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© Piper Verlag GmbH, München 2016

Redaktion: Ulrike Gallwitz, Ebringen

Coverkonzeption: Büro Hamburg

Covergestaltung: Birgit Kohlhaas, kohlhaas-buchgestaltung.de

Coverabbildung: Straßenmusiker in Santiago de Cuba (age fotostock/Look-foto)

Karte: Cartomedia, Karlsruhe

Datenkonvertierung: le-tex publishing services GmbH, Leipzig

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Karte: Kube

»… und gehe ich verloren, so sucht mich in Kuba!«

Federico García Lorca

Intro: Auf nach Kuba!

Wann ist die beste Zeit, nach Kuba zu fahren? Jetzt!

Auf nach Kuba, die Zeit wird knapp! In wenigen Jahren schon wird sich das Land rasant verändern. Jeder sozialistische Aufmarsch könnte der letzte sein; und dann ist es vorbei mit der Insel, die in ihrer eigenen Zeitblase existiert. Vorbei die unverstellte Stadtansicht ohne Markenwerbung, die Gelassenheit der Menschen. Bald gehört das historische Panorama der Vergangenheit an, mit amerikanischen Straßenkreuzern aus den 1950er-Jahren, die zwischen maroden Palästen durch die Straßen tuckern.

Das dachte ich jedenfalls, als ich das erste Mal nach Kuba fuhr. Das war im Jahr 1998.

In den Jahren danach änderte sich allerdings gar nichts. Es war ein Stillstand, der sich wie ein Rückschritt anfühlte, weil er alle Hoffnungen auf ein besseres Leben zermürbte. Tausende Kubaner verließen in diesen Jahren ihr Land; manche mit Wehmut, andere, ohne zurückzublicken. An einem besonders zähen Tag schrieb ich damals in mein Kuba-Tagebuch:

Menschen,

die darauf keine Lust haben,

fahren morgens mit Bussen,

die nicht funktionieren,

zu Fabriken, wo sie nichts tun,

wofür sie kein Geld kriegen,

und gehen abends nach Hause,

wo es keinen Strom gibt,

der aber auch nichts kostet.

Diese bleiernen Zeiten sind vorbei, dieses Kuba ist Geschichte. Seit 2006 befindet sich das Land in einem Wandel, dessen Dynamik erst kaum spürbar war, nun aber mehr und mehr an Fahrt aufnimmt. Hunderttausende Kubaner versuchen sich als Unternehmer, viele mit Erfolg. Eine neue Mittelklasse wächst heran, die ihre Wochenenden in den Hotels der kubanischen Badeorte verbringt und ins Ausland reist. Manche verdienen in ihrem neuen Job an einem Tag mehr, als sie zuvor, in Diensten des Staates, in einem ganzen Jahr verdient haben. Das stärkt das Selbstbewusstsein. Bald wird diese Mittelklasse Forderungen stellen: nach einer politischen Teilhabe, nach einer funktionierenden Infrastruktur.

Und nun kommen die US-Amerikaner. Die historische Geste von Panama, als sich die Präsidenten Raúl Castro und Barack Obama vor laufenden Kameras beherzt die Hände schüttelten, wird Kuba nachhaltig verändern. Zwar hat die Regierung von Donald Trump der Euphorie einen Dämpfer verpasst; die sprunghaft steigenden Zahlen amerikanischer Touristen sind wieder eingebrochen. Doch mittelfristig wird der Einfluss der USA auf Kuba eher zunehmen. Die US-Amerikaner werden viel Geld mitbringen, das dringend benötigt wird; und viele gute Ratschläge, auf die viele Kubaner gern verzichten können.

Investoren aus den USA werden versuchen, sich eine Vormacht bei der Modernisierung der Insel zu sichern; und die kubanische Regierung wird versuchen, dies zu verhindern. Aber wenn die erste Garde der Revolution aus biologischen Gründen abdankt, wird der Widerstand gegen das Geld der Gringos nachlassen. Dann wird es vieles geben, was es lange nicht gab auf Kuba: schnelles Internet, vielleicht sogar Oppositionsparteien. Läden mit zwanzig Sorten Käse und den verschiedensten Sorten Shampoo, amerikanische Schnellrestaurants und Coffee Shops mit überteuerten Kaffeemixgetränken, die kein Mensch braucht.

Noch ist es aber nicht so weit. Je ähnlicher sich alle Orte auf der Welt werden, mit globaler Architektur, mit immer gleichen Malls und Markenshops, desto mehr sticht Kubas Einzigartigkeit heraus. Die Eindrücke aus einem Spaziergang durch Havannas Altstadt wirken lange nach, und wer sich mit den Menschen einlässt, den lässt das Land nicht mehr los. Ein Kuba-Besuch, auch wenn er manche Reisende beim ersten Mal sinnlich überfordert, weckt eine Sehnsucht, die einen baldige Rückkehr schwören lässt.

