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www.piper.de

ISBN 978-3-492-97374-8

März 2017

© Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2016

Litho: Lorenz & Zeller, Inning am Ammersee

Covergestaltung: Büro Jorge Schmidt, München

Covermotiv: Robin Heighway-Bury/Corbis

3 Illustrationen: Sven Binner, Weßling

Datenkonvertierung: Kösel Media GmbH, Krugzell

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Die allergische Epidemie

Forscher im Kampf gegen die häufigste chronische Erkrankung – eine Einleitung

Der Weg ins Allerheiligste führt durch einen schmalen Raum. Rechts an der Wand, ordentlich aufgereiht und dicht gedrängt, hängen hellblaue Labormäntel an Garderobenhaken. Zu seinen Füßen bemerkt der Besucher ein Knäuel ebenfalls blauer Plastikfolien, deren Ränder mit einem Gummiband umschlossen sind. Wer das kleine längliche Zimmer passieren und ins Herzstück des Unternehmens vordringen möchte, pflückt zwei dieser Folien aus dem Bündel und streift sie über seine Schuhe. Außerdem schlüpft er in einen der Kittel und knöpft ihn sorgfältig zu. Unumgängliche Vorschriften, denn hier herrschen strengste Hygienebedingungen. An der linken Wand steht ein Regal voller weißer Plastikkanister. »Glukose«, verraten die Etiketten. »Den Zucker brauchen die Bakterien zum Wachsen«, sagt Rainer Henning und öffnet die Tür zum Reinraumbereich, gleichsam zur Schatzkammer des Betriebs, in welcher der heikle Schlussakt der Produktionskette stattfindet.

Henning ist Geschäftsführer der Biomay AG, eines Wiener Biotech-Start-ups mit knapp 30 Mitarbeitern. Er durchschreitet die Schleuse zum Reinraum und deutet durch eine Glasscheibe auf einen nochmals separierten Bereich – eine Art Hochsicherheitstrakt im Hochsicherheitstrakt. Sensible Gebäudetechnik, die eine ganze Kammer füllt, steuert die klimatischen Bedingungen in diesem abgeschotteten Areal, darunter Temperatur und Luftfeuchtigkeit. Der technische Aufwand ist keineswegs übertrieben, denn hier gipfeln mehrere Etappen modernster Präzisionsarbeit im Endprodukt: in Fläschchen, befüllt mit einer durchsichtigen Flüssigkeit.

Zu diesem Zeitpunkt haben die Bakterien ihre Aufgabe längst erfüllt und das Haus als biologischer Abfall verlassen. Anfangs jedoch sind sie wichtige Verbündete in dem hochkomplexen Herstellungsprozess. Dessen erste Station ist ein Mikrobiologielabor, das die »Mastercellbanken« beherbergt: eine molekulare Bibliothek, in der eingefrorene Bakterienkulturen aufbewahrt werden, und aus der die jeweils benötigten Bakterien entnommen werden. Dabei handelt es sich um Stämme von Escherichia coli, die mit gentechnischen Methoden speziell verändert werden. Die Keime fungieren als Inkubator, als Brutstätte für jene Substanz, die Biomay produziert: einen künstlich nachgebauten Eiweißstoff. Gemeinsam mit den E.coli-Bakterien wird dieser Proteinschnipsel in einem zweiten Fertigungsschritt vermehrt: in einer Apparatur namens Fermenter. Drei solche Geräte sind hier im Einsatz, und sie erinnern an überdimensionale Designer-Espressomaschinen: glänzender Stahl, ein langes Gestänge, ein bauchiger Mittelteil mit diversen Zu- und Ableitungen. Im Inneren der Fermenter mit jeweils fünf Litern Fassungsvermögen reift das biologische Gemisch in einer Nährlösung und unter Zusatz spezieller Chemikalien heran.

Das Gebräu muss aber noch einige weitere Stationen durchlaufen, bevor es im Reinraum landet, in Flaschen gefüllt und seiner weiteren Bestimmung zugeführt werden kann. Jede davon trägt einen eigenen Terminus technicus: Aufschluss, Downstream Processing, Analytik. Haben die Bakterien ihre Arbeit vorschriftsmäßig getan, werden sie geknackt: Die Experten brechen ihre Zellwände auf, schleudern die Bakterienbestandteile in einer Zentrifuge bei 8000 Umdrehungen pro Minute ab und leiten den Rest der Substanz zur Reinigung weiter. Diese geht in Behältern vonstatten, die den Kapseln einer traditionellen Rohrpost ähneln, den sogenannten Chromatografiesäulen. Darin befinden sich spezielle Harze, und an diesen bleibt kleben, was die Forscher letztlich gewinnen wollen: der Wirkstoff, der anschließend mithilfe einer Pufferlösung vom Harz abgetrennt wird.

