Über das Buch:
Nashville, 1869. Maggie Linden ist eine passionierte Reiterin und trainiert ihr Pferd Bourbon Belle für ein großes Rennen. Doch als der Farm ihres Vaters die Zwangsversteigerung droht, scheinen ihre Träume zu zerplatzen. Unterdessen versucht der attraktive, etwas kantige irische Einwanderer Cullen McGrath in Tennessee Fuß zu fassen. Überall stößt er auf verschlossene Türen, bis Maggies Vater ihm ein ungewöhnliches Angebot macht …

Eine spannende, manchmal zum Weinen und manchmal zum Lachen bringende Geschichte von Menschen, die gegen alle Konventionen ihren Überzeugungen und Träumen folgen.

Über die Autorin:
Tamera Alexander ist für ihre historischen Romane schon mehrfach mit dem Christy Award ausgezeichnet worden, dem bedeutendsten christlichen Buchpreis in den USA. Sie lebt mit ihrem Mann und zwei erwachsenen Kindern in Nashville.

Kapitel 6

Maggie lächelte ihren Vater über den Esstisch hinweg an, legte die Gabel auf ihren Teller und wartete darauf, dass das humorvolle Blitzen in den Augen ihres Vaters zurückkehrte. Als dies nicht geschah, verschwand auch ihr Lächeln.

„Eine Übereinkunft?“ Sie hörte die Vorsicht in ihrer eigenen Stimme. „Wie soll die Übereinkunft mit diesem Mann genau aussehen, Papa?“

„Diese Übereinkunft soll so aussehen, wie du wohl schon vermutest.“ Ihr Vater legte die Serviette neben seinen Teller. Er hatte seinen Teller nur halb leer gegessen, verriet aber mit dieser Geste, dass er fertig war. Bucket, der in der Ecke lag, wollte aufstehen, aber ein kurzer Blick ihres Vaters belehrte den Hund eines Besseren. „Ich schlage vor, dass du ihn heiratest, Margaret. Ich habe ihm versichert, dass du ernsthaft über diese Möglichkeit nachdenkst.“

Sie wollte lachen, so verrückt war diese Idee. Aber der Ernst und die liebende Fürsorge in den Augen ihres Vaters ließen das nicht zu. Genauso, wie ihre traurigen finanziellen Umstände jeden Humor in dieser Angelegenheit verboten.

„Der Mann, mit dem du heute auf der Straße zu den Hardings unterwegs warst, der Mann, der den wild gewordenen Vollbluthengst beruhigte, der Mann, der …“

Die Küchentür ging auf und Onnie trat mit einem Wasserkrug in der Hand ins Esszimmer. Maggie lächelte sie an, beschloss aber, das Gespräch erst fortzusetzen, wenn sie wieder mit ihrem Vater allein war.

Als Onnie ihre Gläser neu auffüllte, bemerkte Maggie den besorgten Blick, den sie zuerst auf Papas Teller und dann auf ihn warf. Maggie hatte Onnie einmal gefragt, wie alt sie sei. Die Frau hatte gesagt, dass sie nicht ganz sicher sei, wann sie geboren wurde, aber dass sie aufgrund des Alters ihrer Geschwister davon ausgehe, dass sie mindestens fünfzig sein müsse. Das war vor über zehn Jahren gewesen.

Als Maggie diese liebenswürdige Frau, die halb Familienmitglied und halb Dienerin war, jetzt genauer ansah, fielen ihr deutlich ihre sechs Lebensjahrzehnte ins Auge. Onnie nahm den nur zur Hälfte geleerten Teller ihres Vaters, wandte sich aber noch nicht zum Gehen. „Ich habe gerade eine Nachricht bekommen, Mr Linden.“ Sie senkte den Kopf und blickte dann zu Maggie. „Miss Maggie. Die Nachricht kommt von meiner jüngsten Schwester. Sie sagt, Willie und seine Familie verlassen heute Abend die Stadt. Sie gehen mit einigen anderen fort. Meine Schwester Marna, ihr Mann und ihre Kinder gehen auch mit. Sie ist gekommen, um sich zu verabschieden.“

„Ihre Schwester geht mit ihrer Familie weg?“, fragte Maggie. Sie blickte zu ihrem Vater hinüber, um zu sehen, wie er auf diese Nachricht reagierte. Aber im Gegensatz zu sonst konnte sie seine Miene nicht deuten. Marna und ihre Familie hatten seit Jahren auf einer Nachbarfarm gelebt und gearbeitet.

„Ja, Ma’am. Marna sagt, dass es im Norden besser sein soll als hier. Wahrscheinlich hat sie recht.“

Einen Moment lang sprach keiner von ihnen ein Wort. Das Entsetzen über das, was an diesem Morgen geschehen war und was in letzter Zeit viel zu häufig passierte, stand deutlich im Raum.

Das Schweigen zog sich in die Länge, bis ihr Vater schließlich den Blick hob.

„Onnie.“ Seine tiefe Stimme klang in der Stille ungewöhnlich zerbrechlich. „Wie Sie wissen, ist unsere Situation auf Linden Downs, vorsichtig ausgedrückt, ungewiss. Wenn Sie und Cletus mit Ihrer Schwester und deren Familie weggehen wollen, dann haben Sie unseren Segen.“

Maggie wusste nicht, ob der Kloß in ihrer Kehle an der Gefühlsregung in der Stimme ihres Vaters lag, am feuchten Glänzen in Onnies dunklen Augen oder daran, dass sie sich ein Leben ohne diese Frau, die sie seit ihrer Geburt kannte, nicht vorstellen konnte.

„Ja, Sir“, antwortete Onnie leise. „Das weiß ich. Aber ich bin zu alt, um woanders neu anzufangen. Ich denke, ich bleibe hier, solange ich kann. Wer sollte sich denn um Sie beide kümmern, wenn ich nicht mehr da bin?“ Sie lachte, aber es klang nicht überzeugend. „Cletus geht es genauso. Ich wurde hier auf Linden Downs geboren. Cletus und ich haben hier geheiratet. Wir haben vor hierzubleiben, solange es Gott schenkt.“

Ihr Vater öffnete den Mund, als wollte er etwas sagen, doch dann klappte er ihn wieder zu und nickte nur. Onnie verließ das Zimmer und schloss die Küchentür hinter sich.

