Cover

Die Bulimie besiegen

Über dieses Buch

Dieser bewährte Ratgeber ist ein Wegbegleiter zur individuellen Selbsttherapie. Die illustrierte Neuausgabe greift die Kernthemen des ursprünglichen Buches in aktualisierter Form auf, ergänzt durch die neuesten biologischen und psychologischen Erkenntnisse auf dem Gebiet der Bulimie und ihrer Behandlungsmöglichkeiten.

Das Buch enthält Schritt für Schritt wissenschaftlich fundierte Anleitungen, die den Heilungsprozess unterstützen. Die Handlungsimpulse, Fragebögen, Fallstudien und anschaulichen Bilder bieten nicht nur Ermutigung, Hoffnung und neue Perspektiven, sondern auch leicht verständliche Informationen über eine schwere und weit verbreitete Ess-Störung.

Die Autorinnen

Ulrike Schmidt arbeitet als Ärztin für Psychiatrie am South London Maudsley Hospital, einer der größten Kliniken für Ess-Störungen.

Janet Treasure ist Direktorin des Zentrums für Ess-Störungen am Institut für Psychiatrie des King’s College in London und Therapeutin am South London Maudsley Hospital.

June Alexander erkrankte im Alter von elf Jahren an Magersucht. Es dauerte zwanzig Jahre, bis die Ess-Störung diagnostiziert wurde und der Heilungsprozess begann. Sie ist Mutter von vier Kindern und Autorin verschiedener Bücher.

Illustration

Jonathan Bachmann lebt und arbeitet als freischaffender Illustrator in Berlin. www.jonathanbachmann.de

Elise Pacquette hat die Vorlagen der Grafiken geschaffen. Selbst von einer schweren Ess-Störung geheilt, kennt sie die Kämpfe auf dem Weg zur Genesung aus eigener Erfahrung.

Impressum

Illustrierte Neuausgabe

Dieses Buch ist auch als Printausgabe erhältlich :

ISBN 978-3-407-86409-3

Die im Buch veröffentlichten Ratschläge wurden mit größter Sorgfalt und nach bestem Wissen von den Autorinnen erarbeitet und geprüft. Eine Garantie kann jedoch weder vom Verlag noch von den Verfasserinnen übernommen werden. Die Haftung der Autorinnen bzw. des Verlages und seiner Beauftragten für Personen-, Sach- oder Vermögensschäden ist ausgeschlossen. Wenn Sie sich unsicher sind, sprechen Sie mit einem Arzt oder Therapeuten.

Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Nutzung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52 a UrhG : Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne eine solche Einwilligung eingescannt und in ein Netzwerk eingestellt werden. Dies gilt auch für Intranets von Schulen und sonstigen Bildungseinrichtungen.

www.beltz.de

9., erweiterte und illustrierte Auflage

Autorisierte Übersetzung der englischen Originalausgabe »Getting Better Bite by Bite. A Survival Kit for Sufferers of Bulimia Nervosa and Binge Eating Disorders«, erschienen bei Routledge, a member of the Taylor & Francis group.

Übersetzung und deutsche Bearbeitung auf Grundlage der englischen Erstausgabe (1993) im Rahmen des Bulimie-Projekts an der Fachhochschule Bielefeld unter der Leitung von Prof. Cornelia Thiels. Übersetzungen aus der erweiterten englischen Neuausgabe (2016) von Ursula Bischoff

© 2016 by Routledge, a member of the Taylor & Francis group

© der deutschsprachigen Ausgabe : 2016 Verlagsgruppe Beltz, Werderstraße 10, 69469 Weinheim

Umschlaggestaltung : www.anjagrimmgestaltung.de (Gestaltung), www.stephanengelke.de (Beratung)

Umschlagabbildung : ©Alexey Kuzma/Stocksy

Illustrationen : Jonathan Bachmann, www.jonathanbachmann.de

E-Book: Beltz Bad Langensalza GmbH, Bad Langensalza

ISBN 978-3-407-22240-4

Inhalt

Einleitung

Bitte bedenken Sie

Die Möglichkeiten und Grenzen dieses Buches

1. Der Weg nach vorn

Wie Sie überprüfen können, ob Sie an Bulimie leiden

Der Umgang mit diesem Buch

Ziehen Sie Bilanz, bevor Sie die Reise antreten

Zurück in die Zukunft

Der Entschluss, sich auf den Weg zu machen

Die Etappen der Reise

2. Equipment für die Reise

Das Ernährungstagebuch

Eine neue Strategie im Umgang mit Schwierigkeiten

3. Diäten – wirkungslos und gefährlich

Die Schönheit liegt im Auge der Betrachterin

Was ist Ihr gesundes Gewicht ?

Sind Gewichtsschwankungen normal ?

