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Lissa Seebauer

Jamie

Der Weg zurück


Überarbeitete und korrigierte Neuauflage 2013


BookRix GmbH & Co. KG
80331 München

Jamie – Der Weg zurück

 

 

Jamies neue Freunde

 

"Mami, Mami, ich muss gleich wieder weg!"

"Jamie, was soll das heißen. Du bleibst hier! Erst wird gegessen, dann machst du dich an deine Hausaufgaben. Dann kannst du...“

"Mami, wir haben doch ab heute Ferien und wir müssen doch sehen, was der Bagger auf der Wiese drüben macht. Bitte, bitte, bitte, lass mich gehen!"

Frau McBoner schüttelte belustigt den Kopf. Dieses Kind hatte ein Temperament für drei. Kaum hatte Jamie das Lächeln ihrer Mutter bemerkt, machte sie auch schon kehrt und war verschwunden. Flink wie ein Wiesel rannte sie die Stufen hinunter, hinaus in die warme Sonne.

Nachdenklich blickte Frau McBoner ihrer Tochter nach. Wer das Mädchen nicht kannte, glaubte einen Buben vor sich zu haben. Die feuerroten langen Zöpfe hatte Jamie unter einer Baseball Mütze versteckt, da sie es leid war, von den Jungs gehänselt zu werden. Auf dem blauen T-Shirt war ihr Lieblingsmotorradfahrer abgebildet und die dunkle Jeans, die hauteng ihre langen Beine umschloss, vertiefte noch den Eindruck, dass es sich bei diesem hoch aufgeschossenen Wesen, um einen Jungen handelte.

Jamie, hatte die wenig befahrene Straße überquert und blieb unschlüssig am Rand eines großen Feldes stehen. Jetzt erst bemerkte sie die vielen kleinen roten Pfosten, die in den Boden gesteckt worden waren. Drei Bagger hoben an verschiedenen Stellen die Erde aus. Sie beobachtete interessiert wie das Loch vor ihr immer größer wurde.

"He, Karottenkopf, hast du noch nie einen Bagger gesehen?“ Jamie war so vertieft in den Anblick, dass sie die drei sich nähernden Jungs nicht bemerkt hatte und erschrocken zusammenfuhr, als sie angesprochen wurde. Wütend drehte sie sich zu dem Sprecher um: "Ach du bist`s, Fredymaus. Kann mich nur einer so blöd anquatschen.“

"Du bist für dein Alter viel zu frech, Mädchen.“

"Und du bist für dein Alter viel zu blöd.“

Karl schlug sich vor Begeisterung auf die Schenkel: "Mann oh Mann. Dieses Biest bleibt dir wirklich keine Antwort schuldig Fredy.“

"Ja, ich sollte ihr wieder einmal Manieren beibringen.“

"Lasst Jamie doch in Ruhe“, mischte sich Günther ein, doch das Mädchen funkelte nun ihn an: "Ich brauche deine Hilfe nicht, ich werde mit dieser Maus selber fertig.“ Diese Beleidigung konnte Fredy nicht auf sich sitzen lassen. Er hob die Hand, um Jamie eine Ohrfeige zu geben, doch damit hatte sie gerechnet. Ehe der Junge sich versah, lag er auf dem Boden und das Mädchen saß triumphierend auf seiner Brust.

Schon war die schönste Balgerei im Gange. Fredy war mit seinen 12 Jahren fast einen Kopf größer und auch stärker als Jamie. Er hätte sie mit Leichtigkeit besiegen können, doch das würde sie ihm nie verzeihen. Er ächzte und stöhnte, als müsse er sich mit aller Kraft des kleinen Raufbolds erwehren. Karl feuerte Fredy an, während Günther sich auf die Seite des Mädchens schlug. Begeistert schrien sie lauthals auf die Kämpfenden ein.

Lukas, hörte das Geschrei und schaute in die Richtung, aus der der Lärm kam. Er sah zwei sich am Boden wälzende Gestalten und zwei Halbwüchsige, die die Kämpfenden anzufeuern schienen.

"Das geht zu weit“, brummte er und legte den Plan, an dem er gerade arbeitete, zur Seite. Mit schnellen Schritten erreichte er die kleine Gruppe, beugte sich hinab und riss den Jungen, der gerade auf den am Boden liegenden einschlug, zurück.

