Roy Porter

Geschröpft
und zur Ader gelassen

Eine kleine Kulturgeschichte der Medizin

Aus dem Englischen
von Christian Detoux

DÖRLEMANN

Der Originaltitel »Blood and Guts. A Short History of Medicine« erschien 2002 bei Allan Lane, Penguin Books in London.



Für Natsu, die Allheilerin



eBook-Ausgabe 2016
Alle deutschsprachigen Rechte vorbehalten
© 2002 by The Estate of Roy Porter
© 2004 by Dörlemann Verlag AG, Zürich
Satz und eBook-Umsetzung: Dörlemann Satz, Lemförde
ISBN 978-3-908778-68-4
www.doerlemann.com

Inhalt

Vorwort

 

1  Krankheit

2  Ärzte

3  Der Körper

4  Das Labor

5  Behandlungsmethoden

6  Chirurgie

7  Das Krankenhaus

8  Die Medizin in der modernen Gesellschaft

 

 

Anhang

Verzeichnis der Abbildungen

Weiterführende Literatur

Danksagung

 

In der Heilkunst wirken drei Kräfte zusammen,
die Krankheit und der Kranke und der Arzt.
Der Arzt sei der Handlanger der Kunst;
der Kranke muß sich der Krankheit widersetzen
unter dem Beistand des Arztes.

Hippokrates, Die epidemischen Krankheiten, I, II

  

Arzt, hilf dir selber!

Lukas 4,23

Vorwort

Diese Übersicht erforscht die historische Interaktion zwischen Mensch, Krankheit und Gesundheitswesen im Kontext von Gesellschaften und ihren Überzeugungen. Die Kürze des Buches macht es erforderlich, daß ich mich auf die westliche Medizin beschränke – die einzige Tradition, die sich weltweit verbreiten konnte. Indem ich Veränderung über Kontinuität stelle, erzähle ich diese Geschichte so detailliert, wie der Platz es erlaubt: Krankheit (Kapitel 1); Heiler in ihren verschiedenen Inkarnationen (Kapitel 2); die Untersuchung des Körpers (Kapitel 3); die modernen biomedizinischen Wissenschaften, die im Labor vorangetrieben wurden und aus denen das biomedizinische Modell von Krankheit entstand (Kapitel 4); Behandlungsmethoden, besonders im wissenschaftlichen Zeitalter (Kapitel 5); Chirurgie (Kapitel 6); und die medizinische Schlüsselinstitution Krankenhaus (Kapitel 7). Die abschließende Diskussion (Kapitel 8) beurteilt weiterführende sozio-politische Aspekte und Implikationen der modernen Medizin.

Viel zuwenig wird von der persönlichen Seite die Rede sein, wie Menschen Krankheiten erleben und wie diese ihr Leben beeinflussen. Aber die Art und Weise, wie Betroffene mit Krankheit, Behinderung und dem möglichen Tod umgehen, ist in diesem Buch allgegenwärtig. Furcht vor potentieller und tatsächlicher Krankheit, vor Schmerzen aufgrund von akuten oder chronischen Beschwerden und der Schrecken der Sterblichkeit zählen zu unseren universellsten und gewaltigsten Erfahrungen. Daher dürfen Religion und Philosophie als Ergebnisse der Bemühungen von uns Menschen verstanden werden, mit Leiden und Tod umzugehen – im Kopf wie im Herzen, individuell wie kollektiv.

Mittels einer Vielzahl von Volksglauben und -praktiken haben menschliche Gesellschaften versucht, Krankheiten in Schach zu halten, sie zu bekämpfen, zu kontrollieren und zu rationalisieren. Als Reaktion auf die nagende Frage »warum ich?« wurden Krankheiten oft personifiziert, als Richterspruch verstanden oder moralisch aufgeladen. So gibt es »schlechte« und »gute« Krankheiten – zu den »schlechten« zählen etwa die biblische Seuche Lepra und die Syphilis, die beide gesellschaftlich stigmatisiert sind, zu den »guten« gehören zum Beispiel die Tuberkulose, die oft mit romantischem Genie in Verbindung gebracht wurde, und die Gicht, die den Gentleman auszeichnete. Krankheit wurde auch als Zorn Gottes verstanden – eine archaische Idee, die beim Aufkommen von Aids wiederauflebte. Medizinethnologen haben gezeigt, daß die verschiedenen Konzepte des menschlichen Körpers, sowohl des gesunden wie des kranken, für die Herausbildung sozialer Wertesysteme und selbst für das, was »body politic« (»politischer Körper«, also die politische Gemeinschaft oder Zivilgesellschaft) genannt wurde, entscheidend sind.

Weil es nur die Geschichte der Medizin zum Thema hat, kann dieses Buch nicht auf individuelle Aspekte und die persönliche Erfahrung von Krankheit eingehen; für Bücher zu diesen Fragen sei auf den Abschnitt »Weiterführende Literatur« verwiesen. Die Angst vor Krankheiten und Ärzten jedoch ist allgegenwärtig. Und wenn wir unser Ich korrekterweise als Geist-Körper-Kontinuum verstehen und Krankheiten als teilweise psychosomatisch bedingt, dann ist diese Angst nicht als Neben-, sondern als Hauptsache in der Geschichte des Leidens und seiner Linderung zu begreifen. Die Qualen der Kranken und Sterbenden geistern durch die Geschichte von Krankheit und Medizin, die im folgenden erzählt wird.