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STATT EINES VORWORTS

Einen Staat namens Preußen gibt es nicht mehr, und es wird ihn vermutlich auch nie wieder geben. Er wurde gleich zweimal geopfert. Ursprünglich: damit die jahrhundertelangen Träume von einer Einigung aller Deutschen in einem gemeinsamen Staat in Erfüllung gehen konnten. Und ein zweites Mal endgültig: als Sündenbock für Untaten, die nicht von Preußen begangen worden waren, sondern von den braunen Nachfahren der deutschen Träumer.

Opferbereitschaft gehört zweifellos zum preußischen Geist. Sie beruhte bei diesem Selbstopfer allerdings beide Male auf einem Mißverständnis. Wilhelm I. hat 1871 geahnt, daß der Übergang von Preußen in Deutschland und sein Wechsel vom preußischen König zum Deutschen Kaiser auf einen staatlichen Selbstmord hinauslaufen würde. Und als die Alliierten 1947 den Staat endgültig auflösten, konnten sie mit dem sozusagen entpreußifizierten Rest Deutschlands um so glimpflicher verfahren.

Worin bestand das Mißverständnis? 1871 auf einer Überschätzung deutscher Vereinigung im Rahmen damaliger internationaler Politik, die leicht, allzuleicht in Kriegsgewalt umzuschlagen drohte. Und 1947 auf eine Überschätzung der Rolle, die Preußen im Verlauf seiner Entwicklung gespielt hatte. Ein erfolgreicher Staat, der suum cuique, jedem Untertan »das Seine«, zu geben bereit war und auf die Disziplin, die in ihm herrschte, bauen konnte, hatte im In- wie Ausland nicht nur eine gute Presse. Im Gegenteil. Man hat ihm schon frühzeitig all jene Eigenarten angelastet, die man zu Recht oder Unrecht als wenig erfreuliche Seiten des deutschen Wesens betrachtete.

Preußen schien geradezu der Erfinder des Militarismus, wobei man übersah, daß andere deutsche Staaten sich ebenso grimmig auf Kriege vorbereiteten. Vergessen auch die Tatsache, daß andere europäische Staaten, etwa England, Preußen von Herzen übelgenommen haben, wenn es sich in Kriegen nicht mit ihnen verbündete. Friedrich dem Großen hat man dank seiner äußerst erfolgreichen Angriffskriege weniger gezürnt als zum Beispiel Friedrich Wilhelm IV., der nicht am Krimkrieg teilnehmen wollte. Ohne Zweifel hatten die Preußen den Militarismus als ein staatstragendes Element angesehen und gepflegt, doch zumeist sehr umsichtig angewendet. Der eigentliche Begründer der preußischen Armee, der sich den Titel »Soldatenkönig« verdiente, hat so gut wie keine Kriege geführt (mit einer zögerlich vollzogenen Ausnahme, zu der er vertraglich verpflichtet war). Sein Urenkel, Friedrich Wilhelm III., hatte ähnliche Skrupel. Er verfaßte ein pazifistisches Manifest und wäre gern ein Friedenskönig geworden, obwohl er das Militär liebte. Kriege suchte er allerdings zu vermeiden und konnte sich bald vor den zahlreichen Abgesandten europäischer Großmächte nicht retten, die ihn zum Völkerkampf überreden wollten. Daß ausgerechnet er dazu ausersehen war, Napoleon mit zu besiegen, ist einer der bittersten Treppenwitze der Weltgeschichte.

Einen Napoleon (oder Hitler) hat Preußen nicht hervorgebracht. Selbst Friedrich der Große, der alles wagte und das meiste gewann, war alles andere als ein Tyrann. In den Ländern, in die er einfiel, wurden die requirierten Lebensmittel, Pferde und Hilfeleistungen auf Heller und Pfennig bezahlt. Er hat weder einen Herzog von Enghien noch einen Ernst Röhm erschießen lassen. Tatsächlich hat Preußen als einer der ersten Staaten sowohl den Gleichschritt als auch die Uniform für alle Soldaten im Felde eingeführt. Das schuf nicht nur eine größere Übersichtlichkeit auf den Schlachtfeldern, sondern auch eine größere Gerechtigkeit sowohl Freund als auch Feind gegenüber.

Die Verantwortlichen für den Glorienschein, den sich Preußen selbstgefällig (aber keineswegs immer zu Unrecht) umlegte, waren freilich alles andere als uniform. Die neun Hohenzollernkönige, die es gegeben hat, erscheinen eher als ein bunter Haufen – lauter ausgesprochene Individualisten, von denen keiner dem anderen gleicht. Wer sie sich alle so vorstellt wie Friedrich den Großen, irrt. Sie können dessen genaues Gegenteil sein wie sein Nachfolger Friedrich Wilhelm II., der in fast allem fünfe gerade sein ließ, oder wie Friedrich III., die Hoffnung aller deutschen Liberalen im 19. Jahrhundert, der leider schon nach 99tägiger Regierung starb. Ob musisch wie Friedrich I. oder amusisch wie Friedrich Wilhelm I., einsilbig wie Friedrich Wilhelm III. oder großsprecherisch wie Wilhelm II., romantisch verträumt wie Friedrich Wilhelm IV. oder auf beinahe bürgerliche Weise realistisch wie Wilhelm I., der es vom gehaßten »Kartätschenprinz« zum populären König und zur kaiserlichen Vatergestalt gebracht hat – Preußen war anders, als es Lobredner wie Kritikaster dargestellt haben und mitunter immer noch darstellen. Es war vielfältiger und bunter, wie übrigens auch seine Fahnen, die sich keineswegs alle auf Schwarz und Weiß beschränkten. Zumindest die Regimentsfahnen waren vielfarbig und sogar mit Silber- oder Goldfäden bestickt. Es läßt sich selbst auf diesem Gebiet nur wenig auf einen und denselben Nenner bringen.

Mit anderen Worten: Preußen sah nicht anders aus als andere Staaten auch. Nur disziplinierter, zielstrebiger und erfolgreicher war es. Die vielzitierte Obrigkeit galt und gilt als härter, aber – im Vergleich zu anderen Staaten – auch gerechter als alle anderen. Harte Gerechtigkeit ist nichts Schlechtes, aber sie schafft natürlich kein Paradies auf Erden.

Welcher Staat schafft das schon? Am wenigsten die, die es vollmundig versprechen. Es dürfte schon viel sein, wenn ein Staat das schafft, was Preußen seinen Soldaten auf die Koppelschlösser schrieb: Suum cuique.

Preußens fast ausschließliches Nachleben in der Literatur dürfte in der Faszinationskraft gründen, die unter ebendiesem bescheidenen Ziel, »jedem das Seine«, etwas Großes, Ideelles und nicht zuletzt Unerreichbares versteht. Ein Ziel, welches nicht verhindert, daß vieles unaufgeklärt bleibt, ein Rätsel. Am Ende führt die Beschäftigung mit der Vergangenheit immer zurück in die Gegenwart, die alles auf ihre Weise versteht.

