image

Silke Katharina Kaiser

Das Kleingedruckte
zwischen Mensch und Pferd

Eine Philosophie des Lebens

 

www.exposito-coaching.de

Silke Katharina Kaiser

Das Kleingedruckte
zwischen Mensch und Pferd

Eine Philosophie des Lebens

image

© 2016 Silke Kaiser
Umschlag, Illustration: Julia Kaiser
Satz & Layout: Thomas Auer
Lektorat: Timo Gößler
Korrektorat: Prof. Dr. Traute Schölling, Dr. Rainer Schöttle
Weitere Mitwirkende: Dirk Carow, Birgit Dose, Angela Weishaupt
Verlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN
Paperback: 978-3-7345-3346-4
Hardcover: 978-3-7345-3347-1
E-Book: 978-3-7345-4341-8

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Inhaltsverzeichnis

Über dieses Buch

Vorwort von Alexandra Rieger

Vorwort von Christine Tetau

Einleitung

Das Kleingedruckte – Der Subtext in der Kommunikation

Wie alles begann

Kapitel 1

Daria – Der lange Weg zum
gegenseitigen Verständnis beginnt

Einige Gedanken zum Begriff des Horsemanship

Über die Anwendung einer Methode, die auf dem Gedanken von ›ranghoch‹ und ›rangniedrig‹ basiert

Interpretation, Zeitgeist & Selbstverständnis

Kapitel 2

Sicherheit – Stress – Angst
Gefühle und ihre Konsequenzen

Aus der Sicht eines Pferdes

Über empfundene Hilflosigkeit, Überforderung und Bedrohung

Flucht verhindern – Der Mensch rüstet auf

Flucht nach innen

Gesteigertes inneres Erregungsniveau – Stresssignale bei Pferden

Stressfrei leben?

Kapitel 3

Präsenz und Verhalten

Mein langjähriger Irrtum: »Ich tue, also bin ich.«

Was ist Präsenz?

Kapitel 4

Energie und Körperwahrnehmung

Was ist Energie?

Menschliche Energie und emotionale Disposition – Lowens Konzept der Bioenergetik

Körpergefühl und Körpergedächtnis

Die Reaktion des Pferdes als Indikator für die menschliche Energie

Kapitel 5

Reiten ist Durchlässigkeit

Die Ausbildungsskala des Pferdes – eine Ausbildungsskala des Menschen

Menschliche Durchlässigkeit als Voraussetzung für eine harmonische Zusammenarbeit mit dem Pferd

Hineinfühlen und Hineindenken – Petit Prince und mein Weg zur eigenen Durchlässigkeit

Kapitel 6

Die Welt in der wir leben –
Ein Weltbild und seine Konsequenzen

Ein weiteres Pferd tritt in mein Leben

Unser Weltbild – ein Baukasten

Eine Welt der Möglichkeiten

Was haben unser Weltbild und Quantenphysik mit unseren Pferden zu tun?

Kapitel 7

Fazit – Handeln durch Nichthandeln

Endnoten

Über die Autorin

Silke Kaiser, Jahrgang 1971, studierte Dramaturgie und Drehbuch an der Filmuniversität in Babelsberg. Sie arbeitete viele Jahre als Dozentin für Mediendramaturgie, Dramaturgin und Drehbuchautorin für verschiedene Produktionen.

Die Erfahrungen mit der Stute Daria führten dazu, dass sie begann, sich für das Zusammenspiel von Pferd und Mensch näher zu interessieren. Es folgten Ausbildungen als Trainerin und Coach für pferdegestützte Persönlichkeitsentwicklung und Stresspräventions-Trainerin. Doch weitere Pferde, die in ihr Leben traten, verdeutlichten, dass das noch nicht tief genug ging. Heute arbeitet sie als zertifizierte Raidho Healing Horses Trainerin, als Centered Riding Instructor und Tierkommunikatorin nach Penelope Smith.

Die Arbeit als Drehbuchautorin hat sie mittlerweile aufgegeben. Sie widmet sich nun voll und ganz der Verbesserung des Dialogs zwischen Mensch und Tier. Silke Kaiser lebt und arbeitet mit vier Pferden, drei Hunden und ihrer Familie auf dem eigenen Hof in der Nähe von Berlin.

www.exposito-coaching.de

Über dieses Buch

»Mehr als jede andere Kunst,
ist die hippische mit den Weisheiten des Lebens verbunden.«
Alois Podhajsky

Dieses Buch ist aufgrund der Ermunterung vieler Menschen entstanden, mit denen ich zusammengearbeitet habe und zusammenarbeite. Ansonsten wäre ich niemals auf die Idee gekommen, ein Buch über Pferde zu schreiben, da ich mich mit diesen jeden Tag aufs Neue als Lernende erlebe.

