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Erin Brockovich
mit Marc Eliot

Gib niemals auf!

Den Opfern von Hinkley,
die mich inspiriert haben
und für mich zu Helden wurden.

Erin Brockovich
mit Marc Eliot

Gib niemals auf!

So gewinnen Sie die kleinen
und großen Kämpfe des Lebens

Aus dem Amerikanischen
übersetzt von Sabine Schilasky

Für Fragen und Anregungen:

Nachdruck 2013

© 2002 by Erin Brockovich. All rights reserved.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme gespeichert, verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Aus dem Amerikanischen: Sabine Schilasky

ISBN Print 978-3-86882-310-3

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Inhalt

Teil 1:
Vor Hinkley und nach dem Film

1. Ich bin die echte Erin Brockovich, und mein Leben ist kein großes Kinomärchen!

2. Gespräche mit mir selbst

Teil 2:
Wie ich es geschafft habe

3. Man macht es, weil man einfach muss!

4. Mein inneres Krafttraining

5. Beharrlichkeit

6. Was du nicht willst, das man dir tu, das füg auch keinem andern zu

Teil 3:
Wer ich heute bin

7. Du magst keine gesalzenen Tomaten? Pech!

8. Rhythmen, die alles beherrschen

9. Man kann sich selbst helfen!

10. Das Leben ist ein immerwährender Kampf, aber man kann ihn gewinnen!

11. Erins Kurzanleitung, wie man es im Leben schaffen kann

Nachwort der Autorin

Anhang

Über die Autoren

Und dann wären da noch ... die Delfine

Teil 1:

Vor Hinkley und nach dem Film

1.
Ich bin die echte Erin Brockovich, und mein Leben ist kein großes Kinomärchen

Glauben Sie mir: Ich habe noch nie etwas Seltsameres und zugleich Wunderbareres erlebt, als mich selbst in idealisierter Form in einem Kinofilm zu sehen. Es ist ein wenig befremdlich, wenn ein Film den eigenen Namen trägt und die Hauptdarstellerin auch noch keine Geringere als die fabelhafte Julia Roberts ist. Sie bekam für diese Rolle einen Academy Award, und die Art, wie sie mich spielte, war wie das Sahnetüpfelchen auf dem Schokoladenkuchen, zu dem mein Leben geworden ist. Und dieses Leben war ganz bestimmt nicht immer süß und sahnig!

Der Film handelt in erster Linie von meiner Arbeit an der Klage gegen Pacific Gas and Electric (PG&E) Utility Corporation in der Anwaltskanzlei Masry & Vititoe, die wir im Namen der Bürger von Hinkley, Kalifornien, führten. Gemeinsam konnten wir nachweisen, dass PG&E über Jahre hinweg das Trinkwasser der Stadt mit hexavalentem Chrom verseucht hatte, welches in der Fabrik als Rostschutzmittel für die Kühlwasser-Pumpanlangen verwendet wurde. Das Abwasser aus der Fabrik wurde in offene Becken mitten im Wüstenboden abgelassen, von wo es ungehindert ins Grundwasser sickerte, aus dem die Stadt ihr Trinkwasser gewann. Die Einwohner von Hinkley atmeten die giftigen Dämpfe beim Duschen, Baden und über die Wasserkühlung ihrer Klimaanlagen ein. Ihre Kinder plantschten den Sommer über im verseuchten Wasser. Infolge des verschmutzten Wassers häuften sich in der Stadt die Fehlgeburten, und die Menschen litten an chronischem Nasenbluten und Hautausschlägen. Die Haustiere gingen auf mysteriöse Weise ein oder brachten verkrüppelte Junge zur Welt. Binnen weniger Jahre mehrten sich die Fälle von Darmerkrankungen und Krebs unter den Einwohnern.

