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Inhalt

Vorwort von Dr. Hendrik Leber

Einführung

1. Einführung in das System für Value-Investing nach Graham

2. Die Grundsätze des Systems für Value-Investing nach Graham

2.1 Erster Grundsatz: Aktien als proportionale Beteiligung an einem Unternehmen behandeln

2.2 Zweiter Grundsatz: Kaufen Sie zu einem deutlichen Abschlag zum inneren Wert, um eine Sicherheitsmarge zu schaffen

2.3 Dritter Grundsatz: Machen Sie »Mr. Market« zu Ihrem Diener statt Ihrem Herrn

2.4 Vierter Grundsatz: Seien Sie rational, objektiv und leidenschaftslos

3. Weltklugheit

4. Die Psychologie der menschlichen Fehlurteile

4.1 Überreaktion auf Belohnung und Strafe

4.2 Sympathie/Liebe

4.3 Antipathie/Hass

4.4 Vermeidung von Zweifeln

4.5 Vermeidung von Inkonsistenzen

4.6 Neugier

4.7 Kant’sche Fairness

4.8 Neid/Eifersucht

4.9 Reziprozität

4.10 Beeinflussung durch reine Assoziation

4.11 Einfache psychologische Verleugnung zur Vermeidung von Schmerzen

4.12 Selbstüberschätzung

4.13 Übertriebener Optimismus

4.14 Überreaktion angesichts einer Wegnahme

4.15 Soziale Bewährtheit

4.16 Kontrasteffekt

4.17 Beeinflussung durch Stress

4.18 Verfügbarkeitsheuristik

4.19 Verwenden oder verlieren

4.20 Schädliche Einflüsse durch Drogenkonsum

4.21 Vergreisung

4.22 Beeinflussung durch Autoritäten

4.23 Geschwätz

4.24 Respektieren von Gründen

4.25 Lollapalooza-Effekt

5. Anlegertugenden

5.1 Geduld

5.2 Disziplin

5.3 Ruhe gepaart mit Mut und Entschlossenheit

5.4 Ausreichende, aber nicht übermäßig hohe Intelligenz

5.5 Ehrlichkeit

5.6 Selbstvertrauen und Ideologiefreiheit

5.7 Langfristige Orientierung

5.8 Leidenschaft

5.9 Fleiß

5.10 Kollegialität

5.11 Gesundes Temperament

5.12 Sparsamkeit

5.13 Risikoaversion

6. Die acht Variablen im System für Value-Investing nach Graham

6.1 Erste Variable: Den angemessenen inneren Wert eines Unternehmens bestimmen

6.2 Zweite Variable: Die angemessene Sicherheitsmarge bestimmen

6.3 Dritte Variable: Die Größe des Kompetenzkreises eines Anlegers bestimmen

6.4 Vierte Variable: Den Grad der Diversifikation bestimmen

6.5 Fünfte Variable: Den Verkaufszeitpunkt für ein Wertpapier bestimmen

6.6 Sechste Variable: Die Höhe des Einsatzes bestimmen

6.7 Siebte Variable: Bestimmen, ob die Qualität eines Unternehmens eine Rolle spielen sollte

6.8 Achte Variable: Bestimmen, welche Unternehmen man (ganz oder teilweise) kauft

7. Was Unternehmen brauchen

7.1 Geschick bei der Kapitalallokation

7.2 An den Interessen der Aktionäre ausgerichtete Vergütungssysteme

7.3 Geschick beim Vergrößern von Schutzgräben

7.4 Integres Management

7.5 Die Ausnahme: Herausragende Manager

Berkshire-Mathematik

Schutzgräben

Angebotsseitige Größen- und Verbundvorteile

Nachfrageseitige Größenvorteile (Netzwerk-Effekte)

Marken

Regulierung

Patente und geistiges Eigentum

Kumulativer Einfluss von mehreren Faktoren

Berkshire ist steuereffizient

Berkshire hat niedrige Verwaltungskosten

Berkshire ist der private Käufer der ersten Wahl

Berkshire hat dauerhaftes Kapital

Berkshire ist in fallenden Märkten überdurchschnittlich

Berkshire profitiert von seinem »Float«

Hochwertige Aktionäre, darunter Buffett und Munger

Value-Investing vs. Faktor-Investing

Nachweise

Einleitung

1. Einführung in das System für Value-Investing nach Graham

2. Die Grundsätze des Systems für Value-Investing nach Graham

3. Weltklugheit

4. Die Psychologie der menschlichen Fehlurteile

5. Anlegertugenden

6. Die acht Variablen im System für Value-Investing nach Graham

7. Was Unternehmen brauchen

Berkshire-Mathematik

Schutzgräben

Glossar

Quellen

 

 

 

 

 

Vorwort von Dr. Hendrik Leber

Charlie Munger ist für mich eine der faszinierendsten Persönlichkeiten der Zeitgeschichte.

Gut informierte Value-Investoren kennen die jährliche »Warren und Charlie«-Show: die Hauptversammlung von Berkshire Hathaway in Omaha, Nebraska. Im Jahr 1964 übernahm Warren Buffett den damaligen Textilhersteller Berkshire Hathaway und schuf aus ihm eine der größten und stabilsten Firmen der Welt, eine Mischung aus Aktienportfolio, Private-Equity-Investor, Versicherungsgesellschaft, Energiekonzern und Eisenbahngesellschaft.

Warren Buffetts Partner Charles »Charlie« Munger hat die Entwicklung sowohl von Buffett als auch von Berkshire Hathaway ganz wesentlich gelenkt. Seit den 1970er-Jahren sorgte Munger dafür, dass Buffett zunehmend zu einem Investor in Qualitätsfirmen und gute Geschäftsmodelle wurde.

Munger und Buffett stammen beide aus Omaha. Obwohl nur wenige Jahre zwischen ihnen liegen (Munger ist Jahrgang 1924, Buffett ist Jahrgang 1930), haben sich die beiden 1959 zum ersten Mal getroffen. Sie waren sofort ein Herz und eine Seele, weil sie sich intellektuell und charakterlich ebenbürtig sind.

Warren Buffett und sein Partner Charles »Charlie« Munger bilden zusammen das erfolgreichste Investoren-Duo aller Zeiten. Buffett dominiert den öffentlichen Auftritt, während Munger der große Schweiger zu sein scheint. Tatsächlich wurde Munger auf einer Hauptversammlung sogar einmal durch eine Pappfigur vertreten. Wenn Munger gefragt wird, muss man manchmal lange auf seine Worte warten. Es scheint, als sei er eingeschlafen – und dann kommt eine präzise, bissige, bildhafte und treffsichere rhetorische Meisterleistung, die einen erstarren lässt.