Dankbar für Onnies Worte und gleichzeitig erleichtert, faltete Maggie ihre Serviette zusammen und legte sie ordentlich neben ihren Teller. Angesichts der Umstände erschien ihr diese Geste jedoch plötzlich so belanglos.

„Um unser Gespräch fortzusetzen …“, sagte sie leise, da sie es nicht erwarten konnte, die fixe Idee, die sich ihr Vater in den Kopf gesetzt hatte, aus der Welt zu schaffen, „… der Mann, mit dem du heute auf der Straße zur Harding-Plantage unterwegs warst, der Mann, dem du vorher auf dem Friedhof das erste Mal begegnet bist ... diesen Mann soll ich deiner Meinung nach heiraten?“ Sie stieß ein kurzes Lachen aus, nach dem ihr jedoch überhaupt nicht zumute war. „Und das alles nur, weil er heute Nachmittag mit einer Tasche voll Geld und vielen Versprechungen hier aufgetaucht ist? Wie ein Nordstaatler oder ein Ausländer, der glaubt, er könne …“

„Nein, Margaret. Damit hat es nicht im Entferntesten zu tun.“ Der Tonfall ihres Vaters nahm eine ungewohnte Schärfe an. „Es geht darum, dass dieses Land, die Farm meines Vaters, das Land, das er gekauft und auf dem er sein ganzes Leben lang geschuftet hat, das Land, das ich nicht für meine Familie retten konnte, …“ er verzog traurig das Gesicht und sein Atem stockte, „… das ich für dich nicht retten konnte, sosehr ich es auch versuchte … dass dieses Land und alles, was sich darauf befindet, in zwei Wochen zwangsversteigert wird. Und ich werde keinen Ort haben, an dem meine Tochter leben kann. Kannst du dir vorstellen, wie das für mich ist – zu wissen, dass ich so jämmerlich an dir versagt habe?“

„Papa, nein.“ Maggie kniete neben seinem Stuhl nieder. „Du hast nicht versagt. Das ist nicht deine Schuld.“

Er schüttelte den Kopf. „Bourbon Belle wird uns genommen. Alles, wofür wir gearbeitet haben, wird …“

Er atmete plötzlich scharf ein, verzog das Gesicht und drückte den Arm auf seine Brust. Er schien keine Luft mehr zu bekommen.

Maggie legte einen Arm um seine Schultern. „Atme, Papa. Atme bitte!“

Er wurde blass. Seine Lippen bewegten sich, aber es kam kein Wort aus seinem Mund.

„Onnie!“, schrie Maggie entsetzt, während Bucket sich an die Beine ihres Vaters drückte. Mit zitternden Fingern versuchte sie, den Kragen ihres Vaters aufzuknöpfen.

Im nächsten Moment war Onnie bei ihnen. Sie hatte in einer Hand ein Wasserglas und in der anderen ein Pulver.

„Was ist das?“ Maggie sah zu, wie sie das Pulver in das Glas gab.

„Mister Linden.“ Onnie hielt ihm das Glas an den Mund. „Sie müssen diese Medizin trinken, Sir. Wie der Arzt gesagt hat.“

„Der Arzt hat ihm das gegeben?“

Onnies vielsagender Blick beantwortete Maggies Frage. „Trinken Sie, Sir. Es wird Ihnen helfen.“

Ihr Vater schluckte das Gemisch hinunter, wobei Wasser an seinem Hals hinab und in seinen offenen Kragen lief.

„Noch ein bisschen mehr, Sir. Dann haben wir es geschafft.“

Mit Onnies Hilfe trank ihr Vater das Glas leer und Maggie schaute ihm mit Tränen in den Augen zu.

Als sie später mit Bucket neben dem Bett ihres Vaters saß, beobachtete Maggie ihn im Schlaf und sah, wie sich sein Brustkorb mühsam hob und senkte.

Sie hatten nach Dr. Daniels geschickt, der noch mehr von dem Pulver mitgebracht hatte. Digitalis nannte er es. Maggie hatte ihn mit Fragen gelöchert, aber seine Antworten hatten ihr überhaupt nicht gefallen.

„Es lindert die Schmerzen und hilft, wenn wieder ein Anfall kommt“, hatte er ihr erklärt, bevor er sich verabschiedet hatte. „Ihr Vater wird gute und schlechte Tage haben. Aber leider, Miss Linden, können wir sonst nichts für ihn tun. Ruhe ist sehr wichtig. Und eine ruhige und friedliche Atmosphäre. Ich weiß, dass das angesichts Ihrer derzeitigen Umstände eine Herausforderung ist. Ich wünschte, ich könnte mehr für ihn tun, aber sein Herz wird einfach immer schwächer.“

Die Augen ihres Vaters öffneten sich zuckend und schlossen sich dann wieder.

„Papa?“ Sie beugte sich näher über ihn und legte ihre Hand in seine. „Bist du wach?“

Er stöhnte. Oder war es ein Seufzen? „Ja, Maggie.“

Sie lächelte, doch dann traten ihr Tränen in die Augen. „Warum hast du mir nicht gesagt, wie es um dich steht?“

Er drückte ihre Hand. „Wegen des besorgten Tonfalls, der jetzt in deiner Stimme liegt.“

Sie küsste ihn auf die Stirn und strich über seine dünner werdenden Haare. Die Atemnot, die er immer wieder hatte, die häufige Müdigkeit – sie hatte gedacht, er würde sich einfach nur überanstrengen. Sie wusste, dass er nicht jünger wurde. Aber das …

„Er ist ein guter Mann, Maggie.“

Sie brauchte eine Sekunde, um zu begreifen, von wem er sprach.

