Cover

Über dieses Buch:

„Krafttiere sind ein Teil unserer Seele, sie begleiten uns auf dem Weg durchs Leben und zeigen uns die Pfade, die aus der Finsternis ins Licht führen.“

Begleiten Sie den Experten für indianische Kultur Gerhard Buzzi auf seiner Reise durch das geheimnisvolle Land der Lakota und begegnen Sie einem ehrwürdigen Medizinmann, der vom geheimen Wissen um die Macht der Krafttiere berichtet. Lernen Sie, wie Sie Ihr ganz persönliches Krafttier finden – vom Wolf über die Eule bis hin zum Bär – und wie Sie mit ihm in Kontakt treten können. Denn auch im heutigen, modernen Alltag ist diese mystische Verbindung möglich und wird Ihnen neue Kraft und Energie schenken.

Über den Autor:

Gerhard Buzzi, geboren in Österreich, lebt mit seiner Familie in Hamburg. Seit über 20 Jahren arbeitet er als Autor und Personal Trainer. Ausgedehnte Reisen führten ihn quer durch Amerika, wo er mit der spirituellen Welt der Indianer in Berührung kam. Der Autor, der in Santa Fe, New Mexico, seine dritte Heimat gefunden hat, geht selbst den „Indianischen Weg“ und hält darüber Vorträge in Schulen und Museen. Zudem engagiert er sich in verschiedenen Indianerprojekten.

Bei dotbooks erschienen Gerhard Buzzis spiritueller Erfahrungsbericht Die Weisheit der Lakota und Der Geist des Falken.

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eBook-Neuausgabe April 2016

Copyright © der Originalausgabe 2000 © Heinrich Hugendubel Verlag Kreuzlingen/München

Copyright © der Neuausgabe 2016 dotbooks GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten. Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Titelbildgestaltung: Tanja Winkler, Weichs

Titelbildabbildung: © kalininavk (fotolia.com)

eBook-Herstellung: Open Publishing GmbH

ISBN 978-3-95824-630-0

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Gerhard Buzzi

Krafttiere

Wie sie stärken, schützen, heilen

dotbooks.

Danksagung

Tunkashila, Großvater. Ich möchte mich bei Dir für Deine Geduld und Deine Liebe bedanken.

Ich richte diese Worte an Dich, wo immer Du sie hören magst. In Deinem Holzhaus, das für mich zum Tempel der Demut wurde, oder in der anderen Welt, auf die Du Dich so gefreut hast. Ich weiß, in diesem Moment siehst Du mir über die Schulter und lachst. Ich spüre Deinen Geist und Deine Wärme. Du bist bei mir und dafür danke ich Dir. Solange ich lebe.

Ich danke den Spirits, den Geistwesen und meinen Krafttieren für die Unterstützung. Ohne ihre Zustimmung hätte ich dieses Buch nie schreiben können.

Danke auch meiner Familie und meinen Freunden, die mich auf dem Weg begleitet haben.

Die Büffelfrau

Vor vielen Jahren lebte ein junger Lakota-Krieger in den Weiten der Prärie, er hörte auf den Namen Roter Habicht. Schon als Kind waren die wilden Tiere seine Freunde, und der Junge wuchs zu einem stattlichen Jäger heran. Kein anderer konnte so geschickt mit Pfeil und Bogen umgehen wie Roter Habicht. Er schoß die größten Hirsche und erlegte die fettesten Büffel – sein Stamm ernannte ihn deshalb zum Büffelspäher.

Wenn das Fleisch im Lager zur Neige ging, machte sich Roter Habicht auf, eine Büffelherde auszukundschaften. Nach erfolgreicher Jagd dankte der Lakota den Tieren, daß sie sich für die Menschen geopfert hatten. Der Krieger lebte in Frieden und in Einklang mit den Tieren der Prärie.

Eines Tages war Roter Habicht allein auf der Jagd. Er streifte durch das weite Land und kam an einen Fluß, wo sich die Büffel trafen, um daraus zu trinken. Er legte sich auf die Lauer und wartete. Es dauerte nicht lange, da sah er eine Büffelkuh, die gemächlich dem Flußufer zumarschierte. Der Späher spannte seinen Bogen und zielte auf das mächtige Tier.

Doch mit einem Male war es verschwunden, wie vom Erdboden verschluckt. Roter Habicht kroch näher an das Ufer heran und statt des Büffels sah er im Gras eine wunderschöne Frau sitzen. Sie schöpfte mit einem Horn Wasser aus dem Fluß. Bevor sie ihren Durst stillte, benetzte sie mit dem klaren Wasser Blumen und Gräser, formte ihre Hand zu einer Tränke, an der sich buntschillernde Schmetterlinge niederließen.

Roter Habicht sah, daß die Frau nicht zu seinem Stamm gehörte. Ihr Kleid war ohne Perlenstickereien, auch ihr Haar trug die Frau nicht zu Zöpfen geflochten, sondern es fiel ihr glatt über die Schultern. Der junge Lakota-Krieger beobachtete die fremde Schönheit eine Weile, dabei stieg ihm der Duft von wildem Salbei und Prärieblumen in die Nase. »Sie duftet so gut«, dachte er bei sich. Das Herz von Roter Habicht schlug schneller und er spürte – das war Liebe.

Er kam aus seinem Versteck heraus und sprach die junge Frau an. Sie hob ihren Kopf, lächelte und sagte: »Ich komme aus dem Volk der Büffel. Meine Leute sendeten mich zu dir. Du warst immer gut zu ihnen, du bist aufrichtig und ehrlich. Ich möchte deine Frau werden. Mein Volk wünscht, daß unsere Liebe Beispiel ist für andere und viele uns folgen mögen.«

Roter Habicht nahm die wunderschöne Frau an der Hand und führte sie zu seinem Stamm, wo die beiden heirateten. Sie zogen in ein großes Tipi, in dem sie glückliche Jahre verlebten. Wakan Tanka, der Große Geist, schenkte ihnen einen Sohn, den sie Kalb-Junge nannten.

