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Wären die Spiegel in meiner Wohnung von einem Tag auf den anderen blind geworden, ich hätte es nicht bemerkt. Ich sah nicht hinein. Ich nahm mich nicht mehr wahr und schien mir auf beängstigende Weise fremd geworden zu sein.

Wie siehst du denn aus, hatte Susan nach meiner Veränderung zu mir gesagt und mitleidig die Nase gerümpft, während sich Hannes für eine wortlose Umarmung entschied. Ich hatte weder die Frage noch die Umarmung meiner längst erwachsenen Kinder beantwortet, sondern nur die Schultern und ein wenig die Augenbrauen angehoben, was soviel wie: Ich will nicht mit euch darüber reden, bedeuten sollte. Unser wöchentliches Zusammensein wurde immer schweigsamer und verkürzte sich von Mal zu Mal, bis Susan Ausreden erfand. Sie müsse für ihr Sprachstudium lernen, sagte sie am Telefon, und ich möge ihr verzeihen. Ein andermal war es Felix, ihr neuer Freund, ein Fernsehmoderator, der nur an diesem Tag frei habe. Ich zeigte weder Enttäuschung noch Verständnis, mir war es egal.

Hingegen versäumte mein Sohn nicht eine Verabredung mit mir. Ständig war er um mich besorgt, wollte wissen, ob in der Wohnung alles in Ordnung sei, holte mir Sprudelwasser, bepflanzte, ohne mich zu fragen, die Blumenkästen, trug den Müll herunter, wenn er mich besuchte, und behandelte mich wie eine Achtzigjährige, obwohl ich erst neunundsechzig war. Ich ließ mir alles gefallen, sagte weder danke noch bitte und war froh, wenn er wieder ins Geschäft mußte. Erst als er eines Tages vorschlug, sich auch um meine Finanzangelegenheiten zu kümmern, protestierte ich. Ob er vielleicht glaube, ich sei nicht mehr zurechnungsfähig, fauchte ich und erschrak über meinen Ton. Hannes errötete, senkte den Kopf und behauptete kleinlaut, doch nur mein Bestes zu wollen.

Da ich es nicht fertig brachte, ihm zu sagen, daß mir seine Fürsorge auf die Nerven ging, täuschte ich Kopfschmerzen vor und bat ihn zu gehen. Er merkte wohl nicht, daß ich ihn belog, sondern zeigte sich besorgt und verließ nur ungern meine Wohnung.

Am Abend wolle er mich anrufen, sagte er, und mir blieb nichts anderes übrig, als zu nicken. Nachdem er die Tür hinter sich zugezogen hatte, atmete ich auf und setzte mich, ohne das Licht anzumachen, in meinen Lesesessel am Fenster.

Die Wohnung, die ich vor einem halben Jahr bezogen hatte, bestand aus drei großen Zimmern, Balkon, Bad und Küche. Die Fenster reichten bis zum Boden und gingen auf einen Park mit alten Bäumen hinaus. Fred hatte sie nicht nur für mich gemietet, er hatte mir auch die Einrichtung zur Verfügung gestellt. Entweder könne ich mir aus der gemeinsamen Wohnung mitnehmen, was ich wollte, hatte er gesagt, oder aber ich könnte mich komplett mit Möbeln aus der Firma ausstatten. Ich hatte mich für letzteres entschieden. Nicht ein Teller, geschweige denn Bett, Stuhl oder Tisch sollte mich an meine vierzigjährige Ehe mit Fred erinnern. Wenn alles neu ist, dachte ich, würde ich über die Trennung und den Verlust meiner Position im Einrichtungshaus leichter hinwegkommen.

Wir hatten kurz vor unserer Hochzeit mit einem kleinen Möbelgeschäft angefangen, hatten uns dank unseres Fleißes, mit Umsicht und Energie mehr und mehr vergrößert, bis wir schließlich gemeinsam ein Möbelhaus von Rang, Namen und Geschmack besaßen, in dem es über mehrere Stockwerke alles zu besichtigen und zu kaufen gab, was des Menschen Herz begehrte, wenn es galt, ein Haus oder eine Wohnung einzurichten. Ich kümmerte mich um das Personal und betreute Großkunden, während Fred von Anfang an Chef und Besitzer des Unternehmens war. Selbst nach der Geburt von Hannes und Susan arbeitete ich weiter im Geschäft und glaubte bis vor einem halben Jahr, als rechte Hand von Fred unersetzlich zu sein. Was für ein Irrtum.

Wenn ich nur daran denke, mit welcher Zärtlichkeit Fred nach der Einweihung des Firmenhauses zu mir sagte, daß er ohne mich nie dahin gekommen wäre, wo er jetzt sei. Wie er mich in den Arm genommen und geküßt hatte, wie ich Tränen der Rührung und Freude in seinen Augen sah, wie er schließlich das Schächtelchen aus seiner Jacke zog, in dem ein wunderschöner Brillantring lag, den er mir an den Finger steckte. Der solle mich immer daran erinnern, wie dankbar er mir sei und zeitlebens bleiben würde. Inzwischen liegt der Ring, Jahrzehnte später, wieder in dem Schächtelchen. Ich wußte nicht einmal genau, wo ich dieses Schächtelchen verwahrt hatte, denn am Tag meines Auszugs hatte ich ihn vom Finger gezogen. Nie wieder würde ich ihn tragen.

Es war schlimm mit der Vergangenheit. Sie überfiel mich wie ein wildgewordenes Tier, saß mir im Nacken, krallte sich fest und schlug mir die Erinnerungen um die Ohren, bis ich sie hörte, schmeckte und fühlte. Dann konnte es passieren, daß ich stundenlang auf ein und derselben Stelle saß und vor mich hin starrte. Manchmal vergaß ich zu essen. Erst wenn mein Magen schmerzte und meine Lippen trocken wurden, machte ich mir Tee und aß etwas. Kaum war ich satt, kaum war der Durst gelöscht, wurde ich wieder zum Opfer meines vergangenen Glücks. Wie Blitze tauchten die Erinnerungen auf, zeigten Fred und mich in den unterschiedlichsten Situationen, waren jedoch von Mal zu Mal weniger vollständig. Es kam mir vor, als würden sie durch die ständige Wiederholung beschädigt. Wenn ich nur an das Einweihungsfest unseres Möbelhauses dachte. Freds Rede, die er für Gäste und Angestellte hielt, hatte ich noch Satz für Satz im Kopf. Vor allem die Passagen, in denen er mir für Einsatz, Fleiß und Treue dankte. Noch lange glaubte ich den darauf folgenden Applaus zu hören, der mir und meiner Zugehörigkeit zu Fred galt. Ich weiß nicht, wie viele Blumen ich geschenkt bekam, wie viele Hände ich geschüttelt hatte, wie viele Glückwünsche unserer gemeinsamen Zukunft galten. Immer wieder spürte ich Freds Arm auf meinen Schultern, seine Hand in meinem Nacken und sein wiederholtes Ohne meine Nele, mit dem er jeden dritten Satz begann.