Er atmete scharf ein. „Wenn es anders wäre, würde ich diesen Weg nicht vorschlagen.“

„Sprechen wir jetzt nicht darüber, Papa. Wir …“

Sein Griff wurde stärker. „Versprich mir, dass du es tun wirst.“ Er schaute sie flehend an. „Versprich es mir.“

Da sie ihn nicht weiter aufregen wollte, nickte sie. „Ich verspreche dir, dass ich ihn mir ansehe. Dass ich mit ihm spreche. Ich fahre zu ihm in die Stadt und …“

„Das ist nicht nötig, mein Schatz. Er kommt morgen früh wieder.“ Er schloss die Augen und Tränen liefen seine Wangen hinunter. „Ich habe alle Möglichkeiten durchgespielt. Das ist der einzige Weg.“

Mit einem frischen Tuch tupfte Maggie die Tränen aus seinem Gesicht. „Hast du es ihm erzählt?“, fragte sie leise. „Hast du ihm von Belle und unseren Plänen für sie erzählt? Und … von mir?“

Das entschuldigende Lächeln ihres Vaters sagte alles. „Ich hatte es vor, aber …“ Er atmete tief ein und dann langsam wieder aus. Das Geräusch ließ Bucket aufmerksam die Ohren spitzen. „Er hält … nicht viel von Pferderennen, Schatz. Das hat er sehr deutlich gemacht. Anscheinend …“, er hielt sich die Hand auf die Brust, während er hustete und die Luft dumpf in seiner Lunge rasselte, „… hat sein Vater diesen Sport übertrieben, was bei ihm eine Abneigung gegenüber Pferderennen hervorgerufen hat.“

Maggie tupfte seine Stirn mit einem kühlen Tuch ab. „Aber nur weil man ein Pferd bei einem Rennen antreten lässt, heißt das doch nicht, dass man ein Glücksspieler ist. Ganz im Gegenteil. Bei etwas so Wertvollem wie einem Rennpferd kann man es sich überhaupt nicht leisten zu spielen. So etwas tun nur Dummköpfe.“

„Er ist kein Dummkopf, Maggie“, sagte er mit überraschender Stärke und sah zu ihr hinauf.

Und ich auch nicht, wollte sie am liebsten sagen.

Ihr Vater ergriff ihre Hand. „Manchmal kommt es im Leben vor, dass das, was wir uns am meisten wünschen, außer unserer Reichweite ist und es so scheint, als würde plötzlich der Boden unter uns nachgeben. Dann müssen wir uns an den nächstbesten Ast klammern, den wir finden ...“, er schloss kurz die Augen, „… und dürfen ihn nicht mehr loslassen.“

Maggies Kehle war wie zugeschnürt, so aufgewühlt war sie innerlich. Ihr Vater konnte manchmal richtig poetisch werden. Das gehörte zu den vielen Dingen, die sie an ihm liebte. „Papa, ich …“

Er schüttelte den Kopf. „Hör mir zu, Kind. Dein Traum ist immer noch lebendig. Du musst einfach … einen anderen Weg finden, um ihn zu verwirklichen.“

Er verzog das Gesicht, als ein weiterer Hustenanfall seinen Brustkorb erschütterte. Maggie half ihm, sich aufzusetzen, dann hielt sie ihn fest, bis der Anfall vorüber war. Schließlich legte sie ihn wieder auf sein Kissen zurück. Seine Augen zuckten, als habe er Mühe, wach zu bleiben. Auch Maggie wurde plötzlich von einer starken Müdigkeit erfasst.

Sie wünschte, sie könnte ihm mehr Informationen entlocken, aber sie wusste, dass das jetzt nicht möglich war. Er brauchte seine Ruhe.

Auf ihr Drängen hin trank er noch einige Schlucke von dem Andorn- und Beinwurztee, den sie vorher gekocht hatte. Dann schlief er wieder ein. Sie beugte sich vor, legte die Arme um sich und betrachtete die immer noch starken Gesichtszüge ihres Vaters, sah aber gleichzeitig deutlich die erbarmungslosen Spuren, die die Jahre hinterlassen hatten.

Bitte nimm ihn mir nicht weg. Nicht jetzt. Noch nicht.

Es war weniger ein Gebet als ein verzweifeltes Flehen. Aber vielleicht waren sich diese zwei Dinge letztendlich näher, als sie dachte.

Schließlich döste sie auf dem Stuhl neben ihm ein, bis irgendwann nach Mitternacht Onnie kam und sie ablöste.

Aber als Maggie im Bett lag, wollte sich der Schlaf nicht einstellen. Sie lag in der Dunkelheit und ging im Geiste alle Gründe durch, die ihr Vater ihr genannt hatte, als er ihr beim Abendessen von dieser „Übereinkunft“ erzählt hatte. Sie versuchte, diese Gründe zu widerlegen. Aber es gelang ihr nicht.

Wenn sie nur mehr Zeit hätten! Aber das hatten sie nicht.

Wenn sie nur einen Jockey finden könnte! Aber sie fand keinen.

Wenn nur Richard noch leben würde! Aber …

Wenn nur, wenn nur, wenn nur!

Sie begriff, dass ihr Vater diese Übereinkunft genauso sehr zu ihrem Schutz und ihrer Sicherheit wie für ihre Pläne mit Bourbon Belle getroffen hatte. Dafür war sie ihm dankbar. Warum regte sich dann eine solche Abneigung in ihr? Nicht gegenüber ihrem Vater, sondern gegenüber diesem Mann, wer auch immer er war.

Dieser Mann ließ sich die Gelegenheit, die Tochter eines Nashviller Großgrundbesitzers zu heiraten, nicht entgehen, auch wenn von diesem Großgrundbesitz im Moment nicht viel zu sehen war. Er hatte wahrscheinlich den Familiennamen gehört und dann beschlossen, hier aufzutauchen und seine Chance zu nutzen, bevor die Farm versteigert wurde.

Und er hatte keine Ahnung von Bourbon Belle.

Was wäre, wenn er Belle sah und nicht das Siegerpotenzial in der Stute wahrnahm, sondern nur eine Gelegenheit, durch ihren Verkauf schnell zu Geld zu kommen?

