Joris-Karl Huysmans

Trugbilder

Roman

Aus dem Französischen von Caroline Vollmann

Herausgegeben und mit einem Nachwort von Dirk Hemjeoltmanns

Vollständige Ausgabe 2007
© der deutschsprachigen Ausgabe:
Deutscher Taschenbuch Verlag GmbH & Co. KG, München

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlags zulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

eBook ISBN 978-3-423-40412-9 (epub)
ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-13549-8

Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Bücher finden Sie auf unserer Website
www.dtv.de

Inhaltsübersicht

I

II

III

IV

V

VI

VII

VIII

IX

X

XI

XII

XIII

XIV

XV

XVI

Nachwort

I

Ihre Zigarren qualmten und stanken wie Rauchkohle. Während Cyprien seine Hose, die aufgegangen war, zuknöpfte, rief er:

»Zwei Stunden lang in einer Ecke herumsitzen, zappelnden Hampelmännern zusehen, Handschuhe beschmutzen und Gläser verschmieren, ständig auf der Hut sein, sich wegstehlen, sobald die Hausherrin auf der Suche nach einem Tanzopfer wie ein Wilderer durch die Räume streicht, wenn du das angenehm nennst, obwohl du dich, seit man dich verheiratet hat, daran gewöhnt haben magst, nun, dann bist du nicht wählerisch.«

André zuckte die Achseln, spuckte Tabaksaft aus, der ihm wie Pfeffer im Mund brannte, und sagte nur:

»Pah, man gewöhnt sich daran!«

Einen Augenblick lang herrschte Schweigen. Sie gingen langsam nebeneinander her, als es Mitternacht schlug. Zwei Turmuhren vermischten ihre Klänge; die eine, in der Ferne, ertönte schwach und eine Sekunde später als die andere; die nähere schlug hell, fast heiter die Stunde.

Die beiden jungen Leute folgten der Straße, die verlassen dalag, und ihre Schritte hallten auf dem Trottoir deutlich wider. Ihre Schatten brachen sich bald an der Front der geschlossenen Läden, bald gingen sie, einmal blaß, dann dunkler, flach ausgestreckt auf dem Gehwegpflaster vor ihnen her oder folgten ihnen nach. Oft schoben sie sich ineinander, überlagerten sich, vereinigten sich an den Schultern, bildeten nur noch einen Stamm mit einem Astwerk aus Armen und Beinen, von zwei Häuptern überragt; manchmal trennten sie sich, schrumpften unter ihren Füßen zusammen oder verlängerten sich übermäßig und verloren ihre Köpfe in den Buchten der Toreinfahrten.

Der Himmel glich einer herabstürzenden düsteren Geröllhalde. Über den Häusern, von den Dächern schroff abgeschnitten, wälzten sich große Wolken wie Qualm aus Fabrikschloten, dann öffneten sich zwischen den ungeheuren Wolkenbänken riesige Lücken, in denen Fetzen des Sternenhimmels mit weißen Lichtern funkelten, bald wieder erlöschend unter dem dichten Schleier vorbeiziehender Wolken.

Im Schlaglicht der in größeren Abständen brennenden Gaslaternen traten Häuserwände aus der Dunkelheit hervor. Der immer wieder von Rinnen durchquerte Bürgersteig war trocken, und die Fugen des Pflasters zeichneten sich dunkel ab. Eine Abflußöffnung am Straßenrand, ein gußeiserner Deckel mit einem Loch in der Mitte, glänzte an einigen von den Schuhen stärker abgetretenen Stellen. Küchenreste, Gemüseabfälle und Plakatfetzen verrotteten in einer Pfütze. Eine Ratte schlüpfte in ein Abwasserrohr.

Als André und Cyprien das Ende dieser Straße erreicht hatten und in eine andere einbogen, die noch mit Leben erfüllt und besser beleuchtet war, schlug es halb. Ein Weinhändler war dabei, seine Schaufenster zu schließen. Hinten in der Wirtschaft in einem durch Milchglasscheiben abgetrennten Saal deckte ein Kellner den Billardtisch zu und wischte die auf der Bande zurückgebliebenen Kreidespuren mit einem Tuch ab; ein anderer, der nur von hinten zu sehen war, spülte im vorderen Raum über einen Zuber gebeugt Flaschen aus, wobei er Nacken und Hüften wie ein watschelndes Geflügeltier bewegte; ein dritter karrte zwei mit Lorbeer bepflanzte Faßhälften weg, und auf dem Bürgersteig markierten zwei schmutzige Flecken die Stelle, wo sie gestanden hatten.