Wie heißt es in Theodor Fontanes wohl preußischster Novelle Schach von Wuthenow? »Wie lösen sich die Rätsel? Nie. Ein Rest von Dunklem und Unaufgeklärtem bleibt.«

FRIEDRICH I.

oder

Wie man König wird

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Man hat es schon damals als etwas merkwürdig und unangemessen empfunden. Da macht sich mitten im Winter ein kleiner Potentat, der Kurfürst von Brandenburg, mit seinem gesamten Hofstaat auf, um sich selbst zum König zu krönen. Dazu muß man durch Schnee und Eis ausgerechnet in die entfernteste Provinz des unübersichtlichen, über die Landkarte verstreuten Landes, an die polnische und russische Grenze ziehen. Und das um des Namens willen, den das zukünftige Königreich tragen soll. In vier Abteilungen machen sich 300 Reise- und Gepäckwagen auf den Weg. Dreißigtausend Pferde sind dafür notwendig: seit Menschengedenken das umfangreichste Unternehmen dieser Art in Friedenszeiten.

Der Kurfürst Friedrich III. – den Titel hat er vor rund zwölf Jahren von seinem berühmten Vater ererbt, strebt jetzt aber einen höheren an – hat am 17. November 1700 in Berlin eine prunkvolle Karosse bestiegen, die ihn nach Königsberg, übrigens seiner Geburtsstadt, bringen soll. Die Reise geht freilich nur am Vormittag vonstatten, denn nachmittags läßt sich der Fürst von seinen Untertanen huldigen. Und allabendlich speist er feudal im Kreise der lokalen Honoratioren.

Gewollt oder ungewollt begründet er damit bereits eine feste Tradition. Fast alle ihm nachfolgenden Hohenzollern-Könige werden hinfort Huldigungsfahrten zur Krönung im Dom von Königsberg in Ostpreußen unternehmen, wenn auch nicht unbedingt in der für das östliche Europa ungünstigsten aller Jahreszeiten.

Der künftige König ist außer sich vor Freude über die, wie viele finden, überflüssige und zudem höchst kostspielige Rangerhöhung und kann es kaum erwarten, in Königsberg einzutreffen. Seine Frau, die künftige Königin, reist nicht in seiner Kutsche, sondern teilt einen Wagen mit ihrem galanten Schwager, dem Markgrafen Albrecht, der es sich nicht nehmen läßt, selbst die Zügel zu führen und das Gefährt zu lenken. Sie haben es nicht eilig. Die im Volk außerordentlich beliebte Kurfürstin Sophie Charlotte macht sich nichts aus weltlichen Titeln. Das ganze Getue um die Königswürde läßt sie kalt – eine Intellektuelle.

Als intellektuell läßt sich Friedrich kaum bezeichnen, dafür ist er zu eitel und zu sehr verliebt in die eigene Wichtigkeit. Aber Intelligenz wird ihm keiner absprechen dürfen. Er ist in den Künsten und den Wissenschaften wenn nicht engagiert, so doch an beiden interessiert. Wohl gebildet spricht er mehrere Sprachen, außer dem an den Höfen des 17. Jahrhunderts unerläßlichen Französisch, Polnisch und neben Deutsch auch fließend Lateinisch.

Seine Verschwendungssucht läßt sich aus der kargen Jugendzeit an der Seite seines Vaters, des Großen Kurfürsten, erklären. Seine übersteigerte Eitelkeit dürfte mit seiner etwas kümmerlichen äußeren Erscheinung zusammenhängen. Der Kurfürst ist klein bis mittelgroß geraten. In seiner frühesten Jugend hat ihn eine Amme auf den Steinfußboden fallen lassen, wovon eine leichte Verwachsung, ein Anflug von Buckligkeit zurückgeblieben ist. Merkwürdigerweise versucht Friedrich, den Makel durch übergroße Perücken zu verbergen. Gerade die riesigen Haarwulste lassen ihn jedoch noch kleinwüchsiger und verwachsener erscheinen, ein schwächlicher Mann auf dünnen Beinen, dazu seit seiner Kindheit schwer asthmatisch, ein Leiden, das sich beim Erwachsenen noch verschlimmert hat. Ihn überfallen plötzliche Hustenreize, die bei Hofe gefürchtet sind, weil sie die Laune des Herrschers verschlechtern.

Für einen König, sollte man meinen, wirkt er beinahe wie eine Karikatur. Aber man kann es auch freundlicher sehen: Er hat es schwerer gehabt als andere, sich durchzusetzen. Und fortwährend steht ihm jemand zur Seite, der ihn wegzudrängen versucht, als sei er ein Krüppelwesen. Da war zunächst sein übermächtiger Vater, zur Zeit ist es die ihm in allem überlegene Ehefrau Sophie Charlotte, und bis vor kurzem gab es seinen ehemaligen Erzieher Danckelmann, einen redlichen und getreuen Beamten, der aber noch als Staatskanzler an ihm herumzuerziehen versucht hat, was er jetzt in Festungshaft büßt.

Eine jener Ungerechtigkeiten, wie sie Friedrich nicht selten unterlaufen. Er ist kein Menschenkenner, fällt immer auf die raffiniertesten Schmeichler herein. Dabei meint er es im Grunde gut, bewährt sich auch auf dem politischen Parkett als überlegener Diplomat. Daß er, ein reformierter Protestant, vom katholischen Kaiser Leopold seine – etwas fadenscheinige – Königswürde bestätigt bekommt, gehört zu seinen Meisterstücken. Um so mehr, als er dabei ganz ohne Kriege und das sonst bei derartigen Umwandlungen übliche Blutvergießen ausgekommen ist. Der Streich ist ihm ausschließlich durch Politik, zivile List, Überredungsgabe, Tücke und, nicht zuletzt, Geld gelungen.

Was freilich den späteren Geschichtsschreibern seines Landes etwas peinlich vorgekommen sein muß. Warum sonst haben sie ihn und den sonderbaren Beginn eines neuen Königreiches namens Preußen immer mit einem leichten Naserümpfen behandelt und alle Verdienste daran kurzerhand dem längst verstorbenen Vater zugesprochen.

Nicht ganz zu Unrecht. Ohne den politischen Weitblick des Großen Kurfürsten und seine genialen Winkelzüge hätte die ohnedies zunächst wenig Erfolg versprechende Neugründung noch weniger Chancen gehabt. Er hat das Fundament für den Staat gelegt und damit auch das des Königreichs. Aber zu bauen begonnen hat es in seiner erfreulicherweise absolut unheroischen Art der Sohn, dessen friedliche Eroberung den Zeitgenossen, aber auch noch manchen Nachfahren wie eine Farce erschienen ist.

Von einer solchen ist das Ganze gewiß nicht weit entfernt. Denn all der Pomp und Glanz, der auf der winterlichen Reise und später in Königsberg entfaltet wird, hat keinen soliden Hintergrund. Vor allem fehlt es dem nicht übermäßig mit Reichtümern ausgestatteten Land an Geld. Daheim, in Berlin, baut eben Andreas Schlüter, den Friedrich eigentlich als Hofbildhauer berufen hat, an einem für Brandenburger Verhältnisse überdimensionalen Schloß. Die kaiserliche Zustimmung zur Königswürde hat sechs Millionen Taler gekostet, zur damaligen Zeit eine geradezu astronomische Summe. Eine nicht geringere werden auch die Krönungsfeierlichkeiten verschlingen. Schon arbeiten in Königsberg die Ingenieure an zwei Brunnen, aus denen für jedermann Wein sprudeln soll, weißer aus dem einen, roter aus dem anderen.