Maggie drehte sich auf den Rücken und schob die dünne Decke weg, weil ihr plötzlich viel zu warm wurde. Da sie wusste, wie Männer im Allgemeinen über Frauen und Pferderennen dachten, müsste sie vorsichtig vorgehen. Erschwerend kam noch hinzu, dass dieser Mann diese Sportart offensichtlich ablehnte. Sie seufzte.

Er war schon einmal verheiratet gewesen, hatte Papa gesagt. Bedeutete das, dass er alt war? Doppelt so alt wie sie? Vielleicht noch älter? Sie wollte keinen alten Mann heiraten! Sie hatte immer davon geträumt, eine Ehefrau zu sein und nicht eine Altenpflegerin. Bei diesem Gedanken regten sich Schuldgefühle in ihr. Sie kümmerte sich gerne um ihren Vater.

Aber um einen Ehemann? Das war etwas anderes.

Wie hatte ihr Vater ihn beschrieben? Ein stolzer Mann, aber im besten Sinne des Wortes. Was meinte er damit?

„Einige würden vielleicht sagen, dass er ein wenig raue Kanten hat“, hatte Papa hinzugefügt. „Aber er ist ein Mann, den andere Männer respektieren, wenn auch vielleicht nicht freiwillig.“

Er war also alt und herrisch. Maggie fuhr sich mit den Händen durch die Haare und starrte an die Zimmerdecke hinauf.

Doch obwohl sie diesen Mann noch nie gesehen hatte, konnte sie ihrem Vater vertrauen. Er, der ihr immer ein sicherer Zufluchtsort und starker Turm gewesen war, solange sie zurückdenken konnte, würde ihr nie zu einem Weg raten, der nicht gut für sie war.

Aber vielleicht war seine Entscheidung ja zu sehr von seiner Verzweiflung oder seinem immer schlechter werdenden Gesundheitszustand beeinflusst worden? Andererseits war es so, wie er gesagt hatte: Ihnen blieb keine andere Wahl.

Maggie hatte eigentlich ganz andere Pläne für ihr Leben gehabt. Und sosehr sie auch glauben wollte, dass Gott ihr dabei half, auf ihrem Land wohnen zu bleiben und Bourbon Belle zu behalten – sie war sich dessen im Moment gar nicht mehr so sicher. Sie hatte schon so oft gesehen, dass Menschen Gott vertraut und trotzdem alles verloren hatten.

Warum sollte sie dann erwarten, dass ihr ein ähnliches Schicksal erspart bliebe?

Maggie rollte sich auf der Seite zusammen, drückte sich ein zweites Kissen auf die Brust und tat das, was sie immer machte, wenn sie nicht schlafen konnte. Sie versuchte, sich die Gesichter ihrer Mutter und ihrer Brüder ganz genau vorzustellen und wünschte, die Welt sähe immer noch so aus wie damals, als sie als Kind auf den Schultern ihres Vaters geritten war.

Erst, als sie am nächsten Morgen erwachte und einen rosa gefärbten Morgenhimmel durch das Fenster sah, wurde ihr bewusst, dass sie ihren Vater nie nach dem Namen ihres Möchtegernbräutigams gefragt hatte. Das war jetzt auch egal. Sie würde diesem Mann sehr deutlich machen, was sie von ihm und seinen Plänen, Linden Downs an sich zu reißen, hielt. Doch dann würde sie widerstrebend in die Hochzeit einwilligen.

Kapitel 7

Cullen lenkte Levi die Straße nach Linden Downs hinauf und sah das Land an diesem Morgen in einem völlig anderen Licht. Das alles gehörte ihm. Beziehungsweise, es würde ihm bald gehören. Falls Margaret Linden Ja sagte.

So müde er gestern Abend auch gewesen war, hatte er trotzdem sehr unruhig geschlafen und nicht abschalten können. Er hatte unaufhörlich über diesen Tag nachgedacht und darüber, wie sehr das, was er vorhatte, sein Leben verändern würde.

„Ich halte das Versprechen, das ich dir gegeben habe“, flüsterte er und sah zum wolkenlosen Himmel hinauf, während er sich an Moiras letzte Bitte erinnerte. Versprich mir, hatte sie mit schwacher Stimme gesagt, wobei ihr Tränen übers Gesicht gelaufen waren, dass du mit unserer Katie nach Amerika fährst und dir das Leben aufbaust, von dem wir geträumt haben. Gib nicht auf, Cullen.

Er gab nicht auf. Aber dieses Versprechen zu halten kostete ihn viel mehr, als er geahnt hatte. Und er erfüllte es auf ganz andere Weise, als Moira hatte vorhersehen können.

Er hoffte, dass sie ihn verstehen würde, wenn sie ihn heute sehen könnte. Oder noch besser, dass der Himmel den Vorhang zwischen dieser Welt und jener Welt fest geschlossen hielt.

Es führte zu nichts, aber ein großer Teil seiner Schlaflosigkeit hatte mit Miss Linden zu tun gehabt. Er wünschte, er hätte sich mehr angestrengt, um ein Porträt von ihr im Haus zu finden. Da sie die einzige Tochter war, musste es doch gewiss Bilder von ihr geben. Wie sah sie aus?

War sie klein? Oder groß? Schlank? Oder rundlich? Solche Dinge spielten für einen Mann eine Rolle, wenn er eine Frau heiratete. Eigentlich spielten sie immer eine Rolle, aber besonders bei einer Ehefrau waren sie wichtig.

Diese Erkenntnis trat schnell in den Hintergrund, als er daran erinnert wurde, dass diese Ehe ohnehin ganz anders sein würde als seine erste. Diese Verbindung entsprang ja nicht einer tiefen Liebe. Ebenso wenig wie das Eheversprechen, das sie sich bei der Trauung geben würden. Und auch die Vereinigung zwischen einem Mann und seiner Frau, die normalerweise in der Nacht nach ihrem Eheversprechen folgte, würde so ganz anders sein … wenn sie überhaupt stattfände.

Aber im Laufe der Zeit, wenn sie sich besser kennenlernten, könnten zwischen ihm und Miss Linden bestimmt Gefühle heranwachsen.

Falls sie Ja sagte.

