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Sylvia Kéré Wellensiek

Fels in der Brandung statt Hamster im Rad

Zehn praktische Schritte zu persönlicher Resilienz

2. Auflage

Sylvia K. Wellensiek: Dipl.-Ing. Innenarchitektur, Trainerin, Therapeutin (Physio- und Psychotherapie nach HPG), Coach, Autorin, leitet ein Trainings- und Ausbildungsinstitut am Starnberger See. Mit Freude und Leidenschaft unterstützt sie Unternehmen, Teams und Führungspersönlichkeiten aus Wirtschaft und Spitzensport in den Themenbereichen persönliches und organisationales Resilienztraining, Unternehmenskultur, Führung, Kommunikation, Life-Balance und persönliche Exzellenz. Ihre Arbeit versteht sie als Bewusstseinstraining. Im Fokus steht die konsequente Wahrnehmung und Verbindung von Körper, Gefühl, Verstand und Seele.

Autorin der Bücher »Handbuch Integrales Coaching«, »Handbuch Resilienz-Training«, »Resilienz-Training für Führende«, »Resilienz – Kompetenz der Zukunft« (zusammen mit Dr. Joachim Galuska), der DVD »Fels in der Brandung statt Hamster im Rad« sowie der »75 Bildkarten Resilienztraining«.

Für all meine Seminarteilnehmer, die ich bisher begleiten durfte. Ich konnte von ihnen unendlich viel lernen.

Inhalt

Einstieg: Die Chancen und Herausforderungen unserer Zeit

Der Trainingsplan

Schritt 1: Innehalten und die eigenen Bedürfnisse wahrnehmen

Schritt 2: Genaue Standortbestimmung als Ausgangspunkt der Reise

Schritt 3: Die sorgfältige Pflege des persönlichen Energiehaushalts

Schritt 4: Den Lebensrucksack entlasten

Schritt 5: Den inneren Antreiber ausbalancieren

Schritt 6: Grenzen setzen – Grenzen wahren – Grenzen öffnen

Schritt 7: Konflikte aktiv angehen

Schritt 8:Konsequente Ausrichtung auf Handlungsspielräume

Schritt 9:Halt im Netzwerk

Schritt 10:Verankerung in der eigenen Kraft und Ruhe

Literaturverzeichnis

Einstieg: Die Chancen und Herausforderungen unserer Zeit

Kraft, Ruhe und Klarheit lassen sich trainieren

Liebe Leserin, lieber Leser,

kennen Sie das legendäre Bild von dem Leuchtturmwärter Theodore Malgorn, das Anfang der 1990er-Jahre um die Welt ging? »Aufrecht zwischen Riesenwellen«, so titulierten damals die Zeitungen die spektakuläre Momentaufnahme. Ein heftiger Sturm der Stärke 10 Beaufort wühlte den Atlantik auf, als sich ein Hubschrauber dem Leuchtturm La Jument näherte. Der Wärter trat gerade an die Balustrade, um zu schauen, was passiert, als hinter ihm eine Riesenwelle auf den Turm zurollte. Meterhohe Wassermassen wälzten sich über das Geländer, die Gischt spritzte bis zur Spitze des Leuchtfeuers empor. Das Meer peitschte und tobte. Malgorn stand seelenruhig vor seiner Tür, als fühlte er sich inmitten des Sturms wohl geborgen.

Dieses Foto spiegelt eine Sehnsucht wider, die mir viele Teilnehmer meiner Kurse schildern: Sie wünschen sich innere Stärke, Gelassenheit und Selbstbewusstsein, um im Sturm der täglichen Aufgaben Ruhe und Übersicht bewahren zu können. Sie möchten sich nicht vom täglichen privaten und beruflichen Wellengang überrollen lassen, möchten nicht unter E-Mails, Meetings und Informationsbergen untergehen, sondern ihr Leben aktiv, ihren Potenzialen und Belastungsfähigkeiten entsprechend, gestalten können. Doch gerade diese Kunst der bewussten, balancierten Lebensführung fällt vielen extrem schwer. Kein Wunder – denn auf die Geschwindigkeit und Komplexität unseres heutigen Lebens wurden wir alle nirgendwo vorbereitet.