Dabei treibt Kuba den Besucher mit Widersprüchen schier in den Wahnsinn. Viele Menschen dort besitzen eine überdurchschnittliche Bildung und sind kulturell wach und interessiert, doch noch immer entscheidet die Regierung darüber, was sie lesen dürfen und was nicht. Kubanische Wissenschaftler genießen Weltruf in der medizinischen Forschung und in der Biotechnologie; doch die Felder, die an ihre Institutsgebäude grenzen, werden mit Ochsenpflügen bestellt. In Kuba haben sich die Frauen mehr Gleichberechtigung erkämpft als in jedem anderen Land Lateinamerikas, doch auf den Straßen pfeifen ihnen die Männer nach, von denen die meisten unfähig sind, einfachste Aufgaben im Haushalt und bei der Kinderbetreuung zu übernehmen. Die Kubaner haben mehr Natur unter Schutz gestellt als die meisten Völker dieser Welt (viel, viel mehr als die Deutschen), aber wenn sie mit dem Auto über Land fahren, werfen sie leere Getränkedosen achtlos in den Wald.

Im Welttheater der Politik und der politischen Träume belegt Kuba seit Jahren einen Platz, der einem Land mit elf Millionen Einwohnern eigentlich nicht zusteht. Die Revolution der Castros gab den Armen in der Welt Hoffnung und ließ am Ende ein ganzes Land verarmen. Che Guevara riskierte sein Leben, um Kinder armer Bauern zu behandeln, und ließ dann Hunderte Regimegegner nach dem Sieg der Revolution in Havanna kaltblütig hinrichten.

Fidel Castros Starrsinn rang zehn US-Präsidenten nieder, die ihn stürzen sehen wollten und denen er politisch klug und erfolgreich die Stirn bot. Das machte ihn zum Helden in Lateinamerika. Doch derselbe Starrsinn hätte die Welt beinahe in einen Atomkrieg gestürzt, wenn der sowjetische Regierungschef Nikita Chruschtschow nicht klug genug gewesen wäre, den Heißsporn in der Karibik zu ignorieren, als dieser während der Kubakrise forderte, die USA anzugreifen.

Wofür also steht Kuba? Wer nach Kuba reist, kommt mit vielen Fragen zurück, auf die es keine eindeutige Antwort gibt: Ist Kubas Revolution gescheitert, auch wenn sie Millionen Menschen durch ihre legendäre Gesundheitsfürsorge das Leben gerettet hat? Wären die Menschen auf Kuba glücklicher, wenn ihr Land den USA ähnlicher würde? Warum gehen Menschen, die in einer Diktatur aufgewachsen sind und in ständiger Angst vor der Staatssicherheit leben müssen, die zudem eine schwere Nahrungskrise überstanden haben, so weitgehend unbeschwert und fröhlich durchs Leben?

Seit jeher hat Kuba seine Besucher umgarnt und fasziniert. Christoph Kolumbus, der erste Europäer in der Karibik, nannte die Insel »das schönste Stück Land, das Menschen je erblickt haben«. Vier Jahrhunderte später, am 7. März 1930, näherte sich der spanische Poet Federico García Lorca vom Meer her der kubanischen Hauptstadt Havanna. Eigentlich wollte er nur ein paar Tage bleiben, doch schon auf dem Deck des Ozeandampfers umfing ihn »der Duft von Palmenhainen«, hörte er »göttliche Trompeten«: Er war verloren, bevor er kubanischen Boden überhaupt betreten hatte. Er blieb Monate, bezeichnete später die Zeit in Havanna als »die besten Tage meines Lebens«. Noch einer, dem die verführerische Schöne am Nordrand der Tropen das Herz geraubt hatte. Demgemäß schrieb er nach Hause: »… und gehe ich verloren, so sucht mich in Kuba!«

Noch existiert das alte Kuba, existiert das alte Havanna: Gloriose Architektur aus vergangenen Jahrhunderten, erfüllt von sehr gegenwärtiger Lebenslust. Wer sich anstecken lässt, wer sich durch Havanna treiben lässt, lernt viel über das Leben und über sich selbst: über die stille Freude, den Kindern auf dem Prado beim Baseballspielen zuzusehen. Über den Spaß, einen Nachmittag lang nichts anderes zu tun, als Domino zu spielen. Über die Leichtigkeit, mit der einen das Leben durch den Tag tragen kann.