Er war heute Morgen schon am Grundsteueramt vorbeigekommen und konnte es nicht erwarten, mit der unterzeichneten Eigentumsurkunde dorthin zu reiten, um die ausstehenden Schulden zu begleichen. Er freute sich darauf, Mr Linden den Beleg mit den Worten „Schulden vollständig getilgt“ zu unterbreiten. Aber wenn er diesen Schritt ginge, würde es endgültig kein Zurück mehr geben.

Das Farmhaus tauchte vor ihm auf und er brachte sein Pferd zum Stehen.

Er blickte auf seine Taschenuhr, ein Geschenk seines Großvaters, das er ihm vor seinem Tod gegeben hatte. Halb neun. Früher, als er gedacht hatte. Linden hatte ihn gebeten, heute Morgen um neun wiederzukommen.

Da er nicht auftauchen wollte, bevor die Lindens für seinen Besuch bereit waren, lenkte er Levi über ein Feld in die Richtung, in die er gestern noch nicht geritten war. Überall, wohin er schaute, grenzten sanft geschwungene Hügel und Felder an dichte Kiefern- und Pappelwälder.

Er malte sich die gelbbraunen Felder im kommenden Juli aus, kniehoch mit Getreidepflanzen bewachsen oder vom kräftigen Wuchs der Süßkartoffeln bedeckt, dieser grünblättrigen Pflanzen, die sich ausbreiteten und nach und nach alles überwucherten.

Linden sagte, sie hätten in der Vergangenheit auch Kartoffeln angepflanzt, aber Cullen schnaubte. Nach allem, was seine eigene Familie bei der Kartoffelernte in Irland erlebt hatte, war er nicht bereit, guten Boden mit Kartoffeln zu vergeuden, die einem unter den Händen verfaulten.

Linden sagte auch, dass sie Baumwolle angebaut hätten, aber mit diesen Pflanzen hatte Cullen keine Erfahrung. Was das betraf, müsste er sich auf Gilbert Lindens Wissen verlassen.

Er entdeckte einen Felsvorsprung in ungefähr einer halben Meile Entfernung und erinnerte sich daran, dass Linden eine Bemerkung dazu gemacht hatte. Er trieb Levi erst zu einem kurzen und dann zu einem weit ausholenden Galopp an und der Percheron legte die Entfernung im Nu zurück. Selbst der steile Anstieg, der zu einer Felswand führte, konnte seine Kraft nicht bremsen.

Die Aussicht von dieser Felswand war wirklich atemberaubend und äußerst aufschlussreich.

Von diesem Punkt aus war die Aufteilung der Felder und Wälder gut zu erkennen. Genau wie Linden gesagt hatte, konnte Cullen den Cumberland River in der Ferne und die Stadt Nashville in ungefähr sechs Meilen Entfernung im Osten sehen.

Wenn Mr Linden in letzter Zeit keine Gelegenheit gehabt hatte, hierher zu reiten, würde Cullen ihm anbieten, ihn hierher zu bringen. Sie könnten darüber sprechen, was sie anpflanzen wollten, und auch …

In diesem Moment tauchte auf dem Grat im Süden ein Reiter auf, dessen Pferd mit halsbrecherischer Geschwindigkeit dahinraste. Als Cullen die beiden beobachtete, wurde er das Gefühl nicht los, ein Déjà-vu-Erlebnis zu haben. Gestern am Fluss hatte er das Gleiche schon einmal erlebt.

Er beugte sich auf dem Sattel vor und verfolgte, wie die beiden über das Gelände rasten. Als das Mädchen dem Pferd freien Lauf ließ und die Röcke hinter ihm herflatterten, war er für einen kurzen Moment wieder ein kleiner Junge. Er stand auf der Pferderennbahn in London und sah Bonnie Scotland mit dem gleichen Tempo und der gleichen Anmut über die Bahn rasen, dass selbst der Wind neidisch werden konnte. Bonnie Scotland hatte damals das Rennen gewonnen.

Eine Minute später verschwanden Reiterin und Pferd wieder über dem Hügel und ritten in Richtung Belle Meade weiter. Die Reiterin war zweifellos ein Mitglied der Familie Harding und mit einem preisgekrönten Vollblutpferd unterwegs. Er lenkte Levi wieder den Hügel hinab und auf das Farmhaus zu.

Er hatte gestern Nacht auch viel über General Harding nachgedacht. Nur weil Leute Nachbarn waren, bedeutete das nicht gleich, dass sie auch einen nachbarschaftlichen Kontakt pflegen mussten. Er hatte vor, sich in Bezug auf die Belle-Meade-Plantage genauso zu verhalten wie in Bezug auf die Nashviller Vollblütler-Vereinigung.

Er würde um beide einen weiten Bogen machen.

Das Haus war still, als er ankam. Nach Mr Lindens gestriger Begeisterung hatte Cullen fast damit gerechnet, dass der Mann hier stehen und auf ihn warten würde. Er band Levi an und stieg die Verandastufen hinauf. Die ausgetretenen Holzbretter fühlten sich schon ein wenig vertraut an und lockten ihn, von einem Zuhause und einem Ort, an den er gehörte, zu träumen.

Er klopfte. Zuerst nur sachte und dann etwas kräftiger. Leise Schritte ertönten, dann öffnete sich die Tür.

„Mister McGrath.“ Die Dienerin von gestern hatte sich offenbar seinen Namen gemerkt.

„Miss Onnie.“ Cullen lächelte, als ihre Brauen in die Höhe schossen. Da er erwartete, dass sie ebenfalls lächeln würde, war er überrascht, als ihre Miene unverändert ernst blieb.

„Mister Linden liegt noch im Bett, Sir. Und Miss Linden, sie …“ Onnie blickte an ihm vorbei. Im selben Moment hörte Cullen das Poltern von Pferdehufen. „Da kommt sie gerade, Sir.“

Cullen drehte sich um, trat an den Rand der Veranda und richtete seinen Blick auf die Reiterin, die noch ein Stück entfernt war. Das war Miss Linden? Es schien ihm, als würde ein Bild, das er zuvor nur verschwommen wahrgenommen hatte, jetzt scharf gestellt werden. Er sah ihr zu, wie sie auf dem schönen braunen Vollblutpferd über die Wiese flog. Es war dasselbe Pferd, das sie vor einigen Minuten auf dem Hügel geritten hatte, und – wie er jetzt begriff – auch gestern Morgen am Fluss.

