2Joseph A. Schumpeter zählt unbestritten zu den bedeutendsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts. Seine These, der Kapitalismus beruhe auf »schöpferischer Zerstörung«, ist mittlerweile zu einem geflügelten Wort geworden und mit seinem Buch Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie hat er die Schule der »ökonomischen Theorie der Politik« begründet. Weniger bekannt sind bisher Schumpeters Aufsätze zu Fragen der Ökonomie und Soziologie, unter denen sich einige bahnbrechende Studien befinden, die gerade im Rahmen der neueren Auseinandersetzung um das Verhältnis von Wirtschaft, Gesellschaft und Politik im Zuge der globalen Finanzkrise von erneuter Relevanz sind. Der Band versammelt eine Auswahl dieser Aufsätze, die von Lisa Herzog und Axel Honneth herausgegeben sowie von einem Nachwort von Heinz D. Kurz begleitet werden.

Joseph A. Schumpeter (1883-1950) war ein österreichischer Wirtschaftswissenschaftler. Zuletzt lehrte er an der Harvard University.

Lisa Herzog ist Postdoktorandin am Institut für Sozialforschung und am Exzellenzcluster »Die Herausbildung normativer Ordnungen« der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Zuletzt erschien: Der Wert des Marktes. Ein ökonomisch-philosophischer Diskurs vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart (hg. mit Axel Honneth, stw 2065).

Axel Honneth ist Jack C. Weinstein Professor of the Humanities an der Columbia University in New York, Seniorprofessor für Philosophie an der Johann Wolfgang Goethe-Universität in Frankfurt am Main sowie geschäftsführender Direktor des dortigen Instituts für Sozialforschung. Zuletzt erschienen: Das Recht der Freiheit. Grundriß einer demokratischen Sittlichkeit (stw 2048) und Die Idee des Sozialismus. Versuch einer Aktualisierung (2015).

Heinz D. Kurz ist emeritierter Professor für Volkswirtschaftslehre an der Karl-Franzens-Universität Graz.

3Joseph A. Schumpeter

Schriften zur Ökonomie und Soziologie

Herausgegeben
von Lisa Herzog und
Axel Honneth

Mit einem Nachwort
von Heinz D. Kurz

Suhrkamp

4Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2016

Der folgende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe des suhrkamp taschenbuch wissenschaft 2112.

© Suhrkamp Verlag Berlin 2016

© Lisa Herzog, Axel Honneth, Heinz D. Kurz

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Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

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Umschlag nach Entwürfen von Willy Fleckhaus und Rolf Staudt

eISBN 978-3-518-74172-6

www.suhrkamp.de

5Inhalt

Lisa Herzog und Axel Honneth
Einleitung

I Die Dynamik des Kapitalismus

Die Erklärung des Konjunkturzyklus

Der Unternehmer in der Volkswirtschaft von heute

II Kapitalismus und Sozialismus

Die Instabilität des Kapitalismus

Kapitalismus

Sozialistische Möglichkeiten von heute

Unternehmerfunktion und Arbeiterinteresse

III Soziologie

Das »Kommunistische Manifest« in der Soziologie und in der Ökonomik

Zur Soziologie der Imperialismen

IV Intellektuelle Biographien

Max Webers Werk

John Maynard Keynes 1883–1946

Heinz D. Kurz
Nachwort

Textnachweise

Ausgewählte Werke Schumpeters

7Lisa Herzog und Axel Honneth
Einleitung

In einer Zeit, in der die Marxsche Kapitalismuskritik mit guten Gründen wieder auf breiteres Interesse stößt, liegt es nahe, auch einige der zentralen Aufsätze Joseph Schumpeters erneut einem größeren Publikum zugänglich zu machen; denn es findet sich wohl kein zweiter Vertreter der akademischen Volkswirtschaftslehre im 20. Jahrhundert, der in derselben Weise wie dieser umfassend gebildete Ökonom sein eigenes Bild des Kapitalismus so beharrlich und energisch der ständigen Auseinandersetzung mit der theoretischen Position von Marx und seinen Nachfolgern abgerungen hätte. Schon im Duktus seiner Abhandlungen und kleineren Studien, in der souveränen Art, in der in ihnen die herkömmlichen Grenzziehungen zwischen ökonomischer Beweisführung, soziologischer Forschung und Kulturbetrachtung beiseitegeschoben werden, spiegelt sich, wie stark Schumpeter bereit war, sich auf die Betrachtungsweise seiner sozialistischen Vorgänger und Zeitgenossen einzulassen. Anders als die meisten seiner Fachkollegen hielt er es für dringend erforderlich, die aus dieser Tradition stammende, ethische und wirtschaftstheoretische Argumente verknüpfende Kritik des Kapitalismus ernst zu nehmen und sich mit ihr auf Augenhöhe auseinanderzusetzen. So ist im Werk von Schumpeter, vor allem in den zahlreichen Aufsätzen, von denen hier einige abgedruckt sind, ein Gesamtporträt des Kapitalismus entstanden, das zwar demjenigen von Marx entschieden entgegengesetzt ist, es aber in Hinblick auf zivilisationsgeschichtliche Umsicht und moralisches Gewicht unschwer mit ihm aufnehmen kann. Wer Wert und Unwert, Wohl und Weh der kapitalistischen Wirtschaftsform heute abwägen möchte, ist daher gut beraten, die Analysen von Schumpeter vergleichend neben diejenigen von Marx zu halten.