"Seid ihr von allen guten Geistern verlassen? Hört sofort auf, euch zu prügeln!"

"He, was soll das“, rief Jamie, als sie sich unsanft in die Höhe gehoben fühlte. Sie ruderte wild mit Armen und Beinen. Die Kappe flog von ihrem Kopf und Lukas starrte überrascht auf zwei rote lange Zöpfe. Vorsichtig stellte er den vermeintlichen Jungen auf den Boden. Das Mädchen drehte sich um und blitzte die hinter ihr Stehenden mit grünen zornig funkelnden Augen an: "Wer war das? Wer hat mich um meinen Sieg gebracht?“

"Das war ich.“ Erstaunt hob sie den Kopf und blickte zu dem dunkelhaarigen Mann auf: "Wer sind denn Sie?“

Lukas grinste. Dieses Mädchen war ja ein Teufelchen. Legte sich gleich mit drei Jungen an.

"Ich hoffe du verzeihst mir, dass ich dich um deinen Sieg gebracht habe. Ich wusste ja nicht, dass du...“

"Ich werde mir schon eine Strafe für Sie überlegen.“

Er lachte belustigt auf: "Nun vielleicht kann ich es mit einem Eis wieder gutmachen?“

"Ein Eis? Wir sind aber vier!"

"Hm..., na ja, dann eben vier Eis. Ich heiße übrigens Lukas.“

"Ich bin Jamie und das sind meine Freunde Günther, Karl und Fredy.“

"Na dann kommt. Mein Wohnwagen steht da drüben. Ich bin sicher, Emmely hat Eis für uns alle.“

"Wer ist Emmely?“

"Meine Frau.“

"Aha! Und bleibt ihr für immer hier?“

"Jetzt noch nicht. Erst wenn das Haus fertig ist, dann ziehen wir ein.“

"Ich wohne gleich dort drüben. Dann werden wir ja Nachbarn.“

"Und deine Freunde?“

"Ach die, die wohnen alle drei in der Ortschaft. Sie kommen nur, wenn sie mich ärgern wollen.“

"Jamie, du bist gemein. Das stimmt nicht“, mischte sich Günther ein. Das Mädchen grinste verschwörerisch zu Lukas auf, schwieg aber, was Karl veranlasste, eilig hinzuzufügen: "Sie dürfen Jamie nicht alles glauben. Sie lügt, wenn sie den Mund aufmacht.“

"Das zahle ich dir heim“, rief sie aufgebracht und puffte den Jungen in die Seite. "Na, dann kommt mit mir, bevor euch diese streitsüchtige kleine Lady ums Leben bringt“, grinste Lukas, "wäre doch schade um das schöne Eis.“

Das ließen sich die Vier nicht zweimal sagen. Eilig folgten sie dem dunkelhaarigen Mann, der mit langen Schritten auf einen Wohnwagen zusteuerte. "Nanu, was bringst du denn da für eine kriegerische Gesellschaft?“

"Drei nette Jungen und ein kampflustiges Burgfräulein“, lachte Lukas und machte Emmely mit der Rasselbande bekannt.

Kurze Zeit später saßen sie vor dem Wohnwagen in einträglicher Stille beisammen. Jeder war hingebungsvoll mit seinem Eis beschäftigt. Als erste legte Jamie den Löffel aus der Hand: "Das hat gut geschmeckt. Vielen Dank nochmals Frau...äh...“

"Nenne mich doch Emmely. Wie ich höre, sind wir doch bald Nachbarn.“

"Dann musst du aber auch Jamie zu mir sagen.“

"Gut Jamie. Sag mal... weißt du hier in der Nähe eine nette kleine Pension?“

"Hm, da frage ich meine Mami. Die weiß alles.“

Günther, Karl und Fredy bedankten sich ebenfalls für das Eis und verabschiedeten sich. Sie hatten einen weiteren Heimweg als das Mädchen und ihre Eltern bestanden auf Pünktlichkeit, ansonsten gab es Hausarrest. Fredy drehte sich noch einmal um und rief: "Tschüss Karottenkopf!“

Jamie schüttelte drohend die kleine Faust, lachte aber dann doch, als die beiden Jungen ihren Freund in die Mitte nahmen und eilig mit sich zerrten, so als hätten sie Angst, dass ihnen das Mädchen folgen würde. Emmely schaute ihnen ebenfalls nach: "Ihr versteht euch wohl sehr gut?“