Er konnte sich nicht entscheiden, wer anmutiger war, das Pferd oder die Reiterin. Miss Linden verlangsamte das Tempo und ließ die Stute nur noch in einem kurzen Galopp laufen, blieb dann vor der Veranda stehen und blickte ihn mit der gleichen Neugier an, die zweifellos auch in seinem Gesicht geschrieben stand.

Ihr Blick wanderte auf eine Art über ihn hinweg, die bei einer Dame bestimmt nicht üblich war. Aber das störte ihn nicht im Geringsten, besonders, weil er ein schwaches Lächeln in ihren Mundwinkeln bemerkte. Als ihr Blick wieder sein Gesicht traf, röteten sich ihre Wangen. Ihm gefiel ihre augenscheinliche Billigung seiner Erscheinung. Sie stieg ab und er konnte jetzt verstehen, warum er sie für ein Mädchen gehalten hatte. Sie war klein und zierlich. Dieser Eindruck wurde noch dadurch verstärkt, dass sie nun neben dem großen Vollblutpferd stand. Aber als er sie jetzt aus der Nähe sah, bemerkte er auch noch etwas anderes – Margaret Linden war trotz ihrer zierlichen Gestalt durch und durch eine Frau.

Moira war blond und groß gewesen, diese Frau hingegen war brünett und zierlich. Moira hatte eine üppige Figur gehabt, Margaret Linden war schmaler gebaut, aber dennoch sehr weiblich.

Schnell verwarf Cullen diesen Gedanken und stieg die Verandastufen hinab, nachdem er sich genau überlegt hatte, was er sagen wollte. Cletus kam aus dem Stall, um das Pferd in Empfang zu nehmen, und Cullen wartete, bis er das Vollblutpferd weggeführt hatte.

Erfreut, als Miss Linden einen Knicks machte und ihm die Hand anbot, ergriff er ihre Hand und merkte erst jetzt, wie nervös sie war. Ihre zierliche Hand zitterte. Er verstärkte sanft seinen Griff, um sie zu beruhigen.

Als sie die Geste erwiderte, rührte ihn die Mischung aus Angst und Hoffnung, aus Panik und Erleichterung, die in ihre Augen trat, mehr, als er in einem solchen Moment erwartet hätte.

„Miss Linden, ich weiß, dass diese Situation für eine Frau wie Sie schwierig sein muss.“ Sie runzelte die Stirn und er fuhr schnell fort, da er wollte, dass sie seine Worte richtig verstand. „Aber ich will Ihnen versichern, dass ich …“

Sie zog ihre Hand zurück. „Sie sind Ire?“

Der Tonfall, mit dem sie das Wort sagte, war nicht gerade höflich. Und auch nicht sehr vielversprechend. Die Wärme, die noch vor wenigen Sekunden aus ihren Augen gesprochen hatte, verschwand so schnell, dass Cullen sich fragte, ob er sie sich von Anfang an nur eingebildet hatte.

„Ja, Ma’am. Ich bin Ire.“ Er hielt ihrem Blick stand. „Wie ich sehe, hat Ihr Vater dieses Detail nicht erwähnt.“

„Nein.“ Sie schluckte und schob das Kinn leicht vor. „Das hat er nicht.“

Ihr Blick wanderte an ihm vorbei zur Tür und er konnte sehen, wie ihr Verstand auf Hochtouren arbeitete. Ihre Miene verriet alles. Sie überlegte, wie sie aus dieser misslichen Lage herauskommen könnte. Ihre Reaktion verletzte seinen Stolz. Aber im Moment war er im Vorteil, da er etwas wusste, das ihr offenbar noch nicht klar war: Sie hatte keine andere Wahl, als ihn zu heiraten.

Als ihr Blick schließlich wieder zu ihm zurückwanderte, konnte er in ihren Augen sehen, dass sie gerade zu dieser Erkenntnis gelangt war.

Sie beugte den Kopf.

„Ist das ein Problem für Sie, Miss Linden?“ Seine Stimme klang neutraler und sicherer, als ihm zumute war.

Am liebsten hätte er sich auf der Stelle auf Levi geschwungen und wäre von hier weggeritten, weil sie sich viel zu viel Zeit mit der Antwort ließ. Aber ihr innerer Kampf, der sich in ihren angespannten Schultern und in den vor ihrem Bauch verkrampften Händen widerspiegelte, stimmte ihn ein wenig milder.

Sie hob den Kopf und richtete ihren Blick mit feuchten Augen auf das Haus und dann auf den Stall. Schließlich sah sie Cullen wieder an und erweckte den Eindruck, als müsse sie sich jeden Moment übergeben.

„Nein“, sagte sie ruhig. „Das ist kein Problem, Mr …?“

„McGrath“, sagte Cullen und glaubte zu wissen, warum Gilbert Linden dieses Detail verschwiegen hatte. „Cullen McGrath.“

„McGrath“, wiederholte sie, als probiere sie den Namen aus. Ihre nach unten gezogenen Mundwinkel verrieten, wie es ihr damit ging.

Wortlos betrat sie das Haus und ließ die Tür hinter sich offen. Wenigstens etwas, dachte er. Er folgte ihr, blieb aber auf der obersten Stufe stehen. Wenn es doch bloß irgendeine andere Möglichkeit gäbe …

Er trat ins Haus, schloss die Tür hinter sich und wusste zwei Dinge mit Gewissheit: In Margaret Lindens Augen stand er irgendwo weit, weit unter ihrer Liebe und Hingabe zu ihrem Vater. Und zu ihrem Pferd.

