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Prolog

Der seltsame Vertrag wurde an einem jener seltenen Tage unterzeichnet, die schon früh im Jahr den Beginn des Frühlings ankündigen. Obwohl es erst Anfang Februar war, hatten die Temperaturen die Fünfzehn-Grad-Marke bereits am späten Vormittag überschritten und die Menschen rieben sich verwundert die Augen, streckten ihre Hände der Sonne entgegen und fühlten wohlig, wie die Strahlen nicht nur die Haut, sondern auch ihre Herzen wärmten. Das Wetter hatte seit Tagen ein Einsehen mit den ausgehungerten Menschen, die nach einem wahrlich scheußlichen Winter nichts mehr wünschten, als dass das monatelange Grau einem blauen Himmel wich.

Der Vertrag war im Laufe unzähliger Tage und Ideen auf vierzehn Seiten angewachsen. Nach mehreren Änderungen und Überarbeitungen war er nun endlich fertig aufgesetzt und der Anwalt servierte seiner Mandantin Champagner, ungeachtet der frühen Tageszeit. Und fragte, ob sich die Mandantschaft wirklich sicher sei mit dem, was Gegenstand des außergewöhnlichen Papiers war.

Das sei sie durchaus, bekam er zur Antwort. Und darüber hinaus solle er sich, bitte, keine Gedanken machen.

Nun sind Verträge, ihrem Sinne nach, in erster Linie dafür da, dass sich dazu Gedanken gemacht werden. Der Anwalt war von der eleganten, resoluten Frau seit einer halben Ewigkeit mit der Abwicklung verschiedenster Dinge betraut und im Laufe der Jahre war eine Art Freundschaft entstanden. Insgeheim war er stolz und froh, dass sein Rat jederzeit willkommen war. Ratschläge, die oft weit über das hinausgingen, was zwischen Anwalt und Mandant in der Regel üblich war. Doch diesmal war sein Rat nicht gefragt. Und schon gar nicht seine Meinung.

Erstes Kapitel

Arm in Arm spazierten die beiden Frauen durch die Frühjahrssonne. Sechshundert Kilometer und wenige Wochen von dem Ort und Tag entfernt, an dem die Tinte einer schwungvollen Unterschrift nach dem zweiten Glas Dom Pérignon langsam getrocknet war. Einer Unterschrift, die das Leben der einen grundlegend verändern sollte.

Das Hoch, das sich anfangs nur zögerlich von Süden her nach Norddeutschland ausgeweitet hatte, hatte sich zu einer stabilen Wetterlage entwickelt, und so kam es, dass nicht nur in München, sondern ausnahmsweise auch zeitgleich in Berlin eitel Sonnenschein herrschte.

Auch die beiden Freundinnen waren der einhelligen Meinung, dass die Wärme und das Licht Balsam waren für das gesamte Wohlbefinden. Sie hatten den halben Tag im Freien verbracht, hatten einen langen Spaziergang am Wannsee unternommen und saßen anschließend bei Kaffee und Kuchen am Ku’damm.

Eineinhalb Stunden und zwei Aperol Spritz später schüttelte Laura ihre langen blonden Locken. »Kommst du noch mit zu mir?«, fragte sie. Helene war ihre älteste Freundin und das komplette Gegenteil der gertenschlanken, eins sechsundsiebzig großen Laura Wagner. Mit gerade mal einem Meter vierundfünfzig reichte Helene Laura nur bis zur Brust, wenn diese hohe Schuhe trug. Was meist der Fall war. Helene dagegen liebte Sneakers, Boots, Flipflops – und auf jeden Fall lieber bequem als schick.

Helene sah auf die Uhr. »Schade, dass es so früh dunkel wird. Ich könnte ewig hier sitzen. Aber ja, auf einen Sprung komme ich noch mit.«

Vor dem leicht heruntergekommenen Wohnhaus, dessen einst gelber Anstrich mit den Jahren eine schmutziggraue Farbe angenommen hatte, stand ein großer Umzugswagen und versperrte die Zufahrt zur Hofeinfahrt.

»Mist«, seufzte Laura und stellte ihren roten Golf kurzerhand ins Halteverbot. »Erinnere mich später noch daran, dass ich den Wagen umparke.«

In der Wohnung warf sie die Post auf den Küchentisch und lief ins Bad. Der kleine Stapel schaffte es nicht, der Schwerkraft zu widerstehen, und landete mit einem lauten Platsch auf dem Boden. Helene bückte sich, sammelte Briefe und Wochenblattbeilagen zusammen und stutzte, als sie einen Umschlag aus schwerem Büttenpapier in der Hand hielt.

»Du hast Post von einem Anwalt«, sagte sie, als Laura zurück in die Küche kam.

»Zeig her.« Laura nahm ihr das Kuvert aus der Hand und seufzte: »Die schon wieder!«

»Was meinst du damit?«, fragte Helene neugierig. »Was wollen die denn von dir?«

»Keine Ahnung. Das ist schon der dritte Brief, den sie mir innerhalb kürzester Zeit geschickt haben. Ich habe aber keine Lust, mir bei dem schönen Wetter die Laune verhageln zu lassen.«

»Ich verstehe nicht, wie du die Dinger so lange liegen lassen kannst!« Mittlerweile hatte Helene auch die beiden anderen Briefe entdeckt, die Laura mit einem Magneten an ihren Edelstahlkühlschrank gepinnt hatte. Nachdenklich rieb sie sich die Nase. »Mich hätte die Neugier schon längst zerrissen.«

Unschlüssig drehte Laura den Umschlag in ihren Händen. Kanzlei Brechtinger & Partner war in schön ziselierter Schrift aufgedruckt; ihr Name und ihre Adresse dagegen waren mit langen, eleganten Schwüngen von Hand geschrieben.

»Eigentlich will ich gar nicht wissen, was drinsteht«, sagte sie mit Unbehagen. »Post von einem Anwalt? Das kann doch nur Ärger bedeuten.«

»Hast du dich in letzter Zeit mit jemandem angelegt? Gestritten?«

Laura schüttelte den Kopf. »Nicht, dass ich wüsste.«

»Ach komm. Mach auf das Ding. Es ändert doch eh nichts. Wenn es wirklich eine Anzeige ist, machst du es nur noch schlimmer, wenn du es hinauszögerst. Die Augen zu verschließen macht es jedenfalls ganz sicher nicht besser.«

»Das weiß ich doch alles«, sagte Laura mit einem schiefen Lächeln. »Aber ich kann immer noch behaupten, dass ich im Urlaub war. Kann mir ja keiner verbieten.«

»Ich fass es nicht. Mensch, Laura. Was ist denn mit dir los? Dass du so den Kopf in den Sand steckst, das kenn ich gar nicht von dir.«

»Es ist nur, weil …« Laura zog die Schultern nach oben. »Eine Kollegin hat mir erzählt, dass ihre Tochter vor ein paar Monaten auch Briefe von einem Anwalt bekommen hat. Das Mädel hat die Briefe einfach versteckt, aber eines Tages kam Sabrina vor ihr nach Hause und hat eines der Schreiben aus dem Briefkasten gezogen.«

»Und? Was stand drin?«

»Es war eine Vollstreckungsandrohung. Mia hatte ihre Fahrkarte vergessen, ist erwischt worden und hat nie bezahlt. Irgendwann hat die Bahn das ihrem Anwalt übergeben.«

Helene schüttelte über so viel Dummheit den Kopf. »Dir ist schon klar, was du da gerade sagst? Dass du dich genau wie ein Kind verhältst. Wie ein kleines Schulmädchen.«

»Ja, verdammt. Und wenn schon. Ich will es einfach nicht wissen. Ich krieg es ja nicht mal auf die Reihe, meine Steuererklärung vor der dritten Erinnerung vom Finanzamt zu machen.«

»Du hast also Schiss.«

»Ja, hab ich«, gab Laura unumwunden zu.