Nach vier langen und harten Jahren (die der Film in kurze zwei Stunden zusammenschrumpfen ließ) hielt ich 1996 einen Scheck über 2,5 Millionen Dollar in Händen – meinen Anteil an den Schadensersatzleistungen in Höhe von einer Viertelmilliarde Dollar. Schon 1995, ein Jahr vor dem Vergleich, vermittelte meine Freundin Pamela Dumond die Geschichte an Jersey Films. Der Film, den sie dort daraus machten, sollte die erste öffentliche Anerkennung für das werden, was ich durchgemacht hatte. Dass es überhaupt zu diesem Kinofilm kam, lag vor allem daran, dass Julia Roberts sich bereit erklärte, mich zu spielen. Und sie bekam den Oscar als „beste Schauspielerin“ dafür, wie sie mich dargestellt hatte. Das ist gar nicht schlecht, oder? Aber glauben Sie bloß nicht, dass das schon alles war, was dieser Fall an Positivem nach sich zog.

Nachdem ich jahrelang in einer kakerlakenverseuchten Baracke gehaust hatte (sie sah wirklich genauso aus wie Julias Haus in dem Film), war ich nun dank meines Bonus in der Lage, mir mein Traumhaus zu kaufen – oder zumindest das, was ich dafür hielt. Und nicht genug damit, sondern ich hatte nach zwei gescheiterten Ehen in Eric endlich den perfekten Mann für mich gefunden. 1997 schien es, als hätte sich mein Leben endgültig in ein riesiges Stück Schokoladensahnetorte verwandelt – wenn man mal davon absah, dass dieses Kuchenstück verdächtig danach aussah, als hätte jemand den Teller im Regen stehen gelassen!

Das fing damit an, dass ich kurz nach meinem Einzug ins neue Haus feststellen musste, dass viele Teile aus toxischen Materialien gebaut waren. Beinahe überall mussten Wände, Fußböden und Decken herausgerissen und erneuert werden. Neben der unmittelbaren Gesundheitsgefährdung meiner Familie war da noch das Problem, dass ich das Haus in diesem Zustand auf gar keinen Fall Weiterverkäufen konnte, um mir ein anderes zu suchen. Welcher halbwegs zurechnungsfähige Mensch würde schon ein Haus kaufen, das ein ernstes Gesundheitsrisiko darstellt? Außerdem wäre ich nicht bereit gewesen, es jemandem so zu verkaufen, wie es war. Das ist einfach nicht mein Stil. Stattdessen biss ich in den sauren Apfel und renovierte das gesamte Gebäude, vom Keller bis unters Dach. Das Ganze kostete mich ungefähr noch einmal so viel wie das Haus selbst.

Und wissen Sie was? Es machte mir nichts aus! Es hat mich nicht weiter gekümmert, weil ich keine übertriebene Bindung zu meinem Haus habe. So wie es jetzt ist, ist es okay – eben ein Ort zum Schlafen, mit vier Außenwänden und einem Dach. Mehr nicht. Was immer am Ende aus dieser Sache werden mag, selbst wenn ich niemals einen Penny von den Verkäufern sehen werde, es ist und bleibt ein Haus. Auch wenn die Totalsanierung mich irgendwann eine Million Dollar gekostet haben wird – und das ist mehr als wahrscheinlich –, ist das nicht weiter schlimm. Dann werde ich mir halt etwas suchen müssen, womit ich ein bisschen dazuverdienen kann. Die Hauptsache für mich ist, dass meine Kinder ein sicheres Dach über dem Kopf haben. So viel werde ich immer sicherstellen, sei es in einem Palast oder in einer Baracke – und wir haben in beidem schon gewohnt.

Schließlich bin ich für meine Kinder verantwortlich. Deshalb habe ich meinem dritten Mann Eric von Anfang an gesagt, dass die Kinder jetzt und in alle Zukunft einzig meine Sache sind. Sie sind meine Kinder, für die ich allein die Verantwortung übernehme, und zwar seit geraumer Zeit. Dies habe ich erkannt, als ich noch hinter dem Unterhalt herrannte, um immer wieder bloß zu hören: „Ich bin blank.“

Ein paar Jahre habe ich dieses Theater mit meinen Ex-Männern mitgemacht, doch dann beschloss ich eines Tages, dass ich meine Zeit nicht länger damit verschwenden wollte, sie wieder und wieder vor den Kadi zu zerren. Also entschied ich, meine Energie ganz und gar darauf zu verwenden, mich um meine Kinder zu kümmern – allein. Das heißt zwar nicht, dass ich es in Ordnung finde, wie sich die Väter meiner Kinder um die Unterhaltszahlungen gedrückt haben, aber ich konnte und wollte es mir nicht mehr leisten, hinter ihnen herzujagen. Eines habe ich in meinem Leben gelernt: Dass ich auf das Schicksal anderer keinerlei Einfluss habe – jedenfalls nicht auf das Schicksal dieser beiden Männer –, aber mein eigenes Schicksal hatte ich durchaus in der Hand.