Ob Friedrich ernsthaft über die Finanzierung solcher Extravaganz nachdenkt, steht dahin. Für derlei hat er seine Leute, und er ist, was das Geldeintreiben betrifft, selbst überaus ideenreich. Die von den Ständen des Landes spendierte Summe reicht bei weitem nicht aus, aber da bleibt die hohe Kunst der Akzise. Unter diesem Wort faßt man alles dasjenige zusammen, was den Staatsbürgern – damals wie heute! – heimlich beim Einkauf nicht nur von Luxusgütern, sondern auch von ganz gewöhnlichen Gebrauchsartikeln wie Salz und Zucker aus der Tasche gezogen wird. Kurfürst Friedrich hat – ein kleines Kabinettstück seiner Erfindungsgabe – seinem Land sogar eine Jungfernsteuer auferlegt, die von der Geschlechtsreife eines Mädchens an bis zu ihrer Verheiratung oder bis zum vierzigsten Lebensjahr alljährlich zu entrichten ist.

Über seinen größenwahnsinnigen Wunsch, König zu werden, erzählt man eine Anekdote, wahr oder nicht. Bei einem Besuch in Wien soll ihn der Kaiser zusammen mit seinem hannoverschen Fürstenkollegen empfangen haben. Der andere, übrigens ein Vetter, war auch mit den schottischen Stuarts verwandt, somit nicht nur von fürstlichem, sondern sogar königlichem Geblüt. Die Hannoveraner sind dann ja auch später auf den englischen Thron gelangt.

Mag der Rangunterschied so groß nicht gewesen sein, stand doch für den einem Königsthron näheren Kurfürsten ein gut gepolsterter Stuhl, für den anderen, Friedrich, nur ein einfacher hölzerner Hocker bereit. Ein Umstand, der dessen Eitelkeit derart empfindlich getroffen habe, daß er fortan nichts sehnlicher anstrebte, als selbst königlichen Rang zu erwerben. Zynisch betrachtet, geschah also alles um eines Stuhles willen.

Dagegen hat ihn ein so gerechter Historiker wie Sebastian Haffner allerdings über alle Zeiten hinweg in Schutz genommen. Denn »der Königstitel war um 1700 ein Zauberwort (so wie heute das Wort ›Demokratie‹). Das instinktiv erfaßt zu haben, hatte Friedrich I. seinem Vater voraus. Es war ein Einfall. Man mußte darauf kommen.«

Mit diesen einfachen Worten dürfte der Wert jener Winterreise von Berlin nach Königsberg am besten umrissen sein. Ein Zauberwort. Friedrich hat jahrelange mühevolle Verhandlungen dafür auf sich genommen. Wirklich geklappt hat es zuletzt dank einem reinen Zufall. Da traten nämlich ausgerechnet die Jesuiten für das Verlangen des erzprotestantischen Kurfürsten ein. Was war geschehen? Der brandenburgische Unterhändler in Wien hatte eine verschlüsselte Depesche falsch verstanden. Die Mitteilung lautete, er solle sich vor einer Hilfe der Jesuiten hüten. Er las daraus, er möge sich um eine solche bemühen, was er auch tat. Die Jesuiten zeigten sich über solche Wertschätzung von evangelischer Seite geschmeichelt, und Kaiser Leopold stimmte zu. Auch dies eine Anekdote. Es muß aber ein Quentchen Wahrheit daran gewesen sein, aus welchem anderen Grund hätte Friedrich einem jesuitischen Konvent in Wien 10 000 Taler zukommen lassen sollen?

Zwölf Tage dauert die Reise in den unbeheizbaren Kaleschen durch Frost und Unwetter. Der Einzug in Königsberg geschieht unter dem Geläute aller Glocken und Böllerschüssen. Als Krönungstag vorgesehen ist der 18. Januar 1701. Am Abend zuvor legt der Kurfürst-König den Grundstein zu einer weiteren Tradition Preußens. Er stiftet den Schwarzen Adlerorden mit dem berühmten, angeblich urpreußischen Motto suum cuique (jedem das Seine). Es soll auf einen Ausspruch Catos des Älteren zurückgehen, dessen voller Wortlaut ziemlich unpreußisch wirkt: Suum cuique per me uti atque frui licet (Soweit es an mir liegt, soll jeder das Seine nutzen und genießen dürfen). Solange der Staat bestand, ist der Schwarze Adlerorden die höchste Auszeichnung geblieben, die er verleihen konnte. Ob er mit ihm immer seinem Motto getreu jedem das Seine gegeben hat, steht auf einem anderen Blatt. Den ersten Tapferkeitsorden, der unabhängig vom Rang auch an einfache Soldaten vergeben werden konnte, das Eiserne Kreuz, hat ein anderer Preußenkönig wiederum hundert Jahre später gestiftet.

Am Krönungstag erscheint der aufgeregte Kurfürst schon vor acht Uhr morgens in vollem Ornat und wallender Allongeperücke, Stunden zu früh, im Großen Saal des Königsberger Schlosses. Sein Aufzug ist der eines Parvenüs. Kostbare Diamanten zieren statt Knöpfen sein scharlachrotes Gewand, und seinen mit goldgestickten Kronen und Adlern überladenen Samtmantel halten am Kragen ebenfalls drei ungewöhnlich große Diamanten zusammen, die, den Chronisten des Ereignisses zufolge, zusammen soviel wert sind wie eine Tonne Gold. Der Oberkammerherr Graf Kolbe, der in Kürze zum Ministerpräsidenten ernannt werden wird, naht sich dem Thron, auf dem Friedrich Platz genommen hat, und präsentiert diesem kniend die Krone. Der Herrscher ergreift sie und setzt sie sich mit kühnem Schwung selbst aufs Haupt.

Das ist neu, ungewöhnlich und nach damaligen Begriffen sogar ungeheuerlich. Den Grund für diese Handlung hat man nie erfahren. Was will König Friedrich damit dokumentieren? Loyalität gegenüber beiden evangelischen Konfessionen oder Souveränität des Königs gegenüber jedweder Geistlichkeit? Immerhin sind zwei eigens zu diesem Anlaß ernannte (und gleichzeitig geadelte) Bischöfe anwesend, ein lutherischer und ein reformierter. Sie treten allerdings erst während der nachfolgenden Zeremonie im Dom in Erscheinung.

Bevor der versammelte Adel und die Abgeordneten der Landstände, einer Frühform parlamentarischer Volksvertretung, in organisierter Prozession dorthin ziehen, begibt sich der Selbstgekrönte ins Zimmer seiner Gemahlin. »Gravitätisch«, wie ein Chronist überliefert hat; historisch hinterläßt er dennoch einigen Eindruck. Kein Geringerer als Napoleon Bonaparte hat ihm die Eigenkrönung noch hundert Jahre später nachgemacht.

