Der Bergpfarrer 385 – Anna sucht nach ihren Wurzeln

Der Bergpfarrer –385–

Anna sucht nach ihren Wurzeln

Und auch die Suche nach dem Bergpfarrer geht weiter...

Roman von Toni Waidacher

Max stand da wie erstarrt.

»Diese Verbrecher!«, stieß er hervor.

Claudia und Thomas Bergmeister waren nicht weniger fassungslos.

»Drei Millionen«, flüsterte die Journalistin, »die werden ja immer dreister!«

Der Bruder des Bergpfarrers sackte in sich zusammen, wie betäubt ließ Max sich auf einen Stuhl sinken.

»Dabei hatte ich so gehofft, dass Sebastian heute frei kommt«, sagte er bedauernd.

Thomas Moser, der junge Vikar, der Pfarrer Trenker während dessen Abwesenheit vertrat, blickte die anderen fragend an.

»Hat Andreas sich schon gemeldet«, fragte er. »Vielleicht hat er ja am Achsteinsee etwas über diese Leute herausgefunden.«

Thomas Bergmeister schüttelte den Kopf.

»Bis jetzt net«, antwortete er.

»Also, was fangen wir jetzt an?«

Es war Claudia, die diese Frage gestellt hatte.

Ihr Mann zuckte die Schultern.

»Was können wir schon machen?«, entgegnete er. »Nix weiter, als darauf hoffen, dass George Whitaker recht bald aus Hamburg zurück ist.«

In der Tat war der reiche Amerikaner ihre einzige Chance, das von den Entführern geforderte Lösegeld aufzubringen. Wenn Whitaker sich bereit erklärte, das alte Jagdschloss im Ainringer Wald für drei Millionen Euro zu kaufen, würde der gute Hirte von St. Johann schon bald freigelassen werden – sofern man den Worten der Ganoven trauen konnte, die Sebastian in ihrer Gewalt hatten.

Indes war ›Hubertusbrunn‹ nicht annähernd so viel wert…

Die vier Menschen erstarrten, als es an der Tür des Pfarrhauses klingelte. ›Big Tom‹ eilte in den Flur und öffnete.

»Lieber Himmel«, rief er aus, »wie schaust du denn aus?«

Andreas Bogner stand vor ihm und hielt sich den Kopf. Jacke und Hose, die der Versicherungsdetektiv trug, waren verschmutzt, das Hemd am Kragen aufgerissen.

»Die Kerle haben mich überfallen!«, stöhnte er.

»Die Entführer?«

Andreas nickte. Inzwischen waren die anderen ebenfalls an die Tür gekommen und blickten ihn entsetzt an.

»Was ist denn mit dir los?«, rief Max.

»Lasst mich erst mal hinsetzen«, bat Andreas, wankte in die Küche und zog sich einen Stuhl zurück.

›Big Tom‹ holte ein Glas Wasser und reichte es ihm, Andreas leerte es in einem Zug.

»Also«, begann er langsam, »ich hatte mir ein Versteck ausgesucht, von dem aus ich den Parkplatz am Achsteinsee gut überwachen konnte. Ganz in der Nähe des Zaunes, der den Campingplatz begrenzt, ist ein kleines Wäldchen, in dem ich mich verkrochen hatte. Da ich nicht damit rechnete, dass die Entführer die Kiste vor den Abendstunden dort deponieren würden, richtete ich mein Augenmerk also auf die Zeit nach neunzehn Uhr. Tatsächlich fuhr dann ein Wagen auf den fast leeren Parkplatz, die meisten Badegäste waren schon vorher abgefahren, weil das Wetter immer schlechter wurde. Der Wagen fiel mir auf, weil es ein Kombi war. Zwei Männer stiegen aus und holten eine Kiste heraus. Als ich das sah, war mir klar, dass es sich nur um die Entführer handeln konnte, ich habe alles in meinem Handy gefilmt. Nachdem die Kiste abgestellt worden war, fuhren die beiden Männer wieder davon, es war inzwischen halb acht geworden, ich wusste, dass ihr gerade hier in Aktion tretet. Tatsächlich kam auch bald darauf Max und brachte die Madonnenfigur. Als der wieder abgefahren war, habe ich gewartet, dass die Entführer kommen, um die Kiste wieder abzuholen. Es dauerte auch gar nicht lange, du warst gerade erst ein paar Minuten vom Platz herunter, als der dunkle Kombi zurückkehrte und die beiden Männer die Kiste einluden.«

