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Café crème mit Margaux

 

Ein oder zwei Café crème und ein oder zwei Croissants, mehr brauchte er morgens nicht. Margaux hatte das Wochenende bei ihm in seiner neuen Wohnung in der Rue de Belleville verbracht, und nun frühstückten sie im altehrwürdigen Bistro Aux Folies, das der auvergnatische Bistrowirt Gaston gerade übernommen hatte.

»Das hätte man auch ein bisschen präziser aufbereiten können.« Margaux regte sich über den Artikel in Libération auf, in dem von der Pressekonferenz des Verlages mit Marc Leroc berichtet wurde. Sie knüllte die Zeitung zusammen und warf sie auf den leeren Bistrostuhl neben sich.

»Worum geht’s denn?«, fragte Jacques, ließ seine Zeitung sinken und nahm einen Schluck aus der Tasse vor ihm.

»Es geht nur um eine Geschichte, hinter der auch ich gerade her bin«, sagte Margaux, die über andere Journalisten häufig sehr streng, manchmal gar abfällig urteilte. Mach dir nichts draus, hatte sie Jacques einmal gesagt. Wir Journalisten sind so. Und da Margaux unter den Zeitungsleuten in Paris einen guten Ruf als harte Rechercheurin mit Stil hatte, konnte sie sich manch bösen Kommentar über schlechte Artikel anderer erlauben.

»Wenn du hinter etwas her bist, dann ist das meist mehr als irgendeine Geschichte. Zeig mal!«

»Ist jetzt nicht so wichtig. Es geht noch mal um die schwarzen Kassen von France-Oil und die Frage, wer daraus Geld empfangen hat. Mich interessiert besonders die deutsche Komponente. Wenn du so willst, handelt es sich im weitesten Sinn um Korruption bei internationalen Geschäften. Natürlich kann das eine ganz große Geschichte werden. Und ich sitze als Einzige an der Quelle, glaube ich. Ein heißes Thema! Vielleicht das heißeste, das ich je angefasst habe.«

»Also doch! Ist da was für einen Untersuchungsrichter drin?«, fragte Jacques.

»Noch nicht. Ich sage dir schon rechtzeitig, wenn’s so weit ist. Aber diese Pressekonferenz vom Verlag ist gut gelaufen.«

»Woher weißt du das denn?«

»Vom Autor persönlich. Der ist allerdings am Anfang sehr nervös gewesen und schon bei der Antwort auf die erste Frage ins Stocken geraten. Zum Glück hat sein Verleger dann gleich die Gesprächsführung übernommen.«

»Und wie lautete diese erste Frage?«

»Es ging um den Beweis dafür, dass der deutsche Bundeskanzler im Auftrag des französischen Präsidenten von France-Oil mit einigen Millionen bestochen worden ist. Und der Verleger hat schlicht geantwortet, dass in Lerocs spannendem Lebensbericht bewiesen wird, was der deutsche Bundeskanzler bekommen hat.«

»Damit haben sich deine Kollegen doch hoffentlich nicht zufrieden gegeben?« Jacques sah sie fragend an.

»Natürlich nicht. Jeder von uns weiß doch über die Einzelheiten des Leuna-Deals Bescheid, also auch darüber, dass France-Oil ein paar Milliarden an die Treuhandgesellschaft gezahlt hat, an diese Behörde, die von der deutschen Regierung eingesetzt worden war, um staatliches Eigentum der DDR zu verhökern. Aber Leroc hat schließlich erklärt, er könne und werde beweisen, wo heute noch Geld, das damals veruntreut wurde, aus schwarzen Kassen fließt.«

Margaux nahm die Zeitung wieder vom Stuhl und schlug sie auf. »Hier sind ein paar der wichtigsten Fragen und Antworten zitiert. Gegen Ende des Geplänkels wurde es sogar ziemlich interessant. ›Sind Sie nicht selber in diesem Fall zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt worden? Wenn ich mich nicht täusche: wegen Untreue? Über Sie sind die Schmiergelder gelaufen. Warum haben Sie das alles in Ihrem Prozess nicht offengelegt?‹ Leroc antwortete: ›Weil ich in dem Prozess zum Sündenbock erklärt worden bin. Sie kennen ja die französische Justiz. Die Topmanager haben alle Schuld auf mich abgeschoben. Die wurden dann zwar auch verurteilt, sogar zu Gefängnis und Millionen an Geldstrafen. Aber von den Strafen hat keiner von ihnen auch nur einen Tag abgesessen, geschweige denn einen Centime gezahlt.‹«

Jacques wollte ihr die Zeitung aus der Hand nehmen. »Wenn das wirklich stimmt, was dieser Leroc sagt …«

Aber Margaux unterbrach ihn: »Hör doch erst mal zu, wie es weitergeht.«

Jacques nickte.

»Leroc hat gesagt: ›Durch meinen Bericht wird das politische System in Deutschland ins Wanken kommen. Ich werde eine bisher unbekannte Geldquelle aufdecken.‹ Darauf fragt ein Journalist: ›Was heißt Geldquelle?‹ Und die Antwort: ›Millionen, die auf einem Konto bei einer Bank in einer Steueroase liegen und für politische Zwecke abberufen werden. Meist in bar.‹ Nächste Frage: ›Warum kommen Sie damit jetzt erst raus?‹ Leroc: ›Die meisten Beweise habe ich erst nach mühseliger Arbeit zusammenstellen können. Und ein zusätzlicher Zeuge wird spätestens beim Erscheinen meines Buches öffentlich aussagen.‹ Frage: ›Wer ist dieser Zeuge? Hat er einen Namen? Wie ist er in die Sache verwickelt? Und: Weshalb trauen Sie ihm?‹ Lerocs Antwort: ›Wir haben viel zusammen gearbeitet. Ich würde sagen, er ist sogar ein Freund.‹« Margaux sah von der Zeitung auf. »Jetzt kommt sozusagen der letzte Satz, der natürlich von einer Journalistin stammte: ›In diesem Fall wohl ein nützlicher Freund.‹ Danach hat der Verleger die Pressekonferenz abgebrochen und auf das Erscheinen des Buches in zehn Wochen verwiesen.« Margaux stand auf. »So, das war’s.«

»He, du kannst doch jetzt nicht gehen. Erzähl mir erst, was du über den nützlichen Freund zusätzlich herausgefunden hast«, entrüstete sich Jacques.