Uns selbst gut durch den Alltag zu steuern, das können und sollten wir lernen! Dafür gilt es zu begreifen, dass von uns ganz neue Fähigkeiten und Kompetenzen erwartet werden, die uns bisher weder im Kindergarten, noch in der Schule, auch nicht in der Ausbildung oder an der Universität gezielt vermittelt wurden. Gefragt sind Kompetenzen wie Selbstvertrauen, souveräne Selbststeuerung, innere Festigkeit, hohe Stressresistenz, Flexibilität, Freude an Neuerungen, Vertrauen in Wandel, klare Werteverankerung, kreatives Denken und einfühlsame Kommunikations- und Beziehungsfähigkeit. Wo konnten wir diese Fähigkeiten bisher erwerben?

In unserem Bildungssystem wird der Verstand getrimmt, der IQ gefördert – nur: für die Lösung unserer heutigen Aufgaben sollten wir Menschen die Fähigkeiten unseres gesamten Organismus trainieren und nutzen. Unsere emotionale Intelligenz (EQ) gehört genauso gefördert wie unsere ethisch-moralische und spirituelle Intelligenz (SQ) und unser ausgeprägtes, ganz natürliches, angeborenes Körperwissen. Alle großen Philosophien und Religionen betonen die Ganzheit unseres Wesens, das sich aus Körper, Herz, Verstand und Seele zusammenfügt. All diese Ebenen in uns gilt es, in ihren Bedürfnissen und Fähigkeiten wahrzunehmen, zu aktivieren und gezielt miteinander auszubalancieren. Und dafür braucht es kontinuierliches Training – nicht erst, wenn wir an den Rand unserer Kräfte geraten sind und durch schmerzvolle Einschränkung und Krankheit beim Arzt, Therapeuten oder in einer Klinik landen.

In einigen Bereichen haben wir gelernt, zumindest auf den Körper zu achten und aufzupassen. Vorsorgeuntersuchungen, gesunde Ernährung, regelmäßige Bewegung und Muskeltraining gehören für einige Menschen schon zu ihrem normalen Lebensrhythmus dazu. Wir sollten nun noch einen Schritt weiter gehen und mit gleicher Konsequenz auch unsere Psyche, unsere Seele stärken. Sie braucht es dringend.

Chance und Überforderung zugleich

In meinen Einzelcoachings und Seminaren begleite ich Führungskräfte und Mitarbeiter, Ärzte, Lehrer, Sportler, Politiker, Unternehmensleiter, Künstler, Handwerker, Ehepaare, Eltern … und sie alle berichten von einer hochkomplexen Lebens- und Arbeitswirklichkeit, die sie sich täglich kreieren und der sie sich gleichzeitig ausgesetzt fühlen. Auf der einen Seite bietet diese Lebensfülle ungeheure Möglichkeiten, um zu lernen, sich auszuprobieren, sich weiterzuentwickeln und Neues zu erleben. Die Kehrseite der Medaille sind die Überforderung, die Überflutung, die Angst, sich selbst und das Leben nicht mehr ausloten zu können, die Sorge, nicht mehr mithalten zu können, die eigenen Bedürfnisse und die der anderen nicht mehr unter einen Hut zu bringen …

»Ich fühle mich wie ein Hamster im Rad«, diesen Satz habe ich in den letzten Jahren hunderte Male gehört, und zwar von den unterschiedlichsten Menschen. Alle bergen den Wunsch in sich, aus diesem Rad auszusteigen und zu einem Fels in der Brandung zu werden. Nur weiß kaum einer den Weg dorthin.

Das gibt zu denken. Am Anfang meines Berufsweges leitete ich zusammen mit einem Freund eine Praxis für Physiotherapie. Damals hatten wir immer wieder Patienten, die unter akuten Stresssymptomen litten. Ihre innere Belastung suchte sich Ausdruck in einer Erkrankung des Bewegungsapparates. Während der Behandlung eines oft schmerzhaften Hexenschusses oder Bandscheibenvorfalls erzählten sie von tiefer liegenden Problemen. Sie berichteten von Schicksalsschlägen, Konflikten, Verlusten, Trennungen und vielem anderen mehr, die in ihnen eine psychosomatische Symptomatik hervorgerufen hatten. Es waren klar abgegrenzte Extremsituationen, die einen gewissen Zeitraum lang ihr Leben stark beeinflussten. Die Gespräche mit diesen Menschen veranlassten mich dazu, meine medizinische Grundausbildung durch psychotherapeutische Fortbildungen zu erweitern. Es war zu offensichtlich, wie eng der Körper und die Psyche miteinander verwoben sind – und mein Wunsch war es, einen Menschen umfassend erfassen und begleiten zu können. Die letzten 20 Jahre konnte ich dann »direkt am Klienten« den Wandel unserer Gesellschaft hautnah mitverfolgen. Heute spricht nicht eine Person über akute Belastungssymptome, nein, das Thema begegnet mir flächendeckend, egal wohin ich schaue.

