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Für alle, die mit mir auf dem Weg sind

Kapitel 1

Philannsophie: WG, Klappe, die zwanzigste. Langsam nehme ich es persönlich, Berlin!

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Antwort von T. Tus: Klappt schon, Schatz. Du schaffst das.

In der Stadt verliert und findet jeder etwas. Einen Liebhaber, einen Ring, Hoffnung, die eigene Vergangenheit oder Zukunft, ein Stückchen von sich selbst. Und da jeder um dich herum ebenfalls etwas verloren und gefunden hat, fällt nicht auf, wie viele Löcher deine Wangen zieren und wie viele Koffer du mit dir herumschleppst. Hier gehst du unter und tauchst zugleich auf, in einem Meer aus Menschen, deren halber Herzlappen heraushängt oder die ein Schneckenhaus aus verbeulten Pfandflaschen und Träumen durch den Dreck ziehen.

Sabine hatte hier ihren Kleinstadtcharme verloren, ihren Babyspeck und ihre Zahnspange. Im Gegenzug fand sie Alkohol und Drogen, Punkrock und 3587 Twitter-Follower. Während ich mir gerade ein Käsebrot schmierte, mehr aus Gewohnheit als aus Hunger, torkelte sie durch die Küche und landete auf dem schmuddelig-grauen Sofa am Fenster.

»Wo willst du so früh schon hin?«, fragte sie und suchte auf dem Tisch zwischen den vollen Aschenbechern, leeren Bierflaschen und fettigen Pizzaresten von vorvorgestern nach einer Kippe.

»Es ist gleich elf, Sabine.«

»Zaza«, korrigierte sie mich, ohne hochzublicken.

»Es ist gleich elf, Zaza. WG-Besichtigung ist in einer Stunde.«

Mittlerweile hatte sie einen Zigarettenstummel gefunden und zog genüsslich den letzten Zug tief ein. Ich musste an unser erstes gemeinsames Weißbier denken, an die Klassenfahrt zum Gardasee und die gestohlenen Minuten Erwachsensein im Dunkeln am Strand. An das Rumgefummele neben mir, daran, wie Sabine kicherte, als Titus mich küsste, und wie er nach Alkohol und Bratwurst schmeckte. Und an seine Hände, die viel schneller waren, als mein betäubter Kopf registrieren konnte.

In meiner Hand hielt ich noch immer das Brotmesser. Ich wickelte die Stulle erst in Butterbrotpapier ein und legte sie dann in eine Tüte.

»Du bist immer so ordentlich. Du warst schon immer so …«, sie nahm noch einen Zug, »… so ordentlich halt.«

Ich füllte eine halbwegs sauber aussehende Tasse mit frischem Kaffee und schob sie ihr zu.

»Ich gehe jetzt, okay?«

»Willst du heute nicht hierbleiben? Es ist Mittwoch, ich habe frei, wir können Pfannkuchen machen und Serien schauen, wie früher.« Mit ihrer schmalen Hand hielt sie meinen Arm fest. Die Adern zogen sich wie blaue Pfade ihren Unterarm entlang, dann verschwanden sie hinter blasser Haut und Libellentattoos.

»Ich kann nicht. In einem Monat fängt die Uni an und ich brauche echt langsam ein Zimmer. Egal, wie dankbar ich dir bin, ewig kann ich nicht auf deiner Couch schlafen.«

Ich sagte kann und meinte will. Hoffentlich merkte sie es nicht.

»Dann lass mir aber wenigstens das Brot hier. Ich weiß gar nicht, wann ich das letzte Mal etwas gegessen habe. Und selber schmieren kriege ich gerade echt nicht hin.«

Eine bewundernswert akkurate Selbsteinschätzung. Ich legte ihr die Tüte mit dem Brot neben die Kaffeetasse, strich ihr die matten platinblonden Strähnen mit pinken Highlights aus dem Gesicht und küsste sie über das Chaos auf dem Tisch hinweg auf die Stirn. Sie schmeckte salzig und roch nach einem Ozean aus Asche.

»Ich beeil mich«, versprach ich mit einem aufgemalten Lächeln, das genauso schief saß wie die Reste ihres Lidstrichs. Dann lief ich aus der Wohnung, bevor eine von uns beiden zerbröckelte.

Rebellion: In der U-Bahn neben der Tütenlady sitzen, die mit sich selbst spricht, und vor zwölf Uhr Fast Food essen. Der Döner tropfte auf meine Bluse und bis ich es bemerkte, war der Schaden schon nicht mehr zu beheben. Eine Mischung aus Joghurt und Fett, keine Ahnung, wie ich die wieder rauskriegen sollte.

»Sorry«, sagte der Typ hinter dem Imbisstresen mit einem Schulterzucken und reichte mir eine Handvoll Servietten.

»Döner essen ist eine Kunst, die nur wir echten Berliner wirklich beherrschen.« Er wischte sich seine Hände an der fleckigen Schürze ab, kratzte sich über den dunklen Bart und wandte sich wieder seinem Sohn zu, um ihm auf Türkisch etwas zu erklären.

Während ich versuchte, die Soßenflecken wegzutupfen, hatte ich die Stimme meiner Mutter im Ohr, die mir in tadelndem Ton erklärte, wie anfällig Putenfleisch für Salmonellen war, wie selten solche Dönerbuden sich an deutsche Hygienevorschriften hielten und wie viele Kebabs Krankheitserreger statt Vitalstoffe enthielten. Dazu kämen Zahlen, Daten und Fakten, die ich später in Google eingeben würde, nur um herauszufinden, dass sie stimmten. Ich setzte mich auf die Bank vorm Imbiss in die Frühlingssonne und nahm noch einen Bissen, dieses Mal vorsichtiger, nicht meiner Mutter wegen, sondern allein wegen meiner Bluse.

In zehn Minuten begann die WG-Besichtigung, meine dritte diese Woche, die siebte, seitdem ich vor zwei Wochen wieder bei Sabine eingezogen war. Davor lagen noch geschätzte 48 WG-Termine seit Januar. Und ein katastrophal voreiliger Einzug in eine katastrophal versiffte Horror-WG. So langsam gingen mir Energie, Zeit und Nerven aus. Es war an der Zeit, endlich anzukommen und zu leben.

In der letzten WG am Mittwoch war ich auf einem rosafarbenen Kondom ausgerutscht und in einem Messie-Turm aus dreckiger Wäsche gelandet. Männerwäsche, genauer Männerunterwäsche, die schon gerochene drei Jahre vor sich hingammelte. Viel schlimmer konnte es nicht mehr werden, hatte ich danach gedacht. Notiz an dich selbst, Ann-Sophie: Lass dir Zeit mit solchen Urteilen.

Ich schlenderte über die Straße zum Haus hinüber, an dem ich schon vor einer halben Stunde vorbeigegangen war. So schnell konnte ich mir die Überpünktlichkeit nicht abgewöhnen, sie klebte an mir wie ein verschwitztes Top nach einer durchtanzten Nacht.

»Gib den Kilometern etwas Zeit, damit sie ihre volle Wirkung entfalten können«, hatte Sabine an einem unserer ersten Abende gesagt. 644 Kilometer, sechseinhalb Stunden Autofahrt, zwei Magnums und ein Sandwich brauchten also eine Weile, um sich auch auf meine Gewohnheiten auszuwirken und mich endlich dorthin zu führen, wo ich wirklich sein wollte: zu mir.