»Nix. Das muss dir jetzt erst mal reichen«, sagte Margaux und raffte ihre Tasche und den dünnen Mantel zusammen. »Ich muss jetzt los.«

Sie gab Jacques einen Abschiedskuss auf den Mund.

Gaston beobachtete sie aus einem Augenwinkel und fragte: »Kommst du heute Abend, ich gebe doch hier meinen Einstand?«

»Natürlich komme ich. Jacques hat es mir schon gesagt. Es wird vielleicht ein bisschen später. Ich habe um sieben noch einen Termin.«

Gaston schaute ihr hinterher, bewunderte ihre sportliche Figur und den energischen Gang, mit dem sie die Rue de Belleville hinuntereilte und im Eingang zur Métro verschwand.

»Noch einen Crème, Monsieur le juge?«, fragte der Bistrowirt, als Jacques kurz von seiner Lektüre aufschaute.

»Habe ich schon zwei?«

»Nein, du hattest erst einen Crème und ein Croissant.«

»Dann bring mir noch mal beides.«

»Herrlich warmer Frühling«, plauderte Gaston weiter, »schön, dass man schon draußen sitzen kann.«

Als Jacques nichts sagte, zwirbelte Gaston an seinem auvergnatischen Bart, der nach rechts und links außen und an den Enden nach vorn gezwirbelt wurde, und ging.

»Voilà, Monsieur le juge.« Ein paar Minuten später stellte er die Tasse und den Teller vor Jacques ab, nahm das benutzte Geschirr hoch und fragte: »Seid ihr eigentlich wieder zusammen?«

Jacques seufzte, schüttelte den Kopf, weil er nicht antworten wollte, sagte dann aber doch: »Ach, das ist mal so, mal so.«

Ein guter Wirt weiß, wann er zu schweigen hat. Gaston stellte sich an die Tür zu seinem Bistro und schaute sich das zunehmende Gewimmel auf der Straße an.

Als Jacques bezahlte, erinnerte Gaston auch ihn an die Fete am Abend: »Du gehörst doch zu den Stammgästen aus dem alten Bistro. Du musst kommen!«

»Und ob ich komme, ich bringe vielleicht noch ein paar Leute mit. Aber bei mir wird es wohl auch ein bisschen später, neun, halb zehn. Bei Gericht gibt’s heute eine Coupe de Champagne, Marie Gastaud wird in ihr neues Amt eingeführt. Und da sie mich mitgenommen hat, gehört sich ein Act de présence.«

»Im Palais de justice?«

»Auf der Ile de la Cité. Die alten Büros sind zwar ein bisschen dunkler als die modernen am Gericht in Créteil, aber ich brauche jetzt kaum zehn Minuten mit der Métro.«

»Nimmst du nicht deinen Dienstwagen?«

»Hier finde ich sowieso keinen Parkplatz, also lasse ich ihn meist in der Dienstgarage.«

 

 

Bisher war Marie Gastaud Präsidentin des Gerichts von Créteil gewesen, an dem sich auch Jacques Ricou als Untersuchungsrichter seit vier Jahren durch allerhand skandalöse Fälle gewühlt hatte. Jedes Mal, wenn sie ihn zu sich rief, ging er mit gemischten Gefühlen in ihr Büro. Sie wirkte mit ihrer Betonfrisur und den langweiligen, aber teuren Seidenkleidern wie die Ehefrau eines erfolgreichen Bourgeois, der die ererbte Porzellanmanufaktur seiner Familie in Limoges in alter Tradition weiterführt. Aber Jacques hatte immer wieder festgestellt, dass sie mehr war als nur eine strenge Mutter von zwei Kindern, die die Aufnahmeprüfung in die ENA geschafft hatten, und die Ehefrau eines hohen Beamten. Marie Gastaud leitete ihr Gericht immer so unabhängig, wie es unter dem jeweiligen Justizminister möglich war. Jacques schätzte ihr feines juristisches Gespür und ihre schützende Hand.

Und die konnte er immer wieder brauchen. Denn unter französischen Politikern galt er als ein unerträglich harter Hund. In der Öffentlichkeit dagegen wirkte er wie ein Vorbild für Mut. Besonders für Mut vor dem Herrscherthron.

Einmal hatte er sogar – wenn auch vergeblich – den Staatspräsidenten vorgeladen, um ihn wegen einer Untersuchung von politischer Korruption der konservativen Partei zu befragen. Schließlich war der Präsident zur Zeit der finanziellen Unregelmäßigkeiten Parteivorsitzender gewesen. Zwar hatte Marie Gastaud Jacques damals vorgeworfen, das sei eine Schnapsidee, denn der Präsident werde nicht aussagen, stattdessen würde ihn solch eine Ladung in der Öffentlichkeit belasten. Aber Jacques hatte ihr geantwortet, man müsse allen, auch den unmöglichen, Spuren nachgehen. So laute nun einmal sein Arbeitsethos, das er immer noch für ein richtiges Prinzip halte, schließlich habe es ihm Erfolg gebracht. Dafür werde er gefürchtet. Und darauf sei er stolz.

Sein letzter Fall, in den Jacques persönlich fast tragisch verwickelt war, hatte ihm viel Anerkennung eingetragen und großes Aufsehen erregt, weil daraufhin der Innenminister und einige seiner Vertrauten ins Gefängnis wanderten.

