Titelbild

Ulrich Eberl

Smarte Maschinen

Wie Künstliche Intelligenz unser Leben verändert

Über das Buch

Die Entwicklung ist unaufhaltsam. In den kommenden 25 Jahren wird sich die Leistung von Mikrochips noch einmal vertausendfachen, Neurochips lernen 10.000-mal schneller als das menschliche Gehirn, Cyborg-Technologien lassen Blinde sehen und Gelähmte gehen, und Roboter holen sich ihr Wissen und neue Fähigkeiten aus der Cloud.

Wenn maschinelles Lernen, kognitive Computer und die besten Roboter zusammenkommen, dann werden sie eine Revolution auslösen, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat. Ulrich Eberl begegnete in den USA, Japan und Europa Robotern, die neugierig lernen wie Kinder, Androiden-Damen, in die man sich verlieben kann und Kampfmaschinen, die rennen wie Windhunde. Er traf Maschinen, die hilfsbereit sind und emotional, eigenständig und sozial.

Intelligente Maschinen werden alle Lebensbereiche grundlegend verändern. Sie werden Multi-Milliarden-Euro-Märkte schaffen und zugleich Millionen Jobs bedrohen. Sie werden uns unter die Arme greifen und intellektuell herausfordern, sie werden Gesellschaftssysteme verändern und neue Sicherheitsfragen aufwerfen – und sie werden uns Menschen neu darüber nachdenken lassen, wer wir sind und was unsere Bestimmung ist.

ISBN 978-3-446-44886-5

© Carl Hanser Verlag München 2016

Satz: Kösel Media, Krugzell

Umschlag: Hauptmann & Kompanie, Zürich

© Roboter NAO mit freundlicher Genehmigung von Aldebaran, Paris

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Datenkonvertierung E-Book: Kösel Media, Krugzell

INHALT

Einleitung Am Start: Unsere Gegner oder neuen Partner?

Fanfaren für die Helfer aus Stahl

Eins Smarte Maschinen: Sie werden allgegenwärtig sein

Unsanftes Erwachen

Der Beginn einer neuen Ära

Zwei Von Vergangenheit und Zukunft: Warum wir gerade jetzt an der Zeitenwende stehen

1000-Mal besser

Was die Revolution erst möglich macht

Drei Körper und Bewegung: Wenn Roboter die Welt erforschen

Intelligente Lebensformen

Auf dem Niveau von Kleinkindern

Vier Lernen bei Mensch und Maschine: Die Sinne schärfen

In drei Monaten leben lernen

Sehen, hören und Muster erkennen

Fünf Semantische Suche: Bedeutung verstehen und Wissen schaffen

Die Wesen, die er rief

Wie bekommt man gesunden Menschenverstand in die Maschine?

Sechs Neurochips und das Human-Brain-Projekt: Das Gehirn nachbilden

Die ultimative Suchmaschine

Ein Gehirn im Computer

Sieben Einsatzgebiete: zu Hause und unterwegs

Auf dem Weg nach Hause – 30 Jahre zu spät

Roboter auf den Strassen und in den Wohnungen

Acht Einsatzgebiete: In industrie und Infrastruktur

Wenn Roboter Roboter fertigen

Smart Factory, Smart Grid, Smart City

Neun Märkte und Jobs: Wer macht die Arbeit von morgen?

Was für die Menschen bleibt

Kreative Köpfe kooperieren mit den Maschinen

Zehn Killerroboter und die Superintelligenz: Haben wir eine Chance gegen die Maschinen?

Freund oder Feind?

Wenn Algorithmen die Kontrolle übernehmen

Elf Roboter mit emotionaler Intelligenz: Warum der Verstand allein nicht genügt

Gefühle im Spiel

Eine Maschine mit Gespür und Bewusstsein

Zwölf Soziale Roboter: Wenn die Maschinen den Menschen helfen wollen

Am Abgrund

Die Gemeinschaft von Menschen und Robotern

Dreizehn Cyborgs: Menschen mit den Bauteilen von Robotern

Wie neugeboren

Die Mensch-Maschinen

Schluss Die Zukunft: Lernen, mit ihnen umzugehen

Sie werden unsere Welt bestimmen – aber nicht uns

Anhang

Links und Literaturhinweise

Bildnachweise

Dank

»Hier sitz ich, forme Menschen
Nach meinem Bilde«

Goethe, »Prometheus«

Für alle Kreativen,

insbesondere meine Frau Angelika,

die es schafft, jeder ihrer selbst geformten

Handpuppen und Marionetten

eine eigene Persönlichkeit zu geben.

EINLEITUNG

AM START: UNSERE GEGNER ODER NEUEN PARTNER?

FANFAREN FÜR DIE HELFER AUS STAHL

Die brodelnde Atmosphäre auf den Tribünen erinnert an den Einzug der Gladiatoren, damals in Rom, als die Kaiser herrschten. Tausende Menschen starren gebannt hinunter in die staubige Arena, wo das Spektakel gleich beginnen soll. Die einen sitzen geschützt unter einem hölzernen Dach, die anderen sind der sengenden Sonne ausgeliefert, aber dafür dem Geschehen wesentlich näher. Sie kommen aus aller Herren Länder, Jung und Alt, Kinder, Frauen und Männer bunt gemischt. Ein verwirrendes Stimmengewirr erfüllt die Luft, von überallher dringen Sprachfetzen in Englisch, Japanisch, Koreanisch, Chinesisch, Italienisch und Deutsch. Ein leichter Luftzug wirbelt in der Arena den Sand auf, aus einem Rohr quillt Dampf nach oben und verzieht sich in Richtung der Palmen und der fernen Hügelkette der San-Gabriel-Berge. Nach Pomona, der römischen Göttin der Baumfrüchte, ist dieser Ort im Los Angeles County benannt, wo der weltweit einzigartige Wettstreit nun stattfinden soll. Vor den Absperrungen stehen Trauben von Reportern, Fotografen, Schiedsrichtern – auch sie warten geduldig. Doch dann verstummen plötzlich die Gespräche, überall gehen die Smartphones und Kameras nach oben: Die Gladiatoren kommen!