Aber das Glück war nicht von langer Dauer. Viele Leute seines Stammes waren mit der Wahl von Roter Habicht nicht einverstanden. »Sie hat keine Familie«, sagten sie, »was ist mit ihrem Vater und ihrer Mutter passiert? Außerdem benimmt sie sich oft wie ein wildes Tier. Sie gehört einfach nicht zu unserer Familie.«

Und eines Tages, als Roter Habicht auf der Jagd war, versammelte sich die Verwandtschaft vor seinem Tipi und sagte zu seiner Frau: »Gehe weg von hier, kehre zurück, wo du hergekommen bist, wir wollen dich hier nicht mehr haben.« Traurig nahm die junge Frau ihren Sohn Kalb-Junge an die Hand und gemeinsam verließen sie das Dorf, ohne sich noch einmal umzusehen.

Als Roter Habicht nach Hause kam, fand er sein Tipi leer. Er suchte überall nach seiner Frau und seinem kleinen Sohn. Schließlich erfuhr er, was passiert war und machte sich sofort auf die Suche nach seiner kleinen Familie. Er folgte ihren Spuren und lief Meilen über Meilen durch die Prärie. Mehrmals verlor er die Spur, dann halfen ihm Schmetterlinge und Vögel, sie wiederzufinden.

Nach mehreren Tagen sah er am Horizont Rauch aufsteigen, er kam aus einem Tipi. Vor dem Zelt spielte Kalb-Junge und als er seinen Vater sah, lief er ihm freudestrahlend entgegen. »Vater, Vater, schön, daß du gekommen bist«, jubelte der Junge. »Komm ins Zelt, Mutter hat bereits für dich gekocht.« Und wirklich: Über dem Feuer dampfte eine köstliche Suppe, es roch nach Salbei und anderen Gewürzen. Roter Habicht fiel seiner Frau in die Arme und stammelte vor Glück: »Ich bin so froh, daß ich euch gefunden habe.«

»Ich gehe nach Hause zu meinem Büffelvolk«, sagte sie. »Ich kann nicht in deinem Dorf leben, wir sind zu unterschiedlich. Bitte folge uns nicht, es könnte sehr gefährlich für dich werden.« Roter Habicht schaute seine Frau mit großen Augen an. »Aber ich liebe dich und meinen Sohn«, erwiderte er. »Ich folge euch, wohin ihr auch immer geht.« Es wurde Nacht, und die drei schliefen Arm in Arm ein.

Am nächsten Morgen jedoch schaute Roter Habicht in den blauen Himmel. Verwundert blickte er sich um, das große Tipi war verschwunden und mit ihm seine Frau und Kalb-Junge. »War das Zusammentreffen nur ein Traum?« Verwundert untersuchte der junge Krieger den Boden der Prärie. Nein, hier war deutlich der Kreis des Tipis zu erkennen und außerdem hatte er noch den Geruch von wildem Salbei in der Nase. So wunderbar roch nur seine Frau.

Roter Habicht machte sich erneut auf den Weg und folgte den Spuren seiner Familie. Gegen Abend sah er das rote Tipi erneut in der untergehenden Sonne leuchten. Kalb-Junge sprang ihm freudestrahlend entgegen und gemeinsam betraten sie das Zelt, wo Roter Habicht von seiner Frau begrüßt wurde. Sie sagte zu ihm: »Mein Volk lebt hinter diesen Hügeln dort, sie wissen, daß ich komme. Meine Leute sind böse auf deine Verwandtschaft, sie war nicht gut zu mir. Bitte folge mir nicht, sonst werden sie dich töten.«

Roter Habicht legte seinen Arm behutsam auf die Schulter seiner hübschen Frau und sagte: »Es macht mir nichts aus, für euch zu sterben. Du weißt, ich liebe euch beide, ich kehre nicht mehr zu meinem Stamm zurück.« Als sie sich schlafen legten, band Roter Habicht das lange schwarze Haar seiner Frau um sein rechtes Handgelenk. Er hoffte, sie so am Weggehen hindern zu können, aber am nächsten Morgen lag er wieder allein unter dem blauen Himmelszelt.

Zum dritten Mal suchte Roter Habicht den Boden nach Fußspuren ab, aber diesmal fand er nur die Hufabdrücke einer Büffelkuh mit ihrem Kälbchen. Er wunderte sich über die Fährte, als ein Habicht über ihn hinweg flog. Der Vogel rief dem jungen Mann zu: »Sie sind nach Hause gegangen, sie sind nach Hause gegangen.« Da wußte Roter Habicht, daß die Hufabdrücke von seiner Frau und seinem Sohn stammten. Er folgte der Fährte bis hin zur Hügelkette, die sich mitten aus der Prärie emporhob. Von der Spitze aus schaute er ins Tal und traute seinen Augen nicht. Tausende Büffel standen dicht an dicht, ihre fellbedeckten Leiber glichen einem wogenden Ozean, die hellen Hörner tanzten Schaumkronen gleich auf den Spitzen der Wellen.

Roter Habicht ging furchtlos den steilen Pfad hinab, als ihm ein Kälbchen entgegenlief, es war sein Sohn. »Vater«, sagte er, »Vater, kehre bitte um, geh zurück, sie werden dich töten.« Aber Roter Habicht antwortete: »Nein, mein Platz ist an eurer Seite, ich möchte immer in der Nähe von dir und deiner Mutter sein. Ich liebe euch.« »Dann mußt du sehr tapfer sein«, sagte sein Sohn. »Mein Großvater ist Häuptling der Büffel-Nation, zeige keine Furcht vor ihm, sonst tötet er dich. Großvater wird dich fragen, ob du mich und Mutter aus all den Büffeln hier herausfinden kannst. Wir mögen für dich alle gleich aussehen, aber ich wackle mit dem rechten Ohr und Mutter stecke ich eine blühende Distel in den Rücken, daran wirst du uns erkennen.«

Kalb-Junge trottete davon, als sich ein mächtiger Büffel aus der Herde löste und auf Roter Habicht zugaloppierte. Seine beiden Hörner waren mit Adlerfedern, Salbei und bunten Perlen geschmückt. Das große Tier schnaubte so laut, daß die Erde erzitterte. Der Lakota- Krieger stand regungslos vor ihm, er zeigte keine Angst. »Du bist ein furchtloser Mensch«, sagte Großvater-Büffel, »das hat dir das Leben gerettet. Folge mir.« Der Anführer der Büffel-Nation ließ alle Tiere sich in Kreisen aufstellen. Die Kälbchen bildeten den innersten Kreis, dann folgten die Jährlinge, die Kühe und schließlich die Bullen.