Geschickt taktierend hielt ihm die Gerichtspräsidentin immer wieder den Rücken frei, wenn der Druck aus der Politik zu groß wurde. Und jetzt hatte sie ihn vom Gericht aus Créteil mitgenommen ins Palais de justice ins Zentrum von Paris auf die Ile de la Cité und auch noch befördern lassen.

GoldGenève

 

Sogar die Tribune de Genève hatte einen kleinen Zweispalter über die Pressekonferenz in Paris gebracht. Aber in diesem Blatt, wie in der gesamten französischen und deutschen Presse, wurde Marc Leroc nicht allzu ernst genommen. Der etwas hämische Artikel in der Tribune bereitete ihm trotzdem Sorgen.

G stand von seinem modernen Holzschreibtisch auf und drückte auf einen versteckten Knopf an der Wand neben einem Bild von Mark Rothko, das er in den Achtzigerjahren für gerade mal dreihunderttausend Dollar bei einer Galerie in Liechtenstein gekauft hatte. Ein großes orangefarbenes Rechteck verlor sich in dunkelgrün.

Heute würde er dafür einige Millionen bei Sotheby’s bekommen.

Der Knopfdruck öffnete eine verborgene Tapetentür, und G trat durch einen kurzen Gang in das Büro des anderen G aus dem Namen GG – GoldGenève.

Die Bank hatten einst ihre Großväter als GG gegründet, weil beider Nachnamen zufällig mit dem siebten Buchstaben des Alphabets begannen. Die Enkel hatten sich später nur einmal darum gestritten, wer das erste und wer das zweite Schriftzeichen darstellte. Angefangen hatten die Großväter mit kleinen Wechselstuben an den Grenzen zu Frankreich, Italien und Deutschland. Am meisten hatten sie in Brissago am Lago Maggiore verdient, wo sie nur hundert Meter hinter dem Grenzbaum von Italienern Millionensummen an Bargeld einnahmen, die jene zu Zeiten harter Devisenbeschränkungen in ihren Alfa Romeos mit großen Taschen anschleppten und so vor der Steuer retteten. Lange Zeit half ihnen auch die Angst italienischer Millionäre vor den Kommunisten im eigenen Land, von denen sie Enteignung befürchteten.

Nach elf Jahren zogen die GGs in ein neu erworbenes Genfer Palais und verkauften die Wechselstuben für viele Millionen an einen Italiener.

Während des Zweiten Weltkriegs lagerte auch manche deutsche Familie ihr Vermögen bei GG ein. Und nach 1945 konnten sich viele nicht mehr melden, um es wieder abzuholen. Von der Zeit an gab sich GG äußerst seriös.

Der Mann aus dem Büro mit dem Rothko-Bild war vor neunundsechzig Jahren drei Tage nach seinem Partner geboren worden. Darüber hatten die Eltern damals laut gelacht und einen dreißig Jahre alten Champagner aufgemacht.

Im Büro von G dem Älteren hing etwas vollkommen anderes: ein Bild von Antoine Watteau, gemalt um 1714. Ein Satyr nähert sich einer Nymphe. Natürlich sind beide nackt.

Ihre Kunden teilten G der Ältere und G der Jüngere nach ihrem Kunstgeschmack auf. Die verfügten natürlich immer über viel Geld, aber nicht immer über die Geduld, sich nach vorgegebenen Regeln zu verhalten. Für diese besonderen Kunden boten die GGs eine Reihe sicherer Notwehrprogramme an. Notwehr vor dem Gesetz, das für Steuerhinterziehung oder Geldwäsche Strafen vorsieht.

Bisher war noch nie ein Verdacht auf die GGs gefallen, die mächtigen und honorigsten Privatbanker von Genf. Keiner ihrer Kunden verfügte über eine Einlage unter zehn Millionen Schweizer Franken. Hier konnten selbst Millionäre nicht so einfach ein Konto eröffnen. GG suchte sich seine Kunden aus und hielt ihre Beziehungen geheim.

Einen neureichen Russen mit Gasprom-Millionen würde GG wohl abweisen, aber nicht einen afrikanischen Diktator, der eine Milliarde aus Entwicklungs- oder Bestechungsgeldern mitbringt.

Der Russe würde mit seinem Geld protzen und die Bank in ein schlechtes Licht rücken.

Der Potentat aber würde seine Einlage geheim halten. Und ein Umsturz könnte neben dem Diktator auch die wenigen Lakaien beseitigen, die von dem Konto wussten. Ein Risiko, das GoldGenève gern einging. Denn verwaistes Geld würde den Millionenhaufen, der keinem Eigentümer mehr zuzuordnen war, nur noch vergrößern.

So hatte zum Beispiel der liberianische Rebellenführer Samuel Doe Blutdiamanten gegen Waffen und Dollars getauscht. Mit den Waffen eroberte er an der Seite von Charles Taylor die Macht in Liberia, die Diamantendollars – zig Millionen – gab er bei GG in Verwahrung.

Zwar beendete Samuel Doe als achtundzwanzigjähriger Armeefeldwebel die neokoloniale Ära Liberias und ließ gemeinsam mit Charles Taylor die bisherigen Kabinettsmitglieder erschießen, doch schon kurze Zeit später wurde er selbst von Taylors Kumpanen ermordet: Videoaufnahmen zeigten, wie Doe nach stundenlangen Folterungen seine eigenen Ohren aufaß.

Von nun an sammelte Taylor die Blutdiamanten und Millionensummen aus der liberianischen Staatskasse ein – und füllte so sein Konto in Genf. Er wählte dafür ebenso die diskrete GG. Doch dann wurde auch er gestürzt. Und als Taylor in Sierra Leone verhaftet und wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor dem internationalen Strafgerichtshof in Den Haag angeklagt wurde, berief er sich darauf, mittellos zu sein. Um Taylors Anwälte bezahlen zu können, hunderttausend Dollar im Monat, musste das Gericht sein Budget verdoppeln lassen. Selbst für seine Verteidigung hätte Taylor nie die geheimen Konten bei GG preisgegeben. Er wurde allerdings auch im Prozess nicht danach gefragt.