Der Ladeninhaber machte sich daran, die Türschwelle naß zu reinigen. Einen Eimer zwischen den Beinen gähnte er, reckte sich mit erhobenen Armen und geballten Fäusten, und hinter ihm kommandierte seine Frau, den Hintern auf einer Bank platt gedrückt, den Busen auf der Kante des Schanktisches ausgebreitet, die Kellner herum, zupfte sich Nasenhaare aus und überprüfte die Kasse.

Die Straße war fast still; zwei Polizisten gingen melancholisch vorbei, unterhielten sich leise, blieben ab und zu stehen, setzten dann ihre Runde fort; begleitet von einem dumpfen Rollen zog in der Ferne ein ekelerregender Trupp Kloakenreiniger vorüber, trieb vor numerierte Fässer und Wagen voller Röhren und Pumpen gespannte Pferde mit Peitschenhieben an.

Der Lärm wurde unbestimmter und schwächer. Man hörte nur noch das kreischende Geräusch einer Droschke, die plötzlich auftauchte, die Lampen brannten, der Kutscher schlief unter seiner Mütze aus gummiertem weißen Leder, die wie ein Toiletteneimer aussah, das Kinn in den Hals gezogen, die Peitsche im Halter, die erschöpften Gäule strauchelten, zogen den Rumpelkasten holpernd durch die Straße; dann verklang der Lärm, das Rasseln der Schaufensterläden, die herabgelassen wurden, verebbte, das Viertel fiel in Schlaf, alles verstummte.

Cyprien brummte weiter in seinen Bart; seine Laune wurde nach dem Abend, den er hatte über sich ergehen lassen müssen, immer schlechter. Er lästerte über die Getränke, über die Frauen, behauptete, der Punsch sei fertig zubereitet bei einem Kolonialwarenhändler gekauft und mit Wasser verdünnt gewesen, um ihn zu desinfizieren; er leugnete den Charme der auf dem Klavier klimpernden oder Eis naschenden Töchter, er machte sich über den Herrn des Hauses lustig, der sich in der Nähe des Klaviers postiert hatte, um pflichtschuldig zu lächeln, und er fuhr fort:

»Wirklich reizend, die Abendgesellschaften deines Onkels! Ein Gedränge wie in einem Wartesaal! Nur die Leute, die Fettflecken auf die Karten machen, haben das Recht, Platz zu nehmen! Und da sitzen sie mit ihren kahlgewordenen Schädeln, den weißen Binden um den Hals, den aufgeblähten Bäuchen, eingezwängt in enge Hosen, die die Winde einer beschwerlichen Verdauung zurückhalten! Und der Salon, mit der Zurschaustellung alter Damen, die an der Wand entlang auf ihren Stühlen schlafen oder, die Nase über ein Glas gebeugt, schwatzen, und der Sturzbach der Unterhaltung, die Flut der Albernheiten, die Berieselung durch Polka- und Walzermusik! All das, und dazu diese Horde von Dummköpfen, die rosa und weiße Abendkleider auffordern, ihre Falten zu schwingen! Und erst die jungen Mädchen! Diese anbetungswürdigen Gefäße aus frischem Fleisch, angefüllt mit den Lastern ihrer Mütter, die sich in ihnen verjüngen! O ja, laß uns von ihnen sprechen! Man muß sie sehen, wenn sie stampfend ihre Röcke bewegen! Da sitzen sie mit ihrem Schmollmund, das Taschentuch auf den Knien, zieren sich auf ihren Stühlen, tauschen flüsternd hinter vorgehaltenen Fächern wie Schulmädchen in der Klasse ihre schlüpfrigen Dummheiten aus, fliegen plötzlich auf mit dem schrecklichen Kreischen freigelassener Papageienweibchen! Dann die tiefen Knickse der Ehrerbietung, die krausen Nasen, die blitzenden Gebisse, das ›ja, Mama‹, das ›nein, mein Liebes‹, das sinnlose Geplapper, das schelmische Lächeln, das heimliche Gekicher... die jungen Mädchen! Ich habe sie heute abend genau beobachtet: körperlich gesehen ein Angebot unreifer Brüste und künstlich ausstaffierter Hinterteile; geistig gesehen eine Unendlichkeit an tödlicher Einfallslosigkeit, ein Misthaufen an Gedanken in einem rosigen Lockenkopf! Ja, so sind sie, die man mir zudenkt in der Hoffnung, daß der Tag kommen wird, an dem ich es leid sein werde, in meinem Bett zu lesen und dort in aller Ruhe meine Pfeife zu rauchen und statt dessen das Elend des geteilten Betts, die Schlaflosigkeit oder das Schnarchen eines anderen, die Ellbogen- oder Fußpüffe, die Strapazen erwarteter Zärtlichkeiten und die Langeweile vorauszusehender Küsse auf mich nehmen werde!«

André lachte.