Munger hat eine ganz eigene deftige und bildhafte Sprache, die für Nicht-Muttersprachler schwer zu verstehen ist. Wenn Munger über Subprime-Kredite sagt: »Wenn man Rosinen und Mist miteinander mischt, dann hat man immer noch Mist«, dann wird auch einem Laien klar, dass selbst die schönste Verpackung aus einem schlechten Finanzprodukt kein gutes macht.

Mungers Weisheiten haben mich tief geprägt. Tren Griffins Buch ist eine gute und wichtige Zusammenfassung lebenskluger und weiser Worte Mungers. Sie sind nicht weniger als eine Anleitung zum vernünftigen und erfolgreichen Leben.

Der simple Satz »You can always spend less« (»Man kann immer weniger ausgeben«) macht einem klar, dass man die größte Ausgabenkrise meistern kann, wenn man den Gürtel enger schnallt. Wie gern würde ich diesen Satz Politikern oder öffentlichen Rundfunkanstalten entgegenhalten.

Der Satz »You have to play the deck that you have been dealt« (»Man muss mit den Karten spielen, die man erhalten hat«) fordert auf, nicht zu jammern, sondern das Beste aus jeder Situation zu machen.

Charlie Munger ist ungemein gebildet. Seine Kinder sagen über ihn, Munger sei ein Buch, aus dem Beine herausschauen. Er ist einer der belesensten Menschen, die ich kenne, und als sein großes Vorbild hat er nicht seinen Vater, sondern die Bücher genannt.

Ich mag Munger mehr als Buffett. Munger ist frecher, lebhafter, lebenslustiger, spendabler als Buffett. Buffett ist sicher zehnmal so reich wie Munger (der mit seinen wenigen Milliarden auch nicht hungern muss), doch kann ich mir Munger mit einem Cocktail am Strand sehr wohl vorstellen, Buffett hingegen nicht. Munger steht mitten im Leben, er kann genießen und er engagiert sich kulturell, sozial und sogar als Architekt.

Bei meinem ersten Besuch der Hauptversammlung von Mungers früherer Firma Wesco stand unvermittelt Munger neben mir an der Kaffeemaschine und wartete bescheiden darauf, dass ich mit meiner Zapfaktion fertig würde. Unter den 200 bis 300 Besuchern im University Club in Pasadena, einem Stadtteil von Los Angeles, waren hartgesottene Fans aus aller Welt. Vervielfältigte Manuskripte mit wichtigen Aufsätzen von ihm wurden kostenlos verteilt. Ich packte einen Satz Fotokopien ein und war fasziniert von seinen geschriebenen Ausführungen zu einem fiktiven großen Bilanzierungsskandal, kurz bevor der Enron-Buchhaltungsschwindel platzte.

Im Jahr 2010 hatten wir einen zweistündigen Termin mit Munger. Meine vorbereiteten Konversationsversuche scheiterten kläglich, weil Munger mir mit wenigen Sätzen zeigte, wie oberflächlich doch mein Wissen war. Seitdem ist mein Respekt vor Munger noch viel größer. Ich hatte ihn an diesem Tag nämlich auf meinen Lieblingssatz angesprochen: »Invert, always invert« (»Immer vom Gegenteil her denken«). Der Satz hilft, auf einem sicheren Kurs durchs Leben zu steuern. Ändere die Vorzeichen, drehe die Richtung, ziele auf das Gegenteil. Und erst dann wird dir klar, wie du dein ursprüngliches Ziel erreichen kannst. Wenn ich nämlich weiß, mit welchen Handlungen ich mit Sicherheit ein unglückliches Leben herbeiführen werde, so ergibt sich aus der Umkehrung und dem Weglassen, was ich alles tun muss, um ein glückliches Leben zu führen.

Dr. Hendrik Leber, 8. Januar 2016

 

 

 

 

 

Einführung

Charlie Munger ist nicht nur einer der erfolgreichsten Anleger, sondern auch einer der interessantesten Menschen der Welt. Bekannt ist er vor allem als der kein Blatt vor den Mund nehmende Partner von Warren Buffett bei einem sagenhaft erfolgreichen Unternehmen namens Berkshire Hathaway. »Eins plus eins ergibt bei Charlie und mir mit Sicherheit mehr als eins«, sagte Buffett einmal in Anerkennung von Mungers Beitrag.1 Auch seine Erfolge als Investor außerhalb von Berkshire Hathaway sind beeindruckend. Am interessantesten an Munger ist jedoch nicht sein Erfolg bei der Geldanlage, sondern die Art und Weise, wie er denkt und seine Emotionen unter Kontrolle behält.

Mungers Fähigkeit, mit ein paar gut gewählten Worten zum Kern einer Angelegenheit vorzudringen, ist legendär, ebenso wie sein Wunsch nach unabhängigem Denken. Eine fundamental wichtige Wahrheit über Geldanlage lautet, dass die meisten Leute dabei keine unabhängigen Entscheidungen treffen. Das bedeutet im Umkehrschluss: Wer zu den wenigen Menschen zählt, die unabhängig denken, ihre Emotionen kontrollieren und psychologische Fehler vermeiden können, hat als Anleger Vorteile. Über Mungers Wunsch, das Denken selbst zu erledigen, hat Buffett einmal die folgende Anekdote erzählt:

Im Jahr 1985 bekam eine große Investmentbank den Auftrag, das Unternehmen Scott Fetzer zu verkaufen. Sie bot es vielen Interessenten an, allerdings ohne Erfolg. Als ich davon las, schrieb ich an Ralph Schey, damals wie heute CEO von Scott Fetzer, um mein Interesse an einer Übernahme zu bekunden. Ich hatte Schey noch nie getroffen, aber innerhalb einer Woche wurden wir uns einig. Leider sah die Auftragsbestätigung für die Investmentbank ein Honorar von 2,5 Millionen Dollar bei einem Verkauf vor, selbst wenn sie nichts mit dem Finden des Käufers zu tun hatte. Ich vermute, der leitende Banker hatte das Gefühl, er müsse für sein Geld zumindest irgendetwas tun, also bot er uns freundlicherweise ein Exemplar des hübsch gebundenen Berichts über Scott Fetzer an, den seine Bank produziert hatte. Taktvoll wie immer lautete Charlies Antwort auf dieses Angebot: Ich gebe Ihnen 2,5 Millionen, wenn ich es nicht lesen muss.