Aber es ist nicht nur die Subtilität seiner Kapitalismusstudien, die es ratsam erscheinen lässt, sich das Werk Joseph Schumpeters gegenwärtig wieder vor Augen zu führen. In deutlicher Absetzung von der stilistischen Gepflogenheit, die sich in seiner eigenen Disziplin damals auszubreiten begann und die heute die Vorherrschaft übernommen hat, ist dieser Intellektuelle unter den Wirt8schaftstheoretikern gerade in seinen Aufsätzen entschieden darum bemüht, einem größeren Lesepublikum verständlich zu bleiben. Dazu trägt nicht nur sein glasklarer, auf mathematische Formeln verzichtender, gelegentlich allerdings zu unwirscher Polemik neigender Schreibstil bei; vielmehr ist es auch die stete Bereitschaft, über den Tellerrand des eigenen Faches hinauszuschauen, um Argumente aus den Nachbardisziplinen und der politischen Öffentlichkeit im eigenen Gedankengang zu berücksichtigen. Beides, die jargonfreie, nur wenig technisches Vokabular verwendende Sprache und die Offenheit für fachfremde Gesichtspunkte, verleihen vielen Abhandlungen Schumpeters einen Grad an allgemeiner Verständlichkeit, der vielen Veröffentlichungen aus der akademischen Wirtschaftstheorie heute nur zu wünschen wäre; auch die Leser und Leserinnen, die mit der Fachwissenschaft weitgehend unvertraut sind, werden in die Lage versetzt, den jeweils unterbreiteten Gedankengang nachzuvollziehen und produktiv dem eigenen Wissenshorizont einzuverleiben. Schon in dieser formalen Hinsicht könnten die hier versammelten Aufsätze Schumpeters den Anstoß geben, einige der in der Ökonomie unserer Tage für selbstverständlich gehaltenen Darstellungsformen nachhaltig zu überdenken.

Damit jedoch nicht genug, kommt der offene, verschiedene Perspektiven einbeziehende Argumentationsstil Schumpeters auch einem inhaltlichen Vorzug seiner wirtschaftssoziologischen Abhandlungen entgegen. Was auch immer darin untersucht wird, die Ursachen für wachsende Arbeitslosigkeit, für Konjunkturschwankungen oder für Wandlungen im Unternehmerverhalten, stets wird dabei über die erforderliche Erklärung hinaus auch ein historischer Abriss der Entstehung des entsprechenden Problems, eine Schilderung seiner ethisch-politischen Bewandtnis und eine Skizze der denkbaren Lösungsalternativen geliefert. Über die intellektuellen Voraussetzungen, die erforderlich sind, um solche argumentativen Brücken zwischen ganz verschiedenen Gesichtspunkten zu schlagen, verfügte Schumpeter in bewunderungswürdiger Fülle; in vielem, im Forschungshabitus ebenso wie in der theoretischen Unrast und in der Neigung zu kulturdiagnostischen Zuspitzungen, mit Max Weber vergleichbar, besaß er umfassendste Kenntnisse theorie-, sozial- und wirtschaftsgeschichtlicher Zusammenhänge, war zeitlebens im höchsten Maße an tagespolitischen Ereignissen interessiert und verstand sich auf seine eigene Disziplin wie kaum 9ein Zweiter in seiner Zeit. Dort, wo alle diese Interessen und Begabungen zusammenkommen, also weniger in den fachspezifischen Monographien Schumpeters als in seinen allgemeineren Themen gewidmeten Studien und Aufsätzen, beginnt sich in vorbildhafter Weise abzuzeichnen, wozu eine gesellschaftlich verantwortungsvolle Wirtschaftstheorie eigentlich berufen wäre: im ständigen, deutlich markierten Verweis sowohl auf die historische Gewordenheit als auch auf die soziale Umstrittenheit unserer gegenwärtigen Wirtschaftsform möglichst klare Untersuchungen darüber zu liefern, durch welche sozioökonomischen Gegebenheiten bestimmte wirtschaftliche Entwicklungen verursacht sind, welche gesellschaftlichen Folgen damit verknüpft sein könnten und welche Gegenmaßnahmen sich gegebenenfalls ergreifen ließen. Was Schumpeter auf diese Weise gelingt, ist etwas innerhalb seiner Disziplin gegenwärtig nahezu Undenkbares; indem er uns nämlich in seinen Analysen die den jeweiligen wirtschaftlichen Einrichtungen zugrunde liegenden moralischen Erwägungen vor Augen führt, gibt er zu erkennen, dass nichts an den gegebenen Produktionsverhältnissen von sich aus unserem Eingriff entzogen ist, jeder derartige Eingriff aber einer genauesten Analyse von sozialen Vor- und Nachteilen bedarf. Es ist dieser ebenso nüchterne wie mutige Schritt zur theoretischen Desubstantialisierung und Verflüssigung unserer wirtschaftlichen Verhältnisse, der wohl der stärkste Grund dafür ist, einige der markantesten Aufsätze Joseph Schumpeters heute erneut einem breiteren Publikum in Buchform zugänglich zu machen.