»Nun ja«, sagte er, »aber dann ist alles sehr einfach.– Aus deinen Theorien folgt: die Hinterlegung aller Leidenschaften im Pfandhaus, die Apotheose der Freudenmädchen – eine Liebe für drei Sous in Nebenzimmern!– und obendrein die Verherrlichung der Haushälterin, die dir Kerzen und Zucker stibitzt!

Ja, es ist amüsant, ein Feuerwerk der Paradoxe abzubrennen, aber der Augenblick kommt, wo die bengalischen Feuer feucht werden und nicht mehr zünden!– Dann vergeht einem das Lachen – ich habe genau deshalb geheiratet, weil dieser Moment gekommen war, weil ich es leid war, das von der Haushälterin oder der Concierge zubereitete Abendessen kalt aus einem Tongeschirr zu essen. – Ich hatte Hemdbrüste, die klafften und ihre Knöpfe verloren, und ungestärkte Manschetten – so wie die deinen –, ich hatte nie Lampendochte oder saubere Taschentücher zur Hand. – Wenn ich im Sommer morgens das Haus verließ und erst abends wieder zurückkam, war mein Zimmer ein Glutofen, weil die Vorhänge und die Rouleaus der Sonne wegen geschlossen geblieben waren; im Winter war es ein Eiskeller, weil zwölf Stunden lang nicht geheizt worden war. Ich hatte das Bedürfnis, endlich keine abgestandenen Suppen mehr zu essen, bei Einbruch der Dunkelheit Licht zu haben, in saubere Tücher zu schneuzen, mein Zimmer je nach Jahreszeit kühl oder warm vorzufinden. – Und auch du wirst dahin kommen, mein Guter; im Ernst, ist das ein Leben, wie ich es geführt habe, und wie du es immer noch führst? Ist das ein Leben, wenn das Herz ständig vom Schmutz der Dirnen besudelt wird; ist das ein Leben, wenn man sich nach einer Mätresse sehnt, so lange man keine hat, sich zu Tode langweilt, sobald man eine besitzt, wenn es einem die Seele zerreißt, sobald sie einen verläßt, und es einen nur noch mehr anödet, wenn eine neue ihren Platz einnimmt? O nein, das kann es nicht sein! Dummheiten hin, Dummheiten her, die Ehe ist besser. Sie macht die Begierde reizlos und dämpft die Sinne. Und das ist noch nicht alles! Sie hat auch noch andere Vorteile, mein Lieber, sie ist eine Sparkasse, in die man für die Pflege seiner alten Tage einzahlt! Sie gibt einem das Recht, seinen Groll auf dem Rücken eines anderen abzuladen, sich bei Bedarf bedauern und manchmal auch lieben zu lassen!

Ach, wenn es ein Brechmittel gäbe, mit dessen Hilfe man all die alten Zärtlichkeiten, die man in sich trägt, wieder ausspucken könnte, das wäre sicher ideal, aber da das nicht geht, ist es noch immer das vernünftigste, die Chance zu nutzen und zu versuchen, mit einer Frau glücklich zu werden, von der man annimmt, daß sie gut erzogen und anständig ist. – Aber zum Teufel, ich gebe wie du Tiraden von mir, und über diesem ganzen Gerede ist es zwanzig vor eins geworden; ich wünsche dir eine gute Nacht und gehe nach Hause.«

Cyprien schien nicht gewillt, sein Bett aufzusuchen.

»Du hast noch genug Zeit«, sagte er, »die anderen Male, die du zu den Abendgesellschaften der Désableaus gegangen bist, als deine Frau nicht die Grippe hatte und dich begleitete, bist du nie vor drei Uhr heimgekommen. Na, es stimmt doch, du hast großes Glück gehabt, mich in dem überhitzten Saal zu treffen, ich habe dir zur Flucht verholfen. Dadurch habe ich dir drei Stunden geschenkt, gib mir eine von den dreien zurück und dreh eine Runde mit mir.«

»Ach«, sagte André, »ich würde dir sogar acht oder zehn Stunden schenken, wenn ich nicht so müde wäre. Ich muß für meinen Roman das Treiben in einem Schlachthof bei Tagesanbruch besichtigen, und ich habe meine Frau darauf vorbereitet, daß sie mich morgen früh nicht vor elf Uhr zu erwarten braucht; trotzdem verzichte ich auf den Spaziergang, ich bin zerschlagen, ich friere, und außerdem wird es gleich regnen, komm, laß uns schlafen gehen.«

Aber Cyprien gab sich nicht geschlagen; er beharrte auf seinem Wunsch und führte die Bequemlichkeit seines Freundes ins Feld, die ihn kein zweites Mal zu so früher Stunde würde aufstehen lassen.