Als ich an der Ampel stand und auf Grün wartete, ein statischer Fixpunkt in einer hastigen Masse, die entweder farbenblind oder lebensmüde war, vibrierte mein Handy. Eine Whatsapp-Nachricht von Sabine, die anscheinend noch nicht am Komaschlafen war:

meine daumen und zehen plus die stupsnase von loverdude sind gedrueckt. wow them! <3

Sie schaffte es immer wieder, mich zu überraschen. Und egal, wie kaputt sie gerade war, ihre Nachricht brachte mich zum Grinsen. Uns verband halt doch mehr als Weißbier und gestohlenes Erwachsensein.

Genauso wenig, wie sich wow als Verb ins Deutsche übersetzen ließ, konnte ich mich bei Aufregung auf meine motorischen Fähigkeiten verlassen. Ich war kein gutes Beispiel für die Evolutionstheorie. Und je näher ich der Wohnung im vierten Stock kam, desto aufgeregter wurde ich. Auf einem Treppenabsatz stolperte ich und flog beinahe in eine verdächtig nach Pisse stinkende Pfütze. Im letzten Moment griff von hinten jemand nach mir. Glück gehabt. Beim Aufrappeln sah ich, dass die Hand zu einem Modepüppchen mit der überwältigendsten Lockenpracht und den kitschigsten Tattoos gehörte, die ich jemals außerhalb eines Videoclips gesehen hatte. Eine Mischung aus Lady Gaga und Joy Denalane, gewürzt mit einer ordentlichen Portion Kauai-Begeisterung.

»Geht’s?«, fragte sie.

Ich nickte nur. Mit Worten habe ich es nicht immer und oft haben sie es leider auch nicht mit mir.

Langsam folgte ich ihr, bedacht darauf, zumindest die letzten Meter mit etwas Würde zu absolvieren. Obwohl sich der Winter noch nicht komplett verabschiedet hatte, trug sie hauchdünne Strumpfhosen und knallenge Shorts. Die Rückseite ihres rechten Oberschenkels zierten zwei saftige Kirschen, auf ihrem linken schrie ein quengeliges Kuschelmonster mit großen dunklen Augen »Want!«. Sie waren eingebettet in eine Welt von Zeichen, Formen und Farben, teilten sich die braunen Schenkel mit explodierenden Wortbomben, Zombie-Einhörnern, brennenden Sternschnuppen und Möwenschwadronen. Apokalypse trifft Alice im Wunderland. Fast verpasste ich die scharfe Linkskurve zwei Stockwerke später. WG-Besichtigung für Dorftrottel und Fashion Queen. Die Show konnte beginnen.

»Und was für Super-Talente habt ihr?«, schmiss Markus, einer der WG-Bewohner, in die Runde der Bewerber. Zu fünfzehnt saßen wir in einem Halbkreis und in den Gesichtern der anderen konnte ich meine eigene Gefühlslage wie einen Wetterbericht ablesen: »Heute staut sich Verwunderung an, die am Nachmittag in eine Sturmwolke aus Verärgerung und Frustration umschlagen kann. Vor emotionalen Gewittern und Wutausbrüchen wird gewarnt.«

In einer sicherlich sehr bierreichen und ergebnislosen Nacht hatten Markus und seine zwei Mitbewohner entschieden, aus der WG-Besichtigung ein Casting nach TV-Modell zu machen. Sie hatten sich sogar Namensschilder gebastelt und saßen uns jetzt am Ess- bzw. Castingtisch gegenüber. Eine Eins für Enthusiasmus, eine Sechs für Empathie. Modepüppchen saß neben mir und wir sahen uns fragend an. Erstklassige Krisen verbinden anscheinend zuverlässiger als mittelmäßige Rezeptionistinnen.

Der blonde Riese auf meiner anderen Seite stand auf und stellte sich vor seine potenziell zukünftigen WG-Kameraden. Seine Bewegungen hatten etwas Mechanisches, so, als wäre er in einer Thunfischdose groß geworden. Er zog den Kopf leicht ein und schaute auf seine Füße, die Hände in den Hosentaschen. Eines Tages würde sein Körper ihm diese Haltung bestimmt mit einem Buckel heimzahlen. Quasimodo aus der Dose.

»Also, i koan … rappen«, stammelte er in einem so schweren bayerischen Dialekt, dass selbst ich Provinzlerin ihn fast nicht verstand. Rappen hörte sich bei ihm eher nach Black Beauty als nach Black Music an.

Das blöde Grinsen auf Markus’ Gesicht registrierte er dank seiner gebeugten Haltung nicht und so legte er los, bevor die Jurorin neben Markus, Überbiss-Chandra, ihre Zähne auseinanderkriegte.

Es folgte ein Rap, der sowohl vom Wortwitz als auch vom Storytelling her durchaus überzeugte, allein die Aussprache war ein Problem. Ich verstand zumindest, dass es um eine Kuh namens Susi ging, die vom Milchgeben genug hatte und sich auf die Suche nach ihren Kindern machte. Der Rap – und damit auch Susi – endete in einem Fast-Food-Restaurant auf einem Pappteller.

Aus der Anwärterrunde klatschten ein paar Leute. Eher Plätschern als Sturzregen. Die tätowierte Schönheit aus dem Treppenhaus warf mir einen Blick zu, der mich fast zum Lachen brachte: Sie rollte mit ihren Augen, zog ihren Mund zur Schnute und hob zugleich eine Augenbraue.

»Wo sind wir hier bloß gelandet?«, flüsterte sie mir zu.

»In Idiotisstan«, stammelte ich. So viel zu spontanem Wortwitz. Vier fürs Versuchen, Ann-Sophie.

Chandra stellte noch ein paar nett gemeinte, aber halbherzige Fragen, während ihre Mitbewohner sich in schlechten Bohlen-Imitationen versuchten. Mir kam so langsam der Döner wieder hoch. Ich hätte auf »Mit alles?« im Imbiss die Antwort »Ohne Lebensmittelvergiftung« geben sollen.

Quasimodo setzte sich wieder, seine Schultern hingen fast bis zu den Knien. »Kopf hoch«, wollte ich ihm sagen, »das hier hat doch keiner von uns nötig« – aber wildfremde Menschen anzuquatschen war noch nie mein Ding gewesen. Nicht nur meine motorischen, auch meine sprachlichen Fähigkeiten sind in bestimmten Situationen leider wirklich stark eingeschränkt. Hierzu zählen Partys, Krisen und alle anderen Situationen mit mehr als drei Anwesenden. Mein Hirn setzt da einfach aus.