Zusammengenommen zeigen sie das Potenzial eines wirtschaftswissenschaftlichen Ansatzes, der sich gegenüber der Geschichte des eigenen Faches und gegenüber den Nachbardisziplinen nicht abschottet, sondern mit ihnen in einen konstruktiven Dialog tritt. In der heutigen Zeit, in der sich durch die Analyse großer Datenmengen ungeahnte Möglichkeiten der ökonomischen Theoriebildung auftun, ist Schumpeter somit nicht nur als methodisches Vorbild interessant, sondern verdient es auch, mit seinen kreativen, aber stets an den Fakten orientierten Analysen als Gesprächspartner wahrgenommen zu werden. Er steht damit stellvertretend für die Rolle, die die Geschichte des eigenen Faches für einen Gegenstandsbereich spielen kann und muss, in dem es um menschliche – und das heißt: historisch gewachsene und kulturell geprägte – Zusammenhänge geht und der sich deshalb, allen mathematischen 10Methoden zum Trotz, nie völlig aus den gewachsenen Traditionszusammenhängen lösen kann. Die Auseinandersetzung mit Schumpeter kann eine Einladung dazu darstellen, den theoretischen Zustand der an unseren Universitäten etablierten, sich gegenüber allen Nachbardisziplinen abschottenden Wirtschaftswissenschaften nachhaltig zu überdenken.

Intellektuelle Biographie

Wie bei einigen anderen umtriebigen, lebens- und karrierehungrigen Intellektuellen stellt sich auch im Falle von Joseph Schumpeter nur die Alternative, den Lebensweg entweder in angemessener Fülle und Opulenz oder aber in bewusster Beschränkung auf die zum Verständnis des Werks erforderlichen Daten zu schildern. Wer nach dem Ersten sucht, dem seien die in den letzten Jahren in großer Menge erschienenen Biographien empfohlen; in ihnen wird anschaulich dargestellt, wie abrupt und abgründig die Wendungen im persönlichen und akademischen Leben dieses Mannes waren, bevor er schließlich Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Harvard University in den USA wurde.[1] Hier wollen wir stattdessen nur die wenigen Informationen über die intellektuelle Biographie Schumpeters wiedergeben, die nötig sind, um sein Werk angemessen im wissenschaftsgeschichtlichen Umfeld zu verorten.

Zeitgleich mit John Maynard Keynes im Jahr 1883 geboren, wächst Joseph Schumpeter nach der zweiten Heirat seiner Mutter – der leibliche Vater, ein Tuchfabrikant, war früh verstorben – in den adligen Kreisen Wiens auf, wo er als ebenso hochbegabter wie ehrgeiziger Abiturient mit 18 Jahren das Studium der Rechtswissenschaft und der Ökonomie aufnimmt; in einem Kreis von später ebenfalls berühmt gewordenen Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlern (Ludwig von Mises, Otto Bauer, Rudolf Hilferding, Emil Lederer) erfährt er dort seine ökonomische Ausbildung bei Friedrich von Wieser und Eugen von Böhm-Bawerk, die gemeinsam mit Carl Menger als Gründerväter der Österreichischen Schule der Nationalökonomie in die Wissenschaftsgeschichte eingehen sollten. Schaut man sich an, welche Diskussionen damals in 11diesen wirtschaftstheoretischen Zirkeln geführt wurden, so wird deutlich, woher Schumpeter den Impuls bezog, sich in seiner Arbeit lebenslang mit den politischen, ethischen und ökonomischen Prämissen des Marxismus zu beschäftigen. Denn nicht nur unter seinen Freunden und Kollegen, von denen einige schon nach wenigen Jahren intellektuelle Repräsentanten der sozialistischen Bewegung werden sollten, sondern auch auf Seiten seiner Lehrer gilt die Marxsche Arbeitswerttheorie als die Herausforderung, an der man sich reibt und mit der man sich auseinandersetzen muss – vor allem Böhm-Bawerk ist es, der diese Diskussion entschieden vorantreibt, indem er in wegweisenden Publikationen der Doktrin von Marx die subjektive Wertlehre der Grenznutzenschule entgegensetzt.

Im Anschluss an seine Promotion im Jahr 1906 nimmt Schumpeter nach Zwischenstationen an der Universität Berlin und an der Sorbonne in Paris eine einjährige Forschungstätigkeit an der London School of Economics auf, was ihm die Möglichkeit gibt, sich mit den dortigen, alsbald dann durch Keynes umgepflügten Wirtschaftswissenschaften vertraut zu machen. Durch die Heirat mit der Tochter eines hohen Würdenträgers der anglikanischen Kirche unerwartet gezwungen, sich verstärkt den Lebensunterhalt selbst zu verdienen, wird Schumpeter danach als Jurist bei einer Anwaltskanzlei in Kairo tätig, wo er sich gleichzeitig als Finanzberater binnen kurzer Zeit ein Vermögen erwirtschaftet, das ihm für die kommenden Jahre ein seinen hohen Erwartungen entsprechendes Leben sichert. Wissenschaftlich indes nicht unproduktiv bleibend, verfasst er während dieses Aufenthalts in Ägypten auch seine erste Monographie, die 1908 unter dem Titel Das Wesen und der Hauptinhalt der theoretischen Nationalökonomie erscheint und mit der er sich im selben Jahr an der Universität Wien habilitiert.

