Jörg und Jona Steinleitner

Juni im Blauen Land

Illustriert von Ulla Mersmeyer

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Jörg Steinleitner,
geboren 1971 im Allgäu und studierter Germanist,
Historiker und Rechtsanwalt, hat mehrere Bücher für
Erwachsene geschrieben, die er in lustigen Lesungen
präsentiert. Er lebt mit seiner Frau, drei Kindern,
einem Pony und drei Wachteln auf einem alten Bauernhof
am Riegsee im Blauen Land. Unterstützt wird er beim
Ideenfinden, Schreiben und bei Lesungen von seiner
Tochter Jona, Jahrgang 2003. »Juni im Blauen Land« ist
ihr erstes gemeinsames Buch.
Weitere Infos: www.steinleitner.com

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Ulla Mersmeyer
ist »an der Waterkant« in Bremen aufgewachsen.
Dort gibt es keine Berge, dafür aber freche Möwen und
frischen Fisch. Hier machte Ulla auch eine Ausbildung am
Theater. In Münster studierte sie danach Illustration für
Kinder- und Jugendbücher. 2012 zog sie zusammen mit
ihrem Freund nach Berlin. Wenn Ulla nicht zeichnet, malt
oder schreibt, dann liest sie Bücher, spielt Klavier oder
streift durch die bunte Großstadt auf der Suche nach
inspirierenden Eindrücken oder gutem Essen.

 

 

 

 

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1. Auflage 2016
© 2016 Arena Verlag GmbH, Würzburg
© 2016 Jörg Steinleitner, Jona Steinleitner
Alle Rechte vorbehalten
Einband und Illustrationen: Ulla Mersmeyer
ISBN 978-3-401-80536-8

www.arena-verlag.de
Mitreden unter forum.arena-verlag.de

1. Kapitel

in dem sich herausstellt, dass wir Rosenglücks eine fast ganz normale Familie sind

Ich heiße Juni. Wenn die Leute das hören, sagen sie, das ist doch ein Monat und kein Name. Dann sage ich, dass ich da nichts dafürkann, denn den Namen haben mir ja schließlich meine Eltern gegeben. Ansonsten sind wir aber eine fast normale Familie. Ich sage »fast«, weil manche Leute im Dorf denken, dass wir spinnen. Zum Beispiel glaubt der dicke Gerstenbauer, der immer mit seinem Elektrofahrrad durchs Dorf flitzt, dass mein Vater nichts arbeitet! Das stimmt natürlich gar nicht. Aber ich kann dem dicken Gerstenbauer nicht böse sein, denn es sieht manchmal wirklich ein bisschen so aus. Die meiste Zeit sitzt mein Vater nämlich im Garten und schaut. Das ist seine Arbeit! Wenn er so sitzt, dann denkt er. Jedenfalls sagt er das. Und wenn er genug gedacht hat, dann malt er. Mein Paps ist nämlich Maler. Also nicht so einer, der Häuser anmalt, sondern einer für Bilder und Gemälde, die er sich selber in seinem Kopf ausdenkt.

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Meine Mutter ist ganz genauso normal wie mein Vater, also fast. Sie räumt zum Beispiel nicht sehr gerne auf, bügelt nicht gerne und läuft viel nackt im Haus herum. Ich finde das superpeinlich. So eine fast normale Mutter darf nicht dauernd nackt herumlaufen, sonst bekommt der Briefträger Schluckauf.

Aber unsere nackte Mutter sagt, die Luft sei gut für ihre Haut. Manchmal macht sie sogar nackte Gymnasiastik im Flur. Ich weiß ja nicht, was du darüber denkst, aber ich finde, Mütter sollten schon ein bisschen Vernünftigkeit mitbringen. Immerhin bäckt Mams ziemlich gute Pfannkuchen. Von Beruf ist sie übrigens Schreinerin. Das ist auch gut. Denn sie kann so ziemlich alles bauen, was es gibt. Leider baut sie am liebsten Zeugs, das man nicht gebrauchen kann. Zum Beispiel diesen riesigen Schmetterling aus Holz, der in unserem Garten steht und flötet, wenn der Wind bläst. Für was soll so ein Holzding bloß gut sein?

