Zum Buch:

Liam Taylor steht nur auf unverbindlichen Sex! Dennoch kann er die faszinierende Frau, die sich nach einer einzigen perfekten Nacht aus seinem Bett schlich, nicht vergessen. Immer noch hat er den Geschmack ihrer heißen Küsse auf seinen Lippen, erinnert sich noch, wie gut sie sich in seinen Armen angefühlt hat. Plötzlich taucht Kennedy durch einen Zufall wieder in seinem Leben auf, und Liam muss sich entscheiden: Ist er bereit, mit seinen Prinzipien zu brechen?

„Diese Geschichte ist frech, sexy und überraschend – nicht zu vergessen: extrem heiß!“

Romantic Times Book Reviews

Zur Autorin:

Molly McAdams wuchs in Kalifornien auf. Heute lebt sie mit ihrem Ehemann und ihren vierbeinigen Hausgenossen in Texas. Wenn sie nicht gerade an ihren erfolgreichen New-Adult-Romanen schreibt, kuschelt sie sich am liebsten daheim auf die Couch und schaut Filme. Sie hat eine besondere Schwäche für frittierte saure Gurken (eine Spezialität im Süden der USA!) und weiche Schmusedecken.

Lieferbare Titel:

Taking Chances – Im Herzen bei dir

Molly McAdams

Trusting Liam – Tief in meinem Herzen

Roman

Aus dem Amerikanischen von Justine Kappeler

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Der Preis dieses Bandes versteht sich einschließlich der gesetzlichen Mehrwertsteuer.

Alle handelnden Personen in dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.

Für alle, die nicht wissen, ob sie mich
wegen Chase lieben oder hassen sollen …
Ich hoffe, Euch gefällt Liam.

PROLOG

15. Mai

KENNEDY

Vorsichtig öffnete ich ein Auge und schloss es gleich wieder, um dem grellen Licht zu entgehen, das ins Zimmer fiel. Als ich das Hämmern in meinem Kopf spürte, musste ich ein Stöhnen unterdrücken. Nach einem weiteren Versuch – dieses Mal mit beiden Augen – sah ich mich mit zusammengekniffenen Augen in einem fremden Hotelzimmer um und blinzelte ein paarmal, dann endlich hob ich meine Lider ganz und nahm dabei meine Umgebung wahr. Na ja, so gut es eben möglich war, ohne mich zu bewegen.

Ein schwerer Arm ruhte auf meiner Taille, eine Stirn war gegen meinen Hinterkopf gepresst, eine Nase in meinen Nacken und eine Erektion an meinen Hintern. Was … zum … Teufel … Ich war nackt; er war nackt. Warum sind wir nackt, und wer liegt da hinter mir? Wäre ich nicht kurz davor gewesen, um Hilfe zu schreien, ich hätte lachen müssen. Das Warum war offensichtlich: Ich spürte das vertraute Ziehen zwischen den Beinen, und meine Lippen fühlten sich geschwollen an vom Küssen und dort, wo er mich gebissen hatte.

Ich holte leise Luft. Er. Oh Gott!

Abwechselnd mit dem Hämmern in meinem Kopf quälten mich Bilder der letzten Nacht. Spontaner Trip nach Vegas mit meinen Mädels nach den Abschlussprüfungen. Tanzen. Club. Drinks. Eisblaue Augen, die mich fesselten. Mehr Drinks und Tanzen. Von ihm in den Armen gehalten zu werden, aber nicht fest genug. Lippen auf meinen. In ein Zimmer stolpern. Tastende Hände. Sein großer, harter Körper presst meinen aufs Bett – immer noch nicht fest genug.

Ich richtete den Blick sofort auf meine linke Hand und atmete erleichtert aus, als ich dort keinen Ring entdecken konnte. Gott sei Dank, das Letzte, was ich brauchen kann, ist eine Ehe als Ergebnis einer wilden Nacht in Vegas. Ich verdrehte die Augen. Das Letzte, was ich brauchte, war ein Mann in meinem Leben, Punkt. Und wenn meine Familie mich nicht deswegen killen würde, wäre ich eben vor Scham gestorben, wenn ich nach letzter Nacht einen Ring am Finger gehabt hätte. Denn egal, was alle anderen so liebend gern glauben möchten, damit sie sich wegen ihrer eigenen Schandtaten in Sin City nicht so viele Gedanken machen müssen – was in Vegas geschieht, bleibt nicht immer dort.

Ich versuchte, ihn nicht zu wecken, während ich mich aus seiner Umarmung befreite und aus dem Bett schlüpfte, um nach meinen Klamotten zu suchen. Nachdem ich mich angezogen hatte, befahl ich mir streng, einfach zu verschwinden, doch ich konnte nicht anders – ich drehte mich noch einmal um, damit ich ihn bei Tageslicht betrachten konnte. Ich musste sicher sein, dass ich ihn mir nicht eingebildet hatte.

Die Erinnerungen an die vergangene Nacht stürmten wieder auf mich ein, als ich den großen tätowierten Arm dort liegen sah, wo ich eben noch geschlafen hatte. Die Muskeln waren gut definiert, selbst wenn er entspannt dalag, und das Gesicht hatte einen jungenhaften Charme, jetzt, da er schlief. Ganz anders als das verlangende Funkeln und das wissende Grinsen, das ich vor meinem geistigen Auge sah. Ehe ich etwas dagegen tun konnte, strich ich ihm mit den Fingern durch die aschblonden Haare, in denen ich jetzt bei Sonnenlicht einen rötlichen Schimmer erkennen konnte. Und ich wusste, wenn er sie öffnete, würden mich seine eisblauen Augen wieder gefangen nehmen.

Doch das durfte ich nicht riskieren.

Ich war bereits zu lange geblieben, hatte bereits einen Fehler gemacht. One-Night-Stands in betrunkenem Zustand sahen mir gar nicht ähnlich. One-Night-Stands in betrunkenem Zustand und mit Fremden in Vegas waren noch schlimmer.

Entschlossen richtete ich mich auf, drehte mich um und verließ leise das Zimmer.

1. KAPITEL

21. Mai … Ein Jahr später

KENNEDY

„Wie könnt ihr mir so etwas antun?“, rief Kira beim Aufspringen von der Couch, auf der sie bis eben gesessen hatte.

Ich schaute zu meiner Zwillingsschwester hinüber. Beim Anblick ihrer entsetzten Miene wartete ich nur auf den Anfall, den sie in ein paar Sekunden bekommen würde. Meine Aufmerksamkeit wieder auf unsere Eltern richtend, murmelte ich: „Hab ich doch gesagt, dass es nicht gut gehen wird.“

„Aber … ihr könnt doch nicht … Kennedy, warum … Zane ist in Florida!“, stammelte Kira, und ich verdrehte zur gleichen Zeit wie mein Dad die Augen.

„Soll mir das irgendetwas sagen?“, fragte Dad und verschränkte dabei die kräftigen tätowierten Arme vor der Brust.

