Vollständige eBook-Ausgabe der Hardcoverausgabe

bloomoon, München 2015

© 2016 bloomoon,

ein Imprint der arsEdition GmbH,

Friedrichstraße 9, 80801 München

Alle Rechte vorbehalten

Text: Silke Schellhammer

Covergestaltung: Grafisches Atelier arsEdition

unter Verwendung von Bildmaterial von © Thinkstock und © fotolia

eBook Umsetzung: Zeilenwert GmbH

ISBN eBook 978-3-8458-1538-1

ISBN Printausgabe 978-3-8458-1312-7

www.bloomoon-verlag.de

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Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Ich bin Penelope...

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Weitere Titel

Leseprobe zu "Ich bin Princess X"

*

Ich bin Penelope. Erst vierzehn Jahre alt und bereits vom Schicksal so richtig heftig in den Allerwertesten getreten. Unschuldig, versteht sich. Von meinen Eltern verstoßen. Ohne Rechte, ohne nennenswerten Besitz. Und nebenbei bemerkt, ich lebe nicht im Mittelalter, sondern in der Gegenwart.

Alles was ich aus meinem bisherigen Dasein retten konnte, hatte in zwei Reisetaschen zu passen. Mein gesamtes Leben! In zwei lächerlich kleine Taschen, die jetzt im Kofferraum hinter mir standen … Ähm, und einen Umzugskarton. Aber weniger ging wirklich nicht!

Schaut euch in eurem Leben um. Da gibt es sicher mehr, was ihr täglich braucht, als das, was momentan mit mir in Richtung ungewisse Zukunft rauscht.

* * *

Kapitel 1

»Glaub mir, es wird dir gefallen«, unterbrach Mom meine düsteren Gedanken und warf mir über den Rückspiegel einen prüfenden Blick zu. Zwei Jahre Exil? Ja, sicher doch!

»Weißt du, Hundebabys gefallen mir. Übernachtungswochenenden mit Freundinnen oder Regenbogennagellack, solche Sachen finde ich super. Aber das … das ist einfach nur voll daneben«, brummte ich ungnädig und schaute beleidigt zum Seitenfenster raus.

Seit zwei Stunden rasten wir mit Höchstgeschwindigkeit über die Autobahn. Als könnten sie mich gar nicht schnell genug loswerden. Und genauso lange, bis gerade eben, hatte niemand ein Wort gesprochen. Nur hasserfülltes Schweigen meinerseits und die schuldbewusste Stille, in die sich meine Eltern neuerdings hüllten. Doch jetzt drängte die Zeit. Wir würden bald ankommen, und da sollte sich die glückliche Familie auch einigermaßen happy präsentieren. Meine Eltern würden sich wahrscheinlich so schnell wie möglich von mir verabschieden und erleichtert auf ihren Weg machen. Für die Kleinigkeit von zwei Jahren! Nur 730 Mal schlafen, und schon sind sie wieder da. Also praktisch nicht der Rede wert! Doch bevor sie in ihre zweijährige kinderlose Phase abtauchten, mussten sie offenbar für ihren Seelenfrieden von mir hören, dass es für mich okay war, kurzerhand ausgesetzt zu werden. No way! Eher beiße ich mir die Zunge ab, als ihnen für diesen Schwachsinn die Absolution zu erteilen!

»Du wolltest doch immer Geschwister haben«, erinnerte mich mein Vater vom Beifahrersitz aus. Mann, der kramte seine Argumente aber aus dem tiefsten Keller, wenn er sich daran noch erinnerte.

»Ja, nur dachte ich da mehr an ein anderes Kind aus demselben Genpool und keine gebrauchten Secondhandexemplare, mit denen ich nicht mal richtig verwandt bin«, murrte ich.

»Joachim ist immerhin dein Onkel«, erinnerte mich mein Vater leicht angesäuert.

»Den ich genau wie oft in meinem Leben gesehen habe?«, zischte ich wütend. Ehrlich, ich kannte den Mann, bei dem ich zukünftig leben sollte, nicht mal. Vom Rest seiner bunt zusammengewürfelten Familie mal ganz zu schweigen.

»Das wird sicher lustig«, unternahm meine Mutter einen weiteren Versuch, meine Begeisterung für dieses unterirdische Unternehmen zu wecken.

Natürlich! Genauso lustig wie der Tag, an dem sie ohne mit der Wimper zu zucken mein Leben in Schutt und Asche gelegt hatte?

Wie gerne würde ich diesen rabenschwarzen Mittwoch aus meiner Erinnerung streichen. Stattdessen erschien es mir wie gestern, als ich aus der Schule heimkam und meine Mutter in der Küche entdeckte. Schlagartig begannen sämtliche Alarmglocken bei mir zu bimmeln. Wo war Martha? Die Frau, die wirklich genießbares Essen produzierte? Und warum war meine Ma, die lieber tausend Jahre alten Staub aus den Augenhöhlen von Fremden pinselte, hier und versuchte sich auch noch als Köchin? Das war alles andere als normal.