Auf großen Plakatwänden vor der Fairplex Arena von Pomona waren sie schon angekündigt, die Helden dieser beiden Tage. Sie tragen kraftvolle Namen wie Atlas, Helios und Herkules, Running Man, Walk-man und Metal Rebel, familiäre wie Florian, Johnny, Hubo und Leo oder geheimnisvolle wie RoboSimian, Thormang oder Momaro. Manche konnte man bereits bewundern, nebenan im Empfangsbereich, wo sich lange Schlangen von Besuchern bildeten, die die Kraftprotze einmal aus der Nähe sehen wollten – immerhin bringen die meisten der Gladiatoren zwischen 150 und 200 Kilogramm auf die Waage. Wenn die Wettbüros unter den Tribünen noch geöffnet hätten, wie in den Jahrzehnten, als hier noch Pferderennen stattfanden, hätte sicher der ein oder andere Fan einen Einsatz gewagt: auf Herkules oder Metal Rebel, auf Hubo, RoboSimian oder Momaro. Doch so müssen sich die Zuschauer damit begnügen, ihre Favoriten lautstark anzufeuern und jeden Punkt zu beklatschen, den diese im Lauf des Wettbewerbs erringen.

Wettstreit der stählernen Champions: Im Juni 2015 maßen sich die weltbesten Roboter während der DARPA Robotics Challenge in Disziplinen wie Auto fahren, Türen öffnen, Löcher bohren, Ventile drehen oder über Geröll klettern – hier der Running Man, ein Atlas-Roboter des Unternehmens Boston Dynamics.

Dass sie stark sind , richtig stark, weiß jeder, der sie schon berühren durfte. Der mit den Händen über sie strich – allerdings nicht über ihren Bizeps oder die Muskeln am Oberschenkel, denn so etwas besitzen sie nicht. Dafür sind die meisten von ihnen umfassend gepanzert, mit Metallplatten an den Beinen, am Oberkörper, am Rücken und einem Stahlskelettkäfig, um den Kopf zu schützen. Sie haben Stereokameras, Antennen und Laserscanner, einen Batterierucksack, dicke Hydraulikschläuche, die aus ihrem Becken herausquellen, als hätte jemand gerade versucht, sie zu sezieren, und überall kompakte, aber leistungsstarke Elektromotoren: vor allem an den Gelenken von Beinen, Armen und Händen. Diese Gladiatoren von heute sind Roboter.

Und sie kämpfen auch nicht gegeneinander oder gegen wilde Tiere wie einst im Kolosseum, dem Amphitheater des alten Roms. Ganz im Gegenteil, sie sollen beweisen, dass sie – oder ihre Nachfolger – eines Tages in der Lage sein werden, Menschen zu retten. Beispielsweise bei Katastropheneinsätzen, wenn Gebäude einstürzen, alles voll Schutt ist und dichter Qualm durch die Gänge wabert. Oder wenn zu hohe radioaktive Strahlung Menschen daran hindert, Gebäude überhaupt erst zu betreten. Genau diese Situation war für die DARPA, die Forschungsbehörde des US-Verteidigungsministeriums, der Anlass, die »Robotics Challenge« zu starten: den dreijährigen Roboter-Wettbewerb, der nun, im Juni 2015, hier in Pomona sein geradezu olympisches Finale findet.1

HÄTTEN ROBOTER DIE EXPLOSIONEN VON FUKUSHIMA VERHINDERN KÖNNEN?      Am Beginn stand die Katastrophe von Fukushima, als am 11. März 2011 ein enormes Erdbeben der Stärke 9,0 die externe Stromversorgung der japanischen Kernkraftwerksanlage Fukushima Daiichi lahmlegte und 40 Minuten später die haushohen Wellen eines Tsunamis das Innere der Reaktorblöcke fluteten – wodurch auch alle Notstromgeneratoren ausfielen. Die Hitze der Brennstäbe ließ schon bald das Kühlwasser verdampfen, gefährliches Wasserstoffgas bildete sich. Verzweifelt versuchten in den Stunden danach menschliche Arbeiter, im Gebäude Ventile zu öffnen, um das explosive Gas entweichen zu lassen, doch die radioaktive Strahlung war bereits so hoch, dass sie sich unverrichteter Dinge zurückziehen mussten.

Am Nachmittag des zweiten Tages zerstörte schließlich der angesammelte Wasserstoff in einer gewaltigen Explosion das Dach des ersten Reaktorgebäudes. Eine Rauch- und Staubwolke stieg als dunkler Pilz in den Himmel und breitete sich schnell aus – mitsamt einer erheblichen Menge an Radioaktivität. Danach kam es in weiteren Reaktorblöcken ebenfalls zu Explosionen, rund 150000 Menschen mussten evakuiert werden. Auch noch Jahre später leben die meisten von ihnen in Notunterkünften – in ihre Heimat können sie wohl nie wieder zurückkehren.

Wie anders wäre wohl diese Katastrophe verlaufen, wenn damals anstelle von Menschen Roboter, denen radioaktive Strahlung wenig ausmacht, die Reaktorgebäude hätten betreten können? »Wenn sie rechtzeitig die Ventile hätten öffnen und andere Notfallmaßnahmen hätten einleiten können, wäre es vielleicht zu gar keiner Explosion gekommen«, mutmaßt Gill Pratt, der Leiter des Robotik-Wettbewerbs der DARPA.

Doch dazu müssen die Maschinen Dinge beherrschen, die 2011 noch kein Roboter in diesem Umfang konnte. Sie müssen Türen öffnen und auf Treppen steigen, über Geröll klettern und Hindernisse beiseiteräumen, Ventile aufdrehen und schließen, Hebel betätigen, Kabel herausziehen und in Steckdosen stecken sowie Werkzeuge benutzen, die für Menschen gemacht sind: beispielsweise mit Bohrmaschinen große Löcher in Wände bohren.

Genau diese Dinge müssen die Roboter nun auch in Pomona können, um den DARPA-Wettbewerb zu gewinnen. Und mehr noch: »Wir verlangen sogar, dass sie Fahrzeuge benutzen, um überhaupt erst in die Gefahrenzone vorzudringen«, sagt Pratt. Die Roboter müssen also zudem in der Lage sein, ein Auto zu lenken, Gas zu geben, zu bremsen und dann auszusteigen, das Gebäude zu betreten und dort ihre Aufgaben zu erfüllen. Und das alles in Zusammenarbeit mit Menschen, die weit entfernt in einer Halle ohne Sichtkontakt sitzen und versuchen, von dort aus die Roboter zu steuern – wobei immer wieder die Kommunikation gestört wird, denn im Katastrophenfall, so Pratt, »kann man auch nicht damit rechnen, jederzeit eine Breitband-Funkverbindung zur Verfügung zu haben«.