Nach einer ausführlichen strengen Prüfung auf Reinheit und Sterilität sowie darauf, ob die gesamte Prozedur erfolgreich verlaufen ist, lässt sich das Endprodukt betrachten: eine Flüssigkeit, die vorläufig die wenig spektakuläre Bezeichnung »BM32« trägt. Doch schon bald könnte das, was im ersten Stock eines nicht weiter auffälligen Bürohauses in Wien die Produktionsstraße verlässt, für Millionen von Menschen eine regelrechte Erlösung und, ganz buchstäblich, das große Aufatmen bedeuten. Denn BM32 ist ein hochmoderner, völlig neuartiger und mithilfe der Gentechnik hergestellter Impfstoff gegen Gräserpollenallergien. Er soll für die Zukunft der Allergiebehandlung schlechthin stehen. Und BM32 ist lediglich eines von einer Handvoll solcher Produkte, die derzeit weltweit hergestellt werden.

Was das Präparat leisten soll, klingt vermutlich wie Musik in den Ohren der Heerscharen von Patienten, von Menschen, die Jahr für Jahr bange dem Beginn der Pollensaison entgegenblicken, Tag um Tag auf die ersten quälenden Beschwerden warten, die ihnen zuverlässig Frühjahr und Sommer vergällen: eine beißende Nase, nicht enden wollende Niesattacken, juckende, tränende Augen, womöglich sogar Nacht für Nacht Atemnot und ganzheitlich das Gefühl, sie seien von einer Dampfwalze überrollt worden. Doch nicht mehr lange, und mit all dem Schrecken könnte Schluss sein: Bloß ein paar Impfungen unter die Haut, so die Verheißung, und der Fall ist erledigt.

Es wäre eine echte Umwälzung, ein gewaltiger Paradigmenwechsel in der Therapie von allergischen Erkrankungen. Bisher haben Betroffene keine andere Wahl, als sich jahrelangen mühseligen Spritzenkuren zu unterziehen, verbunden mit regelmäßigen Arztbesuchen. Sie können den Wirkstoff zwar auch zu Hause als Tablette einnehmen oder aus einem Zerstäuber unter die Zunge sprühen. Dann aber ist Disziplin gefragt: Nur keine Medikamenteneinnahme vergessen, sonst könnte der Behandlungserfolg gefährdet sein. Eine Beurteilung, ob die Stoffe den erhofften Nutzen bringen, ist frühestens nach drei Jahren möglich. Bis dahin heißt es: Ausdauer zeigen, Geduld beweisen und Saison für Saison abwarten, ob Linderung eintritt. Außerdem besteht die Therapie im Grunde darin, den Organismus des Patienten mit just denselben Substanzen zu traktieren, die seine Beschwerden verursachen: mit natürlichen Reizstoffen, zum Beispiel Pollen der Birke. Dies in der Hoffnung, der Körper möge sich allmählich daran gewöhnen. Der Ursprung dieses Prinzips reicht bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts zurück. Damals erkannten Wissenschaftler, dass man das Immunsystem behutsam dazu erziehen kann, Substanzen aus der Umwelt allmählich zu tolerieren, indem man diese wohldosiert zuführt, und zwar in langsam steigender Konzentration. So wollten die Ärzte dem Körper Schritt für Schritt ausreden, harmlose Baum- oder Graspollen für eine Bedrohung zu halten und sich davon krank machen zu lassen.

Die neue Impfung verspricht im Gegensatz dazu nicht nur, schnell und bequem zu funktionieren. Auch sollen Nebenwirkungen weitgehend ausgeschlossen sein, weil eben keine aus der Natur gewonnenen Allergene zum Einsatz kommen, die immer die Gefahr bergen, ihrerseits das auszulösen, was sie eigentlich verhindern sollen: allergische Reaktionen. Überdies greift BM32 punktgenau ins Geschehen ein. Dank molekular maßgeschneiderter Herstellung zielt der Impfstoff exakt auf den Kern des Problems: auf mikroskopisch kleine Positionen an Körperzellen, die für die Entstehung einer konkreten Allergie wirklich verantwortlich sind. Eine echte »Reißbrettarbeit« nennen dies die Wiener Wissenschaftler, welche die Therapie entwickelten. Mehrere Studien belegen mittlerweile, dass der Impfstoff die in ihn gesetzten Erwartungen tatsächlich erfüllt. Nur eine letzte große Testreihe ist noch erforderlich, um den strengen Kriterien der Arzneimittelprüfung zu genügen, dann sollte einer Markteinführung nichts mehr im Wege stehen. Spätestens im Jahr 2020, sagt Rainer Henning, dürfte es so weit sein.

Und BM32 wäre erst der Anfang: Dieser Impfstoff dient der Behandlung von Gräserpollenallergien, einer der häufigsten Formen der Krankheit. Doch weitere Präparate nach demselben Muster sollen nach und nach hinzukommen: Impfungen gegen Birkenpollen, die Hausstaubmilbe, Katzenhaare sowie Ragweed (auch als Ambrosia oder Traubenkraut bekannt) – ein besonders aggressives, nach Europa eingeschlepptes Gewächs, das zurzeit den Kontinent erobert und bei immer mehr Menschen heftigste Beschwerden auslöst. In einem einzigen Jahrzehnt, zwischen 1997 und 2007, hat sich in unseren Breiten die Zahl der Ragweed-Allergiker mehr als verdoppelt: von rund acht auf 17 Prozent der Allergiepatienten.