– WARREN BUFFETT, CHAIRMAN’S LETTER, 1999

Vor allem Geschichten wie diese – neben vielen schillernden Berichten über andere Äußerungen Mungers – waren der Grund dafür, dass ich dieses Buch geschrieben habe. Munger ist als Person hauptsächlich deshalb so interessant, weil er, um es in einem Wort zu sagen, hemmungslos ist. Er sagt genau das, was ihm durch den Kopf geht, und interessiert sich dabei wenig für Taktgefühl oder gesellschaftliche Konventionen. Diese Offenheit ist wertvoll, denn manchmal muss einfach irgendjemand sagen, dass der Kaiser keine Kleider anhat. Doch obwohl er auf eine herausragende Erfolgsgeschichte bei der Auswahl von Aktien zurückblicken kann und ein erhebliches Vermögen angehäuft hat, meint er selbst, dass sich andere Menschen ihn alles in allem lieber nicht zum Vorbild nehmen sollten. Seiner Ansicht nach hat die Herausbildung eines eigenen Kopfes in seinem Leben eine große – vielleicht zu große – Rolle gespielt. Und durch die blinde Übernahme von Eigenheiten seiner Person (einschließlich, aber nicht nur seine Respektlosigkeit) würde man sich leicht unbeliebt machen.

Munger ist klar, dass er bei manchen Themen wie ein Blitzableiter die Kritik auf sich zieht. »Vielleicht wird man sich an mich als Klugscheißer erinnern«, sagte er einmal, wohingegen sein Anlagepartner Warren Buffett eher als Lehrer in Erinnerung bleiben werde. Von manchen Leuten bekomme ich auch zu hören, dass sie die Aufregung um Munger gar nicht verstehen können. Doch sie übersehen einen entscheidenden Punkt: Niemand anders kann Charlie Munger sein, ebenso wenig, wie jemand anders Warren Buffett sein kann. Es geht nicht darum, jemanden als Helden zu feiern, sondern darum, zu überlegen, ob Munger wie sein eigenes Vorbild Benjamin Franklin Qualitäten, Merkmale, Systeme oder Lebenskonzepte hat, denen wir nacheifern wollen, vielleicht auch nur zum Teil. Genau diese Möglichkeit ist auch der Grund dafür, warum Munger Hunderte von Biografien gelesen hat: Vom Erfolg wie vom Scheitern anderer zu lernen ist die schnellste Methode, um intelligenter und klüger zu werden, ohne dabei allzu viel selbst erleiden zu müssen.

Trotz seiner Respektlosigkeit ist Munger auf seine unnachahmliche Weise selbst ein Lehrer. Einmal sagte er:

Das Beste, was ein menschliches Wesen tun kann, ist, anderen menschlichen Wesen zu helfen, mehr zu wissen.

– CHARLIE MUNGER, BERKSHIRE-HAUPTVERSAMMLUNG 2010

Vieles von dem, was Munger interessant macht, lässt sich mit einem einfachen Satz von ihm erklären: »Ich beobachte, was funktioniert und was nicht und aus welchen Gründen.« Das Leben ereignet sich für Munger wie für jeden anderen Menschen, aber anders als die meisten anderen denkt er intensiv darüber nach, warum etwas passiert, und arbeitet hart daran, aus solchen Erfahrungen zu lernen.

Wie Warren Buffett wurde auch Munger in Omaha im US-Bundesstaat Nebraska geboren und ist dort aufgewachsen. Er studierte Mathematik an der University of Michigan, doch bevor er seinen Abschluss machen konnte, kam der Zweite Weltkrieg dazwischen. Während des Krieges diente er nach einer Schulung am California Institute of Technology (Caltech) als Meteorologe beim US-Militär. Nach Kriegsende konnte er sich trotz fehlendem Abschluss an der Harvard Law School einschreiben. In seiner Zeit am Caltech hatte er Kalifornien lieben gelernt und nach der Law School gründete er dort mit ein paar Partnern eine Kanzlei, die zu einer der angesehensten des ganzen Landes werden sollte. Warren Buffett lernte er erst kennen, als er schon im kalifornischen Pasadena lebte. Auf dessen Drängen hin gab er trotz seiner großen Erfolge die Juristerei auf, um sich in Vollzeit der Geldanlage zu widmen. Von 1962 bis 1975 leitete er eine Partnership für eine Gruppe von Anlegern, die in diesem Zeitraum jährliche Renditen von fast 20 Prozent erwirtschaftete, verglichen mit weniger als 5 Prozent im Dow-Jones-Index. Munger sammelt keine Ferraris und hat auch keine riesigen Anwesen. Er ist Milliardär, doch in vielen Aspekten seines Lebens, die nichts mit Ideen oder Investieren zu tun haben, ist er ziemlich normal.

Munger ist oft als Redner aufgetreten, hat viele Essays verfasst und auf den Hauptversammlungen von Wesco Financial und Berkshire Hathaway Legionen von Aktionären unterhalten. Dennoch wurden seine Ideen bislang noch nie in einer Form präsentiert, die man als vereinheitlichte Theorie bezeichnen könnte. Der Grund dafür ist wahrscheinlich, dass Mungers Hirn Kapriolen schlagen kann, die Leute mit, sagen wir, durchschnittlicher Intelligenz klar überfordern. Für normale Menschen ist es ausgesprochen schwierig, im Kopf mit »mehreren Modellen« zu jonglieren, wie Munger das nennt, wenn sie keinen verständlichen Gesamtrahmen für die einzelnen Ideen haben. Das Ziel dieses Buches ist, Ihnen zu aufzuzeigen, wie Sie mehr wie Charlie Munger denken können.

Wie habe ich selbst meinen Weg zu den Überlegungen von Munger gefunden? Die Entstehungsgeschichte dieses Buches beginnt in der Zeit unmittelbar vor dem Platzen der Internetblase, als viele alte Wahrheiten über Geldanlage infrage gestellt wurden. Der in Zeiten der Blase entstandene Reichtum war für jeden, der sich damit beschäftigte, geradezu unwirklich. Marc Andreessen hat sich dazu auf Twitter später so geäußert: »Das überwältigende Gefühl, das herrschte, war Panik – Panik, man könnte etwas verpassen.« Wahrscheinlich handelte es sich damals um eine Massenpsychose, doch die meisten Leute fragten sich nur, was wäre, wenn es trotzdem noch weitergeht: »Was, wenn sich die Kurse noch mal verdoppeln oder verdreifachen?« Für jeden, der wie ich in dieser verrückten Zeit nach Antworten darüber gesucht hat, was an den Märkten vor sich ging, war es nur logisch, sich mit den Meinungen von erfolgreichen und überlegt handelnden Anlegern zu beschäftigen.