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Wie du schon gelesen hast, nenne ich meine Eltern Paps und Mams. Und meine Geschwister tun das auch. Ich habe zwei davon: eine kleine Schwester, die heißt Elfe und ist sieben Jahre alt, und einen sehr kleinen Bruder, der heißt Jimmie und ist fünf. Ich selbst bin zwei Jahre älter als Elfe, den Rest kannst du dir selber ausrechnen.

Unsere Namen waren ein echtes Problem, als wir vor fünf Jahren von der Stadt aufs Land gezogen sind. In dem Dorf, in dem wir wohnen, heißen die ältesten Söhne nämlich praktisch alle Josef und die Mädchen Maria, Annemarie oder Johanna. Dagegen klingen Jimmie, Elfe und Juni ganz schön komisch. Aber irgendwie passt das zu uns, denn wir Rosenglücks sind ja auch sonst ein bisschen komisch und besonders.

Da ist zum Beispiel die Sache mit meinen Augen: Die sind so besonders, dass ich vielleicht mal berühmt werde: Das linke Auge ist hellblau und das rechte hellblau mit Grünstich. Verrückt, oder? Aber der Arzt sagt, es ist keine Krankheit und niemand muss sich Sorgen machen. Ich kann mit diesen komischen Augen auch alles gut sehen und mag sie sehr. Genau wie meine Haare. Die sind nämlich nicht einfach blond. Irgendjemand hat da noch ein bisschen Rot reingemischt. Paps behauptet, dass er das war, weil er bei den Malfarben noch etwas übrig hatte. Ich glaube, das erfindet er, aber ich weiß auch nicht, woher das Rot sonst kommen soll.

Mein sehr kleiner Bruder Jimmie ist nur semmelblond. Seine zwei hellblauen Augen wurden ganz ohne Grünstich zusammengebaut. Und meine kleine Schwester Elfe fällt – na logo – wie immer total aus der Reihe: Sie hat schwarze Haare, grüne Augen und es ist echt nicht normal, wie bockig die sein kann. Sicher hoffst du jetzt, dass wenigstens mit meinem kleinen Bruder Jimmie alles normal ist. Fehlanzeige! Bei Jimmie ist das Komische, dass er schon lesen kann, obwohl das verboten ist, weil er erst im Herbst in die Schule kommt. Und noch etwas ist besonders an meinem sehr kleinen Bruder: Er hat oft Sachen an, die aussehen wie vor hundert oder tausend Jahren – so Hemden und Mützen und Hosen wie der Michel von Lönneberga. Das macht er, seit wir letztes Jahr im Urlaub im echten Lönneberga waren.

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Aber jetzt mal wieder zurück zu den wichtigen Sachen: Unsere ganze Familie heißt Rosenglück, auch Paps und Mams. Ich finde das einen okayen Nachnamen, obwohl Rosen nicht so richtig mein Fall sind. Gänseblümchen mag ich lieber, weil die nicht so piken. Aber stell dir mal vor, wir würden Gänseblümchenglück heißen – da würden die Leute im Dorf uns noch schraubelockiger finden.

Unser Dorf liegt an einem See. Und dieser See liegt im Blauen Land. Menschen, die noch nie etwas vom Blauen Land gehört haben, kann man sagen: Es liegt ziemlich genau zwischen der Zugspitze (das ist der höchste Berg von Deutschland oder sogar von der Welt) und München (das ist eine Stadt mit einer Kirche, deren Türme so aussehen, als wären da oben Brüste drauf). Weil es im Blauen Land so schön ist, haben hier früher berühmte Maler gewohnt. Die heißen Gabriele Münter, Wassili Kandinsky und Franz Marc und sind schon ewig tot. Einer von denen hat mal ein blaues Pferd gemalt. Obwohl es keine blauen Pferde geben kann, gefällt mir das Bild.

