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Als sich abzeichnete, dass Finanzminister Wolfgang Schäuble schon 2014 einen Haushalt ohne neue Schulden geschafft hatte, klopften sich die Politiker der Großen Koalition enthusiastisch auf die Schultern: Von einem »Meilenstein« war die Rede, von einem »Quantensprung« und von einer »historischen Zäsur«. Im Land der schwäbischen Hausfrauen verkörpert die »schwarze Null« Solidität und den Erfolg des deutschen Wirtschaftsmodells. Doch was verbirgt sich hinter dieser symbolmächtigen Zahl?

Lukas Haffert untersucht die große Popularität der deutschen Überschüsse in historischer und vergleichender Perspektive. Er zeigt, welche Erfahrungen andere Länder mit ausgeglichenen Haushalten gemacht haben und leitet daraus wichtige Lehren ab. Sein Fazit ist ernüchternd: Deutschlands Fiskalpolitik folgt gegensätzlichen Zielen, zwischen denen die Handlungsfähigkeit des Staates zerrieben wird. Die »schwarze Null« löst diese Zielkonflikte nicht etwa auf, sie verschärft sie zum Teil sogar.

Lukas Haffert, geboren 1988, ist Oberassistent am Institut für Politikwissenschaft der Universität Zürich. Für seine Forschung wurde er mit dem Deutschen Studienpreis der Körber-Stiftung und der Otto-Hahn-Medaille der Max-Planck-Gesellschaft ausgezeichnet.

 

 

Lukas Haffert

Die schwarze Null

Über die Schattenseiten
ausgeglichener Haushalte

Suhrkamp

 

 

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2015

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage 2016.

© Suhrkamp Verlag Berlin 2016

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Umschlag gestaltet nach einem Konzept

von Willy Fleckhaus: Rolf Staudt

 

eISBN 978-3-518-74876-3

www.suhrkamp.de

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

 

1. Die schwarze Null: Mythos oder Meilenstein?

Die schwarze Null im politischen Diskurs

In der Billionenfalle?

Deutschlands Staatsfinanzen im 20. Jahrhundert

Die Verheißungen der schwarzen Null

Enttäuschungen sind vorprogrammiert

 

2. Zwei Lehren aus Ländern mit Überschüssen

Wo Überschüsse nichts Ungewöhnliches sind

Zwei Typen von Überschüssen

Die Rhetorik der Überschüsse

Ergebnisse der Überschusspolitik

Das vorläufige Ende der Überschussregime

Dauerhafte Überschüsse bedeuten dauerhafte Austerität

 

3. Die Zukunftsaussichten der schwarzen Null

Überschussregime oder Überschussepisode?

Gewinnt Deutschland Handlungsfähigkeit zurück?

 

Schluss – Eine Aufforderung zur Debatte

 

Literatur

Einleitung

Die »schwarze Null« ist die symbolmächtigste politische Zahl unserer Zeit. Während Deutschlands Nachbarn und seine wichtigsten ökonomischen Partner mit schweren fiskalischen Problemen zu kämpfen haben, scheint sie die Solidität und Zukunftsfestigkeit der deutschen Finanzpolitik und des deutschen Wirtschaftsmodells zu verkörpern. In ihr, so heißt es, verdichten sich positive wirtschaftliche Entwicklungen und kluge politische Entscheidungen zu einem Bild wohlverdienten Erfolgs. Zugleich soll sie einen fundamentalen Bruch mit den Sünden der Vergangenheit markieren: »Jahrzehntelang«, so erklärte Angela Merkel 2014 vor dem Bundestag, »hat der Staat über seine Verhältnisse gelebt. Damit machen wir Schluss.« (Deutscher Bundestag 2014a)

Diese enthusiastische Deutung der schwarzen Null wird von fast allen politischen Akteuren geteilt. Hinter dem Ziel ausgeglichener Haushalte versammeln sich neoliberale Apologeten des freien Marktes ebenso wie staatsgläubige Sozialdemokraten. Selbst Kritiker – etwa von der Linkspartei, den Gewerkschaften oder den Grünen – beanstanden in der Regel nicht die schwarze Null an sich, sondern nur die Art und Weise, wie sie erzielt wurde, nämlich durch niedrige Staatsausgaben statt durch höhere Steuern.