Nach diesem außerordentlich schnellen Start – er ist erst fünfundzwanzig Jahre alt – überstürzen sich die akademischen Erfolge Schumpeters förmlich: 1909 erhält er den Ruf auf eine außerordentliche Professur an der Universität Czernowitz, die er nutzt, um sein bahnbrechendes, 1911 erscheinendes Werk Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung zu verfassen; kurz danach erhält er einen Ruf auf eine ordentliche Professur für Nationalökonomie an die Universität Graz, den er bereitwillig annimmt; damit nicht genug, lädt ihn im selben Zeitraum der von ihm verehrte Max Weber ein, eine längere Abhandlung über die Epochen der Dogmen- und Methodengeschich12te der Wirtschaftswissenschaften zu schreiben, die nicht lange auf sich warten lässt und im Jahr 1914 veröffentlicht wird. Noch davor – Schumpeter hat sich inzwischen von seiner Frau getrennt – tritt er auf Einladung der Columbia University in New York seine erste Reise in die USA an, hält begeistert aufgenommene Vorträge an verschiedensten Universitäten, trifft auf die akademischen Größen seines Faches und erhält zum guten Schluss mit dreißig Jahren die Ehrendoktorwürde von der Universität, die ihn eingeladen hatte. Die Auszeichnung gilt einem jungen ökonomischen Theoretiker, der in seinen bisherigen Schriften damit begonnen hat, die damals verbreitete Vorstellung vom tendenziellen Gleichgewichtszustand kapitalistischer Märkte dadurch zu untergraben, dass er als dessen Gegengewicht eine Tendenz zur wiederkehrenden, Zusatzgewinne versprechenden Zerstörung eingespielter Produktionsmethoden hervorkehrt und damit die Krise zum Normalfall der wirtschaftlichen Entwicklung im Kapitalismus erklärt.

Der Erste Weltkrieg unterbricht die steile Karriere Schumpeters in den Wirtschaftswissenschaften, weil ihn die sich überstürzenden Ereignisse in die politische Arena treiben. In die überhitzten Debatten gegen Kriegsende greift er mit einer 1918 publizierten Schrift über die Krise des Steuerstaates ein, ein entschiedenes Plädoyer für eine Bewältigung der Kriegsschulden durch Steuererhöhungen statt durch Inflationsankurbelung, das ihm genügend Ansehen in den staatlichen Kreisen Österreichs verschafft, um dank der Vermittlung sozialistischer Freundeskreise nach dem Ende des Krieges für ein paar Monate Finanzminister zu werden. Enttäuscht vom mangelnden Erfolg und von der ausbleibenden Anerkennung sowie unzufrieden mit seinen bisherigen wissenschaftlichen Bemühungen, gibt der 38-Jährige im Jahr 1921 seine Professur in Graz auf, um einige Jahre als Bankier in Wien tätig zu werden. Geschickt, wie er in diesem Metier offenbar ist, bringt es Schumpeter wieder schnell zu einem kleinen Vermögen, das allerdings durch den Wiener Börsenkrach im Jahr 1924 vollständig verloren geht. Hoch verschuldet verlässt er sein Heimatland mit dem Ziel, einen Ruf auf eine ordentliche Professur an der Universität Bonn anzunehmen. Hier bleibt er einige Jahre, inzwischen wieder verheiratet, aber schwer gezeichnet durch die schnell hintereinander eintretenden Schicksalsschläge des Ablebens seiner Mutter, des Todes seiner zweiten Frau sowie des gemeinsamen Sohnes im Kindbett und stets 13der Depression nahe. Wie aus dem Versuch einer Kompensation dieser schmerzlichen Verluste bei Schumpeter der Hang erwuchs, sich bis an sein Lebensende täglich in geradezu kultischer Weise strengste Arbeitsdisziplin aufzuerlegen, ist anschaulich in den zuvor genannten Biographien nachzulesen.