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An unserem See gibt es eine Badestelle mit einem Steg. Im Sommer kann man von hier aus Kopfsprünge ins Wasser hechten. Im Winter ist der See zugefroren. Da macht man besser keine Kopfsprünge. Dafür laufen wir dann immer Schlittschuh. Unser Haus steht ungefähr achtundzwanzig Meter weit von dem See weg. Mit einem Maßband habe ich es noch nicht ausgemessen. Aber wenn ich die Schritte zähle und dabei darauf achte, dass sie groß werden, kommen ungefähr achtundzwanzig dabei heraus. Wenn meine kleine Schwester Elfe Schritte macht, sind es fünfunddreißig. Elfe meint deshalb, dass der See fünfunddreißig Meter von unserem Haus entfernt liegt. Ich habe Elfe gesagt, dass das keine Meterschritte sind, die sie da macht, aber erklär das mal Elfe. Die glaubt ja auch, dass sie fünfzehn Liter wiegt. Obwohl wir in der Sache mit dem See anderer Meinung sind, haben Elfe und ich deswegen noch nie gestritten. Um Schokolade, Gummibärchen und Haarspangen streiten wir uns aber ständig. Außerdem haben wir hin und wieder Streit, weil Elfe einfach nicht einsehen will, dass ich es bin, die bestimmen muss, was wir spielen. Schließlich bin ich doch die Große! Und wenn ich sage, wir spielen jetzt Pferdestall, dann muss Elfe mitspielen. Und darf nicht plötzlich Bande oder Detektiv oder Eishockey oder Schule spielen wollen. Ich habe Elfe schon hundert Mal gesagt, dass das so nicht weitergeht mit dem Streiten. Wir werden ja schließlich jedes Jahr älter!

2. Kapitel

in dem du Kröte, Tine, Kartoffel und unsere ganzen anderen Tiere kennenlernst

Das Haus, in dem wir wohnen, ist sehr alt, hundert oder tausend Jahre oder so. Außer uns leben hier noch eine Marderfamilie, die jedes Jahr Kinder bekommt, und mehrere Mäusefamilien.

Wir wissen nie so genau, wie viele es gerade sind – die Schnurrliburrli von unserer Nachbarin Tante Amelie ist nämlich eine gute Jagdkatze.

Dann gibt es bei uns noch das Pony Johnny, das wann immer möglich von der Koppel abhaut, und die Hühner Kröte, Tine und Kartoffel. Und natürlich unseren Hahn Söder und mehrere Gastkatzen. Die Gastkatzen heißen Gastkatzen, weil sie eigentlich unseren Nachbarn oder niemandem gehören. Natürlich streicheln wir die Gastkatzen auch – nur die eine verwilderte nicht, weil die beißt. Und wir versuchen, ihnen Kunststücke beizubringen, wobei die meisten Katzen sich ziemlich dämlich anstellen. Mein kleiner Bruder Jimmie hätte deshalb lieber einen Tiger. Denn Tigern kann man sogar beibringen, durch brennende Reifen zu springen. Ich finde diese Idee mit dem Tiger nicht so gut. Wir waren nämlich letztes Jahr mit unserer Klasse im Zoo und ich sage dir, so ein Tiger ist eine Stinkbombe mit Streifen!

Wenn Jimmie keinen Tiger bekommt, dann will er ein Krokodil haben. Aber das ist ja wohl mindestens genauso doof, denn Krokodile stinken auch und durch einen brennenden Reifen können die mit ihrem langen Schwanz mal ganz sicher nicht springen.