»Und nun? Willst du warten, bis der Gerichtsvollzieher vor der Tür steht?«

»So weit wird es schon nicht kommen.«

Eine halbe Stunde später hatte Laura den Umschlag immerhin aufgeschlitzt. Helene hatte sich dazu bereit erklärt, bei ihr zu bleiben. Wenn es sein musste, auch die ganze Nacht.

»Na los, jetzt mach endlich. Du machst mich noch ganz irre.« Der überaus strukturierten Helene bereitete es ein schier körperliches Unbehagen, wenn Dinge nicht konsequent zu Ende gebracht wurden.

Laura holte tief Luft und zog das Schreiben so heftig aus dem Umschlag, dass die gesamte rechte Ecke abriss.

»Kanzlei für Erbrecht in München«, las sie vor, als sie die beiden Teile aneinanderhielt.

»Erbrecht?«, echote Helene und machte große Augen. Seit Lauras Großmutter vor ein paar Monaten eines Nachts friedlich der diesseitigen Welt entschlummert war, war die dreiunddreißigjährige Versicherungsangestellte nach eigenem Wissen mutterseelenallein auf dem Planeten.

»Was steht da sonst noch?«

Laura ließ den Brief sinken. »Nur dass ich mit einer Kanzlei in Berlin Kontakt aufnehmen soll.«

Drei Tage später sah sich Laura verstohlen in den Räumen der Rechtsanwaltskanzlei Fackler & Söhne um. Sie hatte auf einem zierlichen Stuhl Platz genommen, der einsam und allein vor einer breiten Wand stand. Dahinter eine beige und goldfarbene Tapete, deren Muster bereits vor dreißig Jahren aus der Mode gekommen war. Altbackener Mief. Vermutlich musste das in einer Klitsche so sein, die sich mit den Hinterlassenschaften vererbungswütiger Analphabeten beschäftigte. Wer sonst würde sich auch einen Anwalt suchen, um der Welt seinen letzten Willen kundzutun.

Zufällig streifte ihr Blick ihren rechten Schuh, auf dem unübersehbar ein daumengroßer Schmutzfleck prangte. Sie stand auf und wollte die Toilette suchen, als im Nebenraum eine Tür aufging. Schnell hob sie das rechte Bein und rieb den Schuh an ihrer linken Wade. Ein kurzer Kontrollblick zeigte ihr, dass die Seidenstrumpfbehandlung begann, Erfolg zu zeigen. Sie rieb weiter, und als sich die Tür öffnete, stand sie da wie ein Storch.

»Bitte setzen Sie sich.« Ein himmelblaues Augenpaar hinter einer goldumrandeten Brille musterte sie freundlich. Sicher der alte Fackler, dachte sie. Für einen der Söhne war er nicht mehr jung genug.

»Wie Sie dem Schreiben meiner Kollegen Brechtinger & Partner entnommen haben, vertreten wir die Angelegenheit lediglich, da man Ihnen den Weg nach München ersparen wollte. Vorerst zumindest.«

Laura rutschte nervös auf ihrem Stuhl hin und her, bis sie schließlich nur noch auf der Kante saß.

»Um welche Angelegenheit geht es hier eigentlich?«

»Um das Erbe Ihrer Tante.«

Laura stutzte einen Moment. Dann schüttelte sie den Kopf. »Ich habe keine Tante. Und schon gar keine, die mir etwas vererben würde. Das muss ein Missverständnis sein.«

Als Laura sich von dem Schock erholt hatte, hatte sie als Erstes Helene angerufen. Und die hatte dafür gesorgt, dass die wirklich engen Freunde, die Laura hatte, mit Bier und Chips um sieben Uhr abends vor ihrer Tür standen, um ihr Beistand zu leisten.

»Das ist doch Wahnsinn!« Darin waren sich Helene und Helge einig. »Ein Flugticket nach München und zurück für siebenhundert Euro? Wer kauft denn so was?«

»Für das Geld kannst du genauso gut nach New York fliegen. Da siehst du wenigstens was von der Welt.«

»Fackler sagt, dass es nur deshalb so teuer ist, weil es ein Businessclassticket ist und storniert oder umgebucht werden kann. Schließlich hatten sie die Hoffnung beinahe aufgegeben, dass ich überhaupt noch erscheine.«

»Trotzdem.« Helge steckte sich eine Handvoll Erdnüsse in den Mund. »Irgendwas stimmt da nicht. Du hast keine Verwandten und plötzlich taucht eine ominöse Tante auf, die dir was vererben will? Sei bloß vorsichtig.«

»An was ist die alte Dame denn gestorben?«, fragte Gabi neugierig.

Laura zuckte die Schultern. »Keine Ahnung. Ich habe nach wie vor keinen Schimmer, wer das überhaupt sein soll. Und ich habe den ganzen Nachmittag in den Sachen meiner Oma gekramt, aber keinen einzigen Hinweis darauf gefunden, dass es da noch jemanden gab.«

Da Lauras Mutter bei ihrer Geburt gestorben war, hatte die Großmutter das hilflose Wesen bei sich aufgenommen und mit bedingungsloser Güte großgezogen. Der launische Teenager, der sich später aus dem entzückenden Sonnenschein entwickelte, hatte ihr die Liebe nicht immer gedankt. Doch das war alles Schnee von gestern und in den letzten zehn Jahren war das Verhältnis zwischen Laura und ihrer Großmutter wieder von einer innigen Herzlichkeit geprägt gewesen.

»Hast du dir schon überlegt, was du machst?«

Laura nickte. »Ich habe gleich nach dem Termin bei Fackler meinen Chef angerufen und mir nächste Woche zwei Tage freigenommen. Am Dienstag nehme ich den ersten Flug nach München und höre mir an, was in dem Testament steht. Was bleibt mir sonst schon übrig?«

Zu fortgeschrittener Stunde hatte Laura ihre Freunde daran erinnert, dass sie vor einiger Zeit das Gefühl gehabt hatte, verfolgt zu werden.