Biomay ist keineswegs das einzige Unternehmen, welches derzeit das Konzept von Schutzimpfungen gegen Allergien verfolgt. Der Wiener Pharmahersteller – die räumliche Nähe der Autoren erleichterte detaillierte Einblicke in die Forschungsaktivitäten – soll hier vielmehr beispielhaft für einen noch jungen Medizinzweig stehen, der dem grassierenden Leiden mit molekularbiologischen Methoden beikommen will. Rund um den Globus konzentriert sich jedoch eine Reihe weiterer Biotech-Start-ups auf sehr ähnliche Zielsetzungen. Zu Jahresbeginn 2015 gab der Pharmakonzern Circassia aus dem britischen Oxford – eine seit 2006 bestehende Ausgründung von Forschern des Imperial College London – bekannt, die letzte Testphase eines Impfstoffs gegen Katzenhaarallergien zu starten. Das Versprechen des Unternehmens klang höchst ambitioniert: Lediglich vier Injektionen, verabreicht über einen Zeitraum von zwölf Wochen, sollten ausreichen, um die lästigen Überreaktionen auf Fell- und Hautbestandteile der tierischen Hausgenossen loszuwerden. Und bereits gegen Ende 2017, kündigte Circassia damals an, könnte die Impfung im Praxiseinsatz sein. Allerdings erlitten die Impfstoffentwickler zwischenzeitlich einen herben Rückschlag: Im Juni 2016 gab Circassia-Boss Steve Harris bekannt, dass genau jene letzte große Studie vor dem Markteintritt die Erwartungen schwer enttäuschte: Die Wirksubstanz erzielte nur geringfügig bessere Wirkung als ein Placebo, also eine Scheintherapie. Man werde nun die Ursachen für diesen Misserfolg im Detail prüfen, so Harris. Zugleich wolle man sich auf die Weiterentwicklung anderer Allergiebehandlungen konzentrieren – darunter auf solche gegen die Birke und die Hausstaubmilbe.

Noch ein weiteres Unternehmen geht ins Rennen um den ersten Impfschutz gegen Allergien: Der Schweizer Pharmakonzern Anergis mit Sitz in Épalinges will den Patienten bis 2018 oder spätestens 2019 einen Impfstoff mit der Bezeichnung »AllerT« zur Verfügung stellen, der sich zur Behandlung von Birkenpollenallergien eignet. Fünf Spritzen, verteilt über zwei Monate, sollen die Symptome deutlich dämpfen. Eine »ultraschnelle Desensibilisierung« nennt die Firma ihre Methode. Tatsächlich würde es sich, wie auch bei den Impfstoffen der anderen beiden Hersteller, um eine wahre Blitzkur handeln – vor allem verglichen mit den sonst üblichen 50 bis 80 Injektionen, die man sich über Jahre holen muss.

Wer diese bisherige klassische »Spezifische Immuntherapie« absolviert, kann aufgrund des ausgedehnten Behandlungszeitraums oft kaum mehr beurteilen, ob er Hilfe erfahren hat oder nicht. Bei manchen Patienten schlägt die Therapie sehr gut an, bei anderen gar nicht, und bei sehr vielen pendelt sich der Erfolg irgendwo in einer diffusen Mittelzone ein. Und so fragen sich die Menschen Saison für Saison: Jucken die Augen in diesem Jahr eine Spur weniger? Sind die Rötungen ein wenig blasser? Habe ich heute ein paar Mal weniger geniest als an Vergleichstagen des Vorjahrs? Und falls ja, liegt das überhaupt an der Therapie? Oder ist vielleicht bloß das Wetter gnädiger gestimmt und daher die Pollenbelastung geringer oder deren Aggressivität reduziert? – Man kann es einfach nicht mit Sicherheit sagen: Man beobachtet jedes Jahr den Verlauf und die Intensität der Beschwerden und versucht, ein Muster darin zu erkennen.

Die kompakten Impfserien, die in den Pipelines der Hersteller heranreifen, könnten entscheidend dazu beitragen, die chronische Unsicherheit der Patienten zu minimieren. Denn im Grunde wissen diese schon nach ein paar Wochen, ob sich ein merkbarer Unterschied im Schweregrad der Symptome einstellt oder nicht. Und immerhin richten sich die drei Therapien, die nun am Start sind und in naher Zukunft den Markt erreichen sollen, gegen drei der bedeutendsten Allergenquellen überhaupt: die Birke, die Katze und Gräser.

Forscher verfolgen momentan allerdings auch andere innovative Konzepte, um dem grassierenden Übel beizukommen. Mediziner der dänischen Aarhus Universitet arbeiten gemeinsam mit Schweizer Kollegen zum Beispiel an einer »intralymphatischen Immuntherapie«. Sie verwenden dafür zwar herkömmliche Allergiepräparate, allerdings spritzen sie die Substanzen nicht unter die Haut, wodurch sie weiträumig in den Körper diffundieren würden, sondern direkt in die Lymphknoten, die etwa unter den Armen oder in der Leistengegend sitzen. Dieser Ansatz soll gewährleisten, dass die Behandlung ohne Umwege jene Zielgegend des Körpers erreicht, wo Allergien ihren Ausgang nehmen: Denn die Lymphknoten dienen als Geburtsstätte wichtiger Immunzellen, die für allergische Reaktionen verantwortlich sind. Genau an dieser Wiege der Zellen soll die Therapie wirken. Daher gehen die dänischen Forscher davon aus, dass drei Injektionen pro Jahr genügen, um Heuschnupfen oder anderen Symptomen Einhalt zu gebieten.