Ich habe ausgesprochen viel Grundlagenarbeit gemacht und die meiste Zeit mit ›meinen‹ vier Pferden auf dem Boden gestanden. Einen methodischen Ansatz zur Ausbildung des Pferdes wird der Leser in diesem Buch somit sicher nicht finden. Aus zweierlei Gründen: Meine derzeitige Erfahrung würde mitnichten ausreichen, um darauf eine Methode aufzubauen. Darüber hinaus habe ich, bei meinen Klienten und bei mir, die Beobachtung gemacht, dass die Anwendung einer Methode sehr leicht in die Irre führen kann und damit zu vielen Dingen, nur nicht zum gewünschten Ergebnis.

Viele Menschen erfüllen sich als Erwachsene mit dem Kauf eines eigenen Pferdes einen Kindheitstraum. Sie können – so wie ich – meist auf eine mehrjährige reiterliche Ausbildung in der Kindheit und Jugend zurückgreifen. Diese Erfahrung und die Ermutigung derer, die uns ein Pferd verkaufen oder uns unterrichten wollen, führen nicht selten zu der Annahme, für ein eigenes Pferd bereit zu sein. Der dann folgende Weg offenbart, dass der schnelle Weg zum Ziel jedoch nicht möglich ist.

Der Weg mit Pferden ist manchmal ein für beide Seiten schmerzhafter und frustrierender, der eben nicht schnell und trotz all unserer Bemühungen nicht einfach zur ersehnten Harmonie, sondern möglicherweise von einem Problem zum nächsten führt, bei dem wir – und unsere Pferde – nicht selten an unsere Grenzen stoßen.

In der einschlägigen Literatur finden sich zahlreiche Methoden, die uns etwas an die Hand geben möchten, um diese Probleme zu lösen. Eifrig und bestrebt, alles richtig zu machen, wenden wir diese an und laufen dabei Gefahr, uns und das Pferd aus den Augen zu verlieren.

In der Zusammenarbeit mit Pferden herrscht mittlerweile der Glaube vor, die Ausbildung von Pferd und Reiter würde nur wenige Jahre in Anspruch nehmen, sodass beide innerhalb weniger Jahre durch das Viereck piaffieren oder in sonst einer Disziplin auf hohem Niveau glänzen können. Dieser Irrglaube ist ein Phänomen unserer Zeit und lässt sich mit der klassischen Reitlehre nicht in Einklang bringen.

Nach mehr als zwanzig Jahren mit Pferden habe ich die Erfahrung gemacht, dass die Ursache einer mehr als fragwürdigen Entwicklung im Umgang mit und der Ausbildung von Pferden weniger in den alten Lehren zu suchen ist als vielmehr in einem in unserer Gesellschaft um sich greifenden Mangel an Kultur, Ethik und Willen zur Persönlichkeitsbildung. Erfolg ist für uns gleichermaßen Ethos, Ziel und Legitimation geworden. Erfolg zu haben scheint von der Pflicht, den eigenen Charakter auszubilden, zu befreien. Wir ordnen dabei die Pferde unserem Erfolgsstreben und unserem Anspruch an uns selbst unter und übersehen dabei, dass dieses Ansinnen ihrer Natur zuwiderläuft und ihnen vielfach erheblichen körperlichen und emotionalen Schaden zufügt. Wir übertragen unser Weltbild und unser hierarchisch strukturiertes Denken auf Pferde und meinen zu führen, wenn wir in der Lage sind, zu dominieren und zu reiten, wenn wir in der Lage sind, sie in eine Form zu zwingen.

Die Zivilisation und die Erkenntnisse der Naturwissenschaft haben sich in den letzten hundert Jahren erheblich weiterentwickelt. In diesem Buch greife ich diese Weiterentwicklung und Erkenntnisse auf. Ich richte mein Augenmerk dabei jedoch nicht auf die Ausbildung der Pferde – auch wenn ich in Kapitel zwei einige beobachtete Missstände beschreibe und für diese zu sensibilisieren versuche.

Zur Ausbildung von Pferden sind bereits sehr viele kluge Bücher geschrieben worden, auf die ich im Literaturverzeichnis verweise und in denen der Leser viele Antworten auf Fragen finden wird, die sich ihm im Zuge der Ausbildung seines Pferdes vermutlich stellen werden. Dieses Buch ist also kein Buch über die Ausbildung des Pferdes. Es ist ein Buch über die Ausbildung des Menschen, der mit Pferden zusammenarbeiten möchte!

Pferd und Mensch bilden ein Team. Daher ist es unmöglich, ein Pferd auszubilden, ohne sich selbst auszubilden und zu bilden. Wir werden nicht umhin können, unsere Feinfühligkeit zu entwickeln, um feinfühlig für unsere Pferde sein zu können. Reiten hat in erster Linie etwas mit Fühlen zu tun. Fühlen ist in unserer schnelllebigen Welt, die sehr stark mit Bewertung und der oft damit verbundenen Abwertung operiert, jedoch zu einer ausgesprochen komplexen – wenn nicht gar seltenen – Angelegenheit geworden.