Der Versicherungsdetektiv machte eine Pause und atmete schwer.

»Ja und dann, spürte ich nur einen harten Schlag auf den Hinterkopf und es wurde für einen Moment dunkel um mich herum. Im Fallen habe ich mich wohl an dem Kerl festgeklammert, der mich niedergeschlagen hat, und ihn mit zu Boden gerissen. Ich war nur für ein paar Sekunden benommen, dann konnte ich wieder klar denken und setzte mich zur Wehr. Leider war der Andere stärker, er versetzte mir einen Schlag und packte mich am Hemdkragen. Immer enger schnürte er mich ein und drückte mir dabei die Luft ab. Das Letzte, an das ich mich erinnere, ist ein höhnisches Lachen meines Gegners. Dann wurde mir endgültig schwarz vor Augen. Als ich schließlich wieder aufwachte, war der Kerl freilich verschwunden und mit ihm mein Handy… Leider, muss ich sagen, denn vielleicht hätten wir die Entführer anhand des Videos, das ich gedreht habe, identifizieren können. Zumindest aber hätten wir das Kennzeichen des Kombis gehabt. Ich war zwar zu weit entfernt, als dass ich es mit bloßem Auge hätt‘ erkennen können, aber wenn wir den Clip am Computer bearbeitet hätten, wäre das Kennzeichen lesbar gewesen.«

Max hieb ärgerlich in die Luft.

»Es ist einfach zu vertrackt!«, schimpfte er. »Hat sich denn wirklich alles gegen uns verschworen?«

Claudia ihre Hand auf den Arm.

»Wir dürfen die Hoffnung net aufgeben«, sagte sie leise. »Das würd‘ Sebastian auch net tun.«

Thomas Moser machte ein düsteres Gesicht.

»Hoffentlich finden die Entführer net heraus, dass sie, statt der echten Madonna, nur die Kopie erhalten haben«, sagte er und machte dabei ein ängstliches Gesicht.

Sie schauten sich betreten an, ihnen war klar, was es bedeutete, wenn die Befürchtung des Vikars tatsächlich wahr wurde.

*

Ferdinand Brunner arbeitete im Labor, das im Keller seines Hauses eingerichtet war. Professor Brunner, ein anerkannter Kunstexperte, war seit Jahren schon im Ruhestand, allerdings hatte er den früheren Beruf längst zu seinem Hobby gemacht, und nahm hin und wieder Aufträge von Privatkunden oder auch Galerien und Museen an und begutachtete Kunstgegenstände und schrieb Expertisen über sie.

Eher unwillig schaute der Professor auf, als es klingelte.

Seine Haushälterin hatte längst Feierabend gemacht, und so musste Ferdinand Brunner sich selber bequemen, nach oben zu gehen und die Tür zu öffnen.

»Guten Abend, Herr Professor«, sagte die Frau, die im Eingang stand, »bitte entschuldigen Sie die späte Störung, aber man sagte mir, dass Sie oft bis spät in die Nacht arbeiten und auch Besuche empfangen…

Brunner nickte. Er konnte Frauen, besonders, wenn sie so gut aussahen, wie diese hier, ohnehin keinen Wunsch abschlagen.