Wie er seine Sätze im einzelnen beendete, habe ich inzwischen vergessen. Nur daß Fred behauptete, daß er ohne mich nie das hätte erreichen können, was er erreicht hatte. Mehr blieb mir über die Jahrzehnte nicht im Gedächtnis. Was danach geschah, wies in meiner offensichtlich beschädigten Erinnerung Lücken auf, Lücken wie Löcher, die Motten im Lauf der Jahre in ein Festgewand gefressen haben. Als sei es heute geschehen, erinnere ich mich noch an den Moment, an dem die Gäste und auch das Personal gegangen waren. Der Party-Service hatte die Reste, das Geschirr und die Gläser mitgenommen. Der Duft von Zigaretten und Alkohol hing noch zwischen den Möbeln in der unteren Etage. Im ersten Stock, hinter den Küchen, lagen unsere Büros, in denen nur noch Fred und ich arbeiteten. Ich sehe ihn vor mir, etwas angetrunken, die Augen glänzend. Er lachte, wirbelte mich im Kreis um seinen Schreibtisch und sagte zum hundersten Mal: Ohne dich, meine kleine Nele, ohne dich 

Auch hier sind mir seine weiteren Worte verloren gegangen. Statt dessen glaube ich, seine Hand zu spüren, mit der er mich aus dem Büro zieht. Er zerrte mich, ohne den Fahrstuhl zu benutzen, die Treppen hinauf in die Etage, in der, Koje neben Koje, die Schlafzimmer aufgebaut waren. In Schleiflack, in Kirsche, in Eiche, Birke, aus Glas und Stahl. Ich hatte auf passenden Überdecken bestanden, auf Nachttischlampen und auf Seidenblumen, die sich in den Spiegeln der Schränke und Frisiertoiletten vervielfältigen sollten.

Welches willst du? fragte Fred.

Aber wir haben doch ein ganz neues Schlafzimmer, gab ich zur Antwort und verstand erst, was er wollte, als ich in sein Gesicht sah.

Du bist ja verrückt, flüsterte ich, es kann doch noch jemand hier sein.

Na und? Fred hob mich hoch und trug mich auf eins der Doppelbetten aus dem Ensemble Lido.

Auf welche Weise er mich dann umarmte, ist in den Lücken meines Gedächtnisses verschwunden. Nur das Schild mit dem Preis und dem Namen des Schlafzimmers sehe ich noch vor mir: Lido, DM 3500,–

Heute kann ich mich weder an seine Zärtlichkeit noch an meine Lust erinnern. Das einzige, was ich nicht vergessen kann, ist der Ausdruck seines starren Gesichts und seines geöffneten Mundes, während ich die ganze Zeit über fürchtete, daß uns der gerade erst eingestellte Nachtwächter mit seiner Taschenlampe entdecken könnte.

Auf diese Weise war, am Ende der Eröffnungsfeier unseres Möbelzentrums, im Schlafzimmer Lido unsere Tochter Susan gezeugt worden.

Der Gedanke daran löste kein Lächeln bei mir aus. Im Gegenteil, ich biß mir auf die Lippen und fühlte Tränen aufsteigen. Nicht etwa wegen der unzusammenhängenden Darstellung meiner Erinnerung, sondern wegen Fred, der mich so schamlos vor die Tür seines Lebens gesetzt hatte.

Nach solchen Überlegungen war ich stets erschöpft. Früher hatte ich dann geweint. Später erfüllte mich lähmender Stumpfsinn, der jeden Willen erstickte und mich in Selbstmitleid hüllte. Außer Spaziergängen und dem täglichen Einkauf unternahm ich nichts. Auch die wenigen Einladungen, die ich nach unserer Trennung noch bekam, sagte ich ab. Ich fürchtete Fragen und Getuschel hinter meinem Rücken. Die einzige Ablenkung war das Fernsehen. Aber auch da gab es Bilder und Situationen, die mich zurückwarfen, in das Leben mit Fred. Dabei ging es nicht etwa um Szenen, bei denen Zärtlichkeiten ausgetauscht wurden, bei denen geküßt und geliebt wurde. Meist waren es ganz harmlose Dinge, die meine Aufmerksamkeit von der Geschichte des Films zu meiner eigenen führten. Zum Beispiel Schnee. Egal ob er eine Landschaft oder die Häuser einer Stadt bedeckte oder ob Kinder sich darin wälzten, ich sah mich mit Fred im Auto sitzen und durch die karge Landschaft der verschneiten rauhen Alp fahren. Es war dunkel, neblig und spiegelglatt. Rechts und links der Straße türmten sich, für die Gegend ungewöhnlich, hohe Schneewehen. Auf Wunsch von Fred sang ich. Dann würde er nicht einschlafen, sagte er, denn ich hätte eine so schöne Stimme. Ihm zuliebe hatte ich die Texte seiner Lieblingssongs gelernt, sang in deutsch, englisch, und zwei Songs konnte ich sogar auf französisch. Wie es passierte, wußten wir später beide nicht mehr. Plötzlich rutschte der Wagen in einer Kurve hinten weg und schoß, genau zwischen zwei Schneebergen hindurch, über den Straßenrand hinweg in die Tiefe. Merkwürdigerweise sang ich noch, als der Wagen schon mit den Vorderrädern in der Luft hing. Dann war ich mit der Stirn gegen die Frontscheibe geknallt, und alles um mich herum versank in Finsternis. Als ich aufwachte, lag ich im Schnee, und Fred klopfte unentwegt mein Gesicht. Er rief meinen Namen und fügte alle Kosenamen hinzu, die er jemals für mich erfunden hatte. Er weinte. Mit dem ersten Blick nach meiner Ohnmacht sah ich die Tränen, die über seine Wangen liefen. Wie er mir später sagte, hatte er im ersten Moment angenommen, ich sei tot.

Im Gegensatz zu anderen Situationen hatte ich in diesem Fall Wort für Wort in meinem Gedächtnis behalten. Nele, liebste Nele, hatte Fred mehrmals gerufen, du darfst nicht sterben, ich kann ohne dich nicht leben.

Und ich, einfältig, wie ich war, ich hatte das, was er mir da gesagt hatte, für bare Münze genommen, hatte daran geglaubt und darauf vertraut.

Am schlimmsten waren bestimmte Daten wie der Tag unserer Hochzeit, sein Geburtstag oder Weihnachten. Dann heulte ich doch noch, oder ich stieß kleine Schreie aus. Sie drangen aus meiner Kehle und entsetzten mich, weil diese befremdlichen Laute so gar nicht zu mir paßten. Sie wurden Ausdruck meines unverdienten Leids, das mich immer mehr beherrschte und von einem Tag in den nächsten schob.

Hin und wieder rief ich Hannes und Susan an, um sie über die Unerträglichkeit meines Kummers zu informieren und sie dazu zu bringen, an meinem Kummer teilzunehmen.

Während Hannes sich meine Klagen eher wortlos anhörte, mich auch schon mal in den Arm nahm und sagte, daß er ja jetzt da sei, der sich um mich sorgte, rastete Susan eines Tages aus. Sie habe, sagte sie wortwörtlich, mein ständiges Jammern und die Herumwühlerei in der Vergangenheit satt. Ich solle mich gefälligst mit den Tatsachen abfinden und froh sein, daß der Vater, sie sagte mein Vater, umsichtig und voller Verantwortung für mein Wohl sorge. Das hat nichts mit Umsicht und Verantwortung zu tun, erwiderte ich heftig, sondern mit seinem schlechten Gewissen. Sofort entstand eine Pause, in die beinahe einer meiner kleinen Schreie gerutscht wäre. Aber ich schloß rechtzeitig den Mund und hörte, wie Susan seufzte. Ich verstehe nicht, Mom, daß du die Schuld für eure Trennung ständig nur bei meinem Vater suchst.