Kein Mensch weiß, wie lange diese kubanische Mischung aus Gelassenheit und Lebensfreude noch erhalten bleibt; wie viel davon den Wandel der kommenden Jahre überstehen wird.

Deswegen gilt nun unbedingt: Auf nach Kuba, die Zeit wird knapp!

Geschichte: Kubanische Heldensagen

Viel Blut floss, seit Kolumbus seinen Fuß auf die Insel setzte. Am Ende hatten alle Kämpfe ein gemeinsames Ziel: Freiheit und Unabhängigkeit.

Wer die Geschichte Kubas zu ihren Anfängen zurückverfolgt, findet, natürlich, eine Heldensage. Sie nimmt am 2. Februar 1512 ihren Lauf, in einem Örtchen im Osten Kubas. Ein mutiger Mann mit bronzefarbener Haut, mit breitem Gesicht, schmalen Augen und einer scharfen Nase steht, angebunden an einen Baum, auf dem Scheiterhaufen. Er heißt Hatuey, Indianerhäuptling; er ist besiegt, aber nicht gebrochen. Den Scheiterhaufen haben die Eroberer aus Spanien für ihn aufgerichtet, und während die Soldaten Feuer an das Holz legen, bietet der spanische Priester dem ungezähmten Wilden eine letzte Chance. Ob er nicht zum Christentum konvertieren wolle? Dann hätte er die Chance, nach seinem Feuertod in den Himmel zu kommen.

Und wenn er kein Christ werden wolle?, fragt Hatuey.

Dann komme er in die Hölle, antwortet der Priester.

Hatuey überlegt. Was passiere mit den Spaniern, wenn sie sterben, will er vom Priester wissen.

Die kämen in den Himmel, schließlich seien es gute Christen, erklärt dieser.

Dann wolle er lieber zur Hölle fahren, antwortet Hatuey, ohne zu zögern, um diese grausamen Menschen nie mehr sehen zu müssen.

Hatuey hatte allen Grund, den Himmel der Spanier zu fürchten. Er stammte aus Hispaniola (der Insel, die heute in Haiti und die Dominikanische Republik aufgeteilt ist), wo die spanischen Eroberer alle Ureinwohner versklavt hatten. Von 300 000 Indianern waren nach gut zehn Jahren nur noch 60 000 übrig, und ihre Zahl schwand rasch weiter. Hatuey war nach Kuba geflohen, um die kubanischen Ureinwohner zu warnen: »Dies hier ist der Gott, den die Spanier anbeten!«, hatte er den Urkubanern zugerufen und ihnen einen Korb mit Gold und Schmuck gezeigt. »Für dieses hier kämpfen und töten sie, für dieses hier verfolgen sie uns, und deswegen müssen wir sie zurück ins Meer werfen. Uns sagen diese Tyrannen, dass sie einen friedlichen und gerechten Gott anbeten, aber sie rauben unser Land und versklaven uns. Und weil ihr Mut nicht an unseren heranreicht, verbergen diese Feiglinge ihre Körper in Eisen, das unsere Waffen nicht durchdringen können.«

Hatueys Reden sind überliefert durch Bartolomé de Las Casas, einen Dominikanermönch, der mit den ersten spanischen Eroberern auf Kuba angelandet war. Er wird zum wichtigsten Zeitzeugen des Völkermords der spanischen Eroberer an den Ureinwohnern, dokumentiert akribisch die Gräueltaten der Soldaten an den oft wehrlosen Indianern, denen erst bewusst wird, welches Unheil über sie gekommen war, als es zu spät ist, die Spanier »zurück ins Meer« zu werfen.

Dabei dürften die allerersten Begegnungen zwischen Europäern und den Ureinwohnern auf dem amerikanischen Kontinent eher harmlos verlaufen sein. Am 27. Oktober 1492 landet Christoph Kolumbus im Osten Kubas, staunt über die üppige Natur und wundert sich über die spärlich gekleideten Menschen, die Rauch durch ein Pflanzenblatt saugen und durch die Nasenlöcher wieder ausstoßen.

Die Insel, die heute Kuba heißt, ist damals eine Welt im Umbruch. Die eigentlichen Ureinwohner, die Siboneyes, leben in steinzeitlicher Primitivität, 10 000 Jahre hinter dem Entwicklungsstand der Europäer zurück. Die Siboneyes kennen keinen Ackerbau, verfügen nur über einfache Werkzeuge und hausen in Höhlen. Als die spanischen Eroberer auf Kuba einfallen, leben die Siboneyes abgedrängt im äußersten Westen der Insel, auf der Halbinsel Guanahacabibes, einer heute noch abgelegenen und wenig bewohnten Gegend.