Die buntscheckige Koalition ihrer Unterstützer ist allerdings nur ein Aspekt, der die schwarze Null zu einem besonderen Phänomen macht. Verblüffend sind auch die politischen Emotionen, die sie auslöst. Führende Politiker der Großen Koalition überhöhen sie als »Wendepunkt« (Angela Merkel), »Meilenstein« (Gerda Hasselfeldt) oder »historische Zäsur« (Thomas Oppermann) (Deutscher Bundestag 2014a, 2014b). Bei der Wahl zum Wort des Jahres 2014 schaffte »schwarze Null« es auf Platz zwei – und wer erinnert sich heute noch, was mit der erstplatzierten »Lichtgrenze« gemeint war?

Die als trocken geltende Haushaltspolitik sorgt also – durchaus passend – für den mit der größten emotionalen Emphase begleiteten Erfolg der Kanzlerschaft der so nüchternen Angela Merkel. Woher aber kommt dieser Zauber der schwarzen Null? Und handelt es sich dabei um mehr als eine gekonnt erzeugte Illusion?

Dieses Buch geht der Faszination, die diese Zahl auslöst, auf den Grund und zeigt, dass sie in vieler Hinsicht unberechtigt ist. Ob man die schwarze Null in zehn Jahren tatsächlich als »historische Zäsur« beurteilen wird, ist alles andere als sicher. Mindestens ebenso wahrscheinlich ist, dass sie als vertane Chance und letztlich bedeutungslose Episode gelten wird.

Dabei können die Befürworter der schwarzen Null durchaus plausible Argumente für diese Politik ins Feld führen. Diese Argumente beleuchten aber nur die Sonnenseite der schwarzen Null. Daneben haben ausgeglichene Haushalte jedoch auch eine Schattenseite. So weckt die Euphorie über die schwarze Null Hoffnungen, die sich kaum jemals werden erfüllen lassen. Zugleich suggeriert sie, ausgeglichene Haushalte hätten nur Gewinner. Deshalb sei Kritik an der schwarzen Null kein Ausdruck legitimer Interessengegensätze, sondern mangelnder Auffassungsgabe, wenn nicht gar bösen Willens. Wie wir sehen werden, führt dies zu einer bedenklichen Verengung des politischen Diskurses.

Um die schwarze Null angemessen bewerten zu können, ist es daher notwendig, Sonnenseiten und Schattenseiten gegeneinander abzuwägen. Das geschieht jedoch nur sehr selten. Die meisten Auseinandersetzungen mit dem Thema betrachten allein die Sonnenseite und erzählen die Geschichte der schwarzen Null als Happy End nach Jahrzehnten fiskalpolitischer Krisen und fehlgeschlagener Konsolidierungsversuche. Endlich, so lautet die Botschaft, ist es gelungen, Defizite zu überwinden. Und dieser Erfolg darf jetzt nicht wieder verspielt werden. Was diese Darstellungen eigentlich umtreibt, ist staatliche Verschuldung – ausführlich werden deren Ursachen und ihre möglichen Gefahren untersucht. Die schwarze Null ist in dieser Perspektive vor allem eins: kein Defizit. Das ist, was sie auszeichnet, und auch schon alles, was man über sie wissen muss.

Dieses Buch stellt die schwarze Null dagegen in den Mittelpunkt. Es interessiert sich für die Zahl selbst; dafür, was sie ist, und nicht nur, was sie nicht ist. Weil ihre Sonnenseiten im politischen Diskurs beinahe omnipräsent sind, konzentriert es sich dabei auf die Schattenseiten. Zudem interpretiert es die schwarze Null weniger als eine ökonomische Kennziffer, sondern vor allem als ein politisches Symbol. Statt um eine neutrale, unpolitische Zahl, handelt es sich bei ihr um ein mächtiges Argument in wirtschaftspolitischen Debatten, weil sie einen simplen, aber wirkungsvollen Maßstab für »gute« und »schlechte«, »verantwortungsvolle« und »verantwortungslose« Politik bietet.

Die schwarze Null auf diese Weise zu betrachten lenkt den Blick auf eine Reihe von Fragen, die nicht gestellt werden, wenn man ausgeglichene Haushalte allein als Erfolgsgeschichte beschreibt: Was ist der historische Hintergrund für ihre positive Rezeption? Warum bekennen sich ganz unterschiedliche politische Akteure zu ausgeglichenen Haushalten? Welche Versprechen verbinden sie mit ihnen? Und werden sich diese Versprechen erfüllen?