So auch heute. Deshalb kann ich im Nachhinein auch nicht mehr vollständig rekonstruieren, was im nächsten Augenblick geschah. Die Schöne neben mir stand auf und formte meine Gedanken zu gesprochenen Worten, mit Ausrufezeichen in ihrer Stimme, jedoch ohne laut zu werden. Was sie genau gesagt hatte? Keine Ahnung. Vor meinen Augen lief eine tonlose Filmszene ab. Sie erinnerte mich an Uma Thurman in Kill Bill, nur noch atemberaubender: Sie brauchte keinen Ventilator für wehendes Haar, ihre Locken federten jede ihrer Handbewegungen ab. Und auf einmal war sie fertig und alle anderen waren es auch. Chandra war aus dem Zimmer gerannt, die männlichen Bewohner saßen mit hochrotem Kopf da und starrten in die Leere der Zimmermitte. Schönheit drehte sich mir zu, zwei Worte drangen durch die tonlose Stille: »Kommst du?«

Der Fettgeruch vom Imbiss gegenüber und die Autos auf der Straße vor mir waren das Erste, woran ich mich wieder so erinnern konnte, als wäre es live und kein Blockbuster. Neben mir stand Catchy, wie ich mittlerweile wusste. Sie war seit bestimmt zehn Minuten tief in ihr Handy versunken und tippte auf dem Bildschirm herum, als würde sie mit ihren Daumen ein Orchester dirigieren. Ich konnte noch gar nicht richtig fassen, dass wir als Einzige das Casting verlassen hatten. Die alte Ann-Sophie machte solche Dinge nicht. Aber die alte Ann-Sophie aß auch keinen fettigen Döner an einer verqualmten Straßenecke. Vielleicht war dies wirklich der Anfang meines neuen Lebens. Eine neue Stadt, eine neue Bekanntschaft, ein neues Ich. Die Kilometer begannen endlich, ihre Wirkung zu entfalten.

»Und was machen wir jetzt?« Meine Frage klang wie eine Raupe, die sich von hinten selbst verspeist.

Catchy schaute auf und lächelte mich an. Nordöstlich von ihrem blutroten, kaugummikauenden Mund stach eine kleine silberne Piercingkugel aus dem Gemälde hervor, das ihr Gesicht war. Sie schob sich ein paar Locken hinters Ohr. Hinter ihr hupte ein Sportwagen und der Fahrer pfiff durchs offene Fenster. Sie drehte sich nicht um, nur ihr Mittelfinger schnellte automatisch hoch.

»Was trinken gehen?«

Ich schüttelte den Kopf. »Geht nicht, ich muss gleich weiter. Ich meinte auch eher wegen der Zimmersuche. Bin langsam ziemlich frustriert.«

»Da biste nicht alleine! Ich suche jetzt seit fünf Wochen. Da, wo ich gerade wohne, das geht echt nicht mehr klar.« Später erfuhr ich, dass sie noch immer zu Hause lebte. An diesem Tag hätte sie mir das aber niemals erzählt. Fashionistas leben mit 24 in einem Schloss aus Klamotten, Vogues und Diätdrinks, nicht in ihrem alten Kinderzimmer bei Mami und Papi.

Ein Gedanke kam mir, der zu schön und schillernd und abgedreht war, zu sehr Berlin, um ihn nicht mit diesem Mädchen zu teilen, das genauso schön und schillernd und abgedreht erschien, genauso viel Berlin in ihren Kaugummiblasen festhielt, bis sie zerplatzten: »Und wenn wir zusammen suchen?«

Sie schob ihr Handy in die Tasche ihrer Shorts und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ehrlich?« Ihr Blick scannte mich von oben nach unten und wieder zu meiner schiefen Brille zurück. Bevor mein Spiegelbild sich in ihren Augen wie Pudding im Kühlschrank setzte, antwortete ich ihr hastig: »Wir kennen uns genauso wenig wie die Leute da oben, bei denen wir uns vorstellen wollten. Das Risiko ist also so ziemlich das gleiche. Und dass wir zumindest mehr Rückgrat besitzen als der Rest, hat uns dieses Casting ja auch bewiesen.«

Sie nahm sich einen Augenblick Zeit, um mit dem Kaugummi eine Blase zu produzieren, die ihr Gesicht bis zu den Augen verdeckte. Über die rosafarbenen Ränder blickte sie mich immer noch an. Mit einem Knall zerplatzte die Blase.

»Eigentlich hast du recht. Wir haben nichts zu verlieren und viel zu gewinnen. Und eine Wohnung zu finden kann nicht schlimmer sein als das gerade.«

Sie lächelte mich an. Ihr Lächeln sagte, dass sie dabei war. Ich zog meine Mundwinkel hoch und hoffte, dass der linke nicht wieder hinterherhinkte. Titus hatte mal gesagt, er liebte mein schiefes Grinsen. Es sei, als hätte jemand die Mona Lisa schief aufgehängt. Ich wollte nicht Mona Lisa sein, egal, ob gerade oder nicht. Ich wollte ein Lächeln, das Berge versetzt, Atem stiehlt, Versprechen gibt, Hoffnungen raubt und den Mond die Sonne beneiden lässt, weil sie mich jeden Tag zu sehen bekam. Ich wollte genau so ein Lächeln, wie es mir Catchy gerade zuwarf, den Kaugummi zwischen ihren Lippen verbergend. Ich hatte nur schiefe Mona Lisas und Kaugummi am Schuh.

Auf dem Weg zu Sabines Wohnung bog ich noch in den Kaiser’s am Kotti ein. Sie würde wieder meckern, dass ich nicht zum Discounter gegangen war, aber erstens bezahlte ich den Einkauf und zweitens hatte ich keine Lust auf lange Schlangen und Gedrängel.

Eigentlich wollte ich nur etwas Brot und Käse holen, doch dann fiel mir ein, dass die Margarine fast leer war, ich die letzten Äpfel samt Schimmelpilzen weggeschmissen hatte, wir seit einer Woche nichts mehr gekocht hatten, im Bad Spülmittel statt Seife stand und die Milch bestimmt schon wieder sauer war, weil Sabine sie immer draußen stehen ließ.

Der Einkaufskorb war schnell voll, die riesige Packung Cornflakes klemmte ich zusammen mit ein paar Keksen unter meinen Arm. Milch und Cerealien in eine Schüssel zu kippen, das würde Sabine vielleicht alleine hinkriegen. Die Neonröhre im Gang zuckte im gleichen Rhythmus wie die Gossenballerina neben mir. An der Kasse erwartete mich leider die Berliner Rush Hour, ein Phänomen, das ich noch nicht ganz begriffen hatte. Egal zu welcher Uhrzeit, die Schlangen waren immer lang, die Kassiererinnen immer genervt, die Kunden angepisst. Vor mir standen fünf Leute. Einer der Wartenden grölte schon nach einer zweiten Kasse, anscheinend hatten er und seine zwei Flaschen Korn es eilig. Als ich den Korb vor mir abstellen wollte, passierte es natürlich: Mir Motorik-Monster purzelten nicht nur die Cornflakes und Kekse herunter, ich kippte auch noch den Korb um. Im Kopf legte ich mir schon eine lustige Antwort auf Rückfragen zurecht, doch niemand regte sich, um mir zu helfen. Berlin war halt nicht Nußloch.

Als ich wieder aufblickte, standen auf einmal sechs Leute vor mir. Neu hinzugekommen war ein Rettungsring in Pailettenkleid und abgelaufenen Stilettos, der plötzlich meinen Platz in der Schlange eingenommen hatte. Die Pailetten waren bereits an mehreren Stellen abgefallen und während ich auf den breiten Rücken starrte, fielen weitere zu Boden wie goldenes Laub an einem stillen Herbsttag. Nur: Das hier war weder ein Wald noch ein Kitschgedicht. Und sie hatte sich vorgedrängelt. Heute, wo ich doch gerade meine mutige Seite entdeckt hatte. Ich war Ann-Sophie die Furchtlose, Anführerin der Wohnungslosen, Kämpferin in der Armee der gedemütigten WG-Suchenden. Ich räusperte mich. Die Schlange bewegte sich ein wenig vorwärts, sie drehte sich nicht um. Ich räusperte mich nochmal, diesmal etwas lauter. Langsam, wie in Zeitlupe, wandte sie sich mir zu. Auf ihrer linken Brust fehlten eine Handvoll Pailletten, als hätte jemand nach ihr gegriffen und nur das Kleid erwischt.