Die Hoffnung bleibt des Menschen Triebfeder.

Von dem Gerichtshof in Den Haag drohte Taylor höchstens eine lebenslange Strafe, aber nicht der Strang. So blieb ihm die Erwartung, doch einmal von dem geraubten Schatz leben zu können.

Hoffnung nehmen Despoten mit ins Grab.

G der Jüngere legte G dem Älteren den Artikel aus der Tribune auf den Tisch.

»Hast du das gelesen?«

G der Ältere rückte den Stuhl zurück, trat ans Fenster mit dem Blick auf die Berge und sagte: »Ja. Und heute bin ich froh, dass ich wirklich niemandem traue. Ich habe vorgesorgt. Ich glaube, hier handelt es sich wieder einmal um eine Zeitungsente. Dieses Buch wird nie erscheinen.«

G der Jüngere drehte sich lächelnd um, ging wieder in sein Büro, und G der Ältere drückte auf die Kurzwahltaste, die ihn mit Horni verband, so kürzte er den Nachnamen seiner Haushälterin Elfie Hornecker ab.

»Horni«, fragte er, »hat Ihr Bruder endlich wieder Chlöpfer geschickt?«

Was er mit Chlöpfer bezeichnete, kannte Horni als Servila, so hieß die Cervelawurst in Zürich. Aber manchmal benutzte sie auch den Begriff Stumpen, wie die Leute in Sankt Gallen die Schweizer Nationalwurst nannten. In Sankt Gallen hatte sie immerhin zehn Jahre in einer Metzgerei gearbeitet, bevor sie in die Dienste von G dem Älteren trat.

»Mein Bruder hat heute früh welche gestopft«, antwortete Horni, »und ein Paket einem Bekannten mitgegeben. Es kommt heute Nachmittag noch an. Wie soll ich sie denn heute Abend zubereiten?«

Ihr Bruder betrieb die Metzgerei Hornecker in Zürich und stellte die beste Cervela in der Schweiz her. Der Gourmetkritiker Wolfram Siebeck hatte in der NZZ sogar darüber geschrieben, die dezente Duftnote, der feine fleischige Brät in dem brasilianischen Darm machten Horneckers Wurst zu einer wahren Delikatesse. Seit G als Pfadfinder die Cervela auf angespitzten Ästen über dem Lagerfeuer gebraten hatte, gehörte sie zu seinen Lieblingsspeisen.

»Ach, da läuft mir jetzt schon das Wasser im Mund zusammen. Wie wär’s im Schlafrock?«, sagte G.

»Mit Gruyère?«

»Und Schnittlauch und Basilikum!«

»Mein Bruder sagt, es wird sie bald nicht mehr geben.«

»Was wird es bald nicht mehr geben?«

»Die Cervela.«

»Unsinn. Warum sollte es sie bald nicht mehr geben?«

»Weil die Einfuhr der Wurstpelle verboten wurde. Bald geht meinem Bruder der Vorrat aus, und er bekommt nirgendwo Ersatz.«

»So’n Schwachsinn! Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich ruf Ihren Bruder mal an, wenn ich Zeit habe«, sagte G der Ältere und machte sich mit Bleistift eine Notiz. »Hornecker wegen Chlöpfer.«

Agent Marc Leroc

 

Dich zu erinnern, das kannst du lernen, hatte ihm Colonel Claude Courdon vor zwanzig Jahren eingetrichtert, als er ihn zum Agenten ausbildete. Musst du lernen. Ist lebenswichtig, überlebenswichtig.

Erinnerung hat mit Biologie und Psyche zu tun.

Du musst also körperlich genauso fit sein wie seelisch.

Daran hatte Marc Leroc sich gehalten.

Zwei kurze Trompetenstöße ertönten an der Wohnungstür.

Margaux klingelte.

Wie verabredet um sieben Uhr.

Marc blickte auf den Monitor.

Ihm fiel auf, dass die Journalistin sich immer ein wenig flirtend in Pose stellte, wenn sie wusste, dass sie beobachtet wurde. Sie hatte eine neue Frisur. So wirkte sie zwar sportlich, aber ein bisschen eleganter als vorher. Marc drückte auf den Türöffner, ohne ein Wort in die Gegensprechanlage zu sagen. Das Bild des Monitors zeigte, dass sie unten in die Lobby trat. Marc fuhr sich unbewusst mit den Fingerrücken der linken Hand über den Kiefer. Die Bartstoppeln waren kaum fühlbar nachgewachsen. Am Morgen hatte er zweieinhalb Stunden im Fitnessstudio in der untersten Etage seines Hochhauses an Geräten gearbeitet, sich einen kräftigen Adrenalinstoß geholt und erst nach dem leichten Mittagessen rasiert. Er fühlte sich wohl.

Als Margaux aus dem Aufzug trat, stand die Wohnungstür offen. Sie klopfte und ging hinein. In ihrer rechten Hand trug sie eine rote Ledertasche mit den Arbeitsgeräten und konnte sich deshalb nicht wehren, als Marc sie mit beiden Händen fest an den Schultergelenken fasste, sich zu ihr hinunterbückte und auf die rechte und linke Wange küsste. Und zwar richtig. Er gab ihr keine Bise, keine Berührung von Wange zu Wange, sondern benutzte seine Lippen.

Als habe sie die vorsichtige Annäherung nicht wahrgenommen, ging Margaux, in ein klassisches Tailleur gekleidet, mit energischen Schritten an ihm vorbei ins helle, große Wohnzimmer, setzte die Tasche auf dem gläsernen Esstisch ab und schlenderte durch die offene Schiebetür auf den Balkon.