Man könnte noch weitere Beispiele für neuartige, überraschende, teils vielleicht zunächst ein wenig irritierende Therapiemodelle aufzählen – etwa die Idee, auf die Unterstützung von Bakterien oder sogar von Würmern zu vertrauen, die das Immunsystem geschickt dazu verleiten sollen, Pollen oder andere Eiweiße aus der Natur nicht mehr als Feinde zu betrachten. Das mag zunächst abwegig klingen, fußt aber auf soliden naturwissenschaftlichen Erkenntnissen. Werden wir eines Tages unsere Allergiemedizin im Supermarkt kaufen, einfach als Joghurt, in den antiallergische Keime gemischt wurden? Ausgeschlossen ist das keineswegs, denn in der Tat arbeiten Forscher an solchen Produkten.

Alles in allem zeichnet sich jedenfalls ein bemerkenswerter Trend ab: Zahlreiche Wissenschaftler und Pharmabetriebe vermelden in schöner Regelmäßigkeit Durchbrüche beim Vorhaben, neue Waffen gegen Allergien zu entwickeln und dadurch die Palette medizinischer Interventionen beträchtlich zu erweitern. Und es gelingen eben nicht nur Detailverbesserungen, nicht bloß Steigerungen der Effektivität bereits bestehender Behandlungen um ein paar Nuancen. Vielmehr beschreitet die Wissenschaft gänzlich neue Wege, vielfach auf Basis der Fortschritte in der Gentechnik. Zugleich ziehen auch Möglichkeiten der Diagnostik in die medizinische Praxis ein, die bisher kaum vorstellbar waren – präziser und gleichzeitig umfassender als je zuvor. Der Patient hat damit erstmals die Chance, tiefe Einblicke in das gesamte Spektrum seiner allergischen Reaktionen zu erhalten, und Ärzte können anhand dieser Daten eine maßgeschneiderte Behandlung komponieren.

So ist es keineswegs übertrieben zu behaupten: Die Allergieforschung erfuhr zuletzt gewaltigen Schub, der sich nun in konkreten Produkten für Diagnose und Therapie niederschlägt. Und diese rücken gegenwärtig für den Patienten durchaus in greifbare Nähe. Annähernd gleichzeitig trägt scheinbar Früchte, dass gewissenhafte, hartnäckige Wissenschaftler in ihren Labors rund um den Globus viele Jahre zähen Tüftelns darauf verwendeten, zeitgemäße Strategien gegen allergische Erkrankungen zu ersinnen. Kurz: Nach Jahrzehnten weitgehenden Stillstands kommt jetzt wirklich Schwung in die Sache.

Eine Seuche geht um die Welt

Die Erfolge sind dringend notwendig. Denn der Leidensdruck der Patienten wächst, und die Zahl der Allergiker hat inzwischen erschreckende Ausmaße angenommen. Als »Geißel des 21. Jahrhunderts« definierte das Fachmagazin Spektrum der Wissenschaft diesen Krankheitskomplex vor einigen Jahren und stellte damals noch einigermaßen resigniert fest: »Das große Problem ist, dass sich bisher kaum etwas dagegen ausrichten lässt.« Denn abseits von Injektionskuren und Medikamenten, die entzündungshemmend wirken, bestehe der einzig probate Ratschlag nach wie vor darin, die Auslöser möglichst zu meiden. Leichter gesagt, als getan: Während man Katzen oder Pferden aus dem Weg gehen und bestimmte Nahrungsmittel vom Speiseplan streichen kann, gibt es bei all den Allergenen aus der Flora kein Entrinnen: Der Blütenstaub von Bäumen wie Birke, Erle oder Hasel durchtränkt im Frühjahr die Luft, schwebt in prallen Wolken übers Land und ist nahezu allgegenwärtig.

Manche Experten benutzen nur noch einen Ausdruck, wenn sie die gegenwärtige Verbreitung von Allergien in der Bevölkerung in Worte fassen wollen: »allergische Epidemie«. Gleich einer Seuche hätten sich die Überempfindlichkeiten gegenüber Eiweißstoffen von Pflanzen oder Tierhaaren um die Welt verbreitet. Etwas nüchterner formuliert, hinsichtlich der Tragweite aber nicht minder dramatisch: Die Allergie gilt in vielen Ländern Europas, darunter auch Deutschland, mittlerweile als häufigste chronische Erkrankung.