Es dauerte lange, bis ich das erkannt hatte, doch als es so weit war, erschien es mir wie eine Befreiung. Mein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen, war Teil einer ganzen Reihe von Entscheidungen, die ich während der vergangenen zehn Jahre getroffen habe und die allesamt mein Leben verändern sollten.

Diese Veränderungen waren Folge einer Erkenntnis, die ich durch verschiedene Geschehnisse gewonnen habe. Es dauerte eine ganze Weile, bis ich begriff, dass Gewinnen oder Verlieren im Leben weniger mit dem zu tun hat, was um uns herum geschieht, sondern viel mehr mit dem, was in uns passiert. Und wie es dazu gekommen ist, möchte ich Ihnen in diesem Buch erzählen.

Seit der Film in die Kinos gekommen ist, kommen wildfremde Leute auf mich zu und sprechen mich an. Manchmal sagen sie außergewöhnliche, manchmal aber auch nur außergewöhnlich dämliche Sachen. Andere schreiben absurde Dinge über mich, wobei es meistens darum geht, wie viel „Glück“ ich gehabt habe, wie sehr ich vom Schicksal begünstigt sei oder dass mein Leben wie eine Art Aschenputtelmärchen verlaufe. Weil das so ist, möchte ich gleich an dieser Stelle klarstellen: Niemandes Leben – und schon gar nicht meines – ist ein Märchen, egal wie sehr wir daran glauben wollen.

Ich zum Beispiel könnte schreien, wenn jemand in meiner Gegenwart etwas von „Märchenprinzessin“ faselt und davon, was das Schicksal für solch eine Prinzessin bereithält. Dazu fällt mir sofort Lady Diana ein. Sie war für jedermann das perfekte Modell der Märchenprinzessin. Doch dann starb sie viel zu früh, und auf einmal entdeckten alle, dass sie möglicherweise gar keine so verteufelt glückliche Prinzessin gewesen war.

All ihr Reichtum, ihre Schönheit und ihre Stellung konnten sie nicht vor der bisweilen grausamen emotionalen Wirklichkeit des Lebens schützen. Für eine frühere Generation stellte die First Lady Jackie Kennedy Onassis die „Märchenprinzessin“ dar, und für wieder andere war es die Leinwandgöttin Marilyn Monroe. Alle drei, und unzählige mehr, dienen unserer Phantasie vom makellosen Glück als Illusionsfutter, während ihr Leben in Wahrheit viel zu kompliziert und zu arm an Gefühlen ist oder war, als dass man es als glücklich bezeichnen könnte.

Wir sollten uns also nicht vorschnell von dem Bild der perfekten Märchenprinzessin blenden lassen. Mir ist es eigentlich egal, wie reich, wie schön, wie berühmt oder wie genial jemand ist. Jeder von uns gerät irgendwann an den Punkt, wo sein Leben zu einem Kampf wird, den man entweder gewinnen oder verlieren kann – ganz gleich wie viele gute oder schlechte Voraussetzungen man mitbringt. Letztendlich kommt es nur darauf an, dass man gewinnt, und nicht darauf, wie viel Geld oder Ruhm man erntet. Es ist unwichtig, welches Kleid jemand auf einem Zeitungsfoto anhat, bei welchem Designer man sich ankleidet oder wer einen frisiert. (Und, um bei unserem Fall zu bleiben: Seit Abschluss der Verhandlungen um die Entschädigung der Leute von Hinkley sind 50 der ursprünglich 634 Kläger an den Folgen der Trinkwasserverseuchung gestorben. Ihnen haben all die Anerkennung im Film und das viele Geld am Ende nicht helfen können.)