Weil ich Kira nicht die Gelegenheit geben wollte, auf diese Art von Frage zu antworten, unterbrach ich Dad, ehe er seinen Satz zu Ende sprechen konnte. „Hast du dir mal überlegt, dass ein bisschen Abstand euch beiden ganz guttun könnte? Und hast du nicht gehört, was Dad uns erklärt hat? Diese Männer kommen aus dem Gefängnis, Kira!“, rief ich, die letzten Worte besonders deutlich, falls sie es beim ersten Mal nicht begriffen haben sollte.

„Vielleicht kann Zane euch ja begleiten“, schlug Mom vor. Ihren mitfühlenden Gesichtsausdruck erkannte ich als eine gut einstudierte Lüge. Die Sorge war noch immer in ihrem Blick zu erkennen – und auch die Dringlichkeit, mit der sie uns aus Florida wegschaffen wollte … Es war nicht gerade ein Geheimnis, dass wir alle es gern gesehen hätten, wenn Kira ein wenig Abstand von Zane bekäme.

Die beiden waren zusammen, seit wir fünfzehn waren, und je länger sie zusammen waren, desto mehr drehte sich Kiras Leben nur noch um ihn. Es nervte schrecklich.

„Soll er seinen Job aufgeben?“, wandte Kira ein.

„Na ja, dann tut es euch beiden vielleicht wirklich gut, wie Kennedy gemeint hat. Mit etwas Abstand von Zane kannst du dich nach anderen Möglichkeiten umsehen. Ihr Mädchen seid erst zweiundzwanzig, ihr habt gerade das College abgeschlossen und seid sowieso noch zu jung, um an eine ernsthafte Bindung zu denken. Kira, frag einfach Kennedy. Du wirst es bereuen, das Leben nicht erst genossen zu haben.“

„Wow, danke dafür, Mom. Was soll das bitte heißen?“

Ehe sie mir antworten konnte, riss Dad den Kopf herum und blickte Mom komisch an. „Was zur Hölle soll das denn heißen? Du warst erst einundzwanzig, als wir uns verlobt haben.“

„Sehe ich auf einmal so aus, als würde ich das Leben nicht genießen? Was habe ich verpasst?“, fragte ich Kira, während Dad noch redete, aber ich war mir nicht sicher, ob sie mich überhaupt gehört hatte.

„Ernsthaft, Kash?“ Mom warf Dad einen Blick zu, von dem sogar ich beeindruckt war. „Das war etwas anderes. Wir waren anders. Sie war bisher nur mit Zane zusammen.“

„Können wir uns wieder auf das Wesentliche konzentrieren?“, mischte ich mich ein, ehe Dad antworten konnte, und sah dabei wieder Kira an. „Ich gehe nach Kalifornien. Du kommst mit. Und Zane kann sehen, wo er bleibt.“

„Das könnt ihr nicht machen! Ich komme nicht mit!“, schrie Kira, und schon liefen ihr die Tränen hinab.

„Ihr tut so, als würde ich euch beiden eine Wahl lassen. Ihr müsst beide anfangen, es einfach zu akzeptieren.“

Empört über den düsteren Tonfall meines Dads riss ich die Augen auf und schoss sofort zurück: „Du führst dich auf, als hättest du in unserem Leben noch etwas zu sagen. Das hast du schon seit vier Jahren nicht mehr. Und falls du es nicht mitgekriegt haben solltest, ich habe bisher bei allem, was du wolltest, mitgemacht, ohne mich zu beschweren. Steck mich also nicht in eine Schublade mit Kira, solange sie die Einzige hier ist, die sich weigert.“

Dad hob eine seiner dunklen Augenbrauen, und ich sah, wie Kira unter dem Blick, den er ihr zuwarf, tief in die Couch zurücksank. Schade, dass ich genauso war wie er: starrköpfig und stur. Ich mochte das Spiegelbild meiner Schwester sein, doch ich war ihr überhaupt nicht ähnlich. Jetzt hob ich ebenfalls eine Augenbraue und schaute ihn an, und Mom seufzte.

„Manchmal weiß ich nicht, wie ich es mit euch beiden aushalte“, erklärte sie stöhnend und rieb sich die Stirn. Den Blick auf Kira gerichtet, fuhr sie fort: „Ihr zieht nach Kalifornien, keine weitere Diskussion. Es geht um eure Sicherheit, wieso verstehst du das nicht?“

„Ich gehe nicht mit!“ Kira schniefte. „Ist doch egal, dass irgendwelche Typen, die Dad vor Jahren ins Gefängnis gebracht hat, jetzt wieder draußen sind.“

Ich stieß ein lautes Schnauben aus, aber ehe ich antworten konnte, erklang Onkel Masons Stimme direkt hinter uns. „Denen ist es nicht egal.“

Ich drehte mich schnell zu ihm um und versuchte nicht zu lachen, als er Dad fragend ansah, mit den Lippen Zane formte und dabei auf Kira zeigte.

„Gibt es sonst einen Grund, aus dem sie so ausflippen würde?“, fragte ich, während ich aufstand, um ihn zu umarmen.

„Habt ihr schon gepackt?“, wollte er wissen.

„Gepackt?“, rief Kira erneut laut. „Sie haben es uns gerade erst erzählt! Ich konnte noch nicht einmal Zane anrufen!“

„Oh mein Gott, das ist doch egal.“

„Kennedy“, rügte Mom mich, aber ich bemerkte sofort, dass sie das Gleiche dachte.

Sobald Kira das Wohnzimmer verlassen hatte, seufzte ich und ging in mein Zimmer, damit ich genug einpacken konnte. Kira schluchzte bereits panisch ins Telefon, als ich an ihrem Raum vorbeilief, und irgendwie gelang es mir, nicht die Augen zu verdrehen. War ja egal, dass unsere Eltern uns gerade eröffnet hatten, dass unsere Familie von Mitgliedern einer Gang bedroht wurde, die Dad und Onkel Mason vor über zwanzig Jahren ins Gefängnis gesteckt hatten. Einer Gang, die unsere Mom entführt hatte, ehe wir geboren worden waren, und sie über einen Monat gefangen gehalten hatte, um zu versuchen, ihre anderen Mitglieder aus dem Knast zu befreien. Oder dass ein paar von denen in den nächsten Monaten aus dem Gefängnis entlassen werden würden. Oder dass die meisten ihrer Drohungen auf Kira und mich abzielten. Nee … das war Kira gerade alles egal. Für sie zählte nur, dass wir bis auf Weiteres nach Kalifornien ziehen würden – in die Nähe unserer Familie mütterlicherseits – und Zane nicht mitkam. Kein Zane bedeutete in Kiras Welt den Untergang. Sie konnte sich nicht einmal anziehen, ohne allen zu erzählen, was sie mit Zane erlebt hatte, als sie die Sachen getragen hatte, oder dass das Outfit zu seinen Lieblingen zählte.

Ich schnappte mir ein Gummiband von meinem Schreibtisch, band mein volles schwarzes Haar zu einem unordentlichen Knoten zusammen und begann mit dem Packen. Zehn Minuten später betrat Kira den Raum, und obwohl ich mich nicht umdrehte, wusste ich, dass sie dort war.