Gesundheitliche Risiken durch Diäten

Was bedeutet eigentlich »normal essen« ?

Los geht’s !

4. Ess-Anfälle – der Magen als Schwarzes Loch

Warum man beim Essen die Kontrolle verlieren kann

Wie sich Ess-Attacken vermeiden lassen

5. Erbrechen, Abführmittel und Entwässerungstabletten – Essen rückgängig machen

Die tatsächlichen Wirkungen

Welche Methoden der Gewichtskontrolle wenden Sie an ?

Wie Sie mit dem Erbrechen aufhören können

Wie Sie den Missbrauch von Medikamenten beenden können

6. Lernen Sie, Ihren Körper zu mögen

Die Rolle der Medien und sozialen Netzwerke

Die negativen Folgen von Vergleich und selektiver Wahrnehmung

Lernen Sie Ihren Körper kennen

Geben Sie Ihrem Körper, was er braucht

Entspannung und Meditation

Mit dem Körper leben

7. Gesundheit und Bewegung

Ist Übergewicht tatsächlich ungesund ?

Das unerreichbare Ziel der Traumfigur

Jeder kann sportlich sein

Kleine Veränderungen, die fitter machen

8. Planen Sie Ihren Rückfall !

Aus Rückschlägen lernen

9. Die Wunden der Kindheit

Auswirkungen einer problematischen Kindheit

Sexueller Missbrauch

10. Wenn Ihre Denkmuster Ihnen eine Falle stellen

Fühlen Sie sich als »hässliches Entlein« ?

Sehen Sie alles schwarz ?

Werden Sie von Schuldgefühlen erdrückt ?

Wollen Sie immer alles richtig machen ?

Kontrollieren Sie sich und Ihre Umgebung übermäßig ?

11. Die eigene Stimme finden

Wie Sie Schritt für Schritt selbstsicher werden

Selbstbehauptung in der Praxis

12. Selbstzerstörerische Verhaltensmuster

Schaden Sie sich mit Suchtmitteln ?

Ist Alkohol Ihr Freund ?

Brauchen Sie den Kick des Klauens ?

Werfen Sie mit Geld um sich ?

13. Im Beziehungsgeflecht – Eltern, Freunde, Partner, Kinder

Elternhaus

Freunde

Sexualpartner

Kinder

14. Arbeitsfrust und Arbeitssucht

Weit verbreitete Probleme mit der Arbeit

Falscher Job

Workaholics

15. Das Ende der Reise ?

Niemals aufgeben

Danksagung

Adressen

Beratungsstellen

Fachkliniken

Selbsthilfegruppen und Kontaktstellen

Informationen im Internet

Weiterführende Literatur

Literatur zum Vorwort

Weiterführende Literatur zu folgenden Themen :

Einleitung

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Die wichtigste Botschaft auf jeder Seite dieses Ratgebers lautet, dass Heilung möglich ist, ungeachtet des Alters. Das Buch gibt nicht vor, der Weg aus einer so schweren Ess-Störung wäre ein Kinderspiel, doch es stattet Sie mit Fähigkeiten und Strategien aus, die den Genesungsprozess so reibungslos und lohnenswert wie möglich machen.

Die Bulimie besiegen beschreibt das Leben mit Bulimia nervosa oder Binge-Eating-Störung (später unter dem Begriff Bulimie zusammengefasst) authentisch, das heißt, so schonungslos, wie es ist. Die Vorstellungen, die sich die meisten Menschen von Ess-Störungen machen, stammen, sofern sie nicht unmittelbar davon betroffen sind, aus den Medien. Doch diese Vorstellungen stimmen selten mit der Realität überein. Bulimie oder Binge-Eating-Störung haftet nichts Glamouröses oder Erstrebenswertes an. Es handelt sich um schwere Ess-Störungen, die auch heute noch weitgehend unerforscht sind. Fehlannahmen und Fehlinformationen hinsichtlich der Ursachen, Gesundheitsrisiken und Behandlungsoptionen gibt es dagegen zuhauf. Der Zugang zu Therapien ist für viele Betroffene schwierig, und Freunde und Angehörige wissen oft nicht, wie sie helfen können. Dazu kommt, dass die Ärzte nicht immer einfühlsam oder verständnisvoll reagieren, sondern ihnen das Gefühl vermitteln, ihr Problem sei selbstverschuldet und belanglos ; dadurch verstärken sie charakteristische Merkmale der Krankheit wie Schuldgefühle, Scham und Vereinsamung.