Um mir einen Reim auf das Geschehen an den Märkten zu machen, charterte ich im Sommer 1999 ein Boot samt Skipper, von dem ich mich mit meiner Familie zu den San Juan Islands im Bundesstaat Washington fahren ließ. Für diese Reise packte ich alles ein, was je von und über Warren Buffett geschrieben worden war. Als ich an Deck sitzend über Buffetts Anlagemethoden las, stellte ich fest, dass es tatsächlich eher Mungers Ideen waren, die bei mir am meisten Anklang fanden. Eine konkrete Frage wollte ich zu dieser Zeit am dringendsten beantwortet haben: Wie viele meiner stark gestiegenen Aktien von Internet- und Telecom-Unternehmen sollte ich verkaufen? Meine Familie hatte viel Spaß auf dem Boot und auf den Inseln, während ich an Deck tief in Gedanken die Bücher rauf- und runterlas. Eine Woche lang tat ich fast nichts als Lesen und Nachdenken. Gegen Ende der Reise aber war ich zu einer Entscheidung gekommen: Ich wollte genau die Hälfte meiner Internet- und Telecom-Aktien verkaufen. Denn, so war ich überzeugt, auf diese Weise würde ich am wenigsten zu bereuen haben, egal was als Nächstes passierte. Angesichts des folgenden Totalcrashs war es keine optimale Entscheidung, doch ich war damals zufrieden mit ihr und bin es noch heute. Die Reise war der Beginn meines tiefen Eintauchens in die Welt des Value-Investing.

Das von Benjamin Graham entwickelte und von Munger genutzte System für Value-Investing ist für normale Anleger die beste Einzelmethode, um höhere Renditen zu erzielen als ein Marktindex. Zwar ist Value-Investing nach Graham ein System, doch um mit ihm Erfolg zu haben, reicht es nicht aus, einfach einem Satz von festen Regeln zu folgen. Die Umsetzung des Systems nach Graham, des Berkshire-Systems oder der Systeme anderer Value-Anleger ist eine Kunst, keine Wissenschaft. Für Value-Investing muss man mehr tun, als nur ein paar Punkte zu verbinden. Um Value-Investing nach Graham komplett zu verstehen, muss man kein Genie sein. Trotzdem werden die meisten Menschen feststellen, dass es ihnen entweder an der nötigen emotionalen oder an der psychologischen Kontrolle dafür fehlt oder dass sie nicht bereit sind, sich die Arbeit zu machen, die für das Übertreffen eines Marktindex erforderlich ist. Aus diesem Grund sagt Buffett gern, Geldanlage sei »einfach, aber nicht leicht«.2 Mungers Version dieses Satzes lautet: »Nehmen Sie eine einfache Idee und nehmen Sie sie ernst.«

Ein Großteil dieses Buches handelt davon, wie ich gelernt habe, Quellen für emotionale und psychologische Fehler besser zu erkennen, und was ich von Munger über Möglichkeiten erfahren habe, sie zu vermeiden. In einer E-Mail an mich beschrieb Jason Zweig, Anlagekolumnist beim Wall Street Journal, die wesentlichen Herausforderungen bei der Geldanlage wie folgt:

Wenn es leicht wäre, so zu sein und zu denken wie er, dann würde es nicht nur einen Charlie Munger geben. Aus sich selbst eine Lernmaschine mit mehreren mentalen Modellen zu machen, […] ist ausgesprochen harte Arbeit und die wenigen Leute, die dabei Erfolg haben, werden möglicherweise trotzdem nicht davon profitieren, weil es ihnen am richtigen Temperament fehlt. Aus diesem Grund beziehen sich Buffett wie Munger immer wieder zurück auf Graham: Ein echter Contrarian zu sein erfordert enormen Mut und unerschütterliche Ruhe. Buffett redet häufig über den »emotionalen Rahmen«, den Graham biete; Munger sagt, die meisten Anleger hätten, egal wie klug sie sind, »das falsche Temperament«. Ich benutze in diesem Zusammenhang gern ein Wort der alten griechischen Philosophen: ataraxia, vollkommene Unerschütterlichkeit. Sie zeigt sich, wenn Sokrates vor Gericht gestellt wird, wenn Nathan Hale [ein von den Briten während des Unabhängigkeitskriegs hingerichteter amerikanischer Offizier; Anm. d. Red.] gehängt wird, wenn Buffett in Goldman Sachs investiert und wenn Munger zwei Tage vor dem Börsentief im März 2009 Wells Fargo kauft.

– JASON ZWEIG, E-MAIL AN DEN AUTOR, OKTOBER 2014

Um Mungers Ideen und Methoden zu Fragen der Geldanlage besser zu verstehen, habe ich eine Struktur aus drei Elementen entwickelt: Grundsätze (Kapitel 2), Anlegertugenden (Kapitel 5) und Die acht Variablen (Kapitel 6). Dieses dreiteilige Modell ist nur eine von vielen Möglichkeiten – andere Ansätze können ebenso hilfreich dabei sein. Mein zweites Ziel bei der Entwicklung der Struktur bestand darin, eine Checkliste aufzustellen, die sich für die Geldanlage nutzen lässt. Munger ist ein überzeugter Anhänger eines solchen Checklisten-Ansatzes für alle Herausforderungen des Lebens:

Ich glaube fest daran, schwierige Probleme mithilfe von Checklisten zu lösen. Dadurch führt man sich all die naheliegenden und weniger naheliegenden Antworten vor Augen; ansonsten kann es leicht passieren, dass man etwas Wichtiges übersieht.

– CHARLIE MUNGER, WESCO-HAUPTVERSAMMLUNG 2007

Schon das Aufschreiben der eigenen Überlegungen für eine Checkliste bringt Vorteile. Ich habe schon immer geliebt, wie sehr Buffett betont, wie wichtig es ist, sich diese Mühe zu machen. In Buffetts Augen kann man etwas auf keinen Fall richtig durchdacht haben, wenn man nicht in der Lage ist, es niederzuschreiben.