„Wie konntest du mir das antun?“, fragte sie leise, die Stimme brüchig vor Emotionen. „Du solltest auf meiner Seite sein, du solltest immer auf meiner Seite sein. Und dann planst du mit Mom und Dad hinter meinem Rücken so etwas, ohne mich auch nur zu warnen?“

Ich schaute über die Schulter nach hinten und runzelte die Stirn. „Ich habe überhaupt nichts geplant, Kira. Sie haben es mir gesagt, während du mit Zane gesprochen hast, kurz bevor sie dich gebeten haben, das Handy wegzulegen. Sie wollten nur, dass ich es zuerst weiß, weil sie dachten, du könntest deswegen durchdrehen und ich könnte dich überreden – statt uns beide zur gleichen Zeit mit den Neuigkeiten zu überrumpeln. Der einzige Unterschied zwischen dir und mir ist, dass ich kein Problem mit diesem Umzug habe, weil ich nicht so dumm bin zu glauben, dass die Gang ihre Drohungen nicht wahr machen wird, solange wir hierbleiben. Oder es wenigstens versucht.“

Ich packte weiter, und es folgten einige Sekunden des Schweigens, ehe sie sagte: „Ich weiß, warum ihr alle das wirklich macht. Glaub nicht, dass ich auch nur eine Sekunde lang so dumm wäre zu glauben, es würde nicht um Zane gehen.“

Ich atmete tief aus und schüttelte den Kopf. „Egal, was du glaubst, mit dir und deinem Freund hat das alles nichts zu tun. Aber ich bin fest davon überzeugt, dass das hier etwas ist, was wir beide machen müssen, und ich denke, es wird uns guttun.“

„Ich werde dir das nie verzeihen. Du solltest besser als alle anderen wissen, dass mich das umbringen wird.“

Mir stockte der Atem, doch ich antwortete nicht. Denn mir war klar, dass ich das nicht könnte, ohne sie anzugreifen. Wortlos marschierte sie aus meinem Zimmer. Die einzigen Geräusche waren ihr leises Schluchzen und ihre Schritte auf dem Parkett, als sie davonging.

„Jetzt, wo ihr uns in einen Privatjet geschafft habt – wodurch das Ganze noch skurriler wird, wenn ich das anmerken darf –, würde es euch etwas ausmachen, uns etwas detaillierter zu verraten, wo wir die nächste unbestimmte Zeit verbringen werden?“, fragte ich Onkel Mason ein paar Stunden später.

„Haben eure Eltern euch nicht alles erzählt?“

Ich schenkte ihm einen Blick, über den er sofort lachen musste.

„Okay, erzähl mir, wie weit du im Bilde bist, und ich fülle dann die Lücken.“

„Im Grunde weiß ich nur, dass Juarez und ein paar von seiner Truppe innerhalb weniger Monate nacheinander ihre Anhörungen zur Bewährung haben, angefangen nächste Woche. Irgendwie bedrohen die uns – oder genauer, Kira und mich –, und Mom und Dad halten es für das Beste, wenn wir uns nicht in der Nähe von Tampa aufhalten. Da wir gerade den Abschluss gemacht haben und es keinen Grund gibt, weiter in Tallahassee zu bleiben, ist der einzige andere logische Ort Kalifornien, wo Moms Familie wohnt, und dort bleiben wir auf unbestimmte Zeit.“

„Mir hat man davon kaum etwas erzählt“, murmelte Kira aus der gegenüberliegenden Sitzreihe schmollend.

„Hat man dir sehr wohl“, blaffte ich zurück. „Und zwar alles. Du konntest nur nicht darüber wegkommen, dass du ohne Zane nach Kalifornien sollst, und bist ausgeflippt, während sie dir den Rest erklärt haben!“

Ehe wir einen weiteren Krieg anzetteln konnten, mischte Onkel Mason sich ein. „Ihr wohnt ein Stück nördlich von San Diego, in der Nähe eures Onkels Eli. Er hat sich bereits nach einer Wohnung für euch umgeschaut, und eure Eltern kümmern sich um einen Wagen.“

„Herrlich. Klingt ja, als wären alle komplett auf dem Laufenden“, spottete Kira.

Onkel Mason antwortete lange Zeit nicht, sondern saß einfach da und starrte Kira ernst an. Das sah ihm überhaupt nicht ähnlich. „Ich will genauso wenig wie ihr, dass ihr beide das hier tun müsst, glaubt mir. Euer Dad und ich wissen besser als die meisten anderen, was es bedeutet, alles stehen und liegen zu lassen und umziehen zu müssen, ohne dass einem eine Wahl bleibt. Uns ist also klar, was ihr durchmacht.“

Kira murmelte etwas, das zu leise war, um es zu verstehen, aber ihrem Gesicht war deutlich anzumerken, dass sie seine Meinung nicht teilte.

Nachdem ich kaum merklich den Kopf geschüttelt hatte, blickte ich wieder zu Onkel Mason zurück und stupste mit dem Fuß gegen sein Bein, um seine Aufmerksamkeit zu erlangen. „Okay, wir haben von der Gang von Juarez gehört und was passiert ist, als sie Mom entführt haben. Aber was ich nicht begreife und was mir ein wenig Schwierigkeiten bereitet: Warum glaubt ihr nach so langer Zeit, dass sie es sind, die uns bedrohen? Sollten sie nicht mittlerweile über die Sache hinweg sein? Ich meine, könnte es nicht genauso gut jemand sein, den ihr vor Kurzem verhaftet habt, und ihr zieht nur voreilige Schlüsse, wenn ihr denkt, es wäre Juarez?“

Onkel Mason schüttelte schon den Kopf, ehe ich die Frage zu Ende gestellt hatte. „Nein. Es ist vielleicht dreiundzwanzig Jahre her, doch wir haben nicht vergessen, was passiert ist, und wir wissen ganz genau, dass sie es auch nicht vergessen haben und es uns immer noch nachtragen, denn dein Dad hat Briefe erhalten.“

„Was steht drin?“

„Das tut nichts zur Sache.“

„Was steht drin?“, fragte ich lauter, und Kira beugte sich in ihrem Sitz vor, damit sie seine Antwort hören konnte.

„Ich sagte, das tut nichts …“

„Wir haben ein Recht darauf, es zu erfahren!“, fuhr ich ihn an.

Nach einem Moment des Schweigens gab er zu: „Da stand: ‚Kann es nicht abwarten, den Rest der Familie kennenzulernen‘, oder ‚Wie geht es den Töchtern?‘“. Onkel Mason seufzte tief und schaute ein paar Sekunden aus dem Fenster.

„Das ist alles?“, fragte ich, als er nicht weiterredete. „Ich meine, das ist ziemlich gruselig, doch es beweist noch gar nichts.“

„Tut es, weil darunter das Symbol der Gang gezeichnet war. Ein Symbol, das dein Dad und ich tätowiert hatten, als wir Undercover-Agenten waren. Ein Symbol, das sie deinen Eltern auf die Wand gesprüht haben, nachdem sie deine Mom entführt hatten.“

„Oh“, flüsterte ich, und Onkel Mason bedachte mich mit einem eindringlichen Blick.