"Oh ja, sie sind meine Freunde und sie sind alle schon viel älter als ich. Wenn mir ein anderer Junge frech kommt, beschützen sie mich.“

"Dich beschützen“, rief Lukas in komischer Verzweiflung aus, "du lieber Himmel. Ich wollte die Buben schon vor dir in Sicherheit bringen. Wie alt sind denn deine Freunde?“  Beleidigt rümpfte sie das kleine Näschen. Doch als sie sah, dass sich Emmely fast verzweifelt auf die Lippen biss, um nicht vor Heiterkeit zu lachen, quietschte sie vor Vergnügen los und Lukas und seine Frau fielen in ihr Lachen ein.

Frau McBoner schaute aus dem Fenster. Sie kannte das helle Lachen ihrer Tochter. Allerdings wunderte sie sich darüber, dass sich das Mädchen mit Fremden so herzlich unterhielt. Das war sonst nicht ihre Art.

"Fredy ist schon zwölf, Günther und Karly erst elf. Jetzt muss ich aber nach Hause. Morgen komme ich und sage euch Bescheid, wo es eine gute Pension gibt.“

Lukas und Emmely sahen dem Mädchen nach, bis es im gegenüberliegenden Haus verschwand.

"Ist das ein süßer Fratz“, schmunzelte Lukas und drückte seine junge Frau an sich, "so eine Tochter möchte ich ganz gerne haben.“

"Wolltest du nicht erst einen Sohn?“

"Ja, aber das Zweite könnte doch…“

"Lukas, erst brauchen wir ein Haus, dann richten wir uns ein und dann...“

"Ist ja gut mein Liebling“, lachte er und küsste sie zärtlich, "weißt du welch wunderbares Leben uns hier erwartet?“

"Hoffentlich wird es auch so wunderbar, wie du es dir immer ausmalst.“

"Emmely! Du sollst nicht so pessimistisch in die Zukunft schauen. Du wirst sehen, das rothaarige Mädchen bringt uns Glück.“ Liebevoll fuhr sie ihm mit der Hand durch die dunklen Haare: "Lukas mein Lieber, du bist und bleibst ein Träumer.“

"Aber ein Glücklicher“, flüsterte er ihr ins Ohr und grinste spitzbübisch.

Die nächsten Tage sah Frau McBoner ihre Tochter nur noch am Frühstückstisch. "Jamie, wo treibst du dich nur den ganzen Tag herum. Du kommst weder zum Mittagessen, noch hast du abends Hunger. Dein Vater und ich machen uns ernsthaft Sorgen um dich.“

"Mami, ich muss doch Emmely und Lukas alles von unserer Umgebung zeigen. Sie sind doch noch fremd hier. Wenn ihr Haus fertig ist und sie einziehen, müssen sie doch genau wissen, wo der Kramer, der Metzger und das Rathaus ist.“

"Kind, du kannst den Leuten doch nicht den lieben langen Tag im Weg stehen. Sicher sind sie zu höflich, um dir zu sagen, dass du sie in Ruhe lassen sollst. Heute bleibst du zu Hause und ich will keine Widerrede hören.“

Jamies Augen füllten sich mit Tränen: "Aber Mami, das sind doch meine Freunde ...und ...und sie brauchen mich doch...“

"Jamie, nein!“

Jetzt flossen die Tränen reichlich und Frau McBoner schüttelte über diesen Gefühlsausbruch verwundert den Kopf. Was hatten diese Leute nur mit dem Mädchen gemacht, dass sie so vernarrt in sie war? Sie überlegte eine Weile, dann kam ihr die rettende Idee: "Hör mal Jamie, ich mache dir einen Vorschlag. Sag den beiden, sie sollen heute Abend zum Essen zu uns kommen. Ich möchte sie doch gerne kennen ler…“

Mit einem Jubelschrei fiel sie ihrer Mutter um den Hals: "Oh Mami, ich liebe dich, ach ich bin ja so glücklich!“

Dann saß Frau McBoner alleine am Frühstückstisch. Dieser kleine Racker. Schnell wie der Blitz hatte sie sich aus dem Staub gemacht. Sie erhob sich und schaute aus dem Fenster, ob sie ihre Tochter sehen konnte, aber das Mädchen hatte bereits den Wohnwagen erreicht und war darin verschwunden. "Guten Morgen ich hoffe ich störe euch nicht?“

"Hallo Jamie guten Morgen! Warum solltest du uns stören? Lukas ist schon seit einer Stunde weg. Ich habe schon auf dich gewartet. Nanu hast du geweint?“ Beschämt senkte das Mädchen den Kopf und schwieg. Emmely legte eine Hand unter das Kinn der Kleinen und hob ihr Gesichtchen an. Sie lachte die junge Frau an, doch die vom weinen geröteten Augen verrieten sie.