»Alte Männer brauchen net mehr so viel Schlaf«, meinte er lächelnd. »Was kann ich für Sie tun, Frau…?«

»Metzler«, stellte sie sich vor. »Yvonne Metzler. Ich wollte Sie bitten, sich einmal diese Skulptur anzusehen und sie auf ihre Echtheit zu überprüfen.«

Erst jetzt bemerkte der Professor einen in eine Decke eingehüllten Gegenstand, der neben der Frau auf dem Boden stand.

»Sie sind Französin«, fragte er.

»Aus dem Elsass«, bestätigte sie.

Ferdinand Brunner bat die Frau herein.

»Darf ich Ihnen das abnehmen«, sagte er und griff nach der Decke. »Wenn Sie mir bitte folgen wollen.«

Er hatte die Tür hinter der Frau geschlossen und ging voran, die breite Treppe in den Keller hinunter.

Im Labor stellte er den Gegenstand auf einem Tisch ab und nahm ihn aus der Decke.

Als der Kunstexperte sah, was da vor ihm stand, zuckte der Experte unmerklich zusammen, hatte sich aber so gut in der Gewalt, dass er sich nichts anmerken ließ.

Kein Zweifel, das war die Madonna aus der Kirche in St. Johann!

Nur – war es die Kopie oder das Original?

Brunner erinnerte sich noch zu gut an die Nacht, vor ein paar Wochen, als Pfarrer Trenker ihn mit eben dieser Statue aufgesucht hatte.

Aber wieso war sie jetzt im Besitz dieser Frau?

Eine Französin ganz offenbar, der Akzent war unverkennbar und ganz sicher nicht vorgetäuscht. Aber irgendetwas stimmte hier nicht, war dem Professor klar. Er nahm eine Lupe, schaltete eine Lampe über dem Tisch ein und begann, die Madonna zu untersuchen.

»Ein sehr schönes Stück«, bemerkte er. »Darf ich fragen, woher Sie sie haben?

»Ein Kunstsammler hat sie mir angeboten«, antwortete die Frau, die sich Yvonne Metzler nannte. »Der gute Mann ist kurzfristig in Geldschwierigkeiten geraten und war deshalb gezwungen, die Statue zu verkaufen.«

»Zu welchem Preis?«

»Er verlangt zehntausend Euro. Ich möchte die Madonna aber erst schätzen lassen, ehe ich bereit bin diesen Preis zu zahlen.«

Brunner nickte.

»Das kann ich verstehen«, entgegnete er, »aber so – auf den ersten Blick – kann ich Ihnen schon einmal sagen, dass der Preis nicht zu hoch gegriffen ist.«

Er untersucht die Figur Zentimeter für Zentimeter, von der Frau unbemerkt, neigte er sie ein Stück zur Seite und betrachtete die Unterseite. Sofort erkannte Brunner die Stelle, an der er selbst eine winzige Probebohrung gemacht hatte, um das Alter des Holzes festzustellen.

Er hatte also ganz eindeutig die Fälschung hier vor sich stehen!

Was, um alles in der Welt, hatte das nun zu bedeuten?

Pfarrer Trenker hatte ihm seinerzeit erzählt, dass die Madonna geraubt und ihm gegen Zahlung eines Lösegeldes zurückgegeben worden war. Indes hatte der Geistliche Zweifel an der Echtheit der Figur. Tatsächlich hatten Fälscher mit modernsten Mitteln eine exakte Kopie angefertigt, der man auf den ersten Blick nicht ansah, dass sie nicht das Original war. Lediglich der zu kräftig glänzende Strahlenkranz, am Haupt der Gottesmutter, hatte den Bergpfarrer misstrauisch werden lassen. Einem normalen Betrachter wäre es vermutlich nicht aufgefallen. Brunner gehörte seinerzeit dem Team von Kunstexperten an, das schon einmal die Madonna auf ihre Echtheit überprüft hatte. Bei dieser Überprüfung wurde festgestellt dass die Statue mehrere hundert Jahre alt war. Der Name des Holzschnitzers, der sie angefertigt hatte, konnte nicht mehr ermittelt werden, aber die Professoren waren sich einig, dass der Figur ein erhebliches materieller Wert zugebilligt werden konnte. Ungleich höher lag indes der ideelle Wert. Für Pfarrer Trenker und seine Gemeinde war die Gottesmutter nicht nur eine von vielen Heiligenfiguren, die in der Kirche standen, sie symbolisierte auch die Marienverehrung, die im gesamten Wachnertal seit Generationen Tradition hatte. Hinzu kam, dass die heilige Jungfrau auch ein Touristenmagnet war, tagtäglich kamen Busse mit Gästen nach St. Johann, die die Kirche besichtigen und mit ihrem Obolus den Opferstock füllten.