„Ja. ‚Oh‘.“

27. Mai

LIAM

Nachdem ich Cecily noch einmal gedrückt hatte, vertiefte ich unseren Kuss noch ein paar Sekunden, ehe ich mich von ihr löste. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen, als sie versuchte, mir zu folgen. „Ich muss los.“

„Nur noch ein bisschen länger?“, fragte sie verrucht und zog dabei an meiner Krawatte, um uns wieder näher zusammenzubringen.

„Ich kann nicht. Du weißt doch, dass ich zu dem Meeting muss.“ Die Finger um ihr zierliches Handgelenk gelegt, schob ich ihre Finger von meiner Krawatte und schaute sie eindringlich an.

„Natürlich, dieses sogenannte Meeting, von dem niemand sonst im Büro eine Ahnung zu haben scheint.“ Sie schmollte, und ich atmete bei diesem nervigen Anblick bewusst langsam aus.

„Dir ist es bekannt.“

Cecily gab mir einen Klaps auf den Arm. „Nur weil du mir davon erzählt hast.“

„Das ist nicht mein Problem. Außerdem könnte es etwas Schlechtes bedeuten, dass ich der Einzige bin. Wer weiß? Vielleicht wird dein Wunsch wahr, und ich werde gefeuert.“

Sie lächelte zynisch und schlang mir die Arme um den Nacken, ehe sie ihren Mund auf meinen presste. „Das klingt ganz nach einem Meeting, von dem ich will, dass es stattfindet“, murmelte sie dicht an meinen Lippen.

„Machthungrige Schlange“, stieß ich hervor und küsste sie noch einmal fest, ehe ich mich von ihr löste.

„Playboy.“

„Das hat dich nicht abgehalten.“

Sie ließ den Blick über mich wandern, während ich zurück zur Tür wich, und blickte mir dann schließlich ins Gesicht. „Nein, hat es nicht.“

Ich grinste und nickte in ihre Richtung. „Verschwindest du endlich aus meinem Büro?“

Sie ließ sich vom Schreibtisch gleiten und schritt darum herum, um sich auf meinen Stuhl zu setzen. „Keine Ahnung, vielleicht bleibe ich eine Weile hier sitzen, um mich daran zu gewöhnen, wie sich mein neues Büro anfühlt.“

„Noch hat man mich nicht gefeuert.“ Ich wartete nicht mehr ab, sondern marschierte einfach aus meinem Büro und ließ Cecily allein. Während ich meine Krawatte geraderückte, schaute ich zur Tür und fühlte, wie ein sanftes Lächeln meine Lippen verzog, als ich an das Mädchen dachte, das sich in meinem Büro befand.

Zwischen mir und Cecily gab es keinen Mist. Ich mochte keine Beziehungen und auch nicht, mich an ein Mädchen zu binden, und sie mochte Männer, die die Kontrolle einforderten. Das stand im genauen Gegensatz zu dem, was sie ausmachte, aber ich stellte es nicht infrage. Sie machte kein Geheimnis aus ihrem Drang, die Erste bei allem sein zu müssen – auch in der Firma –, und auch verhehlte sie nicht, dass sie bereit war, dafür über Leichen zu gehen.

Sie wollte meinen Job, das hatte ich gewusst, ehe wir angefangen hatten, miteinander ins Bett zu hüpfen, doch sie konnte ihn nicht haben. Und trotz unseres derzeitigen Status und der Gier in ihren Augen war sie nicht der Typ, der sich an die Spitze schlief – wir waren füreinander nur eine angenehme Ablenkung von der Arbeit.

Gerade noch rechtzeitig sah ich hoch, um nicht in den Mann hineinzulaufen, der auf dem Gang stand. Er hatte sich nicht gerührt; er stand einfach da, die Arme vor der Brust verschränkt und eine Augenbraue gehoben, während er mich musterte.

„Entschuldigung“, meinte ich und wich zur Seite, damit ich um ihn herumgehen konnte – aber er versperrte mir den Weg. Ich zog die Augenbrauen zusammen und schaute zu ihm hoch. Ja. Hoch. Ich war selbst fast einen Meter neunzig groß. Zu jemandem hochsehen zu müssen wollte daher schon etwas heißen. „Kann ich Ihnen helfen?“, fragte ich, da ich merkte, dass seine Bewegung kein Versehen gewesen war. Immer noch musterte er mich unverhohlen.

Der Mann regte sich nicht, und er sagte auch keinen Ton. Empört blickte ich ihn von oben bis unten an und fing an zu grinsen. Meinem Dad gehörte ein Kampfsportstudio, was bedeutet, dass ich mit ein paar der stärksten und gemeinsten Typen aufgewachsen war und auch mit ein paar der bulligsten. Aber dieser Kerl war einfach gigantisch. „Wenn es Ihnen nichts ausmacht, ich habe einen Termin. Und Hände weg von den Steroiden, alter Mann.“

Als ich dieses Mal Anstalten machte, um ihn herumzugehen, ließ er mich vorbei, aber als ich noch einmal über die Schulter sah, hatte er sich umgedreht und schaute mir mit der gleichen finsteren Miene nach, ehe er auf mein Büro zusteuerte.

Ich geriet ins Straucheln und zermarterte mir das Hirn, ob Cecily etwas von einem anderen Mann gesagt hatte, mit dem sie sich ebenfalls traf – einem, der sie auf der Arbeit besuchen würde –, aber mir fiel nichts ein. Und irgendwie erkannte ich an der Art, wie er mich wieder anstarrte, dass er nicht auf einen Kampf mit mir aus war. Er wirkte, als würde ihn frustrieren, was er in mir sah.

Ich schüttelte den Kopf, wie um ihn freizubekommen, und schritt weiter den Flur hinab bis zum Büro meines Chefs. Ehe ich dort ankam, blieb ich am Schreibtisch seiner Sekretärin stehen. „Hey, rufen Sie den Sicherheitsdienst. Hier ist ein älterer Mann, den ich noch nie vorher gesehen habe, und ich glaube nicht, dass der hier etwas zu suchen hat. Größe ungefähr eins fünfundneunzig. Gewicht hundertzwanzig bis hundertfünfundzwanzig Kilo. Der Typ besteht nur aus Muskeln, gebräunte Haut, Weißer, schwarze Haare.“ Ich verfolgte, wie sie sich alles notierte. „Haben Sie alles?“

„Ja“, erwiderte sie und griff nach dem Telefon, aber ich hörte mir das Gespräch nicht mehr an.

Mit wenigen Schritten war ich am Büro neben ihr, klopfte an die Tür, während ich sie schon öffnete, und lächelte meinen Boss, Eli Jenkins, kurz an.

„Hey, Liam, komm rein und setz dich.“

Ich nahm auf einem der zwei Stühle auf der anderen Seite seines Schreibtisches Platz und wartete darauf, was er zu sagen hatte, als er sich direkt neben mich setzte. Egal, was ich Cecily erzählt hatte, Angst um meinen Job hatte ich nicht. Ich wusste, dass Eli mich und meine Arbeit mochte, und ich war auf dem gleichen Weg, den er ebenfalls in unserem Gewerbe eingeschlagen hatte. Doch das hieß nicht, dass er nichts von mir und Cecily wusste, und eine Büro-Affäre war nicht gerade erwünscht.