»Wieso kommst du jetzt wieder darauf?« Helene blickte alarmiert in die Runde. »Ich dachte, die Sache ist längst vorbei? Oder hat das wieder angefangen? Habt ihr davon was gewusst?«

»Nein«, unterbrach Laura sie. »Ich habe niemandem mehr davon erzählt. Es hat eine Zeit lang aufgehört, aber hin und wieder habe ich noch immer den Verdacht, dass ich beobachtet werde. Ich habe es euch nur nicht erzählt, weil ihr sonst wieder gesagt hättet, dass ich nicht mehr alle Tassen im Schrank habe.«

»Schatz, das denken wir sowieso. Und spätestens seit wir wissen, dass du nächste Woche ins tiefste Bayern fliegst, ist das keine bloße Vermutung mehr.« Helge schüttelte sich allein beim Gedanken an den Flug. »Bist du dir sicher, dass du dich da unten überhaupt verständigen kannst?«

Helene kicherte. »Sprechen die denn da kein Deutsch?«

Gabi verdrehte die Augen. »Ihr seid bescheuert. München ist die schönste Stadt Deutschlands. Was glaubt ihr denn, weshalb alle Welt da hinziehen will? Und ich rede nicht von Multikulti wie hier in Berlin.« Sie ließ sich in das weiche grüne Sofa sinken. »Also wenn du nicht fliegen willst, dann schenk mir das Ticket. Und dein Erbe gleich dazu.«

Da sie früh genug eingecheckt und damit die freie Auswahl gehabt hatte, hatte sich Laura für einen Fensterplatz entschieden. So versperrte ihr kein Sitznachbar den Blick auf den Alpenhauptkamm, der, wie sie zugeben musste, tatsächlich majestätisch war. Leider war das Vergnügen viel zu schnell wieder vorbei, Felder und der Münchner Speckgürtel rückten in ihr Blickfeld und Minuten später setzte das Fahrwerk des Airbus mit einem Ruck auf der Landebahn auf.

»Willkommen am Flughafen Franz Josef Strauß in München …«

Nur die Bayern können auf die Idee kommen, einen ganzen Flughafen nach einem korrupten Politiker zu benennen, dachte Laura kopfschüttelnd. Seilschaft, so nannte man das wohl hier.

Sie schnappte ihren kleinen Koffer vom Band und lief nach draußen, wo ein Fahrer sie mit einem Schild erwartete, auf dem ihr Name stand.

»Wir haben Sie im Hotel Opéra eingebucht.« Dr. Alfred Brechtingers Tonfall räumte jeden Zweifel darüber aus, ob es denn notwendig war, dass sie über Nacht in der bayerischen Landeshauptstadt blieb. Ihren Vorschlag, die letzte Maschine zurück nach Berlin zu nehmen, hatte er schon am Telefon für völlig unrealistisch gehalten. »Sie werden Zeit brauchen, um Ihre Fragen zu stellen.«

»Wofür denn Zeit?« Helene hatte kein Verständnis für eine derartige Umstandskrämerei gehabt und spöttisch einen Rauchkringel in die Luft geblasen. »Du hörst dir an, was die alte Dame dir vererbt hat, dann fliegst du wieder heim.«

»Ach, lass sie doch.« Helge hatte mehr Zutrauen in den Verstand der Anwälte. »Vielleicht ist es ja kompliziert. Und bevor sie noch mal hinfliegen muss … Außerdem«, drehte er sich zu Laura um. »Ist dir klar, dass du ein Erbe auch ablehnen kannst, ja? Unterschreib bloß nichts. Sonst sitzt du am Ende mit einem Haus da, das bis unter die Dachkante verschuldet ist.«

Nun saß sie wieder auf einem Stuhl und wartete. Und doch war die Kanzlei Brechtinger & Partner so ganz anders als die ihrer Berliner Kollegen. Allein schon die Fahrt hierher hatte ihr den Atem verschlagen. Sie wusste nicht, ob ihr Fahrer den Weg bewusst gewählt hatte, aber er hatte ihr ein München präsentiert, in das sie sich auf Anhieb hätte verlieben können. Sie war schon von dem bereits mehr als zwanzig Jahre alten und trotzdem hypermodernen Flughafen beeindruckt gewesen. Dann ging die Fahrt an der futuristischen Allianz Arena vorbei, die wie ein Raumschiff zwischen den Äckern Fröttmannings stand. Danach waren sie die quirlige Leopoldstraße mit all den Straßencafés entlanggefahren, die nach der Umrundung des Siegestores in die altehrwürdige Ludwigstraße mit ihren prachtvollen Universitätsbauten überging. Schließlich bogen sie vor der Feldherrnhalle rechts in die Brienner Straße ab, die mit mondänen Geschäften glänzte und sich nach dem Karolinenplatz urplötzlich in eine ruhige Prachtstraße mit den schönsten alten Gebäuden verwandelte, die man sich nur vorstellen konnte. Der Fahrer hielt am Straßenrand, stieg aus und öffnete ihr die Tür. Staunend trat Laura auf den Bürgersteig vor der stuckverzierten Fassade, die neben der Kanzlei Brechtinger & Partner noch zwei weitere Anwaltskanzleien und eine Schönheitsklinik beherbergte. Noch mehr überraschte sie aber das Innere der Kanzlei. Modern mit bequemen Loungemöbeln, hohen glanzlackierten Vasen mit Korkenzieherhaselnusszweigen und bunten Gemälden an der Wand. Nüchtern, aber sehr schick. Scheinbar hatten die vererbungswütigen Münchner eine völlig andere Vorstellung vom Ambiente einer Erbrechtskanzlei als die Berliner.

»Frau Wagner. Willkommen.« Wieder eine Brille, diesmal ohne Rand. Dr. Brechtinger wies seine Sekretärin an, Kaffee und Wasser zu bringen, und hieß seine Besucherin, Platz zu nehmen. Er beschränkte sich auf Smalltalk und redete über das Wetter, bis der Cappuccino kam, der in einer perfekt zum Ambiente der Kanzlei passenden, hohen, schmalen Tasse serviert wurde. Und selbst die Kekse, die auf einem edlen Teller lagen, wirkten elegant.

»Es ist so, der Fall ist nicht ganz einfach«, setzte Brechtinger an. »Was wissen Sie über die Erblasserin?«

»Frau Herzog? Überhaupt nichts. Bis vor vier Tagen kannte ich noch nicht mal ihren Namen.«

»Gut.« Brechtinger sortierte das Papier vor sich in drei gleich hohe Stapel und gab sich einen Ruck. »Frau Herzog war die engste Freundin Ihrer Großmutter.«

»Was?«, fragte Laura entgeistert. »Entschuldigen Sie, aber das ist Blödsinn. Das wüsste ich, meine ich.«

Der Anwalt musterte sie über seine Brille und lächelte leicht. »Auch Erwachsene haben Geheimnisse voreinander.«

»Ja sicher. Klar. Wenn sie einander betrügen. Aber meine Oma war nun mal meine Oma und nicht mein untreuer Mann. Das ist einfach Quatsch, sie hat mir immer alles erzählt. Ich hätte das ganz sicher gewusst.«

Ohne ein weiteres Wort nahm Brechtinger ein Foto aus einem Umschlag und schob es über den Tisch. Es war eine Schwarz-Weiß-Aufnahme aus den Nachkriegsjahren und zeigte zwei junge Mädchen, die Arm in Arm vor einem dunklen Ford Pilot posierten.