Meine Erfahrung aus Seminaren der letzten Jahre ist erschütternd und alarmierend: Egal mit welcher Gruppierung ich es zu tun habe, stets berichtet mir ein Drittel der Gruppe, am Anschlag der Kräfte zu sein. Die Menschen erleben sich selbst oftmals als leer, urlaubsbedürftig, ausgepresst, überdreht, von sich selbst abgeschnitten. Diesen Menschen fällt es immens schwer, nach der Arbeit abzuschalten, manche können beim besten Willen ihre Batterien nicht mehr aufladen. Wie bei einer Autobatterie ist ihr innerer »Energiepegelstand« zu weit unten, als dass sie sich selbst wieder aufladen könnten.

Ein weiteres Drittel gesteht, mit der Leistungsfähigkeit noch ganz gut zurechtzukommen. Diese Menschen leiden zwar auch unter einem anhaltenden Druck, der beständig Kräfte zehrt, aber sie schaffen es immer wieder, sich dieser Erschöpfung zu entwinden und sich selbst etwas Gutes zu tun. In den meisten Fällen befindet sich tatsächlich nur ein Drittel meiner Seminarteilnehmer im Vollbesitz seiner Kräfte und strahlen Lust und Energie an ihrer Arbeit aus. An dieser Stelle setzt das Resilienztraining an. Es ermutigt dazu, Burnout-Symptome ernst zu nehmen und sie präventiv anzugehen: Nicht warten, bis die Überbeanspruchungen und die Erschöpfung zu groß werden und den ganzen Organismus schachmatt setzen – sondern im Vorfeld die Bremse ziehen, Symptomen auf den Grund gehen, Handlungsspielräume erkennen und direkt nutzen. Vom Hamster im Rad zum Fels in der Brandung – diese Transformation entsteht durch Selbstbewusstsein und Achtsamkeit. Diese Eigenschaften kann jeder von uns kultivieren, wenn er nur will.

Was heißt Resilienz?

Widerstandskraft, Belastungsfähigkeit und Flexibilität, all diese Eigenschaften, die viele heutzutage dringend brauchen, werden mit dem Begriff »Resilienz« umschrieben. Es ist ein Grundgedanke, der aus der Werkstoffkunde stammt, und er schildert die Fähigkeit eines Stoffs, nach einer Verformung durch Druck- oder Zugeinwirkung wieder in seine alte Form zurückzukehren. Diese Bezeichnung veranschaulicht also die Fähigkeit eines Systems, von außen und innen kommende Irritationen ausgleichen oder ertragen zu können, ohne dabei kaputtzugehen. Das Material übersteht Verformungen, ohne dabei die eigene, ursprüngliche Form einzubüßen. Im Lateinischen existiert die Vokabel »resilire«, und sie bedeutet »zurückspringen« oder »abprallen«. Im Deutschen ist keine allgemein gültige Definition für dieses Wort vorhanden – es wird in der Regel als Synonym für Widerstandsfähigkeit, Belastbarkeit oder Elastizität verwendet. Das assoziierende Bild dabei ist das Stehaufmännchen, das sich aus jeder beliebigen Lage wieder aufzurichten vermag.

Die Kinderpsychologie kennt diesen Terminus schon länger und bemüht ihn, wenn Kinder oder Jugendliche trotz schwieriger Lebensumstände in eine gute Entwicklung finden. Emmy E. Werner, eine amerikanische Entwicklungspsychologin, machte zu diesem Phänomen eine spannende Längsschnittstudie. Sie begleitete über 40 Jahre lang die Entwicklung von ungefähr 700 Kindern, die im Jahre 1955 auf der Hawaii-Insel Kauai geboren wurden. All diese Kinder wuchsen in einem sehr unterschiedlichen Milieu auf. Die einen lebten sehr wohlbehütet und in einem geschützten, liebevollen Umfeld. Andere dagegen hatten mit schwierigsten Bedingungen in ihrem Elternhaus und ihrer Umgebung zu kämpfen. Wider Erwarten konnte ein Drittel der vorbelasteten Risikokinder einen erfüllten und stabilen Lebensweg einschlagen. Emmy Werner gelang es, verschiedene Faktoren zu identifizieren, die diese Kinder beziehungsweise Erwachsenen von den anderen zwei Dritteln differenzierten. Es waren zum einen günstige Charaktereigenschaften, über die diese Kinder selbst verfügten. Sie wurden als gutmütig, liebevoll und ausgeglichen beschrieben. Zum anderen erwiesen sie sich als kommunikativ, wenig ängstlich, konnten Umstände reflektieren und sich ein eigenes Bild davon machen. Sie besaßen gute Problemlösefähigkeiten und konnten auch Dinge realistisch einschätzen.