Den größten Teil der Insel beherrschen die Taínos, die Mais pflanzen, Kanus aus Baumstämmen schälen, Hütten bauen und Muscheln zu scharfen Messern schleifen können. Die Taínos leben in kleinen Dörfern inmitten einer überreichlichen Natur, wie sie heute noch im Humboldt-Nationalpark im Osten Kubas erhalten ist, mit vielen einzigartigen Tier- und Pflanzenarten.

Aber die Taínos, die wohl rund 300 Jahre zuvor auf Kuba angekommen waren und die Siboneyes weitgehend verdrängt hatten, sind selbst auf der Flucht. Sie weichen vor den kriegerischen Kariben zurück, die bereits den Norden Südamerikas erobert haben und sich nun anschicken, die Inseln der Karibik zu unterjochen – und es wohl auch geschafft hätten, wären ihnen die Spanier nicht an Feuerpower und Grausamkeit weit überlegen gewesen.

Die Ankunft der Spanier auf Kuba beendet die Herrschaft der Taínos in kürzester Zeit. Die Spanier finden Hatuey und ermorden ihn, und weniger als zehn Jahre später sind die Urkubaner fast komplett ausgerottet – ermordet, zu Tode geschunden, hingerafft von Mumps und Masern, gegen die ihre Immunkräfte nichts aufzubieten haben. Heute finden sich auf Kuba nur im äußersten Osten noch Menschen, die indianische Züge tragen, dort in den Bergen dürften einige Ureinwohner noch etwas länger ausgehalten haben. Ansonsten bleiben von den ersten Kubanern nur einige Worte, die im spanischen Sprachschatz überlebt haben: huracán (Hurrikan), papaya, caimán, canoa (Kanu); und natürlich tabaco, und damit verbunden die köstliche Unsitte, den Rauch eines Pflanzenblattes einzusaugen. (Der unglückselige Hatuey hingegen überlebt nur als Name eines auf Kuba populären Bieres.)

Im Jahr 1519, nur acht Jahre nach ihrer Ankunft, herrschen die Spanier uneingeschränkt auf Kuba, und sie legen das Fundament für eine der großartigsten Städte der Welt: Sie gründen Havanna, benannt wohl nach dem örtlichen Taíno-Häuptling Habaguanex.

Ein perfekter Hafen und eine strategisch wichtige Lage bescheren Havanna einen raschen Aufstieg und eine wilde Geschichte. Tausende Schiffe nutzen die Bucht auf dem Weg von den spanischen Eroberungen in Südamerika heim ins spanische Mutterland. Havanna dient als letzte Station vor dem Sprung über den Ozean, um Proviant aufzustocken. Das lockt Piraten an, die 1555 Havanna niederbrennen. Auf dem Meeresgrund rund um Kuba werden Hunderte spanische Galeonen vermutet, die in schwerer See oder nach Piratenattacken gesunken sein sollen. Schließlich verfügt die spanische Krone, eine Seestreitmacht in Havanna zu stationieren, um die königlichen Schiffe im großen Verbund über den Ozean zu geleiten. Die Frachter bringen Gold und Silber aus den Minen der Anden, Alpakawolle, Smaragde aus Kolumbien, Mahagonibäume aus Guatemala und natürlich Kakaobohnen und Tabak aus Kuba nach Europa. Havanna wird zur Festung ausgebaut, mit dem Castillo de la Real Fuerza (1577 fertiggestellt) am heutigen Malecón und dem Castillo de los Tres Reyes del Morro (1630) am gegenüberliegenden Ufer. Von dort wird nachts eine Kette quer über die Hafeneinfahrt hochgezogen, um zu verhindern, dass Piraten nächtens die Bucht entern.

Havanna gilt in Spanien fortan als »Schlüssel zur Welt und Bollwerk der westindischen Inseln«. Mitte des 18. Jahrhunderts zählt Havanna 70 000 Einwohner und ist damit größer als New York zu dieser Zeit. Das weckt Begehrlichkeiten; 1762 erobert eine britische Flotte mit fünfzig Schiffen und mehr als 11 000 Mann die Stadt. Die Besatzung hinterlässt allerdings wenig Spuren, auch weil sie nur elf Monate dauert. Im Pariser Frieden tauschen die Briten die Stadt gegen Florida ein. Kaum haben die Spanier die Kontrolle über Havanna zurück, bauen sie eine weitere Festung, San Carlos de la Cabaña. In weiser Voraussicht: Denn Havanna entwickelt sich im bevorstehenden 19. Jahrhundert zu einer der glamourösesten Städte der Welt, genannt das »Paris der Antillen«. Und der Reichtum, der diesen Aufstieg möglich macht, speist sich inzwischen aus eigenen Quellen. Zwei Importe ermöglichen Kubas herrschender Klasse phänomenale Gewinne: Zuckerrohr, ursprünglich aus Asien – und Sklaven aus Afrika.