»Furchtloser Mann«, sagte Großvater-Büffel so laut, daß es alle hören konnten. »Du bist gekommen, weil die Liebe in dir übermächtig war, das ehrt dich. Finde deinen Sohn und deine Frau. Gelingt es dir nicht, werden wir dich zu Tode trampeln.«

Roter Habicht ging in den Kreis der Kälbchen, und schaute jedem Tier tief in die Augen. Er konnte keinen Unterschied herausfinden, bis eines der Kleinen mit dem rechten Ohr wackelte. »Das ist mein Sohn«, sagte der Lakota-Krieger und streichelte Kalb-Junge zärtlich den Kopf. Da ging ein Raunen durch die Reihen der Büffel. »Er hat seinen Sohn gefunden«, sagten sie, »er muß ein guter Vater sein.« Dann ging Roter Habicht durch die Reihen der Büffelkühe. Wieder blieb er kurz vor jedem Tier stehen, aber sie sahen für ihn alle gleich aus, bis er die blühende Distel auf dem Rücken einer Kuh entdeckte. »Das ist meine Frau«, sagte er und legte seinen Arm zärtlich um ihren Kopf.

Wieder ging ein Raunen durch die Reihen der Büffel. Sie sagten: »Er hat seine Frau gefunden, er muß ein guter Mann sein.« Großvater-Büffel kam und sagte: »Furchtloser Mensch, du liebst deinen Sohn und deine Frau, du warst bereit für sie zu sterben, jetzt bist du einer von uns. Roter Habicht mußte sich in das Tipi legen, das einmal seiner Frau gehörte. Er legte sich auf ein Büffelfell, das mit beiden Hörnern und den vier Hufen bestückt war. Drei Tage und Nächte umrundete die Büffelherde immer und immer wieder das Tipi und die Luft erfüllte sich mit ihrem Grunzen und der Staub verdunkelte den Himmel.

Am vierten Tag zogen sich die Kälbchen und Kühe zurück, nur die Bullen blieben. Auf Kommando stürmten sie auf das Tipi und rissen es nieder. Sie rollten den Krieger in seinem Fell hin und her, bedeckten seinen Körper mit Schmutz und Staub – so lange, bis sein menschlicher Geruch verflog. Langsam verschwanden seine Beine, seine Arme, sein Oberkörper, sein Kopf. Immer wieder rollten die Büffel das Bündel aus Fell und Körper hin und her. Schließlich hielten sie inne und scharrten mit den Hufen. In diesem Augenblick erhob sich Roter Habicht. Nicht mehr als Mensch; er stand auf vier Beinen, hatte einen mächtigen Schädel mit zwei Hörnern, er war ein junger, kräftiger Bulle geworden …

Die Büffel-Nation feierte diesen wundervollen Tag. Mensch und Büffel waren mehr als Blutsbrüder, sie wurden zum selben Geschöpf. Die Büffel opferten sich dem Menschen, damit dieser immer genug Fleisch hat und überleben kann. Solange die Gesetze des Großen Geistes eingehalten werden, wird die Liebe zwischen Mensch und Tier nie vergehen. Eine spirituelle Brücke verbindet die beiden Völker auf immer und ewig.

Auf immer und ewig?

***

Dieses wunderschöne Indianermärchen über die Büffel-Nation erzählte mir Betty Wolf Cat, eine alte Lakota-Frau. Wir campten in den Bad Lands in South Dakota, einer wildromantischen, felsenzerklüfteten Landschaft inmitten der Prärie. Wind, Regen und Kälte hatten im Laufe der Jahrmillionen ihre Visitenkarten hinterlassen, indem sie mächtige Felsen zu bizarren Steinfiguren formten. Unweit unseres Lagerfeuers hatte sich eine Handvoll Bisons zur Nachtruhe auf den von der Sonne erwärmten Grasboden gelegt. Ich erzählte Betty Wolf Cat von meinem ersten Zusammentreffen mit wildlebenden Büffeln, hier in den Bad Lands:

Es war eine tiefschwarze, sternklare Nacht wie diese und wie immer in der Wildnis, schlief ich auf der offenen Ladefläche meines Pick-ups. Mitten in der Nacht, ich lag in den schönsten Träumen, wurde ich durch ein wildes Rütteln und Schütteln aus meinem Schlaf gerissen.

Es dauerte einige Zeit, bis ich mich aus meinem Schlafsack schälen konnte. Noch immer schaukelte mein Wagen hin und her und ich rutschte auf der Ladefläche von einer Seite auf die andere. Als sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, sah ich mehrere Büffel, die um mein Auto standen. Einige von den mächtigen Zotteltieren rieben sich ihre breiten Schultern an den Seitenklappen der Ladefläche. Ich saß senkrecht, starr vor Angst, als sich ein mächtiger Schädel zu mir drehte. Der Büffelkopf war keinen halben Meter von mir entfernt, ich konnte den heißen Atem des Tieres spüren. In meiner Verzweiflung begann ich zu singen.