ZWEI MILLIONEN DOLLAR SIEGPRÄMIE      Die Roboter müssen möglichst ausfallsicher sein, sich flexibel an manchmal überraschende Situationen anpassen und ihre Aufgaben auch noch in einer bestimmten Zeit erledigen, bevor ihnen im Ernstfall der Strom ausginge. Zwei Millionen Dollar Preisgeld hat die DARPA für denjenigen Roboter ausgelobt, der den Parcours in der Fairplex Arena von Pomona am besten bewältigt, eine Million für den Zweitplatzierten und eine halbe Million für den, der die Bronzemedaille erringt.

Für große Herausforderungen aller Art ist die DARPA einst gegründet worden. »Das Unmögliche möglich machen« ist seit 1958 ihr Wahlspruch, als es galt, den Vorsprung der Russen im Weltall aufzuholen. Die weltweit ersten Kommunikations- und Wettersatelliten gehen ebenso auf ihre Initiativen zurück wie das ARPANET, der Vorläufer des Internets, die Flüssigkristalldisplays, die Tarnkappentechnologie oder handliche Empfänger für die Satellitennavigation GPS. Im Jahr 2003 rief die DARPA einen Wettbewerb für maschinelle Übersetzungsprogramme ins Leben und in den Jahren danach mehrere »Grand Challenges« für das autonome Fahren in der Wüste und im Stadtverkehr.

Die Robotik-Herausforderung von 2015 haben 23 Teams aus aller Welt angenommen: aus Deutschland und Italien, Südkorea, Hongkong, Japan und den USA. Viele haben monate-, manche jahrelang an ihren Robotern geschraubt und gelötet, die Software und ihre Handlungsvorschriften, die Algorithmen, optimiert und ihre Einsatzteams für dieses große Finale trainiert. Die meisten kommen von exzellenten technischen Universitäten und Forschungsinstituten, doch zumindest indirekt sind auch einige Firmen beteiligt. So verlassen sich sieben Teams auf Varianten des Atlas-Roboters, eines 1,80 Meter großen Kolosses, der wie ein Mensch auf zwei Beinen gehen kann.2 Gebaut wurde er von Boston Dynamics, einem Unternehmen, das ursprünglich Roboter-Technik für das US-Militär entwickelte, bis es 2013 von Google übernommen und stärker in Richtung ziviler Anwendungen getrimmt wurde.

Andere Teams setzen auf humanoide Roboter der japanischen Firma Kawada Industries oder auf Eigenentwicklungen – von denen nicht alle zwei Beine haben. Manche schwören auf Roboter mit vier Beinen, die auch in schwierigem Gelände besser die Balance halten können. Andere besitzen Rollen an den Füßen, und bei RoboSimian3, dem Roboter des NASA Jet Propulsion Laboratory in Pasadena, weiß man gar nicht, woran man ist. Sitzt er im Auto, hält er sich wie ein intelligenter Affe an den Streben fest und dreht am Lenkrad, steigt er aus, wird er eher zu einer vorsichtigen hochbeinigen schwarzen Katze, dann macht er unversehens eine Art Purzelbaum, setzt sich hin und beginnt mit erhobenen Armen zur Tür zu rollen, die er ebenso geschickt öffnet, wie er später mit der Bohrmaschine hantiert – unwillkürlich fühle ich mich als Zuschauer an die Filme der Transformers-Reihe erinnert, deren Hauptdarsteller sich auch ständig in neue stählerne Wesen verwandelten.

EMPATHIE MIT DEN MASCHINEN      Ist dieser Wettbewerb der weltbesten Roboter daher nicht auch ein wenig unheimlich? Ist unter den Beobachtern auf den Rängen nicht Beklemmung spürbar, vielleicht sogar Angst vor diesen neuen martialischen Geschöpfen, die wie aus einer anderen Welt wirken? Sehen manche in dem Stahlkoloss, der hier durch den Sand stapft, nicht schon den Terminator vor sich, der aus einer fernen Zukunft kommt, um Menschen zu vernichten?

Nein, in den Gesichtern der Besucher kann ich nichts davon lesen, ganz im Gegenteil. Wenn sie über die Roboter sprechen, sagen sie unwillkürlich »he«, als ob sie von Menschen redeten – anstatt »it«, wie es bei Maschinen angebracht wäre. Sogar der Roboter-Experte Gill Pratt staunt über die Welle an Sympathie, die den Stahlwesen entgegenschwappt: »Wann immer die Roboter auf dem Parcours sind, fühlen die Menschen mit ihnen – sie stöhnen auf, wenn einer umfällt, und sie jubeln über jede erfolgreich bewältigte Aufgabe.« Und das, obwohl das Zuschauen mitunter so spannend sei, gibt Pratt zu, wie »einer Wandfarbe beim Trocknen zuzusehen«.

So steht beispielsweise mancher Roboter minutenlang ratlos vor der Tür, bevor er schließlich langsam die Hand hebt, um die Klinke zu betätigen. Nicht wenige Zuschauer würden da am liebsten hinunterlaufen und dem armen Kerl helfen. Wenn der Roboter dann, wie der rote Chimp der Carnegie-Mellon-Universität, der später die Bronzemedaille holt, beim ersten Versuch buchstäblich mit der Tür ins Haus fällt,4 geht kein hämisches Gelächter durch die Reihen, sondern ein langes, enttäuschtes »Ooooh« – das sich, als Chimp aus eigener Kraft wieder aufsteht, in ein jubelndes »Wow« und »Yeah!« verwandelt.

Auch beim Zweitplatzierten, dem Running Man aus Florida, sind die Fans auf der Tribüne mit begeistertem rhythmischem Klatschen dabei, als dieser Roboter der Atlas-Reihe am Schluss des Parcours oben auf der Treppe seine stählernen Arme in einer Jubelgeste zum Himmel reckt und einen kleinen Siegestanz vollführt.5 Und erst recht sind die Sympathien beim schlauen Hubo der jungen Entwickler des KAIST-Instituts aus Südkorea, der zu Fuß und auf Knien rollend alle Aufgaben in der Rekordzeit von 44 Minuten erledigt und damit die Zwei-Millionen-Dollar-Siegprämie holt.6

»Dieses Mitgefühl der Zuschauer lässt mich für die Robotik hoffen«, betont Pratt, »denn für die künftige Zusammenarbeit von Menschen und Robotern braucht es wirklich ein großes Maß an Sympathie.« Diese Zuneigung zu den manchmal so menschlich wirkenden Maschinen spürt man auch in der Ausstellung vor der Arena von Pomona, wo viele Firmen ihre neuesten Produkte präsentieren, vom kleinen Spielzeugroboter über den elektronischen Butler bis zum autonomen militärischen Spähwagen.