»Etwas phänomenal Großartiges ist passiert«, zwitscherte meine Mutter aufgeregt, als sie mit hochrotem Kopf aus den Tiefen des Backofens auftauchte.

Aha! Phänomenal und großartig! Das hörte sich ja katastrophal an! Wenn meine Mutter anfing, mit Superlativen um sich zu werfen, rollte erfahrungsgemäß ein Albtraum intergalaktischen Ausmaßes auf mich zu.

Ich klinge zu pessimistisch? Das darf nur beurteilen, wem schon einmal ein fantastisches Abenteuer während der gesamten Sommerferien versprochen wurde. Und der dann sechs verregnete Wochen im Ruhrgebiet in einem Zelt ohne Stromanschluss neben der Ausgrabung einer steinzeitlichen Blätterhöhle festgesessen hat. Ich hätte mich vor Langeweile fast ins Grabungsloch gestürzt.

»Großartig für wen?«, hakte ich deshalb auch sofort skeptisch nach.

»Sei nicht so muffelig«, ermahnte mich meine Mutter, bevor sie mir glückselig lächelnd eröffnete, dass mein Vater und sie endlich die lang ersehnten Grabungsrechte im Jordantal genehmigt bekommen hatten.

Wusste ich’s doch! Es war etwa so großartig wie Gratisherpes. Definitiv nichts, was man in seinem Leben brauchte. Meine Eltern hatten bereits den halben Sudan und weite Teile von Syrien umgegraben. Natürlich ohne mich. Die lästige Schulpflicht und das vollkommen überbewertete Bedürfnis von Kindern nach beständigen sozialen Kontakten hielten sie bislang immer davon ab, mich in brütend heiße Wüstenorte zu verschleppen. Worüber ich sehr froh war.

»In Jordanien?«, fragte ich mäßig interessiert nach. Es klang nach viel Hitze und wenig Komfort. Da blieb ich lieber mit Anna in unserem Haus mit fließend heißem und kaltem Wasser, ohne störende Giftskorpione auf dem nicht vorhandenen Kopfkissen oder Vogelspinnen in den Schuhen.

Anna wurde von meinen Eltern als »unsere Perle« bezeichnet. Was immer man sich darunter vorzustellen hatte, zumindest ihre Figur wurde diesem Namen gerecht. Für mich war sie diejenige, die die überfälligen Büchereibücher wegbrachte, mir bei kniffligen Referatthemen half und meine Nachhilfelehrer bei Laune hielt, wenn ich mal wieder einen Termin verschwitzt hatte. Sie kannte meine Freundinnen und wusste, welchen Lehrer ich hasste. Verteidigte mich, wenn unsere Putzfrau sich über die Sauerei in meinem Zimmer aufregte, und wünschte Thabea, die mich in Chemie nicht abschreiben ließ, einen lebenslangen Eiterpickel auf die Nasenspitze. Seit ich denken konnte, gab es sie in meinem Leben. Früher klebte sie Pflaster auf Schürfwunden, verpasste keine Zirkusvorführung meiner Stoffpferde und half mir bei der Pflege des kranken Elefanten, den ich mir einbildete, im Garten zu haben. Sie wurde nie müde, die immer gleichen Geschichten vorzulesen, und strickte meiner Plüschfledermaus einen Schal, als ich Angst hatte, sie würde im Winter erfrieren. Zusammen mit Martha, unserer Köchin, blieb sie bei mir, wenn meine Eltern auf Vortragsreise gingen oder, wie jetzt, irgendwo im heißen Sand nach frühgeschichtlichen Knochensplittern buddeln wollten.

»Wie lange seid ihr weg?«, erkundigte ich mich beiläufig, während ich meine Nägel inspizierte, die nur so nach Pflege schrien.

»Zwei Jahre.«

Doing! Ein Schlag mit einer steinzeitlichen Keule konnte nicht lähmender sein. Zwei Jahre! Hatten die sie noch alle? Zwei Jahre, das war eine Ewigkeit. Sosehr ich Anna und Martha mochte, aber zwei Jahre? Das konnten sie doch nicht machen. Vielleicht sollten sie mich gleich zur Adoption freigeben!

»Zwei Jahre?«, stieß ich entsetzt aus.

Das euphorische Lächeln meiner Mutter verlor etwas an Glanz. Sie begann, nervös in einer Schublade zu wühlen.

»Ihr wart noch nie länger als zwei Wochen weg!«, entfuhr es mir entgeistert.

»Ja, aber jetzt haben wir die Leitung der Ausgrabung. Weißt du, wie lange wir uns schon dafür bewerben? Ein eigenes Team! Das ist der Ritterschlag für jeden Archäologen«, erklärte sie mir begeistert.

»Schön für euch. Und ich sitze hier zwei Jahre mit Anna und Martha fest?«, wollte ich wissen und warf ihr einen trotzigen Blick zu. Zwei Wochen mit ihnen waren toll. Aber zwei Jahre?

