Verbindung zur Macht zu verstärken. Jax fand es eine Ironie des Schicksals, dass Vader es in seinem »unverbesserten« Zustand wohl tatsächlich gelungen wäre, ihn gefangen zu nehmen oder zu töten – gemeinsam mit all seinen Gefährten. Doch der Dunkle Lord hatte sich selbst übervorteilt und seine Niederlage eigenhändig herbeigeführt. Wenn das keine Lektion in Sachen Selbstüberschätzung und Ungeduld war! Jax fragte sich, ob Anakin Skywalker – gefangen in diesem riesigen schwarzen Überlebensanzug, zusammengehalten von kybernetischen Implantaten – das wohl erkennen würde. »Dann ist dies eine einmalige Gelegenheit«, meinte er. »Jetzt ängstlich zu sein …«

»Ängstlich?« Yimmon lachte. »Zeige ich nicht allein schon dadurch Angst, dass ich wegrenne?«

»Nein. Damit demonstrierst du Weisheit. Die Peitsche braucht dich. Der wachsende Widerstand braucht dich. Die blindwütigen Aktionen des Imperators hätten dich fast umgebracht.«

Thi Xon Yimmon blickte mit ruhigen Augen von der Farbe alter Bronze zu Jax auf. »Was, wenn er nicht blindwütig handelt, Jax? Was, wenn hinter diesen Angriffen Methode steckt?«

Jax ignorierte die Kälte, die sich bei diesem Gedanken in seinem Innersten breitzumachen versuchte. »Dann werden wir uns in Sicherheit bringen. Hör zu, Yimmon, wenn er gewusst hätte, dass Sils Cantina ein Treffpunkt unserer Leute ist, hätte er den Laden einfach hochgenommen. Hätte er gewusst, wo sich unsere Operationsbasis befindet, hätte er seine Kopfgeldjäger, Kampfdroiden und Inquisitoren hingeschickt und uns im Schlaf ermordet. Was hätte er dadurch erreichen können, dass er wie ein blutdürstiger Rancor blindlings alles umpflügt, das ihm in die Quere kommt?«

»Vielleicht genau das, was er damit erreicht hat – dass ich Coruscant verlasse. Dass ich mich lange genug aus der Schlacht zurückziehe, damit wir unseren Standort verlagern und uns neu formieren. Lange genug, damit er seine Kräfte neu formieren kann. Womöglich ist dies für den Imperator ebenfalls eine einmalige Gelegenheit.«

Jax lehnte nicht weiter im Durchgang und richtete sich auf. »Ich sagte dir doch schon: Wenn du willst, dass mein Team bei dir auf Dantooine bleibt …«

Der Anführer der Peitsche schüttelte ermattet den Kopf. »Nein. Tuden Sal braucht euch auf Coruscant. Er ist ohnehin schon sauer, weil du auf diesem Flug mein Kindermädchen spielst – und er hat recht damit. Wenn ich könnte, würde ich dir die Sache ausreden. Ich hätte unseren besten Mann gern in Palpatines Nähe – und in Vaders, falls er wieder auftaucht.«

Falls? Nein, nicht falls. Jax wusste, dass es in Wahrheit bloß um das Wann ging.