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Für Michael

ISBN 978-3-492-97401-1

September 2016

© Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2016

Erstausgabe: Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2009/Ullstein Verlag

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30827 Garbsen

Covergestaltung: Mediabureau di Stefano, Berlin

Covermotiv: Mark Fearon/Arcangel (Feder und Untergrund); kjohansen/Getty Images (Rahmen)

Datenkonvertierung: Kösel Media GmbH, Krugzell

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Sahar International Airport Mumbay, 8. Mai

Der kleine Mann trug staubige, abgetretene Gummilatschen, Adidas-Shorts und ein Hemd, das verblichen war. Er passte nicht zu den anderen in den gebügelten Fantasieuniformen, die mit ihren polierten Metallschildern neben ihm auf Urlauber warteten. »Darshan Klein« stand auf dem Stück Pappe, das sich der kleine Mann über den Kopf hielt. Die Glastüren vor den Gepäckbändern spuckten lärmende Menschen aus. Irgendwo plärrte ein Baby. Immer wenn jemand am anderen Ende des Flughafengebäudes die Türen öffnete, waberte ein Schwall feuchtwarme, abgasgetränkte Luft in die klimatisierte Halle. Sandra Hughes saß am British-Airways-Ticketschalter und beobachtete den kleinen unpassenden Mann mit dem Pappschild, weil sie sonst nichts zu tun hatte. Jetzt rannten ihn zwei Geschäftsreisende beinahe über den Haufen. Sie entschuldigten sich nicht, hasteten weiter zum Info-Counter, wo sie ihre Pilotenkoffer auf den hellen Steinboden knallten. Die Hostessen hinter der Theke pflegten ihr neutrales Lächeln.

Heute Nachmittag wollte offenbar überhaupt niemand ein Ticket kaufen, die Schicht zog sich in die Länge. Sie dachte an ihren Freund, der morgen aus Sydney zurückkommen würde. Diese Jenny arbeitete schon wieder auf demselben Flug wie er und das gefiel ihr nicht. Vielleicht sollte sie Anns Rat befolgen und die Sache beenden. Sie könnte sich wieder nach England versetzen lassen, aber der Gedanke an den ewigen Nieselregen war nicht gerade ermutigend. Vielleicht sollte sie einfach die Pille absetzen. Jetzt war auch American Airlines gelandet. Eine Traube weißhäutiger, schwitzender Touristen in bunt gemusterter Freizeitkleidung quoll in die Halle. Sie zerrten ihre riesigen Hartschalenkoffer hinter sich her und wurden sofort von den Männern in den Fantasieuniformen zum Seitenausgang eskortiert. Nur der kleine Mann mit den Gummilatschen blieb übrig. Er hielt sein Pappschild noch etwas höher und ließ die Glastüren nicht aus den Augen.

Zwei Stunden später, als der glutheiße Nachmittag draußen sich zu einer weiteren Nacht verdunkelt hatte, die keine Abkühlung bringen würde, kam der kleine Mann mit zögernden Schritten auf ihren Ticketschalter zu. Das Pappschild hatte er jetzt unter den Arm geklemmt und seine gekrümmten Schultern gaben seinem Gang etwas Geducktes, Resigniertes. Was zum Teufel …, dachte Sandra, aber dann stand er schon vor ihr und sie konnte sehen, wie sehnig und hager er war und dass sein Hemd am Kragen Löcher hatte. Er roch nach Curry und frischem Koriander. »Darshan Klein«, sagte er, und ein goldener Backenzahn blitzte auf. Einer seiner Schneidezähne fehlte. Er legte einen zerknitterten Zettel auf den Tresen. »BA 756, 5:05 pm, Darshan Maria Klein.«

»Die Maschine aus Frankfurt ist pünktlich gelandet und alle Passagiere sind längst durch.« Sie war nicht sicher, ob er verstand. »It landed at five«, wiederholte sie. »No more passengers here.«

»Darshan Klein.« Es lag etwas Drängendes in seinen Worten.

Seine dunklen Augen hielten ihren Blick fest. Er deutete auf ihren Computer. Eigentlich war er gar nicht so unsympathisch.

Sandra seufzte. »Okay, ich werde nachsehen.« Sie tippte die Flugnummer und den seltsamen Namen ein. Die Maschine war pünktlich gelandet, wie sie es gesagt hatte, aber eine Person namens Darshan Maria Klein war nicht an Bord gewesen.

»I’m sorry«, wiederholte sie. »Darshan was not on this flight.«

Der Mann schien nicht zu verstehen.

»Darshan not come«, radebrechte sie.

Der Mann nickte, machte aber keine Anstalten zu gehen. »Darshan?«, wiederholte er, zeigte erneut auf den Computer und dann auf die Uhr über dem Infoschalter.

»Oh, Sie meinen, ob es noch einen späteren British-Airways-Flug gibt? Nein, das war der letzte für heute.«

Nebenan am Air-India-Counter machten die Ticketverkäuferinnen Feierabend. Irgendwie musste sie diesen hartnäckigen Kunden loswerden. Sie rief das Buchungssystem auf und gab den Namen erneut ein. Bingo. Darshan Maria Klein war tatsächlich auf die Fünfuhrmaschine aus Frankfurt gebucht worden. Scheiß auf die Datensicherheit, dachte sie, drehte den Bildschirm ein Stück herum und winkte den Mann heran. Aufmerksam folgte er ihrem Zeigefinger.

»Darshan war tatsächlich auf die Maschine BA 756 gebucht.« Sie zeigte ihm den Namen im Buchungsmenü, wechselte dann zur Passagierliste. »Aber sie hat nicht eingecheckt, sehen Sie? In Frankfurt? Darshan not come.«

»Darshan not come«, wiederholte der Mann. Es klang traurig.

Sandra schenkte ihm ein professionelles Lächeln.

»Darshan not come. I’m sorry.«

»Tomorrow?«

Aufseufzend tippte sie auch diese Option in die Tasten.

»No. I’m sorry.« Sie stand auf und begann, die Prospekte vom Tresen einzusammeln.

Der Mann nickte zögernd und ging endlich zum Ausgang. Ein kleiner, gebeugter Schatten, der durch die Glastür glitt und mit der Nacht verschmolz, zielstrebig und lautlos wie eine Katze.

1. Teil

Das Vergehen