Süß schmecken der Zucker und der Rum, doch sauer die Arbeit, die nötig ist, beides zu gewinnen. Kuba und Zucker gehören bald untrennbar zusammen. Die Zuckermillionen versüßen der Oberklasse in den Städten ein ausschweifendes Leben; doch sie stoßen die Landbevölkerung in bittere Armut und das ganze Land in eine permanente Abhängigkeit von fremden Mächten. Jede Revolution, jede Phase der modernen kubanischen Geschichte hat mit Zucker zu tun.

Zuckerrohr wächst auf den Feldern drei, vier Meter hoch; ein zähes Gras mit scharfkantigen Blättern, das von Hand geschlagen werden muss – mit der Machete, unter der sengenden Sonne. Den Spaniern, die das Zuckerrohr pflanzen, ist diese Arbeit viel zu hart. Und von den einheimischen Taínos bleibt bald niemand mehr übrig, der in der Lage wäre, die schwere Arbeit zu verrichten.

Schon 1531 beginnt die Verwaltung der Insel daher, Sklaven aus Afrika ins Land zu holen. Kaum eine Weltgegend hat auf so engem Raum so viele Sklaven beschäftigt wie die Spanier auf Kuba. Über die Jahre werden mindestens 400 000, womöglich sogar bis zu 800 000 Menschen aus Afrika auf Sklavenschiffen auf die Insel verschleppt. Zehntausende sterben auf der langen Überfahrt, zusammengepfercht in den überladenen Segelschiffen, an Hunger, Erschöpfung, Krankheiten. Anfang des 19. Jahrhunderts wird der Import offiziell verboten, doch das treibt nur die Preise in die Höhe. In der Karibik werden bis zu 800 Dollar für einen Sklaven bezahlt, der zuvor am Kongofluss für dreißig Dollar einem Sklavenhändler abgekauft worden ist. Erst 1886 endet die Sklaverei endgültig; Kuba ist damit eine der Gegenden, in denen die unmenschliche Praxis am längsten aufrechterhalten wurde.

Die Geschichte der Sklaverei wirkt bis heute auf Kuba nach. So gelten 9,3 Prozent aller Kubaner als schwarz, 26,6 Prozent als Mulatten und 64 Prozent als weiß. Im Osten der Insel leben dabei mehr Schwarze und Mulatten, dort lagen die großen Zuckerrohrplantagen, und dorthin flohen etliche Sklaven aus Haiti nach der blutigen Niederschlagung des Sklavenaufstandes (noch heute finden sich im Osten Nachfahren der flüchtigen Sklaven, die Kreol sprechen). Im Westen Kubas überwiegen die Weißen. Die Tabakbauern in Pinar del Río, Nachfahren von Einwanderern aus den Kanaren, sind nicht auf billige Arbeitskräfte angewiesen und bleiben unter sich. Tabak braucht für die Aufzucht eher Engelsgeduld als harte Maloche.

Allerdings dürfte auch ein beträchtlicher Prozentsatz der weißen Kubaner afrikanisches Blut in sich tragen: Ganz anders als in den Vereinigten Staaten, wo Weiß und Schwarz getrennt leben, sind Ehen zwischen verschiedenen Hautfarben auf Kuba kein Thema, das irgendjemanden aufregt. Im Gegenteil, die Nachkommen aus solchen Ehen, die kubanischen Mulatten, werden von der Salsa-Band Los Van Van in höchsten Tönen besungen: »Wir sind Kubaner! Die perfekte Mischung, die reinste Kombination, die herausragendste Schöpfung. Gesegnet sei der Herr, dass er uns so viel Pfeffer gegeben hat, so viel Leidenschaft und so ein großes Herz. Wo wir auch hinkommen, wird gefeiert, wir feiern wilder als alle anderen! Platz da, die Kubaner kommen!« Der große kubanische Ethnologe Fernando Ortiz beschreibt die kubanische Ethnie als »Ajiaco«, als Eintopf, zu dem alle Welt etwas beigesteuert hat (auch eine Prise China und etwas jüdisches Leben finden sich in Havanna). Die kubanische Kultur lebt von der gleichberechtigten Mischung urafrikanischer – die Sklaven kamen aus Stammesgesellschaften, deren Lebenswelt von Naturreligionen geprägt war – und alteuropäischer Einflüsse.