Tratranka uamanie-e

Ate he-elo ate he-elo

Maku tschewa waschte

Tschitschu pitscha

Jani pinkte lo

Ate he-elo ate he-elo

Tratranka uamanie-e

Ate he-elo ate he elo

Tschanupa wa

Tschitschu pitscha

Jani pinkte lo

Ate he-elo ate he-elo

»Schaut, das Büffelvolk wandert.

Der Großvater gab

uns diese schöne Erde

auf der wir leben dürfen.

Er sagte: Ihr werdet Kinder bekommen

und die Erde und ihre Kinder respektieren.

Das sind die Lehren des Großen Geistes.

Das sind die Lehren unseres Großvaters.

Schaut, das Büffelvolk wandert.

Der Großvater gab uns

die heilige Pfeife,

sie verbindet uns

mit dem Herzen der Erde.

Mit der Pfeife dürfen

wir um alles bitten, was wir brauchen,

und alles wird uns gegeben werden.

Das sind die Lehren des Großen Geistes.

Das sind die Lehren unseres Großvaters.«

Das ist ein jahrtausendealtes, heiliges Lied der Lakota. Ich sang es laut, mit bebender Stimme und mein Herz klopfte mir bis zum Hals. Ich schielte zwischendurch immer wieder zu dem mächtigen Bullen, der sich jedoch nicht von der Stelle rühren wollte. Ich hatte das Lied zu Ende gesungen und die Tiere standen immer noch wie angewurzelt da. Sie glotzten mich mit ihren kleinen Augen an, so, als würden sie auf eine Zugabe warten. In meiner Verzweiflung begann ich das Büffellied erneut zu singen, immer noch unfähig, mich zu bewegen. Langsam jedoch wich die Angst und ich fühlte eine Art Verbundenheit mit den Tieren, die sich immer noch nicht von der Stelle rührten. Vorsichtig streckte ich dann meinen linken Arm aus und begann den Bison zärtlich zwischen den Augen zu kraulen. »Lieber Bison«, sagte ich mit leiser, bebender Stimme, »ich heiße Gerhard und komme von weit her, um hier von den heiligen Dingen zu lernen. Zu Hause warten meine Frau und meine drei Kinder auf mich und es wäre schön, wenn ich sie Wiedersehen könnte.« Der Bulle bewegte seinen Kopf nicht, er schien die Massage sogar zu genießen. Nachdem ich das Lied zum dritten Mal gesungen hatte, nahm ich meinen ganzen Mut zusammen und sagte laut: »Kinder, jetzt reicht es aber. Ich bin müde und möchte schlafen. Ich bete für das Büffelvolk und bitte den Großen Geistgroßvater, daß er euch beschützen möge. Bitte, geht eurer Wege.« Da drehten die Tiere wie auf Kommando um und trotteten von dannen, hinein in die dunkle, undurchdringliche Nacht.

Von diesem Tag an spürte ich in meinem Herzen eine spirituelle Verbindung mit der Büffel-Nation, und manchmal habe ich das Gefühl, daß sämtliche Bisons zwischen Montana und South Dakota von meiner Begegnung in den Bad Lands erfahren haben und mir brüderlich vertraut sind. Ich habe im Laufe der Jahre noch viele Begegnungen mit der Büffel-Nation gehabt und die Tiere führten mich in die Tipis der Bären, Kojoten, Hirsche, Adler und anderer Tiere, die im Schutz von Mutter Erde auf die Liebe und Zuneigung der Menschen warten, um sich mit ihnen zu verbrüdern.

In dieser Nacht in den Bad Lands reifte in meinem Herzen die Idee zu diesem Buch, und das Märchen von der Büffelfrau bestärkte mich in meinem Vorhaben.

***

Betty Wolf Cat erzählte mir noch viele indianische Märchen, Geschichten über Tier und Mensch, über Freundschaft und Liebe, wunderschön und herzergreifend. Aus jedem ihrer Worte sprang ein spiritueller Funke über, der mich tiefer und tiefer in die Seelen meiner Mitgeschöpfe zog, bis ich keinen Unterschied mehr feststellen konnte, zwischen den Menschen und dem Adler, dem Bären und dem Kojoten. Betty Wolf Cat spülte meine geflügelte Energie ans Tageslicht, sie ließ mich die Kraft des Büffels spüren, sie gab mir die Leichtigkeit des Adlers und die Klugheit des Wolfes, ich war Tier und Mensch in einer Person.

Die Lakota verehren die Tiere wie Götter, sie sind Geist und Erhabenheit, Güte und Stärke, Lachen und Trauer. Tiere sind ihr spiritueller Ursprung, jene haben die Kraft und Energie beseelter Lebewesen. Die Lakota kennen vier Völker auf dieser Erde, die ihre Mutter ist: Das Volk der Steine, das Volk der Pflanzen, das Volk der Tiere und das Volk der Menschen. Wir stehen in der Rangfolge an letzter Stelle, die Zweibeiner haben die Planeten auch als letzte betreten. Steine, Pflanzen und Tiere haben die älteren Rechte und sind nach dem Verständnis der Indianer aus diesem Grunde weiser als die Menschen, ihnen gilt der Respekt des Älteren.

Tiere sind mehr als nur Freunde und Weggefährten, sie sind unsere Verbündeten. Als Krafttiere sind sie Beschützer, Hüter des Wissens und spirituelle Lehrer des Menschen. Schamanen und Medizinmänner erbitten von ihnen Rat und Hilfe bei Heilzeremonien, sie verehren die Geistwesen in Liedern und Gesängen und nutzen ihre Weisheit zum Wohle anderer.

Ich möchte Sie auf die Reise zu Ihrem persönlichen Krafttier einladen. Krafttiere sind Wesen aus einer anderen Welt, einem Ort, wo Raum und Zeit keine Rolle spielen, an dem die Frage nach dem Sinn des Lebens neu gestellt wird und Blumen und Wolken Ihre Sprache sprechen.