Das brachte mich in Rage. Meine Stimme kippte und wurde schrill. Hat er mich wegen einer anderen verlassen oder nicht? brüllte ich. Aber da hatte Susan schon aufgelegt, und ich stand mit dem Hörer in der Hand mitten im Zimmer und hätte ihn am liebsten durch die geschlossene Fensterscheibe geworfen. Danach rief ich Susan eine Weile nicht an, und ich sah sie noch seltener als zuvor.

Mein Zustand änderte sich nicht, mein Aussehen sehr wohl. Ich war dicker geworden, das merkte ich an den Kleidern. Da ich mich nicht mehr schminkte, zudem auch nicht mehr in den Spiegel sah, war mir nicht bewußt, wie die Falten mein Gesicht hart machten. Später war ich mir nicht mehr ganz klar darüber, ob ich nicht vielleicht wollte, daß man mir den zugefügten Schmerz vom Gesicht ablesen konnte.

Es war ein Vorfrühlingstag mit einer für die Jahreszeit zu lauen Luft. Eigentlich wollte ich in den Park gehen, um mir die Beine zu vertreten und die Enten zu füttern, die um diese Jahreszeit wenig in der Natur fanden. Meine Stimmung war unerwartet ausgeglichen, und ich hatte, was selten genug der Fall war, lange und tief geschlafen. Weder hatten mich Alpträume noch Wachträume gequält. Als ich die Treppe hinunterging, klang mein Schritt fester als üblich. Es fehlte nur noch, daß ich vor mich hin gesummt hätte. Das alles änderte sich, als ich einen Brief im Kasten fand. Es war ein dicker Brief, mit der Handschrift von Fred adressiert. Und genau das war das Ungewöhnliche. Fred adressierte nie Briefe mit der Hand. Das war im allgemeinen Sache seiner Sekretärin, es sei denn, es handelte sich um äußerst persönliche Dinge. Selbst an mich war die wenige Post, die ich von ihm noch bekam, maschinell geschrieben. Was also hatte dieser Brief zu bedeuten?

Ich vergaß die Enten und meinen Spaziergang. Ich trug den dicken Brief wie ein Kleinod nach oben. Als ich vor der Wohnungstür angelangt war, pfiff mein Atem, Hitze brannte mir in den Wangen, und mein Herz trommelte. Ich fürchtete, mit dem Brief in der Hand vornüber in meine Wohnung zu fallen. Ich legte ihn vorsichtig, als sei er zerbrechlich, auf den Wohnzimmertisch. Erst dann zog ich viel zu langsam Jacke und Straßenschuhe aus. In meinem Kopf geriet alles durcheinander, und meine Gedanken gipfelten in der Hoffnung, Fred würde die Trennung von mir rückgängig machen wollen. Vielleicht hatte er im Laufe der letzten Monate begriffen, daß meine Zuverlässigkeit nicht zu überbieten war, daß ihm das Leben ohne mich schwerer fiel, als er gedacht hatte, daß er meine Nähe brauchte, um seiner Zukunft sicher zu sein, daß nur ich ihm Ruhe verschaffen konnte. Ich ging noch weiter und stellte mir vor, in dem Brief stünde, daß er meine Zärtlichkeit vermisse, daß er sich geirrt habe und nur mit mir leben könne und wolle. Ich war von seinen Eingeständnissen und seinen Wünschen derart erfüllt, daß ich meinte, den Brief gar nicht öffnen zu müssen. Bis auf die Anrede wußte ich Zeile für Zeile, was darin stand. Ich nickte zu jedem Wort, vergaß meine Wut über das Unrecht, das Fred mir zugefügt hatte, und verzieh ihm von Minute zu Minute mehr und mehr.

Inzwischen schien die Mittagssonne ins Zimmer, und ihre Strahlen fielen auf das Couvert, das ich immer noch anstarrte und dessen Ecken jetzt leuchteten, als läge darin mein verlorenes Glück. Endlich stand ich auf, um den Brieföffner vom Schreibtisch zu holen. Jede Bewegung war beschwingt, denn alles würde sich zum Guten wenden. Plötzlich war ich ungeduldig und beschädigte in meiner Hast den Umschlag. Ich riß den dicken Brief heraus. Er war mit der Maschine geschrieben, und nur oben, neben der Anschrift, klebte ein Zettelchen. Gratuliere zu Deiner Erbschaft, stand darauf, alles weitere können wir in meinem Büro besprechen.  F.

Keine Versöhnung und keine Rede davon, zu mir zurückzukommen. Statt dessen war ich jetzt, laut dem beigefügten Dokument, im Besitz einer pompösen Stadtvilla.

Mein Urgroßvater hatte die Villa gebaut, und zuletzt war das Haus im Besitz meines Onkels, der in den Staaten lebte und dort als alter Mann gestorben war, ohne Frau und Kinder. Außer mir gab es keine Verwandten mehr, und da ich mit diesem Onkel kaum eine Verbindung hatte, war die Mitteilung der Erbschaft noch an meine alte Adresse geschickt worden. Das also war der Inhalt des dicken, mit der Hand von Fred adressierten Briefes.

Als das Telefon klingelte, stellte ich fest, daß ich meine Lippe blutig gebissen hatte. Es fiel mir plötzlich schwer, meinen Namen, der eigentlich nicht mir, sondern Fred gehörte, laut und deutlich zu sagen: Nele Ungureit.

Hör zu, Mama, sagte Hannes, sei so lieb und komm morgen am Nachmittag in die Firma, damit wir alles wegen deiner Erbschaft besprechen können.

Und wer ist wir?

Na Papa, Susan und ich.

Und warum in der Firma?

Weil wir, im Gegensatz zu dir, keine Zeit haben, irgendwohin zu kommen.

Statt einer Antwort legte ich leise den Hörer auf und vernahm im Geiste die Stimme meines Sohnes. Mama, bist du noch dran, Mama, warum hast du aufgelegt?

Seit der Trennung von Fred war ich nicht mehr in der Firma gewesen. Ich fürchtete, dort auf Heike zu treffen, Freds neue Lebensgefährtin.

Bisher war es weder Fred noch Hannes eingefallen, mich einzubestellen. Natürlich, ich könnte mich weigern. Nur würde mir das wenig nützen, zumal meine Unterlagen im Büro der Firma aufbewahrt wurden. Nach wie vor regelten Fred und Hannes alles, was mit Kassen und Behörden zu tun hatte. So war es immer gewesen, und nach Freds Vorschlag sollte es auch weiter so sein. Er wußte aus unserer gemeinsamen Zeit, daß ich derlei Vorgänge nicht nur haßte, sondern beinahe fürchtete. Also wäre es für mich einfacher, hatte Fred gesagt, während es ihn nicht weiter belaste. Ich hatte zugestimmt.

Noch nie war mir diese Situation derart klar geworden. Entweder ich blieb weiterhin von Fred abhängig, oder ich nahm endlich die Dinge selbst in die Hand.