Inzwischen ein weltweit hochgeschätzter Wirtschaftswissenschaftler, dessen Verdienste vor allem in der Hervorhebung der unternehmerischen Initiative bei der permanent über sich hinaustreibenden Dynamik des Kapitalismus gesehen werden, konzentriert sich Schumpeter nun vollständig auf seine Arbeit. Allerdings hält es ihn nicht lange in Bonn; unstet, wie er ist, sucht er ab 1927 vielmehr verstärkt den wissenschaftlichen Austausch mit den Kollegen in den USA. Vorbereitet durch einige Gastsemester an dortigen Universitäten, erhält er 1932 schließlich einen Ruf an die Harvard University bei Boston, den er bereitwillig annimmt. In der damit beginnenden letzten Phase seines Lebens, in der er erneut heiratet, ist Schumpeter hochkonzentriert und unermüdlich mit der Verfertigung von Büchern, Abhandlungen und kleineren Essays beschäftigt. Zwar lässt er die ehrgeizigen, auf die Mitte der 1920er Jahre zurückgehenden Pläne für eine größere Studie zur Geldtheorie bald fallen, stattdessen versucht der Wissenschaftler nun aber, seine Einsicht in die sich im Kapitalismus ablösenden Phasen von durch unternehmerischen Erfindungsgeist angestoßenen Zerstörungen überkommener Produktionsmethoden und Phasen eines sich anschließend wieder einpendelnden Gleichgewichts unter den Marktkräften für eine wirtschaftsgeschichtliche Erklärung von Konjunkturzyklen fruchtbar zu machen. Als der Erfolg für dieses 1939 unter dem Titel Business Cycles publizierte Buch nicht zuletzt deswegen ausbleibt, weil es im Urteil der Fachöffentlichkeit den Vergleich mit den zeitgleich erscheinenden Studien von Keynes nicht standhalten kann, wendet sich Schumpeter zunächst enttäuscht einem anderen, weit in seine Frühzeit zurückreichenden, aber bislang nur am Rande verfolgten Schwerpunkt seiner theoretischen Interessen zu; orientiert am Vorbild Max Webers und Werner Sombarts, geht er der sozialwissenschaftlichen Frage nach, welchen Einfluss die kapitalistische Wirtschaftsform auf die kulturellen und politischen Gesinnungen der Mitglieder liberaldemokratischer Gesellschaften nimmt. Das aus dieser Forschungsarbeit erwachsene Buch, die 1942 erschienene Studie Capitalism, Socialism 14and Democracy, wird noch zu Lebzeiten Schumpeters ein großer Erfolg und gilt bis heute sowohl innerhalb der Politikwissenschaft wie auch innerhalb der Soziologie als ein Klassiker des je eigenen Faches. Der Autor aber, der seinen Ehrgeiz gewiss stärker in der Wirtschaftstheorie als in den Sozialwissenschaften befriedigt sehen wollte, konzentriert sich ohne größere Unterbrechung sofort auf sein nächstes, im Rückblick dann letztes Projekt, indem er beginnt, Materialien für eine monumental angelegte Geschichte des ökonomischen Denkens zusammenzutragen. Als Schumpeter im Jahr 1950 an einem Hirnschlag stirbt, ist dieses Werk noch unvollendet und wird erst postum 1954 von seiner Witwe unter dem Titel History of Economic Analysis veröffentlicht.

Zum Werk Schumpeters

I Die Dynamik des Kapitalismus

Auch wenn Schumpeters Interesse an sozialen Phänomenen ausgesprochen breit war, nahm die ökonomische Analyse zeit seines Lebens einen zentralen Platz in seinem Werk ein. Wie schon erwähnt, habilitierte er sich 1908 an der Universität Wien in Volkswirtschaftslehre mit der Schrift Das Wesen und der Hauptinhalt der theoretischen Nationalökonomie, einer umfassenden Abhandlung in theoretischer Ökonomie, die sich stark an Léon Walras (1834-1810) und dessen mathematischer Methode orientierte.[2] Die Ökonomie wird hier als eigenständige Disziplin vorgestellt, in der wirtschaftliche Gleichgewichte in »statischer Analyse« und mithilfe der »Variationsmethode« untersucht werden. Schumpeter ist sich jedoch bewusst, dass diese Methoden ihre Grenzen hat, und schließt mit einem Ausblick auf die dynamische Analyse, die während der kommenden Jahrzehnte zu einem seiner Schwerpunkte werden sollte. Schon 1911 vollendete er das Werk, in dem er sich diesem Thema erstmals widmete: die Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung. 15Dort wird das Prinzip wirtschaftlicher Innovation als der neuen Kombination von Produktionsfaktoren ausführlich vorgestellt, wobei Schumpeter fünf Fälle unterscheidet: die Produktion neuer oder besserer Güter, neue Produktionsmethoden, neue Märkte, neue Lieferquellen und die Neuorganisation von Märkten. Entscheidend sei jedoch, dass derartige neue Ansätze durchgesetzt würden, wofür die Figur des Unternehmers entscheidend sei. Eine wichtige Voraussetzung für dessen Aktivität sei die Möglichkeit, durch Kredit Zugriff auf Produktionsmittel zu erhalten. Aus diesen Elementen entwickelt Schumpeter auch seine Theorie des Konjunkturzyklus als endogenem Phänomen des Kapitalismus. Die Entwicklung von Theorien zur Erklärung der Konjunkturzyklen, die er gemeinsam mit zahlreichen anderen Ökonomen seiner Zeit betrieb, mündete 1939 in das zweibändige englischsprachige Werk Business Cycles. A Theoretical, Historical and Statistical Analysis of the Capitalist Process. Hier erweitert Schumpeter seinen theoretischen Apparat um die These, dass es mehrere sich überlagernde Arten wirtschaftlicher Zyklen gebe; die Weltwirtschaftskrise von 1929 sei ein Aufeinandertreffen von Abschwüngen all dieser Zyklen gewesen. Im zweiten Teil des Buches ergänzt Schumpeter sein Theoriegebäude um statistische Analysen für die USA, England und Deutschland. Zu seiner großen Enttäuschung fand das Buch nicht den Anklang, den Schumpeter erhofft hatte, unter anderem wegen der einsetzenden Bildung einer Schule um John Maynard Keynes.[3]