"Was ist los? Sag mir was dich bedrückt Jamie.“

"Ach, es ist nur so..., meine Mami wollte mir heute nicht erlauben zu euch zu kommen.“

"Und warum nicht?“

"Sie ist der Meinung, ...ich gehe euch auf die Nerven, störe euch bei der Arbeit und stehe euch im Weg.“

"Bist du abgehauen?“

"Nein, meine Mami bekam Mitleid mit mir und sagte ich dürfte nur zu euch, wenn ich euch beide heute Abend zum Essen mitbringe.“

"Hallo, meine kleine Feuerprinzessin, wie geht es dir?“

"Guten Morgen Lukas, jetzt geht es mir sehr gut.“

Emmely lachte: "Frau McBoner Mutter hat uns zum Essen eingeladen.“

"Das können wir nicht annehmen.“ Jamies Augen weiteten sich vor Scheck und Lukas fiel auf, wie sich ihre blauen Augen ins grünliche färbten.

"Lukas, das kannst du mir nicht antun. Wenn ich euch heute nicht mitbringe, darf ich nicht mehr kommen.“

"Ja wenn das so ist" überlegte Lukas und fuhr sich mit der Hand durch die dunklen Locken, "na dann..., können wir die Einladung wohl nicht ausschlagen, was meinst du Emmely?“

Zum zweiten Mal an diesem Morgen musste einer Jamies Schrei und stürmische Umarmung über sich ergehen lassen. Lukas drückte das Mädchen liebevoll an sich: "Ich kann dir einfach keinen Wunsch abschlagen, was hast du mit mir nur angestellt du kleine Feuerprinzessin. Leider muss ich euch jetzt wieder alleine lassen. Mein neuer Chef möchte mich sehen. Seid brav und verprügelt mir keine Jungs.“

"Ich werde mich hüten", lachte Emmely und warf Lukas eine Kusshand zu. "Komm Jamie, wir besichtigen die Pension von der du mir erzählt hast.“

"Das ist eine gute Idee. Siehst du, du brauchst mich doch ganz dringend, nicht wahr?“

"Ganz dringend sogar", bekräftigte Emmely ernsthaft und drückte das Mädchen an sich.  Glücklich, dass sie gebraucht wurde, verließ sie mit der jungen Frau den Wohnwagen und fröhlich plaudernd marschierten sie in Richtung Dorf.

Der Tag verflog wie immer viel zu schnell für Jamie. Emmely begleitete das Mädchen bis vor die Haustüre.

"Siehst du hier wohne ich. Bei McBoner müsst ihr klingeln, das sind mein Papa und meine Mami.“

"McBoner? Das ist aber kein deutscher Name?“

"Nein mein Papa kommt aus Irland. Er hat genau so rote Haare wie ich und ist der beste Papa der Welt.“

"Das freut mich aber. Schau mal Lukas winkt. Ich muss gehen. Wir kommen so gegen sieben. Ich hoffe die Zeit ist deinen Eltern Recht. Wenn nicht, musst du mir noch Bescheid sagen, machst du das?“

"Alles klar, das mache ich“, rief sie Emmely zu und ließ die Türe hinter sich mit einem lauten Knall zufallen.

Pünktlich um sieben läutete es und Jamie sprang aufgeregt in die Höhe: "Das sind sie. Mami darf ich öffnen?“
Herr McBoner schüttelte den Kopf: "Verrücktes Mädchen kannst du nicht warten?“

"Komm, wir gehen beide beschwichtigte ihre Mutter sie.“ Frau McBoner schaute angenehm überrascht auf das junge Paar. Sie waren ihr sofort sympathisch. Lukas dunkle Augen blitzten und mit einem gewinnenden Lächeln überreichte er der Frau des Hauses einen wunderschönen Strauß gelber und orangefarbener Rosen. Emmely überreichte Herrn McBoner eine Flasche echten irischen Whisky, die dieser sichtlich gerührt entgegen nahm.