»Einen herrlichen Blick haben Sie von hier oben. Und das bei dem Wetter!«

Wenige Zirruswolken zeichneten ein abstraktes Muster an den hellblauen Himmel. Darunter lag die Seine, auf der die Schatten der Abendsonne die Eisenstreben des Eiffelturms miteinander verwoben. Ganz leichtfüßig stand er da nebenan, wie ein alter Begleiter, so nah und vertraut wie früher Nachbars Kirschbaum. Über die obere Etage der alten Brücke, Bir-Hakeim, fuhr ein Métrozug. Margaux sah, wie sich die Menschen in den Wagen drängten. Auf dem rechten Ufer, im reichen Passy, waren die Häuser groß und schön, und weiter hinten über den Bleidächern des vornehmen sechzehnten Arrondissements leuchtete hell der quadratische Kopf des Triumphbogens, noch heller jedoch – aber weiter oben im Norden – strahlte Sacré-Cœur auf dem Montmartre. Das alte Paris breitete sich unter ihr aus.

Marcs Appartement lag in der zweiundzwanzigsten Etage eines jener hypermodernen Hochhäuser aus den Siebzigerjahren, die als Zeichen des Aufbruchs in neue Zeiten von Präsident Georges Pompidou im fünfzehnten Arrondissement gebaut worden waren. Zum Entsetzen von Bürgern, die daran gewöhnt waren, dass im Paris des Baron Haussmann kein Gebäude mehr als fünf oder sechs Stockwerke hoch sein durfte. Wäre Pompidou nicht plötzlich gestorben, dann hätten Bagger wahrscheinlich den Louvre abgerissen, um einen Plan des als Jahrhundertgenie gefeierten Architekten Le Corbusier umzusetzen. Er wollte seine rechteckigen Wohnblocks mitten in die Stadt setzen.

Marc ging zu ihr hinaus. Sie stand zwei Meter vom Geländer entfernt.

»Sonst wird mir schwindlig.«

»Daran gewöhnt man sich. Und dieses Haus hat viele Vorteile. Hier lebt man ganz anonym. Noch nicht einmal die Etagennachbarn kennen mich.«

Es gab aber noch viel mehr Vorteile für einen Mann wie ihn: Ein Gebäude mit Tiefgarage und mehreren Ausgängen bedeutete Sicherheit vor allzu neugierigen Leuten.

Marc fragte: »Wollen Sie etwas trinken? Eine Coupe?«

Margaux zögerte. »Nehmen Sie auch eine?«

»Ich bin Sportler. Ich trinke nie Alkohol.«

»Sie haben recht! Für mich dann auch einfach ein Glas Wasser. Wir müssen schließlich noch arbeiten.«

Aber dann winkte sie auch schon flatterhaft mit der Rechten, um Marc zurückzuhalten.

»Ach, vielleicht doch kein Wasser, sondern Tonic. Aber ohne Gin. Da habe ich wenigstens das Gefühl, einen Sundowner zu trinken.«

Er lachte. »So kann man sich leicht selbst betrügen! Dann fehlt nur der leichte Wacholdergeschmack.«

»Aber das Bittere am Tonic überwiegt doch immer.«

Marc ging in die Küche, nahm ein Glas, holte aus dem großen amerikanischen Kühlschrank eine frische Dose Schweppes, goss ein, schnitt eine Zitrone auf und träufelte einige Tropfen dazu. Die Eismaschine warf zwei Eiswürfel aus.

»Ein Gin Tonic ohne Alkohol, bitte!«

Margaux lachte, aber schnüffelte misstrauisch an dem Glas, ob Marc nicht doch einen Schuss Alkohol hineingegossen hätte.

»Auch keinen Wodka?«

»Weil man den nicht riecht?«

»Bei Männern wie Ihnen weiß man nie!« Sie machte eine kleine Kunstpause. »Wenn man auch immer weiß, was sie wollen.«

»Ach, ich bin doch harmlos.«

»Charmeur!«

»Aber großes Ehrenwort: auch kein Wodka.«

Dabei hob er die Hand wie zum Schwur und schaute Margaux mit einem Schmunzeln an, von dem er hoffte, es würde verführerisch wirken.

»Na, trotzdem setze ich mich erst einmal auf die andere Seite des Tisches.«

Margaux zog ihre eng geschnittene Jacke aus und legte sie nachlässig auf einen Stuhl. Die drei oberen Knöpfe der Seidenbluse standen offen, und Marc warf natürlich einen Blick auf ihre Brust, als sie sich vorlehnte und zwei professionelle Mikrofone mit einem winzigen digitalen Aufzeichnungsgerät auf je eine Seite des Esstischs stellte. Aus der Ledertasche nahm sie eine Mappe mit Unterlagen, einen gelben Block und Stifte.

»Nach der Pressekonferenz sind die Journalisten jetzt ganz offensichtlich neugierig«, sagte sie. Und: »Wir müssen dringend weitermachen!«

»Wo waren wir denn stehen geblieben?«, fragte Marc.

»Drei Viertel haben wir wohl geschafft«, sagte Margaux und schaute auf ihre Notizen. »Jetzt kommt nur noch das Ende des Einsatzes im Tschad, dann der Wechsel vom Geheimagenten zum Berater internationaler Konzerne mit Schwerpunkt: die deutsche Affäre. Die soll schließlich der Schlüssel Ihres Berichts sein. Deswegen wurden Sie ja auch verurteilt.«

 

 

Marc wusste genau, wer gelogen hatte.

Am Ende des großen Verfahrens aber waren die meisten glimpflich davongekommen. Es war ihnen gelungen, die Schuld auf andere, wie etwa ihn, zu schieben. Und weil sie die Macht hatten, glaubte man ihren Lügen auch noch, als sie schon vor Gericht standen. Aber Marc besaß inzwischen die wichtigsten Unterlagen.

Jetzt kam die Sache in Deutschland wieder ans Tageslicht.