Laura betrachtete das Foto eine ganze Weile. Ihre Mundwinkel zuckten. »Die rechte könnte meine Großmutter sein.«

»Es ist Ihre Großmutter. Daneben ist ihre beste Freundin. Klara Herzog.«

»Ich kann das einfach nicht glauben«, sagte Laura leise. »Wieso hat sie mir nie davon erzählt? Und warum hatten die beiden keinen Kontakt mehr?«

»Sie hatten vor vielen Jahrzehnten eine Auseinandersetzung. Einen derart bösen Streit, dass sie danach nie wieder miteinander gesprochen haben.«

Als Laura eine Stunde später die Kanzlei verließ, fühlte sie sich so ausgelaugt wie nach einem Marathonlauf unter sengender Tropensonne. Mit Mühe schleppte sie sich in ihr Hotel, stolperte aus ihren Schuhen und stellte sich so lange unter die heiße Dusche, bis sich ihre Haut anfühlte, als könnte sie sie wie eine Schlange abstreifen. Nachdem sie sich abgetrocknet und mit der luxuriösen Lotion eingecremt hatte, die als Aufmerksamkeit des Hauses auf dem Waschbecken stand, zog sie Jeans, ein farbenfrohes T-Shirt und rote Sneakers an und lief die mondäne Maximilianstraße entlang bis zur Fußgängerzone. Dort setzte sie sich ins Spatenhaus und bestellte bei einer dicken Bedienung in einem prächtigen Dirndl ein paar Weißwürste und Brezen.

»Weißwüaschd um de Zeid? Wo bisdn du nachad her? Kimsd von de Breissn, oda? Des gibds bei uns ned. Jednfois ned nachm Zweifeleiddn.«

Lieber Himmel! Laura verstand kein Wort. Entgeistert sah sie dem Dragoner hinterher, als ein älterer Herr sie vom Nebentisch ansprach.

»Der Brauch wollte es früher, dass Weißwürste vor zwölf Uhr mittags gegessen wurden. Das rührt noch aus der Zeit, als es keine Kühlschränke gab. Viele Wirtshäuser halten sich noch immer daran. Aus Tradition.«

Ach so. Schade. Gabi hatte ihr aufgetragen, die Dinger zu probieren. Aber vormittags war das wohl kaum machbar. Da stand frisches Obst mit Haferflocken und Joghurt auf ihrem Speiseplan.

»Das Spatenhaus gehört aber nicht dazu, keine Sorge, Sie bekommen Ihre Weißwürste gleich. Im Laufe der Zeit wurde diese strenge Regel nämlich deutlich aufgeweicht, schließlich gibt es mittlerweile selbst im schönen Bayern Kühlungen.« Ihr Nachbar lächelte. »Die Vroni wollte Sie nur aufziehen. Das macht sie gern bei Gästen, die ganz offensichtlich neu in München sind.«

Laura musste über sich selbst lachen. Im ersten Augenblick war sie von dem breiten Bayerisch der Bedienung so überrascht gewesen, dass sie spontan daran zweifelte, dass es ihr jemals gelingen würde, den Dialekt der Einheimischen zu verstehen. Aber der nette Herr hatte sie eines Besseren belehrt. Es würde immer jemand geben, der ihr zur Seite sprang, da war sie sich sicher. Während sie auf ihr Essen wartete, beobachtete sie durch das Fenster, an dem sie saß, die Passanten, die auffallend gut gekleidet die Fußgängerzone entlangflanierten. Später bummelte sie durch die Stadt zum Marienplatz und bewunderte das riesige neugotische Rathaus, besuchte dessen Vorgänger, in dem jetzt ein Spielzeugmuseum untergebracht war, und lief die dreihundertsechs Stufen auf den Turm der ältesten Pfarrkirche Münchens hinauf. Auf der Aussichtsplattform des Alten Peter drängten sich unzählige Schaulustige, und Laura musste sich gedulden, bis sie einen Platz ganz vorne fand. Beim Blick nach Süden wurde ihr fast schwindlig. Die Berge waren in der glasklaren Luft zum Greifen nah. Sie spürte ein Ziehen in der Magengrube, eine Sehnsucht, dort oben zu sein, auf einem der Gipfel, die sich so malerisch am Horizont abzeichneten.

Als ihr Blick nach unten wanderte, sah sie eine Unzahl großer Marktschirme, einen kleinen Biergarten mittendrin und viele Menschen, die durch die Stände schlenderten. Das musste der Viktualienmarkt sein!

Als sie zurück in ihr Hotel kam, warteten drei Nachrichten auf der Mailbox ihres Handys, das sie in der ganzen Aufregung im Zimmer vergessen hatte, als sie zu ihrem Spaziergang aufgebrochen war. Gabi, Helge und allen voran Helene baten um Rückruf, da sie allesamt neugierig waren, was es denn nun mit dem ominösen Erbe auf sich hatte.

»Nein, ich weiß noch gar nichts«, seufzte Laura tief. »Aber ganz ehrlich, es war auch so schon verwirrend genug.«

»Das heißt, der Anwalt hat dir nur erzählt, dass sich deine Großmutter mit ihrer Freundin zerstritten hatte und dass dein Großvater dabei eine Rolle gespielt hat?« Helge hatte die Hälfte von Lauras Ausführungen verpasst, da er im Bad gewesen war, als sie zurückrief.

»So ungefähr. Meine Oma hatte sich angeblich nach dem Krieg in einen Almbauern verliebt und war von ihm schwanger. Als sie zurück …«

»Moment«, unterbrach Helene sie. »Wieso in einen Almbauern? War sie denn jemals in Bayern?«

»Zumindest behauptet Brechtinger das. Ihre Eltern sollen sie im Krieg nach Bayern geschickt haben, weil es dort sicherer war als in Berlin.«

»Und das hat sie dir nie erzählt?«

»Anscheinend gibt es noch mehr, das sie mir nie erzählt hat. Jedenfalls schwirrt mir der Kopf von den Geschichten, die Brechtinger mir aufgetischt hat. Ich kann das alles noch nicht einordnen.« Laura seufzte erneut. »Je nachdem, was Brechtinger mir morgen noch so alles auftischt, werde ich gegebenenfalls anschließend meinen Chef anrufen und fragen, ob ich noch mehr Urlaub bekomme. Dann buche ich den Flug um und bleibe noch ein oder zwei Nächte. Ich habe das Gefühl, dass ich hier mehr Zeit brauchen werde, als ich dachte.«

Später setzte sich Laura mit einer dicken Jacke und einem Glas Rotwein auf den kleinen Balkon ihres Zimmers und hypnotisierte die Lichter der Stadt, bis alles vor ihren Augen verschwamm. Einer spontanen Eingebung nachgebend hatte sie sich eine Schachtel Marlboro light gekauft, obwohl sie das Rauchen bereits vor vier Jahren aufgegeben hatte. Ihre Großmutter die Geliebte eines Bergbauern. Schwanger. Ohne mit ihm verheiratet zu sein. Und das Mitte des letzten Jahrhunderts. Ziemlich mutig. Und sehr dumm. Laura öffnete die Packung, zog eine Zigarette heraus und hob ihr Glas gen Himmel und prostete der Verstorbenen zu. Als die Tränen kamen, spürte sie, dass ein weiteres Gefühl Raum gewann. Enttäuschung. Über die Frau, der sie alles anvertraut hatte, von ihrem ersten Kuss bis hin zur ohnmächtigen Peinlichkeit, als sie mitten im Schulschwimmunterricht ihre erste Periode bekam und die ganze Klasse über sie gelacht hatte. Diese Frau, die so lange ihre engste Vertraute gewesen war, hatte ihr im Gegenzug ein ganzes Leben vorgelogen.