Die Realität

Nun überprüfen wir einmal Erin Brockovichs Realität: Seitdem ich meine 2,5 Millionen Dollar als Bonus bekam, habe ich über eine Million Steuern bezahlt. Ich werde über eine Million zahlen müssen, um mein Haus zu retten. Ich habe mich energisch gegen die Drängeleien meiner Ex-Freunde und Ex-Männer zur Wehr setzen müssen, die sämtlichst meinten, sie hätten irgendeinen Anspruch auf mein Geld, und ich habe über eine Viertelmillion für die Drogentherapien meiner beiden älteren Kinder ausgegeben.

Ja, es stimmt. Matt, mein Ältester, war vierzehn, als er zum ersten Mal mit Drogen herumexperimentierte. Natürlich war ich außer mir, da ich mein Leben lang Drogen strikt abgelehnt habe. Katie war gerade dreizehn, als sie anfing. Vielleicht waren sie beide zu schwach, sich dem Gruppendruck zu widersetzen, der für Teenager in Amerika heutzutage mehr und mehr zum Problem wird. Sie können sich ein noch so gut situiertes und nobles Viertel aussuchen, die Drogen sind schon da. Das Viertel, in das ich zog, war sogar das bestsituierte und nobelste, das man sich denken kann, und trotzdem gab es hier Drogen.

Aber das ist ein rein äußerliches Problem, das sich durch nichts und niemanden vermeiden lässt. Die Kinder haben heute viel weniger Angst als wir vor den Wirkungen von „Dope“ oder vor der enormen Abhängigkeit, die auf härtere Drogen folgt. Das hängt möglicherweise damit zusammen, dass sie mit der Fernsehwerbung für die so genannten „legalen“ Drogen groß geworden sind, oder damit, dass man heute jederzeit an alle möglichen Pillen herankommt. Vielleicht sehen sie ihre eigenen Eltern zu häufig dabei, wie sie irgendwelche Tabletten einwerfen – gegen alle erdenklichen eingebildeten und echten Leiden. Eventuell ist es aber auch einfach so, dass sie noch so jung sind und sich für unsterblich halten. Oder sie fühlen sich sicher, weil sie meinen, reiche Eltern und eine vornehme Adresse schützen sie vor dem Drogensumpf und dem Tod in der Gosse.

Auf jeden Fall hat dieses Problem noch eine zweite Seite, die weit schwieriger zu erkennen und zu bekämpfen ist. Das ist der innere Aspekt des Drogenproblems. Für Matt und Katie begannen die Schwierigkeiten wahrscheinlich mit meiner ersten Scheidung. Ihnen fehlte ein Vater in ihrem Leben, irgendein Mann, der lange genug blieb, um die Rolle eines richtigen Vaters zu übernehmen. Mit anderen Worten: Ihnen fehlte jemand, der immer für sie da war. Natürlich war ich als allein erziehende Mutter auch viel zu oft und zu lange fort, und ich werde nicht versuchen, meine Mitschuld zu leugnen. Ich war nicht im Stande, die Drogen von ihnen fern zu halten oder sie von den Drogen. Glücklicherweise war Matt willensstark und hatte die nötige Kraft in sich, um gegen seine Sucht zu kämpfen. Als ich ihn für eine Therapie anmeldete, spürte ich, wie entschlossen er war, es zu schaffen. Heute bin ich hundertprozentig sicher, dass seine Drogenprobleme Vergangenheit sind. Ich bin froh und dankbar, dass ich die Mittel hatte, ihm jedwede Hilfe zukommen zu lassen.

Auch Katie geht es mittlerweile besser. Als sie mit dreizehn Jahren zum ersten Mal auffällig wurde – sie litt unter zwanghaften Verhaltensstörungen –, war es die Hölle für uns. Beinahe ein Jahr lang weigerte ich mich einzusehen, dass ich mit ihr ebenfalls Probleme hatte. Dann erkannte ich endlich den Ernst der Lage und wandte mich an einen Erziehungsberater, der uns ein dreiwöchiges, beaufsichtigtes „Wildnisprogramm“ für Katie empfahl, das irgendwo in Utah stattfand. Anschließend schickte ich sie auf ein Internat, das sich auf Kinder mit Problemen wie Katies spezialisiert hatte. Sechzehn Monate blieb sie dort und blühte förmlich auf. Gegen Ende dann schien sie uns plötzlich wieder zu entgleiten, und die Schulleitung riet uns, Katie nochmals an einem „Wildnisprogramm“ teilnehmen zu lassen. Auch dieses Programm war in Utah, dauerte diesmal allerdings neun Wochen. Ehrlich gesagt war ich heilfroh, dass mir endlich jemand sagte, was mit meiner Tochter los war, und dass es für ihr Verhalten überhaupt eine Erklärung gab – und nicht zuletzt, dass jemand eine Ahnung hatte, was man dagegen tun konnte!