Das bedeutet aber nicht, dass es in Kuba keinen Rassismus gäbe. Zwar hat die kubanische Revolution unter Fidel Castro viel dafür getan, allen Menschen gleichberechtigten Zugang zu Bildung und Arbeitsmarkt zu verschaffen. Aber das Gefühl, dass weiße Haut der schwarzen überlegen sei, bleibt dennoch tief im kubanischen Bewusstsein verankert. Wenn eine dunkelhäutige Frau Kinder zur Welt bringt, deren Haut heller ist als ihre eigene, sagen die Nachbarn ebenso anerkennend wie gedankenlos: »Sieht so aus, als wäre deine Gebärmutter ziemlich sauber.« Die Kinder wiederum gelten als adelantados, als »fortgeschritten« – als sei helle Haut ein Fortschritt gegenüber dunkler.

Im Großen und Ganzen überwiegt aber der Stolz auf die mezcla perfecta, die perfekte Mischung, den kubanischen Eintopf. Der brachte nämlich ein Volk hervor, das nicht nur ausgezeichnete Musik macht und hervorragend tanzen kann – sondern auch überaus aufrührerisch und rebellisch veranlagt ist. Das sollten erst die Spanier und dann die US-Amerikaner zu spüren bekommen.

Mitte des 19. Jahrhunderts regt sich Unmut unter den kubanischen Plantagenbesitzern, vor allem im Osten der Insel. Die spanischen Behörden lassen ihre Kolonie ausbluten, um ihr Militär zu finanzieren, und regieren mit harter Hand. Hohe Steuern schöpfen Reichtum ab; wer auf Kuba geboren ist, wie die Nachfahren der spanischen Siedler, hat keinerlei politische Teilhabe. 1865 verschärft sich die Lage, bedingt durch Steuererhöhungen und wirtschaftliche Krisen. Die Plantagenbesitzer verlangen Sitze im Parlament, eine Zollreform, juristische Gleichstellung mit den Spaniern.

Am 10. Oktober 1868 erhebt sich der Zuckermühlenbesitzer Carlos Manuel de Céspedes gegen die »spanische Tyrannei«. Er lässt seine Sklaven frei, damit sie an seiner Seite für die Unabhängigkeit Kubas kämpfen mögen. Mit einem Manifest wendet sich Céspedes gegen das Kolonialregime: »Unser Ziel ist es, das spanische Joch abzuwerfen und eine freie und unabhängige Nation zu gründen.« Hunderte Kubaner schließen sich Céspedes an: Die Spanier sind verhasst. Der Zehn-Jahres-Krieg nimmt seinen Lauf.

Nach nur drei Tagen nehmen die Rebellen die Stadt Bayamo ein; in patriotischem Überschwang komponiert der Guerillero und Musiker Perucho Figueredo das Lied »La Bayamesa«, heute noch Nationalhymne Kubas: »Fürchtet nicht den ruhmreichen Tod. In Ketten zu leben heißt sterben. Für das Vaterland sterben heißt leben!« Die Spanier antworten darauf mit roher Gewalt, überziehen das Land mit Terror, richten Tausende Kriegsgegner hin, verschleppen Frauen. Dörfer, die keine weiße Flagge hissen, werden in Schutt und Asche gelegt. Doch all dies führt nur dazu, das kubanische Selbstbewusstsein zu stärken. Die Spanier verunglimpfen ihre Gegner als »Mambises«, es soll ein Schimpfwort sein, bis die Rebellen den Namen mit Stolz zu tragen beginnen. Nationalhelden gehen aus diesem Krieg hervor, nach denen bis heute Straßen benannt werden: der unverwüstliche Rebellengeneral Máximo Gómez, der die Mambises lehrt, mit erhobenen Macheten gegen die Formationen der Spanier vorzustürmen und schwere Lücken in deren Reihen zu reißen; und Antonio Maceo, der »Titan in Bronze«, ein legendär starker Mulatte, der sich in 500 Schlachten mehr als 25 Schuss- und Macheten-Wunden zuzieht und überlebt.

Über zehn Jahre hinweg schickt das spanische Mutterland 250 000 Soldaten auf die Insel und kann dennoch nicht gewinnen. Aber auch den Kubanern gelingt es nicht, die Spanier entscheidend zu schlagen, unter anderem, weil die USA den Spaniern immer die neuesten Waffen liefern. Den Amerikanern ist die Idee eines unabhängigen Kuba vor ihrer Haustür nicht geheuer; später sollten sie lernen, wie recht sie damit haben. So kommt es 1878 zu einem widerwilligen Waffenstillstand. 200 000 Menschen haben den Krieg mit dem Leben bezahlt; doch die Kubaner gehen gestärkt daraus hervor, und die Spanier finden nie wieder zu alter Macht zurück.