Die hier vorgestellten Aufsätze stellen wichtige Ausschnitte aus Schumpeters Nachdenken über die Ökonomie im Allgemeinen und die Dynamik des Kapitalismus im Besonderen dar. Sie zeigen Schumpeter im Dialog mit anderen Ökonomen seiner Zeit, aber auch mit der öffentlichen Debatte und den dort vorherrschenden Auffassungen und Beurteilungen, die aus seiner Sicht oft von mangelnder wissenschaftlicher Fundierung geprägt waren. Schumpeter war ein Ökonom, der sich einmischte und neben wissenschaftlichen Schriften im engeren Sinne auch zahlreiche Aufsätze verfasste, die auf aktuelle Probleme und politische Diskussionen reagierten.[4] 16Obwohl er immer wieder darauf verwies, dass wissenschaftliche Analyse und politische Stellungnahme klar voneinander getrennt bleiben müssten, betrachtete er es als Pflicht des Wissenschaftlers, seine Kenntnisse in die Öffentlichkeit zu tragen, um zu einer besser informierten Entscheidungsfindung beizutragen.

Die Erklärung des Konjunkturzyklus

Dieser 1927 erschienene Aufsatz fasst Schumpeters Theorie des Konjunkturzyklus konzise zusammen, wobei Schumpeter seine Argumente im Dialog mit anderen Theoretikern, vor allem Arthur Pigou (1877-1959), darstellt. Schumpeter unterscheidet Statik von Dynamik, nicht nur als unterschiedliche Theorieansätze, sondern auch als unterschiedliche Facetten der beobachtbaren ökonomischen Phänomene. Die dynamischen Elemente, die sich in der Figur des Unternehmers verkörpern, lieferten die Erklärung für die zyklische Bewegung der Wirtschaft. Aufschwünge entstünden durch »Innovationen im industriellen und kommerziellen Organismus«, d. h. nicht durch graduelle Verschiebungen, sondern durch die Einführung qualitativ anderer Produktions- oder Organisationsmethoden. Diese fände nicht kontinuierlich in der Zeit statt, sondern in Wellen, da eine erste Veränderung weitere Veränderungen nach sich ziehe, sobald ein »Bann gebrochen« sei. Dies sei der wesentliche Mechanismus von Konjunkturaufschwüngen, gegenüber dem andere Aspekte in den Hintergrund träten. Eine zentrale Rolle spiele hierbei der Kreditmechanismus: Durch die Kreditschöpfung würde eine Geldmenge geschaffen, die größer sei als die gegenwärtig vorhandene Gütermenge, was neue Unternehmer mit der Kaufkraft ausstatte, die sie benötigten, um Produktionsfaktoren in neue Bahnen zu lenken. Der folgende Aufschwung habe inflationäre Tendenzen, die sich jedoch teilweise selbst korrigierten, da die Kredite durch die entstandenen Gewinne der neuen Unternehmungen zurückgezahlt würden. Dieser Mechanismus im Finanzbereich ist, so Schumpeters Aussage, zentrale Voraussetzung für die Innovationsschübe in der Realwirtschaft, die das Wesensmerkmal des Kapitalismus seien.

17Der Unternehmer in der Volkswirtschaft von heute

In diesem 1929 erschienenen Aufsatz steht die Figur im Mittelpunkt, mit der Schumpeters Name heute vielleicht am stärksten verbunden ist: der Unternehmer. Schumpeter stellt eingangs fest, dass in der gegenwärtigen Zeit einerseits der in der Menschheitsgeschichte »unerhörte« Erfolg des Kapitalismus in Bezug auf die Steigerung der materiellen Lebensumstände, andererseits aber massiver Widerstand gegen das privatwirtschaftliche System zu beobachten seien. Sein Anliegen ist es deshalb, »die soziale Funktion des Unternehmers und des Unternehmergewinns« wissenschaftlich darzulegen; dies sei unter anderem dafür relevant, Vorschläge zur stärkeren Besteuerung von Unternehmergewinnen beurteilen zu können. Die zentrale begriffliche Unterscheidung ist hier, wie auch in zahlreichen anderen Schriften, diejenige zwischen der »Konkurrenzwirtschaft« des 19. Jahrhunderts und der »vertrusteten Wirtschaft«, wie sie um 1930 vorliege. Das klassische Bild des Unternehmers, das Schumpeter anhand von dessen typischen Aufgaben analysiert, gehöre zu Ersterer. Zentral sei dabei weder die Bereitstellung von Kapital, die auch von dritter Seite erfolgen könne, noch die Verwaltungsarbeit, die auch von Angestellten geleistet werden könne. Die Kernfunktion des Unternehmertums sei die »Durchsetzung des Neuen in der Volkswirtschaft«, die den eigentlichen Unternehmergewinn erzeuge. Hierfür sei die Persönlichkeit des Unternehmers wesentlich; oft stiegen solche Unternehmer »aus dem Kreis der Arbeiter oder Handwerker« empor,[5] angetrieben von dem Wunsch, ihrer Familie eine gewisse soziale Position zu sichern. Schumpeter warnt davor, diesen eigentlichen Unternehmergewinn zu stark zu besteuern, da dies letztlich den Interessen der Arbeiter zuwiderlaufe, weil Innovationen gehemmt würden.