Um das Versprechen eines Buches mit dem Titel Charlie Munger – Ich habe dem nichts mehr hinzuzufügen zu erfüllen, ist es am besten, mit einer Einführung in das System für Value-Investing nach Graham zu beginnen – denn so bekommen Sie als Leser schon ein Gefühl dafür, worauf ich hinauswill. Die vier fundamentalen Grundsätze für Value-Investing im Stil von Benjamin Graham sind:

1.Behandeln Sie eine Aktie als proportionale Beteiligung an einem Unternehmen.

2.Kaufen Sie zu einem deutlichen Abschlag gegenüber dem inneren Wert, um eine Sicherheitsmarge zu schaffen.

3.Lassen Sie den manisch-depressiven Markt Ihren Diener sein, nicht Ihren Herrn.

4.Handeln Sie rational, objektiv und leidenschaftslos.

Wie Munger sagt, werden diese vier Graham’schen Grundsätze »niemals überholt sein«. Anleger, die sie nicht beachten, sind keine Value-Anleger nach Graham. Value-Investing nach Graham ist wirklich so einfach.

Munger ist außerdem der Ansicht, dass auch die Entwicklung und das Erkennen bestimmter Persönlichkeitsmerkmale für einen Value-Anleger nach Graham unverzichtbar sind. Diese Merkmale stellen den »Anlegertugenden«-Teil (Kapitel 5) dar: Wer sie entwickeln kann, kann in den Augen Mungers auch lernen, verbreitete psychologische und emotionale Fehler zu vermeiden und ein erfolgreicher Anleger zu werden. Niemand wird jemals auch nur annähernd perfekt sein, aber wir alle können mit der Zeit besser werden. Wenn wir nicht ständig daran arbeiten, bei diesen Merkmalen Fortschritte zu machen, so Munger, können wir nur zu leicht in alte Fehler und Dummheiten zurückfallen.

Im letzten Abschnitt dieses Buches geht es darum, welche Wahlmöglichkeiten ein Value-Anleger nach Graham hat, wenn er seinen eigenen Stil und seine eigenen Methoden der Geldanlage entwickelt. Mit anderen Worten: Auf der Basis der vier fundamentalen Grundsätze für Value-Investing nach Graham sind viele Variationen möglich – keine zwei Value-Anleger im Graham-Stil werden das exakt gleiche System der Geldanlage haben. Um nur ein Beispiel zu nennen: Wie Buffett erklärt, sind er und Munger »praktisch siamesische Zwillinge«;3 – und trotzdem bestehen auch zwischen den Ansätzen dieser beiden Männer einige Unterschiede.

Im Bereich der Geldanlage gibt es im Grunde unbegrenzt viele Möglichkeiten, zu lernen und zu lehren. Ein erfolgreicher Anleger höre nie damit auf, eine »Lernmaschine« zu sein, wie Munger zu sagen pflegt. Die Notwendigkeit, zu lernen und immer wieder neu zu lernen, bedeutet, dass ein Anleger ständig lesen und nachdenken muss. Er kenne nicht einen einzigen erfolgreichen Anleger, der nicht unersättlich lese, sagt Munger. Seine eigenen Kinder bezeichnen ihn als »Buch mit Beinen«. Lesen und Lernen bedeutet echte Arbeit. Gut illustrieren lässt sich das mit einem leicht abgewandelten Zen-Spruch: »Wenn es um Fragen im Zusammenhang mit Value-Investing geht, beschäftigen sich viele Leute lieber mit der Speisekarte als mit dem Essen selbst.« Ich habe gelernt, mir diese Arbeit nicht nur zu machen, sondern sie zu lieben, weil sie intellektuell befriedigend ist. Auch Sie können lernen, diesen Prozess zumindest zu genießen – und vielleicht auch, ihn zu lieben.

Zum Ende dieser Einleitung noch ein paar Worte zum vorliegenden Buch. Sein Format ist einfach: Sie werden viele Zitate finden, meist gefolgt von einer von mir verfassten Erläuterung. Wenn nicht anders angegeben, stammt das Zitat von mir. Am Ende des Buches gibt es zudem ein Glossar. Wenn Sie auf einen Begriff stoßen, mit dem Sie nicht vertraut sind (z. B. Nettogegenwartswert), finden Sie dort eine Definition.

Am besten lässt sich Mungers Denkweise vermitteln, indem man den Blick auf die wichtigste berufliche Aktivität seines Lebens richtet. Deshalb liegt der Schwerpunkt dieses Buches darauf, wie Munger als Anleger denkt. Er selbst hat erfolgreiches Investieren mit »angelernten Reaktionen« erklärt: In seinen Augen kann man lernen, Verhaltensweisen hinter sich zu lassen, die zu schlechten Entscheidungen führen, und sich so Vorteile gegenüber anderen Anlegern verschaffen. Hier geht es vor allem darum, wie Munger investiert, doch die daraus gewonnenen Lehren lassen sich ebenso gut auf Entscheidungen in anderen Bereichen des Lebens anwenden. Je mehr man die Grundstruktur von Mungers Ideen und Methoden versteht, desto mehr Bedeutung bekommt jede seiner öffentlichen Äußerungen. Indem Sie zum Beispiel lernen, was er unter Weltklugheit und der Psychologie der menschlichen Fehlurteile versteht, können Sie bessere Entscheidungen treffen. Mehr Wissen über Mungers Überlegungen und Methoden wird die Art und Weise, wie Sie über Geldanlage und das Leben denken, für immer verändern. Sie werden bessere Entscheidungen treffen, glücklicher sein und ein zufriedeneres Leben führen.

 

 

 

 

 

1. Einführung in das System für Value-Investing nach Graham

Beginnen wir mit den beiden grundlegenden Fragen: Was ist das System für Value-Investing nach Graham und wer kann davon profitieren?

[Benjamin Graham] wollte ein System schaffen, das jeder nutzen kann.

– CHARLIE MUNGER, UNIVERSITY OF SOUTHERN CALIFORNIA (USC) BUSINESS SCHOOL, 1994

Der entscheidende Punkt an Grahams System ist seine Einfachheit. Zu viele Menschen bringen Komplexität in eine Situation, wo sie gar nicht gebraucht wird. Ein gutes Beispiel dafür ist die alte Geschichte über unnötige Komplexität bei der NASA: In einer frühen Phase des Weltraumprogramms, so heißt es, hätten NASA-Wissenschaftler entdeckt, dass Kugelschreiber in der Schwerelosigkeit nicht funktionieren. Daraufhin investierte die Behörde ein Jahrzehnt Forschungsarbeit und enorme Geldsummen, um einen Stift zu entwickeln, der nicht nur in der Schwerelosigkeit schreibt, sondern auch auf fast jeder Oberfläche, bei extrem niedrigen Temperaturen und in jeder Position des Astronauten. Die Pointe: Die Russen benutzten stattdessen einfach Bleistifte. Dem Value-Investing nach Graham wohnt dieselbe Einfachheit inne wie ein Bleistift.