Wenn also, daran konnte es für Ferdinand Brunner gar keinen Zweifel geben, die Figur sich in den Händen dieser Frau befand, dann musste an der ganzen Sache etwas faul sein.

Nie im Leben würde Pfarrer Trenker diese Figur verkaufen, weder die Kopie, und schon gar nicht die echte!

»Nun, Herr Professor«, wollte die Frau wissen, »wie sieht es aus?«

Er nickte. »Einen kleinen Moment noch bitte, ich will nur eben noch eine Lackprobe nehmen.«

Die Französin trat vor und schaute ihn interessiert an.

»Von welcher Stelle?«

Brunner lächelte.

»Keine Sorge«, erwiderte er, »man wird es nicht sehen.«

Wieder neigte er die Figur ein Stück zur Seite und schabte eine winzige Probe vom Boden ab, die er unter ein Mikroskop legte. Dann tat Brunner sehr geschäftig und murmelte irgendetwas vor sich hin, während er durch das Okular schaute. Schließlich richtete er sich auf und blickte die Frau an.

»Wenn ich Ihnen eine Expertise anfertigen soll«, sagte er, »dann müssen S‘ sich noch ein Weilchen gedulden.«

Sie schüttelte den Kopf. »Sagen Sie mir Ihr endgültiges Urteil, das soll genügen.«

»Gut, ich kann Ihnen nur raten, kaufen Sie diese Madonna. Der Preis, den der Kunstsammler verlangt, liegt weit unter dem Wert, den diese Figur tatsächlich hat.«

Die Augen der Frau leuchteten. »Dann ist sie also echt?«

Ferdinand Brunner nickte. »Ja, das kann ich Ihnen garantieren!«

»Wunderbar!« Die Frau griff in ihrer Handtasche und zog einen Umschlag hervor, den sie dem Professor reichte. »Für Ihre Bemühungen«, sagte sie.

Brunner nahm den Umschlag und schaute hinein, es steckten zwei 500 Euroscheine darin.

»Wenn es zu wenig ist…«, bemerkte sie.

Der Kunstexperte schüttelte den Kopf. »Nein, nein, keineswegs. Vielen Dank.«

»Ich habe zu danken.«

Die Französin wickelte die Figur wieder in die Decke ein, und der Professor brachte sie nach oben, zur Haustür.

»Nochmals meinen herzlichen Dank«, verabschiedete sie sich.

Brunner nickte ihr zu und schloss die Tür. Dann kehrte er allerdings nicht ins Labor zurück, sondern ging in sein Arbeitszimmer. Vor dem Schreibtisch blieb er stehen und griff zum Telefon.

»Ferdinand Brunner hier«, sagte er als der Teilnehmer sich gemeldet hatte, »könnte ich bitte Pfarrer Trenker sprechen?«

Im Pfarrhaus zuckte Max zusammen, freilich war ihm der Name des Kunstexperten ein Begriff.

Hatten die Entführer etwa Brunner beauftragt, die Echtheit der Madonna zu überprüfen?

Die nächsten Worte des Anrufers bestätigten dies. Der Bruder des Bergpfarrers teilte dem Professor mit, dass Sebastian nicht zu sprechen sei und fragte, worum es denn eigentlich ginge.