Dieses Buch wurde ursprünglich für die Bulimie-Patienten der Klinik für Ess-Störung am Maudsley Hospital in London geschrieben. Sie wünschten sich mehr Informationen über ihre Erkrankung und praktische Ratschläge zur Bewältigung ihrer Probleme. Das Buch fasst in komprimierter Form die zentralen Elemente der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT) zusammen, die vom National Institute of Health and Care Excellence (NICE) als erfolgreichste Behandlungsform bei Bulimie empfohlen wird. Es enthält außerdem wissenschaftlich fundierte Strategien für die erfolgreiche Veränderung problematischer Verhaltensweisen, die das britische Institut in seinen veröffentlichten Richt- und Leitlinien für die Gesundheitsversorgung umrissen hat.

Die Bulimie besiegen ist als praktischer Ratgeber in mehrfacher Hinsicht einzigartig. Er konzentriert sich nachdrücklich auf die Förderung der Motivation und Überzeugung der Leser, einen grundlegenden Wandel bewirken zu können, schließt Strategien für den Umgang mit den weit verbreiteten, begleitenden Problemen ein und ist leicht verständlich geschrieben. Die erste Auflage des Buches, 1993 erschienen, hat vielen Betroffenen bei der Überwindung der Ess-Störung geholfen, nicht nur in der Maudsley Klinik, sondern weltweit. Wir erhielten zahlreiche Zuschriften von Menschen, die das Buch durchgearbeitet, ihre persönliche Lebens- und Leidensgeschichte geschildert und uns wertvolle Rückmeldungen gegeben haben. Viele sahen sich dadurch imstande, sowohl ihr gestörtes Essverhalten als auch andere Schwierigkeiten in ihrem Leben in Angriff zu nehmen. Einige – oft diejenigen, die ein weniger klares Ziel vor Augen hatten – fanden das Buch hilfreich, um ihr Problem zu erfassen und sich aufgrund der enthaltenen Informationen für oder gegen eine Therapie zu entscheiden.

Klinische Studien belegen, dass bei einem erheblichen Teil der Leser, die das Buch in eigener Regie durchgearbeitet hatten, eine vollumfängliche und anhaltende Heilung von der Ess-Störung erfolgte ; wurde es im Rahmen einer professionellen Behandlung mit Unterstützung und Anleitung eines Therapeuten eingesetzt, reichten wenige Sitzungen aus, um die gleichen Ergebnisse und eine noch länger anhaltende Wirkung als die kognitive Verhaltenstherapie zu erzielen, die Lösungswege im direkten Gespräch erarbeitet und erheblich mehr Zeit in Anspruch nimmt.

Die kognitive Verhaltenstherapie, die von einem Therapeuten durchgeführt wird, schließt eine Fallkonzeption in Form eines Diagramms oder eine Modus-Landkarte ein, die den »Zusammenhang« der Probleme des Patienten veranschaulicht. Das kann sehr hilfreich sein, vor allem, wenn sie individuell, sprich auf die Situation des Einzelnen zugeschnitten wurde. Doch dieser Ansatz ist nicht immer »nach dem Geschmack« des Patienten, wenn die Diagramme beispielsweise zu kompliziert oder zu einfach sind oder die Betroffenen sich gezwungen sehen, mit einer wenig hilfreichen schematischen Darstellung vorliebzunehmen.

Forschungsergebnisse belegen, dass Therapeuten solche Diagramme lieben, obwohl nicht klar ist, wie nützlich oder unerlässlich sie tatsächlich für die Problembewältigung der Betroffenen sind. Deshalb haben wir beschlossen, auf ein solches Diagramm zu verzichten. Stattdessen haben wir uns für einen problemorientierten Ansatz entschieden und in jedem Kapitel einen Bereich angesprochen, der für die meisten Menschen mit Bulimie oder Binge-Eating-Störung und bestimmte Untergruppen relevant ist.

Die Neuausgabe kann auch Ihnen helfen, den Teufelskreis des Ess- und Brechzwangs zu durchbrechen. Den Weg des Wandels müssen Sie selber gehen, aber wir sehen unsere Aufgabe darin, Sie bei der Planung, Vorbereitung und bei jedem Schritt zu unterstützen, der Sie Ihrem Ziel näherbringt. Wir werden Ihnen Wegweiser liefern und auf Gefahren und Stolpersteine aufmerksam machen, mit denen Sie konfrontiert werden könnten. Und besonders wichtig : Wir zeigen Ihnen, wie Sie die unvermeidlichen Hindernisse überwinden. Wie groß die Hürde auch sein mag, Sie schaffen es, sie zu bewältigen und ans Ziel zu gelangen. Denken Sie daran, dass es immer eine Lösung gibt.