André gab ihm recht. Er wußte es selbst nur zu gut, denn genau deshalb hatte er diesen Tag gewählt, an dem er, weil er gar nicht erst ins Bett käme, bei Sonnenaufgang auf den Beinen sein würde! Aber Cyprien trug seine Argumente vergeblich vor, sein Freund blieb standhaft, setzte seinen Weg fort und kam vor seinem Haus an. Dort setzte er die Klingel in Gang und lehnte sich in der Erwartung, daß die Tür aufginge, gegen die Hauswand; er hörte in der Ferne den schrillen Ruf der Glocke, den dumpfen Schlag der Klingelschnur, das Knacken des Türflügels, der bereit war, nachzugeben. – Er hatte den Griff umsonst gezogen – da läutete er Sturm, die Klänge tanzten durch die Nacht, und der Riegel, der das Schloß öffnet, klickte. André drückte Cyprien die Hand und machte die Tür hinter sich zu.

Er strich ein Zündholz an, weil er fürchtete über die Matte, den Fußabstreifer, der über die erste Stufe herausragte, zu stolpern, und ging mit der Hast eines Menschen, der sich die Finger versengt hat und dem es nicht unlieb wäre, wenn er es sich bequem machen könnte, schnell die Treppe hinauf.

Er nahm zwei Stufen auf einmal, die eine Hand am Geländer, und die geschwungene Wand des Treppenhauses glitzerte mit ihrem gesprenkelten künstlichen Marmor im Dunkeln einmal mehr und einmal weniger, je nachdem, ob der Wind das Zündholz anfachte oder es fast zum Erlöschen brachte.

Auf jedem Treppenabsatz funkelten die Messingknöpfe der Türen, dann, als die Flamme erloschen war und das Holz sich zu Kohle verzehrte, leuchtete ein roter Punkt auf dem Firnis der Wände.

Nachdem er das Vorzimmer betreten und einen Leuchter von einem kleinen Postament genommen hatte, ging er, aus Furcht seine Frau zu wecken, mit aller Vorsicht weiter. Aber selbst wenn er auf Zehenspitzen ging, seine Stiefel knarrten.

Plötzlich blieb er erstaunt stehen, er hörte einen schwachen Stoß, als fiele ein Gegenstand auf etwas Weiches, als tappten nackte Füße über einen Teppich. Er dachte, seiner Frau gehe es schlechter, oder sie stehe auf, um ein Taschentuch zu holen oder ein anderes Bedürfnis zu befriedigen, da drang erregtes Tuscheln zu ihm, von Angst erstickte geflüsterte Sätze, Worte, fast laut gesprochen, dann in flehendem Ton gestammelt, andere kaum vernehmlich, wie zwischen zusammengepreßten Zähnen ausgestoßen.

Er befürchtete ein Unglück, eilte durch den Salon, stürzte ins Schlafzimmer, sah neben dem zerwühlten Bett einen Mann im Hemd, der sich entsetzt umdrehte, Möbel umstieß, einen Sessel zu sich heranzog, um Schutz zu suchen, was durch einen dahinter stehenden Stuhl vereitelt wurde. Die Frau unterdrückte einen Schrei, fiel starr vor Schrecken, mit weit aufgerissenen Augen nach hinten.

André unterdrückte ein »Um Gottes willen!«.

Man spürte furchtbare Verwirrung in dem Raum, ungeheure Panik. Der Mann rührte sich nicht, atmete kaum, die Frau zitterte vor Verzweiflung, ans Kopfende des Betts gelehnt, Beine und Brust unbedeckt, die rechte Hand hing herunter, die linke umklammerte das Laken.

Alle verharrten reglos, stumm. In dieser Totenstille begann Andrés Hand, mit der er die Kerze hielt, zu zittern, und der Leuchtereinsatz klirrte leise auf dem Messingunterteller.

Das leichte Geräusch schien die Frau aus ihrer Erstarrung aufzurütteln; sie stieß einen tiefen Seufzer aus, wollte sprechen, suchte nach Speichel, fand keinen, zog ihr Hemd hoch, bedeckte die Brust.