Ehe er noch etwas sagen konnte, sah er hoch, als die Tür zu seinem Büro aufsprang.

„Hundertzwanzig bis hundertfünfundzwanzig Kilo? Wohl kaum.“

Rasch drehte ich mich um und riss die Augen weit auf, als ich den aufgepumpten Typen vom Flur vor mir entdeckte.

„In Wahrheit sind es hundertsiebenundzwanzig, auf die vier Pfund mehr bin ich stolz.“

„Wer zum Teufel sind Sie?“, fragte ich ihn, während ich aufstand. Ich drehte mich zu Eli um und deutete auf den Neuen. „Ich habe seinetwegen den Sicherheitsdienst verständigen lassen.“

„Er hat mich ‚alter Mann‘ genannt, kannst du das fassen?“ Der Typ stieß einen unwilligen Laut aus. „Wenigstens mit der Größe lag er richtig. Gut gemacht, Jungchen.“ Er ging um den Schreibtisch herum, um sich auf Elis Platz zu setzen, und ich sah verwirrt zwischen ihm und Eli hin und her.

Eli verdrehte die Augen. „Liam Taylor, es ist mir nicht gerade ein Vergnügen, euch einander vorzustellen, aber das ist Mason Gates. Er ist ein enger Freund von meiner Schwester und ihrem Mann.“

„Du kannst mich immer noch nicht leiden? Das ist dreiundzwanzig Jahre her.“

Eli warf ihm einen harten Blick zu. „Sie ist meine Schwester. Nein, ich kann dich immer noch nicht ausstehen.“ Mit einem Blick zu mir erklärte Eli: „Außerdem ist er mit meiner anderen Schwester zusammen gewesen.“

Mason verzog missbilligend den Mund, sagte aber sonst nichts mehr, was Eli verärgern könnte. In meine Richtung meinte er: „Er ist gut. Wahrscheinlich dumm wie Brot, doch er ist ganz witzig, und er hat mich ziemlich gut eingeschätzt. Bis auf die Steroide.“

„Ich bin raus“, flüsterte ich und schaute dann Mason an. „Was sollte das eben auf dem Gang?“

„Ich wusste da schon, dass ich Sie nicht leiden kann. Noch Fragen?“

„Mason“, stieß Eli hervor und sah dann zu mir. „Tu einfach so, als wäre er nicht da. Aus irgendeinem Grund wollte er dabei sein, wenn ich mit dir rede.“

„Okay …“, erwiderte ich gedehnt. „Über was genau sprechen wir?“

„Mason hat meine Nichten gerade aus Florida nach Kalifornien gebracht, um sie vor einer heiklen Situation zu Hause zu bewahren, und die beiden sind nicht gerade froh darüber. Sie wissen, dass sie hier sein müssen, und das ist auch alles, was sie davon abhält, wieder zurück nach Florida zu gehen, aber sie brauchen irgendeine Beschäftigung. Einen Job, Freunde … irgendwas. Und ich hatte gehofft, dass du ihnen dabei behilflich sein kannst.“

Ich wartete ab, ob er noch etwas hinzufügen würde, und als er das nicht tat, zuckte ich mit den Schultern. „Ich … sicher. Ich meine, ich habe keine Ahnung, wie sehr ich ihnen dabei helfen kann, Freunde zu finden, doch wenn sie alt genug fürs Sportstudio sind, dann sucht mein Dad immer nach Leuten.“

Mason räusperte sich, und Eli warf ihm einen genervten Blick zu, ehe er fortfuhr: „Wir müssen auch dafür sorgen, dass eine von ihnen, Kira, nicht versucht, nach Hause abzuhauen. Sie hat einen Freund und steckt die räumliche Trennung schlechter weg als ihre Schwester. Meine Schwester und mein Schwager vertrauen auf mein Urteilsvermögen, jemanden zu finden, der sich darum kümmert. Dir vertraue ich so sehr wie meinem eigenen Sohn, und ich denke, du und deine Verbindungen sind genau das, was sie brauchen, um sich hier einzuleben.“

Zögernd lächelte ich und schaute die beiden einige Sekunden lang an. „Ist das dein Ernst? Ich bin kein Babysitter, Eli, wir arbeiten in der Werbung. Außerdem bin ich vierundzwanzig, was soll ich deiner Meinung nach mit diesen Mädchen tun, was es auch nur annähernd in Ordnung erscheinen lässt, dass ich mit ihnen befreundet bin?“

„Ich wusste ja, dass ich den nicht leiden kann“, platzte Mason heraus und stand auf. „Das Meeting ist vorbei.“

„Setz dich“, befahl Eli, sah allerdings nicht nach, ob man ihm auch wirklich Folge leistete. „Liam, meine Nichten sind gerade zweiundzwanzig geworden, sie sind fast so alt wie du. Und niemand verlangt, dass du den Babysitter für sie spielst.“

„Du willst, dass ich mich darum kümmere, dass die eine nicht zu ihrem Freund zurückrennt! Klingt für mich nach Babysitter“, wandte ich ein.

„Kann den immer noch nicht leiden“, mischte Mason sich ein, aber Eli und ich machten uns nicht die Mühe, darauf zu reagieren.

„Du musst nicht auf jeden ihrer Schritte achtgeben, ich hatte nur gehofft, dass du sie ein- oder zweimal am Wochenende mitnehmen könntest, wenn du etwas mit deinen Freunden machst. Probier aus, ob die Mädchen sich mit dir und deinen Freunden gut verstehen, sieh zu, dass sie eine gute Zeit haben, damit sie nicht so viel darüber nachdenken können, dass sie eigentlich nicht hier sein wollen. Du musst nicht dein Leben für sie aufgeben, Liam. Und wenn du das nicht willst und dein Dad trotzdem etwas für sie in seinem Studio zu tun hat, wäre das auch mehr als genug. Um mehr will ich dich gar nicht bitten.“ Als ich einfach nur dasaß und ihn anstarrte, beugte Eli sich dichter zu mir. „Bitte. Ich würde es meinem Sohn überlassen, aber du weißt doch, dass er diesen Sommer mit Freunden in Europa auf Rucksacktour ist.“

Wenn es nur um etwas so Einfaches gegangen wäre, wie seine Nichten zu einer Party einzuladen, hätte ich es sofort getan. Aber wegen Masons Anwesenheit – was auch immer seine wahren Beweggründe sein mochten – und weil es immer noch so klang, als müsste ich den Babysitter spielen, war mir klar, dass noch mehr hinter der Sache steckte, als die Mädchen nur ein paar neuen Leuten vorzustellen. Dass es in Florida eine „Situation“ gab und dass sie nicht hier sein wollten, bestätigte diese Vermutung nur noch. Aber Eli war mein Mentor. Während der Collegezeit hatte ich bei ihm ein Praktikum absolviert, und am Ende des Praktikums hatte er mir einen Job angeboten. Während der letzten Jahre am College hatte er mir immer geholfen, mich immer dazu getrieben, schwerer und besser zu arbeiten, und damit hatte er weitergemacht, damit ich mich nach dem Abschluss in seiner Firma hocharbeiten konnte. Er hatte mehr getan, als ich mir je hätte wünschen können, und dieser Gefallen war der erste, um den er mich bat. Egal, wie seltsam mir die Sache erschien, ich konnte nicht Nein sagen.