Hier geht es zu wie auf einem Jahrmarkt. In der einen Ecke programmieren Kinder bei Countrymusik Roboter, die Bälle sammeln, Leitern hochklettern und sich gegenseitig vom Tisch schubsen. Nebenan sind stählerne, kopflose Laufmaschinen im Achtstunden-Dauertest unterwegs, während ein Zelt weiter kleine Flugdrohnen Kunststücke vorführen. An einem Stand lassen sich die Besucher mit Nachbildungen der Star-Wars-Roboter C-3PO und R2-D2 fotografieren, am anderen versuchen evangelikale Christen, mit den Vorübergehenden über Moral und Ethik im Roboter-Zeitalter zu diskutieren.

Es ist offensichtlich: Das Thema bewegt die Menschen – und zwar keineswegs nur während dieser Roboter-Olympiade in Kalifornien, sondern weltweit. Im japanischen Miraikan-Museum für Zukunftsforschung und Innovation in Tokio sah ich, wie Besucher die Androiden, die Menschen zum Verwechseln ähnlich sehen, mindestens so sehr bestaunen, wie sie in Pomona beim »Meet and Greet« auf die Atlas-Roboter zustürzen. Auch Asimo, der altehrwürdige und immer noch junge Roboter von Honda, der läuft und tanzt und singt und auf einem Bein springt, ist bei jeder Aufführung im Miraikan der unangefochtene Publikumsmagnet.

Ähnlich in Deutschland: An der Komischen Oper Berlin spielte der Roboter Myon im Sommer 2015 eine – wenn auch unbeholfene – witzige und tragende Rolle im Stück My Square Lady. Ziel der Oper war, zu erkunden, was einen Menschen zum Menschen macht. Auf der Industriemesse in Hannover im gleichen Jahr ging es hingegen weniger philosophisch, sondern eher mit wirtschaftlichem Ernst zu: Hier waren kollaborative Roboter, die in den Fabriken die Schutzzäune hinter sich lassen und künftig direkt mit den Menschen zusammenarbeiten sollen, das beherrschende Thema an vielen Ständen.

Zugleich zeigte sich, dass die Begeisterung für Roboter keineswegs nur etwas für männliche Nerds ist: Roboter, die Bälle fingen, Rosen verteilten oder als große elektronische Ameisen über einen Tisch krabbelten, wurden von ähnlich vielen Frauen wie Männern umringt. Bei der Computermesse CeBIT waren an manchen Tagen sogar die Mädchen in der Überzahl, die auf einem Stand der Fraunhofer-Gesellschaft in einem gläsernen Klassenzimmer Roboter so programmierten, dass sie eine Art Rennstrecke bewältigen konnten.

FUSSBALLSPIELEN MIT MERKEL UND OBAMA      An der Technischen Universität Berlin gelang es dem kleinen Roboter NAO, ein strahlendes Lächeln aufs Gesicht von Queen Elizabeth II. zu zaubern, als er sie bei ihrem Deutschlandbesuch winkend begrüßte. Auch der deutschen Kanzlerin wurde bei ihrer Japan-Visite stolz Asimo vorgeführt, der allerdings passen musste, als ihm Angela Merkel die Hand schütteln wollte. Darauf war der nur Verbeugungen gewohnte japanische Roboter nicht vorbereitet. Immerhin schoss er mit Wucht einen Fußball in Richtung der fotografierenden Journalisten – wie er auch schon einige Monate zuvor fröhlich mit dem US-Präsidenten Barack Obama kickte. Asimo macht damit deutlich, dass Roboter letztlich auch in diese menschliche Domäne vordringen werden. So ist es das hehre Ziel der seit 1997 jährlich stattfindenden RoboCup-Weltmeisterschaften, im Jahr 2050 den menschlichen Fußballweltmeister schlagen zu können.

Doch von so einem Erfolg sind die Roboter noch meilenweit entfernt. Bei den bisherigen RoboCup-Turnieren – wie etwa im Sommer 2016 in Leipzig – stolperten die stählernen Sportler dem Ball mehr hinterher, als dass sie ihn elegant ins Tor schlenzten oder im Teamplay die Gegner austricksten. »Aber man muss sich eben hohe Ziele stecken, um voranzukommen«, schmunzelt der Japaner Minoru Asada, einer der weltweit angesehensten Roboter-Forscher und Mitbegründer des RoboCups. Als die Computer erfunden wurden, hätte auch niemand gedacht, dass einmal einer von ihnen den menschlichen Schachweltmeister besiegen würde: Dennoch war genau dies 1996 dem Computer Deep Blue von IBM gelungen – und heute kann ein gutes Schachprogramm, das auf einem Smartphone läuft, einen menschlichen Großmeister schlagen.

Dahinter steckt zwar vor allem die enorme Zunahme der Rechenleistung von Computern, die viele Schachzüge im Voraus berechnen und bewerten. Doch auch die Software-Entwickler machen enorme Fortschritte: Schon fast zum Alltag gehören heute Programme zur Bild- und Spracherkennung und Übersetzung einfacher Texte. Im Jahr 2011 gewann Watson, ein IBM-System, das den Sinn von Texten in natürlicher Sprache erfassen kann, in der Fernsehshow »Jeopardy!« – einer komplexeren Variante von »Wer wird Millionär?« – gegen die bisherigen menschlichen Champions. Inzwischen ist Watson schon in der Lage, Ärzten bei Krebsdiagnosen, Pharmafirmen bei der Entwicklung von Medikamenten oder Bankberatern bei Anlagestrategien zu helfen.

Im März 2016 schaffte es die lernfähige Software AlphaGo, den weltbesten Go-Spieler Lee Sedol bei diesem komplexen Brettspiel haushoch zu schlagen – eine Leistung, die Fachleute noch wenige Monate zuvor nicht vor dem Jahr 2025 erwartet hätten. Auch bei wirtschaftlichen Anwendungen ist lernfähige Software heute bereits so weit entwickelt, dass sie mit hoher Trefferquote voraussagen kann, welche Produkte Menschen im Internet demnächst kaufen werden, wie sich die Preise an Rohstoffbörsen entwickeln und wie viel Energie Städte und Regionen in den nächsten Wochen benötigen werden. Sogar vorausschauende Reparaturen sind mit solchen Computerprogrammen möglich: Sie prognostizieren anhand von Sensordaten und Erfahrungswerten, welche Windräder, Züge oder Medizingeräte bald ausfallen werden. Und das selbstfahrende Auto – nichts anderes als ein autonomer Roboter auf Rädern – wird heute nicht nur von Google, sondern von fast allen großen Autofirmen entwickelt.