In Leipzig hatte ein fleißiger Polizist ein großes Korruptionsgeflecht aufgedeckt, das angeblich bis in Marc Lerocs Umgebung nach Paris führte. Die Beweise und auf Tatsachen gestützten Vermutungen des Polizisten führten in ein äußerst unappetitliches Milieu. Sie brachten ehemalige deutsche Politiker, Richter und Finanziers in die Nähe von Korruption bis hin zu Menschenhandel und zu Bordellen, die möglicherweise Minderjährige beschäftigten. Was sich da zusammenbraute, wirkte wie ein Streifzug durch das Archiv eines Schmierblatts.

Überall in der Welt aber scheint es auch Kräfte zu geben, die übereifrige kleine Wühler bremsen wollen. Das gilt auch für Leipzig.

Aber nicht überall finden sich hartnäckige Leute in der Justiz, die einem Verdacht auch dann nachgehen, wenn er mächtige Persönlichkeiten ins Zwielicht bringt, Leute, die den kleinen Wühler ausschalten wollen.

In Leipzig schien es so zu sein.

Eine als stur beschriebene Staatsanwältin nahm sich der Indizien an, die der Polizist gesammelt hatte, und äußerte den Verdacht, geachtete Politiker, ehrenwerte Finanziers und unbestechliche Richter hätten sich die Macht in der Stadt mit Millionensummen erkauft. Indizien deuteten darauf hin, dass ein Teil der Millionen aus schwarzen Kassen von France-Oil stammte. Und zwar aus Zeiten, als die ehemalige ostdeutsche Raffinerie Leuna und die Minol-Tankstellen gekauft wurden.

Sie wusste, dass Marc Leroc wegen der Verwaltung dieser schwarzen Kassen von France-Oil in Paris verurteilt worden war.

Angriff ist die beste Verteidigung, hatte Marc Leroc in Saint-Cyr gelernt. Er würde um seine Ehre kämpfen. Denn Zweck seines Handelns war stets die Mehrung des Ruhmes von Frankreich gewesen.

Frankreich zu dienen, dazu waren alle männlichen Lerocs seit Generationen erzogen worden.

Seine beiden Großväter hatten im Ersten Weltkrieg das deutsche Senfgas überlebt und sich im Zweiten Weltkrieg de Gaulles Widerstand gegen die Nazis angeschlossen. Sein Vater hatte sich freiwillig in den Indochinakrieg gemeldet und seinem Sohn nur ein Ziel vorgegeben: die Offiziersschule von Saint-Cyr. Dort erhielt Marc zum Abschluss den selten verliehenen Titel Ranger d’or, die Bezeichnung für den tapfersten, aber auch härtesten Offiziersanwärter seines Jahrgangs. Alles hatte Marc ertragen, er suchte das Abenteuer. Und wegen des Abenteuers ließ er sich lieber zum Geheimagenten ausbilden, als Karriere im Generalstab zu machen.

In zwanzig Jahren Einsatz für den französischen Auslandsgeheimdienst DGSE lernte Marc Leroc in CIA, BND, Mossad – ja sogar im KGB – alle wichtigen Personen kennen. Mit den meisten Diensten arbeitete er zusammen. Schließlich wurde er in Paris zum jüngsten Oberst seit Jahren befördert. Und schon ein halbes Jahr später von der neuen Regierung in den Ruhestand versetzt. Aber er musste nicht darben. Seine Kenntnisse machten ihn unerwartet schnell reich. Wirtschaftsunternehmen zahlten ihm hohe Kommissionen für Rat und Vermittlung nicht nur im Waffenhandel und Flugzeugverkauf, sondern auch in Öl- und anderen internationalen Geschäften. Deswegen flog er häufig nach Deutschland. In Bonn, in Berlin, in München und auch in Leipzig kannte er sich aus.

Marc war stolz, von sich sagen zu können, er habe zwar viel verschwiegen, aber nie jemanden betrogen.

Im Prozess um die schwarzen Kassen von France-Oil aber war von ihm das Bild eines schmuddeligen Geldwäschers gezeichnet worden.

Nie mehr würde er sich zum schwarzen Schaf stempeln lassen. Sein Bericht würde nur einen Zweck verfolgen: sich reinzuwaschen. Auch wenn es diesmal bedeutete, andere zu belasten.

Margaux war ihm von seinem Freund Louis de Mangeville, dem Senator aus Dijon und Herausgeber der dortigen Regionalzeitung Le Bien Public, empfohlen worden. Sie galt als kritische Journalistin und gute Schreiberin, die manche riskante Geschichte vor allen anderen erfahren, recherchiert und veröffentlicht hatte.

Louis verschwieg allerdings, dass er früher das eine oder andere Wochenende mit Margaux auf den Schlössern seiner adeligen Freunde an der Côte d’Or verbracht hatte – bis seine Frau Marie-Claire Verdacht zu schöpfen begann.

Louis’ Sekretärin hatte für Marc Leroc die Verbindung zu Margaux hergestellt. Und als sie ihm schon nach einer halbe Stunde aus dem, was er ihr erzählte, ein Konzept entwickelt hatte, zögerte Marc nicht, sich für sie zu entscheiden. Inhalt und Verpackung gefielen ihm.

Frauen hatten ihn zwar immer angezogen, doch häufig hatte er auf Abenteuer verzichtet. Er hatte sich dazu erzogen, das Abenteuer zuerst in der Arbeit zu suchen. Das brachte ihm mehr und anhaltendere Befriedigung. Diesmal jedoch, kam es Marc in den Sinn, ließe sich vielleicht das eine aus dem anderen entwickeln.

Nachdem Marc und Margaux sich darauf geeinigt hatten, das zu erwartende Honorar für die Veröffentlichung fünfzig zu fünfzig zu teilen, trafen sie sich jeden dritten Tag in der Wohnung oben im Hochhaus. Und das seit zwei Wochen.