André hatte die Kerze auf einem Tisch abgestellt; er schien unentschlossen, ging auf und ab, blieb angespannt und bleich stehen, die Blicke auf seine Frau geheftet. Nur das Geräusch seiner Schritte war zu hören, die lauter oder leiser wurden, je nachdem, ob er auf dem Holzboden näherkam oder sich über den Teppich entfernte.

Ein schwacher Windhauch kam durch ein angelehntes Fenster, ließ die Kerze flackern und tropfen. Eine Azalee in einem Übertopf aus Fayence entblätterte sich, streute ihre Blüten wie Blutstropfen auf die resedafarbenen Blumenmuster eines Bettvorlegers; ein über eine Stuhllehne geworfener Unterrock fiel langsam herunter, breitete sich wie eine weiße Lache auf dem Parkett aus. Der durchdringende Geruch nackter Frauenarme erfüllte das Zimmer, vermischt mit einem zarten Jasminduft, der die diskrete Pflege der Liebestoiletten heraufbeschwor, ein Luxus, der sich in der Ehe verloren hatte und nun zurückkehrte, opalfarbenes Wasser, das die auf dem Boden der weiten Waschschüsseln aufgedruckten blauen Schilfbüschel badete.

Als André seinen Marsch unterbrach, plauderte die Wanduhr vernehmlich, verbreitete ihr monotones Ticktack, deutlich unterbrochen vom Ächzen eines Möbelstücks, von einer Vorhangkordel, die gegen die Fensterscheiben schlug.

André machte einen Schritt vorwärts, blieb vor seiner Frau stehen. Er bemühte sich, ruhig zu bleiben, aber die Worte kamen nur abgehackt hervor, weil seine Stimme zitterte.

»Ein Uhr in der Früh«, sagte er; »damit der äußere Schein gewahrt bleibt, Monsieur, wird es Zeit, daß sie sich ankleiden und gehen.«

Der Monsieur machte eine unsichere Bewegung. Die Frau ließ die Schultern sinken, ihre Hand öffnete sich, und das Laken, das sie damit festhielt, glitt sanft heraus wie ein feuchtes Stück Wäsche.

»Vorwärts, Monsieur«, fuhr André fort, »es ist genug, ich habe kein Interesse daran, Ihre Formen zu besichtigen, die Situation ist hinreichend lächerlich, machen wir ihr ein Ende.

Oh, wenn man bedenkt«, fuhr er fort... »daß man tatsächlich, selbst wenn man die Frauen studiert und eine verdammte Verachtung für sie gewonnen hat, auch nur dort endet, wo die Dummköpfe beginnen! Aber ich rede, und die Zeit verstreicht. O mein Gott, nun reicht es; Sie sind soweit, nicht wahr?«

Der junge Mann schlüpfte in seine Beinkleider, und sein schlecht verstautes Hemd beulte die Hose am Hintern aus. Die Weste knöpfte er notdürftig zu, zog Stiefel und den Rock an. Als er wieder in seiner Kleidung steckte, gewann er eine gewisse Sicherheit zurück, er sah dem Ehegatten ins Gesicht, stotterte ein paar zusammenhanglose Worte und fingerte in der Tasche seines Überziehers herum.

»Suchen Sie eine Visitenkarte?« fragte André, »man findet nie eine, wenn man eine braucht, das ist immer so. Aber das macht nichts, Ihr Familienname interessiert mich nicht; Ihren Vornamen wird meine Frau wohl kennen, und falls sie Ihre Adresse nicht weiß, können Sie sie ihr morgen schicken, damit sie Sie besuchen kann, wenn sie Lust hat. Jetzt nehmen Sie Ihren Hut, und lassen Sie uns hinausgehen.«

Der junge Mann war trotz allem mißtrauisch, befürchtete eine Falle. Er hatte Angst, der Ehemann werde ihn vorangehen lassen, und die Aussicht, sich tastend im Dunkeln zurechtfinden zu müssen, erschien ihm wenig verlockend. Aber André ging mit der Kerze in der Hand vor ihm her. Sie stiegen langsam die Treppe hinunter, wechselten keine weiteren Worte. Als sie unten beim gläsernen Abschlußknauf des Geländers anlangten, drehte André sich um, hob die Kerze hoch und sagte nur: »Seien Sie vorsichtig, Monsieur, hier ist eine Stufe«; und er fügte hinzu: »Ich mache Sie darauf aufmerksam, damit Sie nicht stürzen, das würde Lärm machen.«

Er klopfte an die Scheibe der Concierge, die Tür öffnete sich, und er schloß sie hinter dem Rücken des jungen Mannes, der einen tiefen Seufzer der Erleichterung ausstieß und murmelte:

»Verdammt, hab ich ein Glück, daß ich so davongekommen bin!«