Frau McBoner lachte: "Damit haben Sie sich meinen Mann zum ewigen Freund gemacht. Nichts liebt er mehr als Whisky aus seiner Heimat.“ Der Abend verlief harmonisch und Jamie war überglücklich, als ihr Vater Dominik Lukas und Emmely das "Du" anbot. An diesem Abend wurde eine Freundschaft für viele Jahre geschlossen.

 

 

 

Vier Jahre später!

 

Zufrieden streckte sich Lukas auf dem Sofa aus: "Ah was für eine Wohltat. Ich bin so zufrieden und glücklich wie ich es noch nie war. Unser schönes Haus, meine süße kleine Emmely, die Arbeit macht mir Freude und mit den McBoner als Freunde ist alles komplett. Ich sagte dir doch schon vor Jahren, dass uns die kleine Feuerprinzessin Glück bringt.“

"Klein? Sie ist jetzt schon bald größer als ich" lachte seine Frau und strich ihm eine widerspenstige Locke aus der Stirn. Er fing ihre Hand ein und drückte sie an seine Lippen. "Weißt du eigentlich, wie sehr ich dich lie...?“

Heftiges klingeln unterbrach ihn: "Wer kommt denn jetzt noch zu uns? Es ist bereits acht Uhr.“ Kopfschüttelnd verließ er den gemütlichen Wohnraum und öffnete die Türe. Jamie stand zitternd und bleich vor ihm. "Jamie was ist passiert?“

Mit einem Wehlaut warf sie sich in seine Arme und wildes Schluchzen ließ den mageren Körper erbeben.

Emmely schaute verwundert auf die Szene. Lukas drückte das Mädchen an sich und strich mit einer Hand beruhigend über ihren Kopf: "Kleines, was hast du denn. Was ist denn los mit dir?“ Jamie hob das von tränenüberströmten Gesichtchen. Lukas konnte kaum verstehen als sie stockend vorbrachte: "Mein Papa, mein Papa ist... ist...tot.“

Dann barg sie ihren Kopf an seiner Brust und weinte herzzerreißend. Er hob die leichte Gestalt hoch, trug sie ins Wohnzimmer und setzte sich mit ihr auf die Couch. Jamie klammerte sich an ihm fest und es blieb ihm nichts anderes übrig, als das weinende Mädchen im Arm zu halten und zu versuchen es zu trösten so gut es ging.

Emmely stand entsetzt an der Tür: "Lukas ich gehe zu Elsa. Ich glaube sie braucht auch jemanden der sie jetzt tröstet.“

"Ja tu das meine Liebe.“

Jamies Schmerz erschütterte Lukas mehr als er sich eingestehen wollte. Warum musste ausgerechnet seiner kleinen Feuerprinzessin ein so großes Unglück widerfahren? Es dauert lange bis sich der zuckende Körper des Mädchens ein wenig beruhigte. Müde und erschöpft schlief sie in den Armen des Mannes ein. Jetzt erst legte er sie vorsichtig, um sie nicht zu wecken auf das Sofa und deckte sie fürsorglich zu. Als er das Öffnen der Türe vernahm, stand er auf um seiner Frau entgegen zu gehen. Emmely hatte Elsa mitgebracht. Ihr sonst immer fröhliches Gesicht hatte jede Farbe verloren und mit verweinten Augen sah sie ihn an: "Ich danke euch. Es ist mir ein großer Trost, dass ihr euch so um Jamie kümmert. Ihr wisst ja, dass ihr Vater alles für sie war.“

"Lukas, ich habe Elsa angeboten, bis Montag bei uns zu bleiben. Es ist besser, wenn beide aus ihrer gewohnten Umgebung weg sind.“

"Du hast Recht Liebes. Das Mädchen liegt im Wohnzimmer und schläft. Elsa, ich trage sie ins Gästezimmer. Du weißt ja, wo es ist.“

Elsa nickte. Sie kannte sich in dem Haus aus, hatte sie doch Emmely des Öfteren beim sauber machen geholfen. Sie war den beiden unendlich dankbar. In ihren eigenen vier Wänden hätte sie es nicht mehr ausgehalten. Sie wusste, es konnte sehr lange dauern, bis ihre Tochter den größten Schmerz überwinden würde. Das Mädchen hatte nicht geahnt, dass ihre Mutter schon lange mit dieser Tragödie gerechnet hatte. Dominik sollte sich längst einer Herzoperation unterziehen, doch beständig hatte er sich geweigert. Sein Hausarzt hatte ihm immer und immer wieder gesagt: "Dominik wenn du nicht bald ins Krankenhaus gehst, wirst du nicht alt.“

"Du bist ein Schwarzseher Ernst. Ich werde Hundert Jahre "lachte er und wischte die ernsten Ratschläge zur Seite.