»Is’ was?«

Ich starrte in das Gesicht einer Frau, die in ihrem Leben schon weit mehr verloren hatte als nur Teile ihres Kleids. Klumpen blauer Schminke glitzerten mir aus ihren Schlupflidern entgegen. Anstelle eines Mundes besaß sie eine wackelig gezeichnete Linie Lippenstift, die an den Rändern dem Boden entgegenfloss. Ich räusperte mich ein drittes Mal, doch in meiner Kehle war nur staubige Stille, keine Worte, nicht einmal ein Krächzen. Ich schüttelte den Kopf. Stumm und unsichtbar, zurück zum Status quo. Vielleicht brauchte ich mehr Magie, als sechshundertvierundvierzig Kilometer bieten konnten.

Kapitel 2

Philannsophie: Döner, Baklava und Späti-Bier, das Leben könnte so schön sein – wenn da nicht immer noch die Wohnungssuche wäre …

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Wie zwei Katzen lagen Sabine und Loverdude auf dem Sofa in der Küche. Ein Knäuel aus Haaren, Armen, Beinen, Sabber und Schnarchen. Und mehr Metall, als ich im Portemonnaie hatte. Mehr Plastik wahrscheinlich auch. Denn Punkrock und Anarchie hatten Sabine nicht von ihrer Obsession mit Barbie geheilt und obwohl sie in den drei Jahren seit unserem Abitur um mindestens zwei Kleidergrößen geschrumpft war, hatte ihr Busen auf magische Weise zwei Körbchengrößen dazugewonnen.

Leise räumte ich die Einkäufe weg, nur die Cornflakes und H-Milch stellte ich vor die beiden auf den Tisch. Gerade, als ich mir ein Glas Orangensaft eingießen wollte, klingelte mein Telefon. Der erste Satz von Vivaldis Frühling. Jeder Ton trug mich weg, raus aus dieser versifften Küche, raus aus Berlin, raus aus dieser Welt. Um auf diesen Tönen nicht davonzuschweben, musste ich mich jedes Mal richtig zusammenreißen. Ich huschte ins Badezimmer.

»Ich hab’s schon zweimal bei dir versucht«, waren seine ersten Worte an mich.

»Tut mir leid, da war ich bestimmt gerade in der U-Bahn und hatte schlechten Empfang.«

»Und den verpassten Anruf hast du auch nicht gesehen?«

»Stressiger Tag. Wie gesagt, tut mir leid.«

Ich betrachtete mich selbst im Spiegel. Kantiges Kinn und Spaghettihaare. Plus einen ziemlich fiesen Pickel über dem rechten Auge, heute früh war der noch nicht da gewesen.

»Wie lief’s denn?«

»Ziemlich schräg, aber auch ziemlich gut.« Ich lieferte ihm die Zusammenfassung vom WG-Termin.

»Wirklich schräg – und mit der willst du jetzt zusammenziehen?«

»Sie war definitiv das Highlight meines Tages. Wir könnten bestimmt eine gute Zeit zusammen haben.« Trotz hatte sich in meine Stimme geschlichen. Wieso konnte er sich nicht einfach mal mit mir freuen? Das hier war Veränderung. Veränderung war Bewegung. Bewegung war gut. Stillstand war Tümpel und Moor, Bewegung war Welle und Meer. Über Catchys Schenkel flogen Möwen, sie zeigten uns den Weg.

»Eine gute Zeit hätte ich bestimmt auch mit Deichkind auf einer Tour durch Stripclubs«, er lachte über seinen eigenen Witz, ich mühte mir ein Kichern ab, »aber das heißt ja nicht, dass ich mit ihnen gleich eine WG gründe.«

Neben dem tropfenden Wasserhahn stand noch immer die Flasche Spülmittel. War ja klar, dass ich die Seife beim Einkaufen vergessen hatte. Ich klemmte mir das Telefon unters Ohr, riss ein Stück Klopapier ab, gab etwas von der grünen Flüssigkeit drauf und wischte damit über den Spiegel.

Titus listete gerade all die Gründe auf, die gegen meine Wohnungssuche mit Catchy sprachen, so, wie der bayerische Rapper vor ein paar Stunden die Eigenschaften einer ordentlichen Milchkuh vorgetragen hatte. Nein, eher wie meine Mutter, mit einer ordentlichen Portion Tadel. In der Stimme so ein »Das ist doch völlig klar, nur dir muss ich es mal wieder doppelt und dreifach erklären«. Ich befeuchtete ein frisches Stück Papier und wischte die Spüli-Streifen vom Spiegel. Noch einmal trocken drüber und er glänzte wieder.

»Du kannst es ja immer noch zum Wintersemester hier in Heidelberg versuchen und so lange weiter bei deinen Eltern arbeiten.« Können: Ja. Wollen: Hell no, wie Catchy bestimmt sagen würde.

»Ich behalte es im Hinterkopf. Für den Fall, dass ich mit Berlin einfach nicht warm werde.« Und für den Fall, dass sich die Meere in Berge verwandeln, Liebe essbar wird, Katzen Flügel wachsen und mir ein ordentliches Rückgrat.

»Wir würden uns echt alle riesig freuen, wenn du zurückkämst. Für ein verlängertes Wochenende ist Berlin ja ganz nett, aber ich sehe dich da echt nicht auf lange Sicht. Das bist du einfach nicht.«

Ich wollte ihm sagen, dass er keine Ahnung hatte, wer ich war. Dass ich es noch nicht einmal wirklich selbst wusste. Und dass es jetzt an der Zeit war, das herauszufinden. Nicht umgeben von ihm oder meinen Eltern, denn dann würde ich weiterhin nur Titus’ Freundin und Wendts Kleine bleiben. Nein, umgeben von Neuheit, von Muschelrauschen und Großstadtlärm und Zombie-Einhörnern und Möwen, die Dönerreste verschlangen.

Stattdessen sagte ich nur: »Sabine hat Essen gemacht, sie wartet schon auf mich.«

Seine Antwort: ein Grummeln. Dann: »Aber wir telefonieren die Tage in Ruhe, ja? Ich wollte dir auch noch vom Golfturnier am Wochenende erzählen, Schatz.« Geschatzt. Ich hatte ihm einmal gesagt, dass Schatz meine Mutter war, nicht ich. Auf dieses Wort reagierte ich allergisch, es erinnerte mich immer an die Leere zwischen den Worten, die meine Eltern tagtäglich austauschten. Titus hatte mir auf den Oberschenkel geklopft und dann den Fernseher lauter gemacht.

Ich musste raus hier. Eine Runde um den Block. Mich ins Leben stürzen. Zwischen Falafelläden, Anarcho-Shops und Cocktailbars in der Menge untergehen. Ich lief einmal die Oranienstraße hoch, holte mir etwas Baklava beim Bäcker, den Sabine mir gezeigt hatte, und schlenderte dann etwas entspannter wieder zurück. Hipster-Mädels in Männerhemden und hautfarbenen Strumpfhosen, Männer mit XXL-Brillen und -Bärten, Frauen mit grünen Kopftüchern und quietschenden Kinderwagen, eine Oma mit einer Hand voll protziger Goldringe und der anderen tief im Mülleimer auf der Suche nach ein paar Cents in Form leerer Flaschen und Dosen. Straßen aus falschem Gold und honigsüßem Gebäck.