»Nein, natürlich nicht …«, wehrte meine Mutter sofort ab.

Sehr gut. Irgendwo zwischen der Verleihung des Buddelkrönchens und ihrer byzantinischen Scherbeneuphorie schien doch noch der normale Menschenverstand zu funktionieren.

»… dich werden wir bei Joachim unterbringen!«, informierte sie mich lächelnd.

Soso, Joachim! Kenn ich den? Noch nie von ihm gehört! Interessant!

»Bei wem?«, fragte ich verwirrt.

»Joachim, deinem Onkel, Papas Bruder«, half sie mir ungeduldig auf die Sprünge.

»Dem armen Jokel?«, dämmerte es mir langsam. Buuummm! Tiefschlag! Erneut! In meinem Leben tat sich soeben ein gigantisch klaffender Riss auf. Das zustimmende Nicken meiner Mutter löste ein fieses Knacken und Krachen aus, bevor meine Welt mit der Erkenntnis, nun definitiv die Arschkarte gezogen zu haben, unter ohrenbetäubendem Getöse zusammenbrach.

Missmutig betrachtete ich die ersten Vorboten der Großstadt, die nun links und rechts der Autobahn auftauchten. Die Stadt rückte unaufhaltsam näher und mit ihr meine Verbannung. Die Häuser schwangen sich in schwindelerregende Höhen. Meine Nervosität ebenfalls. Ich hatte nicht die geringste Ahnung, was mich erwartete. Über den armen Jokel wurden, wenn überhaupt, nur kuriose Geschichten erzählt. Mein gesamtes Wissen erschöpfte sich in der Tatsache, dass er der acht Jahre ältere Bruder meines Vaters war.

Meine Eltern waren diesbezüglich keine Hilfe. Sie konnten sich nicht mal darauf einigen, ob Joachim, der studierte Altphilologe, jetzt als Lehrer … Bibliothekar … im Verlag, als Archivar oder doch etwas ganz anderes arbeitete. Immerhin waren sie sich beide sicher, dass er mit etwas über vierzig vollkommen unerwartet geheiratet hatte und noch im selben Jahr Vater von Zwillingen geworden war. Überraschung! Ich hatte Cousins oder Cousinen. Namen? Irgendwas mit »L«!

Drei Jahre später starb Joachims Frau an …? Genau! Sucht euch einfach was aus! Meine Eltern hatten nämlich keine Ahnung. Doch von diesem Zeitpunkt an war er nur noch »der arme Jokel«, weil er sich allein um zwei Kleinkinder kümmern musste. Das war vor etwa zehn Jahren gewesen. Unsinnig zu erwähnen, dass mein Vater und sein Bruder sich offenbar nicht sehr nahestanden. Alle weiteren Angaben klangen sehr abenteuerlich und würden sich hoffentlich als falsch erweisen. Zum Beispiel diese Geschichte, dass er prähistorische Exkremente sammelte. Ja, richtig. Steinalte Scheißhäufchen!

Fakt war, dass der arme Jokel wieder geheiratet hatte. Laut meinem Vater eine Verrückte mit einer unübersichtlichen Kinderschar im Schlepptau. Meine Mutter hingegen schwor, dass seine Frau, die sie wahlweise Nadja oder Nora nannte, zum Zeitpunkt der Eheschließung minderjährig gewesen war. Zusammengefasst schickten sie mich also zu einem unbekannten Neurotiker mit ungewisser Einkommensquelle, der eine minderjährige, aber gebärfreudige Bekloppte geheiratet hatte.

Manche Menschen würde das stutzig machen, oder? Normale Menschen vielleicht, aber nicht meine Eltern. Und schon gar nicht, wenn irgendwo, unter Tonnen von Sand, mikroskopische Artefakte darauf warteten, von ihnen entdeckt zu werden. Da konnten sie sich schon mal mit einer indiskutablen Lösung anfreunden.

»Wohnen sie eigentlich in einer Wohnung oder einem Haus?«, erkundigte sich meine Mutter in der Sprechpause des Navigationsgeräts, das uns in die Innenstadt lotste.

»Keine Ahnung, bei ihm würde es mich nicht wundern, wenn es ein Zelt wäre«, brummte mein Vater.

Noch Fragen?

Die Häuserreihen wurden dichter. Wir bogen in immer kleinere Straßen ab. Das Gefühl, nicht richtig Luft zu bekommen, verstärkte sich. Alles war so eng, gedrängt und gequetscht. Kein Freiraum.

Kapitel 2

»Hier wären wir«, verkündete meine Mutter mit der Stimme einer Reiseleiterin, die unwilligen Touristen versucht, die Besichtigung der örtlichen Kanalisation als Highlight der Reise zu verkaufen. Während sie das Auto in eine Parklücke rangierte, starrte ich neugierig aus dem Fenster. Auf der rechten Straßenseite standen fünfstöckige Wohnhäuser. Die sahen ganz nett aus. Mit Erker, kleinen innenliegenden Balkonen, großen bis zum Boden reichenden Bogenfenstern. Hoffnung machte sich breit. Vielleicht musste ich doch nicht, wie Harry Potter, in einer Kammer unter der Treppe schlafen. Ich stieg aus dem Auto.