IST JEDER ZWEITE JOB IN GEFAHR?      Es ist offensichtlich: Die Ära der smarten Maschinen liegt nicht in ferner Zukunft, sie beginnt gerade jetzt. Überall an Schulen und Universitäten entstehen Roboter-Labors. Auf den einschlägigen Konferenzen für Robotik und Künstliche Intelligenz treffen sich heute nicht mehr wie früher wenige Hundert Fachleute, sondern Tausende. In den Fabriken und Büros ersetzen immer mehr Maschinen den Menschen – und zwar nicht mehr nur bei monotonen, mechanischen Arbeiten.

Insbesondere die automatische Auswertung großer Datenmengen ist es, die vielen Geistesarbeitern Sorgen macht, die bislang auf ihr Erfahrungswissen gesetzt haben: Ob Juristen, Steuerberater oder Ärzte – mit Algorithmen, die in Sekundenschnelle Millionen von Einträgen in Datenbanken durchforsten und bewerten, können sie nicht mehr mithalten. Und diese Entwicklung steht erst am Anfang. Ob Wetter-, Börsen- oder Sportnachrichten: Selbst redaktionelle Texte werden immer häufiger von »Roboter-Journalisten«, also Computeralgorithmen, verfasst.

Eine Studie der Universität Oxford7 prognostiziert, dass in den kommenden 20 Jahren allein in den USA fast die Hälfte aller Tätigkeitsfelder in über 700 Berufen durch Künstliche Intelligenz und Robotik – oder allgemeiner durch die zunehmende Digitalisierung und Automatisierung – gefährdet seien. Weltweit geht es dabei um viele Millionen Jobs. Inwieweit zugleich ähnlich viele neue entstehen werden, ist fraglich.

Eric Horvitz, Forschungsdirektor bei Microsoft, hat daher zusammen mit der Stanford-Universität eine Langzeituntersuchung ins Leben gerufen: die »100-Jahr-Studie über Künstliche Intelligenz«.8 Von den ökonomischen Auswirkungen über die Gefährdung von Demokratie und Freiheit bis zum militärischen Missbrauch werden darin alle Felder untersucht, auf die diese neuen technischen Entwicklungen Einfluss haben können. Die Quintessenz: Alle Lebensbereiche des Menschen stehen vor einem grundlegenden Wandel – und mehr noch, es geht um den Kern unseres Selbstverständnisses. Wer wir sind, was wir wollen und was uns künftig noch von intelligenten Maschinen unterscheidet.

VERTAUSENDFACHUNG DER RECHENLEISTUNG BIS 2040      Die technologischen Treiber dieser Entwicklung sind offensichtlich: Sensoren, wie Kameras, Laser oder Radar, werden immer kleiner und billiger. Die Algorithmen werden immer leistungsfähiger. Und ein Blick in die Labors der Halbleiterindustrie zeigt, dass sich die Rechenleistung, Speicher- und Kommunikationsfähigkeit von Mikrochips in den nächsten 20 bis 25 Jahren noch einmal vertausendfachen wird – beim gleichen Preis wie heute. Am Kirchhoff-Institut für Physik der Universität Heidelberg werden sogar schon neuromorphe Chips gefertigt, die wie die Nervenzellen und Synapsen im menschlichen Gehirn funktionieren, nur 10000-mal schneller.

Maschinen mit einer gewissen Art von Intelligenz werden in den kommenden Jahren und Jahrzehnten immer mehr in unseren Alltag eindringen – und es wird höchste Zeit, darüber zu diskutieren, wohin diese Entwicklung führt. Genau darum geht es in diesem Buch: Worauf müssen wir uns einstellen, und was sind nur abgehobene Visionen, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben? Was sind die Trends an Universitäten, Forschungslabors und in der Industrie, und wie sind sie zu bewerten – im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf Gesellschaft, Berufs- und Alltagsleben? Inwieweit sind intelligente Maschinen eine Bedrohung – oder sind sie vielleicht vielmehr eine Chance, die vielfältigen Herausforderungen, vor denen wir stehen, noch rechtzeitig zu bewältigen?

So wird sich bis zum Jahr 2050 die Zahl der Menschen, die älter als 65 Jahre sind, gegenüber heute verdreifacht haben. 1,5 Milliarden Menschen werden dann weltweit im Seniorenalter sein, heute sind es 500 Millionen. In Deutschland wird bis 2060 jeder Dritte über 65 sein, jeder Achte über 80, und die Zahl der Über-100-Jährigen wird sich noch einmal verzehnfachen.9 Können Roboter, autonome Fahrzeuge und intelligente Haus- und Kommunikationstechnik alte Menschen dabei unterstützen, ein besseres und selbstbestimmteres Leben zu führen? Wie sieht es in der Arbeitswelt aus: Können Digitalisierung, intelligente Datenanalyse und Robotik Fabriken flexibler machen und dadurch helfen, die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands und anderer Industrieländer zu steigern und unsere Jobs zu sichern?

SCHLAUERE ENERGIETECHNIK UND BESSERE GESUNDHEITSSYSTEME?      Oder nehmen wir die Energietechnik: Um den Klimawandel zu bremsen, müssen die Energiesysteme der Welt umgebaut werden – weg von Kohle, Öl und Gas hin zu den erneuerbaren Energien, die dann aber zugleich dezentraler organisiert sind. Statt Tausender mittelgroßer und großer Kraftwerke boomen dann viele Millionen kleiner Energieerzeugungsanlagen. Um sie möglichst effizient zu betreiben, braucht man wiederum Kommunikationstechnik und Computerintelligenz.

Das Gleiche gilt für die rasant wachsenden Städte – allein in Asien wachsen heute die Städte jeden Tag um rund 100000 Menschen. 2050 werden weltweit fast so viele Menschen in Städten leben wie heute auf der ganzen Erde. Sie alle brauchen intelligent gesteuerte Verkehrs- und Energiesysteme, Gebäudetechnik und Licht, personalisierte Gesundheitssysteme, moderne Bildungseinrichtungen und Möglichkeiten der politischen Mitsprache – auch dies will organisiert sein. Ohne eine entsprechende Computer- und Kommunikationstechnik wird das nicht gehen.