Darüber hinaus gab es psychisch schützende Faktoren in ihrem Umfeld. Wichtig war, dass die Kinder eine stabile Bindung an einen Erwachsenen aufbauen konnten und von diesem zuverlässig unterstützt wurden. Die resilienten Kinder neigten dazu, sich in Krisenzeiten nicht nur auf ihre Eltern oder Erziehungsberechtigten zu verlassen, sondern suchten auch bei Verwandten, Freunden, Nachbarn oder älteren Menschen in ihrer Gemeinde Rat und Trost. Die Verbindungen mit Freunden aus stabilen Familien hielten oft ein Leben lang und halfen den Kindern, eine positive Lebensperspektive zu entfalten. Ein Lieblingslehrer oder ein Pfarrer konnte für die Kinder zum positiven Rollenmodell werden.

Die Längsschnittstudie deckte Einflussfaktoren auf, die das Risiko von psychosozialen Störungen beziehungsweise Erkrankungen mildern beziehungsweise einschränken konnten:

Diese Ergebnisse deuten auf einen Zusammenhang hin, den ich durch meine persönlichen Beobachtungen ganz und gar bestätigen kann. Innere Widerstandskraft, Selbstbewusstsein, Gelassenheit und Souveränität lassen sich kraftvoll fördern, wenn man auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig ansetzt: bei der Beziehung zu sich selbst, beim Kontakt zu anderen Menschen und bei der aktiven Gestaltung der umgebenden Einflussfaktoren. Resilienz ist keine Eigenschaft, die uns Menschen von Natur aus in die Wiege gelegt wurde. Sie ist eine Veranlagung, die in jedem Menschen unterschiedlich ausgeprägt ist und aktiv angestoßen sowie gestärkt werden kann.

Ganz außer Frage gibt es Personen mit einer besonders ausgeprägten Stressresistenz oder einem unerschütterlich sonnigen Gemüt, die das Glas immer halbvoll sehen. Von diesen in sich ausbalancierten, robusten Menschen laufen aber gar nicht so viele herum, wie man denkt. Bei genauerer Betrachtung ist das angeborene Stehaufmännchen-Gen eher die Ausnahme. Viel öfter bilden Menschen erst im Laufe ihres Lebens diese innere Festigkeit aus, indem sie die verschiedensten Höhen und Tiefen ihres Schicksals meistern. Widerstände und Prüfungen zwingen sie dazu, alle nur möglichen Ressourcen und Potenziale in sich selbst flottzumachen. Mir erging es nicht anders. Als junger Mensch war ich von einem Zustand des Einklangs und der inneren Gelassenheit noch Lichtjahre entfernt. Aber ich trug den unerschütterlichen Wunsch nach einem erfüllten, glücklichen Leben in mir und schwor mir, nicht locker zu lassen, bis ich dieses Ziel erreicht hätte.

So begann ich, mit mir selbst systematisch zu arbeiten. Ich fing an, ganz bewusst auf Spurensuche zu gehen. Ich erkundete, was meinem Körper und meiner Psyche wohltat und mich in ein stabileres inneres Gleichgewicht brachte. Alle Gedanken, Blickpunkte und Übungen, die Sie in diesem Buch finden, sind durch meinen lang andauernden persönlichen Entwicklungsweg und meine Arbeit mit vielen unterschiedlichen Menschen herangereift. Ich freue mich, Ihnen in diesem Buch meine praxisnahen Erfahrungen weitergeben zu können.

Das H.B.T. Human Balance Training – eine ganzheitliche Arbeitsmethode

Durch meine unterschiedlichen Erfahrungs- und Ausbildungswege konnte ich eine integrale Arbeitsmethode entwickeln, die den Menschen in all seinen Dimensionen von Körper, Gefühl, Verstand und Seele anspricht. Das H.B.T. Human Balance Training vereint daher unterschiedliche Erkenntnisse und Methoden des Coachings und des Kommunikationstrainings, der humanistischen und transpersonalen Psychotherapie, der Körpertherapie und Körperarbeit, west-östlicher Weisheitslehren, der Neurobiologie sowie der Stressforschung. Die Zusammenführung dieser verschiedensten Arbeitsansätze ermöglicht einen fundierten und gleichzeitig zügigen Zugang zur eigenen Person. Alle Lebensfelder eines Menschen, ob beruflich oder privat, und all seine Erfahrungen, ob gegenwärtig oder biografisch, sind in der Arbeit willkommen und werden in ihren vielfältigen Verflechtungen wahrgenommen und bearbeitet.