»In welchem der Häuser wohnen sie?«, wollte ich von meiner Mutter wissen, als ich neben ihr auf dem Gehsteig stand.

»Dort drüben, Nummer siebenundzwanzig, das müsste es sein«, verglich sie die Hausnummern mit den Notizen auf einem kleinen Zettel und deutete auf die andere Straßenseite. Dort standen klein und geduckt mehrere zweistöckige Häuschen, eingekeilt zwischen den höheren und deutlich eleganteren Stadthäusern.

Ungläubig starrte ich über die Straße. Dort? Ernsthaft? In einer dieser Bruchbuden? Die Hütten konnten doch bestenfalls noch als Kulisse für ein irisches Auswandererdrama herhalten, waren aber auf keinen Fall etwas, in dem man wohnte!

»Da?!«, hakte ich fassungslos nach und versuchte nicht mal, mein Entsetzen zu verbergen. Wozu auch? Es interessierte sowieso keinen. Meine Eltern waren bereits auf der anderen Straßenseite und suchten nach dem Eingang. Missmutig schlich ich hinterher. Zwischen den Hausnummern 25 und 29 gab es nur ein Geschäft, das Schnickschnack aus Ton verkaufte oder Porzellan oder Keramik, falls es da einen Unterschied gab. Eben Dreck, der in einem Ofen gebrannt wurde. Es gab ein Schaufenster und den Eingang zum Laden. Daneben war ein großes Tor ohne Namensschild, ohne Glocke.

»Vielleicht ist dein Bruder inzwischen Töpfer«, giftete ich meinen Vater an, der unverdrossen nach einer Klingel suchte, obwohl es ganz offensichtlich keine gab! Gleich würde er seinen komischen Metallspatel zücken und die erste Putzschicht abtragen, um darunter einen Türöffner zu entdecken. Der Mann war immerhin Archäologe. Da verließ man sich weder auf das Augenscheinliche, noch gab man vorschnell auf!

In unsere Ratlosigkeit hinein öffnete sich das Tor. Ein großer, schlaksiger Typ schob ein Rennrad nach draußen. Da er seinen Blick auf den Boden gerichtet hatte, verdeckte die Kapuze seines roten Hoodys sein Gesicht.

»Entschuldigung, wir suchen Lechner, Joachim Lechner?«, sprang meine Mutter sofort auf ihn zu und verdeckte mir damit die Sicht.

»Da rein«, hörte ich ihn nur brummen, bevor er sich auf sein Rad schwang und verschwand.

»Doch so freundlich«, bemerkte meine Mutter spitz und sah dem Jungen böse hinterher.

Mein Vater hielt sich nicht lange mit solchen Nebensächlichkeiten auf und öffnete entschlossen die Tür zum Laden. Mehrstimmiges Glöckchenläuten kündigte uns an, während wir eintraten.

Neugierig schaute ich mich um. Der kleine Raum war menschenleer und lichtdurchflutet. Die weißen, halbhohen Regale, die auf beiden Seiten der Wände standen, waren mit hellem Geschirr und kleinen Skulpturen angefüllt. An der Stirnseite wies ein Schild an einem türlosen Durchgang darauf hin, dass es hinter dieser Schwelle privat wurde. Meine Mutter betrachtete sofort interessiert die Auslagen. Als wäre sie zum Shoppen hier.

»Komme!«, hörten wir eine Frauenstimme, und fast im gleichen Moment erschien in einem Durchgang eine zierliche Frau mit langem Haar. Die Sorte Haar, für die ich persönlich töten würde. Eine gelockte, ungebändigte, kastanienbraune Mähne ergoss sich über ihre schmalen Schultern. Ein Blick auf die Besucher reichte ihr offenbar, um zu wissen, wen sie vor sich hatte. Sie reichte erst meiner Mutter, dann meinem Vater die Hand.

»Hallo, ihr seid Stephanie und Christian, oder?«

Eins zu null für sie. SIE kannte immerhin die Namen!

»Und du bist Penelope? Oder Penny?«, fragte sie mit strahlendem Lächeln.

»Bloß nicht!«, platzte ich mürrisch heraus und setzte, nachdem ich das warnende Räuspern meiner Mutter vernommen hatte, etwas freundlicher hinzu, »Penelope reicht vollkommen.«

Sie nickte verständnisvoll, musterte mich mit ihren ungewöhnlich grauen Augen und streckte mir schließlich ebenfalls die Hand entgegen. »Ich bin Natty, Achims Frau!«

Haudiwaudi, da musste der arme Jokel seinem kleineren Bruder aber einiges voraushaben. Mein Vater könnte sich zu keiner Zeit in diesem Universum auch nur eine annähernd so heiße Braut angeln, wie Natty es war. Ihr Aussehen und ihre Art entsprachen so gar nicht dem Bild der dauerschwangeren, minderjährigen Bekloppten, das mir bisher vermittelt worden war. Meinen fragend bohrenden Blick schmetterte meine Mutter mit einem unbeeindruckten Schulterzucken ab. Klar! Jeder konnte sich mal irren! Peanuts!