Seine Frau beeindruckt er weniger. Er weiß oder ahnt wohl, warum er die Krönung der Königin nicht wie die eigene in aller Öffentlichkeit vollzieht. Sophie Charlotte hätte ihre Abneigung gegen derlei Zurschaustellung wahrscheinlich auch vor der Öffentlichkeit nicht verborgen.

Lassen wir Carl Eduard Vehse berichten, den Dresdner Archivar und Hofhistoriker: »Die Krone empfing sie vom König kniend, aber mit so völliger Unbefangenheit, daß sie sich während der langweiligen Zeremonie durch eine Prise Schnupftabak eine angenehme Distraktion [Zerstreuung] zu machen versuchte, was der gravitätische König sehr übel vermerkte.« Er soll danach ein Jahr lang nicht mit ihr gesprochen haben.

Schon der wilhelminische Historiker Leopold von Ranke, der Geschichtsschreibung nicht als Gerichtstag verstand, sondern ihre Aufgabe darin sah, daß sie zeigen solle, »wie es wirklich gewesen«, hat die Handlung Friedrichs als »nicht ohne Würde« gewertet. Er interpretierte den späten Einbezug kirchlicher Weihe, die wohlgemerkt nach der Krönung geschah, als einen Akt königlicher Souveränität. Die weltliche Macht bestand, allen sichtbar, auf ihrer absoluten Unabhängigkeit. Erst danach erfolgt die Bestätigung durch die kirchliche Autorität. Im Dom zelebriert man das Abendmahl und salben die beiden Bischöfe König und Königin Stirn und Puls. Ein metaphysischer Vorgang.

Auf dem Rückweg ins Schloß werden 10 000 eigens geprägte goldene und silberne Krönungstaler in die versammelte Menge geworfen. Diese darf sich anschließend, während dem Königspaar im Schloß auf ebenfalls eigens gefertigtem goldenem Geschirr das Krönungsmahl serviert wird, an den Ochsen am Spieß gütlich tun sowie an dem aus den beiden Brunnen sprudelnden roten und weißen Wein. Der Tag endet mit einer Fahrt der Hofgesellschaft in sechzig Kutschen und unter erneutem Glockengeläut durch die reich illuminierte Stadt.

Aber damit nicht genug. Den ganzen Januar und Februar hindurch wird weiter gefeiert, reiht sich Ball an Ball, jagt eine Lustbarkeit die andere. Man scheint kaum Neigung zu verspüren, ein derart fröhliches Leben abzubrechen, denn man begibt sich erst am 8. März auf die Rückreise. Sie erfolgt wiederum in mehreren Abteilungen, weil es schwierig ist, unterwegs passende Unterkünfte für die vornehmen Damen und Herren zu finden. Auch sonst hat man keine Eile. Am 6. Mai schließlich erreicht das Königspaar mit der zweiten Wagenkolonne die Hauptstadt des Landes, das jetzt ein Königreich sein und Preußen heißen soll.

Die Bürger haben pflichtgemäß nicht weniger als sieben Ehrenpforten zum Willkommen errichtet. Und als habe man im kalten Ostpreußen nicht genug gefeiert, setzen sich die Vergnügungen in der wärmer werdenden Jahreszeit in Berlin mit ebenso endlosen Festlichkeiten fort. Der Trubel endet erst am 22. Juni, für den die hohe Geistlichkeit ein Dank- sowie Buß- und Betfest nach calvinistischer Tradition anberaumt hat.

An dem Beginn des Königstums der Hohenzollern in Preußen hat man vielfach Anstoß genommen, sogar bei den Hohenzollern selbst. Der damalige Kronprinz Friedrich Wilhelm, zur Zeit der Krönung zwölf Jahre alt, hat noch im Alter Gift und Galle gespuckt über diese »dollste Wirtschaft von der Welt«, wie er seines Vaters Hofhaltung und Verschwendungssucht bezeichnet hat. Selbst der Enkel, Friedrich der Große, wird ähnlicher Meinung sein. Er fand es unverständlich, daß sein Großvater aus purer Eitelkeit einen Titel erwarb, der nichts als eine leere Hülse war, nur ein »Schein von Macht«.

Mag Friedrich I. tatsächlich einer Illusion nachgelaufen sein – kein Politiker wird ohne solche Experimente auskommen. Das Moderne an diesem Herrscher ist, daß er sein Ziel ohne kriegerischen Waffenruhm erreichte, durch jahrelange konsequente Verhandlungen. Vor allem in jüngster Zeit haben sich Verteidiger gefunden. Wiederum Sebastian Haffner: »Der Schein ist in der Politik selbst ein Stück Macht, wie übrigens Friedrich der Große sehr wohl gewußt und bei anderen Gelegenheiten auch ausgesprochen hat.«

Dem ersten Friedrich kam es wahrscheinlich in erster Linie auf das eigene Prestige an. Es hat jedoch über seine Person hinweg weitergewirkt, fast genau zweihundert Jahre lang. Aus dem Prestige wuchs sogar Größeres: Ruhm. Preußens unvermittelte und überraschende Gloria.

Sie hat immerhin zwei Jahrhunderte überstanden. Um so erstaunlicher, daß damals kaum einer einen Pfifferling für das Wachsen und Fortbestehen eines nach einem Heidenstamm benannten Königreiches gegeben hätte. Daß ausgerechnet dieses Land zur Großmacht heranwachsen würde, schien den Zeitgenossen Friedrichs I. unwahrscheinlich, beinahe ausgeschlossen. Wie hat Haffner den Königstitel genannt? Ein Zauberwort. Wer rechnet schon mit so etwas in der harten Wirklichkeit der Machtpolitik?

Die preußischen Hohenzollern haben nichts mit der malerischen Burg auf der Schwäbischen Alb zu tun und wenig mit den Fürstentümern Hechingen und Sigmaringen, die als eigentliche Hohenzollersche Lande gelten. Das süddeutsche Grafengeschlecht hat sich früh in eine fränkische und eine schwäbische Linie geteilt. Sie unterschieden sich in der Hauptsache durch ihr religiöses Bekenntnis: die schwäbische Linie war katholisch, die fränkische evangelisch. Die Burg wurde vermutlich erst sehr viel später nach der Familie und deren Erfolg umbenannt.

Die Burggrafen der fränkischen Linie hießen fast alle Friedrich, was auch – neben Wilhelm – der weitaus beliebteste Männername der Hohenzollern bleiben sollte. Ein späterer Berliner Possenschreiber vertrat die Meinung, daß sich im Laufe der Zeit viele deutsche Eltern nicht auf einen dieser beiden Namen für ihren Sprößling einigen konnten. So sei der dritthäufigste Männername Friedrich Wilhelm entstanden.