Was also wird das Zeitalter der intelligenten Maschinen mit sich bringen? Wird sich die Waagschale eher zum Guten oder zum Schlechten neigen? Ist dies vielleicht sogar die größte Umwälzung, die die Menschheit bislang erlebt hat, weil es ein Angriff auf den Kern unseres Menschseins ist: auf unseren Verstand und auf unsere emotionale Intelligenz?

Sehen wir uns also die technischen Grundlagen und die Trends genauer an, um ihre gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen beurteilen zu können. Werfen wir einen Blick auf wissensbasierte Algorithmen, smarte Datenanalyse, autonome Fahrzeuge und natürlich die lernfähigen, kooperativen, emotionalen und sozialen Roboter, die in den Labors in Japan, Europa und den USA derzeit das Licht der Welt erblicken.

Oder, wie es Arati Prabhakar, die Leiterin der DARPA, bei der Eröffnung der Roboter-Olympiade in der Fairplex Arena von Pomona ausdrückte: »Wir werden in Zukunft nicht mehr allein sein. All diese Maschinen werden jetzt entwickelt, um uns Menschen künftig in vielfältiger Weise zu helfen … Ladies and Gentlemen, start your robots!«

EINS

SMARTE MASCHINEN: SIE WERDEN ALLGEGENWÄRTIG SEIN

Unsanftes Erwachen

»Sieht so der Himmel aus?«, war mein erster bewusster Gedanke, als ich erwachte. Ein strahlendes Weiß überall. So hell, dass ich die Augen geblendet zusammenkniff. Ein leises Surren und ein durchdringendes Pong-pong-pong drangen an mein Ohr.

Ich versuchte es noch einmal und öffnete ganz langsam meine Augen wieder. Jetzt meinte ich, Nischen in dem ansonsten makellosen Weiß zu erkennen, darin irgendwelche Skulpturen, doch die Bilder verschwammen. Als ich den Blick nach rechts wandte, sah ich ein großes Panoramafenster, das den Ausblick auf einen saftig grünen Garten eröffnete, der weiter hinten in einen Mischwald überging. Bänke, ein kleiner Teich, Menschen, die herumspazierten. Und besonders seltsam: Über mir wölbte sich keine Zimmerdecke, sondern ein strahlend blauer Sommerhimmel mit ein paar Schleierwolken.

Verblüfft versuchte ich, den Kopf zu heben – wo war ich nur? Das Surren wurde lauter, ein etwa 1,50 Meter großer Roboter, der aussah wie ein Kegel mit zwei Armen und einem kreisrunden, aber flachen Kopf, rollte am Fußende meines Bettes vorbei. Das riesige Smiley auf seinem Kopfdisplay verwandelte sich in Kurven und Töne.

Das Pong-pong-pong, war das etwa mein Herzschlag? Und was machte er jetzt? Der Roboter klappte einen kleinen Tisch aus, über dem plötzlich eine Art Hologramm erschien: Ein älterer Mann schwebte da in der Luft und drehte sich langsam. Beine, Arme, Brustkorb, Kopf begannen nach und nach grün zu leuchten. Dann verschwanden die Haut und die Rippen, Organe wurden sichtbar.

»Ihre Vitalfunktionen sind hervorragend, die Regeneration war ein voller Erfolg«, sagte eine weiche Stimme. Jetzt schaffte ich es doch, den Kopf zu drehen. Auf der linken Seite meines Bettes stand kerzengerade eine hochgewachsene hübsche junge Frau im Arztkittel mit langen Haaren, perfekt geschwungenen Augenbrauen und Grübchen in den Wangen.

»Wo bin ich?«, fragte ich und staunte, wie rau und fremd meine eigene Stimme klang.

Sie lächelte: »Im Reha-Zentrum Grüntal.«

Gut, keine 20 Kilometer von meinem Wohnort entfernt. »Was ist passiert?«

»Das ist eine lange Geschichte. Wenn die Ärzte kommen, werden Sie mehr erfahren.«

Irgendetwas war seltsam an ihr. Sie war fast zu perfekt, zu sanft, zu freundlich. Ihre Gesichtszüge waren so ruhig, es zuckte kaum ein Muskel.

»Die Ärzte? Sind Sie denn keine …?«

»Nein. Mein Name ist Samantha Yang. Ich bin eine Androidin der R16-Reihe von Liscom Robotics. Ich betreue Langzeitpatienten rund um die Uhr und bin für die Ärzte zugleich ein Interface zur Medical Sphere.«

Das gab’s doch nicht – die junge Frau war ein Roboter? Wie der andere, der kegelförmige da? Nur dass Samantha einem Menschen zum Verwechseln ähnlich sah, perfekte Manieren besaß und offenbar auch in der Lage war, einen echten Dialog zu führen. Wer konnte denn heute solche Roboter bauen?

DER BEGINN EINER NEUEN ÄRA

Es hat schon Seltenheitswert, wenn sich Experten weltweit über die grundlegenden Entwicklungen und Trends auf ihrem Arbeitsgebiet vollkommen einig sind – unabhängig davon, ob man nun Top-Forscher in Japan, Europa oder den USA befragt. Noch erstaunlicher ist, wenn die sonst so eigenständigen Denker für die Beschreibung ihrer Zukunftsszenarien fast dieselben Worte und Bilder verwenden. Doch genau diese Erfahrung macht man, wenn man versucht, zu ergründen, was in der Ära des »Cognitive Computing«, wie es IBM nennt,10 in den nächsten Jahren und Jahrzehnten auf uns zukommen wird.

Programmieren, also einem Computer oder einem Roboter genau vorschreiben, was er zu tun hat, war gestern, sagen die Forscher. Heute und morgen gehe es darum, dass die Maschinen in immer höherem Maße selbst kognitive Fähigkeiten besitzen und sie anwenden. Sie sollen besser darin werden, Veränderungen in ihrer Umgebung wahrzunehmen, zu beurteilen und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen. Sie sollen selbständig lernen, argumentieren, planen und handeln – kurz: Probleme lösen, ohne dass ihnen vorher ein Mensch alles im Detail einprogrammiert hat.