In der vertrusteten Wirtschaft dagegen hätten sich industrielle Einheiten gebildet, die zu groß seien, um freie Konkurrenz zuzulassen. In derartigen Organisationen werde die Entscheidungsfindung rationalisiert und durch arbeitsteilig erstellte statistische Analysen untermauert, so dass die Bedeutung der Unternehmerpersönlich18keit abnehme. Damit komme ein anderer Menschentyp zum Zuge, der durch die jeweiligen internen Auslesemechanismen an die Spitze der großen Unternehmen gelange; teilweise ersetzten Kämpfe innerhalb von Unternehmen die Konkurrenz im Markt. Trotzdem weist Schumpeter daraufhin, dass noch weite Teile der Wirtschaft, besonders bei kleinen und mittleren Betrieben, dem »Lebensgesetz der Konkurrenzwirtschaft« gehorchten. Es sei außerdem falsch, zu glauben, dass die Möglichkeiten für Staatsbetriebe sich durch die fortschreitende Rationalisierung grundlegend geändert hätten; dies sei keine Frage der Unternehmensstrukturen, vielmehr gehe es darum, »ob unsere Industriellen oder unsere Politiker die oberste Leitung unserer Wirtschaft haben sollen«. Generell warnt er davor, zu stark auf politische Regulierung der Wirtschaft zu setzen, da hierbei oft der Denkfehler begangen würde, die reale, unvollkommene Privatwirtschaft mit einem idealisierten Bild von staatlicher Wirtschaftslenkung zu vergleichen. Manch schmerzhaften Veränderungsprozess in der Wirtschaft solle man am besten ohne Eingriffe zu Ende gehen lassen. Eine vollständige Ablehnung von Regulierung leitet Schumpeter daraus nicht ab, jedoch solle wie bei medizinischen Operationen beachtet werden, dass jede Operation auch ein Eingriff sei und dass das Organ, an dem sie vorgenommen würde, »ein vorläufig lebenswichtiges« sei.

II Kapitalismus und Sozialismus

Zeit seines Lebens nimmt Schumpeter, wie wir bereits gesehen haben, starken Anteil an der damals heftig geführten Debatte um die Alternative von Kapitalismus und Sozialismus. Sein Interesse an dieser Auseinandersetzung geht weit über das Maß hinaus, das von einem Sozial- oder Wirtschaftswissenschaftler seiner Generation zu erwarten gewesen wäre; zwar wachsen die meisten seiner Fachkollegen mit dem Gefühl heran, dass sich an der gegebenen Wirtschaftsform durch die sozialistische Bewegung schon bald etwas grundsätzlich ändern könnte, aber kaum einer von ihnen begreift allein deswegen den Sozialismus auch als eine theoretische Herausforderung. Ganz anders aber Schumpeter: Er nimmt von Beginn an die Kapitalismuskritik der marxistischen Tradition sehr ernst, widmet ihr immer wieder engagierte Betrachtungen und versucht den darin entwickelten Argumenten so gut wie eben mög19lich Paroli zu bieten. Ein Grund für dieses authentische Interesse Schumpeters ist sicherlich die von seinen Lehrern übernommene Überzeugung, dass jeder Versuch einer Bestimmung der ökonomischen Grundzüge des Kapitalismus durch eine Berücksichtigung der gegen ihn vorgebrachten Bedenken und Einwände sachlich nur profitieren könne; ein zweiter Grund aber liegt in der Erfahrung seiner frühen Studienzeit, dass es fast immer die besten Köpfe unter seinen Kommilitonen in den Wirtschaftswissenschaften waren, die sich der Sache des Sozialismus mit Intelligenz und Leidenschaft verschrieben. So entsteht bei Schumpeter schon am Anfang seiner Karriere das Gefühl, in dieser die ganze Epoche prägenden Auseinandersetzung nicht einfach nur Zuschauer bleiben zu können. Alles, was er in Zukunft zur Klärung der Kontroverse beitragen wird, ist mithin von der Absicht geprägt, seine Vorstellungen über die Eigenart des Kapitalismus in der Weise darzulegen, dass auch seine marxistischen Freunde und Kollegen auf die andere Seite gezogen werden könnten.