Vielleicht haben Sie gemischte Gefühle angesichts der Aussicht, das mit dem vertrauten Terrain der Bulimie verbundene trügerische Sicherheitsempfinden aufzugeben. Sie wissen, dass überall Gefahren lauern, und haben unter Umständen Möglichkeiten entdeckt, sie zu ignorieren oder jeden Gedanken daran zu verdrängen. Sie haben Angst, ohne den Rückhalt der Bulimie oder Binge-Eating-Störung Neuland zu betreten. Aber seien Sie zuversichtlich : Dieses Buch ist voller »Reiseberichte« von Menschen wie Ihnen, die sich auf den Weg gemacht haben.

Viele junge Frauen haben zu diesem Buch beigetragen. Wir haben ihre Geschichte und ihren Leidensweg aufgezeichnet, um Ihnen zu zeigen, dass Sie nicht alleine sind mit Ihrem Problem. Dieses Buch soll Sie auch dabei unterstützen, alte Denkmuster, mit denen Sie sich selbst schädigen, aufzugeben. Es stellt Ihnen die notwendigen Hilfsmittel bereit, um diese Reise aus eigener Initiative antreten zu können und selbständig auf dem Weg der Genesung voranzuschreiten.

Mit Hilfe des Buches werden Sie in der Lage sein, Verzögerungen und Umwege auf der Reise vorauszusehen und mit ihnen umzugehen. Zu Anfang fühlen Sie sich vielleicht unbehaglich, aber mit der Zeit werden Sie die Vorteile Ihrer neu gewonnenen Stärke erkennen.

Nicht jeder kann die Reise beim ersten Mal erfolgreich abschließen. Rückschläge und Ausrutscher kommen immer wieder vor. Daraus können Sie jedoch lernen. Manchen Betroffenen erscheint der Veränderungsprozess langsam und mühselig. Sie müssen sich immer wieder auf die Füße helfen, um schließlich das Ziel zu erreichen ; für andere wiederum ist der Weg viel einfacher.

Die Dauer des Genesungsprozesses ist von Mensch zu Mensch verschieden. Drei Monate sind der Durchschnitt ; das Buch kann Sie aber über Jahre begleiten, um Ihnen immer wieder Rat zu geben, wenn starke Strömungen Sie in die Arme der Bulimie zurücktreiben wollen.

Vielleicht haben Sie immer noch das Gefühl : »Ich kann mir nicht selbst helfen. Ich habe es versucht. Mein Problem ist zu schwerwiegend. Ich brauche jemanden, der die Sache in die Hand nimmt.« Jede Form der Behandlung kann nur dann etwas bewirken, wenn Sie selbst aktiv daran mitarbeiten. Je mehr Sie in die Behandlung investieren, desto mehr werden Sie herausbekommen. Aus diesem Grund können Sie auch genauso gut jetzt beginnen, mit diesem Buch ein Stück des Weges zurückzulegen. Was hier beschrieben ist, kann Ihnen nicht helfen, Ihr Problem von einer Minute zur anderen zu lösen. Mit der Entscheidung, Ihr chaotisches Essverhalten aufzugeben, haben Sie jedoch bereits den ersten wichtigen Schritt getan, um zu mehr Freiheit und zu einer größeren Selbstachtung zu finden.

Einige Patientinnen und Patienten werden von ihren Familien oder Partnern dazu gebracht, an ihren Problemen zu arbeiten. Dieses Buch kann Ihnen jedoch nur dann helfen, wenn Sie sich wirklich selbst Ihren Schwierigkeiten stellen wollen. Es kann Ihnen nicht helfen, wenn Sie nicht eindeutig zu Veränderungen bereit sind und sich nur einer anderen Person zuliebe auf den Weg machen wollen. Um Ihre Motivation zu beurteilen, ist es notwendig, dass Sie in Kapitel 1 Ihren eigenen Bulimie-Bilanzbogen ausfüllen und eine Kopie immer bei sich tragen (z. B. in Ihrer Tasche). So können Sie ihn regelmäßig zu Rate ziehen, wo immer Sie gerade sind.

In den nächsten Wochen wird eine Menge harter Arbeit auf Sie zukommen. Auch wenn Sie fest entschlossen sind, Ihren Zustand zu verbessern, werden Sie sicherlich Höhen und Tiefen erleben. Die beste Art, damit umzugehen, ist, jeden Tag so zu nehmen, wie er kommt, und nicht über die Vergangenheit zu brüten.

Sie sind vielleicht versucht, dieses Buch zu »verschlingen«, d. h., es sehr schnell zu lesen und dann in die Ecke zu werfen und sich einzureden, dass Sie das doch schon alles gewusst haben. Wenn Sie ehrlich zu sich selbst sind, stimmt das wahrscheinlich nicht. Versuchen Sie deshalb, sich die Schritte langsam zu erarbeiten – nehmen Sie sich z. B. nur ein Kapitel pro Woche vor.

