Ziemlich gute Gründe, am Leben zu bleiben

Matt Haig

Ziemlich gute Gründe, am Leben zu bleiben

Deutsch von Sophie Zeitz

dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

Über Matt Haig

Matt Haig,geboren 1975 in Sheffield, hat bereits mehrere Romane und Kinderbücher veröffentlicht, die mit verschiedenen literarischen Preisen ausgezeichnet und in über zwanzig Sprachen übersetzt wurden. Er lebt in York und London. In Deutschland bekannt wurde er mit seinem Romanbestseller ›Ich und die Menschen‹, dtv 21604 (gedruckte Ausgabe) und 42226 (eBook).

 

 

www.matthaig.com

Über das Buch

Ein Buch, das es eigentlich gar nicht geben dürfte

 

Denn als er 24 war, brach Matt Haigs ganze Welt zusammen. Er wusste nicht, was es war, das ihm da widerfuhr – er merkte nur, dass sein Leben ihm plötzlich zur unerträglichen Last geworden war ... Dieses Buch ist eine sehr persönliche Abrechnung mit einem Schicksal, das jeden und jede treffen kann. Die Schilderung, wie Matt Haig allmählich seine Depression besiegt und ins Leben zurückfindet, ist ebenso unterhaltsam wie berührend – und aus jeder Zeile spricht die tiefe Überzeugung, dass das Leben unbedingt lebenswert ist.

 

»Ich habe dieses Buch geschrieben, weil letztendlich doch etwas dran ist an den uralten Klischees: Die Zeit heilt alle Wunden ...
und es gibt ein Licht am Ende des Tunnels, auch wenn wir es zunächst nicht sehen können. Und manchmal können Worte einen Menschen tatsächlich befreien.«

Impressum

Deutsche Erstausgabe 2016

dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

© 2015 Matt Haig

Titel der englischen Originalausgabe:

›Reasons To Stay Alive‹ (Canongate Books Ltd,

14 High Street, Edinburgh EH1 1TE)

© 2016 der deutschsprachigen Ausgabe:

dtv Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG, München

Quellenhinweise am Ende des Bandes

Umschlaggestaltung und -illustration: Birgit Schössow

 

Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist nur mit Zustimmung des Verlags zulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

eBook-Herstellung im Verlag (01)

 

eBook ISBN 978-3-423-42913-9

ISBN der gedruckten Ausgabe 978-3-423-28071-6

 

Ausführliche Informationen über unsere Autoren und Bücher finden Sie auf unserer Website

www.dtv.de/ebooks

ISBN (epub) 9783423429139

 

 

 

 

Für Andrea

Vor dreizehn Jahren wusste ich, dass dieses Buch gar nicht möglich war.

Ich würde vorher sterben. Oder den Verstand verlieren.

Auf jeden Fall wäre ich nicht mehr hier. Manchmal hatte ich Zweifel, ob ich die nächsten zehn Minuten überstehen würde. Die Idee, es könnte mir irgendwann wieder so gut gehen, dass ich das Selbstvertrauen hätte, ein Buch darüber zu schreiben, war vollkommen unglaubhaft.

Eins der wesentlichen Symptome der Depression ist, keine Hoffnung zu haben. Keine Zukunft zu sehen. Da ist kein Licht am Ende des Tunnels, denn der Tunnel ist an beiden Enden zu, und du bist drin. Hätte ich in die Zukunft blicken können, hätte ich gewusst, dass sie heller ist als alles, was ich bisher kannte, dann hätte dieses Wissen das Ende des

Aber die Depression selbst ist keine Lüge. Depression ist an Echtheit kaum zu überbieten. Auch wenn sie unsichtbar ist.

Andere Leute bekommen oft nichts davon mit. Dein Kopf brennt lichterloh, und niemand sieht die Flammen. Deswegen – weil Depression überwiegend unsichtbar und undurchsichtig ist – hält sich ihr Stigma so hartnäckig. Und das ist besonders grausam für Depressive, weil das Stigma sich negativ auf die Gedanken auswirkt und Depression eine Krankheit der Gedanken ist.

Wenn du depressiv bist, fühlst du dich allein, und du hast das Gefühl, niemand hat je erlebt, was du gerade erlebst. Du hast solche Angst, in irgendeiner Form verrückt zu wirken, dass du alles in deinem Inneren verbirgst; du hast solche Angst, die Menschen würden dich weiter ausgrenzen, dass du dich verschließt und nicht darüber sprichst. Was fatal ist, denn darüber zu sprechen würde helfen. Worte – gesprochene, geschriebene – sind unsere

Ja, ich weiß. Wir sind Menschen. Wir reden nicht gern über unsere Gefühle. Im Gegensatz zu anderen Tieren bedecken wir uns mit Kleidung und gehen unserer Fortpflanzung hinter geschlossenen Türen nach. Wir schämen uns, wenn wir nicht richtig funktionieren. Aber wir sind in der Lage, uns weiterzuentwickeln, zum Beispiel, indem wir darüber sprechen. Und vielleicht auch, indem wir darüber lesen und schreiben.

Daran glaube ich fest. Denn es war auch das Lesen und das Schreiben, was mich aus dem Dunkel gerettet hat. Seit ich weiß, dass die Depression mich über die Zukunft angelogen hat, wollte ich ein Buch über meine Erfahrungen schreiben, in dem ich mir Depression und Angst vorknöpfe. Ich hatte also zwei Ziele mit diesem Buch. Gegen die Stigmatisierung zu kämpfen und – vielleicht die größere Herausforderung – andere Menschen davon zu überzeugen, dass wir am tiefsten Punkt des Tals einfach nicht die klarste Aussicht haben. Ich habe dieses Buch geschrieben, weil letztendlich doch etwas

Jedes Gehirn ist einzigartig. Und auch die Fehlfunktionen jedes Gehirns sind einzigartig. Die Abwege meines Gehirns waren anders als die Abwege anderer Gehirne. Unsere Erfahrungen ähneln denen anderer Leute, doch es sind nie ganz genau die gleichen Erfahrungen.

Oberbegriffe wie »Depression« (und »Angststörung« und »Panikstörung« und »Zwangsneurose«) sind nützlich, aber nur, wenn wir uns klarmachen, dass die Menschen diese Dinge nie genau gleich erleben.

Depression sieht für jeden anders aus. Schmerz wird unterschiedlich empfunden, in unterschiedlicher Intensität, und löst unterschiedliche Reaktionen aus. Aber um nützlich zu sein, muss ein Buch nicht exakt unsere eigene Erfahrung der Welt beschreiben, sonst wären die einzigen Bücher, die es

Es gibt keine richtige oder falsche Art, Depressionen zu haben, oder Panikattacken, oder Selbstmordgedanken. Diese Dinge sind, wie sie sind. Leid ist – wie Yoga – kein Leistungssport. Doch ich habe über die Jahre herausgefunden, dass es mich tröstet, von anderen Menschen zu lesen, die Verzweiflung erlitten, überlebt und überwunden haben. Es hat mir Hoffnung gegeben. Und ich hoffe, dieses Buch kann das Gleiche bewirken.

FALLEN

 

Albert Camus,
Der glückliche Tod

Ich erinnere mich gut an den Tag, an dem mein altes Ich starb.

Es begann mit einem Gedanken. Irgendwas stimmt nicht. Das war der Anfang. Bevor ich wusste, was es war, das nicht stimmte. Und dann, vielleicht eine Sekunde später, hatte ich eine seltsame Empfindung im Kopf, es war wie eine Aktivität im hinteren Teil meines Schädels, nicht weit über dem Nacken. Das Kleinhirn. Ein pulsierendes, intensives Flackern, als wäre ein Schmetterling darin gefangen, kombiniert mit einem kribbelnden Gefühl. Ich wusste noch nichts von den seltsamen körperlichen Symptomen, die mit Depression und Angststörungen einhergehen. Ich dachte einfach, ich würde sterben. Und dann rutschte mein Herzschlag weg. Und dann rutschte ich weg. Ich fiel, immer schneller, stürzte in eine neue

Bis dahin hatte ich kein wirkliches Bewusstsein davon gehabt, was Depression bedeutet, ich wusste nur, dass meine Mutter nach meiner Geburt eine kurze Zeit lang daran gelitten hatte und dass meine Urgroßmutter väterlicherseits Selbstmord begangen hatte. Es scheint also eine familiäre Belastung da gewesen zu sein, über die ich mir allerdings nie irgendwelche Gedanken gemacht hatte.

Wie dem auch sei, ich war vierundzwanzig. Ich lebte auf Ibiza, in einer der ruhigeren, schönen Ecken der Insel. Es war September. In vierzehn Tagen musste ich nach London zurückkehren, in den Ernst des Lebens. Nach sechs Jahren Studentenleben und Sommerjobs. Ich hatte das Erwachsenwerden so lange wie möglich aufgeschoben, aber es hing finster über mir wie eine schwarze Wolke. Eine Wolke, die jetzt ihre Schleusen öffnete und auf mich herabregnete.

Das Merkwürdige am menschlichen Gehirn ist, es können die extremsten Dinge darin vorgehen, ohne dass irgendjemand etwas davon mitbekommt.

 

Ich blieb drei Tage im Bett. Aber ich schlief nicht. Meine Freundin Andrea kam regelmäßig herein und brachte mir Wasser oder Obst, das ich kaum essen konnte.

Das Fenster stand offen, um frische Luft hereinzulassen, doch im Zimmer war es still und heiß. Ich erinnere mich, wie erstaunt ich war, noch am Leben zu sein. Ich weiß, das klingt melodramatisch, aber Depression und Panik geben dir melodramatische Gedanken ein. Es war mir jedenfalls keine Erleichterung. Ich wollte tot sein. Nein. Das stimmt nicht ganz. Ich wollte nicht tot sein, ich wollte nur nicht am Leben sein. Der Tod machte mir Angst. Außerdem passierte der Tod nur Menschen, die gelebt hatten. Es gab unendlich viel mehr Menschen,

(Was für ein Geschenk es war, normal zu sein! Wir alle balancieren auf einem unsichtbaren Drahtseil und könnten jeden Moment abrutschen, um dann dem existenziellen Grauen ausgeliefert zu sein, das in unserer Psyche lauert.)

Das Zimmer war leer. Es gab nur ein Bett mit einer weißen ungemusterten Decke. Die Wände waren weiß. Vielleicht hing ein Bild an der Wand, aber ich glaube nicht. Jedenfalls erinnere ich mich an keines. Neben dem Bett lag ein Buch. Einmal nahm ich es in die Hand und legte es wieder hin. Ich konnte mich nicht eine Sekunde darauf konzentrieren. Es war mir unmöglich, meine Erfahrung in Worte zu fassen, weil sie weit jenseits aller Worte war. Ich konnte buchstäblich nicht darüber sprechen. Worte schienen zu banal neben dieser Art von Schmerz.

Ich erinnere mich, dass ich mir Sorgen um meine kleine Schwester Phoebe machte. Sie war in Australien. Ich hatte Angst, dass sie, der Mensch, der mir

Klopf. Klopf. Klopf.

Ich hatte keine Begriffe wie »Depression« oder »Panikstörung« im Kopf. In meiner lachhaften Naivität glaubte ich, dass noch nie ein Mensch durchgemacht hatte, was ich erlebte. Weil es mir so unfassbar fremd war, dachte ich, es müsste meiner ganzen Spezies fremd sein.

»Andrea, ich habe Angst.«

»Alles wird gut. Es wird wieder gut. Es wird wieder gut.«

»Was passiert mit mir?«

»Ich weiß es nicht. Aber es wird wieder gut.«

»Ich verstehe nicht, wie es so etwas geben kann.«

Am dritten Tag verließ ich das Zimmer, und ich verließ das Haus. Ich ging hinaus, um mich umzubringen.

Sie ist unsichtbar.

 

Sie ist nicht »ein bisschen niedergeschlagen sein«.

 

Sie ist das falsche Wort. Das Wort Depression erinnert an einen platten Reifen, an etwas, das ein Loch hat und sich nicht bewegt. Vielleicht fühlt sich Depression ohne Angststörung so an, aber Depression mit Angst gemischt ist alles andere als platt oder reglos. (Die Dichterin Melissa Broder twitterte einmal: »welcher idiot hat es ›depression‹ genannt und nicht ›in meiner brust leben fledermäuse und nehmen viel raum ein, ps ich sehe einen schatten‹?«) Wenn es am schlimmsten ist, wünschst du dir verzweifelt irgendein anderes Leiden, irgendwelche körperlichen Schmerzen, weil die Psyche unendlich ist und ihre Qualen genauso unendlich sein können.

 

 

Sie hat nicht immer einen erkennbaren Grund.

 

Sie trifft Menschen – Millionäre, Menschen mit tollem Haar, glücklich verheiratete Menschen, frisch beförderte Menschen, Menschen, die Gitarre spielen, steppen oder Kartentricks können, Menschen, die in ihrem Leben noch keinen Pickel hatten, Menschen, deren Status-Updates überschwänglich glücklich klingen –, die von außen betrachtet keinen Grund zum Traurigsein haben.

 

Sie ist selbst für die rätselhaft, die daran leiden.

Die Sonne brannte. Es duftete nach Pinien und nach Meer. Das Meer war gleich da unten, am Fuß der Klippe. Der Klippenrand war nur ein paar Schritte entfernt. Nicht mehr als zwanzig, würde ich sagen. Der einzige Plan, den ich hatte, war, einundzwanzig Schritte zu gehen.

»Ich will sterben.«

Da war eine Eidechse, ganz nah bei meinen Füßen. Eine lebendige Eidechse. Ich hatte das Gefühl, sie verurteilte mich. Eidechsen bringen sich nicht um. Eidechsen sind Überlebenskünstler. Man reißt ihnen den Schwanz ab, und sie lassen sich einen neuen nachwachsen. Sie heulen nicht rum. Sie haben keine Depressionen. Sie machen einfach weiter, egal wie rau und unwirtlich die Landschaft ist. Mehr als alles andere wollte ich diese Eidechse sein.

Die Villa lag hinter mir. Der schönste Ort, an

Vor etwas über einem Jahr hatte ich für meine Magisterarbeit viel Foucault gelesen. Viel Wahnsinn und Gesellschaft. Die Idee, man solle dem Wahnsinn erlauben, Wahnsinn zu sein. Dass eine ängstliche, repressive Gesellschaft jeden als krank ausgrenzt, der anders ist. Aber das hier war eine Krankheit. Es war kein verrückter Gedanke. Es war nicht ein bisschen bekloppt sein. Es war nicht Borges lesen und Captain Beefheart hören oder einen Joint rauchen und einen riesigen Mars-Riegel halluzinieren. Das hier war purer Schmerz. Mir war es gut gegangen, und dann plötzlich nicht mehr. Es ging mir nicht gut. Also war ich krank. Es spielte keine Rolle, ob die Gesellschaft oder die Wissenschaft schuld war. Ich hielt es nicht aus – konnte es nicht aushalten –,

Und das würde ich auch tun. Während meine Freundin nichtsahnend im Haus war und dachte, ich schnappte frische Luft.

Ich ging los, zählte meine Schritte, dann verzählte ich mich und kam völlig durcheinander.

»Mach jetzt keinen Rückzieher«, sagte ich zu mir. Ich glaube zumindest, dass ich das zu mir sagte. »Mach jetzt keinen Rückzieher.«

Ich erreichte den Rand der Klippe. Ich konnte das unerträgliche Gefühl beenden, indem ich einfach noch einen Schritt machte. Es war so lächerlich einfach – ein einziger Schritt – im Vergleich zu dem Schmerz, am Leben zu sein.

 

Achtung. Wer glaubt, ein depressiver Mensch wolle glücklich sein, irrt sich gewaltig. Depressive Menschen haben nicht das geringste Interesse am Luxus des Glücklichseins. Sie wollen einfach nur keinen Schmerz mehr spüren. Ihrem Gehirn entfliehen, das in Flammen steht, in dem die Gedanken lodern und qualmen wie alte Besitztümer bei einem Wohnungsbrand. Normal sein. Oder, da Normalsein

Doch die Wirklichkeit war nicht so einfach. Das Seltsame an der Depression ist, auch wenn man Selbstmordgedanken hat, bleibt die Angst vor dem Tod dieselbe. Der Unterschied ist nur, dass das Leben plötzlich extrem schmerzhaft geworden ist. Wenn man von einem Selbstmord hört, sollte man also nicht vergessen, dass die betreffende Person nicht weniger Angst vor dem Tod hatte. Es war keine »Wahl« im moralischen Sinn. Wer Selbstmord moralisch bewertet, hat ihn missverstanden.