Nur siebzehn Jahre währt der Friede, während der ein wichtiger Nationalheld die politische Bühne betritt. Der Dichter José Martí verbringt die meiste Zeit seines Erwachsenenlebens im Exil, erst in Spanien, dann in Lateinamerika und schließlich in den USA, wo er einige seiner wichtigsten Verse schreibt (zum Beispiel jene, die im Lied »Guántanamera« gesungen werden, das heute in allen Touristenbars geklimpert wird). Vor allem aber formiert er im Exil eine Unterstützungsbewegung für die kubanische Unabhängigkeit. Eine entscheidende Rolle spielen dabei die Zigarrendreher in Florida: Dank der alten Tradition, dass den Drehern bei der Arbeit ein Vorleser in stundenlangen Reden die Nachrichten des Tages und die wichtigsten Werke der Weltliteratur vermittelt, gelten Zigarrendreher als überdurchschnittlich gebildet und politisch bewusst. Martí hält Reden vor den Zigarrendrehern in Florida und sammelt Geld für den erneuten Aufmarsch der Mambises auf Kuba.

1895 schlagen die Rebellen erneut los; wieder mit Antonio Maceo und Máximo Gómez in vorderster Linie. Die Mambises haben nur 3000 Mann gegen die Armee der Spanier aufzubieten und viel zu wenige Waffen (unter anderem, weil die USA alle Schiffe mit Nachschub aufbringen). José Martí eilt selbst auf die Insel, doch der Dichter ist zum Kämpfen viel zu zart besaitet und fällt in einem der ersten Gefechte. 1896 stirbt Máximo Gómez im Kampf. Dennoch gewinnen die Rebellen an Boden. Sie verlegen sich auf Guerilla-Kämpfe, schlagen unerwartet zu und ziehen sich schnell wieder zurück. Nach zwei Jahren klagt ein spanischer Politiker: »Wir haben 200 000 Mann geschickt und kontrollieren doch nur den Boden, auf dem unsere Soldaten stehen.«

Im Januar 1898 senden die USA ein Schlachtschiff nach Havanna, die USS Maine; angeblich, um das Leben der amerikanischen Bürger auf der Insel zu schützen. Am 15. Februar explodiert das Schiff im Hafen und reißt 258 Menschen in den Tod. Die Ursache der Explosion wird nie geklärt, doch es steht außer Frage, dass weder die Spanier noch die Kubaner Interesse daran haben, die USA herauszufordern.

In den USA herrscht zu dieser Zeit jedoch bereits ein anderer Krieg: die Schlacht der beiden Verleger Joseph Pulitzer und William Randolph Hearst um die Aufmerksamkeit ihrer Leser. Und ein Krieg mit amerikanischer Beteiligung verspricht den Zeitungen drastische Auflagensteigerungen. Schon seit Monaten veröffentlichen die Blätter in den USA Horrorgeschichten über Leichen in den Straßen Havannas, um die Stimmung anzuheizen. Ein Illustrator, der von Hearst nach Kuba geschickt worden war, um die spanischen Gräueltaten zu »dokumentieren«, schreibt seinem Verleger: »Alles ruhig hier. Es gibt keinen Aufruhr, und es wird keinen Krieg geben. Ich möchte zurückkehren.« Woraufhin Hearst wutentbrannt zurückschreibt: »Besorg mir die Bilder, und ich besorge dir einen Krieg!«

Es wird ein schneller Krieg oder, wie ihn später ein amerikanischer Botschafter nennen wird, ein »famoser kleiner Krieg«, der gerade mal zehn Wochen dauert. Zu den Kommandeuren der amerikanischen Truppen gehört auch der spätere Präsident Theodore Roosevelt. Die Amerikaner überrollen die Spanier und versenken deren Karibikflotte. Obwohl die US-Truppen dafür auf die Hilfe der Mambises angewiesen sind, sitzen diese bei den Friedensverhandlungen nicht mit am Tisch. Im Dezember 1898 verlassen die letzten spanischen Truppen Kuba. An ihrer Stelle sitzt nun ein amerikanischer Gouverneur im Regierungspalast in Havanna: Die Mambises haben zwar die Unabhängigkeit von Spanien erkämpft, doch ein souveräner Staat ist Kuba noch immer nicht.