Als ich die Tür aufschloss, kam aus der Küche Lärm. Gelächter, raschelnde Packungen, Noise Pop.

»Anni? Das musst du probieren!«

Sabine sprintete mit einer Schüssel Cornflakes in den Flur. Anscheinend war es so wichtig, dass sie nicht mal warten konnte, bis ich meine Schuhe ausgezogen hatte.

»Hier!« Sie steckte mir den vollen Löffel fast in den Rachen. »Loverdude meinte, wir sollen mal was Neues ausprobieren. Und ich so, wir haben nichts da. Aber wir hatten was da! Tahin und Zimt und Rosinen und Honig. Ist alles mit drin! So genial, die Mischung. So genial!« Und sie hatte recht, es war wirklich lecker, auch wenn die Tahin ziemlich an den Zähnen klebte.

In der Küche schmierte ich mir aber trotzdem erstmal ein Käsebrot. Nachher wollte ich ja auch noch das Baklava futtern, das hatte genug Zucker für den Tag. Loverdude sah noch immer nicht viel wacher aus als noch vor ein paar Stunden. Seine schwarzen Haare waren auf der einen Seite noch vom Schlafen eingedrückt.

»Soll ich euch noch was Richtiges zu essen machen?«

Loverdude schüttelte nur den Kopf und zog die Knie näher an seinen Oberkörper.

»Wir treffen uns gleich mit den anderen«, erklärte Sabine, »heute abend gibt’s ’nen Gig von einer Band aus Helsinki, Pussy Paws Roar. Die machen auch all-femme New Rave.«

Der Name machte keinen Sinn, die Musikrichtung sagte mir auch nach wochenlanger Dauerbeschallung in Sabines Ein-Zimmer-Wohnung nichts und die beiden nachts high ins Taxi oder die Bahn zu zerren, nein danke. Außerdem war Sabine bestimmt wieder die ganze Nacht unterwegs. In meiner ersten Woche war ich mal mit ihr weggegangen. Der Laden war filzig, die Leute aus einem Anime-Horrorfilm und die Toiletten glichen einem Kriegsschauplatz, bei dem obszöne Schmierereien, Pissflecken und Kotzreste eindeutig den Sieg nach Hause getragen hatten. Neunzig Minuten Spielfilmlänge hatte ich als angemessene Zeitspanne für diesen Trip betrachtet.

Nach Cornflakes-Orgie und Styling-Session gehörte die Wohnung mir allein. Krach aus. Alles auf Ruhe. Aufräumen, entgegen meinen Vorsätzen, ihr nicht ständig hinterherzuputzen. Aber noch eine Nacht auf der Küchencouch und vor mir dieser verdreckte Tisch würde ich nicht überleben. Flaschen in eine Kiste neben den Mülleimer, Aschenbecher ausschütten, Pizzareste und leere Haribo-Packungen wegschmeißen, Cornflakes in den Schrank, Milch in die Kühlung, abwaschen. Und dann: Ich, mein Pyjama, die letzte Staffel Dexter und diese verdammt leckeren Baklavas auf dem Sofa. Abends um neun, dick eingemummelt in Frühlingsluft und Winterdecke. Luxus.

Am Morgen weckte mich das Klingeln meines Handys. 7.40 Uhr. »Guten Morgen, Mama.« Schlaf in der Stimme und in den Augenwinkeln. Ich ließ meinen Kopf zurück aufs Kissen fallen.

»Hast du die Nacht durchgemacht? Du hörst dich furchtbar an.« Bevor ich ihr antworten konnte, redete sie bereits weiter. »Titus hat uns von deinen neuen Wohnungsplänen erzählt. Was hast du dir da nur schon wieder in den Kopf gesetzt? Wir sagen dir die ganze Zeit: Komm zurück nach Hause, studiere hier, arbeite mit uns in der Apotheke, verstecke dich nicht weiter vor der Realität des Erwachsenseins und den Verantwortungen, die damit einhergehen. Du bist doch keine zwölf mehr. Und das Leben ist nun mal kein Abenteuerspielplatz. Natürlich verstehe ich, dass du an der Idee mit Berlin so hängst. Ich war ja auch mal jung. Einmal bin ich sogar nach London gefahren, überzeugt, ich könnte dort Sängerin werden. Aber das war lange vor deinem Vater. Und nach zwei Monaten Wasser und Brot bin ich wieder zurückgekommen und habe mich für Pharmazie eingeschrieben.« Die Geschichte hatte sie mir schon mindestens zwanzigmal erzählt. Ein Hauch Stolz schwang immer mit. Aus ihrer Gesangskarriere war ein alljährliches Solo beim Weihnachtssingen geworden.

»Im Fehlermachen sind wir alle Weltmeister. Entscheidend ist, was wir aus ihnen lernen. Drei Monate suchst du jetzt schon eine Wohnung, drei Monate! Und dann ziehst du in die nächstbeste WG ein und sie entpuppt sich als Terroristenbude und Kakerlakenzüchtung. Das hätte dir wirklich eine Lektion sein sollen … Zum Glück hast du Sabine. Aber die sagt dir bestimmt schon die ganze Zeit dasselbe: Heimat findest du in der Großstadt nicht, nur Ablenkung und Illusionen zuhauf.«

So ging es noch zehn Minuten weiter. Ich unterbrach sie nicht, um klarzustellen, dass Sabine eher hier sterben würde, als wieder in Nußloch zu leben. Oder, dass meine Kurzzeit-Mitbewohner nicht Terroristen, sondern Linksradikale waren, mit Hygieneansätzen, die sich halt von meinen eigenen unterschieden. Und ja, auch mit Lebensansätzen, die mir fremd waren. Mit rotierenden Zimmern und Einkommensumverteilung und anarchistischen Slogans über dem Klo. Ich hätte das vielleicht eine Weile mitgemacht, aber als Knolle, bürgerlich Karl-Peter, mich eines Abends davon überzeugen wollte, dass Monogamie ein Aspekt des kapitalistischen Herrschaftssystems und repressiver Machtverhältnisse sei, war auch bei mir Schluss. Zum Glück gab es noch Sabines Couch. Aber nein, ich unterbrach Mutter nicht. Ich ließ sie ausreden, sich leer reden wie eine Gießkanne voll verschlammtem, stinkendem Wasser. Ich legte das Handy aufs Kopfkissen. Gefiltert und gedämpft war es ertragbar. Ab und an gab ich ein »mhmm« oder ein »aha« von mir. Erst beim Wort »Deadline« horchte ich auf.

»Kannst du das nochmal wiederholen?« Ich stolperte zurück in die Unterhaltung.