Ich schlief schlecht, wachte wie gerädert auf, unschlüssig, was ich tun sollte. Ich frühstückte, zog mich an und ging erst einmal in den Park. Im Windschatten zwischen den Bäumen waren die ersten Schneeglöckchen zu sehen, und aus den Zweigen drückten sich vorsichtig tropfenförmige Knospen. Es roch nach Erde und Baumrinde. Der Himmel war frühlingsblau, und die Amseln pfiffen um die Wette. Ich mußte ununterbrochen an Heike denken, auch daran, wie ich mich verhalten sollte, wenn ich ihr begegnete.

Ich wußte längst, daß sie im Möbelhaus meinen Platz eingenommen hatte. Ich wußte auch, daß sie beim Personal weit weniger beliebt war als ich. Hingegen wurde sie von der Kundschaft außerordentlich geschätzt. Das hatte Susan berichtet, obwohl sie nicht im Betrieb arbeitete und es demzufolge eigentlich auch nicht wissen konnte.

Vor drei Jahren hatte ich Heike selbst eingestellt und mich für sie als Abteilungsleiterin stark gemacht. Findest du sie nicht ein bißchen zu alt? hatte Fred damals gefragt, während ich behauptete, daß fünfundvierzig kein Alter sei, zudem sähe sie jünger aus. Für den ihr zugedachten Posten sei ihr Jahrgang gerade recht.

Meine Gedanken flogen wie die Amseln über meinem Kopf hin und her, hielten an Heike fest und an Fred, der mich mit ihr nach vierzig Jahren hintergangen hatte. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, daß unsere Ehe nicht mehr funktionierte. Sicherlich, unsere Gemeinsamkeit war im Lauf der Zeit von den Ritualen des Alltags beschädigt. Wir schwiegen mehr miteinander, als daß wir redeten. Die Zärtlichkeiten, die wir miteinander austauschten, hatten sich mit den Jahren auf immer die gleichen Gesten eingespielt, und schon lange umarmten wir uns nicht mehr im Bett. Aber mich hatte das wenig gestört. Das Vertrauen war mir wichtiger, vor allem die Gewißheit, nicht allein den Lebensweg gehen zu müssen. Ich war stolz auf unser so mühsam aufgebautes Möbelhaus und hielt meine Arbeit für einen Teil unserer Zweisamkeit. Auch war Fred immer ein guter Vater gewesen, und wir hatten bei der Erziehung nie Differenzen. Eine Ehe wie im Bilderbuch, sagten die Freunde, und auch im Geschäft wagte keiner der Angestellten zum eigenen Vorteil zwischen Fred und mir Zwietracht zu säen. In Geldangelegenheiten war er großzügig, und ich konnte mir kaufen, was ich wollte. Infolgedessen machte ich mir auch nie darüber Gedanken, daß das Geschäft allein auf seinen Namen lief. Ich sah darin keinen Nachteil für mich und meine Zukunft.

Wenn ich das ganze Drama meiner Ehe rekapitulierte, mußte ich zugeben, daß alles mit den Boxershorts angefangen hatte. Wir zogen uns abends im Schlafzimmer aus, wir waren wie immer müde und freuten uns auf unsere Betten, denn wir hatten einen harten Arbeitstag hinter uns. Ich hatte mich mit der Lieferung neuer Küchenmöbel rumgeschlagen, mit Schränken aus Schweden und Glastischen, die ich selbst ausgesucht und eingekauft hatte. Fred hatte bei einem Hotelier einen Großauftrag eingeholt und hatte den Kunden später zum Essen eingeladen. Ich hatte wie üblich auf ihn gewartet und schwieg, als er sich nicht darüber freute, sondern eher ungehalten zu sein schien.

Ich kann eben besser einschlafen, wenn du neben mir liegst, hatte ich mein Warten erklärt. Als er nicht antwortete, sah ich ihn an und traute meinen Augen nicht. Er trug statt der gewohnten weißen Slips knallige, in merkwürdigen Farben gemusterte Boxershorts.

Was hast du denn da an? fragte ich verblüfft und hätte, wenn es eine Erklärung für diesen lächerlichen Anblick gäbe, sicherlich gelacht. War er rot geworden? Ich konnte es nicht feststellen, denn er drehte sich sofort um und ging ins Bad. Ich war ihm hinterhergelaufen. Sein Rücken war mit dem Alter leicht gekrümmt, seine Haut rötlich, an den Seiten bereits faltig. Im Spiegel sah ich sein graues Brusthaar, glatt, bis zum Nabel reichend, der seinen Spitzbauch wie ein kleines Ventil abschloß und meiner Meinung nach ganz und gar nicht zu dem jugendlichen Design der Boxershorts paßte.

Aber heute morgen, begann ich langsam, heute morgen 

Da fuhr er herum, wütend, noch mit Zahnpaste im Mund zischte er mich an, ob ich jetzt auch noch seine Unterwäsche kontrollieren wolle. Viel zu erschrocken, um mich über seine Grobheit zu beschweren, lief ich zurück ins Schlafzimmer und verkroch mich im Bett. Als ich anderntags die Boxershorts in der Wäsche fand, warf ich sie, in der Annahme, daß Fred nach ihnen fragen würde, in die Mülltonne. Nur Fred fragte nicht, und ich ließ, ohne darüber nachdenken zu wollen, die Sache auf sich beruhen.

Inzwischen hatte ich mehrmals den kleinen See im Park umkreist. Die Enten gaben nicht auf. Vom Winter hungrig, verfolgten sie in der Hoffnung auf Brotkrumen jeden Spaziergänger und lockten mit ihrem Geschnatter immer mehr Artgenossen an. Bröckchen um Bröckchen warf ich ins Wasser und sah zu, wie die Tiere sich gegenseitig das Futter wegschnappten, um damit davonzuschwimmen, es in Ruhe runterzuschlucken und wiederzukommen. Stets waren die Erpel schneller.

Als ich kein Brot mehr hatte, beugte ich mich über das Geländer, bis ich mich im Wasser erkannte. Ich erschrak über die alte Frau, die mir da mit verkniffenem Mund entgegensah, und ich spuckte mir ins Gesicht. Die kreisenden Ringe zerstörten das Bild, die Enten schwammen enttäuscht davon. Ich war eine alternde Frau. Ich glaubte zu spüren, wie meine Haut schlaff wurde, meine Muskeln, und wie sich meine Schultern nach vorn zogen. Sogar die Haare schienen weiß zu werden, und meine Beine wurden dick. Ich mußte mich auf eine Bank setzen, in Gedanken weit weg von mir und meiner Zukunft.

Später war ich davon überzeugt, daß das gesamte Personal von dem Verhältnis zwischen Fred und Heike wußte, nur ich nicht. Ich verstand nicht die Blicke, die die Verkäufer sich zuwarfen, wenn ich kam und Heike in der Nähe war. Ich wunderte mich über das Getuschel, das aussetzte, wenn ich mich näherte. Ich las ohne Verständnis das Staunen in den Augen, wenn ich mit Heike lachte oder sie zum Kaffee in mein Büro einlud. Und ich konnte rein gar nichts mit den verhaltenen Vorwürfen von Freds Sekretärin anfangen, als ich vorschlug, Heike mit Fred auf die Möbelmesse zu schicken.