Munger ist überzeugt davon, dass Benjamin Graham sein System für Value-Investing mit voller Absicht relativ leicht versteh- und umsetzbar gestaltet hat, damit es auch für den Durchschnittsanleger von Wert ist. Value-Investing nach Graham ist nicht die einzige Möglichkeit, um aktiv zu investieren oder zu spekulieren. Beispielsweise unterscheiden sich Risikokapital oder Private Equity deutlich von Value-Investing. Munger aber ist der Ansicht, dass diese alternativen Systeme für aktives Anlegen für gewöhnliche Anleger nicht so gut geeignet sind wie das Value-Investing nach Graham. Auf sogenannte indexbasierte (oder passive) Anlageansätze komme ich weiter unten noch zu sprechen.

Von Warren Buffett stammt, wie in der Einleitung erwähnt, die Aussage, dass Geldanlage einfach, aber nicht leicht sei. Wenn Value-Anleger nach Graham Fehler machen, dann handelt es sich dabei meist um Dinge, die für Menschen schwer zu vermeiden sind. Beispielsweise vergessen sie die inhärente Einfachheit des Systems für Value-Investing nach Graham, halten sich nicht an seine Grundsätze oder machen psychologische oder emotionale Fehler bei der Umsetzung.

Geldanlage hat viel mit Wahrscheinlichkeiten zu tun, also können auch fundamental korrekte Entscheidungen zu schlechten Ergebnissen führen. Manchmal bekommt man ein unerwünschtes Ergebnis, obwohl der eigene Prozess sauber konstruiert und durchgeführt war. Langfristig gesehen aber ist es immer besser, sich auf den richtigen Prozess zu konzentrieren statt auf konkrete, unmittelbare Ergebnisse. Für Munger gilt dabei: Beim Erarbeiten eines erfolgreichen Prozesses für die Geldanlage ist Komplexität kein Freund des Anlegers.

Wir haben eine Leidenschaft dafür, die Dinge einfach zu halten.

– CHARLIE MUNGER, WESCO-HAUPTVERSAMMLUNG 2002

In Peter Bevelins Buch Seeking Wisdom: From Darwin to Munger gibt es eine Passage über die Bedeutung von Einfachheit: »Machen Sie aus komplizierten Problemen einfache. Zerlegen Sie Probleme in ihre Komponenten, aber betrachten Sie sie trotzdem ganzheitlich.«1 Die Dinge so einfach wie möglich zu halten, aber auch nicht zu einfach, ist ein häufiges Thema, wenn sich Munger öffentlich äußert. In einem gemeinsamen Brief an ihre Aktionäre haben Munger und Buffett einmal geschrieben: »Einfachheit hilft dabei, die Performance zu verbessern, weil sie uns in die Lage versetzt, besser zu verstehen, was wir tun.«2

Voraussetzung für bessere Entscheidungen ist laut Munger, dass Anleger sich darauf konzentrieren, eindeutige Fälle und Wetten zu finden, Schwieriges vermeiden und alles Irrelevante weglassen. Indem man »Dummheit ausblendet« und Unwichtiges ignoriert, »damit der Geist davon nicht abgelenkt wird […], ist man besser in der Lage, einige wenige vernünftige Sachen zu verfolgen«, sagt Munger.3 Konzentration begünstige sowohl Einfachheit als auch klares Denken, was seiner Meinung nach zu besseren Ergebnissen bei der Geldanlage führt.

Wenn etwas zu schwierig ist, wenden wir uns etwas anderem zu. Was könnte einfacher sein als das?

– CHARLIE MUNGER, BERKSHIRE-HAUPTVERSAMMLUNG 2006

Wir haben drei Körbe: Eingang, Ausgang und »zu schwierig«. […] Wir brauchen besondere Erkenntnisse über eine bestimmte Sache, oder sie wandert in den »Zu schwierig«-Korb.

– CHARLIE MUNGER, WESCO-HAUPTVERSAMMLUNG 2002

Das System für Value-Investing nach Graham ist darauf ausgelegt, den Anlageprozess von jeglichen Entscheidungen freizuhalten, die dazu führen könnten, dass ein Anleger Fehler macht. Der »Ja«-Korb ist im Vergleich zu den beiden anderen Körben winzig, denn Anlagemöglichkeiten, die ein »Ja« verdienen, präsentieren sich nur ausgesprochen selten.

Nicht jedes Unternehmen lässt sich mit einem Prozess des Graham’schen Value-Investing korrekt bewerten. Für Anhänger des Graham-Systems ist es dann das Natürlichste der Welt, diese Tatsache zur Kenntnis zu nehmen und sich anderen Entscheidungen zuzuwenden. Manche Leute irritiert, dass Value-Anleger nach Graham bereitwillig zugeben, in manchen Fällen nicht zu wissen, wie man ein Unternehmen richtig bewertet. Munger hat dies anhand einer Analogie erläutert:

Konfuzius hat gesagt, wahres Wissen liege darin, das Ausmaß der eigenen Unwissenheit zu kennen. Aristoteles und Sokrates sagen dasselbe. Ist das eine Fähigkeit, die man lehren und lernen kann? Wahrscheinlich ja, wenn vom Ergebnis genügend abhängt. Manche Leute sind außergewöhnlich gut darin, die Grenzen ihres Wissens zu kennen, weil sie gar keine andere Wahl haben. Denken wir an jemanden, der seit 20 Jahren professioneller Seiltänzer ist – und noch lebt. Er hätte nicht 20 Jahre als Seiltänzer überlebt, wenn er nicht genau wüsste, was er weiß und was nicht. Er hat hart daran gearbeitet, denn er weiß, dass er sterben wird, wenn er etwas falsch macht. Die Überlebenden wissen Bescheid.

– CHARLIE MUNGER, INTERVIEW MIT JASON ZWEIG, 2014

Bei Value-Investing nach Graham geht es nicht darum, anzugeben oder mit der eigenen Intelligenz hausieren zu gehen. Stattdessen besteht das Ziel darin, Dinge zu tun, die nur mit geringer Wahrscheinlichkeit zu einem Fehler führen werden.