Margaux fragte, Marc erzählte, das Mikrofon zeichnete auf. Hin und wieder musste er ein Dokument suchen. Margaux würde aus den Interviews ein Manuskript erstellen, und sie hatte sofort begriffen, was für sie, neben einem ordentlichen Honorar, dabei rausspringen würde. Sie hatte für sich das Recht gefordert, als Autorin des Berichts genannt zu werden, und die Bedingung gestellt, als Erste einen Vorabdruck in ihrer Zeitung veröffentlichen zu dürfen. Das würde Furore machen.

 

 

Es wurde dunkel. Mit einer Fernbedienung schaltete Marc die Beleuchtung in der Wohnung an. In vielen Fenstern der Stadt brannten schon die Lichter.

»Wir müssen noch schildern, weshalb Sie zum Offizier der Ehrenlegion befördert wurden. Das erhöht Ihre Glaubwürdigkeit«, sagte Margaux.

»Aber es war eine geheime Aktion …«

»… die so lange zurückliegt, dass wir sie erzählen können.«

Margaux wedelte mit der nach oben geöffneten Hand schnell hin und her, so als wollte sie andeuten, komm, lass es schon raus, und fragte:

»Wann ist es passiert? 1988 oder 89 muss das doch gewesen sein.«

»Genau im März 1987. Wir haben Ghaddafi gedeckelt. Ohne dass er es Frankreich in die Schuhe schieben konnte. Der wollte sein Reich weit in den Tschad hinein ausdehnen, weil man dort wertvolle Bodenschätze vermutete. Er schickte seine Armee mit mehr als zweihundert Panzern und tausend Lastern los, die sich tief im Landesinneren, bei Wadidum, eingruben.«

»Warum hat ihn denn keiner daran gehindert?«

»Das ging zu schnell. Frankreich hatte zwar mit dem Tschad ein Verteidigungsabkommen und einige Flugzeuge und Legionäre dort stationiert. Aber gegen die libysche Übermacht konnten die nichts ausrichten. Also sollte ich mir ausdenken, wie man die Libyer vertreiben könnte.«

»Und? Haben Sie die zweihundert Panzer einfach in die Luft gesprengt?«, fragte Margaux ironisch lächelnd.

»Ach, das war überhaupt nicht komisch. Die ganze Geschichte hat sich wochenlang hingezogen. Ich habe erst unauffällig einige Dutzend schneller Wüstenfahrzeuge einfliegen lassen, die mit Abschusseinrichtungen für Milan-Raketen ausgerüstet waren, und dann, als die libyschen Truppen einen Wachwechsel vornahmen, das heißt, als alle Lastwagen und Panzer ihre Basis verlassen hatten und die Ablösung noch auf dem Weg war, haben wir sie mit unseren schnellen Fahrzeugen angegriffen und Stück für Stück abgeschossen.«

»Haben die Libyer nichts geahnt?«

»Erst als es zu spät war. CIA und Mossad haben deren Kommunikation unentwegt elektronisch gestört. Hinterher haben wir die Ehre des Sieges natürlich Hassan Djamous überlassen, dem Generalstabschef des Tschad. Ein großer Kriegsherr.«

»Das war das Ende von Ghaddafis Ausdehnungspolitik?«

»Ja. Vierhundert Panzer haben wir ihm unter dem Kamelsattel weggeschossen. Und ein paar hundert Laster dazu. Er hat über zweitausend Mann verloren.«

»Wieso vierhundert Panzer? Es waren doch nur zweihundert dort stationiert?«, fragte Margaux.

»Zweihundert fuhren ab, zweihundert kamen als Ablösung! Und deshalb wurde ich zum Offizier der Ehrenlegion befördert.«

»Ist noch keiner auf die Idee gekommen, Ihnen die Ehrenlegion wieder abzuerkennen?«

»Warum?«, fragte Marc verwundert.

»Wegen der Verurteilung!«

Marc schaute sie nachdenklich an. Wäre das der Fall, ging es ihm durch den Kopf, dann hätte er sein Leben vergeudet.

»Verurteilt wurde ich wegen der Lügen der anderen beim Deutschland-Geschäft von France-Oil! Das hängt doch nicht zusammen.«

»Die Lügen der Manager?«

»Sie haben behauptet, die schwarzen Kassen seien eingerichtet worden, weil der Staatspräsident es so wollte: Damit sollte Geld an die deutsche Politik gezahlt werden.«

»Aber das haben sie doch ziemlich glaubwürdig vorgetragen: Sie haben ja auch klar gesagt, das Geld sei an die Regierungspartei gegangen, um die Wiederwahl des Kanzlers zu ermöglichen.«

»Der Prozess war doch von vorn bis hinten politisch manipuliert. Wer Geld bekommen hat und wer nicht, das kann ich jetzt erst minutiös beweisen. Und ja, es ist auch Geld nach Leipzig geflossen. Und das wird der Kern meines Berichts sein, an dem wir hier arbeiten.«

»Warum haben Sie das im Gerichtsverfahren nicht gesagt?«

»Der Komplex, der jetzt in Leipzig hochkommt, wurde bisher nirgends untersucht. Also habe ich geschwiegen. Einiges andere habe ich ausgesagt, aber man hat mir nicht geglaubt, weil ich angeblich ein Bösewicht bin. Bedenken Sie: erst Geheimagent, dann vermeintlicher Geldwäscher im Auftrag der Wirtschaft. Ich habe ja tatsächlich viele Millionen über Dutzende von Konten bewegt. Das sieht natürlich aus wie Geldwäsche.«

»Geldwäsche? Dieses Wort benutzt heute jeder, aber, können Sie mir in dürren Worten erklären, wie Geld gewaschen wird?«

»Das geht ganz einfach. Stellen Sie sich einen Waschbottich vor. Darin befinden sich zehn Liter Wasser.«