Krafttiere sind ein Teil unserer Seele, sie begleiten uns auf dem Weg durchs Leben und bereiten die Menschen auf einen glücklichen Tod vor. Krafttiere zeigen uns die Pfade, die aus der Finsternis ins Licht führen, dorthin, wo die Liebe zu Hause ist, wo Sanftmut und Toleranz die Herzen regieren, wo Neid und Habsucht keinen Platz finden. Haben Sie den Mut und begleiten Sie mich auf meiner Fahrt durch das Land der Lakota, lernen Sie meinen Großvater kennen, einen alten Medizinmann der Sioux (sprich »ssu«). Ich nenne den alten Mann Großvater, weil alte Menschen in der Reservation häufig mit Großmutter oder Großvater angesprochen werden. Außerdem tut sein Name hier nichts zur Sache.

Ihm verdanke ich mein Wissen, er brachte im Laufe der Jahre mein altes Weltbild zum Einsturz – und dafür bin ich ihm ewig dankbar.

Meine Reise zu den Krafttieren ist auch Ihre Reise. Sie führt aus der Prärie von South Dakota hinaus in die Wälder und Berge von Wyoming und Montana.

***

Zurück in Deutschland besuchte ich Menschen, die über ihre außergewöhnlichen Erlebnisse mit Tieren erzählen. Geschichten, die uns staunen lassen, die Hoffnung geben, daß der Mensch eines Tages sein Herz so weit öffnet, um den Mitgeschöpfen mit Liebe und Demut begegnen zu können. Der Mensch darf sich nicht länger als Krone der Schöpfung sehen, er muß begreifen, daß die Tiere spirituelle Freunde sind, Lebewesen, denen der Schöpfer eine Seele eingehaucht hat. Wir müssen wieder lernen, die Tiere ernst zu nehmen, sie als Mitbewohner unseres Planeten zu akzeptieren. Sie sind Kinder von Mutter Erde, wie wir.

Menschen sperren Tiere in enge Käfige, sie werden von uns gequält und mißhandelt, mißbraucht und zu Tode geschunden. Ihre verletzten Seelen werden nicht aufgefangen durch Trauer und Tränen, niemand trägt sie durch Gebete und Lieder in die andere Welt. Dieses Buch soll Verstehen lehren, es soll helfen, die Herzen und Seelen von Tier und Mensch zusammenzuführen, sie in ein gemeinsames Licht zu bringen.

Die Reise zur Hirschkuh

Es regnete in Strömen, die schweren Wassertropfen klatschten im Stakkato auf die Windschutzscheibe meines Autos, laut wie Trommelschläge.

Es war Ende Mai und ich hatte mich auf ein warmes Frühjahr gefreut, auf Abende, an denen die Sonne mit ihren feuerroten Strahlen die Gräser der Prärie streichelt, bevor sie, begleitet vom stimmgewaltigen Chor der Grillen, am Horizont in der Versenkung verschwindet. Doch der Regen konnte meinem Herzen keine Träne entlocken, denn ich war auf dem Weg zu meinem indianischen »Großvater«, dem alten Lakota-Medizinmann. Uns trennten nur noch wenige Meilen.

Die Fahrt von Rapid City, tief hinein in die Pine-Ridge-Reservation der Oglala-Sioux, ist jedesmal ein Erlebnis, es ist eine Reise in die andere Welt. Geist und Seele werden frei, Gedanken fliegen, Raubvögeln gleich, hoch in die Wolken. Sie drehen Kreise über meinem Kopf und rufen mir von oben zu: »Gerhard, du bist zu Hause bei deinen Ahnen.«

Ich schloß während der Fahrt für Bruchteile von Sekunden meine Augen, eine längere Dauer könnte bei 70 Meilen in der Stunde unangenehme Folgen haben. Doch dieser Augenblick reichte, um meine Seele einzustimmen, sie in Gleichklang zu bringen mit dem Pulsschlag der Prärie. Die dumpfen Schläge einer mächtigen Tanztrommel drangen an mein Ohr, begleitet von kehligen Stimmen, die mir aus er Ferne zuriefen: »Willkommen Weißer Bruder im Land unserer roten Seelen.«

Ich hatte meinen indianischen Großvater über ein Jahr lang nicht gesehen. Fünfzehn Monate können eine Ewigkeit sein oder auch nur der Hauch eines Büffels im eisigen Winter. Zeit ist relativ, aber einem weißen Stadtmenschen zerschmilzt sie oft wie Eis in den Händen, werden Tage und Wochen zum Feind, gegen den man zu Felde zieht und immer der Verlierer bleibt. Für Großvater mögen 15 Monate wie der Flügelschlag einer Libelle sein, für ihn, den weisen Medizinmann und Schamanen, spielt Zeit keine Rolle. Er macht sich über viele Dinge Gedanken. Er spricht mit den vier Winden und singt den Geistern ein Lied Zeit spielt dabei keine Rolle. Entweder man hat sie oder ihr Geheimnis bleibt einem für immer verschlossen.

Der alte Indianer saß vor seinem verwitterten Holzhaus, als ich meinen Pick-up langsam ausrollen ließ und den Motor abstellte. Die Regenwolken hatten inzwischen ihre Schleusentore verriegelt und die Sonne schob den Mond zur Wachablösung über das Firmament. Ich atmete tief durch und ging auf den Mann zu, der sein silbergraues Haar zu zwei Zöpfen geflochten hatte. »Hallo, Großvater«, begrüßte ich ihn, »schön, dich wieder zu sehen, ich hoffe du bist wohlauf.« Der alte Mann blickte kurz auf, lachte und meinte: »Er hält immer noch.«

»Wer hält immer noch?« fragte ich verwundert.

»Der Fußboden.«

Jetzt mußte ich auch lachen.

Ich hatte bei meinem letzten Besuch seinen Holzfußboden im Haus neu verlegt. Die alten Bretter hatte Großvater im Winter verheizt, als ihm bei minus 50 Grad das Brennholz für seinen rostigen Bullerofen ausgegangen war. Um nicht zu erfrieren, riß er den Fußboden heraus und steckte ihn in den gierigen Schlund der eisernen Feuerstelle.