Jetzt war das eingetreten, vor dem sich Elsa gefürchtet hatte. Dominik kam abends müde nach Hause und murmelte: "Ich muss mich ein wenig niederlegen. Bin heute so schlapp und schwindlig.“ Alarmiert fuhr seine Frau in die Höhe: "Ich rufe sofort Ernst an!“

"Das brauchst du nicht meine Liebe. Es geht mir gleich wieder besser.“

Das waren die letzten Worte, die Elsa mit ihrem Mann wechselte. Als sie die Küche wieder betrat, lag Dominik auf der Couch und schlief.

"Liebling der Arzt ist gleich hier" flüsterte sie und legte ihre Hand auf seine Stirn. Dominik reagierte nicht. Mit einem Wehlaut sank sie auf die Knie.

Erst das wiederholte schrille Läuten der Türklingel brachte sie in die grausame Wirklichkeit zurück.

"Mami ich geh schon öffnen", hörte sie Jamies helle Stimme, dann betrat auch schon Ernst ihr langjähriger Arzt undFreund den Raum. Mit zwei Schritten stand er vor der leblosen Gestalt und beugte sich über ihn.

Jamie stand mit großen Augen in der Türe. Verständnislos beobachtete sie die vergeblichen Bemühungen des Arztes. "Mama was ist mit Papa?“ Ihre Mutter drehte sich zu ihr um und als sie das Tränenüberströmte Gesicht sah, wusste das Mädchen, dass etwas sehr schlimmes geschehen war.

 

Jamies Hoffnung

 

Es war Anfang November. Der Wind pfiff um das Haus. Jamie saß bei Emmely in der kleinen Wohnküche. Sie war blass und noch dünner geworden. Acht Wochen war ihr geliebter Papa nun schon tot und sie konnte es immer noch nicht glauben.

"Jamie du musst mehr essen. Sogar deine Jeans schlottern an dir.“

"Danke ich bin satt. Emmely du wolltest mir doch etwas erzählen?“

"Ach ja richtig. In sechs Monaten werden wir ein Baby haben.“

Die Augen des Mädchens leuchteten auf: "Oh Emmely ist das wahr?“

Die junge Frau nickte: "Es stimmt und ich hoffe, du passt hin und wieder auf das Baby auf.“

"Darf ich das?“

"Ja aber nicht wenn du immer dünner wirst.“

"Ich werde essen" versprach Jamie mit leuchtenden Augen und zum ersten Mal, seit dem überraschenden Tod ihres Vaters lächelte sie wieder.

"Weiß es Lukas schon?“

"Ja. Er ist ganz aus dem Häuschen und würde mich am liebsten in Watte packen" lachte Emmely mit glücklichen Augen.

"Du musst dich ab jetzt ganz viel schonen. Ich werde für dich einkaufen gehen und das Haus sauber halten" meinte Jamie eifrig. Emmely schüttelte den Kopf: "Das wirst du nicht. Du musst in die Schule und lernen. Denk an deine letzte Geoschularbeit.“ Zerknirscht senkte das Mädchen den Kopf: "Du weißt doch dass ich Geo nicht ausstehen kann.“

"Trotzdem musst du auch das lernen. Außerdem hat mir Elsa bereits ihre Hilfe angeboten. Deine Mutter braucht eine Beschäftigung und mir ist sehr viel damit geholfen.“

"Weißt du schon wann das Baby auf die Welt kommt?“

"Ja Anfang Mai.“

"Vielleicht kommt es am siebten Mai. Da habe ich Geburtstag.“

"Mal sehen" meinte Emmely schmunzelnd.

Weihnachten feierte Jamie mit ihrer Mutter bei den Valldoras. Es war ein ruhiges, besinnliches Fest. Jamies Lippen zuckten verdächtig als sie an ihren Vater dachte, der nicht mehr dabei war. Emmely, die ahnte was in dem Mädchen vorging, legte einen Arm um die schmalen Schultern und erzählte ihr von dem Baby, das sich bereits durch feste Tritte bemerkbar machte.