„Okay“, stimmte ich schließlich zu. „Ich rufe meinen Dad an. Ich weiß genau, dass er für den Getränketresen im Studio neue Leute sucht. Also werde ich versuchen, den beiden ein Vorstellungsgespräch bei ihm zu besorgen, und lasse dich wissen, wann.“

„Perfekt“, erwiderte Eli und atmete erleichtert aus. „Sie sind schon seit einer Woche hier, und ich weiß, dass ihnen langsam die Decke auf den Kopf fällt.“

Ich nickte und sagte zögernd: „Und ich sorge dafür, dass die, von der du gesprochen hast, nicht zu ihrem Freund zurückrennt. Ich bin mir sicher, dass zumindest ein paar von uns am Wochenende zum Strand runtergehen. Wenn ich Genaueres weiß, sag ich Bescheid.“

„Ich kann den immer noch nicht leiden“, wiederholte Mason noch einmal. „Wäre dafür, jemand anderen zu finden.“

Ich verdrehte die Augen und blickte zu ihm hinüber. „Was machen Sie überhaupt hier?“

„Eine Frage, die ich selbst schon ein paarmal gestellt habe“, murmelte Eli.

Masons spöttischer Tonfall verschwand abrupt, als er mich genauso anschaute wie kurz zuvor auf dem Gang. „Ich bin hier, weil irgendwer Ihnen sagen muss, dass Sie die Finger von den beiden zu lassen haben. Rachel und Kash vertrauen vielleicht Elis Entscheidung, dass ausgerechnet Sie derjenige sind, der ihnen helfen soll, aber ich noch lange nicht. Niemand hat Sie ausgesucht, nur damit Sie mit noch einem Mädchen mehr ins Bett steigen können.“

„Mason“, fuhr Eli ihn an, doch Mason ließ mich nicht aus den Augen.

Langsam zog ich eine Augenbraue hoch und konnte mir ein kurzes Auflachen nicht verkneifen. „Wie bitte?“

„Sie haben nicht einmal versucht, die Kleine zu verstecken, die vorhin bei Ihnen im Büro gewesen ist, und schon deswegen kann ich Sie nicht so gut leiden, wie ich es vielleicht sonst könnte. Sie sehen in einem Mädchen eine Möglichkeit, und die ergreifen Sie. Glauben Sie mir, das verstehe ich. Ich war in Ihrem Alter genauso, und Eli hasst mich deswegen immer noch. Doch diese Mädchen bedeuten die Welt für Eli, für mich und für ihre Eltern. Deswegen warne ich Sie gleich: Wenn Sie eins von den Mädchen anfassen, haben Sie uns alle drei am Hals. Und ihr Dad ist der Letzte, mit dem Sie es sich verderben wollen. Ihr Job ist es, mit den beiden befreundet zu sein. Mehr nicht.“

„Verstanden“, stieß ich hervor, während ich aufstand, um das Büro zu verlassen. „War sonst noch was, Eli?“

Er schüttelte den Kopf über Mason und seufzte, während er sich wieder zu mir umdrehte. „Erinnere Cecily daran, dass ich sie in deinem Büro nicht sehen will.“

Ich hob einen Mundwinkel und wandte mich um. „Ich rufe meinen Dad an und teile dir mit, was er sagt.“

„Das weiß ich zu schätzen, Liam. Wirklich“, rief er mir nach, nachdem ich an der Tür angekommen war.

Mason gab ein lautes Schnauben von sich. „Ich mag den immer noch nicht.“

Okay. Das Gefühl beruhte auf Gegenseitigkeit.

2. KAPITEL

29. Mai

KENNEDY

Ich stand einen unbestimmten Zeitraum lang einfach da und starrte die geschlossene Tür an, nachdem Onkel Mason uns allein gelassen hatte. Sobald er die Tür hinter sich zugemacht hatte und in seinen Mietwagen gestiegen war, wusste ich, es war so weit. Es war alles echt. Wir waren im Golden State statt im Sunshine State. Ein Ort, wo der Strand und die Luft anders waren und wo die Mädchen zu oft das Wort irgendwie benutzten.

Es war leicht gewesen, sich für einen Umzug zu entscheiden, nachdem meine Eltern mir alles erzählt hatten. Fast kam es einem wie Spaß vor. Um aufs College zu gehen, waren Kira und ich von Zuhause ausgezogen, hatten Florida aber nicht verlassen, und jetzt, nach unserem Abschluss, schien es so, als könnten wir beide eine große Veränderung vertragen.

Aber dann waren wir angekommen, und mir war eingefallen, dass ich Kalifornien noch nie gemocht hatte. Dazu kam noch der Umstand, dass unser einziger Verwandter in Kalifornien in den nächsten Monaten nicht zu Hause wäre und dass Kira nicht aufgehört hatte, wegen Zane zu weinen, seit Mom und Dad ihr vor acht Tagen die Neuigkeiten unterbreitet hatten. Langsam, aber sicher fing ich an, die ganze Sache zu bereuen.

Ich fühlte mich in der Falle – oder vielleicht waren nur Kiras Depression und ihre innere Unruhe ansteckend –, meine Haut war trockener als sonst etwas, und es fühlte sich an, als könnte ich nicht atmen, weil außer früh am Morgen kein bisschen Feuchtigkeit in der Luft lag. Und wir waren im gottverdammten Kalifornien. Ich ließ die Schultern sinken und fragte mich zum fünfzigsten Mal an diesem Tag, warum ich je geglaubt hatte, dass die Sache gut ausgehen könnte.

Langsam drehte ich mich im Kreis, sah mich in unserer Wohnung um und stieß einen langen Atemzug aus. Sie war nett, aber es gab nur das Nötigste. Obwohl wir jetzt seit über einer Woche hier waren, hatte ich mich noch nicht eingewöhnt – und ich wusste nicht, ob ich mich je zu Hause fühlen würde, egal, wie lange wir dort blieben.

Ich ging zu Kiras Zimmer, aber statt zu klopfen, stand ich vor der Tür und lauschte ihrem schmerzvollen Schluchzen, ehe ich mich dagegen entschied, noch einmal zu versuchen, mit ihr zu reden. Nachdem ich ein oder zwei Minuten umhergegangen war, ließ ich mich auf die Couch sinken und starrte den schwarzen Fernsehbildschirm an. Ich griff nicht nach der Fernbedienung, und es war mir egal, dass ich ins Leere starrte. Ich hatte Angst, wenn ich den Fernseher einschaltete, würde ich Werbung für Dinge aus Kalifornien sehen, und das hätte mich nur noch mehr deprimiert.

Als mein Handy klingelte, seufzte ich erleichtert auf, aber meine Freude über die Ablenkung war nur von kurzer Dauer, nachdem ich es aus der Tasche gezogen und auf dem Display die unbekannte kalifornische Nummer entdeckt hatte.