Dieses Buch kann Sie nicht vollständig heilen. Es kann Ihnen jedoch helfen, Ihre Ess-Störung so weit in den Griff zu bekommen, dass sie Ihr Leben nicht mehr beherrscht. Es geht hier nicht in erster Linie darum, Ihnen verstehen zu helfen, warum Sie eine Ess-Störung entwickelt haben. Ein Verständnis der zugrunde liegenden Ursachen zu gewinnen ist oft schwierig, in jedem Fall langwierig und in manchen Fällen auch ganz unmöglich. Obwohl es wichtig ist, die Ursachen der Ess-Störung zu verstehen, hilft das allein nur selten, die quälenden Essgewohnheiten aufzugeben. Dieses Buch soll Menschen dabei helfen, zunächst ihre Symptome zu behandeln und mehr Kontrolle über ihr Leben zu erlangen. Wenn sich die Symptome gebessert haben, werden häufig auch die zugrunde liegenden Ursachen viel klarer, und es ist dann sehr viel leichter zu entscheiden, ob diese Ursachen auch behandelt werden müssen.

1.Der Weg nach vorn

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Wie Sie überprüfen können, ob Sie an Bulimie leiden

Es gibt eine verwirrende Anzahl von Begriffen, um das Problem des zwanghaften Essens zu bezeichnen. Einige davon sind Ihnen vielleicht schon begegnet : Bulimia nervosa, Bulimie, Ess- und Brechsucht oder Bulimarexia. Diese Etikettierungen überschneiden sich und haben sehr viel gemeinsam. Bulimie hängt nicht vom jeweiligen Körpergewicht ab. Wir haben sehr schlanke Patientinnen gesehen, Patienten mit Idealgewicht und auch übergewichtige Menschen. Falls Sie sich nicht sicher sind, ob Sie ernsthaft unter Bulimie leiden, beantworten Sie den folgenden Fragebogen.

Bulimie-Fragebogen

1. Haben Sie regelmäßige, tägliche Essgewohnheiten ?

Ja = 0
Nein = 1

2. Halten Sie eine strenge Diät ?

Ja = 1
Nein = 0

3. Haben Sie das Gefühl, versagt zu haben, wenn Sie einmal Ihre Diät nicht einhalten ?

Ja = 1
Nein = 0

4. Zählen Sie bei allem, was Sie essen, die Kalorien, auch wenn Sie keine Diät machen ?

Ja = 1
Nein = 0

5. Kommt es vor, dass Sie einen ganzen Tag fasten ?

Ja = 1
Nein = 0

6. Wenn ja, wie oft kommt das vor ?

Habe ich einmal gemacht = 1
Ab und zu = 2
Einmal pro Woche = 3
Zwei- bis dreimal pro Woche = 4
Jeden 2. Tag = 5

7. Bedienen Sie sich eines der folgenden Mittel, um abzunehmen ?

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Beantworten Sie die Fragen a–d getrennt und addieren Sie die Punkte.

Gesamtpunkte =  .................................