»Für das Fräulein Tochter doch immer gerne. Wir haben keine Lust, weiter zuzuschauen, wie du deine eigene Zukunft wegschmeißt und damit auch unsere Existenz. Dein Vater und ich haben uns dafür entschieden, dir eine Deadline zu setzen: Du hast noch bis zum Beginn des Studiums in einem Monat Zeit, um dein Leben in geordnete Bahnen zu lenken. Wenn du bis dahin keine Wohnung hast, dann macht es wirklich keinen Sinn, in Berlin zu bleiben. Du kannst nicht von Sabines Sofa aus schlafen, essen und die Vorlesungen nachbereiten. Und wenn du am Anfang den Einstieg verpasst, kannst du das auch später nicht mehr nachholen. Ich weiß noch, wie hart es bei uns war, und heute wird in den ersten Semestern noch stärker selektiert als damals.«

»Okay, Mama, aber was heißt das jetzt für mich?«

»Entweder du findest ein akzeptables Wohnarrangement, in dem du dich auch ungestört dem Pharmaziestudium widmen kannst, oder du kommst nach Hause und beginnst einfach im nächsten Semester mit dem Studium hier. Wir möchten doch letztendlich nur dein Bestes. Aber wir hatten jetzt wochenlang so viel Geduld mit dir und irgendwo müssen wir auch Grenzen setzen. Also deine Eskapaden finanzieren wir nicht einfach anstandslos weiter.«

Das war es also, ihr Druckmittel. Nun waren meine Augen nicht mehr geschlossen. Ich sah die Fassade gegenüber und ein kleines Stück Himmel durch das offene Fenster. Und ich sah meine Zukunft, irgendwo zwischen Gulliritzen und Pflastersteinen, zwischen Street Art und politischen Parolen. So leicht würde ich sie mir nicht wegnehmen lassen, nicht von meiner Mutter, nicht von meinem alten Leben, das sich mit letzter Kraft an mich klammerte. Wenn es sein musste, würde ich ihm die Hand abhacken, um freizukommen.

Die nächsten Stunden verbrachte ich mit meinem Laptop auf dem Schoß auf Wohnungssuche. Ich hatte ein paar lose Zettel Schmierpapier neben mir, von denen schon vier vollgeschrieben waren. Bei einigen Wohnungen stand direkt ein Besichtigungstermin dabei, bei anderen musste ich gleich noch anrufen. Ich stand auf und machte mir einen Kaffee, setzte mich wieder aufs Sofa, schlüpfte unter die Decke und suchte weiter. Um mich herum war es noch immer still, Sabine und Loverdude schliefen bestimmt noch.

Drei Zimmer, Balkon, Dielen, dritter Stock, bezahlbar und mitten in Kreuzkölln. Besichtigung heute Nachmittag um 16 Uhr. Begeisterung. Schnell Catchy auf Whatsapp getextet. Wegen der elterlichen Deadline brauchte ich mir bestimmt keine Sorgen zu machen, von WG- auf Wohnungssuche umzusatteln, war die Lösung meines Problems.

Das dachte ich zumindest, bis wir in die Donaustraße einbogen: Neukölln war nicht auf dem Weg zum neuen Trendkiez, sondern trug die Auszeichnung schon mit biergefüllter Brust und geweiteten Pupillen. Um uns herum erinnerte nur noch wenig an das Neukölln, vor dem uns die Lehrer auf einem Berlin-Trip in der Zehnten gewarnt hatten. Farbenfrohe Slogans zierten heute die abgestellten Kühlschränke und Sofas genau wie die meisten Häuserfassaden. An den Bushaltestellen hing Werbung von Gucci statt Penny und es gab hier bestimmt mehr Coworking Spaces als Gemüsehändler. Alles hatte etwas Künstliches, nichts war organisch gewachsen, alles schien leicht erzwungen, die Hipness, das Anderssein, die Kombination von Birkenstocks mit G-Star-Kleidern. Und dennoch, oder gerade deshalb, gab es keinen Ort, an dem ich gerade lieber sein wollte.

Auch die anderen Pilger waren angekommen. Vielleicht achtzig oder hundert Wohnungsbesichtiger. Es war, als wäre ich mitten in einer von Sabines Geschichten zur Wohnungssuche gelandet, die ich als Übertreibungen abgetan hatte. Ann-Sophie im Wunderland. Da wohnten sicherlich auch einige der Gestalten, die hier draußen standen. Ich wünschte, ich hätte nicht das blaue Kleid angezogen, das mir Titus zum Sommerfest im Golfclub letztes Jahr gekauft hatte. Und dazu diese furchtbaren Kniestrümpfe, Schulmädchenreport im Getto. Welcher Zombie hatte mich heute Morgen angekleidet? Ich selbst.

Auch Catchy fehlten beim Anblick der Meute die Worte. Stumm stellten wir uns an den Rand und warteten. Catchy kramte eine Packung Gauloises heraus und bot mir eine Zigarette an, ich schüttelte den Kopf. Zwei BMWs und ein VW-Bulli fuhren vorbei. Aus dem Seitenfenster des Bullis blickte ein kleines Mädchen mit Pippi-Langstrumpf-Zöpfen und winkte. Ich winkte als Einzige zurück.

»Ich mag dein Outfit«, sagte Catchy dann doch noch, als sie mit der Zigarette fertig war. »Hat was Post-Ironisches. Ich weiß nicht, ob du gleich ein Springseil oder eine Kettensäge aus der Tasche ziehst.«

Nach einer halben Stunde durften dann auch wir in die freistehende Wohnung, zusammen mit einer Öko-Kleinfamilie und einer Horde spanischer Freelancer. Wir quetschten uns in den schmalen Flur und trotteten zusammen in das erste Zimmer, zu dem uns die Frau von der Wohnungsbaugesellschaft führte. Bei jedem ihrer Schritte knarrten die alten Dielen, bei jedem unserer ächzten sie.

»Also, das ist das Herzstück der Wohnung, ein sogenanntes Berliner Zimmer«, sagte sie.

»Soll heißen: unbewohnbares Durchgangszimmer«, flüsterte Catchy mir ins Ohr.

Wir standen alle in einer Ecke, die Wohnungsbau-Lady uns gegenüber.

»Das Besondere an der Wohnung sind die originalen Bestandteile, die für dieses Alter sehr gut erhalten sind. In diesem Zimmer sind es vor allem die Fenster und natürlich der Kachelofen.«

Das erste Mal betrachtete ich den hohen blauen Ofen links von ihr. Ein echter Ofen. Dass es so etwas überhaupt noch gab, meine Mutter kannte mit Sicherheit so einige Zahlen zu den potenziellen gesundheitlichen Schäden.

Und die Fenster sahen toll aus, ohne Frage. Aber auch verdammt dünn. Ich konnte schon die Eisblumen sehen, die sich hier bestimmt im Winter en masse bildeten.

Die Führung ging direkt weiter, bevor irgendwelche Fragen aufkommen konnten. Das Zimmer dahinter ähnelte einem Fahrradschlauch, schmal und dunkel. Durch das Fenster konnte ich direkt auf den Küchentisch vom Nachbarn blicken. Blaue Tischdecke mit Fettflecken. Kirschkernspuckentfernung. Auch hier: Ofen und sektglasdünne Fensterscheiben. Nirgends: Heizungen unter dem Fenster und frische weiße Farbe an den Wänden. Ins Bad traute ich mich nicht rein, das stank auch schon auf Entfernung nach schlechter Verdauung und Chemie-Keulen. Die Küche unterschied sich von den anderen Räumen nur darin, dass die kahlen Wände nicht nur von Schraublöchern und vergilbten Steckdosen durchsetzt waren, sondern es auch einen Wasseranschluss gab.

»In der Anzeige stand etwas von drei Zimmern«, sagte Catchy zur Verwalterin, die mit Bewerbungsbögen an der Tür stand und uns mit Handzeichen verdeutlichte, wie schnell sie uns gerne wieder los haben würde.