»Das freut mich«, erwiderte ich. »Aber ist das alles, was du mir zu sagen hast oder sind da noch ein paar freundliche Worte zur Begrüßung zu hören?«

Großvater lächelte und begann zu singen:

Wana u welo wayankiyo u welo

Wana u welo wayankiyo u welo

Wayankiyo ana u welo wayankiyo

Wicasa wan oicage topa k’un un welo

Wayankiyo u welo

Wana u welo wayankiyo

Übersetzt heißt das in etwa:

»Nun kommt er, schaut hin, er kommt.

Nun kommt er, schaut hin, er kommt.

Schaut zu ihm, nun kommt er, schaut ihm zu.

Er ist ein Mann der vier Himmelsrichtungen, er kommt.

Schaut ihn an, er kommt.

Nun kommt er, schaut ihn nur an.«

Dieses alte Lied singen Medizinmänner während bestimmter Heilzeremonien. »Ist mein weißer Sohn jetzt zufrieden?« fragte Großvater mit einer nicht überhörbaren Spur von Ironie in der Stimme.

»Ja«, sagte ich, »aber das nächste Mal antworte ich dir mit einem Lied von Garth Brooks.« Ich wußte, daß er diese Schmalztüte mit Cowboyhut nicht ausstehen konnte. Großvater schaute mich an und murmelte: »Du mußt aber einen guten Lehrer gehabt haben, du bist sehr schlagfertig geworden. Wo ist nur der schüchterne weiße Mann geblieben, den ich von der staubigen Straße holte und der jedesmal vor Ehrfurcht erstarrte, wenn ich ihn nur ansah?«

»Mein Lehrer ist alt«, erwiderte ich, »er hat viele Runzeln und Falten im Gesicht, er ist weise und gütig und er hat ein großes Herz für die Kranken und Schwachen, ganz besonders für einen neugierigen Weißen. Der Lehrer muß hier irgendwo leben, hast du ihn zufällig gesehen?«

Wir mußten beide herzlich lachen, willkommen zu Hause.

Ich nahm Großvater zärtlich in die Arme und drückte ihn sanft an meine Brust. Als wir uns kennenlernten, vermied er jeglichen Körperkontakt, ich durfte ihm nicht einmal die Hand geben, solche Begrüßungsfloskeln lieben Indianer nicht besonders. Später klatschten wir unsere Handflächen ab, das hatte Großvater im Fernsehen gesehen. Und jetzt nahm ich ihn zum ersten Mal in den Arm. Es war ein schönes Gefühl, am liebsten hätte ich ihm noch einen Kuß auf die Wange gehaucht.

Er war kleiner geworden, irgendwie geschrumpft, ich hatte ihn größer in Erinnerung. Sein Kopf reichte mir nur noch bis zur Schulter. Er trug ein blau-weiß kariertes Flanellhemd, das in einer Jeans steckte. Zur Feier des Tages hatte Großvater seine mit bunten Perlen bestickten Mokassins an den Füßen. Großvater trägt normalerweise keinen Schmuck. Nur das Ende der Zöpfe hat er mit Lederriemen abgebunden, an denen bunte Glasperlen eingenäht waren.

»Ich habe Kaffee gekocht«, sagte er und löste sich aus der Umarmung.

Langsam betrat ich das Haus. Mein erster Blick fiel auf den Fußboden, den ich mit meinen zierlichen Großstadthänden mühsam zusammengezimmert hatte. Großvater hielt ihn für den schönsten Fußboden der Welt.

Hast du die Tiere nicht gesehen?

Wir saßen eine Weile schweigend am hölzernen Küchentisch und schlürften kochend heißen Kaffee aus blechernen Tassen. Ich richtete Großvater von meiner Frau und meinen drei Kindern die besten Grüße aus, ebenso von zahlreichen Menschen, die ihn aus den Erzählungen meiner Bücher kannten.

***

»Ich habe dir etwas mitgebracht«, sagte ich und kramte in meiner Reisetasche nach den Geschenken. Ich holte zwei Päckchen hervor, ein großes und ein kleines, beide mehr oder weniger liebevoll verpackt. »Das hier«, sagte ich und deutete auf das kleinere Paket, »das ist kein wirkliches Geschenk, du wirst herzlich wenig damit anfangen können. Soll ich es dennoch für dich öffnen?« Ich riß das Geschenkpapier auf und zum Vorschein kam mein letztes Buch, das ich geschrieben hatte. »Soll ich dir daraus vorlesen?« fragte ich.

»Nein, nicht jetzt, später vielleicht«, meinte Großvater und seine Augen bekamen einen glänzend feurigen Ausdruck. »Öffne bitte das zweite Paket«, sagte er und deutete auf den länglichen Umschlag.

»Du kennst den Inhalt?« fragte ich.

Es war mehr eine Feststellung als eine Frage. Aber wie konnte er wissen, was ich ihm mitgebracht hatte? Mir pochte das Herz bis zum Hals vor Auflegung, als ich den Umschlag von seinem bunten Festkleid befreite. Endlich war der große Augenblick gekommen, auf den ich mich so lange gefreut hatte. Langsam öffnete ich den Umschlag und zog bedächtig mehrere Gegenstände heraus, die mit Zeitungspapier umwickelt waren.

Aus dem Papier zauberte ich einen Eulenflügel und mehr als ein Dutzend prächtiger Adlerfedern hervor.

»Für dich, Großvater«, sagte ich und beobachtete den alten Mann, der den Eulenflügel in die Hand nahm und ihn von allen Seiten betrachtete. »Er ist wunderschön«, sagte er, »den zweiten Flügel hast du sicher zu Hause in Deutschland über deinem Altar hängen.«

»Du hast recht«, antwortete ich, »der zweite Flügel hängt tatsächlich über dem Altar in meinem Meditationsraum.«

»Erzähle mir die Geschichte der Eule«, bat Großvater.