»Na, dann kommt mal mit nach hinten«, lud Natty uns ein und ging voran. Sie führte uns durch einen kleinen Flur. Auf der linken Seite war eine steile Treppe, die in den oberen Stock führte. Rechts gab es eine Tür.

Wir gingen gegenüber des Ladendurchgangs in eine Küche. Am Herd stand, leicht nach vorne gebeugt, ein Mann. Hätte er sich aufgerichtet, wäre er wahrscheinlich mit seinem Kopf an die niedrige Decke gestoßen. Sein schulterlanges schwarzes Haar war von grauen Strähnen durchzogen. Als er uns kommen hörte, drehte er sich zur Tür. Unverkennbar, der Bruder meines Vaters. Dieselben stechend blauen Augen, die gleichen tiefen Furchen, die sich von den Nasenflügeln zu den Mundwinkeln gruben. Seine wurden allerdings geschickt durch einen dunklen Dreitagebart kaschiert. Er war sicher einen Kopf größer als mein Vater, aber viel dünner, fast schon hager. Neben ihm auf einem Kinderstuhl stand ein kleiner Knopf, keine Ahnung, wie alt. Irgendetwas, das wahrscheinlich schon in den Kindergarten gehen konnte. Rotbraunes Wuschelhaar, stechend blaue Augen, Sommersprossen. Die Idealbesetzung jedes Kinderbuchhelden.

»Joachim?«, hörte ich die verwunderte Stimme meines Vaters.

Ach, wir nennen ihn dann doch nicht »den arme Jokel«?

»Christian«, erwiderte der Mann am Herd sehr reserviert.

Bravo! Herzlichkeit musste nicht zwingend sein! Während dem folgenden, gar nicht peinlichen Schweigen musterten sich die beiden fast schon feindselig. Keiner rührte sich. Alles sehr verkrampft.

Bis meine Mutter, wie immer, wenn Sozialkompetenz gefragt war, das Ruder übernahm.

»Joachim! Schön, dich zu sehen«, flötete sie, während sie meinem unbekannten Onkel die Hand schüttelte. Dann linste sie an Joachim vorbei zu dem Kind auf dem Stuhl.

»Und wen haben wir hier?«, fragte sie mit unnatürlich hoher Stimme.

»Oskar«, nuschelte der Kleine und schob sich schutzsuchend hinter Joachim.

»Mein Sohn!«, erklärte der. Mir entging weder sein provokanter Unterton noch der herausfordernde Blick, den er meinem Vater zuwarf. Er hasste ihn! Und meinem Vater war es piepegal! Er lud mich trotzdem bei ihm ab.

Joachim ging dazu über, mich abschätzend zu mustern, bevor er mir wortlos zunickte.

Wahnsinn! Diese überbordende Zuneigung erschlug einen fast.

»Wie weit seid ihr Meisterköche denn mit der Suppe?«, mischte sich Natty in diese vollkommen emotionsfreie Familienzusammenführung ein. Sie wiederum erhielt von Joachim einen ganz liebevoll fragenden Blick. Aha, kalt und abweisend war offenbar nur für uns reserviert.

»Ich würde Penelope sonst noch ihr Zimmer zeigen«, erklärte Natty.

Strike! Eigenes Zimmer! Keine Gemeinschaftsunterbringung mit den »L«-Kindern. Mein schlimmster Albtraum löste sich gerade in Wohlgefallen auf.

Statt einer Antwort nickte ihr Joachim nur zu. Aktiver Wortgebrauch war wohl allgemein nicht sein Ding.

»Ich komme mit«, krähte Oskar sofort und sprang schnell von seinem Stuhl.

»Das möchte ich mir natürlich auch anschauen«, erklärte meine Mutter eilig und schloss sich uns an. Jeder war froh, vor dieser extrem finsteren Launewolke, die sich in der Küche breitmachte, fliehen zu können.

Natty führte uns zurück in den kleinen Flur und öffnete die einzige Tür, die zwischen Laden und Küche lag. Gespannt trat ich ein.

Putzig! Ein möblierter Schuhkarton! Gut, dass ich nicht so viele Sachen dabeihatte. Die Tür war ziemlich genau in der Mitte der Längsseite des Zimmers und teilte den Raum in zwei Kleinstbereiche auf.

Rechts von mir stand über die ganze Breite ein Bett. Aber holla, und was für ein Bett! Mit dem dunkelbraunen hohen Massivholzrahmen erinnerte es an eine Schlafkoje. Immerhin hatte ich weiße Bettwäsche bekommen. Mein Blick fiel auf die unterschiedlich großen apfelgrünen Kreise auf dem Stück Wand, das hinter dem Holzungeheuer noch rausschaute.