Einer muß schließlich hierbleiben, hatte ich geantwortet und Freds Zustimmung gefunden.

Und dann kam es, wie es kommen mußte, wie es in Kitschromanen zu lesen oder in Fernsehserien zu sehen ist. Ich rief am Abend Fred nicht wie gewöhnlich über sein Handy an, sondern über das Hoteltelefon.

Die Herrschaften, gab der Portier höflich Auskunft, sind noch nicht auf ihrem Zimmer. Ich gab vor, nicht richtig verstanden zu haben, was den Portier dazu veranlaßte, mich darüber aufzuklären, daß Herr und Frau Ungureit noch nicht zurück im Hotel seien. Ich bekam nicht nur kein Danke heraus, sondern ich lehnte es auch ab, den Herrschaften eine Nachricht zu hinterlassen, und notierte mir nur die Zimmernummer.

Außer den Boxershorts fiel mir nichts ein, was mich hätte darauf hinweisen können, daß Fred eine Geliebte hatte. Allein das Wort löste Übelkeit in mir aus, und ich glaubte einen Moment lang, ich müßte mich übergeben. Ich saß ganz still, bewegte mich nicht, heulte auch nicht, sondern horchte in mich hinein. Alles in mir schien betäubt, wie damals nach dem Unfall. Ich hörte nur Freds Stimme, die sich in meinen Ohren wiederholte: Nele, liebste Nele, ich kann ohne dich nicht leben.

Merkwürdigerweise wurde ich auch nicht wütend. Die einzige Frage, die mich bewegte, war, mit welcher Frau mich Fred betrog. Auf Heike kam ich nicht. Zum einen hatte er sie bei der Einstellung als zu alt empfunden. Zum zweiten hätte ich ihr ein solch unsolidarisches Verhalten mir gegenüber nie zugetraut. Schließlich fühlte ich mich mit ihr fast befreundet. Sie war mehrmals bei uns zu Gast gewesen, und letztes Jahr hatte sie sogar Weihnachten bei uns verbracht. Nein, Heike kam nicht in Frage.

Ich wartete noch eine Stunde. Dann rief ich unter der direkten Zimmernummer an und ließ es so lange läuten, bis endlich abgenommen wurde.

Wer ist denn da?

Ich erkannte sofort Heikes Stimme und hörte im Hintergrund Fred sagen, sie möge auflegen, bestimmt habe sich jemand verwählt.

Nach einer schlaflosen Nacht und vielen Tränen hatte ich mir vorgenommen, ihn nach seiner Rückkehr zur Rede zu stellen. Ich wollte, daß er mir ins Gesicht sagte, daß er mich betrogen habe, er sollte sich entschuldigen, bereuen und versprechen, Heike von einem auf den anderen Tag, meinethalben mit einer Abfindung, zu kündigen. Wenn er all dem zustimmte, würde ich ihm, so hatte ich es mir zurechtgelegt, großmütig verzeihen.

Nur dazu kam es nicht. Fred hatte sich zwar angehört, was ich von ihm wollte, ging aber nicht darauf ein. Er lächelte sogar und strich mir wie einem Kind über den Kopf.

Wir hatten dreißig schöne Jahre miteinander, sagte er. Und ich: Nein, vierzig.

Entschuldige Nele, aber die letzten Jahre haben wir nicht miteinander, sondern nebeneinander gelebt.

Aha, dachte ich mit einem kleinen Gefühl des Triumphes, jetzt sucht er also doch nach einer Rechtfertigung. Meine Augen zogen sich zusammen, meine Stimme wurde leicht schrill.

Soll das der Grund sein, mich mit Heike zu betrügen?

Fred betrachtete mich schweigend. Er suchte nach Worten. Das Wort Betrug lasse ich nicht gelten, sagte er endlich. Betrug heißt nichts anderes als die Vorspiegelung falscher Tatsachen. Das einzige, was ich als meinen Fehler gelten lasse, ist, daß ich dir nicht eher die Wahrheit gesagt habe.

Und was meinst du mit Wahrheit?

Im gleichen Augenblick wußte ich, daß meine Frage falsch war und daß ich mit der Antwort auf die Verliererseite geraten könnte. Ich legte die Hand auf meinen Mund, als könnte ich die Worte wieder hineinstopfen. Mit der anderen Hand winkte ich ab, als nähme ich meine Frage nach der Wahrheit selbst nicht ernst.

Aber Fred nickte zufrieden, wenn auch schweren Herzens, mir endlich reinen Wein einschenken zu können.

Er sagte: Ich liebe Heike, und ich möchte mit ihr zusammenleben.

Seine Stimme hatte einen so selbstverständlichen Klang, als redete er von einem Haus, einem Pferd oder einem neuen Auto. Dabei hob er die Schultern und breitete die Arme aus, um mir zu verstehen zu geben, daß er gegen sein Schicksal machtlos sei. Er goß uns sogar Cognac ein und reichte mir ein Glas, das ich nicht anrührte.

Heißt das … fragte ich, und ohne daß ich meinen Satz beenden konnte, nickte er.

Ja, das heißt: Ich möchte mich von dir in aller Freundschaft trennen.

In der Art folgten noch mehrere Gespräche, bei denen Fred im Gegensatz zu mir nie laut wurde. Mit gleichbleibender Bestimmtheit sprach er von seinem Entschluß, sich von mir zu trennen. Wenn ich ihn an seinen Schwur erinnerte, daß er ohne mich nicht leben könne, an seine versprochene Liebe, an unsere Kinder, dann stimmte er mir mit freundlicher Geduld zu.

Das war einmal, das gehört in unsere gemeinsame Vergangenheit, die ich nicht missen möchte. Nur jetzt ist diese Zeit zu Ende. Merkst du das nicht selbst?

Nein, schrie ich darauf wütend, ich weiß nur, daß du mich betrogen und mein Leben zerstört hast.

Das war meistens der Augenblick, in dem Fred den Raum verließ oder mich darauf hinwies, daß weder er mein Besitz sei noch ich der seine. Und von Betrug könne gar keine Rede sein, denn ich wisse so gut wie er, daß wir uns schon lange nicht mehr im Bett umarmten.

Aber wir sind doch verheiratet.

Eben, gab er zur Antwort, das will ich ja gerade ändern.

Ein einziges Mal hatte ich ihn bei diesen Auseinandersetzungen in Rage gebracht, ein einziges Mal hatte er mich dabei dermaßen gekränkt, daß ich es bis heute nicht vergessen kann. Ich hatte ihm in Bezug auf Heike pure Geilheit vorgeworfen, hatte ihn beleidigt und seine Liebe, wie er es nannte, in den Dreck gezogen. Im ersten Augenblick glaubte ich, er wolle mich schlagen. Er hatte sogar schon ausgeholt, als er sich sozusagen mit der anderen Hand selbst in den Arm fiel. Erst war er leichenblaß geworden, dann puterrot, und sein Atem pfiff von einem Ende des Zimmers bis zum anderen. Als er den Mund öffnete, waren seine Lippen so schmal, daß er mir ganz fremd vorkam.

Paß auf, was du sagst, zischte er, sieh in den Spiegel, dann begreifst du, wie alt du bist, und weißt, warum ich mit Heike schlafe.