Wie viele Menschen sind wirklich betroffen? Interessanterweise ist es gar nicht einfach, verlässliche aktuelle Statistiken über allergische Leiden und deren Entwicklung ausfindig zu machen. Doch einige Daten, die das Problem in grobe Zahlen gießen, lassen sich immerhin ermitteln. Vorsichtig geschätzt, laborieren derzeit zwischen 25 und 30 Prozent der Personen in westlich geprägten Ländern an einer oder mehreren Formen von Allergien. Manche Experten schätzen sogar, dass in diesen Regionen bis zu 40 Prozent der Menschen zumindest in manchen Phasen ihres Lebens davon betroffen sind.

Für Deutschland wird die Ziffer der Patienten auf gegenwärtig 20 bis 25 Millionen geschätzt. Die überwiegende Mehrheit davon – manchen Quellen zufolge mindestens 80 Prozent – muss sich mit Pollenallergien aller Art herumschlagen. Um die 40 Prozent der Erkrankten vertragen die Gegenwart eines Haustiers nicht, vor allem jene der Katze, die unangefochten an der Spitze der Allergie-Charts rangiert. Mehr als acht Millionen deutsche Katzen- oder Hundeallergiker dürfte es insgesamt geben. Gut 35 Prozent der Allergiepatienten fühlen sich von Milben im Hausstaub gepeinigt. Auf den hinteren Rängen finden sich Überreaktionen auf Schimmelpilze, Nahrungsmittel und eine Vielzahl weiterer Substanzen meist natürlichen Ursprungs. Die hohen Prozentwerte ergeben sich aus den zahlreichen Überschneidungen der Krankheitsbilder: Denn immer mehr Menschen sind »polysensibilisiert«, wie Ärzte sagen. Sie reagieren nicht bloß auf ein Allergen, sondern auf mehrere zugleich.

Am häufigsten äußern sich Allergien in Form von Heuschnupfen, jedenfalls unter Erwachsenen. Kinder hingegen werden besonders vom atopischen Ekzem geplagt, umgangssprachlich Neurodermitis genannt. Die furchtbar juckenden Hautausschläge bilden – zusammen mit Nahrungsmittelallergien – oft den Auftakt zu einer lebenslangen Allergikerkarriere. Zwischen 15 und 20 Prozent der Kinder bedürfen aufgrund einer Neurodermitis ärztlicher Zuwendung, rund 10 Prozent vertragen Kuhmilch oder Hühnereiweiß nicht. In späteren Jahren verflüchtigen sich diese Leiden häufig von allein, weshalb im Erwachsenenalter maximal 5 Prozent der Bevölkerung damit zu schaffen haben – sich dafür aber nicht nur Heuschnupfen einhandeln, die allergische Rhinitis, sondern manchmal auch noch Asthma. Die chronische Atemnot kommt irgendwann im Lauf des Lebens bei mehr als einem Drittel der Heuschnupfenpatienten hinzu.

Allergien sind aber nicht nur eine dramatische gesundheitliche Last, sondern auch eine ökonomische. Je nach Berechnungsmethode geht man heute davon aus, dass allergische Erkrankungen allein in Europa jährlich direkte und indirekte Kosten von 100 bis 150 Milliarden Euro verursachen. Die Summe setzt sich aus den eigentlichen Diagnose- und Behandlungskosten sowie aus dem Kostenäquivalent von Arbeitstagen zusammen, die der europäischen Wirtschaft jedes Jahr entgehen, weil Angestellte, die sich von allergischen Symptomen niedergestreckt fühlen, den Dienst versagen müssen. In Deutschland lässt sich etwa jede zehnte Krankschreibung auf eine Allergie zurückführen.

Tatsächlich ist die Lebensqualität der Patienten besonders in der Pollensaison erheblich eingeschränkt, wie zum Beispiel eine österreichische Umfrage unter Betroffenen zeigte. Fast 20 Prozent der Befragten gaben an, »sehr beeinträchtigt« zu sein, weitere 30 Prozent erachteten sich als »ziemlich beeinträchtigt«. Andere Untersuchungen erbrachten Hinweise auf eine merkliche Abnahme der Konzentrations-, Merk- und Leistungsfähigkeit während der Zeit des Pollenflugs, Studien zufolge um 30 bis 50 Prozent. Allergien vernebeln demnach buchstäblich das Gehirn – mitunter eben so schlimm, dass die betroffenen Menschen nicht mehr imstande sind, ihren Job auszuüben. Übers Jahr sammeln sich in den europäischen Unternehmen deshalb um die 100 Millionen Krankenstandstage an. In eine anschaulichere Größe umgerechnet: Dieser Ausfall an Produktivität entspräche mehr als 270 000 Arbeitsjahren. In dieser Ziffer hat die komplette Lebenszeit von fast 3500 Menschen Platz. Hinzu kommen außerdem Fehlzeiten von Kindern an den Schulen. Für viele Jugendliche bedeutet dieses allergiebedingte Versäumen von Unterrichtsstunden einen schwer aufzuholenden Nachteil bei der Ausbildung und Vorbereitung aufs Berufsleben. Immerhin kann die Lernleistung empfindlich beeinträchtigt sein, wenn der Kopf während der Pollensaison von Dauerentzündungen gequält wird.