„Gottverdammtes Kalifornien“, murmelte ich, ehe ich den Anruf annahm. „Hallo?“

„Hey! Ich wollte nur sichergehen, dass ihr wisst, wie ihr zum Studio kommt.“

Verwirrt runzelte ich die Stirn. „Onkel Eli? Von welcher Nummer rufst du an, und welches Studio meinst du? Weißt du, wen du angerufen hast?“

Er lachte leise. „Ja, meine süße Nichte, ich weiß, wen ich angerufen habe. Das ist mein Büroanschluss. Und was soll das heißen, welches Studio? Das Fitnessstudio, in dem du und Kira in weniger als einer Stunde ein Vorstellungsgespräch habt.“

„Welches Vorstellungsgespräch?“

„Das … verflucht noch mal“, murmelte er und atmete heftig aus. „Hat Mason euch nicht gesagt, dass ihr heute beide ein Vorstellungsgespräch habt?“

„Nein, hat er nicht! Welches Studio?“

Onkel Eli murmelte etwas Unverständliches und stöhnte laut auf. „Ein Freund von mir sucht jemanden, der in seinem Studio die Getränke ausschenkt, und war so nett, sich einverstanden zu erklären, euch dafür in Betracht zu ziehen. Aber ich hätte wissen müssen, dass Mason euch nichts davon erzählt. Er kann den Mann, der das Ganze veranlasst hat, nicht ausstehen. Könnt ihr bald fertig sein? Das Gespräch sollte um halb eins heute Mittag stattfinden.“

„Ernsthaft? Keine Ahnung! Wie weit ist es?“, fragte ich, schon zu Kiras Zimmer rennend. Nachdem ich die Tür aufgerissen hatte, wartete ich nicht ab, bis sie mir sagte, ich solle verschwinden – wie sie es diese Woche schon so oft getan hatte –, ich rief einfach nur: „Hör auf zu heulen und mach dich fertig! Wir haben ein Vorstellungsgespräch!“

„Ich komme nicht mit“, sagte sie unwillkürlich und ohne mich anzusehen.

„Doch, das wirst du“, presste ich hervor. „Onkel Eli hat das für uns organisiert. Du wirst hingehen und ihm hinterher dafür danken. Mach dich fertig!“

„Es ist nicht weit von euch, zehn, höchstens fünfzehn Minuten“, sagte Onkel Eli abgelenkt. „Ich schicke dir die Adresse, versucht, nicht zu spät zu kommen. Aber ich erkläre es ihnen, falls ihr es doch nicht schafft.“

„Danke! Hab dich lieb!“, sagte ich schnell, ehe ich auflegte und in mein Badezimmer rannte, um Make-up und Haare aufzufrischen. Ich sah nicht noch einmal nach Kira. Wenn sie sich am Ende doch nicht fertig machte und beschloss, nicht mitzukommen, dann war das eben ihr Pech. Ich brauchte das. Ich musste aus dieser Wohnung raus, damit ich mich nicht weiter so fühlte wie vorhin. Ich musste mich auf etwas freuen können, brauchte eine Aufgabe und wollte nicht länger nur schmollen, weil wir uns im falschen Bundesstaat befanden.

29. Mai

LIAM

„Gib’s auf, alter Mann“, sagte ich lachend, als Dad sich dafür bereit machte, das zusammengeknüllte Papier von seinem Sandwich in den Mülleimer zu werfen. „Du triffst sowieso nie.“

Während ich mein eigenes Papier zusammenknüllte, beobachtete ich ihn dabei, wie er den Mülleimer noch ein paar Sekunden ins Auge fasste, ehe er sein Papier präzise warf – und daneben traf. Ich warf meines sofort hinterher, traf und grinste ihn spöttisch an.

„Kleines Ekel“, stieß er hervor.

„Nimm’s nicht so schwer, du verlierst ja nicht zum ersten Mal.“

Er lächelte und verdrehte die Augen, ehe er auf die Uhr sah. „Erzähl mir von den Mädchen, die gleich kommen. Am Telefon hast du nicht viel gesagt.“

Ich streckte die Arme zu beiden Seiten aus und ließ sie wieder sinken. „Ich weiß kaum etwas über sie, außer dass sie Elis Nichten sind und zweiundzwanzig. Er hat nur gesagt, dass sie eine Beschäftigung finden sollen oder Freunde. Anscheinend sind sie nicht gerade glücklich darüber, hier zu sein.“

Mein Dad sah mich eindringlich an. „Nicht glücklich, hier zu sein?“, fragte er, und als ich bestätigend nickte, schüttelte er den Kopf. „Wenn sie zweiundzwanzig sind und hier nicht glücklich, warum gehen sie dann nicht irgendwo hin, wo es ihnen besser geht?“

„Die Frage der Woche, Dad. Ich habe keine Ahnung. Aber ich bin Eli etwas schuldig, also habe ich gesagt, ich arrangiere für sie die Vorstellungsgespräche. Du musst sie nicht einstellen, mir ist das eigentlich egal … ich weiß, dass sich schon ein paar Leute beworben haben; Eli weiß das auch. Ich glaube, er hofft nur, wenn sie einmal rauskommen, tun sie es öfter.“

„Jesus, das klingt nicht sehr vielversprechend. Ich erwarte schüchterne, ungeschickte Mädchen, die nie das Haus verlassen.“

Das Telefon in seinem Büro piepte eine Sekunde, ehe eine der Rezeptionistinnen ihm sagte, dass die Mädchen wegen der Vorstellungsgespräche hier waren. Dad atmete einmal tief durch und stand auf.

„Ich bin mir sicher, das wird gut laufen“, sagte er sarkastisch und klopfte mir im Vorbeigehen auf die Schulter. „Danke fürs Mittagessen, Junge. Geh bald mal bei deiner Mutter vorbei, sie beschwert sich schon, dass du so lange weggeblieben bist.“

„Ja, in Ordnung. Sei wenigstens wegen Eli nett zu ihnen“, rief ich ihm nach, als er aus der Tür ging.

Amüsiert schaute er noch einmal zur Tür hinein. „Was soll denn das heißen? Ich bin hier der Netteste! Ich könnte auch Konrad das Gespräch führen lassen …“ Er verstummte, und ich schüttelte lachend den Kopf.

„Das weiß ich doch, aber du siehst auch verdammt erschreckend aus. Wir wollen ja nicht, dass sie so verängstigt werden, dass man mich feuert.“

Laut lachend drehte er sich um und ging davon. Meinem Dad gehörte McGowan’s Gym, ungefähr seit ich geboren worden war, und er und sein Geschäftspartner, mein Onkel Konrad, hatten über die Jahre viel daran verändert. Es war ein Kampfsport-Studio, und das würde es immer bleiben, aber statt nur ein Ort zu sein, wo die Leute trainierten oder sich im Kämpfen übten, boten sie jetzt auch Kurse an, je nachdem, welches Training man wollte, und vorne gab es eine große Bar.