"Ist das wirklich wahr?“

Die junge Frau nickte: "Leg deine Hand hierher und du fühlst es.“ Jamie legte vorsichtig eine Hand auf den gewölbten Bauch und als sie einen leichten Stoß verspürte, schrie sie vor Begeisterung auf: "Mami, Lukas ich hab's gespürt. Ich hab's gespürt. Du lieber Himmel warum dauert es denn noch so lange bis das Baby da ist. Ich kann es kaum mehr erwarten.“

 

 Das Baby

 

Das Land erstarrte unter der Härte des Winters und erst als die wärmenden Strahlen der März Sonne schienen, atmete Jamie auf. Ihr ganzes Denken und Fühlen war auf Emmely und das zu erwartende Baby gerichtet.

Wieder einmal hatte sie Hausarrest aufgebrummt bekommen. "Jamie ich bin sehr böse mit dir. Schau dir diese Noten an. Eine ist schlechter als die andere.“

"Mami! Ich bessere mich, bestimmt. Aber heute muss ich...“

"Du musst nichts. Du bleibst hier und lernst. Jetzt reicht es.“ Ärgerlich verließ Elsa McBoner die Wohnung und Jamie blieb nichts anderes übrig als sich über ihre Bücher zu beugen. "Blöde Schule" brummelte sie und machte sich an die Arbeit.

Dann war es soweit, Emmely musste in die Klinik. Jamie war auf dem Weg zur Schule, als Lukas Wagen an ihr vorbei fuhr. Sie erkannte Emmely auf dem Beifahrersitz und winkte.  "He seht ihr mich nicht? Na so etwas!“ rief das Mädchen erbost und blickte dem Auto nach, das mit quietschenden Reifen in die Hauptstraße einbog.

"Wo fahren die hin? Doch nicht etwa...“ Jamie schlug sich an die Stirn "natürlich, Lukas fährt ins Krankenhaus. Das Baby kommt, das Baby kommt.“ Jubelnd sang sie die drei Worte immer wieder vor sich hin und auch im Unterricht, konnte sie an nichts anderes denken.

"Jamie wenn du dich nicht am Unterricht beteiligst, bleibst du nach der Schule noch eine Stunde hier" rief Herr Stiller der Lehrer ärgerlich aus. Jamie sprang vom Stuhl hoch: "Herr Stiller das geht heute nicht, wir bekommen ein Kind, das heißt Emmely...“ Der ältere Mann schaute das aufgeregte Mädchen an, dann lachte er plötzlich: "Ach du meinst doch sicher Frau Valldora eure nette Nachbarin? Einen Augenblick dachte ich doch tatsächlich deine Mutter...“

Jamie nickte und vor Aufregung drehte sie ihr Heft zu einem unansehnlichen Strick zusammen.  Herr Stiller wusste von der engen Freundschaft der beiden Familien und wie sehr sich die Valldoras um die beiden Frauen nach dem Tod von Herrn McBoner gekümmert hatten. "Dann will ich dir ausnahmsweise deine Strafe erlassen. Versuch dich wenigstens die letzte halbe Stunde noch auf dieses Thema zu konzentrieren.“

"Danke Herr Stiller. Ich werde mich bemühen" gab sie erleichtert zur Antwort und setzte sich. In Gedanken betete sie, dass die Zeit ganz schnell vorübergehen sollte und sie nach Hause gehen konnte.

Sie war auch die erste Schülerin, die mit fliegenden Haaren das Schulgebäude verließ und ihre Mutter schaute erstaunt auf die Uhr, als Jamie in die Küche stürmte: "Mama wie geht es Emmely? Ist das Baby schon da? Wann kommt sie nach Hause? Darf ich es auf den Arm nehmen?“

"Halt Stopp! Hol bitte Luft, dass ich auch was sagen kann.“

"Also gut! Hast du das Baby schon gesehen?“

"Jamie. So schnell geht das nicht. Lukas hat Emmely doch erst heute Morgen in die Klinik gefahren. Woher weißt du überhaupt davon?“

"Sie sind an mir vorbeigefahren und da dachte ich...“

"Beruhige dich. Lukas ruft sofort bei uns an. Außerdem erwarte ich ihn zum Essen.“