Es besteht also nicht der geringste Zweifel daran, dass Allergien ein eminenter medizinischer wie auch volkswirtschaftlicher Faktor sind. Doch hat das Problem wirklich erst in jüngerer Zeit so massiv zugenommen, wie gemeinhin gedacht und gerne kolportiert wird? Eines ist zunächst gewiss: Ein gesellschaftliches Dauerthema sind Allergien heute allemal – fast egal, mit wem in welchen Kreisen man sich gerade unterhält. Ob unter Freunden, Bekannten, Verwandten oder Berufskollegen – man erörtert Fallgeschichten und die Heftigkeit der aktuellen Heuschnupfensaison, klagt über den gerade erbarmungswürdigen Gesamtzustand. Man tauscht Tipps über Medikamente und Hausmittel aus, reicht Visitenkarten von spezialisierten Ärzten weiter, berät über den Nutzen eben getesteter Allergie- und Pollenwarn-Apps. Und man denkt: Das war doch nicht immer so, oder? Kann sich jemand an einen Großvater erinnern, der jedes Frühjahr heulend und schniefend durch die Gegend lief? Ist es nicht vielmehr so, dass die ältere Generation oft kopfschüttelnd meint, Allergien hätten früher einfach nicht existiert? Oder nahmen die Leute damals Krankheitssymptome einfach nicht so ernst und akzeptierten sie stillschweigend als schicksalhaft – ganz anders als die Menschen des 21. Jahrhunderts, die der Gesundheit generell einen höheren Stellenwert beimessen?

Der verbreitete subjektive Eindruck trügt nicht: De facto ist längst unumstritten, dass die Zunahme der Patientenzahlen eine reale ist – und eine rapide noch dazu. In Ländern wie Deutschland und Österreich hat sich allein die Rate der Heuschnupfengeplagten zwischen Ende der 1980er-Jahre und dem Jahrtausendwechsel etwa verdoppelt, jene der Asthmapatienten mehr als verdreifacht. Seit Mitte des 20. Jahrhunderts ist die Zahl der Allergiker in den Industrienationen unseres Planeten sogar um den Faktor 20 emporgeschnellt, was eine geradezu explosionsartige Steigerung bedeutet. Man kann also ohne Übertreibung sagen: Aus einem vormaligen Nischenproblem ist ein Volksleiden geworden, eine der gravierendsten Zivilisationskrankheiten aller Zeiten.

Die »Seuche« ist tatsächlich um den Erdball gerast, hat immer mehr Landstriche erfasst und immer weitere Gesellschaftsschichten durchdrungen – und zwar überall nach demselben Muster: Zuerst waren die Wohlhabenden dran, anschließend die Mittelklasse, zuletzt auch die weniger Privilegierten. Und während nun die Patientenzahlen in unseren Breiten auf sehr hohem Niveau zu stagnieren scheinen, holen die Schwellenländer allmählich auf, vor allem, was die urbanen Ballungszentren dieser Staaten anbelangt.

Dieses erstaunliche Phänomen wurde immer wieder durch Langzeitstudien bestätigt, die Abertausende von Menschen einschlossen und miteinander verglichen. Aber warum werden gebildete Menschen in Großstädten viel häufiger von Heuschnupfen, Asthma oder Neurodermitis ereilt als die Bevölkerung in ländlich geprägten Regionen? Das zählte lange zu den kniffligsten Rätseln der Allergieforschung, und über Jahrzehnte zerbrachen sich die Wissenschaftler vergeblich darüber den Kopf. Es ist schon verblüffend: Da kann die moderne Medizin unter dem Mikroskop hauchfeine durchtrennte Nerven zusammenflicken, sie kann ganze Körperteile verpflanzen und sogar Prothesen entwickeln, die von der Kraft der Gedanken gesteuert werden. Doch sie konnte über weite Phasen ihrer Geschichte nicht beantworten, weshalb immer mehr Menschen niesen, wenn Pollenkörner ihre Nasenschleimhäute touchieren – und war oft kaum weniger ratlos als die Patienten selbst. Allergien waren ein Mysterium, wirr in der Symptomatik, chaotisch im Verlauf – eine Krankheit, die sich boshaft allen Erklärungen widersetzte.

Natürlich unternahmen Mediziner zu allen Zeiten enorme Anstrengungen, um den Ursachen dieses Immunleidens auf die Spur zu kommen. Schon vor Hunderten Jahren fertigten detektivisch begabte Ärzte penible Notizen über die – damals noch sehr seltenen – Fälle von »Heufieber« und Atemnot an und grenzten die Zahl möglicher Auslöser Stück für Stück ein. Doch erst in jüngerer Vergangenheit konnte die Wissenschaft, nicht zuletzt unter dem Eindruck der gewaltigen Zunahme des Problems, eine Vielzahl von ausschlaggebenden Faktoren ermitteln – solche, die bestimmten Menschen eine Neigung zur Allergie in die Wiege legen, und andere, welche die konkrete Erkrankung steuern und daran schuld sind, dass immer mehr unserer Zeitgenossen davon betroffen sind. Maßgeblich geholfen haben dabei die modernen Methoden der Molekularbiologie, die es erstmals erlaubt hat, tief in organische Strukturen einzudringen, Bruchstücke von Zellen zu betrachten und der Körperchemie beim Arbeiten zuzusehen. So trugen Forscher Puzzlestein um Puzzlestein zusammen, und endlich formt sich ein stimmiges Gesamtbild.