Ein Burggraf war ein Mann von Stand, doch nicht von Rang, eine Art adliger Kammerherr und Vermögensverwalter. Daher mag Burggraf Friedrich VI. froh und glücklich gewesen sein, als er besonderer Verdienste halber 1417 vom Kaiser Sigismund das Kurfürstentum Brandenburg erhielt. Er nannte sich seither Friedrich I. und wurde zum Urahn eines Geschlechts redlicher Kurfürsten, die sich eher durch ihre Phantasienamen wie zum Beispiel Albrecht Achilles, Friedrich Eisenzahn oder Johann Cicero als durch ihre Leistungen auszeichneten. Brave Leute, die mit Raubrittern und aufständischen Berlinern zu tun hatten sowie mit der Tatsache, daß das Land, das ihnen zugefallen war, entweder zu sandig-trocken oder aber zu sumpfig-feucht war.

Trotzdem war Brandenburg ein feudales Geschenk, zumal mit ihm die Kurfürstenwürde verbunden blieb. Das heißt: der Kurfürst von Brandenburg gehörte zu den nur sieben Persönlichkeiten, die den – allerdings immer machtloser werdenden – Kaiser des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation wählen durften. Das schuf Ansehen, Prestige, jenen Schein, der, wie wir belehrt wurden, in der Politik so wichtig ist.

Wie alle hohen Häuser in der Monarchie beschäftigten sich auch die Kurfürsten von Brandenburg hauptsächlich mit einer bestimmten Politik, die viele Jahrhunderte hindurch wichtiger und vielversprechender schien als alles andere: mit dem Heiraten. Oder, besser gesagt: dem Erwerb zusätzlicher Dörfer, Länder, Provinzen, Diözesen im Wege des Erbrechts. Wer Töchter hatte, war darauf aus, diese so gut wie möglich an den Mann zu bringen. Und die Männer, allen voran diejenigen, denen ein Thron winkte, hatten dafür Sorge zu tragen, daß ihre Ehepartnerinnen ihnen ein ansehnliches Erbe der Zukunft mit in die Ehe brachten, die fast ausschließlich aus dynastischen Gründen geschlossen wurde.

Liebe fanden beide Seiten, wenn überhaupt, anderswo. Die Männer des Hochadels hatten sogar das Recht einer Zweitehe zur linken Hand. Auf dem Feld lukrativer Ehen hatten sich die Brandenburger Kurfürsten nicht ganz schlecht, wenn auch nicht alle glänzend bewährt. Zusammengescharrt durch Erbschaft oder Kauf, war ein Flickenteppich entstanden, der nicht einmal festen Zusammenhang besaß. Um von einem Landesteil zum anderen zu gelangen, mußte man fremdes Territorium durchqueren – allein die Entfernungen zwischen West- und Ostgrenzen bildeten ein empfindliches Hindernis für Verwaltung und inneren Zusammenhalt. Zu Brandenburg traten im Westen das Herzogtum Kleve, die Grafschaften Mark und Ravensberg, im Osten jener Ordensstaat, der sich nach den von ihm unterworfenen Pruzzen (sprich: Pruhsen) »Preußen« genannt hatte.

Preußen, das Teile des späteren Ostpreußens, Litauens und Polens umfaßt, war seit 1641 allerdings so etwas wie ein Lehenseigentum. Es gehörte nicht zum Reich des deutschen Kaisers, sondern dem König von Polen – noch war das Zeitalter der Nationalstaaten nicht angebrochen.

Das zusammengewürfelte Land enthielt auch vage Erbversprechen, die sich auf größere und kleinere Fürstentümer in Schlesien und der Lausitz bezogen. Von daher war es vielmehr – dies ein kennzeichnendes, damals allgemein gebräuchliches Wort – eine »Erbagglomeration« als ein Gebilde, das einem Staat ähnlich gesehen hätte.

Da war es gewissermaßen eine Genietat, daß sich Kurfürst Friedrich III. von Brandenburg des alten – und ziemlich zufälligen – Familienerbes im fernen Osten entsann. Auf diese Weise nahmen Rheinländer, Brandenburger und Pommern den Namen eines längst vergessenen heidnischen Ostseestammes an. Und das Staatswesen gewann an Prestige und Zusammenhalt, indes Friedrich I. sein Zauberwort verwirklichte. Er war König.

Nur eines trübte seinen Triumph. Er war nur König in Preußen. Denn das eigentliche Land dieses Namens stand nach wie vor unter polnischer Oberherrschaft, ein aus heutiger Sicht schwer verständlicher Umstand. Erst der Enkel, Friedrich der Große, der an seinem Großvater ohnedies kein gutes Haar ließ, hat den sonderbaren Titel abgelegt und sich König von Preußen genannt.

Politiker – zu denen wir die Könige von damals rechnen müssen – sind dazu da, Probleme anzugehen und möglichst zu lösen. Diese Begabung kann man Friedrich I. absprechen. Er ist viel zu sehr mit der eigenen Person beschäftigt und kümmert sich kaum um die Belange seiner Untertanen. Die größten Schwierigkeiten hat er im Umgang mit dem politischen Personal. Er hat sie in vielen Fällen auf sehr unfeine Weise gelöst. Den Hohenzollern durchgängig zu eigen ist unter anderen Charakterzügen ein deutlicher Hang zur Cholerik. Die besten unter ihnen haben ihn bewußt in sich bekämpft. Nicht so Friedrich I.

Ein schlimmes Beispiel seiner Unbeherrschtheit ist – noch zu Kurfürstenzeiten – das Schicksal des Eberhard von Danckelmann. Der Westfale galt in seiner Jugend als eine Art Wunderknabe. Nach Abschluß seines Studiums in Utrecht hatte er frühzeitig, wie es sich für junge Adlige jener Zeit ziemte, die bei den Briten übliche »Große Tour« absolviert, die ihn zur Abrundung seiner Ausbildung als Erzieher von England über Frankreich und die Schweiz nach Italien führte. Auf einer seiner Hollandreisen lernte der Große Kurfürst den blutjungen Pädagogen kennen und verpflichtete ihn als Studiendirektor für seinen zweiten, damals fünfjährigen Sohn.

Danckelmann war nicht von hohem Adel – diese Erhebung sollte erst sein Zögling vornehmen –, vielleicht auch mit zwanzig Jahren trotz Studiums an angesehener Universität und erfolgter Bildungsreise noch sehr unerfahren. Er wird überdies von Zeitzeugen als sehr streng geschildert. Nun war Friedrich nicht von Anfang an als Nachfolger des Kurfürsten ausersehen; es gab einen älteren Bruder. Auch pflegte man dem Prinzenerzieher, der bestenfalls, wenn überhaupt, dem niederen Adel angehörte, eine hochgestellte Persönlichkeit als Oberhofmeister, oft auch »Gouverneur« genannt, an die Seite zu geben. Die Wahl fiel hierbei auf den zweitmächtigsten Mann des kleinen Staates, den bereits 77jährigen Oberpräsidenten Otto von Schwerin. Ein Oberpräsident war in Kleinstaaten das, was in den größeren der Premierminister sein mochte. Auf dessen Gut Altenlandsberg wuchs Friedrich seit seinem fünften Lebensjahr an der Seite des alten Schwerin und des jungen Danckelmann auf. Mag der ein gestrenger Schulmeister gewesen sein, auf jeden Fall schloß sich der Junge eng an ihn an. Am Ende liebte er ihn mehr als die Eltern, die er ja auch kaum zu Gesicht bekam. Seine Erziehung kann nicht schlecht gewesen sein, denn mit zehn Jahren hält er am Geburtstag seines Vaters eine lateinische Rede.