Während Onnie Maggies bestes Kleid hinten zuknöpfte, hielt Maggie den Atem an und war fest entschlossen, nicht zu weinen. Der Pastor war gekommen, kurz nachdem sie von ihrem Ritt zurückgekehrt war. Cullen McGrath hatte genauso schockiert wie sie gewirkt, als der Pastor plötzlich aufgetaucht war. Ihr Vater hatte Cletus zuvor in die Stadt geschickt, um ihn zu holen.

„Es ist kein weißes Traumkleid“, sagte Onnie, während sie die vielen winzigen Perlmuttknöpfe auf der Rückseite des Kleides schloss. „Aber es passt sehr gut.“

Maggie hatte das cremefarbene Kleid aus Baumwoll-Nesselstoff eine Weile nicht mehr getragen und es saß nicht mehr so perfekt wie früher. Das Mieder lag bei Weitem nicht mehr so eng an. Und wo sich der Stoff früher um ihre Taille geschmiegt hatte, hing er jetzt eher lose.

Sie schaute aus dem Fenster. Ihr Blick fiel auf den Stall und die Wiese, aber sie konnte nichts anderes sehen, als dass ihr Traum von einer glücklichen Ehe zu einem überstürzten und endgültigen Ende kam.

Papas Zuversicht, dass dieser Schritt richtig sei, und seine offensichtliche Gewissheit, dass sie keinen Rückzieher machen würde, empfand sie gleichzeitig als tröstlich und beunruhigend. Er würde nie etwas tun, das ihr wehtun würde, aber diese Ehe war einfach der letzte mögliche Ausweg aus einer verfahrenen Situation.

Aber war dieser Schritt deshalb unbedingt richtig?

Sie hatte versucht, ihrem kranken Vater auszureden, sich nach unten in den Wohnraum zu begeben, und ihm sogar gesagt, dass sie die Trauung auch in seinem Schlafzimmer durchführen könnten. Aber nachdem er sich im Bett aufgesetzt und etwas gegessen hatte, war er dabei geblieben, dass sie sich alle unten im Salon versammeln sollten.

„An derselben Stelle, an der deine Mutter und ich geheiratet haben“, hatte er wehmütig gesagt. „Auch wenn der heutige Tag ganz anders ist, als ich ihn mir für dich gewünscht hätte.“

Sie hatte ihm geholfen, sich für die Trauung fertig zu machen, und war gerade dabei gewesen, ihn die Treppe hinab in den Salon zu begleiten, als Mr McGrath sie auf der Treppe bemerkte. Er hatte sofort darauf bestanden, ihnen zu helfen. Allem Anschein nach, auch wenn sie das nicht ganz verstand, schien der Mann sich aufrichtig Sorgen um Papas Wohl zu machen.

„Geschafft, Miss Linden.“ Onnie berührte ihre Schulter. „Jetzt drehen Sie sich um und lassen sich ansehen.“

Maggie drehte sich um und sah die Zustimmung in Onnies kurzem Nicken. Es war für Maggie ein großer Trost, Onnie in diesem Moment in ihrer Nähe zu wissen. Papa hatte recht. Der heutige Tag – ihr Hochzeitstag – war ganz anders, als sie sich diesen Tag vorgestellt hatte.

Ein Ire! Einen solchen Mann hatte ihr Vater für sie ausgewählt. Als sie zum Haus geritten war und den Mann auf der Veranda hatte stehen sehen, war sie von seiner Erscheinung zunächst angenehm überrascht gewesen. Männer wurden ja oft mit dem Wort stattlich beschrieben, aber in diesem Fall war dieses Adjektiv viel zu schwach. Mr McGraths Aussehen lenkte bestimmt die Blicke jeder Frau auf sich. Auch sie hatte so reagiert, sehr zu ihrem Leidwesen.

Seine Gesichtszüge waren nicht so glatt und kultiviert wie die der Männer aus den Südstaaten, die sie kannte. Sie waren rauer. Er war rauer. Und sie war von ihm fasziniert gewesen. Mit seinen dunkelbraunen Haaren, die er ein wenig länger trug, als modisch war, seinen hellgrünen Augen und seinem schlanken, muskulösen Körperbau schien Cullen McGrath eher in die Wildnis zu passen als nach Nashville. Und ganz gewiss nicht nach Linden Downs.

Er war fünfundzwanzig, schätzte sie. Vielleicht ein oder zwei Jahre älter. Er gehörte definitiv zu den Männern, denen Frauen auf der Straße nachsahen. Aber nur, weil sie so etwas wie ihn noch nie gesehen hatten. Sie würden sich auf Partys nie flüsternd über ihn unterhalten, weil Männer wie er nie zu eleganten Festen eingeladen wurden. Sie passten eher zu Kneipenschlägereien als zu Tänzen in Ballsälen.

Trotzdem war sie völlig fasziniert gewesen, als sie vor ihm stand und ihn anstarrte – bis er den Mund aufgemacht hatte.

Sie wand sich innerlich. Jeder wusste, wie die Iren waren. Niemand in der Stadt wollte sie einstellen, geschweige denn, etwas mit ihnen zu tun haben. Sie waren faul, oft in Schlägereien verwickelt und hatten keine Moral. Linden Downs würde nicht unbedingt gerettet werden, wenn es an einen Mann wie Cullen McGrath verkauft wurde. Es würde das Unausweichliche nur länger hinauszögern. Und doch …

Und doch war McGrath für Familie Linden der nächstbeste „Ast“, wie Papa deutlich gemacht hatte. Und sie klammerte sich an diesen Ast.

Maggie drehte sich um und sah sich im Spiegel. Das war nicht ganz das Bild, das sie sich ausgemalt hatte, wenn sie von ihrem Hochzeitstag träumte. Kein Kleid aus weißer Seide mit hoch sitzendem Mieder, kein langer, zarter Schleier oder weißer Tüll, der bis zu ihren Füßen reichte. Kein Kranz aus zarten Rosen mit orangefarbenen Blüten zierte ihren Kopf. Nichts, das eine richtige Hochzeit ausmachen würde.

Andererseits handelte es sich nicht um eine richtige Hochzeit, wenigstens nicht im romantischen Sinn des Wortes.