8. Wirkt sich Ihr Ess-Verhalten sehr störend auf Ihr Leben aus ?

Ja = 1
Nein = 0

9. Würden Sie sagen, dass Essen Ihr Leben beherrscht ?

Ja = 1
Nein = 0

10. Kommt es vor, dass Sie essen und essen, bis körperliche Beschwerden Sie zwingen aufzuhören ?

Ja = 1
Nein = 0

11. Gibt es Zeiten, in denen Sie nur ans Essen denken ?

Ja = 1
Nein = 0

12. Essen Sie in Gegenwart anderer gemäßigt und holen Sie das Versäumte heimlich nach ?

Ja = 1
Nein = 0

13. Können Sie immer aufhören zu essen, wenn Sie es wollen ?

Ja = 0
Nein = 1

14. Kennen Sie den überwältigenden Drang, zu essen und immer wieder zu essen ?

Ja = 1
Nein = 0

15. Neigen Sie dazu, viel zu essen, wenn Sie Angst haben ?

Ja = 1
Nein = 0

16. Erschreckt Sie der Gedanke, dick zu werden ?

Ja = 1
Nein = 0

17. Kommt es vor, dass Sie schnell große Mengen auf einmal essen ?

Ja = 1
Nein = 0

18. Schämen Sie sich wegen Ihrer Essgewohnheiten ?

Ja = 1
Nein = 0

19. Machen Sie sich Sorgen, dass Sie keine Kontrolle darüber haben, wie viel Sie essen ?

Ja = 1
Nein = 0

20. Suchen Sie Trost im Essen ?

Ja = 1
Nein = 0

21. Können Sie am Ende einer Mahlzeit etwas auf dem Teller übriglassen ?

Ja = 0
Nein = 1

22. Täuschen Sie andere Leute darüber, wie viel Sie essen ?

Ja = 1
Nein = 0

23. Entscheidet Ihr Hungergefühl darüber, wie viel Sie essen ?

Ja = 0
Nein = 1

24. Kommt es vor, dass Sie große Mengen von Essen regelrecht verschlingen ?

Ja = 1
Nein = 0

25. Wenn ja, fühlen Sie sich nach solchen Attacken elend ?

Ja = 1
Nein = 0

26. Wenn Sie solche Attacken haben, passiert das nur, wenn Sie alleine sind ?

Ja = 1
Nein = 0

27. Wenn Sie solche Attacken haben, wie oft kommt es vor ?

So gut wie nie = 1
Einmal im Monat = 2
Einmal pro Woche = 3
Zwei- bis dreimal pro Woche = 4
Täglich = 5
Mindestens zwei- bis dreimal am Tag = 6

28. Würden Sie große Anstrengungen unternehmen, um dem Drang, sich vollzustopfen, nachgeben zu können ?

Ja = 1
Nein = 0

29. Fühlen Sie sich schuldig, wenn Sie zu viel essen ?

Ja = 1
Nein = 0

30. Kommt es vor, dass Sie heimlich essen ?

Ja = 1
Nein = 0

31. Würden Sie Ihre Essgewohnheiten als normal bezeichnen ?

Ja = 0
Nein = 1

32. Würden Sie sich als zwanghafte/n Esser/in einschätzen ?

Ja = 1
Nein = 0

Quelle : M. Henderson und C.P.L. Freeman in : British Journal of Psychiatry, Nr. 150, 1987, S. 18-24.

33. Schwankt Ihr Gewicht in einer Woche um mehr als 5 Pfund ?

Ja = 1
Nein = 0

Auswertung

Addieren Sie zunächst Ihre Punkte aus den Fragen 6, 7 und 27. Diese geben Ihnen einen Hinweis auf den Schweregrad der Bulimie. Wenn Sie 5 Punkte oder mehr erreichen, haben Sie zur Zeit eine ausgeprägte Ess-Störung.

Zählen Sie nun die Punkte aus den übrigen Fragen zusammen. Sie beziehen sich auf die Symptome. Wenn Sie 15 oder mehr Punkte erreichen, haben Sie viele der Gedanken und Einstellungen, die mit einer Ess-Störung einhergehen, und sind darüber beunruhigt.

Der Umgang mit diesem Buch

Wie viele Leute haben Sie vielleicht die Angewohnheit, zunächst das Ende eines Buches zu lesen oder in der Mitte anzufangen bei dem Kapitel, dessen Überschrift Sie besonders anspricht. Während im Prinzip kein Grund besteht, mit diesem Buch nicht genauso zu verfahren, gibt es ein paar Dinge, die Sie wissen müssen, bevor Sie anfangen :

Die Kapitel 1 bis 6 sind die grundlegenden Kapitel, die Ihnen alle Schritte vermitteln, die Sie benötigen, um problematische Ess-Gewohnheiten aufzugeben. Es ist sinnvoll, sie im Zusammenhang zu lesen, wobei die Reihenfolge Ihnen überlassen bleibt. Mit Hilfe dieser Kapitel können Sie feststellen, ob Ihre Entscheidung, die Bulimie zu überwinden, richtig ist und ob Sie auch wirklich bereit sind, dies zu tun.

Wenn Sie zusätzlich zu Ihrer Ess-Störung übergewichtig sind, sollten Sie Kapitel 7 in Ihre anfängliche Lektüre einbeziehen.

Die Kapitel 9 bis 14 konzentrieren sich auf Zusammenhänge zwischen Ihrer Ess-Störung und anderen Bereichen Ihres Lebens. Sie können diese Kapitel in den nächsten Wochen in aller Ruhe und in beliebiger Reihenfolge lesen. Sie sollen Ihnen helfen, Probleme in anderen Lebensbereichen aufzuspüren, Zusammenhänge herzustellen und Faktoren zu identifizieren, die möglicherweise Hürden bei der Überwindung Ihrer Ess-Störung darstellen.

Falls Sie momentan stark trinken oder regelmäßig Medikamente einnehmen, raten wir Ihnen, Kapitel 12 auch gleich zu Beginn zu lesen. Drogen- und Alkoholprobleme erschweren die Behandlung von Ess-Störungen wesentlich und sollten daher frühzeitig in Angriff genommen werden. Kapitel 12 kann Ihnen dabei helfen, a) festzustellen, wie schwerwiegend Ihr Alkohol- oder Drogenproblem ist, und b) zu entscheiden, was Sie dagegen tun können.

Ziehen Sie Bilanz, bevor Sie die Reise antreten

Bevor Sie sich auf den Weg machen, ist es wichtig, die grundlegenden Informationen in den Kapiteln 2 bis 6 aufzunehmen.