Danckelmann mag, wie einige Zeitgenossen vermuten, von vornherein auf die Karte des Erfolgs für seinen Zögling gesetzt haben. 1674 stirbt dessen Bruder Carl Emil, da ist Friedrich 17 und hat nur einen einzigen Vertrauten: Danckelmann. Als er nach dem Tod des Vaters 1688 die Regierung des Fürstentums übernimmt, legt er diese – man muß hinzufügen: leichtsinnigerweise – so gut wie völlig in dessen Hände. Er macht Danckelmann uneingeschränkt zum Oberpräsidenten. Wen sonst? Glaubt er doch an einem Hof wie dem brandenburgischen einzig seinem alten Erzieher voll vertrauen zu können, der ihm zweimal in der nahen Vergangenheit das Leben gerettet hat.

Das ist eine undurchsichtige Geschichte, typisch für den giftigen Klatsch, der an den meisten kleinen Höfen blüht, aber nur selten auf reiner Wahrheit beruht. Angeblich soll Friedrichs Stiefmutter versucht haben, das Kind zu vergiften, was sein Lehrer beide Male im letzten Augenblick verhindern konnte.

Wahrscheinlich eine Lüge oder Halbwahrheit, wie sie an den zahlreichen deutschen Höfen kursieren. Deutschland zerfällt damals in über tausend Miniaturstaaten; ein Menschenalter später, 1789, wird es genau 1789 territoriale Herrschaften auf deutschem Boden geben, was dereinst Golo Mann veranlassen wird, in diesem Jahr seine Deutsche Geschichte der neueren Zeit anfangen zu lassen.

Heimliches Vorbild für Herrschaft und Hof ist Ludwig XIV., der Sonnenkönig. In deutschen Landen äffen über 1500 Duodezpotentaten Versailles nach, fast immer ein vergebliches Unterfangen, denn es fehlt ihnen in der Mehrzahl am Geld. An was es nicht fehlt, sind die üblichen Intrigen um Macht, Mitgift, Einfluß, Ehre, Anerkennung, Titel und Besitz. Der Eifersüchtelei unter den Kleinstaaten entspricht ein ähnlicher fortwährender Kampf aller gegen alle im Inneren. Der Brandenburger Hof macht da keine Ausnahme. Im Gegenteil. Der Kurfürst, der sich mit dem Kleinkram des Regierens gar nicht erst abgibt, hat viel Zeit und daher ein offenes Ohr für Höflinge, die ihm zu schmeicheln verstehen.

Unter Danckelmann wird Brandenburg zu einer Art Familienbetrieb, jedenfalls was die Verwaltung anlangt. Der Oberpräsident hat sechs Brüder, er selbst ist der mittlere. Sie bilden in Zukunft so etwas wie ein Ministerium, das bald absolut das Staatsgebilde regiert.

Die »Plejaden« (das Siebengestirn), wie sie der Volksmund nennt, machen ihre Sache gar nicht schlecht. Danckelmann, der sich zum strengen, aber rechtschaffenen Verwaltungsmann mausert, besitzt, so knorzig er sich auch gibt, einige Sympathie beim Adel und beim Volk.

Trotzdem erregt die ausschließliche Herrschaft der sieben Brüder natürlich den Neid anderer Höflinge. Es sind zwei Hauptintriganten, die, obwohl sie Danckelmann ihren Aufstieg bei Hofe verdanken, anscheinend hinter seinem Rücken konsequent auf seinen Sturz hinarbeiten: sein späterer Nachfolger, der Feldmarschall Johann Albrecht von Barfuß, und der Oberstallmeister Johann Kasimir Graf von Kolbe. Barfuß, dessen Kölner Familie schon unter Albrecht dem Bären, also im 12. Jahrhundert, mit holländischen Ansiedlern nach Brandenburg gekommen ist, gehört dem alten, Kolbe, ein pfälzischer Edelmann, dem jüngeren Adel an. Bei Hofe verfügen sie über eine breite Rückendeckung. Es soll aber auch die Kurfürstin und spätere Königin Sophie Charlotte an dem Komplott gegen Danckelmann und die Plejaden nicht ganz unbeteiligt gewesen sein.

Sie scheint unter Danckelmanns Hochnäsigkeit am meisten gelitten zu haben. Mit seiner steigenden Machtstellung ist der Oberpräsident anmaßend geworden und gibt sich manche Blöße. Er möchte, heißt es allgemein, gern selbst den Kurfürsten spielen und tut es ja bereits.

Kurfürst Friedrich läßt zunächst nichts auf seinen alten Erzieher und vermeintlichen Lebensretter kommen, bis er – von Barfuß und Kolbe angestachelt – doch Verdacht schöpft. Ausschlaggebend dafür ist, daß sich der Oberpräsident gegen den Plan, das Kurfürstentum in ein Königreich zu verwandeln, ausspricht. Er mag durchaus stichhaltige Argumente für seine Skepsis vorbingen, aber wenn es um seinen Aufstieg zum König geht, regt sich in Friedrich der hohenzollerische Jähzorn.

Danckelmann muß zumindest die Bedrohlichkeit der Lage geahnt haben, denn er tritt vorsichtshalber wegen »angegriffener Gesundheit« zurück, bleibt aber in Berlin und verkehrt sogar weiter bei Hofe. Am 10. Dezember noch führt er ein freundliches Gespräch mit dem Kurfürsten. Anderntags läßt dieser ihn verhaften und am hellichten Tage vor aller Öffentlichkeit nach Spandau auf die Festung bringen. Gleichzeitig beschlagnahmt Friedrich den gesamten Besitz seines einstigen Günstlings und konfisziert dessen ganzes Vermögen. Als Danckelmanns Frau flehentlich bittet, die Haft ihres Mannes teilen zu dürfen, wird sie abgewiesen und mit einer geringfügigen Rente nach Cottbus abgeschoben, genaugenommen verbannt, denn sie darf den Ort nicht verlassen.

Danckelmann bleibt – eine haarsträubende Geschichte – zehn Jahre lang, bis 1707, im Kerker, obwohl das zuständige Gericht ihn von allen Anklagen der Unterschlagung und Bestechung freispricht. Der Fall Danckelmanns, der mit dem Beginn des Königreichs Preußens einhergeht, stellt dem sprichwörtlich gewordenen Gerechtigkeitssinn Preußens und seiner Herrscher kein günstiges Zeugnis aus. Er gleicht eher einem bösen Omen. Um so mehr, als es den Nachfolgern des Oberpräsidenten, wie wir sehen werden, nicht viel besser ergeht.