»Mein Großvater war ursprünglich aus Ostberlin. Zum Glück hatten sich meine Großeltern dafür entschieden, sich im Westteil der Stadt niederzulassen, bevor die Mauer gebaut wurde.«

»Ihr Großvater entstammte einer wohlhabenden Münchner Familie, die am Schliersee umfassende Ländereien besaß. Damit er nicht am Krieg teilnehmen musste, wurden er und seine Geschwister in die Berge geschickt, wo man sie nicht finden konnte.«

»Meine Großeltern kannten sich nur kurz und wollten später heiraten. Es war die große Liebe. Sie hatten nur einmal vorehelich gesündigt, Oma wurde schwanger und dann haben sie die Hochzeit vorgezogen.«

»Ihre Großeltern kannten sich seit Jahren. Ihr Großvater hat die Unschuld und Unwissenheit ihrer Großmutter ausgenutzt und sie geschwängert. Er hatte nie vor, sie zu heiraten.«

So war es schier endlos weitergegangen. Alles, was Laura von ihrer Großmutter gewusst hatte, waren Lügen. Die alte Dame hatte ihr halbes Leben frei erfunden; Geschichten, die zu traurig und romantisch waren, um letztlich auch wahr zu sein.

»Und was war mit ihrer Freundin? Klara Herzog?«

»Die Frauen waren beide in den gleichen Mann verliebt. Er hat sie gegeneinander ausgespielt. Irgendwann waren beide von ihm schwanger und das ließ sich nicht lange verheimlichen. Und darüber zerbrach eine Freundschaft.«

»Wie bescheuert«, murmelte Laura. »Statt den Kerl zum Teufel zu jagen, der sie beide verarscht hat, haben sie sich gegenseitig die Augen ausgekratzt.« Sie schnäuzte sich. »Und was war dann?«

»Klara Herzog hatte für damalige Verhältnisse mehr Glück: Sie verlor das Kind, bevor es für jedermann ersichtlich wurde. Ihre Großmutter ging zurück nach Berlin und schenkte einem Mädchen das Leben.«

»Meiner Mutter.«

»Ihrer Mutter«, bestätigte Brechtinger.

»Und die beiden hatten nie wieder Kontakt?«

»Klara Herzog hat etwa fünfzig Briefe nach Berlin geschrieben, die alle ungeöffnet zurückkamen. Ihre Großmutter hat ihr den vermeintlichen Verrat nie verziehen.«

Sie steckte sich die Zigarette zwischen die Lippen und wunderte sich, wie seltsam sich das nach den paar Jahren Abstinenz anfühlte. Schließlich gab sie sich einen Ruck, ließ das Feuerzeug aufschnappen, nahm einen vorsichtigen Zug und bereute es im selben Augenblick, als ein Hustenanfall nebst einem ausgesprochen widerlichen Geschmack folgte. Angeekelt drückte sie den Glimmstängel sofort im Aschenbecher aus, im Grunde heilfroh, dass sie dem Vergnügen rein gar nichts mehr abgewinnen konnte. Besser, das Vorhaben sofort wieder aufzugeben, als ihm die Chance zu bieten, wieder einen genussvollen Platz in ihrem Leben einzunehmen.

Als ihr nach dem zweiten Glas Wein zu kalt wurde, kickte sie ihre Sneakers von den Füßen, stolperte beim Aufstehen über den kleinen Balkontisch und wäre fast über das Geländer gestürzt. Einer ihrer Schuhe übernahm das stellvertretend für sie und sie konnte ihm nur schreckstarr zusehen, wie er in Zeitlupe hinabsegelte und in einem immergrünen Gewächs auf der kleinen Terrasse im Erdgeschoss hängen blieb.

Zweites Kapitel

Am nächsten Morgen wünschte sie den Wein zur Hölle. Ihre Augen hatten die Form von Walnüssen und der Geschmack in ihrem Mund war selbst nach fünf Minuten Zähneputzen nicht entscheidend besser geworden. Nach einer unbeholfenen Restauration des fremd wirkenden Gesichts schlüpfte sie in die Jeans vom Vorabend, zog eine frische, bunt gemusterte Bluse aus ihrem Koffer und begab sich auf die Suche nach ihrem Schuh. Ihr Plan war es, an der Rezeption vorbeizuschleichen und den abtrünnigen Sneaker unbemerkt aus dem Gebüsch zu ziehen, als hätte sich der Vorfall nie ereignet.

»Frau Wagner?« Der Concierge hatte seine Augen einfach überall. Diskret schob er eine halb geöffnete Tüte über den Tresen. »Ist das Ihrer?«

Laura wurde rot und bedankte sich. Sie lief nach oben, führte das Paar wieder zusammen und nahm im Frühstücksraum eine leichte Mahlzeit zu sich, bevor sie sich zu Fuß auf den Weg in die Kanzlei machte.

»Haben Sie gut geschlafen?«, fragte Brechtinger, als er die Tür zu seinem Büro öffnete und ihr den Vortritt ließ.

»Geht so«, murmelte Laura. »Nach dem, was Sie mir gestern eröffnet haben, werde ich nie wieder unbeschwert schlafen können.«

Brechtinger lachte. »Sie werden darüber hinwegkommen. Im Grunde geht es doch nur darum, dass Sie verstehen müssen, dass Ihre Großmutter die ganzen Lügen nicht für Sie erfunden hat, sondern für sich selbst.«

»Wieso denn das?«

»Weil nicht jeder Mensch so einfach mit dem klarkommt, was er erlebt hat«, sagte er sanft. »Ich glaube, Ihre Oma wollte die Verletzung, die sie erfahren hat, einfach nur verdrängen. Und das funktioniert besser, wenn man die Wirklichkeit durch eine andere ersetzt. Der menschliche Geist ist so gestrickt, dass er sich die falsche Realität irgendwann zu eigen macht.«

»Sie meinen, dass sie von der erfundenen Geschichte überzeugt war? Dass sie ihre Bayernliaison völlig vergessen hat?«

»Vergessen vielleicht nicht«, sagte der Anwalt. »Aber völlig verdrängt.«

»Aber dann hätte sie den Kontakt zu Frau Herzog doch wieder zulassen können!«

»Ganz im Gegenteil. Denn dann hätte sie sich bei jedem Gespräch erneut ihrer Vergangenheit stellen müssen. Und das konnte oder wollte sie offenbar nicht.«

Laura schüttelte den Kopf und blickte betreten zu Boden. Dann wischte sie die Gedanken beiseite. »Können wir jetzt bitte zum Anlass meines Besuches kommen? Ich würde zwar gern noch ein oder zwei Tage in München bleiben, ich weiß aber nicht, ob mein Chef das genehmigt. Besser, wir bringen jetzt gleich alles hinter uns, dann kann ich zurück nach Hause fliegen, falls ich keinen weiteren Urlaub bekomme.«

»Da Frau Herzog nach dem Abort kinderlos blieb und ihr späterer Mann bereits vor fünfzehn Jahren verstorben ist, hat sie Sie als ihre Haupterbin eingesetzt.«

»Haupterbin?«, echote Laura. »Aber sie kannte mich doch überhaupt nicht!«

»Sie wusste genug von Ihnen, dass sie ihr Vermögen in guten Händen glaubte.«

»Einen Augenblick.« Laura schob die Hände abwehrend nach vorne. »Sie sagen, dass es keinen Kontakt zwischen ihr und meiner Großmutter gab. Woher hätte sie also von mir wissen können?«