Eines Nachts, während Katie fort war, lag ich lange Zeit wach und grübelte. Ich fühlte mich entsetzlich hilflos, weil ich weder ihr noch mir selbst helfen konnte. Da beschloss ich, aufzustehen und meiner Tochter einen Brief zu schreiben. Ich wollte ihr sagen, worauf es wirklich ankam. Eigentlich schrieb ich in dem Brief, was mein Vater mir einmal geschrieben hatte. Und das hatte er sich auch nicht selbst ausgedacht, sondern zu großen Teilen von Calvin Coolidge1 übernommen. Ich nenne diese Regeln „meine Weitermachphilosophie“. Mich haben die Worte meines Vaters damals so sehr beeindruckt, dass ich seinen Brief seit zwanzig Jahren mit mir herumtrage, und ich möchte einige Sätze daraus zitieren:

Mach weiter! Ausdauer lässt sich durch nichts ersetzen. Ohne Ausdauer ist jedes Talent verschwendet, denn es gibt genügend Menschen, die Talent, aber keinen Erfolg haben. Genies erreichen ohne Ausdauer nichts auf dieser Welt – das verkannte Genie ist zu einem sprichwörtlichen Phänomen geworden. Bildung nützt nichts ohne Ausdauer – es gibt jede Menge gebildete Obdachlose. Einzig Ausdauer und Entschlossenheit können etwas bewirken. „Weitermachen!“ Nur damit ließen und lassen sich die Probleme der Menschheit bewältigen.

Calvin Coolidge

Weitermachen! Dieses Wort trifft den Nagel auf den Kopf. Als ich den Brief meines Vaters bekam, habe ich ihn wieder und wieder gelesen, jeden Tag, bis ich diese Botschaft ganz in mich eingesogen hatte. Weiterzumachen, egal was auch geschehen mag: Diese Idee überzeugte mich damals und tut es bis heute.

Als mein Vater mir diese Worte schrieb, hatte mein Leben gerade einen Frontalzusammenstoß erlitten, und ich wusste nicht, wie ich den Schaden beheben sollte. Wahrscheinlich ahnte mein Vater, dass ich etwas brauchte, woran ich mich festhalten konnte. Ich war erst Anfang zwanzig, hatte zwei gescheiterte Ehen hinter mir und musste zwei Kinder allein großziehen. Ich hatte keine abgeschlossene Ausbildung und mir war sonnenklar, dass mein Aussehen nicht reichen würde, aus mir eine berühmte Schauspielerin oder ein Fotomodell zu machen. Ich fühlte mich wie ein Niemand und meine Hoffnungen schwanden, irgendwann den richtigen reichen Mann zu treffen, der nichts sehnlicher wünschte, als mich und meine Kinder in ein großes, vornehmes Haus zu setzen und für uns zu sorgen.

Ich war voller Selbstverachtung und kurz davor, alles aufzugeben. Irgendwie konnte oder wollte ich nicht wahrhaben, dass ich außer mir selbst niemanden hatte, auf den ich mich verlassen konnte.

Weil er das wusste, hat mein Vater mir geschrieben. Er sah, dass es für mich höchste Zeit wurde, mein Leben selbst in die Hand zu nehmen, und deshalb rief er mich auf „weiterzumachen“. Und er hatte Recht. Sobald es bei mir „geklingelt“ hatte, begann ich, mir immer wieder zu sagen: „Ich denke, ich kann es, ich denke, ich kann es, ich weiß, ich kann es, ich weiß, ich kann es ...!“ Ich begriff, dass ich am Ende der einzige Mensch war, der mir helfen konnte. Ich musste mich selbst an meinen eigenen Haaren aus dem Sumpf ziehen und weitermachen!