Beginnen Sie damit, diese Kapitel im Zusammenhang zu lesen. Überspringen Sie bei diesem Schritt zunächst die dort gegebenen Anweisungen. Lesen Sie jedes Kapitel so oft, bis Sie sicher sind, dass Sie die Informationen auch wirklich aufgenommen haben.

Sind Sie bereit, die Reise anzutreten   ?

Der Bulimie-Bilanzbogen

Wenn Sie nach der Lektüre dieser ersten Kapitel eine ruhige Stunde finden, dann arbeiten Sie an der Erstellung Ihres Bulimie-Bilanzbogens. Nehmen Sie zuerst ein großes Stück Papier und teilen Sie es der Länge nach in zwei Spalten. Über die eine Spalte schreiben Sie »Gründe, mein bulimisches Verhalten aufzugeben«, und über die andere »Gründe, mein bulimisches Verhalten beizubehalten«. Ein Beispiel finden Sie auf der nächsten Seite.

Bulimie-Bilanzbogen

Gründe, mein bulimisches Verhalten aufzugeben

Gründe, mein bulimisches Verhalten beizubehalten

Vorteile der Veränderung für mich

Nachteile der Veränderung für mich

Vorteile der Veränderung für andere

Nachteile der Veränderung für andere

Sie mögen gute Gründe haben, Ihr gewohntes Essverhalten beizubehalten, und gleichzeitig möchte ein Teil von Ihnen mit allen Mitteln einen Ausweg aus dem Teufelskreis der Bulimie finden. Es ist unmöglich, alle Gedanken, Argumente und Ideen gleichzeitig im Kopf gegeneinander abzuwägen. Das Erstellen einer Bilanz wird Ihnen helfen, das Ganze zu systematisieren. Planen Sie eine Woche für dieses Projekt ein und arbeiten Sie jeden Tag daran. Um Ihre Gedanken und Argumente noch klarer zu gliedern, unterteilen Sie bitte die Längsspalten durch eine waagrechte Linie. In der Spalte, in der Sie Gründe sammeln wollen, die für den Weg der Heilung sprechen, schreiben Sie in die obere Hälfte »Vorteile der Veränderung für mich« und in die untere Hälfte »Vorteile der Veränderung für andere«. Die obere Hälfte der rechten Spalte überschreiben Sie entsprechend mit »Nachteile der Veränderung für mich«, die untere Hälfte mit »Nachteile der Veränderung für andere«.

Weiter unten haben wir Argumente aus den Bilanzbögen anderer Menschen aufgeführt. Einige Argumente mögen Ihrer Situation entsprechen, andere vielleicht weniger. Nehmen Sie sich aber auf jeden Fall die Zeit, Ihre eigenen Gründe, die für oder gegen den Prozess der Heilung sprechen, zu finden. Behalten Sie diesen Bilanzbogen die ganze Woche im Hinterkopf, oder – besser noch – nehmen Sie ihn überall dorthin mit, wo Sie sich aufhalten, um neue Gedanken spontan notieren zu können. Versuchen Sie dabei, die Ideen so konkret wie möglich auszuformulieren.

Mögliche Gründe, um mit der Bulimie aufzuhören

Vorteile der Veränderung für mich selbst

o

»Ich werde mich nicht mehr die ganze Zeit müde und unwohl fühlen.«

o

»Meine Zähne werden nicht weiter zerstört.«

o

»Ich werde gesünder aussehen.«

o

»Mein Darm wird normal funktionieren, ohne unnatürliche Praktiken.«

o

»Mein Körper wird sich wieder regenerieren.«

o

»Ich brauche nicht mehr wegen der Art und der Menge meines Essens zu lügen.«

o

»Ich werde an allen geselligen Aktivitäten ohne Ausreden teilnehmen können.«

o

»Ich werde für die Liebe und auch in sexueller Hinsicht aufgeschlossener sein.«

o

»Ich brauche keinem mehr etwas vorzumachen, wenn es um Erbrechen oder die Einnahme von Abführmitteln geht.«

o

»Ich werde mich besser konzentrieren und bessere Arbeit leisten können.«

o

»Ich werde etwas Positives erreicht haben.«

Vorteile der Veränderung für andere

o

»Ich werde mehr Zeit mit meiner Familie und Freunden verbringen können und brauche keine Ausreden mehr zu finden, um mich vor dem gemeinsamen Essen zu drücken.«

o

»Meine Mitbewohner werden keine leeren Lebensmittelschränke mehr vorfinden.«

o

»Mein Partner wird mich wieder eher küssen wollen, wenn ich nicht mehr ständig erbreche.«