Erfolgreiche Value-Anleger nach Graham arbeiten außerdem sorgfältig daran, das Abwärtsrisiko jeder ihrer Geldanlagen gering zu halten. Aus diesem Grund leuchtet Grahams Systems am hellsten bei stagnierenden oder fallenden Börsen. Es ist gezielt darauf ausgelegt, in einem Bullenmarkt schlechtere Ergebnisse zu liefern als der Index, was für viele Leute verwirrend ist. Doch die relativ schwache Performance in Bullenmärkten ist ein wesentlicher Bestandteil von Grahams System: Indem man im Bullenmarkt auf einen Teil des Aufwärtspotenzials verzichtet, kann man bessere Ergebnisse erwarten, wenn der Markt stagniert oder fällt. Seth Klarman hat sich dazu in Margin of Safety so geäußert: »Die meisten Anleger sind primär an der Rendite orientiert, also daran, wie viel sie verdienen können, und achten wenig auf das Risiko, also auf das, was sie vielleicht verlieren.«4 Und weiter: »Die Belohnung für eine risikoaverse, langfristige Ausrichtung ist genau das – langfristig.«5

Eine kleine Geschichte kann diesen Punkt weiter veranschaulichen: Eine Anlegerin geht durch einen Park und sieht auf einem Baumstamm am Rand eines Teiches einen Frosch sitzen. Der Frosch schaut sie direkt an und fragt: »Entschuldigen Sie, sind Sie zufällig eine Anlegerin?«

»Ja, das bin ich«, antwortet die Anlegerin, »warum fragst du?«

»Naja«, entgegnet der Frosch, »ich bin Aktienspekulant. Mein bester Kunde war mit meinen Ergebnissen nicht zufrieden, also hat er mich verflucht. Und jetzt bin ich ein Frosch. Der Fluch kann nur gebrochen werden, wenn ich von einer Anlegerin geküsst werde.«

Die Anlegerin greift sofort zu, hebt den Frosch hoch und packt ihn in ihre Handtasche. Dann macht sie sich auf den Weg nach Hause. Der Frosch ist besorgt, vielleicht doch nicht den ersehnten Kuss zu bekommen, und fragt: »Was machen Sie? Wann bekomme ich meinen Kuss?«

»Ich werde dich nie küssen. Als sprechender Frosch bist du für mich viel mehr wert, als wenn du ein Spekulant bist«, antwortet die Anlegerin.

Wenn Sie keine kurzfristige Underperformance zugunsten langfristiger Outperformance akzeptieren können, dann sind Sie kein guter Kandidat für Value-Investing nach Graham. Das ist kein Grund zur Traurigkeit, denn es gibt ja noch andere Systeme für erfolgreiche Geldanlage. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass das Ziel von Value-Anlegern nach Graham darin besteht, eine bessere absolute Performance zu erzielen, nicht nur eine relative. Denn die Früchte von relativer Performance kann man nicht essen, die von tatsächlicher dagegen schon.

Auf konventionelle Weise zu scheitern ist jedenfalls gewiss nicht das Ziel von Value-Anlegern nach Graham. Mungers Ansatz dabei ist, die Methoden der meisten anderen Menschen auf den Kopf zu stellen:

Es ist bemerkenswert, welche langfristigen Vorteile sich Leute wie wir verschaffen konnten, indem sie versuchen, konsistent nicht dumm zu sein statt besonders intelligent. Es muss eine gewisse Wahrheit in dem Sprichwort liegen, dass es immer die besten Schwimmer sind, die ertrinken.

– CHARLIE MUNGER, WESCO-GESCHÄFTSBERICHT 1989

Was ist die Kehrseite, was kann schiefgehen, das ich übersehen habe?

– CHARLIE MUNGER, FORBES, 1969

Mungers Neigung, den üblichen Ansatz zur Lösung eines Problems auf den Kopf zu stellen, ist bei seiner Art der Geldanlage unübersehbar. In seinen Augen wird es Anlegern finanziell schlicht dadurch besser ergehen, dass sie weniger dumm agieren. Aus der Mathematik hat sich Munger die Kernidee geborgt, dass man viele Probleme am besten rückwärts angeht. Indem man zum Beispiel Dummheit vermeidet, kann man häufig mithilfe von Subtraktion herausfinden, was man wirklich will. Wenn man dumme, sinnlose Wege nicht geht, die man im Leben einschlagen könnte, kann man den besten Weg nach vorn finden, selbst wenn man auch dabei unweigerlich mit Risiken, Ungewissheit und Unwissen zu kämpfen hat. Nicht nur weiß man oft viel mehr darüber, was falsch als was richtig ist, eine Widerlegung ist durch eine einzige Beobachtung möglich. Kurz gesagt: In Mungers Augen wird man oft am besten dadurch klug, dass man nicht dumm ist. In einem Gespräch mit Jason Zweig hat er das einmal sehr einfach ausgedrückt: »Zu wissen, was man nicht weiß, ist nützlicher, als brillant zu sein.«

Munger sucht nach Anlagemöglichkeiten, bei denen ein deutlich positives Ergebnis offensichtlich erscheint. Weil sich solche Gelegenheiten nur selten finden lassen, rät er dazu, sehr geduldig zu sein – aber auch sehr bereit, entschlossen zu investieren, wenn die Zeit reif dafür ist. Um es mit einer Baseball-Analogie zu sagen: Munger weiß, dass er nicht jeden Ball zu schlagen versuchen muss. Doch wenn sich eine klare Chance mit großer Gewinnmöglichkeit ergibt, dann ist sein Rat ganz einfach: Steigen Sie im großen Stil ein!

Alle Aktienanleger zusammengenommen haben jedes Jahr eine Performance-Einbuße, die den Kosten für den Croupier entspricht, die zu tragen sie gemeinsam entschieden haben. Dies ist eine unverrückbare Tatsache des Lebens. Ebenso unverrückbar ist, dass genau die Hälfte aller Anleger ein Ergebnis erzielen wird, das unter dem Median-Ergebnis nach Abzug der Croupier-Kosten liegt, und schon dieser Median könnte irgendwo zwischen wenig aufregend und lausig sein.