»Die hab ich gemacht! Mit Pinsel!«, verkündete Oskar stolz.

»Tatsächlich«, bemerkte meine Mutter irritiert.

»Du hast geholfen«, verbesserte ihn Natty liebevoll.

Um an mein Bett zu kommen, musste ich mich an einem Schreibtisch, der direkt neben einem kleinen Nachttischchen stand, vorbeiquetschen. Genau genommen war das ein Sekretär. Er hatte einen Aufsatz mit Schubladen und kleinen Regalen, wahrscheinlich einem Geheimfach, und eine Schreibfläche, die sich nach oben wegklappen und verschließen ließ. So etwas hatte ich bislang nur in Filmen gesehen, wo mindestens ein Charakter mit Adelstitel mitspielte.

Gegenüber dem antiken Möbel stand am Fußende des Bettes ein Schrank. Um ihn öffnen zu können, müsste sich der Stuhl vor dem Schreibtisch spontan in Luft auflösen. Während diese Trümmer sich alle auf der rechten Seite tummelten, war es links deutlich luftiger möbliert. An den Sekretär schloss eines der halbhohen weißen Regale an, die ich schon im Laden gesehen hatte. Es zog sich bis zur dem Bett gegenüberliegenden Wand. Die bestand aus einem ehemals grün gestrichenen und inzwischen ziemlich abgeblätterten Metallrahmen mit Tür, in den Glasscheiben eingelassen waren. Durch die Zweige eines Busches konnte man bereits das Nachbarhaus sehen. Meine Mutter faselte etwas von der Schönheit der gusseisernen Glaskonstruktion als Reminiszenz an das Industriezeitalter. Wie sie es nur immer schaffte, es so klingen zu lassen, als wäre dieses total abgewrackte Zeug von unschätzbarem historischem Wert!

Vor dem Regal lag ein langzotteliger Teppich, der offenbar mal ein grüner Hund gewesen war. In einer Ecke entdeckte ich, übereinandergestapelt, drei große Sitzkissen mit wild grau-grünbraun gemusterten Bezügen.

»Dein bisheriges Zimmer war wahrscheinlich größer«, stellte Natty entschuldigend fest.

Das willst du gar nicht wissen!

»Unwesentlich«, antwortete ich knapp. Bei der Erinnerung an mein Zimmer zu Hause schossen mir sofort die Tränen in die Augen. Ich wollte auf keinen Fall hierbleiben. Nicht bei diesem Griesgram da draußen und auch nicht in dieser Rumpelkammer. Ich wollte sofort wieder nach Hause. In unser Haus. Wo selbst mein Badezimmer größer als dieses Loch war.

»Am besten schaust du dich in Ruhe um und wir holen solange mal dein Gepäck rein«, schlug Natty vor und schob Oskar vor sich her aus dem Zimmer. Sie hatte offenbar einen untrüglichen Instinkt für brenzlige Situationen. Und immer einen Fluchtplan an der Hand. Meine Mutter türmte gleich mit.

Vielleicht besser so. Ungläubig ging ich durch das Zimmer. Man brauchte nur vier Schritte, um es einmal zu durchqueren. Vier kleine Schritte. Auf der langen Seite.

Ich spürte, wie sich ein dicker Kloß in meinem Hals bildete. Wäre noch etwas zu ändern, wenn ich mich jetzt auf den Boden werfen und schreien würde? Vielleicht war es doch etwas vorschnell gewesen, die Internatsunterbringung abzulehnen. Diese Wahl hatte ich immerhin gehabt. Jetzt saß ich hier fest. Ohne Alternative. In einer Zelle, deren Größe sicher nicht den Bestimmungen der Genfer Konventionen entsprach.

Und als müsste ich das Gefühl, eingesperrt zu sein, entkräften, klinkte ich wie eine Besessene an der Metalltür. Doch nichts rührte sich. Panisch drehte ich den Schlüssel, der im Schloss steckte, und sofort sprang sie auf. Aufatmend trat ich einen Schritt nach draußen.

Während sich meine aufkommende Panikattacke langsam verflüchtigte, schaute ich mich im Innenhof um. An den hohen Mauern, die den Hof seitlich zu den Nachbargrundstücken begrenzten, rankte Efeu. Das entschärfte das Knastgefühl nur minimal. Wie lächerlich klein hier alles war. Selbst unser Swimmingpool zu Hause war größer als dieser Hof. Von unserem Garten ganz zu schweigen.

Die Illusion von Natur war bei dem asphaltierten Boden hier sowieso unmöglich. Daran änderte auch die verzweifelte Begrünung auf dem Seitenstreifen entlang der Mauer nichts. Und die Pflanzen, die in großen Kübeln überall verteilt standen, wirkten armselig. Das Nachbarhaus, das ich durch die Zweige des Busches vor meinem Fenster schon gesehen hatte, stand höchstens ein paar Schritte entfernt. Hier wohnte man echt dicht aufeinander. Und, man sollte es kaum für möglich halten, die Nachbarbude war noch kleiner als die Hütte, in der ich nun leben sollte. Sie hatte nur ein Geschoss, und die ganze Fassade bestand aus den gleichen Metall-Glas-Elementen, die ich in meinem Zimmer hatte. Eine Doppeltür stand weit offen. Die anderen Fenster und Türen waren verschlossen.