Das bedeutet freilich längst nicht, dass inzwischen alle Zusammenhänge verstanden und erschöpfend erklärt wären. Vielmehr gewinnen Wissenschaftler permanent neue erhellende und oft verblüffende Einsichten in die Mechanismen und Wirkweisen von Allergien. Sogar bisher gänzlich unbekannte Formen werden noch entdeckt. Erst vor wenigen Jahren war die Medizin mit einer Serie höchst merkwürdiger Patientengeschichten konfrontiert. Sie alle ähnelten einander frappant: Jemand verzehrt am Abend eine üppige Mahlzeit, zum Beispiel ein saftiges Steak oder einen fetten Hamburger. Mitten in der Nacht wacht er auf. Ihm ist übel, schwindlig, die Haut juckt und ist übersät von Rötungen. Bevor sich der Ärmste ausgiebig wundern kann, bricht sein Kreislauf zusammen, und er kollabiert.

Was ist geschehen? Verdorbenes Essen? Womöglich eine Herzattacke? Nein, wie sich nach akribischer Recherche herausstellte, handelt es sich um eine allergische Reaktion, und zwar vermutlich ausgelöst durch einen Zeckenbiss. Erst auf Umwegen kann solch ein Biss bei Fleischessern einen anaphylaktischen Schock hervorrufen: Zecken übertragen mit ihrem Speichel eine Zuckerverbindung namens alpha-Gal. Gegen diesen Zucker wiederum produziert das Immunsystem bei manchen Personen Antikörper – und zwar genau solche, wie sie bei allergischen Reaktionen entstehen. Nun enthält auch rotes Fleisch, etwa von Schweinen oder Rindern, alpha-Gal. Zum Problem kann es unter folgenden Voraussetzungen kommen: Jemand, der von einer Zecke gebissen wurde und dessen Organismus entsprechende Antikörper hergestellt hat, nimmt ein Fleischgericht zu sich. Dadurch reagiert das im Vorfeld bereits alarmierte Immunsystem plötzlich auf das alpha-Gal im Fleisch, was wiederum zu einer allergischen Reaktion führt. So werden bisher passionierte Fleischesser quasi über Nacht gezwungen, fortan und für den Rest ihres Lebens auf Steak und Schweinebraten zu verzichten.

Die Bemühungen der internationalen Fachwelt münden aber auch darin, dass jahrzehntelang gültige Weisheiten und Empfehlungen für Patienten relativiert oder gar in ihr Gegenteil verkehrt werden müssen. So galt es als ausgemachte Sache, dass der beste Schutz gegen Nahrungsmittelallergien in der Vermeidung potenziell kritischer Lebensmittel besteht. Wer niemals in Kontakt mit Erdnüssen, Meeresfrüchten oder exotischem Obst gerät, so der Gedanke, läuft erst gar nicht Gefahr, Überempfindlichkeiten dagegen zu entwickeln. So versagten entsprechend instruierte Eltern ihren Kindern den Genuss von allen möglichen Leckereien – in der Hoffnung, ihrem Nachwuchs dadurch allergische Erkrankungen zu ersparen. Heute jedoch gibt es solide Hinweise darauf, dass dies wahrscheinlich nicht nur übertrieben, sondern sogar kontraproduktiv sein kann. Nicht ausgeschlossen, dass man mit der Praxis, Kinder gleichsam unter eine Käseglocke zu stellen, in einen Kokon zu packen, eher das Gegenteil des erwünschten Effekts erzielt.

Im Zusammenhang mit Erdnüssen, prinzipiell besonders starken Allergieauslösern, ist dies bereits nachgewiesen. Britische Forscher veröffentlichten im Februar 2015 eine Studie, für die sie zwei Gruppen von Kindern mehr als vier Jahre lang begleitet hatten. Eine der beiden Gruppen sollte strikt auf Erdnüsse verzichten, die andere durfte dreimal pro Woche kleine Nusssnacks futtern. Als die Kinder fünf Jahre alt waren, erhoben die Mediziner die Allergikerraten. Ergebnis: 17 Prozent der Kinder, denen es nie gestattet gewesen war, an einer Erdnuss zu knabbern, waren allergisch dagegen – aber nur 3 Prozent jener Kinder, die sich regelmäßig Nussriegel zwischen die Zähne geschoben hatten. Die Folgerung der Wissenschaftler lautete: Möglicherweise habe man jahrelang ausgerechnet durch den Rat zur Enthaltsamkeit bei der Ernährung die Entstehung von Allergien sogar noch gefördert.

Ganz generell wird im Hinblick auf den Speiseplan inzwischen – unspektakulär, aber eigentlich logisch – empfohlen: Man esse ausgewogen, nicht allzu einseitig und sei skeptisch gegenüber allen rigiden Diäten, die bestimmte Nahrungsmittel in Bausch und Bogen verteufeln, während sie ein paar andere als alleinige Heilsbringer anpreisen. Man streiche außerdem teure, aber nutzlose oder sogar schädliche Nahrungsergänzung. Denn die Zufuhr künstlicher Vitamine, so zeigen zum Beispiel Studien der Universität Innsbruck, kann allergische Erkrankungen noch zusätzlich vorantreiben.