Danach redeten wir tagelang nicht. Ich war wie betäubt. Und was ich überhaupt nicht an mir kannte, ich begann an mir selbst zu zweifeln. Ich ging ab sofort nicht mehr ins Geschäft, in der Angst, Heike zu begegnen und ihren Triumph zu spüren. Ich ließ Fred, gemeinsam mit Hannes, eine Wohnung für mich suchen und den Umzug organisieren. Nur die Möbel wählte ich selbst aus, um ja nichts aus dem gemeinsamen Haushalt mitnehmen zu müssen, nicht einmal Geschirr oder Küchengeräte.

Na also, hatte Fred darauf gesagt und mir kameradschaftlich auf die Schulter geklopft, es geht doch.

Nein, die Erinnerung an diese Gespräche und an meinen Auszug mochte ich nicht. Sie hatten jedesmal zur Folge, daß ich nicht mehr wußte, warum ich auf der Welt war, und nur noch die Lächerlichkeit sah, der ich nunmehr ausgesetzt war. Ich tauchte in lähmendes Grau, spürte nichts, auch nicht meinen Körper, und dachte an den Tod.

Hier, hier im Park, in diesem Moment der totalen Abkehr und Zurückweisung von allem, was um mich geschah, wurde ich angesprochen. Ich hörte eine dünne und sehr leise Stimme. Entschuldigen Sie, wenn ich Sie anspreche, aber mit irgendeinem Menschen muß ich reden.

Ich fand nur mühsam in die Realität zurück und blickte die ältere Frau vor mir unfreundlich an.

Ich weiß, sagte die noch leiser und zutiefst bekümmert, ich weiß, daß ich störe.

Da ich dem weder zustimmte noch widersprach, setzte sie sich blitzschnell neben mich auf die Bank und legte ihre kleine Hand auf mein Knie. Das Alter der Frau war schwer abzuschätzen, vielleicht Mitte siebzig. Ihr volles, gut frisiertes Haar war schneeweiß, ihre Kleidung gepflegt, und an ihrem Handgelenk sah ich neben einer Uhr ein geschmackvolles, etwas altmodisches Armband.

Um ihr zu signalisieren, daß ich auf ein Gespräch mit ihr keinen Wert legte, schob ich vorsichtig ihre Hand von meinem Knie. Sie schien diese Geste erwartet zu haben, denn sie packte fester zu und griff nach meiner Jacke.

Sie dürfen nicht weglaufen, sagte sie, nicht bevor ich Ihnen erzählt habe, was mir passiert ist.

Als ich nickte, ließ sie mich los und schwieg ein Weilchen. Ihr kleines, von Falten gezeichnetes Gesicht wirkte konzentriert, und ihr Blick, klar, blau und voll großer Unruhe, richtete sich auf mich.

Stellen Sie sich vor, sagte sie mit einer plötzlich kräftig wirkenden Stimme, stellen Sie sich vor, letzte Woche kam meine Tochter, die in Amerika lebt, zu Besuch. Sie sah sehr schön aus.

Der Blick der alten Dame hielt mich fest. Ich konnte nicht anders, ich mußte sie ansehen. Mit jedem Wort, das sie sagte, wurde ihr Ausdruck hilfloser, und um ihre Mundwinkel bildeten sich winzige Fältchen. Ihre Augen wurden feucht, und ich befürchtete, daß sie gleich weinen würde. Aber bevor ich etwas Tröstliches sagen konnte, fuhr sie in der Beschreibung ihrer Tochter fort.

Sie hat blaue Augen, wie ich, sagte sie, und ihre Haare sind schwarz wie – wie 

Ebenholz, sagte ich ein wenig belustigt.

Ja, wie Ebenholz, antwortete die alte Dame ernst und berichtete genau, was die Tochter angehabt habe, beschrieb die Handtasche und die Blumen, die sie mitgebracht habe: nämlich Astern.

Um die Jahreszeit? wollte ich wissen.

Ja, es sind meine Lieblingsblumen. Sie hat lange in meinem Zimmer gestanden und gewartet. Sie hat sich nicht gesetzt, sie hat mich nicht umarmt, sie hat auch nichts gesagt, sie hat nur gewartet.

Und worauf?

Daß ich sie erkenne.

Jetzt war die Konzentration aus dem Gesicht der Frau gewichen und hatte tiefer Mutlosigkeit Platz gemacht. Der ganze Körper sackte nach vorn, und die zitternden Hände hielten sich aneinander fest. Der Blick rutschte zu Boden, als wollte sie darin versinken.

Und? fragte ich unsicher, weil ich nicht wußte, um was es der alten Dame ging. Da begann sie zu weinen, tonlos und tränenreich. Einige Sätze, die nicht zu verstehen waren, mußte sie wiederholen, bis ich begriff, was die Frau in so tiefe Verzweiflung gestürzt hatte.

Ich habe mein eignes Kind nicht erkannt. Können Sie sich das vorstellen? Meine Tochter kommt aus Amerika, um mich zu besuchen, und ich erkenne sie nicht.

Aber Ihre Tochter weiß doch, wer Sie sind, warum hat sie denn nichts gesagt?

Ich weiß es nicht, ich weiß es wirklich nicht. Ich glaube, sie war gekränkt, daß ich sie nicht erkannt habe. Sie ist wieder weggegangen und hat sogar die Blumen mitgenommen.

Das glaube ich nicht, sagte ich schockiert, das hat sie bestimmt nicht gemacht.

Doch, hat sie, und nun ist sie wieder in Amerika.

Es entstand eine endlose Pause. Ich wußte nicht, was ich zu diesem sonderbaren Bericht sagen sollte, während die alte Dame versuchte, sich zu fangen, indem sie sich umständlich die Nase putzte.

Wissen Sie, sagte sie jetzt, meine Tochter kommt ja vielleicht wieder. Aber daß ich mein eigenes Kind nicht erkenne, das ist schrecklich.

Jetzt sah sie mich wieder an, und ihre Finger krallten sich abermals in meine Jacke. Bin ich denn so verwirrt? fragte sie, glauben Sie, daß ich verrückt werde und es nicht merke?

Natürlich nicht, antwortete ich schnell, am besten ist, Sie rufen Ihre Tochter in Amerika an und klären das Mißverständnis auf. Aber die alte Dame reagierte nicht auf meinen Vorschlag. Ich muß immerfort daran denken, daß ich verrückt werde, murmelte sie, stand auf und sah rechts und links den Weg entlang.

Möchten Sie nach Hause? fragte ich freundlich.

Ja, sagte sie, ich wohne im Seniorenheim. Und dann lächelten mich plötzlich ihre blauen Augen an. Begleiten Sie mich ein Stück?

Da mich das Gespräch von meinen eigenen Sorgen abgelenkt hatte, ging ich neben ihr her bis zum Altenheim. Ich war verwundert, mit welcher Erleichterung wir begrüßt wurden. Die junge Frau am Empfang schien regelrecht aufzuatmen, und eine Schwester, die sofort ihren Arm unter den der alten Dame schob, sagte halb lachend, halb streng: Na, Frau Griese, Sie sollen doch nicht weglaufen, das wissen Sie doch.

Sie ging mit Frau Griese fort, ohne daß ich die Möglichkeit hatte, mich zu verabschieden.