Erst Friedrichs Sohn, Friedrich Wilhelm I., hat den siebzigjährigen Danckelmann, der seinem Vater 35 Jahre lang treu gedient hatte, rehabilitiert. Den Besitz und das Vermögen gab er ihm allerdings nicht zurück. Danckelmann ist 1722 im Alter von achtzig Jahren in Berlin gestorben. Daß ihm der sparsamste aller preußischen Könige neben einer Ehrenerklärung die ansehnliche Pension von 10 000 Talern jährlich aussetzte, spricht für ein schlechtes Gewissen, das dieser wohl für seinen Vater gehabt haben muß.

Mit ihren Untertanen sind Preußens Könige auch später nicht gerade sanft umgegangen; Friedrich Wilhelm I. nicht ausgenommen, der am armen Danckelmann einiges wiedergutzumachen versucht hat. Mehr Gespür bewiesen die Hohenzollern bei der Wahl ihrer Frauen. Manche der Könige hätten weniger geleistet und wären vor allem weit weniger populär geworden ohne die Königinnen an ihrer Seite.

Das gilt bei Friedrich, dem dritten Kurfürsten und dem ersten König dieses Namens, allerdings nur für die zweite seiner drei Gemahlinnen. Sie überstrahlt mit ihrer Persönlichkeit einen Großteil Preußens in der Ära Friedrichs I. Sie nimmt es ebenso mit allen ihren Vorgängerinnen wie – mit Ausnahme der Königin Luise – mit ihren Nachfolgerinnen auf.

In ihrem Umkreis befindet sich der Zeitgenosse offenbar in einer ganz anderen Welt, einem anderen Land, gewiß aber an einem anderen Hof als dem in Berlin. Geht es bei Friedrich gestelzt und steif zu, herrscht bei Sophie Charlotte eine lockere und geistreiche Atmosphäre. Sie liebt sowohl die rauschenden Feste als auch die philosophischen Studien und Gespräche. Sie gilt selbst als Philosophin, obwohl von jener Bilderbuchschönheit, die man mit den Höfen der alten Zeit verbindet und die nur selten von so blendendem Liebreiz war, wie die schmeichelhaften Bildnisse der Künstler und Kupferstecher sie uns überliefert haben.

Sophie Charlotte ist 1668 auf Schloß Iburg im Stift Osnabrück geboren, wo ihr Vater Bischof war. Er wurde 1668 zum Herzog ernannt und später Kurfürst von Hannover. Ihre Mutter ist königlichen Geblüts, eine Stuart. Friedrich begegnet ihr erstmals in Bad Pyrmont und hat wohl bereits als Kronprinz Feuer gefangen.

Er ist nicht der einzige in Europa. Die 15jährige Sophie Charlotte macht dort Karriere, wo allein man zu den höchsten gesellschaftlichen Ehren aufsteigen kann, am französischen Hof. Die Mitwelt ist fasziniert von ihren blauen Augen und dem dichten, schwarzen Haar, was man gewöhnlich als etwas nicht zueinander Passendes versteht. Bei der jungen Prinzessin kommt vieles zusammen, was nicht zueinander paßt. Das eben macht ihren Charme aus.

Ein »liederlich Leben«, sagt sie, ziehe sie allem anderen vor, diskutiert aber ebenso gern auf deutsch, französisch, italienisch oder englisch über jene Unterschiede, die die christlichen Konfessionen voneinander trennen. Sie liebt das versunkene Spiel auf dem Cembalo und läßt doch keine der lauten und deftigen Karnevalsfeten aus, für die – für uns heute fast unglaublich – ausgerechnet ihre Heimatstadt Hannover damals berühmt ist.

Sie oder ihre Familie beweisen viel Instinkt, als sie sich oder man sie, zurück in Hannover, am 8. Oktober 1684 mit dem zukünftigen Friedrich III. von Brandenburg verheiratet. Ihr scheint eine bessere Partie möglich oder sogar angemessen.

Dennoch mag auch diese zu den klugen Entscheidungen gehören, die Sophie Charlottes kurzen Lebensweg begleitet haben. Zum einen paßt sie nach Berlin wie maßgeschneidert, schon dessentwegen, was man dort als Schandmaul bezeichnet. Die Berlinerin ist von jeher selbständiger – um nicht zu sagen emanzipierter – als die Frauen anderswo. Und zum anderen ist zweifellos Liebe im Spiel. Denn Friedrich läßt sie als Kurfürst wie als König tun und lassen, was sie will, womit er nicht nur ihr und sich, sondern auch seiner Hauptstadt Berlin einen Gefallen tut. Als sie ihren »Aesop« zum Traualtar führt, ziehen Geist und Kultur erst so richtig ins »Spree-Athen« ein.

Der Spitzname, den sie für ihren Gemahl gefunden hat, wird alsbald dort kopfnickend beschmunzelt. Frechheiten gelten in Berlin als Gewürz jeglicher Unterhaltung, und Aesop, der antike Fabeldichter, das lernt man bereits in der Schule, war ebenfalls klein von Statur und sehr häßlich. Überhaupt gibt sich Sophie Charlotte, was ihren Mann betrifft, keinen Illusionen hin. Als sie mit einem ihrer besten Freunde, dem Philosophen Gottfried Wilhelm von Leibniz, über das unendlich Kleine diskutiert und dieser sie fragt, ob es überhaupt so etwas geben könne, antwortet sie: »Mein Gott, als wenn ich nicht durch meinen Mann nur allzu gut damit bekannt wäre!«

In Berlin gibt es bald zwei Höfe. Der eine ist, wie wir gesehen haben, stocksteif, bürokratisch und intrigenreich. Ihm steht Kurfürst und dann König Friedrich vor. Und natürlich residiert er im Stadtschloß, das von Andreas Schlüter umgebaut wird. Ihn hat der Kurfürst in Warschau kennengelernt und selbst in seine Hauptstadt berufen. Der andere Hof ist einer des Geistes und der Musen. Er liegt draußen vor der Stadt in Lietzen, wo aus dem alten Gut Ruheleben unter Sophie Charlottes leichter Hand etwas Großartiges entstanden ist: Lietzenburg.

So heißt das Schloß, das sie vom Niederländer Johann Arnold Nering und dem Franzosen Jean de Bodt bauen und vom Schweden Eosander von Göthe mit einer hübschen schlanken Kuppel nebst Anbau und Kapelle versehen ließ, eine europäisch-barocke Schöpfung in idyllischer Umgebung, wie geschaffen für Tanz, Theater, Musik, Maskenbälle und kluge Gespräche. Sophie Charlotte hat als Hochzeitsgeschenk das Schloß Caputh bei Potsdam erhalten, es aber, weil es viel zu abgelegen war – kein rechter Ort für ein »liederlich Leben« –, gegen das Dorf Lietzen eingetauscht. Am Rande erwähnt sei, daß sie auch sofort dafür sorgt, daß das Gasthaus in Lietzen eine Schankerlaubnis für alkoholische Getränke erhält. Lietzen und Lietzenburg sind nach dem Tod der ersten Preußenkönigin umbenannt worden. Sie heißen seitdem zu Recht nach ihr Charlottenburg.