Natürlich haben heutige Systeme noch lange nicht die Fähigkeiten erreicht, über die offenbar die Roboter-Krankenschwester Samantha im Zukunftsszenario am Anfang dieses und der folgenden Kapitel verfügt. Dennoch sind Wissenschaftler wie Rüdiger Dillmann, Direktor am Forschungszentrum Informatik (FZI) in Karlsruhe, fest davon überzeugt: »Die Ära der autonomen, lernenden und kooperativen Maschinen hat bereits begonnen.« Der 67-jährige Dillmann, der sich selbst als eines der »Urgesteine der Robotik-Forschung in Deutschland« bezeichnet und der auch als Sprecher und Professor am Institut für Anthropomatik und Robotik des KIT,11 des Karlsruher Instituts für Technologie, tätig ist, konzentrierte sich schon während seines Elektrotechnikstudiums auf den Schwerpunkt Biokybernetik. Vor 30 Jahren, 1986, habilitierte er sich mit einer Arbeit über lernende Roboter.

Karlsruhe war dafür genau der richtige Ort. »Bereits Anfang der 1960er-Jahre wurde hier an Robotern geforscht«, erinnert sich Dillmann. Ging es zu jener Zeit noch um die sogenannten Master-Slave-Manipulatoren für die einstmals aufstrebende Kerntechnikforschung, so reicht nun die Bandbreite in den Labors des KIT viel weiter: Über die Gänge des FZI krabbelt heute beispielsweise der Laufroboter Lauron, der einer metergroßen grünen Stabheuschrecke ähnelt, während ein paar Türen weiter Forscher einem Auto das selbständige Einparken beibringen. Und dann ist da am KIT auch noch der humanoide Haushaltsroboter Armar, der seinem Entwickler, Tamim Asfour, aufs Wort gehorcht – ob er nun eine Apfelsaftpackung aus dem Kühlschrank holen, die Geschirrspülmaschine ausräumen oder Menschen beim Abwischen des Tisches beobachten und dann die Bewegungen nachahmen soll.

GEMEINSAME MORGENGYMNASTIK FÜR ROBOTER UND MENSCH      Dass Menschen und Roboter heute schon eng zusammenarbeiten können – wenn auch in einer genau definierten Umgebung –, beweist die japanische Firma Glory in einer Produktionslinie nördlich von Tokio. Glory ist ein Spezialist für Bargeldmanagement. In der Saitama-Fabrik des Unternehmens fertigen Menschen und Roboter Seite an Seite Komponenten für Geldautomaten. Die 18 sogenannten Nextage-Roboter von Kawada Industries haben zwar keine Beine, aber dafür zwei sehr bewegliche Arme sowie Kameras im ellipsoidförmigen, lang gestreckten Kopf wie auch in den Greifhänden.

Seit ihrer Installation vor vier Jahren wurden die agilen Arbeiter aus Stahl zu echten Kollegen ihrer menschlichen Partner. Jeder Roboter hat einen eigenen Namen bekommen und macht sogar die Gymnastikübungen am morgendlichen Arbeitsbeginn mit. Wenn hier jeden Tag Frauen, Männer und Roboter einträchtig und fast synchron nebeneinander mit den Armen kreisen, dann wirkt das wie die vorweggenommene Zukunft, wie ein Sinnbild eines hoffentlich harmonischen Zusammenlebens von Mensch und Maschine.12

Aufbruch in die Roboter-Gesellschaft: In der Fabrik des japanischen Unternehmens Glory arbeiten Menschen und Roboter bereits heute Seite an Seite (oben). Ebenfalls in Japan hat der Forscher Hiroshi Ishiguro (unten) schon vor Jahren einen humanoiden Roboter entwickelt, der ihm zum Verwechseln ähnlich sieht.

»Wir werden künftig in einer Gemeinschaft mit Robotern, einer Robot Society, leben«, sagt der Japaner Hiroshi Ishiguro voll Überzeugung. Der oft als »Popstar der Robotik« titulierte 53-jährige Professor an der Universität von Osaka hat die japanische Roboter-Euphorie auf die Spitze getrieben. Er erregt seit einigen Jahren mit den Geminoiden – wie er seine Schöpfungen in Anspielung auf Geminus, das lateinische Wort für Zwilling, nennt – weltweit viel Aufsehen.13

Diese bislang meist ferngesteuerten Androiden sind perfekte Kopien realer Menschen. Von außen ist von ihrem inneren Stahlskelett, den vielen Zahnrädern, Schrauben, Federn, der Hydraulik und den Elektromotoren absolut nichts zu sehen. Ihre Haare und Wimpern, ihre Augen, Lippen und Zähne wirken vollkommen natürlich, und ihre Haut aus Spezialsilikon enthält für die perfekte Täuschung auch kleine Poren und Unreinheiten.

Im Sommer 2006 hatte Ishiguro sogar einen Zwilling von sich selbst hergestellt, mit dem nicht nur seine damals fünfjährige Tochter gerne spielte. Der viel beschäftigte Forscher schickte seinen elektronischen Klon auch schon einmal mit einem vorbereiteten Vortrag zu einer Vorlesung nach Zürich, während er selbst in Japan blieb. Auch auf seiner Visitenkarte hat der Robotiker seinen Geminoid verewigt: Auf der einen Seite ließ er ein Bild von sich selbst drucken, auf der anderen das seines Roboter-Zwillings mit denselben schwarzen Haaren und denselben Gesichtszügen. Wer wer ist, ist unmöglich zu erkennen.

Die Geminoiden nutzt Ishiguro – wie später in Kapitel 12 beschrieben – für Forschungen, um menschliches Verhalten und das Zusammenwirken mit Robotern besser zu verstehen. Außerdem will er damit beweisen, dass es viele Einsatzgebiete geben wird, für die man auf menschenähnliche Roboter setzen sollte. »Ein humanoider Roboter ist einfach das natürlichste Gegenüber für uns«, betont er. »Wir sind nun einmal so konstruiert, dass wir am besten mit Menschen interagieren, mit Gestik, Mimik und Sprache. Oder anders gesagt: Wir brauchen keine Bedienungsanleitung, um mit unseresgleichen zu kommunizieren.« In Krankenhäusern, Hotels und Museen, Geschäften und Bahnhöfen, Seniorenzentren und Schulen, überall sieht Ishiguro künftige Einsatzfelder für die Androiden, die menschenähnlichen Roboter.