»Sehen Sie …« Unschlüssig schob der Anwalt die Papierstapel auf seinem Tisch ein paar Mal hin und her, bevor er zu einer Antwort ansetzte. »Frau Herzog hat nicht nur Briefe an Ihre Großmutter geschrieben, sie war über verschiedene Quellen immer auf dem Laufenden, was da oben in Berlin los war. Sie wusste vom Tod Ihrer Mutter und hat auch damals sofort geschrieben und ihre Hilfe angeboten. Aber wie alle anderen Briefe kam auch das Kondolenzschreiben ungeöffnet zurück. Und später hat sie auch Sie überprüfen lassen.«

»Sie hat was?« Laura war entsetzt. »Wie denn das?«

»Erinnern Sie sich, dass Sie vor zwei Jahren eine Zeit lang das Gefühl hatten, dass Sie verfolgt wurden?«

Mit einem Ruck setzte sich Laura kerzengerade hin. »Woher wissen Sie das denn schon wieder?«

»Wir haben im Namen von Frau Herzog eine Detektei engagiert, die Sie eine Weile beobachten sollte. Leider war deren Privatermittler dabei nicht besonders geschickt. Jedenfalls haben Sie ihn irgendwann bemerkt. Darauf haben wir die Aktion abgebrochen.«

»Das ist doch die Höhe!« Lauras Wangen glühten vor Zorn. »Ich dachte damals schon, dass ich den Verstand verliere. Und meine Freunde waren der gleichen Meinung. Sie haben mir geraten, einen Psychologen aufzusuchen, weil ich unter Verfolgungswahn litte.«

Brechtinger machte ein betretenes Gesicht. »Es tut mir leid, dass das passiert ist, und ich möchte mich in aller Form dafür entschuldigen. Es war natürlich nie geplant, dass Sie sich dabei bedroht fühlen sollten. Eigentlich hätten Sie es noch nicht mal bemerken sollten, aber wie gesagt, leider hat der beauftragte Detektiv die Sache ziemlich schlampig gehandhabt. Deswegen haben wir jegliche weiteren Aktionen sofort gestoppt. Es ging ja auch nur darum, ob wir Frau Herzog zuraten konnten, Sie als Erbin einzusetzen oder doch lieber die katholische Kirche.«

»Und zu welchem Ergebnis sind Sie gekommen?«

Der Anwalt öffnete die Hände in einer weiten Geste. »Sie sitzen hier, oder?«

Laura gab ihm keine Antwort. Tausend Gedanken schossen durch ihren Kopf. »Haben Sie damals auch meine Wohnung durchsuchen lassen?«, fragte sie schließlich.

»Wo denken Sie hin?«, fragte Brechtinger empört. »Wir haben Sie nur beobachten lassen. Mit wem Sie Umgang haben, was Sie in Ihrer Freizeit unternehmen, ob Sie Drogen nehmen, ob Sie zuverlässig sind oder krankfeiern, nur weil Sie mal keine Lust haben, morgens aufzustehen.«

Na prima. Ganz großes Kino. Zufrieden lehnte sich Laura zurück. »Ich finde, eine vernünftige Drogenkarriere sollte sich ausschließlich innerhalb der eigenen vier Wände abspielen, denken Sie nicht?«

Brechtinger zog eine Augenbraue nach oben. Dann grinste er. »Wenn Sie der Meinung sind, dass Sie damit jetzt noch beginnen wollen –«

»Wieso jetzt? Zu Hause kiffe und kokse ich seit Jahren.«

»Dann sollten Sie das Geheimnis Ihrer Gene dringend der Wissenschaft zur Verfügung stellen.«

Als Laura nicht darauf antwortete, fuhr er fort: »Bei jedem Menschen außer Ihnen schlägt sich der Drogenkonsum in den Haaren nieder. Da das bei Ihnen nicht der Fall ist, scheint ein Geheimnis in Ihrem Körper zu schlummern, das Sie spielend zu Geld machen könnten. Ich rate Ihnen, sich an den Profiradsport zu wenden. Dort würden Sie reich werden.«

Laura wusste nicht, ob sie lachen oder schreien sollte. Schließlich überwog ihre Wut den Witz Brechtingers.

»Sie haben meine Haare untersuchen lassen? Wissen Sie was, ich habe die Nase gestrichen voll. Erstens glaube ich, dass das illegal ist, zweitens verliere ich allmählich die Lust an diesem angeblichen Erbe.« Sie stand auf. »Vielleicht suchen Sie sich besser doch jemand anderen. Aber wenn ich wählen dürfte, dann schenken Sie den Plunder irgendwelchen Hochwasseropfern. Oder bedürftigen alten Menschen. Aber lassen Sie mich in Ruhe.«

Fünf Minuten nach Lauras rauschendem Abgang saß Dr. Brechtinger noch immer beeindruckt hinter seinem prachtvollen Schreibtisch. Als sein Staunen einer gewissen Bewunderung wich, schüttelte er sich und griff nach dem Telefonhörer. Nachdem er einige Belanglosigkeiten ausgetauscht hatte, sagte er: »Es ist komplizierter, als wir dachten.«

Brechtinger erwischte Laura, als sie mit ihrem Koffer an der Rezeption stand und die Rechnung begleichen wollte. Er trat von hinten an sie heran, streckte seine Hand mit einer Visitenkarte über den Tresen und sagte zu der Rezeptionistin: »Schicken Sie die Rechnung an meine Kanzlei.«

Als Laura herumfuhr und ihm die Meinung geigen wollte, fasste er sie am Arm und schob sie Richtung Ausgang. »Nicht hier. Schenken Sie mir das Vergnügen und trinken Sie ein Glas Wein mit mir.«

»Ihre Tante bestand darauf, dass Sie alles erfahren«, sagte er, als zwei Gläser Rosé vor ihnen standen. »Auch das mit der Überprüfung der Haarprobe. Sie ahnen, wie die Detektei an Ihre Haare gekommen ist?«

Laura überlegte kurz, dann nickte sie. Es hatte vor einiger Zeit einen eigentlich harmlosen Vorfall gegeben, der ihr aus irgendeinem Grund im Gedächtnis haften geblieben war. Sie war mit Freunden in einem Restaurant am Ku’damm gewesen. Auf der Toilette hatte eine fremde Frau sie um Hilfe gebeten, ihren Turnschuh zu binden. Angeblich hatte sie Rückenprobleme. Als Laura sich bückte, hatte sich das Armkettchen der Unbekannten in ihren Haaren verfangen und ihr dabei einige ausgerissen. Das Ganze war ihr damals schon komisch vorgekommen, doch jetzt wurde ihr klar, dass sie hereingelegt worden war. Und da wunderte sich der Schnösel von einem Anwalt, dass sie sauer war.

»Gut. Wie gesagt, Ihre Tante …«

»Hören Sie auf, Frau Herzog so zu nennen. Ich kannte die Frau nicht und meine Tante war sie schon gleich zweimal nicht.«

Brechtinger verzog den Mund. Das hier glich der wortwörtlichen Widerspenstigen Zähmung. »Also schön. Frau Herzog wollte, dass Sie alles wissen. Keine Geheimnisse. Ihr war klar, dass Sie bockig werden würden. Aber sie war der Überzeugung, dass es besser wäre, wenn Sie es sofort erfahren als später. Sehen Sie es als Kompliment an. Sie wusste, dass Sie Charakter besitzen.«

Toll. Schönen Dank auch. Laura biss sich auf die Unterlippe. Wie sollte man jemanden erwürgen, der einem gerade ein Kompliment gemacht hatte?