Genau diese Botschaft wollte ich Katie vermitteln. Ich wollte ihr zu verstehen geben, dass niemand sie zu etwas zwingen kann und niemand ihr etwas nehmen kann, es sei denn, sie lässt es zu. Ich war mir sicher, dass sie es begreifen würde und es schaffen könnte. In dieser Nacht fügte ich meinem Brief an Katie noch die Zeilen hinzu: „Dieses Motto gilt für unsere ganze Familie. Glaube daran, lerne es und nutze es. Es funktioniert.“

Es brauchte einige Zeit, bis ich verstanden hatte, welche Kraft und Energie sich hinter diesem „Weitermachen“ verbergen und dass ich sie in mir selbst finden könnte. Dort schlummerten sie nämlich und warteten auf den Tag, da ich sie wachrütteln würde. Heute bin ich sicher, dass ich Katie und Matt dieselbe Botschaft weitergebe, die ich von meinem Vater empfing, nur dass sie sie schon in jüngeren Jahren bekommen haben. Sie beide haben ihren eigenen kleinen „Ich kann“-Vorrat, und das wissen sie.

Nach dem Film

Als ich meinen 2,5-Millionen-Dollar-Bonus in Händen hielt, wurde mir als Erstes klar, dass Ex-Freunde und Ex-Männer verblüffend schnell aus ihren Verstecken gekrochen kommen können, wenn es darum geht, sich wie ein hungriges Termitenvolk auf mich zu stürzen. Sicherlich erinnern Sie sich an Jorge, den „netten Kerl“ aus dem Film, der sich „freiwillig“ bereit erklärte, auf meine Kinder aufzupassen, während ich an dem Fall arbeitete? Nun, Dinge ändern sich – und Menschen ändern sich ebenfalls. Ich möchte Ihnen gern erzählen, was nach dem Abspann wirklich geschah.

Jorge und ich hatten ungefähr ein Jahr zusammengelebt, als ich mit meiner Arbeit an dem Hinkley-Fall begann. Damit ich die nötige Zeit hatte mich meiner Arbeit zu widmen, hat Ed Masrys Kanzlei Jorge als Babysitter für meine Kinder angestellt. Ja, er wurde dafür bezahlt, dass er sich um meine Kinder kümmerte. Anfangs lief alles wunderbar, und ihn schien der Himmel geschickt zu haben. Ich hatte bereits drei oder vier Babysitter hinter mir, die sich allesamt als blanke Katastrophen entpuppt hatten. Abend für Abend fand ich bei meiner Rückkehr ein vollkommen verwüstetes Haus vor. Ein Babysitter ließ meine Jüngste den ganzen Tag über brüllend in ihrem Bettchen liegen, bis sich die Nachbarn bei mir beschwerten. Sie glaubten schon, das Baby würde misshandelt. Eines Abends, als ich etwas später heimkam, fand ich Beth, die damals gerade achtzehn Monate alt war, bei den Nachbarn schräg gegenüber (ich war der roten Filzstiftspur gefolgt, die von meiner Haustür über die Straße zur Tür der Nachbarn führte). Das Kindermädchen hockte derweil im Haus vor dem Fernseher.

Jorge, der Motorradfahrer, zog also zu mir. Er machte damals eine harte Zeit durch. Zwar arbeitete er in der Handwerksfirma seines Vaters, doch es gab nur wenige Aufträge, so dass Jorge nicht allzu viel verdiente. Dann plante sein Bruder, der den Betrieb übernommen hatte, mit der Firma in einen anderen Staat zu übersiedeln. Da Jorge gern mit den Kindern zusammen war und sie ihn mochten, schlug mein Boss Ed vor, dass wir ihm anbieten sollten, fest als Babysitter zu arbeiten. Ich war einverstanden.