»Na ja, das Geld wird schließlich nicht gewaschen!«

»Nein, sicher nicht«, Marc Leroc lachte, »ich male doch nur ein Bild. Der Bottich ist ein Konto. Und die zehn Liter Wasser sind meinetwegen zehn Millionen Euro. Aber weiter: Zu diesen zehn Litern Wasser im Bottich kippt die Firma France-Oil weitere fünfzehn Liter, also, sie überweist fünfzehn Millionen zu den bisher vorhandenen zehn Millionen. Jetzt sind fünfundzwanzig Liter Wasser im Bottich. Von den fünfundzwanzig Litern schöpfe ich danach dreizehn in einen anderen Bottich, sieben in einen Eimer, drei in einen anderen Eimer, zwei in eine große Kanne. Und jetzt kippe ich das Wasser hin und her. Am Ende habe ich einen Bottich, in dem sind elf Liter. Einen anderen Bottich mit sieben Litern, einen dritten mit sechseinhalb Litern. Unterwegs sind hier und da einige Liter, insgesamt zweieinhalb, verloren gegangen, die hat ein durstiger Mensch getrunken. Das klingt verwirrend, aber das ist ja auch der Zweck.«

Marc sah, dass Margaux ihm sehr aufmerksam zuhörte, und fuhr fort: »Können Sie jetzt noch nachweisen, in welchem Bottich sich die fünfzehn Liter von France-Oil befinden? Nein. Und wenn Sie genau hinschauen, dann sind zehn Prozent verschwunden. Die hat der Geldwäscher bar für sich behalten. Wenn Sie also Geld über genügend Konten in Steueroasen immer wieder in verschiedenen Größenordnungen hin und her bewegen, dann kann zum Schluss kaum noch ein Gericht nachweisen, wer wessen Geld wohin überwiesen hat.«

»Und so haben Sie es gemacht. Was unterscheidet Sie dann von einem Geldwäscher?«

»Ich kann nachweisen, dass ich kein illegales Geld gewaschen habe. Deshalb habe ich mir die Belege von den Überweisungen mühsam besorgt. Gut, wenn man Freunde in anderen Diensten hat. Ich habe jetzt sogar Dokumente mit DNA-Spuren eines Empfängers. Und vielleicht kann ich auch einen neuen Zeugen überreden auszusagen.«

»Wen? Kenne ich ihn?«

»Nein, der ist noch geheim.«

Marc stand auf, lief zu seinem Schreibtisch, auf dem ein Haufen Papier lag, und kam mit einer Dokumentenmappe zurück. Er öffnete sie und nahm einen Briefbogen heraus, der in eine Klarsichtfolie eingeschweißt zu sein schien.

Margaux nahm den letzten kleinen Schluck Tonic aus ihrem Glas.

Marc schaute sie fragend an: »Noch ein Glas?«

»Ja, gerne, bevor es jetzt ernst wird!«

Als er sich über den Tisch beugen wollte, um Margaux’ Glas zu nehmen, ertönten die beiden Trompetenstöße.

Erschrocken fragte Margaux: »Was ist denn das?«

Marc lachte verlegen. »Das ist meine Klingel.«

»Sollen wir uns vertagen?«

»Nein, ich erwarte niemanden.«

Mit ein paar schnellen Schritten war er bei der Tür, blickte auf den Monitor, riss zu Margaux blickend scheinbar verzweifelt die Augenbrauen hoch und stieß einen Seufzer aus. Er überlegte kurz, bis die Klingel noch einmal trompetete. Dann drückte er auf den Türöffner und lief schnell zum Esstisch.

»Sie müssen jetzt für ein paar Minuten verschwinden!«

Er ergriff Margaux’ Tasche und Jacke, lief zu der Tür, hinter der sich sein Schlafzimmer befand. Überrascht folgte sie ihm.

»Ich kann ja auch gehen.«

»Nein, nein, da kommt nur jemand was abholen. Es hängt mit dem möglichen Zeugen zusammen und dauert höchstens fünf Minuten. Aber es ist besser, wenn man Sie jetzt nicht sieht.«

Er schloss die Tür.

Auf dem Tisch im Wohnzimmer sah er das Dokument liegen, griff danach, öffnete noch einmal die Schlafzimmertür und gab es der verdutzten Margaux, die sich auf die Kante seines breiten Bettes gesetzt hatte.

»Das können Sie so lange lesen. Es ist deutsch. Auf der Rückseite steht die Übersetzung.«

Vorsichtig nahm sie es in die Hand. Die Buchstaben GG waren in dunkelblauer Schrift in die Mitte des Briefkopfs gestanzt. In einer Zeile kurz über dem unteren Rand standen in kleiner blauer Schrift GG – GoldGenève – und eine Adresse in Genf. Den Namen kannte sie, er gehörte zu einem der seriösesten Bankinstitute der Schweiz. Das Blatt wirkte elegant und war schwer. Darauf standen in einer peniblen, aber eigenartig kindlichen Handschrift drei deutsche Sätze geschrieben, eine Unterschrift und ein Datum mit Ortsangabe. Sie drehte die Plastikhülle um und las die Übersetzung.

»Hiermit bestätigt der Unterzeichnete, dass das Konto Nummer 12 345 008 ausschließlich von dem von mir bevollmächtigten Holm Mormann geführt werden wird. Ohne weitere Bevollmächtigung kann er alle mit dem Konto verbundenen Geldgeschäfte tätigen. Dies gilt nicht für die Schließung des Kontos.

Genf, den 9. September 1996

Kurt Ballak.«

Margaux legte das Dokument zur Seite, stand auf und trat ans Fenster. Auch von hier aus hatte man einen prächtigen Blick auf Paris, wenn auch in eine andere Richtung als von der Terrasse. In den Südwesten der Stadt. Sie schaute auf das hell angestrahlte Gebäude von Radio France auf dem anderen Ufer der Seine. Es bildete einen Kreis. Das sah originell aus, war aber praktisch eine architektonische Dummheit. Wie häufig war sie dort durch die Gänge geirrt, wenn sie einen Kollegen besuchen wollte. Weil alle Gänge im Kreis liefen, gab es keinen Anfang und kein Ende.