Sie nahm ihr Parfum von der Kommode, obwohl die Glasflasche schon längst leer war. Sie schraubte den kunstvollen Stöpsel ab und hielt die Flasche an ihre Nase. Ein schwacher Duft nach Flieder war noch immer zu erahnen. Doch Parfum war ein Luxus, ohne den sie schon seit über drei Jahren gut auskam.

An den meisten Tagen roch sie nach frischem Heu, Lederöl und Pferden. Das war nicht unbedingt ein weiblicher Duft oder ein passender Duft für eine Braut. Andererseits interessierte es sie nicht, was Cullen McGrath von ihr dachte. Trotzdem …

Sie drückte die Unterseite ihres Handgelenks an die Flaschenöffnung und rieb daran. Dann tat sie das Gleiche mit dem anderen Handgelenk und schnupperte. Sie konnte nicht den geringsten Duft riechen. So räumte sie die leere Flasche auf die Kommode zurück und erinnerte sich daran, wann sie dieses Kleid das letzte Mal getragen und was sie damals gemacht hatte. Sie hatte getanzt. Mit Richard … Sie biss die Zähne zusammen, um ihre Gefühle zu beherrschen.

„Fangen Sie jetzt nicht an zu weinen, Miss Linden. Dafür ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt.“

Von Onnies ungewohnter Ermahnung überrascht, schaute Maggie sie im Spiegel an.

Onnie trat näher. „Ich habe Cletus an dem Tag, an dem ich ihn das erste Mal sah, geheiratet.“ Sie nickte, wie um Maggies Überraschung zu bestätigen. „Cletus und seine Familie waren von Ihrem Großvater gekauft und nach Linden Downs gebracht worden, bevor Sie zur Welt kamen. Sobald mein Vater Cletus erblickte, ging er zu Cletus’ Vater und sie legten alles fest. Am nächsten Tag sprangen wir über den Besen. Ich war damals fast noch ein Mädchen. Aber Cletus, er war schon ein Mann.“

Maggie schaute Onnie im Spiegel fragend an und beugte dann den Kopf. Sie kannte den Brauch der früheren Sklaven. Als Mädchen hatten sie, Savannah und Mary, sich oft heimlich den Besen ihrer Mutter ausgeliehen und in der Scheune damit gespielt. Sie waren immer wieder über den Besen gesprungen und hatten Geschichten darüber erfunden, wen sie eines Tages heiraten würden.

Bis jetzt war dieser Traum für keine von ihnen wahr geworden. Auch heute, an ihrem Hochzeitstag, würde kein Traum wahr werden. Savannah und Mary wussten nicht einmal, dass sie heiratete. Was würden sie sagen, wenn sie es erfuhren? Wenn sie irgendwann hörten, wer ihr Mann war?

Maggie hob langsam den Kopf. „Wenn ich Sie und Cletus beobachtet habe, habe ich immer gedacht, dass Sie …“

„Ich weiß, was Sie dachten. Das Gleiche wie alle anderen. Aber nur weil man etwas denkt, ist es nicht unbedingt so. Sie fühlen sich im Moment gefangen, mein Kind. Sie fühlen sich, als wollten Sie auf die Hügel laufen, aber Ihre Füße stecken im tiefen Morast fest. Sie können sich nicht bewegen. Und niemand kann Sie herausziehen.“

Als sie die Endgültigkeit in Onnies Stimme hörte, merkte Maggie, wie ihr wieder Tränen in die Augen traten. Onnie hatte so perfekt beschrieben, wie sie sich fühlte.

„Ich kenne dieses Gefühl, Miss Linden. Es begleitet mich mein ganzes Leben lang.“

Die Tränen schnürten Maggies Kehle zu, denn ihre Liebe zu dieser Frau passte nicht zu dem Leben, wie es vor dem Krieg in den Südstaaten üblich gewesen war. An manchen Tagen hatte sie immer noch das Gefühl, als müssten sie beide erst das richtige Verhältnis zueinanderfinden.

Onnies Augen wurden weich. „Sie waren immer ein gutes Mädchen, Miss Linden. Schon als Kind waren Sie nett und freundlich.“

Maggie lächelte schwach.

„Aber Ihnen hat das Leben nie vorgeschrieben, was Sie sind und was Sie nicht tun dürfen. Nicht so, wie Sie es jetzt gerade erleben.“ Ihre Miene wurde ernster. „Ich war bei Ihrer Mutter, als sie ihren letzten Atemzug tat. Wenn sie heute hier wäre, würde sie Ihnen sicher viele gute Ratschläge geben. Aber sie ist nicht da, Miss Linden. Also sage ich Ihnen, was mir meine Mutter an meinem Hochzeitstag gesagt hat. Sie sagte: ‚Kind, besonders in schweren Zeiten darfst du nicht vergessen, dass der Herr sowohl die Freude als auch den Schmerz schenkt.‘“

Eine einsame Träne lief über Maggies Wange, aber sie wischte sie schnell fort.

Onnie strich die Rückseite ihres Kleides glatt. „Was Cletus und mich angeht …“, sie lachte leise, „… habe ich Gott gesagt, dass er mich lange vor diesem Mann zu sich rufen soll. Denn wenn er stirbt, nimmt er die Hälfte von mir mit sich ins Grab.“

Onnie wandte sich ab und legte den Rock und die Bluse, die Maggie zuvor getragen hatte, zusammen.

Da sie kein Wort über die Lippen brachte, steckte Maggie die letzten Haarsträhnen an ihrer Frisur fest. Sie war dankbar, dass Onnie und Cletus nach einem solchen Anfang eine so besondere Nähe zueinander gefunden hatten und genossen. Aber sie erinnerte sich daran, was ihre Mutter oft über die schwarze Bevölkerung gesagt hatte. Sie sind anders als wir, Margaret. Sie sehen das Leben anders.

Deshalb wusste Maggie, dass Onnie nicht verstand, was es für sie bedeutete, diesen Mann zu heiraten. Denn Onnie sah das Leben anders als sie. Diese Frau konnte nicht erahnen, wie drastisch sich Maggies Welt verändern würde.

Und leider nicht zum Guten.