– CHARLIE MUNGER, PHILANTROPHY, APRIL 1999

Damit erinnert Munger daran, dass Geldanlage nach Abzug von Gebühren und anderen Kosten nicht einmal mehr ein Nullsummenspiel ist, was sich mathematisch nicht bestreiten lässt. John Bogle, Gründer des nicht gewinnorientierten Fondsanbieters Vanguard, ist vielleicht die Person, die am meisten für die Verbreitung dieser einfachen Erkenntnis getan hat. »In vielen Bereichen des Marktes kommt auf jeden Gewinner ein Verlierer, also bekommen die Anleger im Durchschnitt die Rendite des Gesamtmarkts abzüglich der Gebühren«,6 schrieb Bogle. Auch Bruce Greenwald, Professor an der Columbia Business School, Anleger und Autor, hat sich zu diesem Punkt geäußert – wie ich finde, sehr überzeugend:

Nur in Lala-Land kann jeder besser sein als der Marktdurchschnitt. Die durchschnittliche Performance aller Anleger muss der durchschnittlichen Performance aller Anlagemöglichkeiten entsprechen. Relativ zum Markt gesehen, ist das ein Nullsummenspiel. Jede Börsentransaktion hat zwei Seiten. Am besten denkt man daran, dass jedes Mal, wenn man eine Aktie kauft, jemand anders verkauft. […] Also muss man sich stets dieselbe Frage stellen: »Warum bin ich auf der richtigen Seite dieses Geschäfts?«

– BRUCE GREENWALD, INTERVIEW MIT BETTERMENT, 2013

Value-Investing nach Graham würde nicht funktionieren, wenn die Märkte vollkommen effizient wären. Aus diesem Grund ist genau die Unvernunft des Marktes die wichtigste Quelle für die Chancen von Graham’schen Value-Anlegern.

Mungers Meinung darüber, warum Geldanlage schwierig ist, ist ganz einfach:

Die Idee, dass jeder mit Aktien wunderbare Ergebnisse erreichen kann, ist durch und durch verrückt. Niemand glaubt, dass jeder beim Pokern Erfolg haben kann.

– CHARLIE MUNGER, DAILY JOURNAL-HAUPTVERSAMMLUNG 2013

Wenn [Geldanlage] nicht ein wenig schwierig wäre, wäre jeder reich.

– CHARLIE MUNGER, DAMN RIGHT, 2000

Damit ein Wertpapier den falschen Preis hat, muss jemand anders ein verdammter Idiot sein. Das mag schlecht für die Welt sein, aber es ist nicht schlecht für Berkshire.

– CHARLIE MUNGER, WESCO-HAUPTVERSAMMLUNG 2008

Weil der Grad, zu dem Anleger als Kollektiv handeln wie »verdammte Idioten«, im Zeitverlauf variiert, bieten sich klare Gelegenheiten für Anlagegewinne nur sehr unregelmäßig. Erfolgreiche Value-Anleger nach Graham verbringen den Großteil ihrer Zeit mit Lesen und Nachdenken, während sie darauf warten, dass irgendwann wieder die Dummheit zuschlägt, wie es unweigerlich der Fall sein wird. Langfristig sind sie hinsichtlich des Marktes zwar optimistisch, doch sie treffen keine Anlageentscheidungen auf der Grundlage von kurzfristigen Prognosen über Aktien oder Märkte. Wenn Leute von dieser Vorgehensweise hören, fragen sie häufig: »Wollen Sie wirklich sagen, dass Value-Anleger nach Graham warten, bis sie Anlagemöglichkeiten mit falschen Preisen erkennen, statt kurzfristig die Zukunft vorherzusagen?« Die Antwort darauf ist ein entschiedenes Ja. Der Job von Value-Anlegern nach Graham ist, einen falschen Preis zu erkennen, wenn sie ihn sehen. Für viele Menschen ist dieser Ansatz schwer nachvollziehbar. Den Kern dieses Systems bildet die Idee, dass Anleger sich von dem Wunsch befreien müssen, kurzfristige Prognosen über die Zukunft anzustellen. Manche Menschen schaffen das einfach nicht. Klarman hat dazu geschrieben:

Value-Investing scheint ganz einfach zu sein, ist aber für die meisten Anleger trotzdem schwierig zu begreifen oder einzuhalten. Wie Buffett häufig beobachtet hat, ist Value-Investing kein Konzept, das sich mit der Zeit schrittweise lernen und anwenden lässt. Entweder macht man es sich auf einen Schlag zu eigen oder man wird es niemals richtig lernen.

– SETH KLARMAN, MARGIN OF SAFETY, 1991

Wie ich noch näher erläutern werde, sind Value-Anleger nach Graham dann am aktivsten, wenn die anderen Anleger voller Angst sind – was sich daran erkennen lässt, dass manche Vermögenswerte zu unangemessenen Preisen zu haben sind. Ironischerweise sind es gerade die Schwächephasen am Markt, in denen Graham’sche Value-Anleger die besten Chancen für Gewinne finden.

Munger hat dazu erklärt:

Den meisten Leuten, die sich [an Geldanlage] versuchen, ergeht es nicht gut damit. Das Problem dabei ist, dass zwar 90 Prozent keinen Erfolg haben, aber trotzdem alle glauben, sie würden zu den erfolgreichen 10 Prozent gehören.

– CHARLIE MUNGER, WESCO-HAUPTVERSAMMLUNG 2004

Dieser Aspekt der menschlichen Natur kann für Finanzplaner ziemlich problematisch sein. Ist es gefährlich, einem Kunden zu erzählen, dass es möglich ist, den Markt zu schlagen, auch wenn man weiß, dass die Wahrscheinlichkeit dafür bei diesem Kunden gering ist? Es mag nicht an und für sich gefährlich sein, doch mit Sicherheit bedeutet es erhebliche Risiken. Die folgende Aussage ist allgemein gehalten, aber doch ein hervorragender Ratschlag zur Geldanlage und in den meisten Fällen korrekt:

Es ist für Anleger nicht möglich, konsistent besser abzuschneiden als der Marktdurchschnitt. Aus diesem Grund sind Sie am besten beraten, wenn Sie in ein diversifiziertes Portfolio aus Indexfonds [oder börsengehandelten Fonds] mit niedrigen Gebühren investieren.

Zwar ist dieser Rat wie erwähnt meistens passend, doch auf Menschen wie Charlie Munger, Warren Buffett, Seth Klarman, Howard Marks, Bill Ruane und andere Value-Anleger nach Graham dürfte er eher nicht zutreffen. »Den besten 3 oder 4 Prozent in der Welt des Anlagemanagements wird es gut gehen«,7 hat Munger einmal gesagt. Dass er selbst den Markt schlagen konnte, muss nicht heißen, dass auch Sie das schaffen können – aber es beweist, dass es zumindest manchen Menschen möglich ist. Munger hat über das System für Value-Investing nach Graham einmal Folgendes gesagt: