cover
cover

Einleitung

Vor einiger Zeit forderten mich meine Studenten auf, mich endlich hinzusetzen und dieses Buch zu schreiben. Sie wünschten sich, dass mehr Menschen von unserer Arbeit profitierten. Eigentlich hatte ich das schon längst tun wollen, doch dieser letzte Anstoß brachte mich schließlich tatsächlich dazu.

Meine Arbeit steht in der Tradition einer psychologischen Forschungsrichtung, die sich mit der Frage beschäftigt, wie sehr wir uns von unseren Glaubenssätzen und Grundeinstellungen leiten lassen. Egal ob wir uns dieser Glaubenssätze bewusst sind oder nicht, sie haben einen großen Einfluss darauf, welche Ziele wir uns vornehmen und ob wir sie schließlich auch erreichen. Diese Untersuchungen zeigen außerdem, dass eine Veränderung scheinbar ganz einfacher Glaubenssätze große Wirkung haben kann.

In diesem Buch erfahren Sie, wie einer dieser einfachen Glaubenssätze, dem wir in unserer Forschungsarbeit wieder und wieder begegnet sind, einen großen Teil unseres Lebens bestimmt. Genauer gesagt durchdringt dieser Glaubenssatz jeden einzelnen Bereich unseres Lebens und hat großen Einfluss auf das, was wir über uns selbst denken. Und genauso ist dieser Glaubenssatz für vieles verantwortlich, was Sie daran hindert, Ihr Potenzial voll zu entfalten.

Bislang gibt es kein Buch, das diese Grundeinstellungen erklärt und Wege aufzeigt, wie wir sie für unser tägliches Leben nutzen können. Mithilfe dieses Buches werden Sie besser verstehen, warum manche Menschen – Wissenschaftler, Künstler, Sportler oder Unternehmer – erfolgreich sind und warum es anderen nie gelingt, ihre Möglichkeiten voll auszuschöpfen. Durch die Lektüre dieses Buches werden Sie Ihren Partner, Ihre Freunde, Ihren Chef und Ihre Kinder besser verstehen lernen. Und Sie werden vor allem lernen, Ihr eigenes Potenzial und das Ihrer Kinder voll auszuschöpfen.

Ich freue mich, meine Erkenntnisse mit Ihnen teilen zu können. Neben neuesten Forschungserkenntnissen habe ich in den folgenden Kapiteln Erfahrungsberichte zusammengetragen – Geschichten von Prominenten genauso wie von Menschen, denen ich bei meinen wissenschaftlichen Untersuchungen begegnet bin. Am Ende jedes Kapitels und im gesamten letzten Kapitel zeige ich Ihnen, wie Sie diese Erkenntnisse auf Ihr Leben anwenden können: Sie werden Ihre eigenen Glaubenssätze und Einstellungen erkennen, Sie werden verstehen, wie sie funktionieren, und können sie wenn nötig verändern.

An dieser Stelle möchte ich all den Menschen danken, die meine Forschungsarbeit und dieses Buch ermöglicht haben. An erster Stelle sind hier meine Studenten zu nennen, die mir bei meiner Forschungsarbeit sehr geholfen haben: Ich hoffe, sie haben so viel von mir gelernt wie ich von ihnen. Daneben möchte ich den Stiftungen und Einrichtungen danken, die unsere Forschung finanziell gefördert haben: der William T. Grant Foundation, der National Science Foundation, dem National Institute of Mental Health, dem National Institute of Child Health and Human Development und der Spencer Foundation.

Das Team bei Random House hat mich in einer Weise unterstützt, wie man es sich besser kaum wünschen kann: Mein Dank gilt Webster Younce, Daniel Menaker, Tom Perry und vor allem meiner Lektorin Caroline Sutton. Ihre Begeisterung und ihre praktischen Hinweise haben das Buch erst zu dem gemacht, was es ist. Dank auch an meinen ausgezeichneten Agenten Giles Anderson sowie an Heidi Grant, die mich mit ihm zusammengebracht hat.

Mein Dank gilt allen, die mir Hinweise und Feedback gegeben haben, besonders jedoch Polly Shulman, Richard Dweck und Mary Peshkin für ihre anregenden Kommentare. Schließlich möchte ich auch meinem Mann David danken, der meinem Leben mit seiner Liebe und seiner Begeisterung eine neue Dimension gibt. Er hat mich während dieses Projektes unterstützt wie kein anderer.

In meiner Arbeit geht es um persönliches Wachstum, und sie hat mir geholfen, selbst zu wachsen. Ich hoffe, dieses Buch hat für Sie dieselbe Wirkung.

Kapitel 1

Alles Einstellungssache

Als ich noch eine junge Wissenschaftlerin war und gerade am Anfang meiner Forscherlaufbahn stand, passierte etwas, das mein Leben verändern sollte. Damals beschäftigte ich mich mit der Frage, wie Menschen mit einem Misserfolg umgehen, und untersuchte, wie Schulkinder auf schwere Aufgaben reagieren. Ich ließ die Kinder einzeln in ein Klassenzimmer in ihrer Schule kommen, sorgte dafür, dass sie sich wohlfühlten, und gab ihnen dann einige Denksportaufgaben zu lösen. Die erste Runde war noch recht einfach, doch in einer zweiten waren die Fragen kniffliger. Während die Kinder über den Aufgaben brüteten, schwitzten und ächzten, beobachtete ich ihre Lösungsstrategien und fragte sie, was sie dachten und fühlten. Ich erwartete, dass sie jeweils unterschiedliche Strategien anwendeten, um mit den Schwierigkeiten umzugehen, doch ich machte eine überraschende Entdeckung.

Ein zehnjähriger Junge rückte beim Anblick der schweren Rätsel seinen Stuhl zurecht, rieb sich die Hände, schnalzte mit der Zunge und rief: »Ich liebe knifflige Rätsel!« Ein anderer blickte pötzlich auf und sagte sehr bestimmt: »Wissen Sie, genau das hatte ich gehofft: Dass ich hier was lerne.«

Stimmt mit diesen Kindern etwas nicht?, fragte ich mich. Ich war davon ausgegangen, dass die Kinder mit dem Misserfolg mehr oder weniger gut umgehen würden. Aber dass jemand gern an einer Aufgabe scheitert, das hatte ich nicht erwartet. Kamen diese Kinder von einem andern Stern oder hatten sie etwas entdeckt, das ich noch nicht erkannt hatte?

Jeder von uns hat Vorbilder – Menschen, die uns in kritischen Momenten unseres Lebens einen Ausweg aufzeigen. Diese Kinder waren meine Vorbilder. Sie wussten etwas, von dem ich keine Ahnung hatte, und ich war entschlossen, es herauszufinden und diese innere Einstellung kennenzulernen, die einen Misserfolg in etwas Positives verwandeln kann.

Was genau wussten diese Kinder? Sie wussten, dass menschliche Eigenschaften, zum Beispiel unsere intellektuellen Fähigkeiten, sich durch Übung weiterentwickeln lassen. Und genau das taten sie: Sie entwickelten ihre geistigen Fähigkeiten weiter. Sie ließen sich durch ihren Misserfolg nicht nur nicht frustrieren, sie begriffen ihn nicht einmal als Misserfolg. Sie begriffen ihn als Lernprozess.

Ich war dagegen davon ausgegangen, dass menschliche Eigenschaften in Stein gemeißelt seien; entweder ist man schlau oder man ist es eben nicht. Und wer an den Denksportaufgaben scheitert, der ist eben nicht schlau, ganz einfach. Und wer immer darauf achtet, Erfolg zu haben, und den Misserfolg um jeden Preis vermeidet, der bleibt auch schlau. Anstrengungen, Fehler und Hartnäckigkeit passten nicht in dieses Bild.

Die Frage, ob menschliche Eigenschaften in Stein gemeißelt oder veränderbar sind, ist alt. Doch die Frage, welchen Einfluss es auf unser Leben hat, wenn wir das eine oder das andere glauben, wird erst seit kurzem gestellt: Was ist die Konsequenz, wenn wir glauben, dass wir unsere Intelligenz oder unsere Persönlichkeit weiterentwickeln können, statt zu glauben, es handele sich um unveränderbare und tief verwurzelte Eigenschaften? Sehen wir uns erst einmal diese alte und leidenschaftlich geführte Debatte über die menschliche Natur an, ehe wir zu der Frage kommen, was diese Glaubenssätze für uns bedeuten können.

Warum ist jeder Mensch anders?

Seit Urzeiten denken Menschen unterschiedlich, sie handeln unterschiedlich und machen unterschiedliche Erfahrungen. Irgendwann musste jemand auf den Gedanken kommen zu fragen, warum jeder Mensch anders ist, warum manche klüger oder moralisch reifer sind als andere, und ob es etwas gibt, das sie grundsätzlich voneinander unterscheidet. Die Experten bildeten schon bald zwei verfeindete Lager. Die einen behaupteten, die Unterschiede hätten körperliche Ursachen, sie seien naturgegeben und unveränderlich. Im Lauf der Zeit wurden die verschiedensten Theorien aufgestellt: Phrenologen meinten beispielsweise, Höcker auf dem Schädel seien für diese Unterschiede verantwortlich, Kraniologen dagegen, es liege an der Form und Größe des Schädels. Heute werden die Gene herangezogen.

Vertreter des gegnerischen Lagers verwiesen dagegen auf die großen Unterschiede hinsichtlich der gesellschaftlichen Herkunft, der Erfahrung, der Ausbildung oder der Lernmethoden. Vielleicht überrascht es Sie, dass Alfred Binet, der Erfinder des IQ-Tests, einer der bedeutendsten Vertreter dieser These war. Viele glauben, der IQ-Test diene dazu, einen unveränderlichen Intelligenzquotienten zu ermitteln, doch das ist ein Irrtum. Binet, der zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Paris forschte, entwickelte den Test, um zu erkennen, welche Kinder an den öffentlichen Schulen nicht mitkamen: Sein Ziel war es, neue Lehrmethoden zu entwickeln, mit denen diese Kinder wieder bessere Leistungen erzielen konnten. Er stritt nicht ab, dass jedes Kind unterschiedliche geistige Fähigkeiten mitbringe, doch er war überzeugt, dass schulische Bildung einen tiefgreifenden Einfluss auf die Intelligenz der Kinder habe. Dazu ein Zitat aus seinem bekanntesten Buch Die neuen Gedanken über das Schulkind, das seine Untersuchungen an Hunderten von leistungsschwachen Schülern zusammenfasst:

»Einige moderne Philosophen behaupten, die Intelligenz eines Menschen sei eine feste Größe, die sich nicht verändern lässt. Wir müssen uns vor diesem brutalen Pessimismus hüten und dagegen angehen. Mit Übung und vor allem mit Methode gelingt es uns, unsere Konzentrationsfähigkeit, unser Gedächtnis und unsere Urteilsfähigkeit zu verbessern und buchstäblich intelligenter zu werden.«

Wer hat nun Recht? Heute sind die meisten Experten der Ansicht, dass es kein einfaches Entweder-oder gibt. Es ist nicht entweder die Natur oder die Erziehung, entweder die Gene oder die Umwelteinflüsse. Vom Moment der Zeugung an spielen beide eine Rolle. Der bedeutende Gehirnforscher Gilbert Gottlieb geht sogar so weit zu sagen, dass Gene und Umwelt in unserer Entwicklung nicht nur zusammenspielen, sondern dass die Gene die Umwelt sogar brauchen, um ihre Aufgaben überhaupt erfüllen zu können.

Moderne Forschungsergebnisse zeigen außerdem, dass wir sehr viel lernfähiger sind und sich unser Gehirn sehr viel länger weiterentwickeln kann, als bisher angenommen wurde. Natürlich bringt jeder Mensch seine eigenen Gene mit. Menschen werden mit unterschiedlichen Temperamenten und Fähigkeiten geboren, doch inzwischen ist erwiesen, dass Erfahrung, Ausbildung und persönlicher Einsatz eine entscheidende Rolle spielen. Intelligenzforscher Robert Sternberg schreibt, der wichtigste Grund, warum Menschen besondere Fähigkeiten entwickelten, sei »kein angeborenes Talent, sondern eine zielgerichtete Tätigkeit«. Oder, wie schon Binet erkannte: Wenn jemand am Anfang der Klügste ist, bedeutet das noch lange nicht, dass er es bis zum Schluss bleibt.

Was bedeutet das für uns?

Es ist eine Sache, sich über wissenschaftliche Theorien die Köpfe heißzureden. Es ist aber etwas ganz anderes, zu verstehen, was diese unterschiedlichen Standpunkte für Sie persönlich bedeuten. Die Forschungen, die ich seit 20 Jahren durchführe, haben den Beweis erbracht, dass die innere Einstellung, die Sie selbst zu dieser Frage einnehmen, einen weitreichenden Einfluss darauf hat, wie Sie Ihr Leben führen. Sie entscheidet, ob Sie der Mensch werden, der Sie sein wollen, und ob Sie das erreichen, was Sie sich vornehmen. Wie kann das sein? Wie kann eine bloße Meinung zu dieser Frage Ihre Psychologie und damit Ihr ganzes Leben verändern?

Wenn Sie glauben, dass Ihre Eigenschaften in Stein gemeißelt sind, wenn Sie also an ein statisches Selbstbild glauben, dann verspüren Sie immer wieder das Bedürfnis, sich zu beweisen. Wenn wir alle eine bestimmte Persönlichkeit oder eine fest vorgegebene Intelligenz und moralische Festigkeit haben, dann sollten wir doch unter Beweis stellen, dass wir eine ordentliche Portion davon mitbekommen haben. Es ginge doch nicht an, dass wir auf diesen Gebieten weniger abbekommen haben sollten als andere.

Viele von uns wachsen mit diesem Selbstbild auf. Ich wurde zum Beispiel schon als Kind darauf getrimmt, intelligent zu sein, doch in der sechsten Klasse wurde mir dieses statische Selbstbild endgültig eingebläut. Mrs. Wilson, meine Klassenlehrerin, war felsenfest davon überzeugt, dass es ausreiche, den Intelligenzquotienten eines Menschen zu kennen, um ihn vollständig zu verstehen. Sie legte die Sitzordnung im Klassenzimmer nach dem IQ fest, und nur die Schüler mit den besten Ergebnissen durften die Tafel wischen oder eine Mitteilung zum Schulleiter bringen. Abgesehen von den Magenschmerzen, die sie uns mit ihrem prüfenden Blick verursachte, bewirkte sie in uns allen eine klare innere Haltung: Wir wollten klug aussehen und nicht dumm. Welche Rolle spielte schon die Freude am Lernen, wenn mit jeder Prüfung und mit jeder Wortmeldung unsere gesamte Persönlichkeit auf dem Spiel stand?

Ich bin vielen Menschen begegnet, die nur dieses eine Ziel haben, sich selbst zu beweisen, ob im Klassenzimmer, in der Arbeit oder in zwischenmenschlichen Beziehungen. In jeder Situation müssen sie ihre Intelligenz, ihre Persönlichkeit oder ihren Charakter unter Beweis stellen. Jede Situation wird bewertet: Werde ich Erfolg haben oder scheitern? Werde ich klug oder dumm aussehen? Komme ich gut an oder schlecht? Werde ich mich am Ende als Sieger oder als Verlierer fühlen?

Aber ist es nicht völlig normal, dass jemand diese Eigenschaften haben will? Belohnt unsere Gesellschaft nicht Intelligenz, Persönlichkeit und Charakter? Das stimmt schon, aber …

Es gibt ein anderes Selbstbild, das nicht einfach davon ausgeht, dass wir diese Eigenschaften bei der Geburt mitbekommen wie ein Pokerblatt und dass wir unserer Umwelt ein Leben lang weismachen müssen, wir hätten einen Royal Flush auf der Hand, während wir selbst dauernd befürchten, es könnte gerade mal ein Pärchen Zehner sein. Dieses dynamische Selbstbild geht davon aus, dass Sie Ihre Grundeigenschaften durch eigene Anstrengungen weiterentwickeln können. Auch wenn wir uns in tausenderlei Hinsicht, in Talenten, Eignungen, Interessen oder dem Temperament noch so sehr unterscheiden, wir alle können uns durch Einsatz und Erfahrung verändern und entwickeln.

Das soll nicht heißen, dass Menschen mit diesem dynamischen Selbstbild der Ansicht sind, jeder könne alles und mit der richtigen Motivation und Methode könne jeder ein Einstein oder ein Beethoven werden. Doch sie sind überzeugt, dass das wahre Potenzial eines Menschen nicht schon zu Beginn erkennbar sei und dass man nicht vorhersagen könne, was ein Menschen durch Jahre der Leidenschaft, Einsatz und Übung alles erreichen könne.

Wussten Sie, dass Darwin und Tolstoi in der Schule nur durchschnittliche Leistungen zeigten? Und dass Ben Hogan, einer der größten Golfspieler aller Zeiten, in seiner Kindheit ein ungelenker und linkischer Junge war? Dass die Fotografin Cindy Sherman, die heute als eine der wichtigsten Künstlerinnen des 20. Jahrhunderts gilt, ihren ersten Fotografiekurs an der Universität nicht bestand? Und dass die berühmte Hollywoodschauspielerin und Oscar-Preisträgerin Geraldine Page den Rat erhielt, sie solle sich nach einem anderen Job umsehen, da sie kein Schauspieltalent habe?

Der Glaube, dass wir bestimmte Fähigkeiten weiterentwickeln können, weckt in uns die Lernbegeisterung. Warum sollen wir uns dauernd beweisen, wie großartig wir sind, wenn wir noch besser werden können? Warum sollen wir unsere Schwächen verbergen, wenn wir sie überwinden können? Warum sollen wir uns nur mit Freunden und Partnern umgeben, die uns immer wieder bestätigen, statt mit solchen, die uns anspornen, uns weiterzuentwickeln? Warum immer nur die ausgetretenen Pfade gehen statt solche, mit denen wir unsere Grenzen überwinden? Die Leidenschaft, Grenzen zu überwinden, auch dann noch, wenn nicht alles nach Plan läuft, ist das Zeichen eines dynamischen Selbstbildes. Diese Grundeinstellung ermöglicht es Menschen, sich gerade dann weiterzuentwickeln, wenn sie vor großen Herausforderungen stehen.

Die Welt aus der Sicht zweier Selbstbilder

Um Ihnen eine bessere Vorstellung davon zu geben, wie sich die beiden Selbstbilder auswirken, stellen Sie sich möglichst lebhaft einen richtig schlechten Tag während Ihrer Schulzeit vor:

In Ihrem Lieblingsfach, das Sie sehr interessiert und für das Sie viel tun, gibt Ihr Lehrer die letzten Prüfungen zurück. Ihnen klappt die Kinnlade herunter: Sie haben eine 3- bekommen. Sie sind mehr als enttäuscht. Auf dem Weg nach Hause stellen Sie fest, dass jemand die Luft aus dem Reifen Ihres Fahrrads gelassen hat. Abends wollen Sie Ihrem besten Freund Ihr Herz ausschütten, doch der wimmelt Sie ab.

Was denken Sie? Wie fühlen Sie sich? Was würden Sie tun?

Wenn ich Menschen mit einem statischen Selbstbild befrage, dann sagen diese Dinge wie: »Ich fühle mich abgelehnt«, »Ich bin ein Versager« oder »Ich fühle mich wie der letzte Idiot«. Mit anderen Worten, sie sehen in den Ereignissen ein Urteil über ihren Wert als Menschen. Diese Leute gehen oft weiter und denken: »Mein Leben taugt nichts«, »Jemand da oben hat etwas gegen mich«, »Alle haben sich gegen mich verschworen«, »Das Leben ist ungerecht und es hat keinen Zweck, sich anzustrengen«. Das klingt, als ginge es um Tod und Zerstörung, nicht um eine mittelmäßige Note, einen platten Reifen und ein enttäuschendes Telefonat.

Reagieren nur Menschen mit einem außergewöhnlich schlechten Selbstwertgefühl so? Handelt es sich um ausgewiesene Schwarzseher? Keineswegs. In anderen Situationen sind diese Menschen optimistisch und haben ein ebenso positives Selbstbild wie Menschen mit einer dynamischen Einstellung.

Und welche Konsequenzen würden diese Menschen aus ihren Erfahrungen ziehen? »Ich würde nicht mehr so viel Zeit und Energie investieren, um eine Sache gut zu machen.« (Mit anderen Worten, sie würden sich keinem Leistungstest mehr aussetzen.) »Ich würde nichts tun.« »Ich würde im Bett bleiben.« »Ich würde mich betrinken.« »Essen.« »Meinen Ärger an jemandem auslassen.« »Weinen.« »Musik hören und schmollen.« »Was kann ich schon tun?«

Was kann ich schon tun? Als ich seinerzeit die kleine Geschichte schrieb, habe ich absichtlich die Note 3- gewählt, keine 6. Es war eine einzelne Prüfung, kein Jahresabschlusszeugnis. Der Reifen war platt, aber das Fahrrad war nicht demoliert oder gestohlen worden. Und der Freund hat Sie abgewimmelt, aber Ihnen nicht die Freundschaft aufgekündigt. Nichts wirklich Tragisches also und nichts, was sich nicht wieder beheben ließe. Doch für Menschen mit einem statischen Selbstbild sind diese Erfahrungen offenbar Ursache genug für ein Gefühl des Versagens und der Hilflosigkeit.

Wenn ich Menschen mit einem dynamischen Selbstbild dieselbe Geschichte vorlege, reagieren sie so:

»Ich muss mich in dieser Klasse noch mehr anstrengen, mein Fahrrad auf einem bewachten Platz abstellen und mich fragen, ob etwas mit meinem Freund nicht stimmt.«

»Die 3- ist ein Warnsignal, dass ich mich auf den Hosenboden setzen muss, aber ich habe ja den Rest des Schuljahres, um sie wieder auszubügeln.«

»Ich würde mir Gedanken machen, wie ich für die nächste Prüfung anders oder mehr lernen kann, ich würde den Reifen flicken und bei der nächsten Gelegenheit die Sache mit meinem besten Freund ausräumen.«

»Ich würde mir meine Prüfung genau anschauen, mir vornehmen, es das nächste Mal besser zu machen, beim Abstellen meines Fahrrads vorsichtiger sein und herausfinden, was mit meinem Freund los ist.«

Wenn Sie nach so einem Tag niedergeschlagen sind, dann ist das normal. Wer wäre das nicht? Eine schlechte Note und ein Dämpfer von einem Freund sind nichts, worüber man in Jubel ausbricht. Keine der befragten Personen schnalzte vor Freude mit der Zunge. Doch die Testpersonen mit einer dynamischen Einstellung machten sich nicht selbst nieder und verzweifelten nicht. Auch wenn sie sich schlecht fühlten waren sie bereit, die Herausforderung anzunehmen und sich weiter anzustrengen.

Warum ist das flexible Selbst so neu?

Ist diese Erkenntnis so neu? Es gibt doch eine Menge Sprichwörter, die betonen, wie wichtig es ist, hartnäckig zu bleiben und Risiken auf sich zu nehmen: »Wer nichts wagt, der nichts gewinnt« oder »Rom wurde nicht an einem Tag erbaut« sind nur einige davon. Doch das Überraschende daran ist, dass Menschen mit einem statischen Selbstbild dem widersprechen würden. Für sie lautet das Motto: »Wer nichts wagt, der nichts verliert.« Und: »Wenn Rom nicht an einem Tag erbaut wurde, dann wird das schon seine Gründe gehabt haben.« Anders ausgedrückt: Risiken und Anstrengungen könnten ihre Schwächen für alle Welt sichtbar machen und zeigen, dass sie einer Sache nicht gewachsen sind. Es ist erstaunlich, in welch geringem Maß Menschen mit einer statischen Einstellung daran glauben, dass ihr Einsatz von Erfolg gekrönt werden könnte.

Neu ist auch die Erkenntnis, dass unsere Einstellung zu Risiken und Anstrengungen direkt mit unseren grundlegendsten Glaubenssätzen zu tun hat. Es geht nicht nur darum, dass einige Menschen den Wert von Herausforderungen und Anstrengungen als solchen anerkennen und andere nicht. Unsere Untersuchungen haben ergeben, dass dies direkt aus dem dynamischen Selbstbild herrührt. Wenn wir ins unseren Kursen Menschen ein dynamisches Selbstbild vermitteln, verändern sich auch deren Einstellungen zu Herausforderungen und Anstrengungen. Wenn wir in Experimenten unsere Versuchspersonen (kurzfristig) zu einem statischen Selbstbild bringen, dann fürchten sie dagegen Herausforderungen und bewerten Anstrengungen negativ.

In Buchhandlungen stoßen wir oft auf Bücher mit Titeln wie Die zehn Geheimnisse erfolgreicher Menschen, und diese Bücher enthalten in der Tat oft nützliche Hinweise. Doch meist stehen die Ratschläge unverbunden nebeneinander, da heißt es »Gehen Sie Risiken ein!« oder »Glauben Sie an sich selbst!«. Als Leser können wir zwar die Menschen bewundern, denen dies gelungen ist, aber wir bekommen wenig Hinweise, wie diese Dinge zusammengehören oder wie wir es anstellen sollen, an uns selbst zu glauben. Ein paar Tage lang fühlen wir uns vielleicht inspiriert, doch am Ende behalten die erfolgreichen Menschen ihr Geheimnis für sich.

Wenn wir jedoch verstehen, was es mit dem statischen und dem dynamischen Selbstbild auf sich hat, erkennen wir, wie eins zum anderen führt: wie der Glaubenssatz, dass unsere Eigenschaften in Stein gemeißelt seien, bestimmte Gedanken und Handlungen auslöst, und wie wiederum der Glaubenssatz, dass wir unsere Eigenschaften weiterentwickeln können, andere Gedanken und Handlungen auslöst, die uns einen völlig anderen Weg einschlagen lassen. Das ist das, was Psychologen das Aha-Erlebnis nennen. In meiner Forschungsarbeit habe ich dies oft mit Testpersonen erlebt.

Selbsterkenntnis und Selbstbild

Vielleicht halten sich die Menschen mit einem dynamischen Selbstbild nicht gerade für Einsteins oder Beethovens, doch laufen sie nicht Gefahr, ihre Fähigkeiten zu überschätzen und sich mehr vorzunehmen als sie erreichen können? Tatsächlich belegen Untersuchungen, dass wir unsere Fähigkeiten regelmäßig völlig falsch einschätzen. Gemeinsam mit einer Kollegin untersuchte ich kürzlich, wessen Selbsteinschätzungen schlechter sind. Wie zu erwarten stellten wir fest, dass viele unserer Testpersonen ein völlig falsches Bild von ihren Leistungen und ihrer Leistungsfähigkeit hatten. Doch interessanterweise waren es fast ausschließlich Menschen mit einem statischen Selbstbild, die in ihren Einschätzungen danebenlagen. Testpersonen mit einem dynamischen Selbstbild waren erstaunlich realistisch.

Im Grunde ist das Ergebnis wenig überraschend. Wenn wir glauben, dass wir uns weiterentwickeln können, dann sehen wir hinsichtlich unserer momentanen Fähigkeiten klarer, auch wenn es uns wenig schmeichelt. Lernorientierte Menschen benötigen sogar korrekte Informationen über ihren derzeitigen Kenntnisstand, um effektiv lernen zu können. Wenn wir aber alles als positives oder negatives Urteil über unsere Persönlichkeit auffassen, dann haben wir notwendigerweise eine verzerrte Selbstwahrnehmung. Wir überschätzen manche Ergebnisse, spielen andere herunter, und ehe wir es uns versehen, haben wir ein völlig falsches Bild von uns entworfen.

In seinem Buch Kreative Intelligenz kam Howard Gardner zu dem Schluss, außergewöhnliche Menschen hätten ein besonderes Talent, ihre eigenen Stärken und Schwächen zu erkennen. Interessanterweise scheinen Menschen mit einem dynamischen Selbstbild genau dieses Talent zu haben.

Entdecken Sie Ihre Möglichkeiten

Außergewöhnliche Menschen scheinen außerdem ein Talent dafür zu haben, die scheinbaren Niederlagen des Lebens in zukünftige Siege zu verwandeln. In einer Befragung unter 143 Kreativitätsforschern herrschte Einigkeit über die wichtigste Voraussetzung für Kreativität: Es handelte sich um exakt die Ausdauer und Zähigkeit, wie sie das dynamische Selbstbild auszeichnen.

Vermutlich fragen Sie sich, wie ein einziger Glaubenssatz so weitreichende Folgen haben kann: Er lässt Sie Herausforderungen suchen, an Einsatz glauben, Rückschläge wegstecken und führt Sie schließlich zu größerem und kreativerem Erfolg? In den folgenden Kapiteln werden Sie jedoch die Zusammenhänge sehen und erkennen, welchen Einfluss die verschiedenen Selbstbilder darauf haben, wonach wir streben und was wir als Erfolg ansehen, wie sich durch sie die Bedeutung und die Auswirkungen eines Fehlschlags verändern und wie sie dem Wort »Anstrengung« einen neuen Sinn für uns geben. Sie werden erkennen, wie sich diese Selbstbilder in der Schule, im Sport, am Arbeitsplatz und in der Partnerschaft auswirken. Sie werden erkennen, woher sie kommen und wie Sie sie verändern können.

Entwickeln Sie Ihr Selbstbild

Welches Selbstbild haben Sie? Beantworten Sie die folgenden Fragen zum Thema Intelligenz. Entscheiden Sie, welche Aussage am ehesten Ihrer Meinung entspricht.

1.Intelligenz ist eine angeborene Eigenschaft, die sich nicht verändern lässt.

2.Ich bin zwar lernfähig, doch an meiner Intelligenz kann ich nichts ändern.

3.Gleichgültig wie intelligent ich bin, ich kann immer noch ein bisschen intelligenter werden.

4.Ich kann meine Intelligenz erheblich vergrößern, egal wie intelligent ich bin.

Die Aussagen 1 und 2 geben ein statisches, die Aussagen 3 und 4 ein dynamisches Selbstbild wieder. Mit welcher Aussage stimmen Sie am ehesten überein? Es kann auch sein, dass Sie irgendwo zwischen beiden Extremen liegen, doch die meisten Menschen neigen zu der einen oder der anderen Richtung.

Auch unsere Fähigkeiten beurteilen wir anhand von Glaubenssätzen. Überlegen Sie, was Sie über »künstlerisches Talent«, »Sportlichkeit« oder »Geschäftstüchtigkeit« denken und setzen Sie diese Begriffe in der obigen Frage anstelle des Wortes »Intelligenz« ein. Probieren Sie es einmal aus!

Doch es geht nicht nur um unsere Fähigkeiten, sondern auch um unsere persönlichen Eigenschaften. Sehen Sie sich die folgenden Aussagen über Persönlichkeit und Charakter an und entscheiden Sie, mit welcher Sie am ehesten übereinstimmen.

1.Ich habe bestimmte menschliche Eigenschaften und es gibt nicht viel, was ich daran ändern kann.

2.Egal welche Eigenschaften ich jetzt habe, ich kann mich grundlegend verändern.

3.Ich kann einige Dinge anders machen, doch meine grundlegenden Eigenschaften bleiben konstant.

4.Ich kann selbst grundlegende Eigenschaften meiner Persönlichkeit verändern.

In diesem Fall geben die Aussagen 1 und 3 ein statisches, Aussagen 2 und 4 ein dynamisches Selbstbild wieder. Mit welcher Aussage stimmen Sie diesmal am ehesten überein?

Unterscheidet sich Ihre Antwort von der, die Sie auf die Intelligenzfrage gegeben haben? Das kann gut sein. Ihr Intelligenzbild kommt dann ins Spiel, wenn es um geistige Fähigkeiten geht.

Ihr Persönlichkeitsbild ist dagegen gefragt, wenn es um Ihre persönlichen Qualitäten geht, Ihre Verlässlichkeit zum Beispiel, Ihre Fürsorglichkeit oder Ihre sozialen Fähigkeiten. Menschen mit einem statischen Selbstbild machen sich Gedanken darüber, wie andere sie beurteilen. Menschen mit einem dynamischen Selbstbild denken darüber nach, wie sie sich verbessern können.

Die folgenden Punkte sollen Sie anregen, weiter über die beiden Grundeinstellungen nachzudenken:

Denken Sie an einen Menschen aus Ihrem Bekanntenkreis, der von einem statischen Selbstbild bestimmt ist, an jemanden, der immer wieder versucht, sich zu beweisen, und Angst davor hat, beurteilt zu werden oder Fehler zu machen. Haben Sie sich schon mal überlegt, warum das so ist? In welcher Hinsicht ähneln Sie diesem Bekannten oder Freund? Vielleicht verstehen Sie jetzt besser, was dahintersteckt.

Denken Sie jetzt an jemanden in Ihrem Bekanntenkreis, der ein dynamisches Selbstbild entwickelt hat, an jemanden, der weiß, dass man wichtige Fähigkeiten und Eigenschaften selbst weiterentwickeln kann. Überlegen Sie, wie dieser Freund oder Bekannte mit Hindernissen umgeht und was er oder sie tut, um persönlich zu wachsen. Wie können Sie sich verändern oder entwickeln?

Stellen Sie sich vor, Sie haben sich zu einem Sprachkurs angemeldet. Nach ein paar Stunden ruft Sie der Kursleiter nach vorn und Sie sollen an einem Rollenspiel teilnehmen.

Versetzen Sie sich in einen Menschen mit einem statischen Selbstbild. Sie sitzen auf dem heißen Stuhl. Spüren Sie, wie sich die Blicke der anderen in Sie bohren? Sehen Sie den prüfenden Blick des Kursleiters? Fühlen Sie die Spannung und wie Ihr Ego sich sträubt? Was denken und fühlen Sie noch?

Und nun versetzen Sie sich in einen Menschen mit einem dynamischen Selbstbild. Sie sind Anfänger, deswegen sind Sie ja hier. Sie wollen lernen. Ihr Kursleiter hilft Ihnen dabei. Spüren Sie, wie die Spannung nachlässt und wie sich Ihr Geist öffnet?

Die Botschaft ist einfach: Sie können Ihr Selbstbild ändern.

Kapitel 2

Unsere Selbstbilder unter der Lupe

Wie so viele junge Frauen habe ich mir immer einen Märchenprinzen als Mann vorgestellt: gut aussehend, erfolgreich, ein echter Star eben. Ich selbst wollte eine großartige Karriere hinlegen, ohne mich allzu sehr dafür anstrengen zu müssen. Traummann und Traumkarriere sollten mir einfach so zufallen, als Bestätigung dafür, wie großartig ich war.

Es sollte viele Jahre dauern, ehe ich wirklich mit meinem Leben zufrieden war. Ich habe einen tollen Mann geheiratet, aber unsere Beziehung war noch verbesserungsfähig. Ich habe einen Beruf, der mir Spaß macht, aber er ist oft ganz schön anstrengend. Nichts ist mir einfach so zugefallen. Warum ich trotzdem zufrieden bin? Weil ich meine Selbstbild verändert habe.

Das habe ich meiner Arbeit zu verdanken. Eines Tages beschäftigten meine Assistentin Mary Bandura und ich uns mit der Frage, warum einige Studenten so versessen darauf waren, ihre Fähigkeiten unter Beweis zu stellen, während andere lernten. Mit einem Mal stellten wir fest, dass das Wort »Fähigkeit« zwei Bedeutungen hat: Zum einen beschreibt es eine bestehende Fähigkeit, die unter Beweis gestellt werden muss, zum anderen eine wandelbare Fähigkeit, die durch Lernen entwickelt werden kann.

In diesem Moment war der Gedanke der zwei Selbstbilder geboren. Mir war sofort klar, welche Denkweise ich selbst besaß. Ich erkannte mit einem Mal, warum ich immer Angst davor gehabt hatte, zu versagen oder Fehler zu machen. Und ich erkannte zum ersten Mal, dass ich mich entscheiden kann.

Jedes Selbstbild ist wie eine Welt für sich. In der einen Welt, der Welt der unveränderbaren Eigenschaften, bedeutet Erfolg, sein Talent oder seine Intelligenz unter Beweis zu stellen, also sich selbst zu bestätigen. In der anderen Welt, der Welt der veränderbaren Eigenschaften, besteht ein Erfolg dagegen darin, Grenzen zu überwinden und Neues zu lernen, also sich zu entwickeln.

In der einen Welt bedeutet Misserfolg, dass man einen Rückschlag erleidet, eine schlechte Note bekommt, einen Wettbewerb verliert, entlassen oder zurückgewiesen wird. Ein Misserfolg bedeutet, dass man nicht intelligent oder talentiert genug ist. In der anderen Welt bedeutet Misserfolg, nicht zu wachsen und nicht den Dingen nachzugehen, die einem wirklich etwas bedeuten, kurz: dass man sein Potenzial nicht ausschöpft.

In der einen Welt ist Anstrengung etwas Schlechtes. Wer sich anstrengen muss, hat kein Talent oder keine Intelligenz. In der anderen Welt ist es genau die Anstrengung, die überhaupt erst zu Talent oder Intelligenz führt.

Sie haben die Wahl. Selbstbilder sind lediglich Glaubenssätze. Es sind tief verwurzelte Glaubenssätze, doch sie existieren nur in Ihrem Kopf und lassen sich ändern. Denken Sie beim Lesen darüber nach, was Sie erreichen wollen und mit welcher inneren Einstellung Sie am ehesten dorthin kommen.

Was ist ein Erfolg?

Der Soziologe Benjamin Barber sagte einmal: »Ich teile die Welt nicht in Schwache und Starke oder Gewinner und Verlierer ein. Ich teile die Welt in Lerner und Nicht-Lerner ein.«

Was um alles in der Welt macht einen Menschen zu einem Nicht-Lerner? Das Bedürfnis zu lernen ist angeboren. Kleinkinder lernen jeden Tag dazu. Und nicht etwa Kleinigkeiten, sondern Grundfähigkeiten wie Laufen und Sprechen. Sie überlegen nicht, ob es zu anstrengend sein könnte oder ob die Mühe sich lohnt. Und sie zerbrechen sich nicht den Kopf darüber, ob sie Fehler machen oder sich blamieren könnten. Wenn sie hinfallen, stehen sie wieder auf. Sie laufen einfach los.

Was könnte dieser Lernbegeisterung ein Ende bereiten? Es ist ein statisches Selbstbild. Sobald Kinder anfangen, sich selbst zu beurteilen, beginnen einige, sich vor Herausforderungen zu fürchten. Sie haben Angst davor, dumm auszusehen. Ich habe Tausende Kinder vom Vorschulalter an untersucht und es ist erstaunlich, wie viele von ihnen die Möglichkeit, etwas zu lernen, ausschlagen.

Wir boten Vierjährigen eine einfache Wahl an: Sie sollten entweder ein einfaches Puzzle ein zweites Mal zusammensetzen oder sich an einem neuen, etwas kniffligeren Puzzle versuchen. Selbst in diesem frühen Alter entschieden sich viele der Kinder für den sicheren Weg. Ganz offensichtlich hatten sie schon eine statische geistige Haltung und glaubten an unveränderbare Eigenschaften. »Schlaue Kinder machen keine Fehler«, erklärten sie uns.

Andere Kinder fanden die Entscheidung merkwürdig. »Warum fragen Sie mich das? Warum soll ich das gleiche Puzzle nochmal machen?«, fragten sie. Diese Kinder besaßen ein dynamisches Selbstbild, sie glaubten ans Lernen und wählten immer schwierigere Puzzle. »Ich muss das fertigkriegen!«, rief ein kleines Mädchen aus.

Ein Mädchen aus einer siebten Klasse brachte es auf den Punkt. »Ich denke, Intelligenz ist etwas, für das man hart arbeiten muss. Es wird einem nicht einfach geschenkt. Die meisten Kinder melden sich nicht, wenn sie die Antwort nicht wissen. Aber ich melde mich immer, denn wenn ich etwas Falsches sage, dann wird mein Fehler verbessert. Oder ich melde mich und frage: ›Wie kann man das lösen?‹ oder: ›Ich verstehe das nicht. Können Sie mir weiterhelfen?‹ Schon dadurch werde ich intelligenter.«

Jenseits von Denksportaufgaben

Es ist eine Sache, sich ein schwierigeres Puzzle entgehen zu lassen. Es ist eine ganz andere, sich eine Chance entgehen zu lassen, die entscheidend für die eigene Zukunft sein kann. Um zu sehen, ob jemand sich eine solche Chance entgehen lassen würde, machten wir uns eine ungewöhnliche Situation zunutze. An der Universität von Hongkong wird ausschließlich in englischer Sprache unterrichtet. Sämtliche Kurse werden auf Englisch abgehalten, die Lehrbücher sind englisch und die Prüfungen ebenfalls. Natürlich schreiben sich auch viele Studenten an der Universität ein, die nicht fließend Englisch sprechen. Man sollte meinen, dass diese Studenten es eilig hätten, dieses Defizit möglichst rasch zu beheben.

Als die Erstsemesterstudenten zur Einschreibung kamen wussten wir, wer von ihnen nicht über ausreichende Englischkenntnisse verfügte. Wir stellten ihnen eine einfache Frage: Wenn die Fakultät Englischkurse anbieten würde, würden Sie diese Kurse belegen?

Außerdem ermittelten wir ihr Selbstbild. Dazu baten wir sie, Aussagen wie die folgende zu beurteilen: »Intelligenz ist eine feste Größe und man kann wenig tun, um sie zu verändern.« Oder: »Wir haben erheblichen Einfluss auf unsere Intelligenz.« Studenten, die einer Variante der ersten Aussage zustimmten, hatten ein statisches Selbstbild, wer sich für die zweite Variante entschied, ein dynamisches.

In der Auswertung der Befragung sahen wir uns an, wer sich für den Englischkurs entscheiden würde. Studenten mit einer dynamischen geistigen Haltung wollten den Kurs belegen, Studenten mit einer statischen Haltung waren nicht interessiert.

Da die Studenten mit einem dynamischen Selbstbild daran glaubten, dass Erfolg etwas mit Lernen zu tun habe, wollten sie die Chance nutzen. Studenten mit einem statischen Selbstbild wollten sich lieber keine Blöße geben. Um kurzfristig intelligent zu wirken gingen sie das Risiko ein, langfristig ihren Studienerfolg aufs Spiel zu setzen.

So macht ein statisches Selbstbild Menschen zu Nicht-Lernern.

Gehirnwellen verraten das Selbstbild

Der Unterschied lässt sich sogar anhand von Gehirnwellen messen. In unserem Labor an der University of Columbia untersuchten wir Testpersonen mit beiden Grundeinstellungen. Während sie schwierige Fragen beantworten mussten und Feedback dazu bekamen, schauten wir uns ihre Gehirnwellen an, um zu sehen, wie interessiert und aufmerksam sie waren.

Menschen mit einem statischen Selbstbild zeigten sich nur dann interessiert, wenn das Feedback ihre Fähigkeiten betraf. Ihre Gehirnwellen zeigten, dass sie besonders aufmerksam zuhörten, wenn sie erfuhren, ob ihre Antwort richtig oder falsch war. Wenn sie jedoch Informationen erhielten, die ihnen beim Lernen geholfen hätten, zeigten sie kein Interesse. Selbst wenn sie die falsche Antwort gegeben hatten waren sie nicht daran interessiert zu erfahren, wie die richtige Antwort gelautet hätte.

Nur Menschen mit einem dynamischen Selbstbild achteten auf neue Information. Nur für sie war es wichtig, etwas zu lernen.

Was ist Ihnen wichtig?

Wenn Sie die Wahl hätten, was würden Sie wählen? Erfolg und Bestätigung oder Herausforderungen?

Diese Frage stellt sich nicht nur vor intellektuellen Herausforderungen. Sie müssen sich zum Beispiel auch entscheiden, welche Art der Partnerschaft Sie sich wünschen: eine, die Ihr Ego stärkt, oder eine, in der Sie persönlich wachsen können? Wer ist Ihr idealer Partner? Wir fragten junge Erwachsene und hier sind einige der Antworten:

Menschen mit einem statischen Selbstbild sagten, ihr Partner oder ihre Partnerin solle

sie auf Händen tragen,

ihnen das Gefühl geben, vollkommen zu sein,

sie verehren.

Mit anderen Worten, der perfekte Partner soll sie samt ihrer unveränderlichen Eigenschaften auf den Altar heben. Mein Mann erzählt, er habe früher auch gedacht, er müsse eine Art Gott für seine Partnerin sein. Zum Glück hat er sich von dieser Idee verabschiedet, ehe wir uns kennengelernt haben.

Menschen mit einem dynamischen Selbstbild wünschten sich andere Lebensgefährten. Sie gaben an, der ideale Partner oder die ideale Partnerin solle

ihre Fehler erkennen und ihnen helfen, daran zu arbeiten,

sie motivieren, sich zu verbessern,

sie ermutigen, sich auf Neues einzulassen.

Natürlich wünschten auch sie sich nicht gerade einen Partner, der dauernd an ihnen herummäkelt oder ihr Selbstwertgefühl mindert. Doch sie wünschten sich vor allem Partner, die ihre Entwicklung fördern. Sie nahmen nicht an, dass sie bereits reife, fehlerfreie Menschen seien, die nichts mehr dazulernen können.

Vermutlich denken Sie jetzt: »Au Backe, was passiert, wenn zwei Menschen mit unterschiedlichen Selbstbildern zusammenkommen?« Eine Frau mit einem dynamischen Selbstbild erzählte mir von ihrer Ehe mit einem Mann mit statischem Selbstbild: »Wir waren kaum aus den Flitterwochen zurück, da wusste ich schon, dass ich einen großen Fehler gemacht hatte. Jedes Mal, wenn ich zum Beispiel vorschlug ›Warum gehen wir nicht ein bisschen öfter aus?‹ oder ihm sagte ›Ich möchte gern auch dabei sein, wenn Du eine Entscheidung triffst‹, war er fix und fertig. Statt über das Thema zu sprechen, um das es mir eigentlich ging, brachte ich buchstäblich Stunden damit zu, ihm gut zuzureden und dafür zu sorgen, dass er sich wieder besser fühlte. Dann lief er zum Telefon, um seine Mutter anzurufen, die ihn so anbetete, wie er das brauchte. Wie waren beide jung und frisch verheiratet. Ich wollte einfach nur kommunizieren.«

Der Mann hatte offenbar eine andere Vorstellung einer erfolgreichen Partnerschaft als seine Frau. Er wollte völlige, unkritische Hingabe, sie dagegen wollte Probleme angehen. Die Entwicklung der einen Person war der Albtraum der anderen.

Die Vorstandskrankheit

Es wird Sie nicht überraschen, dass der Wunsch, auf einem Podest zu stehen und perfekt zu erscheinen, oft als »Vorstandskrankheit« bezeichnet wird. Lee Iacocca litt beispielsweise gehörig unter ihr. Nach den ersten Erfolgen als Chef von Chrysler Motors begann Iacocca mehr und mehr den Vierjährigen zu ähneln, die kein neues Puzzle mehr anfassen wollen. Jahr für Jahr brachte er dieselben Modelle auf den Markt, die leider keiner mehr kaufen wollte. Inzwischen erfanden japanische Automobilhersteller das Auto neu. Wir kennen das Ergebnis. Japanische Autos traten einen Siegeszug auf dem Markt an.

Vorstandsvorsitzende stehen immer wieder vor dieser Entscheidung: Sollen sie ihre Defizite angehen oder sollen sie sich eine Welt erschaffen, in der sie keine haben? Lee Iacocca entschied sich für Letzteres. Er umgab sich mit Schmeichlern, jagte seine Kritiker in die Wüste und verlor rasch jeden Kontakt mit der Realität seines Geschäfts. Lee Iacocca war zu einem Nicht-Lerner geworden.

Nicht jeder wird von der Vorstandskrankheit angesteckt. Viele herausragende Führungspersönlichkeiten setzen sich regelmäßig mit ihren Defiziten auseinander. Als Darwin Smith auf seine erfolgreiche Zeit bei Kimberly-Clark zurückblickte, erklärte er: »Ich habe immer daran gearbeitet, mich für diesen Job zu qualifizieren.« Genau wie die Studenten in Hongkong mit der wachstumsorientierten Einstellung hören Vorstände wie er nie auf, sich weiterzubilden.

Vorstandschefs stehen vor einem weiteren Dilemma: Sie können kurzfristige Maßnahmen ergreifen, mit denen sie den Aktienkurs des Unternehmens in die Höhe schnellen lassen und als die großen Helden dastehen. Oder sie können langfristige Verbesserungen anstreben, mit denen sie die Börsianer verärgern, aber die Grundlage für ein langfristig gesundes Wachstum ihres Unternehmens legen.

Albert Dunlap, ein bekennender geistiger Statiker, wurde angeheuert, um das Unternehmen Sunbeam zu sanieren. Er entschied sich für eine kurzfristige Strategie, um an der Wall Street als Held gefeiert zu werden. Die Aktie schoss in die Höhe, doch das Unternehmen brach zusammen.

Lou Gerstner, der bekannt ist für seine dynamische Denkweise, sollte IBM sanieren. Als er sich an die gewaltige Aufgabe machte, die Kultur und Unternehmenspolitik von IBM zu überholen, stagnierten die Aktienkurse und die Börsianer verhöhnten ihn als Versager. Einige Jahre später war IBM jedoch wieder Marktführer.

Grenzen überschreiten

Menschen mit einem dynamischen Selbstbild suchen nicht nur die Herausforderung, sie ziehen sogar Energie aus ihr. Je größer die Herausforderung, desto mehr wachsen sie an ihr. Nirgendwo lässt sich das besser beobachten als in der Welt des Sports. Dort können Sie buchstäblich zusehen, wie Menschen ihre persönlichen Grenzen überwinden und sich steigern.