»Zwischen den Toiletten ist das dritte, vielleicht haben Sie es ja übersehen.«

Catchy sprintete zurück und öffnete die Tür. Ich kam neugierig näher.

»Die Birne ist ausgefallen«, hörte ich die Dame hinter uns. Vor uns lag eine fensterlose Kammer. Als begehbarer Schrank könnte es gerade noch so durchgehen, aber sicher nicht als Zimmer.

Wieder mal standen wir auf der Straße. Wenn die nächsten Wochen weiter so verliefen, würde ich auch bald auf der Straße leben – oder zurück in der Provinz ein Unleben fristen. Die Menschenmassen schlängelten sich noch immer ins Haus hinein, hoffnungsschwanger betraten es einige, realitätszerschmettert verließen es andere. Catchy zündete sich eine Zigarette an und hüllte uns in Rauch.

»Hast du vielleicht auch eine für mich?«, fragte ein Polohemd aus der Schlange. Catchy nickte und hielt ihm die Schachtel hin.

»Du bist nicht besorgt, dass du deinen Platz in der Schlange verlierst?«, wunderte ich mich laut. Er nahm einen langen Zug. »So wie ihr und die anderen wieder rauskommt, kann ich mir die Besichtigung sparen.«

»Yupp«, stimmte Catchy zu, »mal wieder nur so ein überteuertes Drecksloch für Gentrifizierer.«

Hinter ihr lachte jemand.

Mit einer schnellen Bewegung drehte sie sich um, knapp wich ich ihrer glimmenden Zigarette aus, die sie wie ein Schwert mit sich riss. »Was ist daran so lustig?«

»Wir sehen alle ja selbst nicht wie Ur-Neuköllner aus. Das Rumjammern wegen Gentrifizierung ist da doch irgendwie unangebracht.« Vor ihr stand ein dürrer, strubbeliger Typ im linken Einheitslook: dunkle ausgewaschene Jeans, ebenfalls ausgewaschenes T-Shirt mit »Kein Mensch ist illegal«-Slogan und eine löchrige Trainingsjacke, natürlich genauso verblichen und mit kleiner Antifa-Fahne anstelle des Adidas-Logos.

»Du bist zu oberflächlich, Schätzchen«, entgegnete Catchy, »ich bin eine der letzten gebürtigen Kreuzbergerinnen, ich muss keins der Klischees in deinem Kopf erfüllen, um dir das zu beweisen.« Sie trat ihre Zigarette aus und wandte sich wieder Polohemd und mir zu.

»Punk«, sagte sie, mehr zu sich selbst als zu uns. Doch das Gespräch war für den Vorbildlinken anscheinend noch nicht vorbei. Er schlurfte zu uns herüber und stellte sich neben sie. »Das war ziemlicher Bockmist von mir.«

»Kein Ding.« Ihre verschränkten Arme sagten etwas anderes.

»Kann ich mich denn bei dir entschuldigen?« Keine Ahnung, warum er so einen Aufriss um die Sache machte. Aber Catchy genoss es anscheinend. Langsam kehrte ihr Lächeln zurück. »Du kannst uns auf einen Drink einladen. Damit tust du dir auch selbst einen Gefallen, denn das Elend da oben braucht sich keiner anzutun, Gentrifizierer oder nicht.«

Polohemd trat ebenfalls seinen Zigarettenstummel aus. »Ich komme mit«, sagte er, als hätte ihn gerade jemand danach gefragt.

Und so zogen wir zu viert los, eine ungleiche Truppe, Nebenprodukt des gegenwärtigen Berliner Wohnungsmarkts, meine Zukunft.

Wir saßen in einer Backstube. Polohemd hieß Stefan und Antifa nannte sich selbst Monk. Schräg, aber einleuchtend. Ich konnte mir gut vorstellen, dass er so ziemlich allen irdischen Freuden entsagt hatte, von gutem Essen bis zur zeitgemäßen Kleidung. Und dennoch hatte er in seiner Askese auch etwas Anziehendes. Vielleicht waren es die strahlend blauen Augen. Wenn sie dich anblickten, sahen sie dich. Sie schauten nicht durch dich hindurch oder an dir vorbei, sondern direkt in dich hinein. Ich fühlte mich nackt, wenn er mich anblickte. Es war unangenehm und schön zugleich.

Catchy war fast mit ihrer Schilderung unseres gemeinsamen Castingerlebnisses fertig. In ihrer Welt war alles bunter, schillernder, voller Dramatik.

»Und als ich dran war, bin ich aufgestanden und habe ganz klar gesagt, nicht mit mir. Und Ann-Sophie hier hat sich so vehement neben mich gestellt, dass ihr Stuhl krachend zu Boden gefallen ist. Das hatte echt was Heroisches, ihr hättet ihren Blick sehen sollen, sie sah aus wie Ann d’Arc.«

Ich schaute sie fragend an. »Na, wie Johanna von Orleans. Das war eine Szene, da brauchst du dich gar nicht hinter diesem Schulmädchenlook zu verstecken.«

Wenn es Aliens gibt, können sie mich bitte jetzt entführen? Alle starrten mich an, als würde ich gleich aufspringen, meine Brille mit einem Griff herunterreißen, durch das Schaufenster sprinten und dann in die Lüfte abheben. Wie peinlich. Und viel zu viel Aufmerksamkeit. Ich starrte in meine halbleere Kakaotasse und zeichnete sahnige Kreise mit dem Löffel.

»Und was habt ihr jetzt vor?«, fragte Monk.

»Weitersuchen. So schnell geben wir nicht auf, Catwoman und Ann d’Arc lassen sich nicht so einfach entmutigen.«

Catchy hatte ein unglaubliches Mundwerk. Irgendwie musste ich sie zum Schweigen bringen. »Ich habe noch ein paar Wohnungen rausgesucht, die wir uns nächste Woche anschauen wollen«, klinkte ich mich also ein.

»Vielleicht können wir sie uns ja zusammen anschauen«, sagte Stefan. Er biss von seiner Pecannuss-Tasche ab. Eine Nuss fiel auf den Teller und Catchy stibitzte sie. Stefan starrte sie an, als hätte sie gerade Apfelsaft über sein Macbook gekippt.

»Soll ich sie wieder ausspucken?«

»Nee, mach’s einfach nicht nochmal. Ich bin mit meinem Essen etwas eigen.«

Stille. Mehr Kreise in Kakao gerührt und Löcher in die Luft gestarrt. Monk rettete uns alle: »Stefans Vorschlag ist gerade untergegangen, aber der war gut. Wie wäre es, wenn wir alle zusammen suchen?«

»Mhmm«, brummte Catchy, »wäre einen Versuch wert. Vielleicht ist es einfacher, eine große Wohnung zu finden. Was denkst du, Ann d’Arc?« Sie grinste mich an. In ihren Locken hatten sich ein paar Blütenblätter verfangen. Sie war eine Afro-Fee mit magischen Tattoos und einem unwiderstehlichen Lächeln. Was konnte ich, Ann-wie-auch-immer, ihr schon sagen? Also nickte ich nur und stimmte zu.

»Darf ich noch was einwerfen?«, fragte Stefan. Er wischte sich ein paar Krümel vom Hemd. »Eigentlich war das gar nicht so gemeint. Ich dachte eher, dass wir uns gegenseitig über Besichtigungen auf dem Laufenden halten können. Ich bezweifle, dass wir vier ein gutes Match wären.«

»Ach komm, Sugar Bear, lass es uns mal versuchen. Ich habe ein gutes Gefühl dabei, es könnte Liebe auf den zweiten Blick werden. Und die hält bekanntlich ein Leben lang.« Catchy hielt ihm ihre manikürte Hand hin. »Trust me«, ergänzte sie.