»Ich kam von einer Schwitzhütte und fuhr mit dem Auto zurück nach Bremen. Die tote Eule lag mitten auf der Straße, sie war von einem Auto überfahren worden. Ich hielt an und nahm den leblosen Vogel in die Hand, Er muß mit dem Kopf gegen die Windschutzscheibe eines Wagens geprallt sein. Dort, wo die Eule lag, streute ich Tabak auf die Straße und sprach ein Gebet. Anschließend nahm ich den Vogel mit nach Hause, wo ich ihm beide Flügel abtrennte. Ich betete und bat die Eule dafür um Verzeihung. Ich sagte ihr, daß ich die Flügel für heilige Zeremonien benötigte, um ihre Energie auf gewisse Dinge zu lenken. Dann begrub ich den Vogel im Garten.«

»Wie hast du ihn begraben?«, wollte Großvater wissen.

»Ich legte ihn auf ein Beet aus Salbei und Tabak, beräucherte den Kadaver und betete.«

»Was hast du gebetet?«

»An die genauen Worte kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich habe mich auf alle Fälle für den Autofahrer entschuldigt, der die Eule so brutal aus dem Leben gerissen hat und ich dankte ihr für ihre Dienste. Den Großen Geist bat ich, die Seele des Vogels aufzufangen und sie von dem erlittenen Schock zu heilen. Ich hoffe, das war richtig so, warum fragst du?«

Großvater antwortete nicht. Er nahm den Eulenflügel noch einmal in die Hand und fuhr damit durch die Luft. Kreuz und quer, hoch und nieder, ganz deutlich vernahm ich das Rauschen der goldbraunen Federn. Der alte Indianer stand von seinem Stuhl auf und begann durch den kleinen Raum zu tanzen, die Schwinge benutzte er wie einen Fächer.

»Gute Eule«, sagte er, »gute Eule, pilamya Hinhan, ich danke dir, Eule.« Das Schauspiel dauerte rund fünf Minuten, dann setzte sich Großvater wieder an den Tisch. Er war etwas außer Atem geraten und schnappte nach Luft.

»Du solltest dich nicht mehr so anstrengen«, sagte ich, »du bist nicht mehr der Jüngste.«

Der alte Mann lächelte und legte den Flügel vor sich auf den Tisch. »Die Eule hat mir eine Geschichte erzählt«, sagte er und strich dabei zärtlich mit seiner linken Hand über die Federn.

»Darf ich das Geheimnis erfahren?« fragte ich nach einigen Minuten des Schweigens.

»Du wirst die Kräfte der Tiere kennenlernen, ich habe sie gesehen, als du mit dem Auto kamst. Die Tiere liefen vor deinem Wagen her, hast du sie nicht gesehen?«

Ich dachte kurz nach und schüttelte den Kopf. »Nein, ich habe keine Tiere gesehen, weder in noch vor meinem Auto. Welche Tiere waren das?«

»Voran flog Wanblee, der Adler«, antwortete Großvater. »Ich habe Hehaka Sapa gesehen, den schwarzen Hirsch, Hinhan, die Eule, Mato, den Bären, Tashuunka wakcin, den Bruder, den ihr Wolf nennt, Cetan, den Habicht, und Tahca winyala, die Hirschkuh. Wir nennen diese Tiere Wamakaskan oyate, wenn sie im Pulk einem Menschen das Geleit geben, Wamakaskan oyate, es sind die Geisttiere, die wir in unseren Zeremonien anrufen, um ihre Hilfe zu erbitten. Du hast sie wirklich nicht gesehen?«

Ich schüttelte hilflos meinen Kopf. Ich bekam beinahe ein schlechtes Gewissen, die Geistwesen vor meinem Wagen nicht bemerkt zu haben. Aber anschwindeln wollte ich Großvater auch nicht, das hätte er sofort gefühlt. Da investiert dieser alte Mann Zeit und Nerven in die Ausbildung eines weißen Großstadtcowboys und der ist nicht in der Lage, ein Rudel Tiere auszumachen, das ihn durch die Prärie begleitet.

»Wo sind die Tiere jetzt?« fragte ich.

»Waziya ahtah, der Nordwind, nahm sie mit auf seinen gewaltigen Schwingen und brachte sie zurück an ihre Plätze, dort, wo die vier Winde zu Hause sind.«

»Was wollten diese Tiere und warum waren sie überhaupt da?« bohrte ich weiter.

Großvater hatte inzwischen die Adlerfedern ausgepackt. Vorsichtig nahm er sie in die Hand und hielt sie einzeln gegen das Licht, wobei er mit seinen Fingern zärtlich über den Schaft strich. Dann blies er gegen den weichen Flaum, der das Ende des Kiels umhüllte. Der weiße Flaum ist für Großvater der sichtbar gewordene Atem Tunkashilas, des Großen Geistes.

Adlerfedern sind für jeden traditionellen Lakota ein heiliges Instrument, das nicht mit Geld aufzuwiegen ist. Die Feder eines Wanblee gegen 1000 Aktien von Bill Gates, für Großvater würde sich diese Rechenaufgabe nie stellen. Für ihn ist die Feder des gefleckten Adlers mehr wert als das gesamte Gold in der Bank von England.

Wenn ich Adlerfedern aus Deutschland mitbringe, gehe ich jedesmal ein hohes Risiko ein. In Amerika ist es Weißen strengstens untersagt, Adlerfedern zu besitzen, auch wenn sie legal aus Deutschland eingeführt wurden. Die Tiere stehen in den USA unter höchstem Schutz. Ich riskiere bei jedem Besuch bis zu 15 Jahre Gefängnis. Aber Großvater hat mir verraten, wie ich mit einem bestimmten Gebet an die Spirits meine Federn für den Zollbeamten unsichtbar machen kann. Die Geister sitzen dann mit in der Reisetasche und beschützen die Federn vor fremden Blicken. In den vielen Jahren, die ich nach Amerika fliege, hat sich diese Methode bestens bewährt.