Dieses Angebot kam zu einer Zeit, als meine Arbeit am Hinkley-Fall einen kritischen Punkt erreichte. Ich hatte Unmengen Informationsmaterial gesammelt, das überprüft, ergänzt und sortiert werden musste. Außerdem war ich im Verlaufe meiner Nachforschungen den Menschen in Hinkley immer näher gekommen, und ich fühlte mit ihnen mit. Es war bewundernswert, mit welcher Energie sie gegen alle Widrigkeiten ums nackte Überleben kämpften. Ihre Unermüdlichkeit erinnerte mich zwangsläufig an meinen eigenen Überlebenskampf, und ich hatte das Gefühl, ihnen einfach alle Zeit und Mühe schenken zu müssen, die ich irgend erübrigen konnte. In dieser Situation kam Jorge wie gerufen. Er kümmerte sich vorbildlich um die Kinder, während ich mich ganz und gar auf den Hinkley-Fall stürzte.

Vielleicht sollte ich besser gleich zu Anfang sagen, dass ich Jorge niemals für meinen „Traummann“ hielt. Ich mochte die Art, wie er mit den Kindern umging, und ich war ihm dankbar, aber ich habe niemals einen Hehl daraus gemacht, dass ich nicht in ihn verliebt war. Und wenn ich ehrlich bin: Vielleicht hätte er ja sogar aus lauter Nettigkeit meine Kinder gehütet, aber so war es nun einmal nicht. Er wurde dafür bezahlt. Alle zwei Wochen trudelte ein beachtlicher Scheck für ihn ein. Nebenher wohnte er auch noch mietfrei in meinem Haus, da ich die Kosten nach wie vor allein trug, und Eds Kanzlei stellte Jorge einen Wagen, damit er sich mit den Kindern frei bewegen konnte.

Als ich dann 1997 meinen Bonus bekam und beschloss, ein neues Haus zu kaufen, hielt ich den Zeitpunkt für angebracht, um mich von dem Motorradfahrer zu trennen. Es war nicht das erste Mal, dass ich ihn bat zu gehen, aber zum ersten Mal hatte ich die nötigen Mittel, tatsächlich auf ihn verzichten zu können. Zuvor hatte es unzählige Momente gegeben, in denen ich Jorges Selbstgefälligkeit und seiner dauernden Betonung dessen, wie lebenswichtig seine Hilfe für uns war, überdrüssig geworden war. Ich konnte es einfach nicht mehr hören und setzte ihn vor die Tür. Er hat nie verstanden, dass er uns schließlich keinen Gefallen getan hat, sondern da war, weil Ed und ich ihn engagiert hatten und ihn bezahlten, damit ich meine Arbeit machen konnte.

Schon 1995 bat ich ihn zum ersten Mal, mein Haus zu verlassen. Er weigerte sich nicht nur, sondern machte mir eine hässliche Szene. Ich erzählte Ed davon, der den Sheriff einschalten wollte. Glücklicherweise war es dann doch nicht notwendig. Als Jorge klar wurde, dass Ed und ich es ernst meinten, ging er freiwillig. Kurze Zeit später meldete er sich mit einer Unterhaltsforderung bei mir zurück. Er verlangte satte 3 Millionen Dollar! Schockierend, wie diese absurde Forderung war, bestätigte sie mir doch nur, was ich schon seit längerem vermutet hatte: Es war ihm eigentlich nie um die Kinder gegangen, sondern für ihn war es immer nur eine bequeme Möglichkeit gewesen, umsonst zu wohnen und zu essen – nicht mehr und nicht weniger. Eines Abends fand ich einen Brief von ihm in der Post. Es waren die Fotos meiner Kinder, und ich dachte: ,Jetzt schickt der Kerl ihre Bilder zurück!“ Das tat weh.

Natürlich war diese Geschichte mit der Unterhaltsforderung lächerlich und vollkommen aussichtslos. Trotzdem verhandelte Ed mit Jorge und dessen Anwalt einen „Abschiedsbonus“ in Höhe von 40.000 Dollar, damit endgültig Ruhe einkehrte. Zusätzlich zu diesem Geld kaufte ich Jorge im Jahr darauf, nachdem ich meinen Bonus bekommen hatte, eine speziell angefertigte Harley für 20.000 Dollar. Ein paar Jahre früher, als es uns besonders schlecht ging, hatte er nämlich seine Harley versetzt, und ich wollte es wieder gutmachen.