Auf dem Platz zwischen den Häusern stand ein langer Tisch mit zusammengewürfelten Stühlen. Ein riesiges buntes Sonnensegel, das zwischen den Hauswänden aufgespannt war, spendete Schatten. In einer alten Metallbadewanne, die neben der kleineren Hütte stand, schwammen zwei Quietscheenten, ein Segelboot und mehrere Wasserspritzpistolen. Es war ein kunterbuntes Durcheinander. Nichts passte. Es wirkte wie ein Flohmarkt. Oder schlimmer! Danke, liebe Eltern. Danke für diese wunderbare Erfahrung. Jede Vierzehnjährige kann sich sicher nichts Schöneres vorstellen, als auf einer Müllhalde leben zu dürfen!

Plötzlich hatte ich das Gefühl, beobachtet zu werden. Unsicher blickte ich zur Seite. Und tatsächlich. Nicht weit von mir stand ein etwa gleichaltriger Junge. Die dunkelblonden Haare standen ihm in kurzen Stacheln vom Kopf ab. Er musterte mich mit breitem Grinsen.

»Hallo«, grüßte ich ihn unsicher.

»Hi. Um weniger schockiert zu wirken, solltest du begeisterter schauen«, riet er mir augenzwinkernd.

»Ähm, wie bitte?«, hakte ich verblüfft nach.

»Euphorie, Glück, Enthusiasmus, Freude – irgendwas Positives, das du dir ins Gesicht zaubern kannst?«, fragte er mit listigem Grinsen.

Irritiert starrte ich ihn an. Wer war das? Und warum konnte er sich nicht einfach vorstellen?

»Nee, lass mal, das wird eher schlimmer!«, winkte er ab und verschwand im Haus.

Entgeistert ging ich hinter ihm her und landete wieder in der Küche. Dieses Mal von der anderen Seite, am Kopfende eines langen Esstisches. Vom Durchgang aus war mir vorhin entgangen, dass der Raum neben der u-förmigen Küchenzeile noch weiterging. Am anderen Ende des Tisches entdeckte ich, in einer Nische, ein rotes Sofa. Und, hurra, an der Wand zu meinem Zimmer stand ein Klavier. In der Küche schnitt ein Mädchen Brot und verteilte es in zwei Körbe. Von dem Jungen fehlte jede Spur.

»Hallo!«, grüßte ich sie überrascht. So langsam glaubte ich das Gerücht der unübersichtlichen Kinderzahl. Wie haben die alle in dieser Winzhütte Platz?

Sie starrte mich böse an. Alles klar, ein weiteres Joachim-Kind. Eins der grimmigen Sorte. Auch ohne stechend blaue Augen ging das mit dem vernichtenden Blick ganz gut.

»Hi, ich bin Penelope«, stellte ich mich artig vor.

»Ich weiß, wer du bist«, fauchte sie mich leise an.

Okay! Doch so viel Sympathie. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich beschloss, ihren bissigen Ton erst mal zu ignorieren.

»Und wer bist du?«, wollte ich wissen und lächelte sie, so gut es mir gelang, an.

»Niemand«, schnauzte sie und pfefferte dabei eine Brotscheibe in den Korb.

Sicher eines der »L«-Kinder, ein ganz zorniges! Ich musterte sie unauffällig. Dicke dunkelblaue Strumpfhose, grauer Wollfaltenrock und weinroter Pullover, alles mindestens drei Nummern zu groß! Hatte sie etwa eine Wette verloren oder war sie nur farbenblind? Hitzeresistent? An modischen Details gänzlich desinteressiert? Das würde zumindest ihr Outfit bei geschätzten vierzig Grad im Schatten, den Frisurenunfall auf ihrem Kopf, die Heerscharen von Hautunreinheiten in ihrem Gesicht, ihre spröden, rissigen Lippen und die bis zum Ansatz runtergekauten Fingernägel erklären. Oder sie hatte sich bewusst für den »extrem hässlich und verbittert«-Look entschieden. Und ihn zur Vollendung perfektioniert.

»Wo sind die anderen?«, fragte ich, ohne auf eine Antwort zu hoffen.

»Ah, wie schön, ihr habt euch schon miteinander bekannt gemacht«, hörte ich Natty plötzlich hinter mir.

Von wegen, Optimismus war hier vollkommen fehl am Platz. Ich hatte keine Ahnung, wer sie war. Aber ich könnte sie zorniges hässliches Mädchen nennen.