RAPTOREN AM HOTELEMPFANG UND HELFER IN SENIORENZENTREN      Einiges davon ist bereits Realität. So öffnete im Juli 2015 das Henn-na Hotel – wörtlich übersetzt, das »seltsame Hotel« – in einem Freizeitpark bei Nagasaki seine Pforten.14 An der Rezeption sitzt eine japanisch aussehende Roboter-Dame neben einem raptorenähnlichen Dinosaurier wie aus Jurassic Park, der zwar gruselig wirkt, aber die Besucher ebenso höflich begrüßt wie die Androidin nebenan. Anstelle von Schlüsseln setzt das Hotel auf Gesichtserkennung, automatisch fahrende Wägelchen bringen die Koffer aufs Zimmer, und kleine Sprechpuppen stehen für alle möglichen Dienstleistungen wie etwa den Weckdienst zur Verfügung. Nach Angaben des Hotelmanagers sollen diese innovativen Gimmicks nicht nur Gäste anlocken, sondern auch helfen, die Übernachtungskosten deutlich zu senken.

Auch als Führer in Museen, Verkäufer in Textilgeschäften, Helfer in Seniorenzentren und als Animateure, um Schüler für Technik und Informatik zu begeistern, wurden Roboter schon genutzt – wenngleich oft noch im Versuchsstadium. Doch darüber hinaus sind viele Millionen mehr oder minder intelligenter Maschinen seit Jahren im kommerziellen Einsatz: in Fabriken als Schweiß-, Klebe- oder Montageroboter ebenso wie in Privathäusern als Staubsaug-, Fensterputz- oder Rasenmähroboter. In den Lagern von Amazon transportieren sie Waren, im Weltall reparieren sie Satelliten, und für die Landwirte melken sie Kühe.15

»Die Roboter sind längst unter uns«, betont denn auch Rolf Pfeifer, der über viele Jahre das Labor für Künstliche Intelligenz an der Universität Zürich leitete und mit seinem Team einen der bekanntesten Roboter entwickelte: Roboy, einen Humanoiden, der Muskeln und Sehnen ähnlich wie Menschen besitzt.16 »In Zukunft wird es sicherlich eine noch weit größere Vielfalt, ein ganzes Ökosystem an intelligenten Systemen geben, die uns das Leben erleichtern. Welche davon letztlich erfolgreich sein werden, wird dann der Markt entscheiden«, meint der 69-jährige Roboter-Pionier, der nach seiner Emeritierung in Zürich eine Professur in Osaka angenommen hat und auch in Schanghai Vorlesungen hält.17

Viele dieser intelligenten Systeme der Zukunft, sagt er, würden gar nicht wie Roboter aussehen. »Auch das haben wir heute schon. Denken Sie nur an die selbstfahrenden Autos und ihre Navigationsgeräte, an die Software-Agenten, die an den Börsen tätig sind, oder an die Spracherkennungssoftware Siri.« Sogar sprechende Reiskocher gibt es inzwischen in Asien zu kaufen.

»Es wird sein wie in diesen Disney-Filmen voller Magie«, prophezeit auch der Physiker und Zukunftsforscher Michio Kaku.18 »Wir werden zu Teekannen und Möbeln sprechen.« Computer- und Kommunikationschips werden dann so billig sein, dass sie sich in alle möglichen Dinge einbauen lassen. »In der Kleidung können sie beispielsweise unsere Gesundheit überwachen oder bei einem Unfall einen Krankenwagen alarmieren und die gesamte Krankengeschichte downloaden, noch bevor die Ambulanz ankommt.«

VOR UNS LIEGT DAS ZEITALTER DER ALLGEGENWÄRTIGEN ROBOTER      Auf der ICRA-Konferenz im Sommer 2015 in Seattle rief Daniela Rus konsequenterweise das Zeitalter der »Pervasive Robots«, der allgegenwärtigen Roboter, aus.19 Mit rund 3000 Fachbesuchern von Universitäten, Instituten und Firmen aus aller Welt gehört die ICRA, die internationale Konferenz für Robotik und Automatisierung des Berufsverbands von Ingenieuren der Elektro- und Informationstechnik (IEEE), zu den größten Expertentreffen ihrer Art. Hier trifft sich alles, was in der Roboter-Technik Rang und Namen hat. Daniela Rus ist Professorin am berühmten Massachusetts Institute of Technology (MIT) in der Nähe von Boston und als erste Frau zugleich auch Direktorin des dortigen Labors für Computerwissenschaften und Künstliche Intelligenz.

Mit dem Begriff der »Pervasive Robots« nimmt sie Bezug auf den Informatiker Mark Weiser, der schon im Jahr 1990 – als das Internet noch in den Kinderschuhen steckte – das »Pervasive Computing« vorhersagte. Er meinte damit, dass Rechenleistung überall verfügbar sein und praktisch unsichtbar in den Dingen stecken werde. Smartphones und Tablets, intelligente Etiketten sowie in der Kleidung oder am Handgelenk tragbare Minicomputer … »Das Pervasive Computing von Mark Weiser ist heute schon Realität – und die Roboter sind als Nächste an der Reihe«, prophezeit Rus. Sie denkt dabei sowohl an kognitive Systeme, die aussehen, wie man sich einen Roboter vorstellt, als auch an solche, die unsichtbar in den Dingen stecken, wie etwa elektronische Assistenz- und Dialogsysteme. »Die umfassendsten Technologien, die unseren Alltag am meisten beeinflussen«, sagt sie, »sind immer diejenigen, die vor unseren Augen verschwinden, weil sie sich sozusagen perfekt in unsere Umgebung hineinweben und damit verschmelzen.«

All diese Aussagen der Fachleute, von Daniela Rus über Rolf Pfeifer und Rüdiger Dillmann bis zu Hiroshi Ishiguro, machen eines überdeutlich. Ob in den USA, Europa oder Japan – weltweit sind sich die Experten einig, dass der Angriff auf die ureigenste Bastion des Menschen jetzt unmittelbar bevorsteht: auf den Verstand, die kognitiven Fähigkeiten, das selbständige Lernen, Planen und Handeln. Intelligente Systeme, sichtbare und unsichtbare Roboter, werden immer mehr unseren Alltag prägen, Teil unserer Umwelt werden oder sogar zusammen mit uns in einer Roboter-Gesellschaft existieren.

Doch warum gerade jetzt? Computer und Roboter gibt es seit über 50 Jahren – warum sollten die Maschinen gerade jetzt den Intelligenzsprung schaffen?