Es mag insofern nicht zu weit gegriffen sein, schon Schumpeters erste Versuche einer Erweiterung der herrschenden Volkswirtschaftslehre um eine »dynamische«, die innovativen Tendenzen betonende Dimension aus dem Bestreben heraus zu verstehen, die Gegner des Kapitalismus von dessen produktiv-schöpferischen Leistungen zu überzeugen; auf jeden Fall wird seit dem frühen Werk zur Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung all seinen Auseinandersetzungen mit der sozialistischen Herausforderung der Zug anhaften, die der kapitalistischen Wirtschaftsform innewohnende Tendenz hervorzuheben, zugleich mit der regelmäßigen Erneuerung von Produktionsmethoden oder Absatzwegen auch Verbesserungen in den Lebensbedingungen der Gesamtbevölkerung zu bewirken. Allerdings ist Schumpeter in diesen Beiträgen stets auch ehrlich genug, die Bindung solcher sozial segensreichen Innovationsschübe an die Voraussetzung von auf Wettbewerb beruhenden Märkten deutlich zu machen; und da er die wirtschaftliche Situation seiner Zeit durch eine verstärkte Monopolbildung und »Vertrustung« charakterisiert sieht, schieben sich in seine positiven Bilanzierungen doch auch immer wieder Zweifel, ob die produktiv-dynamischen Vorzüge der kapitalistischen Wirtschaftsform tatsächlich auf Dauer sichergestellt werden können. Es ist diese eigentümliche Ambivalenz zwischen einer entschiedenen Befürwortung 20des Kapitalismus einerseits und leisen Zweifeln an seiner zukünftigen Überlebensfähigkeit andererseits, die den hier versammelten Aufsätzen Schumpeters die ganz eigene, bestechend offenherzige Note verleiht. Im Schrifttum der Wirtschaftswissenschaften wird man lange suchen müssen, um auf Texte zu stoßen, die es bis zum Ende offen lassen, ob die Frage nach der Fortdauer und Legitimität des Kapitalismus angesichts der gegebenen Verhältnisse nicht doch vollkommen neu aufgerollt werden müsste. Auch die letzte große Schrift von Schumpeter, in der er sich mit der Herausforderung des Sozialismus beschäftigt, die 1942 erschienene Studie Capitalism, Socialism and Democracy, wird diese Eigenschaft einer sich in ihren positiven, rechtfertigenden Vorsätzen ständig selbst unterlaufenden Argumentation beibehalten; liest man dieses an paradoxalen Befunden überreiche Buch heute erneut, drängt sich der Eindruck auf, der Autor wolle uns davon überzeugen, der Kapitalismus müsse über kurz oder lang an der Zerstörung seiner eigenen Erfolgsbedingungen scheitern. Keiner der Aufsätze, die im Folgenden zur Auseinandersetzung zwischen Kapitalismus und Sozialismus zu lesen sind, ist daher frei vom Weberschen Gestus der heroischen Einsicht in ein sich unaufhaltsam näherndes Verhängnis.

Die Instabilität des Kapitalismus

Schon an diesem Aufsatz, der ursprünglich 1928 auf Englisch im Economic Journal erschienen ist, lässt sich unschwer erkennen, wie Schumpeter einerseits eine wesentliche Einsicht von Marx in sein eigenes Bild des Kapitalismus hineinzuarbeiten versucht, um dieses dann aber in rechtfertigender Absicht gegen dessen kritische Absichten zu wenden.[6] Im Unterschied zu den anderen Beiträgen, die hier zur Auseinandersetzung Schumpeters mit der sozialistischen Herausforderung abgedruckt sind, werden in diesem Artikel aber primär keine politischen Zielsetzungen verfolgt, sondern zunächst nur eine sozioökonomische Analyse unterbreitet; daher wird auch 21gleich zu Beginn betont, dass die im Folgenden zu entwickelnden Überlegungen allenfalls einen »entfernten Bezug zur Politik« besitzen. Den Ausgangspunkt stellt die Frage dar, ob die herrschende Wirtschaftstheorie recht damit tue, in ihren Modellen im Kapitalismus stets eine Tendenz zum statischen Gleichgewicht unter Wettbewerbsbedingungen zu unterstellen. Die Antwort darauf ist nach Überzeugung Schumpeters so lange positiv, wie von einer solchen »Stabilität« des ökonomischen Systems nur bei bewusster Ausklammerung von externen, etwa aus politischen Ereignissen stammenden Störungen und zugleich bei Absehung von »Innovationen der produktiven und kommerziellen Methoden« die Rede ist. Dann nämlich könne mit guten Gründen angenommen werden, dass sich über einen gewissen Zeitraum hinweg der Angebotspreis immer wieder an die wirtschaftliche Nachfrage anpasse und Ungleichgewichte ausgeglichen würden. Allerdings legt Schumpeter im Fortgang seiner Analyse nun dar, warum ihm diese Abstraktionen in einer gravierenden Hinsicht problematisch erscheinen; sein Argwohn richtet sich dabei nicht auf die politischen Vorkommnisse, die stets störend von außen auf das ökonomische System einwirken könnten und daher aus seiner Sicht methodisch durchaus ausgeklammert bleiben dürften. Was vielmehr seinen Zweifel weckt, ist die stillschweigende Vorentscheidung solcher Modellanalysen, auch die unternehmerischen »Innovationen« bloß als externe Größen zu betrachten und insofern bei der Analyse ebenfalls unberücksichtigt zu lassen. Gegen diesen zweiten Abstraktionsschritt der herrschenden Wirtschaftstheorie bringt Schumpeter nun seinen schon aus älteren Veröffentlichungen bekannten Gedanken ins Spiel, dass Neuerungen in den Produktionsmethoden und Absatzwegen dem System des Kapitalismus selbst angehören und sogar eine seine ureigensten Triebkräfte bilden; wenn dem aber so ist, so schließt er, dürfen derartige Innovationen nicht aus den Modellberechnungen ausgeklammert bleiben, sondern müssen als dynamisches Element in sie einbezogen werden.

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