Dad hatte im College illegal gekämpft, bis die Ärzte ihm gesagt hatten, er müsste aufhören, oder er würde riskieren, gelähmt zu werden. McGowan’s war für ihn also die einzige Möglichkeit, weiter das zu tun, was er liebte, ohne dass meine Mutter deswegen einen Herzinfarkt bekam. Das bedeutete aber nicht, dass er nicht immer noch wie ein Kämpfer gebaut war und es mit jedem aufnehmen konnte, der ihn im Ring herausfordern wollte. Er war nur vorsichtiger geworden. Und wegen seines selbstbewussten Auftretens und seiner hünenhaften Gestalt wettete ich, dass die Mädchen nicht mehr als ein paar Minuten in seiner Gegenwart aushalten würden, ehe sie wieder verschwanden.

Aber dann erinnerte ich mich an Mason, und mir wurde klar, dass sie an Männer wie meinen Vater vielleicht doch mehr gewöhnt waren, als wir ihnen zugetraut hatten.

Nachdem ich die Reste des Mittagessens aufgeräumt hatte, mit dem ich mich dafür bedankt hatte, dass er mit diesen spontanen Vorstellungsgesprächen einverstanden gewesen war, verließ ich das Studio und war innerhalb von zwanzig Minuten wieder bei der Arbeit.

Ich war seit einer Stunde wieder im Büro, als Eli hereinkam. „Bist du im McGowan’s gewesen?“

„Ja. Hab mich eine Weile mit meinem Dad unterhalten, deine Nichten waren bei ihm, als ich gegangen bin.“

„Dann haben sie es geschafft?“

Ich sah von meinem Computer zu ihm hoch, als ich die Erleichterung in seiner Stimme hörte, und antwortete langsam, jedes einzelne Wort betonend: „Dachtest du, dass würden sie nicht …?“

„Nein, ich …“ Er unterbrach sich schnell und drehte sich um, um zu sehen, wer durch meine Tür gekommen war. „Nein! Zurück an den Schreibtisch und dableiben“, verlangte er und deutete dabei auf Cecily, die ihn mit großen Augen ansah, sich schnell umdrehte und wieder ging. „Im Ernst, Liam?“

Ich verkniff mir ein Lächeln und widmete mich wieder der E-Mail, die ich gelesen hatte, als er hereingekommen war. „Ich habe sie nicht darum gebeten herzukommen, ich habe ihr nicht einmal gesagt, dass ich wieder hier bin. Sie wollte wahrscheinlich bloß wieder versuchen, sich mein Büro unter den Nagel zu reißen.“

„Quatsch“, schalt er mich, aber ich konnte die Belustigung in seiner Stimme hören. „Hast du irgendwelche Pläne dieses Wochenende?“

„Nein“, erwiderte ich zerstreut, aber dann ging mir ein Licht auf. „Fragst du wegen der Mädchen?“

„Sie müssen mal raus, Liam.“

„Okay, das verstehe ich. Im Augenblick weiß ich noch nichts, aber ich sag dir Bescheid.“

Er stand noch ein paar Sekunden schweigend da. „Gib ihnen eine Chance. Ich weiß, dass du sie mögen wirst. Dass sie alle anderen mögen, darüber mache ich mir Sorgen. Sie sind irgendwie – wie gesagt, die eine denkt nur an ihren Freund. Die andere ist so eine Mischung zwischen ihrem Dad und Mason. Du kannst dir also vorstellen, wie oft sie neuen Leuten eine Chance gibt, ohne ihnen zu sagen, was sie von ihnen hält.“

Ich stieß einen unwilligen Laut aus. „Das kann ich wohl. Aber ich habe dir ja schon gesagt, dass ich sie mal mitnehmen werde. Ich lasse dich wissen, ob dieses Wochenende irgendwas los ist, und wenn nicht, dann bestimmt nächstes Wochenende.“

Eli griff nach seinem klingelnden Handy und entfernte sich rückwärts aus meinem Büro, während er den Anruf entgegennahm. „Es war ’ne lahme Woche, den Rest des Tages hierzubleiben hat keinen Sinn, du kannst gehen“, flüsterte er, ehe er den Anrufer begrüßte.

Ich schrieb schnell meine E-Mail zu Ende, checkte die eingegangenen Nachrichten und sah dann in meinen Kalender, ehe ich aufräumte und mich zum Gehen bereitmachte. Ich fing an, Cecily eine SMS zu schreiben, während ich das Licht ausschaltete und die Tür von außen verriegelte, sah aber hoch, als ein rauchiges weibliches Lachen meine Aufmerksamkeit auf sich zog, und blieb abrupt im Türrahmen stehen.

Das darf verdammt noch mal nicht wahr sein.

Ich riss die Augen auf, als ich das Zwillingspärchen sah, das sich mit Eli über das Vorstellungsgespräch unterhielt, und mein Verstand versuchte vergeblich zu verleugnen, was ich vor mir sah.

Langes schwarzes Haar. Dunkelblaue Augen. Große, schlanke, aber doch kurvige Körper, von Tätowierungen bedeckt. Ein Lächeln, um das sich seit Monaten meine Gedanken drehten.

Erinnerungen an eine Nacht in Vegas vor einem Jahr blitzten in meinen Gedanken auf, als ich sie ansah. Nein, nein, das konnte nicht wahr sein. Das kann sie nicht sein. Das ist nicht Moon.

Aber es ließ sich nicht verleugnen, dass sie es wirklich war. Das eine Mädchen, das aus dem Bett geschlüpft war, ehe ich aufgewacht war … das eine Mädchen, von dem ich dachte, ich sähe es nie wieder … stand jetzt ein paar Schritte entfernt von mir und unterhielt sich mit meinem Boss … ihrem Onkel.

„Das darf nicht wahr sein“, murmelte ich, wich schnell zurück und schloss mich in mein Büro ein, ehe Eli oder die Mädchen mich bemerken konnten.

Ich war nur aus einem Grund in Vegas gewesen. Geschäfte. Nachdem die Meetings für die Woche vorbei waren, war ich noch mit ein paar der Jungs ausgegangen, um etwas zu trinken, weil wir am nächsten Tag wieder nach Hause aufbrechen würden. Wir waren in drei verschiedenen Clubs gelandet, hatten in jedem mehr Drinks bestellt und mit einer Gruppe Mädchen getanzt, die wir im letzten kennengelernt hatten … aber Moon hatte ich erst gesehen, als wir schon in Aufbruchstimmung waren.

Obwohl sie zwischen zwei anderen Männern tanzte, hatte ihr Blick sich auf mich gerichtet, und ein spöttisches Lächeln war auf ihrem Gesicht erschienen. Ich hatte meiner Gruppe gesagt, dass sie ohne mich gehen sollten, und hatte Moon von den Männern weggezogen, als würde sie mir gehören. Und in jener Nacht hatte sie das auch getan. Es könnte an den Drinks gelegen haben oder an der Musik, aber noch im Club waren wir einander in die Arme gefallen und hatten uns festgehalten, als gäbe es niemanden sonst auf der Welt – ich kann mich nicht erinnern, überhaupt getanzt zu haben. Und als ihre Schwester gekommen war, um ihr zu sagen, dass die anderen zurück ins Hotel gehen wollten, hatte ich nicht einmal nachgedacht, ehe ich sie darum bat, mit mir zu kommen.