Ein Wegweiser durch den Irrgarten der Allergien

Was es mit dem seltsamen Wechselspiel von Vitaminen und Allergien auf sich hat und welche tieferen Ursachen ihm zugrunde liegen, ist eines von vielen Themen, die in diesem Buch im Detail erörtert werden – ebenso wie eine Vielzahl weiterer: Seit wann gibt es Allergien? Was genau geschieht im Körper, wenn er mit Pollen, Katzenhaaren, Hausstaubmilben, Nahrungseiweißen, Medikamenten, Nickel oder einem der zahlreichen anderen kritischen Stoffe in Berührung gerät? Weshalb entwickelt ein Mensch Überempfindlichkeit gegen solch harmlose Substanzen, während sie einem anderen rein gar nichts anhaben können? Wieso unterscheiden sich selbst eineiige Zwillinge hinsichtlich ihrer Anfälligkeit für allergische Symptome? Und, nicht zuletzt, wie erklärt sich der dramatische Anstieg der Patientenzahlen in nur wenigen Jahrzehnten, einem verschwindend kurzen Abschnitt der Menschheitsgeschichte?

Auf den folgenden Seiten werden all diese Fragen der Reihe nach erörtert, wobei stets ein Themenfeld ins andere greift, jede Einsicht auf zuvor gewonnenen Erkenntnissen fußt. So lässt sich die gesamte Geschichte der Allergieforschung nachzeichnen – von den ersten Versuchen, diese rätselhafte Erkrankung zu begreifen, bis hin zu den modernsten Methoden der Medizin unserer Tage. So wird der Bogen gespannt von historischen Überlieferungen bis zur Molekularbiologie, die winzigste Bausteine der Allergene unter die Lupe nimmt und imstande ist, sich auf dieser Basis neue Therapien auszudenken. Am Schluss lässt sich vielleicht besser verstehen, was Allergien überhaupt sind, was sie im Körper anrichten, welche Faktoren für ihre Zunahme verantwortlich sind – und was wir selber tun können, um allergischen Leiden die Stirn zu bieten.

Zuletzt hat die internationale Forschung dermaßen viel dazugelernt, dass es höchste Zeit ist, all das Wissen in kompakter Form zusammenzufassen und es Menschen außerhalb der Fachwelt zugänglich zu machen – in erster Linie den Patienten selbst, aber auch deren Angehörigen, die indirekt ebenfalls betroffen sind und in gewisser Weise mitleiden. Genauso sollen Leser auf ihre Kosten kommen, die schlicht an Einblicken in komplexe medizinische Zusammenhänge interessiert sind und ihren Horizont erweitern wollen.

Es war aber auch deshalb Zeit für dieses Buch, weil, so erstaunlich es klingt, kein einziges deutschsprachiges populärwissenschaftliches Sachbuch zum Thema existiert, jedenfalls nicht jüngeren Datums. Es gibt zwar einerseits echte Fachbücher, die sich an Studenten oder Ärzte richten, und es gibt andererseits – mehr oder minder brauchbare – Ratgeber zum alltäglichen Umgang mit Allergien. Doch ein allgemein verständliches Buch, das die aktuelle Arbeit von hoch spezialisierten Forschern aus aller Welt detailreich abbildet, fehlte bisher.

Natürlich ist es ein aussichtsloses Unterfangen, alle Studien und sämtliche Expertenmeinungen zu einem derart vielschichtigen Thema zwischen zwei Buchdeckel zu packen. Allein die Fachliteratur ist inzwischen schier unüberblickbar, und beinahe jede Arbeit enthält eine Fülle von Hinweisen auf weitere Untersuchungen, die wieder neue inhaltliche Tore aufstoßen. Man könnte vermutlich über Jahre Material sammeln, das kluge Köpfe produziert haben, und trotzdem wäre kein Ende in Sicht.

Dennoch: Die wichtigsten Strömungen und zentralen Aussagen der aktuellen Allergieforschung werden Sie in diesem Buch finden. Und sie beantworten die wohl drängendsten Fragen, die sich Allergiker stellen: Woher kommt mein Problem? Was kann ich persönlich tun? Und haben wir in absehbarer Zeit dank der Anstrengungen der Wissenschaft eine Chance, effizienter dagegen vorzugehen als bisher?

In den hinteren Abschnitten wird dieser Punkt wieder aufgenommen und im Detail beschrieben, wie die neuen Impfungen funktionieren, die eingangs erwähnt wurden. Auf dem Weg dorthin wird dargelegt, wie Forscher mit großem Eifer nach und nach enthüllten, welche Einflüsse für die Entstehung und die gegenwärtige Häufigkeit von Allergien entscheidend sind.

Den Beginn sollen jedoch die Pioniere der Pollen-, Asthma- und Heuschnupfenforschung machen – erstklassige Beobachter, denen irgendwann auffiel, dass ganz natürliche und harmlose Substanzen krank machen können.