»Leia?«, fragte Natty das zornige hässliche Mädchen. »Wo steckt Linus? Wir könnten dann essen.«

Leia? Ernsthaft? Ich konnte es kaum glauben, aber das zornige hässliche Mädchen und ich hatten etwas gemeinsam. Unglaublich bescheuerte Vornamen. Na, wenn das mal keine Basis war!

Währenddessen bedachte das zornige hässliche Mädchen auch Natty mit einem giftigen Blick und murrte: »Im Zimmer.«

Was für ein Sonnenscheinchen!

Natty, von Leias Grimm scheinbar komplett unbeeindruckt, ging in den Flur, um an der Treppe »Linus, trab an. Essen ist fertig!« nach oben zu rufen.

»Deine Eltern sind mit Joachim und Oskar draußen«, teilte sie mir mit, als sie wieder in die Küche kam, sich einen Stapel Teller, der dort auf der Küchenzeile stand, schnappte und weiter in den Innenhof eilte. Hinter ihr polterte der in Rätsel sprechende Stachelkopf von vorhin in die Küche. Das war dann wohl Linus!

Unglaublich, ich konnte alle Namen Personen, die ich zumindest schon mal gesehen hatte, zuordnen. Wenn ich auch beschlossen hatte, zwei von ihnen ersatzlos zu streichen. Nämlich die zwei, die sich demnächst in ihr Auto schwingen und mich in diesem Tollhaus zurücklassen würden. Augenblicklich will ich einen Termin bei der Schicksalsbeschwerdestelle!

Kapitel 3

Es war kurz nach neun Uhr abends und ich lag im Bett. Draußen begann es erst zu dämmern. Doch das war mir egal. Sollten die anderen von mir denken, was sie wollten. Ich hatte heute einen echt miesen Tag.

Wohne jetzt mit der Monsterfamilie im Irrenhaus, tippte ich verzweifelt in mein Handy. Die Außenwelt hatte ein Recht zu erfahren, wie schlimm es um mich stand. Na ja, nicht die ganze Welt, sondern in erster Linie Marie, Jossy und Luisa, meine besten Freundinnen. Bei unserem Abschied hatten sie geschworen, dass wir das gemeinsam durchstehen würden. Sie versprachen, mir alles zu schreiben, was im echten Leben passierte. Jedes Ereignis, als wäre ich direkt dabei. Und ich könnte mich zu jeder Tages- und Nachtzeit über mein Exil auskotzen. Wir würden uns jede Kleinigkeit mitteilen, uns in den Ferien besuchen und alles dafür tun, dass es sich nicht so anfühlte, als wäre ich mehrere Hundert Kilometer entfernt. Da würden sich die Mädels aber ganz schön anstrengen müssen, damit ich diese Horrorversion von Leben auch nur kurzfristig ausblenden könnte.

Während ich auf Antwort wartete, blieb mein Blick an dem digitalen Bilderrahmen hängen, den mir meine Eltern zum Abschied geschenkt hatten. Mein bisheriges Leben in fröhlichen Bildern. Wie genau sollte das hilfreich sein? Gerade liefen die Fotos meiner Einschulung durch, dann mein sechster Geburtstag, Herbstferien in unserer Hütte in der Nähe von Zermatt. Ungeduldig schüttelte ich mein Telefon. Wie lange brauchte mein Kriseninterventionsteam, um eine aufbauende Nachricht zu formulieren?

Von draußen drangen gedämpft die Stimmen der anderen zu mir herein. Auch Joachims tiefer Bass brummelte jetzt Unverständliches. Heute Mittag, während des gemeinsamen Essens, hatte er nur beharrlich geschwiegen. Und Linus und Leia, die wirklich Zwillinge waren, hatten ausschließlich miteinander getuschelt. Natty und meiner Mutter war es mit dem gegenseitigen Austausch von Belanglosem gelungen, so etwas wie ein Gespräch zu führen, an dem sich sogar mein Vater mit einsilbigen Beiträgen beteiligt hatte. Ich hingegen wurde lediglich von Oskar gefragt, ob ich Kartoffelsuppe ohne Würstchen auch blöd fand. Und ob ich nachher sein Fußballstickeralbum mit ihm anschauen wollte. Mehr Konversation mit mir hielt offenbar niemand für notwendig.

Und morgen war erst Sonntag. Anfangs hatte ich gedacht, dass das ziemlich wenig Zeit wäre, sich einzugewöhnen, bevor es in eine fremde Schule ging. Doch jetzt sehnte ich den Montagmorgen geradezu herbei. Schlimmer konnte es sowieso nicht mehr werden. Fahrig schaute ich auf das Display meines Handys. Immer noch keine Nachricht.

Draußen hallte plötzlich lautes Gekreische und Gelächter durch den Hof. Neugierig stieg ich aus dem Bett, tapste auf die andere Seite des Zimmers, um vorsichtig durch mein Fenster nach draußen zu linsen. Linus und Oskar jagten sich mit Wasserspritzpistolen. Auf dem Tisch standen zwei Gläser Rotwein und mehrere Windlichter, deren flackerndes Licht den Innenhof erhellte.