Als der Kellner jedem ein zweites Glas Wein brachte, war der größte Teil von Lauras Wut verraucht. Dass sie sich zwanzig Minuten später von Brechtingers schönen Worten hatte einlullen lassen, ärgerte sie fast schon wieder.

»Ruhen Sie sich eine Stunde aus. Und dann kommen Sie noch mal in mein Büro.«

»Haben Sie sonst nichts zu tun? Ich meine, außer Babysitter für mich zu spielen?«

Er lachte. »Ich habe Ihrer Tan… Frau Herzog versprochen, dass ich mir für Sie die Zeit nehme, die es braucht. Und so wie es aussieht, braucht es noch.«

Zwei Stunden später saß Laura erneut in den gediegenen Räumen der Kanzlei Brechtinger & Partner. Zum wiederholten Male fragte sie sich, wo seine Partner waren. Und ob es überhaupt welche gab. Auch wenn das Büro riesig war und Platz für geschätzte zehn Personen bot, war außer dem Chef und seiner geisterhaften Sekretärin kein Mensch zu sehen.

Diesmal schob Brechtinger ihr gleich zu Anfang eine Liste über den Tisch, bat sie aber, seine Erklärungen abzuwarten, bevor sie die Mappe aufschlug.

Er begann, das Testament der alten Dame vorzulesen: »… im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte … vererbe ich … Frau Laura Wagner folgenden Besitz:

ein Perlenarmband

eine dazugehörige Halskette

die Fotosammlung aus den Jahren 1943 bis 1955 …«

Der Anwalt fuhr fort, Kleinigkeiten aufzuzählen, bis Laura sich fragte, was das sollte. So viel Aufwand wegen einem bisschen alten Kram? Das hätte ihr auch der Berliner Anwalt, Fackler, vorlesen können.

Als Brechtingers Tonfall sich plötzlich änderte, schreckte sie hoch. Eine Option? Was für eine Option denn? Sie bat ihn, den Satz zu wiederholen.

Unergründlich musterte er sie über den nicht vorhandenen Rand seiner Brille hinweg. Dann räusperte er sich und wiederholte: »Auf folgenden Besitz erhält Frau Wagner eine Erbrechtsoption. Bevor das Erbe als solches jedoch in Kraft tritt, sind nachfolgende Bedingungen zu erfüllen. Sollten diese nicht oder nur teilweise von der Erbnehmerin erfüllt werden, verfällt die Option und das Erbe fällt zur weiteren Verwaltung an die Kanzlei Brechtinger & Partner. Über die weitere Verwendung der nachgenannten Besitztümer habe ich in einem gesonderten Testament verfügt.«

Brechtinger blickte von dem Schreiben in seiner Hand auf und vergewisserte sich, dass Laura alles verstanden hatte. »So weit alles klar?«

»Nein.«

»Nein?« Fragend sah er sie an.

»Sie reden ständig von Optionen und Bedingungen. Mich würde interessieren, ob das überhaupt legal ist.«

»Selbstverständlich ist es das. Der Gesetzgeber erlaubt es, dass Sie – in gewissen Grenzen – Ihren Besitz hinterlassen können, unter welchen Bedingungen und auch wem Sie möchten.«

»Das heißt, ich könnte einem Freund eine Million Euro vererben, vorausgesetzt er lebt ein Jahr lang ausschließlich von dem, was er in Mülltonnen findet?«

»Nein.«

»Wieso denn nicht? Sie sagten doch gerade –«

»Dass der Gesetzgeber dem gewisse Grenzen setzt. Aber Ihr Vorschlag ist unmoralisch und daher nicht legal.«

»Aha. Aber …«

»Nun hören Sie sich doch erst mal an, was hier steht. Vielleicht gibt es ja gar keinen Grund, jetzt schon in Panik zu verfallen.«

»Ich habe keine …« Laura unterbrach sich selbst. Dann nickte sie. »Also gut. Ich höre.«

Im Laufe von Brechtingers Ausführungen wurden Lauras Augen immer größer. Als er schließlich endete, saß sie zusammengesunken und wie betäubt in ihrem Stuhl. Schließlich hob sie den Kopf. »Und das nennen Sie moralisch?«

»Sicher.« Brechtingers Augen funkelten belustigt. »Ich mache das schon seit knapp dreißig Jahren. Und wie Sie sehen, geht es mir nicht schlecht dabei.«

»Für mich ist das keinen Deut besser als die Mülltonnenoption.« Allein beim Gedanken daran wurde ihr schwindlig. »Wo muss ich unterschreiben?«

Das Funkeln ging in ein breites Grinsen über. »So schnell haben Sie sich entschieden? Obwohl Sie es als unmoralisch empfinden?«

»Sie verstehen mich falsch. Ich werde das Erbe ablehnen. Und zwar jetzt sofort.«

Brechtinger lehnte sich in seinem nach teurem Leder riechenden Sessel zurück und musterte sein Gegenüber nachdenklich.

»Tut mir leid. Das geht nicht.«

»Was? Blödsinn. Natürlich kann ich ablehnen.«

»Generell haben Sie natürlich recht. In diesem Fall gibt es jedoch eine Klausel, dass Sie frühestens drei Monate nach der Verlesung ablehnen können.«

»Was für eine Scheiße.« Laura kochte. »Kann ich wenigstens das ablehnen? Wegen Nötigung?«

Der Anwalt schüttelte den Kopf. »Bedaure.«

Erschüttert hatte Laura die Unterlagen eingepackt und war mit dem Taxi in ihr Hotel gefahren. Die Idee, ein oder zwei weitere Tage in München zu bleiben, hatte sie nach dem unerfreulichen Telefonat mit ihrem Chef sofort wieder ad acta legen können, deswegen wies sie den Fahrer an, gleich auf sie zu warten. Als sie schließlich am Flughafen am Check-in-Schalter stand, erfuhr sie, dass sie für die Sechzehn-Uhr-Maschine gerade mal zehn Minuten zu spät war und der nächste Flieger erst um siebzehn Uhr fünfundzwanzig ging. Sie sah auf die Uhr. Knapp zwei Stunden. Mist. Sie schlenderte eine Weile durch die Geschäfte auf Ebene vier, kaufte sich in einem der vielen kleinen Restaurants einen Latte macchiato und suchte sich einen Platz am Fenster, von wo aus sie dem Treiben auf dem Vorfeld zusehen konnte. Dann rief sie Helene an.

»Bitte trommle die Feuerwehr zusammen. Um halb acht bei mir. Ich werde sonst verrückt.«

»Brechtinger lebt auf einer Alm?«

»Quatsch. Er wollte damit sagen, dass er schon seit seiner Geburt in Bayern lebt.«

Helge, der wie immer, wenn es aufregend wurde, aufs Klo musste, hatte den Anfang nicht mitbekommen. Erst als Laura ihm versicherte, dass er noch nichts Interessantes verpasst hatte, beruhigte er sich und quetschte sich zwischen Gabi und Helene auf die Couch.

Laura hatte sich eines ihrer bunten Kissen geschnappt und sich vor den Freunden auf dem Boden niedergelassen. Sie trank ein Glas Rotwein zur Hälfte aus, dann war sie bereit für ihren Bericht.