Sie ist sehr verzweifelt, weil vorige Woche ihre Tochter hier war und 

Frau Grieses Tochter war nicht hier. Die lebt in Amerika und hat ihre Mutter noch nie besucht.

Ich muß sehr verdutzt ausgesehen haben, denn die junge Frau nickte mir verständnisvoll zu. Ich weiß, was Frau Griese Ihnen erzählt hat, sagte sie, das erzählt sie allen, die sie trifft und die sich von ihr ansprechen lassen.

Auch daß sie Angst hat, verrückt zu werden?

Ja, auch das. Es war sehr freundlich von Ihnen, Frau Griese zurückzubringen.

Ich sah mich um, sah die vielen Grünpflanzen, den handgearbeiteten Wandbehang und die selbstgemalten Bilder, die den Flur schmückten, in dem Frau Griese am Arm der Schwester verschwunden war.

Wie alt ist sie eigentlich?

Frau Griese? Ich weiß es nicht genau, ich glaube Mitte siebzig. Warum fragen Sie?

Weil ich neunundsechzig bin.

Ach, wissen Sie, sagte die junge Frau ebenso freundlich wie gleichgültig: Irgendwann kann es jeden von uns erwischen. Das lernt man hier im Lauf der Zeit.

Am liebsten hätte ich die junge Frau an den Schultern gerüttelt. Statt dessen sagte ich nur: Aber Frau Griese ist todunglücklich, merkt das hier keiner?

Die junge Frau, die sich schon wieder ihrem Computer zugewandt hatte, drehte sich noch einmal zu mir um: Wer hier wohnt, ist nicht mehr glücklich, höchstens zufrieden. Aber Sie können Frau Griese ja öfter mal besuchen und mit ihr spazierengehen.

Ich gab keine Antwort, stürzte aus dem Haus und war froh, als ich hinter mir die Tür ins Schloß fallen hörte. Ich rannte geradezu nach Hause, wobei ich ständig das Gefühl hatte, von Frau Griese begleitet zu werden. Sie ließ mich nicht los und saß mir mit ihrer Angst, verrückt zu sein, im Nacken. Dann sah ich sie wieder ergeben, fast unterwürfig am Arm der Schwester den Flur entlanggehen, ohne sich nach mir umzudrehen. Frau Griese beschäftigte mich mehr als die Tatsache, am Nachmittag in Freds Firma gehen zu müssen.

Schon von weitem sah ich den Schriftzug über dem vierstöckigen Gebäude. Möbelhaus Ungureit und daneben das Logo, das ich damals aus den Entwürfen des Graphikers ausgewählt hatte. Einen Augenblick setzte mein Herzschlag aus, und meine Kehle zog sich zusammen. Das Gefühl, wie eine Angestellte gefeuert worden zu sein, übermannte mich. Am liebsten wäre ich umgekehrt und nach Hause gefahren. Andrerseits fürchtete ich die Fragen von Hannes, Freds Ungeduld und Susans Bemerkungen, was ich denn nun schon wieder hätte. Ich entschloß mich, nicht den Personaleingang zu benutzen, sondern durch die Geschäftsräume zu gehen. Zwischen den Kunden würde man mich nicht vermuten, und so könnte es mir gelingen, unbemerkt Freds Büro aufzusuchen. Ich stand schon in der Lampenabteilung im Erdgeschoß und ging eilig auf die Rolltreppe zu, als ich meinen Namen rufen hörte.

Frau Ungureit, sagte einer der langjährigen Verkäufer des Hauses, wie schön, Sie zu sehen. Er legte seine Hand derart herzlich auf meine Schulter, daß ich schon glaubte, er wolle mich umarmen.

Guten Tag Herr Feigel, grüßte ich zurück und fragte höflich nach seinem Wohlergehen.

Wir vermissen Sie, flüsterte er und sah sich um, wir vermissen Sie sehr.

Obwohl mir der kleine Satz guttat, wußte ich keine Antwort darauf, schützte Eile vor und fuhr in den nächsten Stock. Aber Herr Feigel hatte mich schon telefonisch angekündigt, denn ich war noch nicht oben angelangt, da standen schon weitere Mitarbeiter an der Rolltreppe, lächelnd und voller Freude, mich zu sehen.

Wie es mir ginge, wollten sie wissen, was ich mache und ob ich gesund sei.

Mein Blick ging an Schränken, Tischen, Sofas und Sesseln vorbei in alle Ecken. Was sollte ich sagen, wenn Heike jetzt aufkreuzte, zwischen den Spiegeln hervorträte und mich wie eine Kundin fragte, was sie für mich tun könne?

Heike, die neue Chefin, Heike, die jetzt in meinem Büro saß, die neben meinem ehemaligen Mann in meinem ehemaligen Bett lag und in meiner ehemaligen Küche für ihn kochte. Ich sah sie vor mir, jünger, hübscher, und im Gegensatz zu mir ganz und gar Traumfrau. Allein ihre kleinen Füße, immer in hochhackigen Schuhen steckend, so daß ihr Po bei jedem Schritt von einer Seite auf die andere schwang, während ich in meinen Mokassins Größe vierzig eher wie ein Kutschpferd durch die Gegend trabte. Ihre Haare, täglich gewaschen, waren kurz und nach der neuesten Mode geschnitten. Bei meiner Frisur fiel eher die grauweiße Farbe auf, da ich in letzter Zeit auf jegliche Tönung verzichtet hatte.

Ich sah es den Gesichtern der Angestellten an. Sie alle dachten dasselbe. Die alte und die neue Chefin, was für ein Unterschied. Aus einem mir unerfindlichen Grund mußte ich an Frau Griese denken, hörte ihre ängstliche Stimme und fühlte ihre Hand auf meinem Knie.

Ich versuchte zu lächeln, aber es gelang mir nicht. Ich drehte mich um, sah nach rechts und nach links und glaubte, langsam in den Boden zu versinken, als eine der älteren Verkäuferinnen, die mit Herrn Feigel seit Bestehen der Firma im Haus angestellt war, laut und für alle hörbar sagte: Sie ist nicht im Haus, Frau Ungureit, Kundenbesuch, worauf die anderen Mitarbeiter kumpelhaft nickten und wieder an ihre Arbeit gingen.

Die Gewißheit, Heike nicht begegnen zu müssen, machte mir Mut.

Das ist doch egal, sagte ich und ging hocherhobenen Kopfes in Freds Büro. Wie er da hinter seinem Schreibtisch saß, war er mir ebenso vertraut wie fremd. Sein Blick streifte mich nur kurz, nicht anders als einen seiner Angestellten, der unangemeldet in sein Büro gekommen war. Kein Lächeln, keine Begrüßung. Schön, daß du da bist, sagte er immerhin, und nach einer Pause, in der ich etwas verloren noch immer an der Tür blieb: Setz dich solange, ich stehe dir gleich zur Verfügung.

Ich setzte mich auf das Ledersofa hinter dem Glastisch und wartete.

Kaffee?

Nein danke.