König und Königin haben sich getrennt, um recht eigentlich zueinanderzukommen. Friedrich I. ist oft bei seiner Frau zu Gast gewesen, hat an ihren Festmählern und jenen mythologischen Verkleidungsspielen teilgenommen, die noch über Generationen hinweg in Preußen beliebt bleiben, hat Violinkonzerten von Corelli gelauscht, der zeitweilig am Lietzenburger Hof wirkt, auch mit Leibniz über die Schaffung einer Akademie der Wissenschaften diskutiert, die dieser merkwürdigerweise zusätzlich mit der Zucht von Seidenraupen und Maulbeerbäumen versehen wollte.

Sein Denkmal – ein Geschenk des Bildhauers Gerhard Marcks – hat man nach dem Zweiten Weltkrieg vor dem später von Knobelsdorff hinzugefügten Neuen Flügel des Schlosses Charlottenburg wie gastweise auf einen noch von Schadow stammenden Sockel gestellt. Bezeichnenderweise wurden zur gleichen Zeit von der Obrigkeit-Ost das Schloß Friedrichs in der Stadtmitte abgerissen, das ebenso beschädigte Schloß Sophie Charlottes jedoch von der Obrigkeit-West wiederaufgebaut.

Sophie Charlottes Residenz, die am 11. Juli 1699, dem 42. Geburtstag des Kurfürsten, feierlich eingeweiht wird, gilt bald als einer der begehrtesten Anlaufplätze für die musisch Interessierten Europas. Der 13jährige Händel konzertiert dort mit dem Orchester, das sich Sophie Charlotte eigens hält. Überflüssig zu sagen, daß sie auch komponiert. Die vielbewunderte musikalische Begabung ihres Enkels, Friedrichs des Großen, stammt von ihr, nicht von den Hohenzollern.

Der junge irische Freidenker John Toland (Christentum ohne Geheimnis) nennt sie »die schönste Prinzessin ihrer Zeit, und sie steht keinem Menschen nach an richtigem Verstand, zierlichen und wohlgemeinten Worten und an Annehmlichkeit in der Unterhaltung und im Umgang (…) Man bewundert ebenso ihren scharfen und gewandten Geist als ihre gründliche Wissenschaft, die sie in den schwersten Stücken der Philosophie erreicht hat (…) Alles, was lebhaft und gebildet ist, kommt an ihren Hof, und man sieht zwei Dinge, die die Welt sonst füreinander zuwider hält, in voller Einigkeit beisammen, die Studien und Lustbarkeiten. Für ihre Person ist sie eben nicht sehr groß und schmächtig, vielmehr sehr stark von Körper, ihre ganze Bildung recht regelmäßig und ihr Teint sehr weiß und lebhaft (…) sie hat sehr schöne Damen um sich, wie denn ihr ganzer Hof voll davon ist.«

Das liest sich wie eine Liebeserklärung, die es auch gewesen sein dürfte. Toland, der Bibelkritiker, fand oder erfand den Begriff »Pantheist«. Er ging von Berlin zurück nach England, wo er keiner anderen als Sophie Charlotte seine Briefe an Serena zueignete.

Ein weiteres wichtiges Werk der Epoche wird ihr gewidmet, eine gewaltige Verteidigung des Christentums, Die Theodicee, in der Leibniz seine Philosophie zusammenfaßt. In diesem Buch fällt auch das Wort von der »besten aller Welten«, das Voltaire in seinem Candide so bitter glossiert hat.

Mit Leibniz, der in Berlin die Gründung der Societät der Wissenschaften vorbereitet, will Sophie Charlotte 1704 wie alljährlich zum Karneval nach Hannover fahren. Aber der Philosoph erkrankt und muß zurückbleiben. So fährt sie allein, obwohl auch sie an einer wohl schon eine Zeitlang vernachlässigten Halsentzündung leidet. Bei ihrer Mutter in Hannover angekommen, muß sie das Bett hüten, und »in drei Tagen war sie gesund und tot«, wie es Vehse ausdrückt.

Ihr Ende ist das einer Philosophin. Einen Geistlichen, der ihr Beistand leisten will, weist sie darauf hin, daß sie zwanzig Jahre über Religion nachgedacht habe: »Es bleibt mir nicht der geringste Zweifel übrig, und Sie können mir nichts sagen, was mir nicht schon bekannt ist.« Einer vertrauten Hofdame teilt sie noch mit, neugierig zu sein auf den »Grund der Dinge«, den ihr selbst Leibniz nicht habe erklären können. Die Berlinerin in ihr muß es gewesen sein, die sie hinzufügen ließ: »… und ich verschaffe dem König den Anblick eines Leichenbegängnisses, das ihm Gelegenheit gibt, alle Pracht zu entfalten«.

Der König fällt in Ohnmacht, als ihm der plötzliche Tod seiner 36 Jahre alten Gemahlin gemeldet wird. Er ist untröstlich. Die Hoftrauer dauert über ein halbes Jahr, und der Prunk der Trauerfeierlichkeiten im Berliner Dom ist lange nicht überboten worden. Allein das Gerüst, von dem aus die Honoratioren und königlichen Gäste den Begräbniszug ansehen, kostet 80 000 Taler.

Auch soll nicht verschwiegen werden, daß es am Berliner Hof schon eine neue »Favoritin« gibt, die Gräfin Wartenberg. Die ist allerdings schon verheiratet, sogar mit dem Ministerpräsidenten.

Was bleibt, ist das Musenstädtische an der preußischen Hauptstadt. Es ist nie wieder aus Berlin ganz zu verbannen gewesen. Woran nicht zuletzt Friedrich I. seinen Anteil hat.

Ebenfalls erhalten bleibt das freundschaftlich-familiäre Verhältnis zum Nachbarstaat Hannover. Ein Jahr nach dem Tod der Mutter heiratet der inzwischen 18jährige Kronprinz Friedrich Wilhelm, des Königs einziger Sohn aus der Ehe, die hannoversche Prinzessin Sophie Dorothea. Ihr Vater, der spätere Kurfürst Georg Ludwig, der 1714 als Georg I. König von England wird, ist ein Bruder der verstorbenen Sophie Charlotte. Die beiden sind also Vetter und Kusine. Es wird sich wiederum herausstellen, daß der Griff nach Hannover ein glücklicher war, wenn auch auf ganz andere Weise als bei Friedrich.

Der Bräutigam, der spätere Friedrich Wilhelm I., ist kein ganz einfacher Charakter. Schon als Kind erschreckt er den Hofstaat durch seine unkontrollierten Wutanfälle und als Halbwüchsiger durch die großen und angriffslustigen bissigen Hunde, die er mit sich führt, oft nicht einmal an der Leine. Er gilt als störrisch und eigensinnig. Seiner Mutter hat er übelgenommen, daß sie sich gegen den Erwerb der Königswürde aussprach. Dem Vater wirft er Prunk und Verschwendungssucht vor, die er für unchristlich und verwerflich hält. Nicht minder besorgt ist er freilich über des Königs Politik, zumal über den Stand der Finanzen in der Nach-Danckelmannschen Ära.