Die amerikanische Besatzung der Insel dauert nur dreieinhalb Jahre, doch das genügt, die Amerikaner als neue Herren im Haus zu etablieren. Als der erste kubanische Präsident Tomás Estrada Palma im Mai 1902 sein Amt antritt, befindet sich der Großteil der kubanischen Wirtschaft in der Hand amerikanischer Unternehmer. Als Bedingung für den Abzug ihrer Truppen diktieren die USA dem kubanischen Parlament eine Verfassungsänderung, die den USA das Recht einräumt, in Kuba eine Militärbasis zu unterhalten (sie existiert heute noch in Guantánamo) und jederzeit in Kuba einzumarschieren, »um die kubanische Unabhängigkeit zu erhalten«. Das sogenannte Platt Amendment macht Kuba de facto zu einem Vasallenstaat der USA und seine zukünftigen Präsidenten zu Marionetten der Regierung in Washington. Fidel Castro wird erst 25 Jahre später geboren werden, doch das Platt Amendment bereitet seiner Revolution bereits den Boden. Denn das Dürsten nach Freiheit und Unabhängigkeit bleibt weiter unbefriedigt.

Vor der Revolution wird aber erst einmal gefeiert. Und wie! Geld genug ist schließlich da: Um das Jahr 1920 erlebt Havanna einen kurzen, wilden »Tanz der Millionen«.

Der Erste Weltkrieg legt den Grundstock für Havannas sagenhaften Reichtum; denn auf den Rübenfeldern Frankreichs werden Schützengräben gezogen und Leichenberge aufgehäuft. Die Zuckerproduktion fällt weltweit um zwanzig Prozent. In Kuba roden die Zuckerbauern eifrig frisches Land, Investoren bauen Dutzende neue Zuckermühlen und verdoppeln die Produktion auf mehr als fünf Millionen Tonnen pro Jahr. Die Preise, zuvor bei zwei Cent pro Pfund Zucker, verzehnfachen sich auf 22 Cent im Mai 1920. Es ist die Zeit, in der kleine Bauern aus den Provinzen in Havannas Juwelierläden zu finden sind, um sich goldene Gürtelschnallen mit ihren Initialen fertigen zu lassen.

Der Boom hält nicht lange an. Als sich die europäische Landwirtschaft vom Krieg erholt, fällt der Zuckerpreis. Viele kubanische Bauern, die bis dato immerhin noch vierzig Prozent des Zuckerrohrs auf der Insel ernten, überstehen den Crash nicht. Sie sind gezwungen, ihr Land an amerikanische Konzerne zu verkaufen, zum Beispiel an die United Fruit Company, die bereits erhebliche Teile des Landes kontrolliert. Die Party zum Tanz der Millionen hinterlässt einen Kater, der den Unmut über die amerikanischen Herren im kubanischen Haus weiter schürt.

Doch einstweilen haben die USA nichts zu befürchten: Im Präsidentenpalast in Havanna geben sich willfährige Diktatoren die Klinke in die Hand. Gerardo Machado wird 1933 von einer zarten kubanischen Revolte aus Studenten und Arbeitern aus dem Amt gejagt. Doch der kubanische Frühling mit Hoffnung auf soziale Gerechtigkeit und Landreform währt nicht lange; 1934 putscht sich Fulgencio Batista zum ersten Mal an die Macht, unterstützt von den USA und den reichen Landbesitzern. Nach einer Folge von Wahlen putscht Batista 1952 erneut. Der alte, neue Präsident versteht sich prächtig mit der amerikanischen Mafia. Meyer Lansky, »Boss der Bosse«, hält im »Hotel Nacional« Hof, seine Schergen kontrollieren die Casinos der Stadt, in denen sich amerikanische Touristen mit kubanischen Prostituierten vergnügen. Wirtschaftlich geht es dem Land nicht schlecht; all die Oldtimer, die heute noch das Stadtbild Havannas prägen, werden in dieser Zeit aus den USA importiert.

Doch ein großer Teil der Landbevölkerung bleibt arm und ohne Zugang zu Bildung oder Krankenfürsorge, und der Druck auf Batista wächst. In den Bergen im Osten hat sich ein Nest aus Guerilleros festgesetzt, die der kubanischen Armee das Leben schwermachen. Batista versucht, die Rebellion der Bärtigen mit Gewalt zu ersticken, bombardiert die Dörfer im Osten mit Waffen, die wiederum die USA bereitwillig liefern. Doch je brutaler er zuschlägt, umso mehr Menschen laufen zu den Rebellen über. Am Ende siegt die gerechte Revolution. In der Silvesternacht 1958 flieht Batista mit mehr als vierzig Millionen Dollar Bargeld, vom kubanischen Volk gestohlen, aus dem Land; eine gute Woche später marschiert triumphal der neue Herr im Haus in Havanna ein: Fidel Castro und seine Rebellen haben Kuba befreit. Zum ersten Mal ist das Land, wenigstens für eine kurze Zeit, wirklich unabhängig und fest in kubanischer Hand.