Um diese Fragen zu beantworten, taucht das erste Kapitel zunächst in die aktuelle fiskalpolitische Debatte in Deutschland ein und setzt diese in den Kontext der historischen Entwicklung der deutschen Staatsfinanzen. Es illustriert anhand verschiedener Beispiele aus dem politischen und medialen Diskurs, wie populär die schwarze Null hierzulande ist, und spürt den Gründen für diese Popularität nach. Dabei zeigt es, wie die Geschichte der deutschen Staatsverschuldung im 20. Jahrhundert den heutigen Blick auf staatliche Defizite noch immer prägt. Im politischen Diskurs gilt die schwarze Null als glänzender Kontrapunkt zu einer unheilvollen Tradition, die mindestens bis zum faktischen Staatsbankrott nach dem Ersten Weltkrieg zurückreicht.

Nach der Vergangenheit geht der Blick dann in die Zukunft. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, welche Hoffnungen unterschiedliche politische Akteure mit ausgeglichenen Haushalten verbinden. Konkret lassen sich zwei Visionen staatlicher Überschusspolitik unterscheiden, nämlich eine progressive Vision, die auf eine Stärkung eines aktiven Staates hofft, und eine marktliberale Vision, die in ausgeglichenen Haushalten das beste Mittel gegen ein Ausufern der Staatstätigkeit erkennt. Da diese Visionen sich gegenseitig ausschließen, kann jedoch nur eine der beiden Realität werden.

Der zweite Teil des Buches befasst sich mit der Frage, ob die schwarze Null langfristig bewahrt werden kann und welche der beiden Überschussvisionen sich in Deutschland durchsetzen wird. Werden Überschüsse zu einer Stärkung der staatlichen Handlungsfähigkeit führen oder bleibt der Staat auch weiterhin auf einem Austeritätskurs? Um eine Antwort auf diese Fragen zu finden, stelle ich im zweiten Kapitel die Ergebnisse meiner mehrjährigen Forschungsarbeit zu Haushaltsüberschüssen in entwickelten Demokratien vor.[1] Eine überraschend große Zahl von Ländern hat ausgeglichene Haushalte nämlich schon sehr viel eher erreicht als Deutschland, darunter so unterschiedliche Volkswirtschaften wie die USA, Schweden, Neuseeland und die Niederlande. Allerdings konnten nur wenige dieser Länder ihre Überschüsse auch langfristig bewahren. Ob dies gelang, hing stark von fiskalpolitischen Weichenstellungen während der vorausgehenden Haushaltskonsolidierung ab: Starke Einschnitte bei den Staatsausgaben und eine institutionelle Beschränkung politischer Entscheidungsspielräume waren die Voraussetzung für eine dauerhafte Etablierung schwarzer Zahlen.

Vor allem aber zeigt der Blick in andere Länder, welche der mit ausgeglichenen Haushalten verbundenen Erwartungen sich dort erfüllt haben – und welche nicht. Enttäuscht wurde insbesondere die progressive Hoffnung auf eine Zunahme der staatlichen Gestaltungskraft. Länder mit langjährigen Überschüssen konnten ihre Ausgaben in Zukunftsbereichen wie der öffentlichen Infrastruktur, der Bildung oder der Familienpolitik kaum stärker erhöhen als ihre Nachbarn mit Defiziten. Stattdessen entschieden sie sich im Einklang mit der marktliberalen Vision vor allem für Steuersenkungen.

Diese Ergebnisse erlauben es, am Ende des Buches ein historisch und vergleichend informiertes Urteil über Deutschlands schwarze Null zu fällen. Dabei werden sich der große Optimismus und die emotionale Emphase, die sie begleiten, als unbegründet erweisen. Denn erstens ist noch völlig unklar, wie dauerhaft Deutschlands Überschüsse überhaupt sein werden. Und zweitens werden sie, selbst wenn sie langfristig bestehen sollten, bestenfalls kleine Etappensiege im langen Kampf gegen den Verfall staatlicher Handlungsfähigkeit ermöglichen. Es besteht sogar die Gefahr, dass die schwarze Null als Diskursbremse wirkt und dazu beiträgt, politisch nötige Reformdebatten zu unterbinden. Deshalb stellt sich nicht nur die Frage, ob Deutschland die schwarze Null auf Dauer bewahren kann, sondern auch die Frage, ob das überhaupt wünschenswert wäre.



[1] Eine ausführliche Schilderung dieser Forschungsergebnisse bietet Haffert 2015.