Die Human-Balance-Kompasse, die Sie im Laufe des Buchs kennenlernen, sorgen für eine übersichtliche Darstellung der unterschiedlichsten Facetten und Themenbereiche. Sie helfen, Dinge immer wieder im Zusammenhang zu betrachten und so einen systemischen Blick zu schulen. Sie greifen Themen auf, die jeden Menschen betreffen und die er in einen harmonischen Zusammenklang bringen möchte. Der folgende Human-Balance-Kompass stellt den Menschen in seinen vielfältigen Lebensfeldern dar:

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Mit dieser Methode konnte ich in den letzten Jahren so gute Erfahrungen sammeln, die mich davon überzeugen, dass sich eine integrale Vorgehensweise ganz besonders für das Training der persönlichen Resilienz eignet.

Die meisten meiner Klienten, die sich zu einem Seminar oder einem Einzelcoaching anmelden, befinden sich in einer für sie bedrückenden Situation. Oft haben sie sich über Jahre oder Jahrzehnte in eine Lebenskonstellation hineinmanövriert, der gegenüber sie mit ihren persönlichen Bewältigungsstrategien heillos überfordert sind. Bei vielen dieser Personen korreliert die gegenwärtige Überforderung mit seelischen Gewichten, die sich in ihrem Lebensrucksack verbergen. Eine schwierige Kindheit, Verlust, Krankheit, Traumatisierung oder andere Schicksalsschläge binden ihre Lebensenergie in tiefen Schichten ihres Seins. Dazu gesellen sich die aktuellen Aufgaben im Job, die meistens nicht weniger, sondern immer mehr werden. Diese Menschen haben in der Regel schon viel ausprobiert, wissen theoretisch sehr viel und können ihre guten Erkenntnisse in der Praxis dann doch nicht realisieren. Eine Unterscheidung zwischen beruflichen und privaten oder gegenwärtigen und vergangenen Inhalten macht an dieser Stelle keinen Sinn, da die Themen ineinandergreifen und eine Gesamtdynamik entwickelt haben. Daher gilt es, anders beziehungsweise umfassender anzusetzen.

Um all diese subtilen Verflechtungen transparent zu gestalten und zielführend bearbeiten zu können, braucht es Achtsamkeit und Reflexion. So rückt in jedem der Human-Balance-Kompasse, die ich zur Resilienzförderung entwickelt habe, das Bewusstsein in den Mittelpunkt. Der »Achtsamkeitsmuskel« will täglich trainiert sein, denn er braucht wie alle anderen Muskeln unseres Organismus viel Aufmerksamkeit und kontinuierliche Beanspruchung. In meinen Trainings widme ich mich, neben der umfassenden Bewusstseinsschulung, klar definierten Arbeitsstufen, die ich bei der Entfaltung von innerer Kraft als besonders wertvoll und gewinnbringend erachte.

Die folgenden zehn Schritte helfen dabei, die persönliche Resilienz zu trainieren. Sie bilden den Leitfaden, den Sie für Ihr eigenes Training beziehungsweise für Ihre Klienten nutzen können.

Info

Zehn Schritte für die persönliche Resilienzförderung

  • Innehalten – die Kunst der kleinen Pause

  • Standortbestimmung und Rollenklärung

  • Das Energiefass füllen

  • Den Lebensrucksack entlasten

  • Die inneren Antreiber ausbalancieren

  • Grenzen setzen – Grenzen wahren – Grenzen öffnen

  • Konflikte aktiv angehen

  • Konsequente Ausrichtung auf Handlungsspielräume

  • Halt im Netzwerk

  • Verankerung in der eigenen Kraft und Ruhe

Ein Mensch, der allein diese zehn Themen für sich reflektiert, bearbeitet und sie beständig in seine Tagesgestaltung integriert, wird von nichts und niemandem aufzuhalten sein, sein Leben in erfüllende Bahnen zu lenken. Nicht einmal von sich selbst. Wem die persönliche Weiterentwicklung wirklich am Herzen liegt, der wird sich die Mühe machen, ein wenig tiefer zu schauen und seine eigenen Denk-, Gefühls- und Verhaltensweisen sorgfältig auf den Prüfstand bringen. Unser Auto fahren wir regelmäßig in die Werkstatt und durch den TÜV. Warum nicht auch unseren eigenen Organismus? Auch er bedarf der sorgfältigen Hege und Pflege, um uns viele lange Jahre für ein glückliches und aktives Leben zu Diensten zu stehen.