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Sicher wunderst du dich, warum unser Pony Johnny und die Hühner Kröte, Tine, Kartoffel und Söder alle so seltsame Namen haben. Ich verrate es dir: Kröte heißt Kröte, weil sie so komisch krächzt, Tine heißt Tine, weil sie ein wirklich schönes Huhn ist – und ist Tine nicht auch ein wirklich schöner Name? Und Kartoffel heißt Kartoffel, weil ihre Federn die Farbe von einer Kartoffel haben. Dass der Hahn Söder heißt, ist eine von Paps’ albernen Ideen gewesen. Angeblich heißt ein berühmter Politiker aus dem Fernseher auch so und Paps findet es einen super Einfall von sich, dass der Gockel und der Politiker gleich heißen. Womit Paps in unserer Familie eher alleine dasteht, denn wir anderen sind nicht so politikinteressiert.

Dass unser Pony Johnny heißt, war auch eine Idee von unserem Paps. Dabei ist der Name eigentlich falsch, denn unser Pony ist eine Stute, also ein Weibchen.

Na ja, aber du musst dir einfach vorstellen, dass Paps einer von diesen total alten Männern ist (er ist schon dreiundvierzigeinhalb und kriegt einen grauen Bart), die es riesig witzig finden, dauernd Blödsinn zu reden und alles zu verdrehen. Meister Kühnlein, unser Nachbar, sagt, dass Paps genau genommen zu nichts zu gebrauchen ist, aber das meint der Meister Kühnlein nicht böse – glaube ich jedenfalls.

Meister Kühnlein ist ein pensionierter Hausmeister mit eigener Werkstatt. Er muss immer irgendwas machen, denn still sitzen, das kann er nicht. Dafür kann er alles reparieren, was es auf der Welt gibt, sogar Taschenrechner, Kugelschreiber und Fahrraddynamos. Außerdem isst Meister Kühnlein gerne eingelegte Gurken und Ananas. Wer ihm eine Freude machen will, schenkt ihm so was. Du glaubst gar nicht, wie glücksvoll der Meister Kühnlein dann schaut! Ich weiß nicht, warum, aber wenn Meister Kühnlein so schaut, dann klopft mein Herz noch galoppiger als sonst.

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Natürlich wohnen noch viel mehr Leute in unserem Dorf: zum Beispiel die Bauern Haselsteiner, Brezlinger und die vom Pickl-Hof. Zum Glück haben die alle auch Kinder, sodass es bei uns nie langweilig wird. Zwei von den Haselsteiner-Kindern, die Josefa und der Rudi, sind unsere besten Freunde. Dann gibt es bei uns noch den Leichenbacher-Bauer, dessen Kühe die schönsten Euter haben – finden jedenfalls alle im Dorf –, und die Hanne vom Kramerladen. Bei der kann man Bonbons, süßsaure Erdbeeren und Gummibärchen in Papiertüten kaufen. Der Brezlinger-Bauer hat noch einen Sohn. Den Franzi. Der ist schon siebzehn und ein langer Dünner mit großen Händen und einer viel zu tiefen Stimme für einen, der noch kein Mann ist. Paps sagt, Franzi sei ein Halbstarker. Aber ich habe ihn mal beobachtet, wie er ein Moped hochgehoben hat, und das war schon eher vollstark. Das Beste am Franzi sind seine Cowboy-Geschichten. Wenn er die erzählt, werde ich jedes Mal ganz staunig.

Neben all den netten Leuten gibt es auch noch einen Blöden in unserem Dorf: den bösen Fred. Der ist von Beruf Kaminkehrer, bringt aber überhaupt kein Glück, sondern vor allem Pech. Alle Leute beten sofort ein Vaterunser (das ist so ein göttliches Gebet), wenn sie dem bösen Fred begegnen. Es heißt, dass der böse Fred schon einmal im Gefängnis gewesen ist. Wobei ich keine Ahnung habe, ob das stimmt.

So, jetzt kennst du so ungefähr alle in meiner Familie und in unserem Dorf. Aber eigentlich wollte ich dir etwas ganz anderes erzählen. Nämlich eine Geschichte über den tollsten und sonnigsten Sommer in unserem tollen Zuhause. Und diese Geschichte geht so:

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3. Kapitel

in dem mein sehr kleiner Bruder mal wieder unbedingt Cowboy spielen will