»Ich weiß gar nicht, wo ich beginnen soll. Es ist völlig absurd und abstrus.« Sie schwenkte den Rotwein so heftig, dass ein Schwall über den Rand auf den Boden schwappte. Nachdem sie die Lache mit einer Serviette aufgewischt hatte, fuhr sie fort.

»Wenn ich das Erbe annehmen will, muss ich für mindestens ein halbes Jahr nach Bayern ziehen.«

»WAS?« Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe und drei aufgerissene Augenpaare blickten sie entgeistert an. Laura tat es unendlich gut, dass die Nachricht ihre Freunde genauso erschütterte wie sie selbst. Erst nachdem sie fünf Minuten teils entsetzt, teils aufgeregt durcheinandergeredet hatten, kehrte allmählich wieder Ruhe ein.

»Es ist so: Meine, ich nenn sie jetzt mal Tante, hat mir eine Alm vererbt. Im Valeppgebiet. Falls euch das ein Begriff ist.«

Bis auf Gabi schüttelten alle den Kopf. Die allerdings war gleich begeistert. »Wahnsinn. Das ist eine der schönsten Gegenden überhaupt. Zwischen Schliersee, Tegernsee und Spitzingsee. Mensch, Laura, das ist ja ein Traum!«

Laura sah ihre Freundin entgeistert an. »Spinnst du? Ein Albtraum meinst du wohl. Was soll ich denn ein halbes Jahr in den Bergen? Ich hasse die Berge.«

»Blödsinn. Du warst doch noch nie da.«

»Eben. Weil ich es scheußlich finde. Und ich habe vor, das Erbe abzulehnen.«

»Das kann nicht dein Ernst sein. Wieso siehst du es dir nicht einfach mal an, bevor du dich endgültig entscheidest?«

»Das mit der Entscheidung wird sich sowieso noch eine Weile hinziehen.« Laura erzählte in knappen Worten von der Frist, die ihr auferlegt worden war.

»Ja, aber dann ist das doch eine super Gelegenheit, das auszuprobieren«, fand schließlich auch Helge. »Außerdem bist du doch sowieso todunglücklich in deinem Job. Was hast du denn zu verlieren?«

»Ich finde, Laura sollte uns erst einmal erzählen, was denn nun genau in dem Testament steht«, unterbrach Helene. »Was hat das mit der Alm und dem halben Jahr auf sich?«

»Ich erbe die Alm unter der Voraussetzung, dass ich vorher ein halbes Jahr dort lebe. Laut Brechtinger soll ich die Chance haben, mich dort einzuleben. Wenn es mir gefällt, dann gehört sie mir; wenn ich vorher das Handtuch werfe oder nach dem halben Jahr sage, dass ich zurück nach Berlin will, dann geht es an die Kirche, ein Tierheim oder an den Flohzirkus, was weiß ich.«

»Boah«, Helene schüttelte entrüstet den Kopf. »Das grenzt ja an Erpressung.«

»Blödsinn«, sagte Helge. »Vermutlich war die Alm Tantchens Ein und Alles. Sie wollte mit der Klausel nur sichergehen, dass Laura die Hütte nicht gleich verramscht.«

»Mag schon sein. Aber was soll Laura denn in Bayern? Ihre Freunde sind hier, ihre Arbeit, ihr Umfeld. Soll sie am Arsch der Welt auf einem Berg hocken und sich vor Einsamkeit die Augen ausheulen?«

Helge hob die Hand. »Veto, das Jobargument lass ich nicht gelten. Die Stelle ist keinen Pfifferling wert. Laura ist bloß zu träge, sich etwas anderes zu suchen, sonst hätte sie den Job schon längst an den Nagel gehängt. Und ihr Umfeld? Na ja, wir wissen schließlich alle, was für famose Nachbarn Laura hier hat.«

Mit einem dreistimmigen »Ahhh« gaben die Frauen ihm recht. Das Nachbarpärchen aus der Wohnung gegenüber hatte in etwa so viel Charme wie ein hochakuter, juckender Ausschlag am Hintern. Die Frau war eine regelrechte Hexe, mindestens zwanzig Jahre jünger als ihr betagter Gatte, sie stritten sich regelmäßig, dass die Wände wackelten, und überdies waren die beiden sozial so kompetent wie eine Dose Katzenfutter. Dies war Helges Beschreibung der beiden und damit hatte er wirklich den Nagel auf den Kopf getroffen.

»Wir können nur beten, dass wir nie so verbiestert werden wie diese Trulla, sollte uns Fortuna je hold sein und uns feste Beziehungen bescheren«, sagte Laura und erntete ein dreifaches Nicken. »Ich habe keine Ahnung, was solche Menschen antreibt. Ist es Neid, Langeweile oder sind die einfach nur strohdumm?«

»Ich denke, es ist von allem etwas«, sagte Helge. »Jedenfalls sind die beiden ein gutes Argument für die Alm. Da kannst du wenigstens sicher sein, dass du keine bekloppten Nachbarn hast.«

»Stimmt«, gab Helene ihm recht und sah Laura an. »Wie soll das überhaupt funktionieren? Wovon sollst du leben, falls du annimmst? Ich kann mir nicht vorstellen, dass man auf dem Berg eine Versicherungskauffrau braucht.«

»Das ist das eigentlich Verrückte daran«, antwortete Laura. »Ich bekomme während des Experiments eine monatliche Apanage, die mir mein Auskommen sichert. Davon kann ich meinen Lebensunterhalt bestreiten. Inklusive der Miete, die diese Bude hier in Berlin kostet, damit ich die Wohnung nicht kündigen muss.« Verlegen fügte sie noch hinzu: »Die zahlen das sogar, falls ich abbreche. So lange, bis ich einen neuen Job habe. Na ja, fast. Höchstens eineinhalb Jahre über das Experiment hinaus.«

Helge stieß einen Pfiff aus. »Aber das ist doch der Wahnsinn. Wie geil ist das denn! Ich versteh überhaupt nicht mehr, was du noch überlegst. Das ist ja völlig ohne Risiko.«

»Ich finde auch, dass es sich gut anhört«, sagte Helene mit zittriger Stimme. »Versteh mich nicht falsch, ich hab echt keinen Bock darauf, dass meine beste Freundin nach Bayern in die Provinz zieht, aber …« Sie schluckte und begann zu weinen, »es ist eine einmalige Möglichkeit. So was kommt nie wieder.«

»Aber …« Nun stiegen auch Laura die Tränen in die Augen. »Was soll ich denn da so lange machen? Ohne euch, ohne Job? Ich geh doch dort ein vor Langeweile.«

»Quatsch«, sagte Gabi energisch. »Erstens kannst du dort wandern und Rad fahren. Du kaufst dir ein Mountainbike und im Winter gehst du zum Skifahren. Mensch, Laura, wenn es ginge, ich würde sofort mit dir tauschen.«

»Ich kann aber nicht Ski fahren.«

»Dann lernst du es eben. Eine bessere Gelegenheit bekommst du nie. Wann, wenn nicht auf der Alm?«

Nun fing Laura endgültig an zu heulen.

Helge verstand die Welt nicht mehr. »Was gibt es denn da zu flennen? Du hast doch noch gar nicht zugesagt!«

»Ich weiß nicht«, Laura wischte sich mit dem Handrücken über das Gesicht. »Ich komme mir so hilflos vor.«