Das vorliegende Buch möchte Sie, liebe Leserin, lieber Leser, auf eine Reise der Selbsterforschung einladen. Die folgenden Kapitel zeigen die einzelnen Trainingsschritte detailliert auf und verbinden Hintergrundwissen mit praktischen Erfahrungen und Übungen. Ich würde mich freuen, wenn Sie sich durch meine Ausführungen ermutigt fühlen, einfach hineinzuspringen in die praktische Erfahrung. Probieren Sie die vorgestellten Übungen für sich selbst und im Austausch mit Ihren Lebens- und Berufspartnern einfach aus. Nehmen auch Sie sich ein wenig Zeit und fahren Sie Ihr Leben einmal durch den TÜV. Sie werden schnell die ersten Früchte Ihrer inneren Arbeit ernten können!

Der Weg ist nicht schwierig – ganz im Gegenteil. Alles, worüber ich spreche, ist kinderleicht und mit dem gesunden Menschenverstand nachzuvollziehen. Es braucht nur die Entscheidung, tatsächlich loszulegen. Viele meiner Gedanken werden Ihnen nicht neu vorkommen … und dennoch: Wenn Sie schlichte Wahrheiten, die Sie vielleicht schon vielfach gehört haben, konsequent in Ihr Fühlen, Denken und Handeln integrieren, werden Sie in kürzester Zeit eine ungeheure Wirkung verspüren. Wie sich mein Leben anfühlt und gestaltet, ist kein Zufall, sondern liegt zu großen Teilen in meiner Hand. Was es braucht, ist Beharrlichkeit, Geduld und Humor mit sich selbst, um sich nicht abschütteln zu lassen auf dieser Reise in die eigene Kraft.

Literaturtipps: Wer die Inhalte des H.B.T. Human Balance Training und die Aspekte von persönlicher und organisationaler Resilienz vertiefen möchte, kann weiterlesen: »Handbuch Integrales Coaching« (2010) und »Handbuch Resilienz-Training« (2011).

Speziell für Führungspersonen, die ihre eigene Widerstandskraft und die Ihrer Mitarbeiter fördern wollen, ist das Buch »Resilienz-Training für Führende« (2012) gedacht.

Mit den »75 Bildkarten Resilienztraining« (2015) können Trainer und Coaches mit ihren Teilnehmern und Klienten realistische Schritte zur Achtsamkeit trainieren und den Weg hin zu einer aufmerksamen Unternehmens- und Führungskultur ebnen.

Die beiden Resilienzexperten Sylvia Kéré Wellensiek und Dr. Joachim Galuska liefern im Buch »Resilienz – Kompetenz der Zukunft« (2014) einen Überblick über die aktuelle Resilienzforschung. Darauf aufbauend stellen sie dar, was jeder Einzelne, Unternehmen, Organisationen und die Gesellschaft tun können, um die zunehmenden Belastungen in der Arbeitswelt und Gesellschaft besser zu bewältigen.

Und auf der DVD »Fels in der Brandung statt Hamster im Rad« kann der gesamte Trainingsablauf live erlebt werden. Vor der traumhaften Kulisse des Starnberger Sees trainieren sechs Erwachsene gemeinsam mit Sylvia Kéré Wellensiek ihre eigene Widerstandskraft. Sylvia Kéré Wellensiek erläutert den Trainingspfad der zehn Schritte und nimmt die Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit auf die Entdeckungsreise zu ihren eigenen Ressourcen, Wünschen und Bedürfnissen.

Trailer auf:

http://www.beltz.de/fachmedien/training_coaching_und_beratung/buecher/produkt_produktdetails/7598-fels_in_der_brandung_statt_hamster_im_rad.html

Der Trainingsplan

Schritt 1:

Innehalten und die eigenen Bedürfnisse wahrnehmen

An der eigenen Tür ankommen

»Die Zeit wird kommen,

da du voller Überraschung

dich selbst als Ankömmling

an deiner eigenen Tür begrüßen wirst …«

Derek Walcott

(Aus dem Gedicht: Love after Love)