Ich stand eine Weile da. Auf der Suche nach dem Mut zu sterben, und dann auf der Suche nach dem Mut zu leben. Zu sein. Nicht zu sein. In diesem Moment war ich dem Tod so nah. Ein Gramm mehr Grauen, und das Zünglein an der Waage hätte in die andere Richtung ausgeschlagen. Vielleicht gibt es ein Universum, in dem ich den Schritt getan habe, aber nicht in diesem.

Ich hatte eine Mutter und einen Vater und eine Schwester und eine Freundin. Das waren vier Menschen, die mich liebten. In diesem Moment

Aber so funktioniert es nicht. Wenn du Depressionen hast, ist der Schmerz unsichtbar.

Wenn ich ehrlich bin, hatte ich auch einfach Angst. Was, wenn ich nicht starb? Wenn ich nur gelähmt wäre und dann für immer bewegungsunfähig in diesem seelischen Zustand gefangen?

Ich glaube, wenn wir genau hinhören, bietet das Leben immer Gründe, nicht zu sterben.

Die Gründe können aus der Vergangenheit kommen – Menschen, die uns großgezogen haben vielleicht, oder Freunde oder Geliebte – oder aus der

Also lebte ich weiter. Ich wandte mich wieder zum Haus zurück und musste mich vor lauter Stress übergeben.

Damaliges Ich: Ich will sterben.

Heutiges Ich: Das wirst du aber nicht.

Damaliges Ich: Das ist schrecklich.

Heutiges Ich: Nein, es ist wunderbar. Vertrau mir.

Damaliges Ich: Ich halte den Schmerz nicht aus.

Heutiges Ich: Ich weiß. Aber du musst. Es lohnt sich.

Damaliges Ich: Warum? Ist in der Zukunft alles perfekt?

Heutiges Ich: Nein. Natürlich nicht. Das Leben ist nie perfekt. Und ich habe immer noch ab und zu eine depressive Phase. Aber der Schmerz ist nicht mehr so schlimm. Ich habe meinen Platz gefunden. Ich habe herausgefunden, wer ich bin. Ich bin glücklich. In diesem Moment bin ich glücklich. Der Sturm zieht vorüber. Glaub mir.

Damaliges Ich: Ich kann dir nicht glauben.

Damaliges Ich: Du bist aus der Zukunft, und ich habe keine Zukunft.

Heutiges Ich: Ich hab dir doch gerade gesagt …

Ich hatte tagelang nichts Richtiges gegessen. Ich hatte den Hunger nicht gespürt, weil in meinem Körper und Gehirn so viele andere, verrückte Dinge passierten. Andrea sagte, ich müsse essen. Sie holte einen Karton Don-Simon-Gazpacho aus dem Kühlschrank (die in Spanien wie Fruchtsaft im Supermarkt verkauft wird).

»Trink.« Sie schraubte den Deckel ab und reichte mir den Karton.

Ich trank einen Schluck. Dabei merkte ich, wie hungrig ich war, und trank mehr. Wahrscheinlich trank ich den halben Karton aus, dann ging ich raus und übergab mich wieder. Zugegeben, wenn man sich von Don-Simon-Gazpacho erbrechen muss, ist das nicht unbedingt ein Krankheitszeichen, aber Andrea wollte kein Risiko eingehen.

»O Gott«, sagte sie. »Wir gehen jetzt.«

»Ins Krankenhaus.«

»Die geben mir bloß Pillen«, sagte ich. »Ich will keine Pillen nehmen.«

»Matt. Du brauchst Pillen. In deinem Zustand hast du nicht mehr die Wahl. Wir gehen, okay?«

Ich habe hier ein Fragezeichen gesetzt, aber in meiner Erinnerung war es keine Frage. Ich weiß nicht, was ich gesagt habe, aber ich weiß, dass wir ins Krankenhaus fuhren. Und dass ich Pillen bekam.

Der Arzt sah meine Hände an. Sie zitterten. »Wie lange hat die Panik gedauert?«

»Sie hat gar nicht richtig aufgehört. Mein Herz klopft immer noch zu schnell. Ich fühle mich merkwürdig.« Merkwürdig erfasste es nicht annähernd. Aber mehr sagte ich, glaube ich, nicht. Sprechen war eine unglaubliche Anstrengung.