Fred schien mich nach der Ablehnung eines Kaffees sofort wieder vergessen zu haben. Er rechnete, blätterte in Korrespondenzen und machte sich ständig Notizen. Ich fragte mich, warum ihn meine Gegenwart nicht zu stören schien, auch nicht, daß ich ihn in aller Ruhe beobachtete. Offensichtlich war ich für ihn nicht vorhanden, denn jetzt puhlte er ausgiebig an seinem linken Eckzahn, von dem ich wußte, daß es ein Stiftzahn war, an dem sich seit Jahr und Tag Essensreste festsetzten. Gleich würde er die Beute betrachten, um sie anschließend runterzuschlucken. Auch wie er mit ausgestreckten Beinen unterm Schreibtisch die Füße kreuzte, war mir bekannt. Ich brauchte nur bis zwanzig zu zählen, dann würde er seine Beine ruckartig anziehen, mit der Schuhspitze ein paarmal nervös auf den Boden klopfen und ebensoschnell die Beine wieder ausstrecken. Plötzlich glaubte ich das Aftershave zu riechen, das er seit dreißig Jahren benutzte und das trotzdem nie seinen feinen, mir früher so angenehmen Körpergeruch übertönte.

Würde Fred jetzt aufstehen, um mich zu umarmen, wovon ich immer noch geträumt hatte, würde ich mich zu meiner Verblüffung plötzlich abgestoßen fühlen, ich lächelte, tatsächlich, ich lächelte. Ich hatte diesen Mann bewundert, angeschwärmt und vergöttert. Nichts hatte ich jahrzehntelang ohne ihn tun wollen. Immer fühlte ich mich nur in seiner Nähe wohl. Ich hatte ihn gebraucht, um leben und atmen zu können. Ohne ihn hatte ich mich unsicher, unvollständig und unselbständig gefühlt. Das Lächeln verging mir so schnell, wie es gekommen war. Ich sah mich nicht nur, ich hörte mich auch: Woher kommst du? Wohin gehst du? Wann kommst du wieder? Überall, wo Fred war, wollte auch ich sein, ein Teil von ihm werden und immer für ihn da sein. Nie hatte ich mich oder ihn gefragt, ob er das überhaupt wollte. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, daß er meine Liebe als Umklammerung empfinden und ausbrechen könnte.

Merkwürdig war, daß mir das jetzt erst, ausgerechnet in seiner Gegenwart durch den Kopf ging. Jetzt, wo ich mich nicht mehr nach seiner Nähe sehnte, schon gar nicht mehr ein Teil von ihm sein wollte und er mir fremd geworden war.

Fred, sagte ich leise, wir hätten reden sollen.

Worüber? fragte er, noch ganz mit seinen Papieren beschäftigt.

Über uns, antwortete ich.

Großer Gott, Nele, rief er flehentlich, fang nicht wieder mit den alten Vorwürfen an. Ich kann sie nicht mehr hören.

Und weil ich nicht antwortete, nicht wie üblich mit meiner Gardinenpredigt loslegte, sah er mich einen Augenblick überrascht an. Dann nahm er den Telefonhörer hoch, tippte eine Nummer und sagte: Hannes, komm rüber, deine Mutter ist da.

Danach räumte er schweigend einige Papiere beiseite, und als Hannes in Begleitung von Susan das Büro betrat, schien er geradezu erleichtert. Hannes, der sofort wissen wollte, wie es mir gehe, begrüßte mich mit immer der gleichen, ein wenig zu fürsorglichen Herzlichkeit. Susan hingegen legte nur mit einer flüchtigen Umarmung ihre Wange an die meine. Dann sah sie mich prüfend an. Mein Aussehen gefiel ihr nicht, und ich mußte, ohne daß ich es wollte, an Frau Griese denken.

Kommen wir zur Sache, sagte Fred und fragte, ob ich die Unterlagen, die er mir geschickt habe, dabei hätte. Ich legte die Papiere auf den Tisch, und Hannes sah sie sich noch einmal gründlich an. Während Fred ungeduldig und nervös mit seinem Kugelschreiber spielte, folgte ich Susans Blick, der von meinen Schuhen über Strümpfe, Rock und Pulli streifte. Nichts, was ich trug, fand ihre Zustimmung. Auch mein ungeschminktes Gesicht und mein zurückgekämmtes Haar schienen ihr nicht zu gefallen. Sie flüsterte mir zu, was sie mir schon oft gesagt hatte: Unmöglich, wie du wieder aussiehst.

Ich nickte zufrieden, als hätte ich auf diesen Satz gewartet. Die Männer unterhielten sich über die Villa meines Urgroßvaters, ohne mich ins Gespräch zu ziehen. Sie waren es gewohnt, alle finanziellen und behördlichen Dinge ohne mich, aber für mich, und zwar im besten Sinne, zu entscheiden.

Unterschreib hier mal, sagte Hannes und schob mir eine von ihm vorbereitete Vollmacht zu, mit der ich ihm alle Rechte im Zusammenhang mit den Verhandlungen über die Immobilie übertragen hätte. Ich unterschrieb nicht, wie ich sonst immer alles unterschrieben hatte, was Fred oder Hannes mir vorlegten.

Diesmal war es anders. Ich spürte ungewohnten Trotz. Er saß unterhalb meines Bauchnabels, fest und hart. Ich mußte hinfassen, weil ich den Trotz zu fühlen glaubte.

Was habt ihr denn vor, fragte ich und bekam zur Anwort, daß ich das schon rechtzeitig erfahren würde, oder ob ich etwa glaubte, daß man nicht zu meinem Wohle zu handeln gedenke.

Ich weiß nicht, sagte ich, was die Männer zu ärgern schien und Susan veranlaßte, mich darauf aufmerksam zu machen, wie froh ich sein müsse, daß man sich überhaupt für meine Angelegenheiten Zeit nehme.

Ich schwieg und fühlte den Trotz. Er sprang von rechts nach links, von oben nach unten und erschreckte mich. Hannes saß mir gegenüber und machte sich Notizen. Ich sah, daß sein Haar auf der Mitte des Schädels dünn geworden war, und der Gedanke durchzuckte mich, daß er noch immer nicht verheiratet war.

Also Muttchen, sagte er mit Ungeduld in der Stimme, bist du dir denn nicht im klaren darüber, daß ich nur dein Bestes will?

Seit der Trennung von Fred nannte er mich immer öfter Muttchen statt Mutter, und obwohl er das lieb und zärtlich sagte, störte es mich. Irgendwie klang es nicht nur altbacken, sondern auch so, als sei ich plötzlich sein Eigentum.

Ich habe keine Lust zu unterschreiben, murmelte ich. Ich möge es nicht zu weit treiben, knurrte Fred darauf ungehalten, und nicht vergessen, daß ich in solchen Dingen von Tuten und Blasen keine Ahnung hätte.

Tatsächlich wurde ich still, und der Trotz, der sich so lebhaft in mir gemeldet hatte, war wie ein vorübergehender Schmerz verschwunden. Jetzt mischte sich auch Susan in das Gespräch und stimmte dem Vorschlag zu, die Stadtvilla zu verkaufen und das Geld sorgfältig anzulegen. Dann könne ich zum Beispiel in ein Seniorenheim nach Mallorca ziehen oder in eine andere schicke Residenz für ältere Herrschaften, die zur Zeit wie Pilze aus dem Boden schössen.

Sofort dachte ich an Frau Griese und wie sie sich klag- und willenlos, weit entfernt von sich selbst, am Arm der Schwester hatte in ihr Zimmer bringen lassen.