o

»Ich werde weniger gereizt und aggressiv sein.«

o

»Meine Eltern werden aufhören, sich zu sorgen, dass ich sterben könnte.«

o

»Meine Freunde brauchen nicht mehr zuzusehen, wie ich mein Leben zerstöre.«

o

»Meine Eltern/mein Ehemann/mein Freund sind nicht länger damit belastet, eine Tochter/eine Frau/eine Freundin mit einer offensichtlichen Ess-Störung zu haben.«

o

»Bei der Arbeit werde ich einen gesunden und kompetenten Eindruck machen.«

Nachteile der Veränderung und Genesung

Nachteile der Veränderung für mich

o

»Ich werde mich am Anfang vor Essenszeiten fürchten.«

o

»Ich werde mich aufgedunsen und vollgestopft fühlen.«

o

»Mein Bauch wird nach dem Essen kleiner Mengen ›vorspringen‹.«

o

»Ich könnte Schwellungen um meine Augen und Fesseln bekommen.«

o

»Ich werde mich wegen meines Gewichts sehr ängstigen.«

o

»Es wird so schwierig, dass ich mit Sicherheit versagen werde, und dann fühle ich mich schlimmer denn je.«

o

»Ich werde das Gefühl haben, die Kontrolle über alles zu verlieren.«

o

»Ich werde mich meinen Verantwortlichkeiten stellen müssen.«

o

»Ich werde mich unbehaglich, elend und ängstlich fühlen.«

o

»Ich werde mich selbst und meinen Körper hassen.«

Nachteile der Veränderung für andere

o

»Ich werde mehr aktive Hilfe und Unterstützung von meinen Eltern/meinem Partner brauchen.«

o

»Meine Stimmung wird vielleicht häufiger schwanken.«

o

»Ich werde anderen nicht mehr den Eindruck vermitteln können, ich hätte mein Essverhalten und mein Gewicht unter Kontrolle.«

o

»Ich werde vielleicht durchsetzungsfähiger und dominanter, wenn ich von dieser Last aus Scham und Schuldgefühlen befreit bin. Das könnte meine Beziehungen aber aus dem bisherigen Gleichgewicht bringen.«

Wenn Ihr Bilanzbogen fertig erstellt ist, gehen Sie ihn durch und geben Sie jedem Vor- bzw. Nachteil eine Bewertung auf einer Skala von 1 bis 10 (10 = ein sehr wichtiger Vor- bzw. Nachteil ; 1 = ein nur wenig wichtiger Vor- bzw. Nachteil).

Zurück in die Zukunft

Wir empfehlen Ihnen jetzt, folgende Übung zu machen. Es wird hilfreich sein, wenn Sie Ihren Bilanzbogen während der Übung vor sich liegen haben.

Stellen Sie sich Ihre Situation in fünf Jahren vor, nachdem Sie beschlossen haben, es sei zu schwierig und zu riskant, Ihre Ess-Störung zu überwinden. Sie leiden weiterhin an Bulimie. Alles ist fehlgeschlagen. Alle negativen Konsequenzen, die Sie auf Ihrem Bilanzbogen bedacht hatten, sind eingetroffen. Sie wissen nicht mehr ein noch aus. Sie beschließen, einer engen Freundin zu schreiben, die Sie seit einiger Zeit nicht mehr gesehen haben, weil sie im Ausland lebt. Sie wissen, dass sie Sie gernhat und sich nicht durch oberflächliches Gerede täuschen lässt. Außerdem sind Sie sich bewusst, dass Ihre Freundin sowieso alles erfahren wird, wenn Sie demnächst zurückkehrt. In der Vergangenheit haben Sie erlebt, dass sie Ihnen immer seelischen und praktischen Beistand gegeben hat, wenn Sie Hilfe brauchten. Sie wissen, dass Sie ihr ausführlich über Ihre derzeitigen Schwierigkeiten berichten können.

Bevor Sie den Brief an Ihre Freundin aufsetzen, hier noch eine kleine Liste von Dingen, die Sie auf jeden Fall erwähnen sollten :

Versuchen Sie, so realistisch wie möglich zu sein, und beschreiben Sie die Situation in fünf Jahren, als wäre es heute.

Hier ist ein Beispiel von einer Frau, die auch an Bulimie litt und sich mit demselben Instrument auf die Reise der Genesung vorbereitete :

25. Mai 2015

Liebe Sarah,

Schreiben Sie jetzt Ihren eigenen Brief. Lesen Sie ihn genau durch. Wollen Sie wirklich so eine Zukunft ?
Schreiben Sie jetzt einen Brief, in dem Sie Ihre Situation beschreiben, fünf Jahre nachdem Sie Ihre Bulimie unter Kontrolle gebracht haben. Ist dies die Art von Zukunft, die Sie sich wünschen ?