"Essen? Glaubst du er kann etwas essen wenn Emmely kämpft?“ Elsa lachte: "Kind deine Ausdrücke sind unmöglich. Natürlich kommt Lukas erst, wenn das Baby da ist.“

"Vielleicht wartet sie noch bis morgen, da ist der siebte Mai, mein Geburtstag, dann könnte ich immer mit dem Mädchen oder dem Jungen feiern. Das wäre toll.“

Doch so lange konnte Emmely nicht mehr warten. Gegen 14 Uhr schenkte sie einem gesunden Buben das Leben.  Er wurde auf den Namen Thomas getauft. Das Glück der Valldoras war vollkommen und Jamie..., sie gebärdete sich als sei es ihr Kind. Sie strahlte vor Freude, wenn Emmely ihr erlaubte das Baby zu wickeln, zu baden oder zu füttern. Des Öfteren meinte die junge Mutter: "Lukas manchmal glaube ich das Jamie das Kind bekommen hat und nicht ich.“

Nachdenklich beobachtete er das rothaarige Mädchen, das mit dem Jungen im Garten auf einer Decke lag: "Ja sie hängt mit einer Liebe an Timmy, die mir manchmal fast übertrieben vorkommt.“

"Auf alle Fälle ist der Junge bei ihr in den besten Händen. Ach übrigens, auf dem Tisch liegt deine Post. Ich glaube ein Brief von Wallery ist dabei.“

"Von meiner Schwester? Sie hat lange nichts von sich hören lassen. Seit unserer Hochzeit habe ich sie nicht mehr gesehen und das ist fast sechs Jahre her.“

Lukas überflog die eng beschriebenen Seiten und seine Miene wurde immer ärgerlicher, je länger er las. "Was schreibt sie denn? Du schaust nicht gerade zufrieden aus.“

"Sie lernte einen Amerikaner kennen und hat ihn geheiratet.“

"Das ist nun mal der Lauf der Dinge mein Liebling.“

"Ich habe nichts dagegen dass sie heiratet. Aber sie kennt den Mann erst zwei Wochen. Weiß nicht woher er kommt, womit er sich sein Geld verdient und was sie in Amerika erwartet. Ich wäre nicht glücklich wenn meine einzige Schwester in ihr Unglück rennt.“

"Ich glaube kaum, dass sie sich von dir noch Vorschriften machen lässt. Schließlich ist sie volljährig.“

"Sie ist gerade achtzehn geworden, verdammt noch mal und ich bin ihr Vormund. Sie hätte mich zum mindesten fragen können bevor sie einfach heiratet.“

"Lukas ich war auch nicht älter als ich dich geheiratet habe und du warst neunzehn.“

"Knapp Zwanzig.“

Emmely lachte laut auf: "Du bist nur eifersüchtig auf den Mann, der dir deine Schwester genommen hat. Hoffentlich reagierst du bei Jamie nicht auch einmal so. Ich finde, du benimmst dich manchmal so, als wäre sie ebenfalls deine Schwester.“

Lukas zog seine Frau schmunzelnd auf den Schoß: "Du bist eine gute Beobachterin und du hast Recht. Irgendwie fühle ich mich für sie verantwortlich, seit sie ihren Vater verloren hat. Wenn ich unsere Feuerprinzessin so ansehe merke ich, dass sie langsam erwachsen wird. Wenn sie achtzehn ist, wird sie eine Schönheit sein.“

"Wenn mir einmal etwas zustoßen sollte, kannst du sie ja heiraten. Dann hast du sie immer bei dir. Außerdem liebt sie Timmy und dich noch viel mehr.“

"Emmely, lasse den Blödsinn! Mit so etwas spaßt man nicht. Du bist meine große Liebe, das weißt du doch. Ich könnte keine andere Frau lieben und unseren Rotschopf schon gar nicht, sie ist doch noch ein Kind.“

"Du widersprichst dich. Eben sagtest du, dass sie langsam erwachsen wird.“

"Jetzt hör aber auf. Du bist doch auf Jamie nicht etwa eifersüchtig?“

"Nein natürlich nicht. Ich liebe das Mädchen, als wäre sie meine kleine Schwester.“

"Na also und jetzt wirst du mir sofort beweisen wie sehr du mich liebst“, schmunzelte Lukas und zog sie hinter sich her, die Treppe nach oben in das gemeinsame Schlafzimmer.