Er tat mir sogar so Leid, dass ich nachgab, als er kam und um eine zweite Chance bat. Ich ließ ihn wieder bei mir einziehen. Der Grund für mein Nachgeben war aber wohl eher meine kleine Tochter Beth gewesen. Sie saß eines Abends in der Badewanne und fragte: „Wo ist Jorge?“

Ich versuchte, sie abzulenken, doch sie blieb beharrlich. „Sag schon, Mom, du weißt doch, wer das ist!“

„Na und, was ist mit ihm?“

„Ich vermisse ihn“, sagte sie.

Von einer Minute zur anderen fühlte ich mich hundeelend. Ihretwegen. Während ihrer ersten Lebensjahre war der Motorradfahrer die einzige konstante Vaterfigur für sie gewesen. Ich fragte mich, ob es nicht egozentrisch von mir war, ihn rauszuwerfen, ohne an meine Kinder zu denken. Also kam ich zu dem Schluss, dass ich ihm noch eine Chance geben müsste. Diesmal bestand Ed allerdings darauf, dass Jorge eine Vereinbarung Unterzeichnete, die mich vor möglichen weiteren Forderungen schützen sollte.

Doch leider erkannte ich, welchen Fehler ich gemacht hatte, sobald er zurück war. Ich wusste, dass es nicht funktionieren konnte. Zumal mir die Fotos, die er zurückgeschickt hatte, nicht aus dem Kopf wollten. So gesehen war es wenig überraschend, dass dieser letzte Versuch bereits nach einem Monat scheiterte. Im Mai 1998 ging Jorge für immer.

Auch weiterhin liehen Ed und ich ihm Geld, um ihm auf die Beine zu helfen, und er kassierte eine beträchtliche Summe dafür, dass seine Person im Film dargestellt werden durfte. Alles in allem hat sich für ihn die Zeit mit mir und meinen Kindern reichlich bezahlt gemacht.

Kaum dass Jorge fort war, meldete sich mein erster Mann, Shawn, von dem ich seit zwölf Jahren geschieden war, und wollte von Ed und mir 10.000 Dollar, um sich einen Wohnwagen zu kaufen. Es war nicht das erste Mal, dass er mich um finanzielle Hilfe bat. Die Jahre zuvor hatte ich ihm mehrfach geholfen – sofern es mir möglich gewesen war. Immerhin war er der Vater meiner zwei älteren Kinder. Ich hatte ihm Geld geliehen, damit er seine Teppichreinigungsfirma gründen konnte, und ich kaufte ihm sogar einen sehr guten Gebrauchtwagen. Möbel, die ich nicht mehr brauchte, schenkte ich ihm. Und das alles, obwohl ich mit ihm jede Menge Stress wegen der Unterhaltszahlungen für die Kinder gehabt hatte. Aber gerade um der Kinder willen wollte ich unser Verhältnis so freundschaftlich gestalten, wie es ging – er lebte zu jener Zeit in unserer Nähe und sah die beiden häufiger. Außerdem fand ich es vollkommen in Ordnung, ihm sein Leben leichter zu machen, da ich es mir leisten konnte.

Ich war überglücklich und dankbar für den Erfolg im Hinkley-Fall. Deshalb wäre es mir falsch vorgekommen, mein Glück nicht ein wenig mit ihm zu teilen. Vielleicht war es naiv von mir zu meinen, dass Freundlichkeit und Großzügigkeit irgendeinen Eindruck auf meinen Ex-Mann machten, aber ich glaubte, mein Handeln wäre eine Art gutes Beispiel für ihn.

Wie sich herausstellen sollte, hatte ich mich auf ganzer Linie getäuscht. Als Shawn in der Zeitung die Vorankündigung für den Film entdeckte, beschwerte er sich sofort bei Ed und mir, weil er meinte, nun würde vor aller Welt ausposaunt, was für ein erbärmlicher Vater er war. Ich versuchte, ihn zu beruhigen, aber das erwies sich als ein weiterer Fehler. „Shawn“, sagte ich zu ihm, „du wirst in dem Film nicht einmal erwähnt.“ Was ja auch stimmte. Sein Name wird kein einziges Mal genannt, ebenso wenig wie jemals etwas davon gesagt wird, was für ein Mensch er ist. „In dem Film geht es darum, was den Leuten in Hinkley passiert ist. Verstehst du das denn nicht?“