»Okay, aber wenn es klappt, dann stellen wir Regeln auf. Und ich brauche wirklich viel Ruhe. Ich arbeite mehr als 40 Stunden die Woche und schreibe gerade noch meine Bachelor-Arbeit. Das hat momentan absolute Priorität.« Er schlug ein.

»Deal«, sagte Catchy, »ich kann auch außer Haus Partys feiern. Und ob du’s glaubst oder nicht, mit meinem Traineeship habe ich gerade auch alle Hände voll zu tun.« Sie erzählte uns von ihrer Stelle bei einem Berliner Modelabel namens Fashionrobots und davon, dass sie nebenher noch als Hostess und Stadtführerin arbeitete.

»Was machst du eigentlich, Ann? Das hast du mir noch gar nicht erzählt.«

»Ich? Nächsten Monat beginne ich mit meinem Pharmazie-Studium.« Nun war es an mir, von der Apotheke meiner Eltern zu erzählen, von meiner Ausbildung als PTA, pharmazeutisch-technischer Assistentin. Stichpunkte genügten hier völlig. Schnell reichte ich die Fackel an Monk weiter.

»Ich habe bis letztes Jahr Jura studiert, aber gemerkt, das geht für mich nicht mehr klar. Jetzt arbeite ich in einem Backkollektiv, wir nennen uns Flourpower. Aber mein eigentlicher Job ist es gerade, Zeit mit mir selbst zu verbringen, Zeit zur Introspektive, zum Wachsen, zum Heilen, zum Michfinden.«

Bei den letzten Worten blickte er mich an und mir war, als würde er nicht nur zu mir direkt sprechen, sondern auch für mich mit. Gänsehaut und Flügel, die sich durch mein T-Shirt pressen wollten. Wachstumsschmerz, er kannte ihn auch. Ich hatte gedacht, er wäre ein verlorener Loser, einer dieser Linken, die irgendwo zwischen Tschernobyl und Gorleben stecken geblieben waren. Stattdessen war er mir schon einige Schritte voraus. Sein Blick sagte es mir. Aus seinen Worten sprach Erfahrung, in seinen Augen lag Erkenntnis. Ich trank den Kakao in einem Schluck aus. Hätte ich mich in die leere Tasse verkriechen können, ich hätte es getan.

»Also, ich habe folgendes Problem«, sagte Catchy und schob den Chai Latte vor sich zur Seite, »mein Standard ist leider immer höher als mein Budget. Will ich einen separaten Stylingroom? Ja. Kann ich ihn mir leisten? Nein. Sollte ich deshalb meine Ansprüche runterschrauben? Hell no.«

Wir waren bei Wünsch-dir-was angekommen. Stefan hatte vorgeschlagen, eine Liste mit unseren Wohnungsvorstellungen zu erstellen. Von Catchys rhetorischen Fragezeichen wurde mir leicht schwindelig, aber vielleicht war es auch nur mein leerer Magen und die nie verstummende Stimme meiner Mutter. Sie würde das alles hier für eine ziemlich schlechte Idee halten. Eine ebenso falsche Entscheidung wie der Umzug nach Berlin. Und dann würde sie mir Statistiken um die Ohren klatschen, die besagten, wie viele Junkies und Alkies und Psychos es hier gäbe und mit welcher Wahrscheinlichkeit mindestens eins davon auf die drei Leute an meinem Tisch zutraf.

Ich versuchte, mich auf Monk zu konzentrieren, der als Nächster dran war. Seine Anforderungen waren wenig überraschend: Ökostrom, Mülltrennung und ein veganes Kühlschrankfach. Stefan wünschte sich einen Putzplan, Partyverbot unter der Woche und einen Gasherd, weil Kochen auf Elektro wie Polofahren auf der Landstraße sei, zu langsam und wenig inspirierend. Später, viel später, fand ich heraus, dass Stefan gar keinen Führerschein besaß, aber in dem Moment machte der Vergleich schon irgendwie Sinn.

Ein Kellner in Neon-Tights und Tigerfellweste fragte, ob wir noch was wollten. Catchy bestellte noch einen Chai Latte, Monk verneinte und nahm einen weiteren Schluck Leitungswasser aus seinem Glas.

Als er wieder weg war, sahen mich alle erwartungsvoll an. »Was wünschst du dir?«, stellte Stefan die bekannte Frage.

Dass ich in solchen Situationen nicht so schnell rot werde. Mit dem Zeigefinger schob ich meine Brille hoch, obwohl sie gar nicht heruntergerutscht war – eine weitere meiner vielen überflüssigen Angewohnheiten. »Für mich ist das alles okay«, sagte ich leise in die leere Tasse vor mir. Ich hasste es, im Mittelpunkt zu stehen. Zu ungewohnt, befremdlich, sichtbar machend.

Auch ohne mich hatte Stefan die Liste schnell zusammengestellt, und am Ende las sie sich wie die all derer, deren Hoffnungen noch nicht vom Berliner Wohnungsmarkt auseinandergenommen, zerfleischt und wahllos verschlungen worden waren: Traumwohnung gesucht.

Kapitel 3

Philannsophie: Endlich Freitag – doch mir ist mehr nach Verkriechen als nach Feiern …

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Antwort von Zaza Bee: Du bist in Berlin, das ist Grund genug zum Partymachen, Süße!

Bumm. Bummbumm. Die Beats bohrten sich in meinen Kopf, die E-Gitarre kratzte über meine Nerven, sie splitterten.

Ich stand vom Sofa auf und klopfte an Sabines Zimmertür. »Kannst du die Lautstärke ein bisschen runterfahren?«

»Klaro, Prinzessin.«

Neben einem Berg von Wäsche und einer Packung Lakritze lag Sabine auf ihrem Bett, den Laptop auf dem Schoß. Auf dem Nachttisch standen ein Wecker, der der Zeit eine halbe Stunde hinterherhinkte, und ein halbes Dutzend leere Flaschen. Es roch nach Zigaretten und Gleichgültigkeit.

»Ich bin halt gerade dabei, weiter nach Wohnungen zu schauen.«

»Du brauchst dich nicht zu rechtfertigen, Anni. Wie läuft’s denn mit der Suche?«

Beschissen. »Ganz in Ordnung. Die letzten Besichtigungen waren nicht so erfolgreich, aber bestimmt finden wir bald was Passables. Es geht aufwärts.«

Die letzten Besichtigungen waren der reinste Horror gewesen. 1. unsanierter Altbau mit Warteliste, 2. 3500 Euro Abschlag für Möbel mit Mottenkugelgeruch und Vorwendecharme, 3. Wohnung unter einem Privatbordell mit sehr hellhörigen Wänden, 4. Besichtigungsschlange bis in den Hof, 5. noch eine Schlange, 6. Staffelmietvertrag, bei dem sich die Miete in fünf Jahren fast verdoppelt hätte. Und zum krönenden Abschluss waren wir vor drei Tagen einem Vermieter begegnet, der auch eine Sanierungsfirma besaß und uns direkt sagte, unsere Chancen auf die Wohnung würden erheblich steigen, wenn wir sie auch von ihm sanieren lassen würden – auf unsere Kosten, versteht sich.