Früher, als die Indianer noch Herren ihres Landes und Hüter aller heiligen Dinge waren, schmückten sie ihre Kleidung und ihr Haar mit Adlerfedern, sie waren Ausdruck von Würde und Tapferkeit. Wer einen Bären mit dem Messer erlegte, bekam eine Adlerfeder verliehen. Großvater beräuchert kranke Menschen mit einem Adlerflügel, er zieht ihnen damit die negativen Energien aus dem Körper.

Lakota, die heute eine Feder besitzen wollen, müssen die Park Ranger darum bitten. Die Indianer werden auf eine Warteliste gesetzt und es kann Monate dauern, ehe sie ihre Feder bekommen. Und wenn dem Ranger das Gesicht des Indianers nicht paßt, dann steht er ewig auf der Liste und geht leer aus.

Aus diesem Grunde spricht sich meine Ankunft in der Reservation immer wie ein Lauffeuer herum. Es ist Großvaters Aufgabe, die Federn zu verteilen und er genießt die Momente, wenn die Leute vor sein Haus kommen und ihn um die eine oder andere Feder bitten. Bei einem meiner Besuche hatte ich über 50 Federn im Gepäck. Großvater benötigte knapp zwei Wochen, ehe er sie gerecht verteilt hatte.

Ich habe in Deutschland meine Bezugsquellen, die ich aus verständlichen Gründen hier nicht nennen möchte. Ich bedanke mich auf diesem Wege bei allen Menschen, die mich mit Federn versorgen. Mögen die Spirits über sie wachen, damit ich noch viele Menschen in der Reservation glücklich machen kann. Ich sehe diese Geste als Wiedergutmachung für das Leid und die Qualen, die der weiße Mann dem roten Folk zugefügt hat.

Gebete an fünf Freunde

»Die Tiere sind neugierig auf dich, sie wollen den Washichu kennenlernen, von dem ich soviel erzählt habe«, sagte Großvater, während er die Federn sorgfältig aussortierte.

Der alte Mann nennt mich oft Washichu, es ist der Lakota-Aus druck für einen weißen Mann. Streng gesehen ist es ein Schimpfwort, ein abfälliger Begriff für die weiße Rasse schlechthin. Großvater machte daraus ein Kosewort.

»Ich habe ihnen gesagt, daß du ein gutes Herz hast«, erzählte er weiter. »Tiere und Geistwesen sind sehr vorsichtig geworden. Sie haben das Vertrauen in den Menschen verloren. Früher war das anders. Der Mensch hat ein doppeltes Gesicht. Er sagt Gutes und meint Böses, die Tiere haben das nicht verstanden. Sie vertrauten uns und liefen in die Falle.

Der weiße Mann erschoß die Büffel in der Prärie, sie waren unsere Brüder und Schwestern. Ihr Blut vermischte sich mit unserem Blut und tränkte Mutter Erde. Die Menschen sagen, sie sind die Krönung der Schöpfung. Sie glauben, sie kommen gleich nach Gott, aber sie irren. Die Tiere sind die Boten des Großen Geistes. Es ist der Adler, der unsere Gebete nach oben bringt. Wanblee gleshka ist Gott viel näher, als wir Menschen es je sein werden, vergiß das nie.

Vier Völker bewohnen Mutter Erde. Das Volk der Steine, das Volk der Pflanzen, das Volk der Tiere und das Volk der Menschen. Wir alle sind Kinder von Ina Maka, die unsere Mutter ist. Die Erde liebt ihre Kinder, aber der Mensch bereitet ihr großen Kummer. Ina Maka ist traurig, weil wir die Tiere, unsere Geschwister, nicht mehr lieben und achten. Wir atmen dieselbe Luft, wir wärmen uns unter den Strahlen der einen Sonne, aber die Herzen sind erkaltet. Wir quälen die Tiere und fügen ihnen große Schmerzen zu. Ihre stummen Schreie werden gehört. Der Mensch steht auf einem hohen Gipfel, von dem er eines Tages herunterstürzen wird und ich weiß nicht, ob die Tiere uns verzeihen können.«

Es ist schön, wenn Großvater zu erzählen beginnt. Ein tiefer Frieden macht sich in der karg eingerichteten Küche breit und mein Herz schlägt im Takt des knarrenden Fußbodens. Das kleine Holzhaus wird für diese Augenblicke zu einer Galaxie, in der sich die Schöpfung des Universums auf engstem Raum verdichtet.

Vergessen ist Europa, das hektische Treiben der Großstädte, vergessen die Kontoauszüge, die Hochhäuser und die verkniffenen Gesichter der Menschen, die morgens in der Straßenbahn oder mit dem Auto ihren Weg zum ungeliebten Job antreten. Vergessen auch die Unwichtigkeiten, mit denen wir unser Leben zur Qual machen. Wenn Großvater mir den Sinn des Daseins erklärt, wird seine schäbige Holzhütte zu einem Tempel und sein eiserner Bullerofen zur Räucherschale auf dem Altar der Weisheit.

Großvater band die Kiele der Federn mit einem Lederband zusammen. »Es ist an der Zeit, daß du die Sprache der Tiere lernst«, sagte er. »Du weißt, daß wir die Tiergeister rufen und um Hilfe bitten, damit sie uns den Weg aus der Finsternis weisen. Die Eule und der Adler haben mir erzählt, daß sie deine Gebete und Lieder gehört haben, laß uns morgen losfahren.«

»Losfahren?« fragte ich, »wohin willst du denn mit mir fahren?«

»Ich habe in Montana einiges zu erledigen«, antwortete Großvater. »Ich wollte schon im April los, aber die Spirits haben dich erst jetzt geschickt, um mich zu fahren.«

Die Spirits haben mich geschickt, um Großvater nach Montana zu fahren, na großartig.