Die Welt der alten Reitmeister war eine andere Welt als die, in der wir heute leben. Das Wissen, das uns mittlerweile in jeglicher Hinsicht zur Verfügung steht, ist daher komplexer. Das führt jedoch nicht zwingend zu mehr Klarheit, sondern häufig zu Orientierungslosigkeit und Verunsicherung.

Mit einem Pferd zu arbeiten setzt jedoch in erster Linie Sicherheit auf der Basis eines tiefgreifenden Selbstbewusstseins voraus. Nur so können wir vertrauenswürdige Ansprechpartner für Pferde sein, bei denen sie das Gefühl, die Achtung, die Ruhe, die Geduld und die Zuwendung finden, die sie kraft ihrer Natur benötigen und sie überhaupt erst in die Lage versetzen, etwas lernen zu können. An die Stelle von wirklichem Selbstbewusstsein im Sinne des Wortes – sich seiner selbst bewusst sein – ist in unserer Zeit vielfach Härte gegen sich selbst und der Anspruch der eigenen Funktionalität getreten, die wir auch auf unsere Pferde übertragen. Werden wir mit Herausforderungen konfrontiert, ist unser Repertoire, diesen begegnen zu können, dementsprechend eingeschränkt, was nicht selten – besonders beim Umgang mit Pferden – in Überforderung und Gewalt mündet.

Als vor elf Jahren das erste eigene Pferd in mein Leben trat, fühlte auch ich mich sehr schnell überfordert, da mein Selbstbewusstsein darauf gründete, Erfolg zu haben. In diesem Buch beschreibe ich meinen persönlichen Weg – der mit einigen großen Umwegen verbunden war –, meine Erfahrungen und die daraus resultierenden Erkenntnisse über das hochgradig feinsinnige Wesen der Pferde und das damit verbundene komplexe Zusammenspiel von Pferd und Mensch.

Wer in diesem Buch also Methoden sucht, wie er mit seinem Pferd arbeiten kann, wird enttäuscht sein. Wer aber bereits den Verdacht hegt, dass er selbst der Grund dafür ist, warum in der Zusammenarbeit mit dem Pferd etwas nicht klappt, wird in diesem Buch sehr viele Anregungen finden, um sich selbst zu einem Pferdemenschen aus- und weiterzubilden, der in sich ruht.

Die Fähigkeit, ein so sensibles, feinfühliges und kluges Tier wie ein Pferd etwas zu lehren, beginnt beim Studium des eigenen Lebens. Damit Pferde überhaupt in der Lage sind, etwas von uns lernen zu können, müssen wir uns daher den Weisheiten des Lebens öffnen, die – wie Podhajsky es so schön formuliert hat – mit der Reitkunst unmittelbar verbunden sind. Reiten ist eine Kunst. Die Ausübung einer Kunst lernt man nicht in wenigen Jahren, sondern sie erfordert die Bereitschaft, ein Leben lang an sich selbst zu arbeiten, sich auszubilden und zu bilden, indem man die alten Meister studiert, neue Strömungen kritisch hinterfragt und niemals aufhört zu lernen! Im Falle der Kunst des Reitens vor allen Dingen von jedem Pferd, das in unser Leben tritt!

Mit der Entscheidung, uns ein Pferd zu kaufen, haben wir die Verantwortung für ein circa 500 kg schweres, hochgradig sensibles Wesen mit einer angeborenen Bereitschaft zur Flucht übernommen. Es ist daher unsere Pflicht, dafür zu sorgen, dass sich unsere Pferde in der unnatürlichen Umgebung der menschlichen Zivilisation sicher fühlen und sie unter der Wahrung ihrer Würde und in Anbetracht ihrer natürlichen und individuellen Bedürfnisse so zu halten und auszubilden, dass weder ihnen noch einem Menschen Gefahr droht, in irgendeiner Form verletzt zu werden.

Pferde sind großartige Geschöpfe. Deshalb ist dieses Buch natürlich zartfühlend formuliert, weil es unmöglich ist, über Pferde anders zu schreiben! Es wäre jedoch verfehlt anzunehmen, dass es mir um eine Vermenschlichung von Pferden geht, auch wenn ich an manchen Stellen Parallelen zum Menschen ziehe. Pferde benötigen Klarheit! Die Voraussetzung für wirkliche Klarheit ist jedoch ein tiefgreifendes Bewusstsein – und nicht Härte. Daher geht es in diesem Buch um das Erreichen einer für Pferde notwendigen Klarheit durch Bewusstsein. Für das anvertraute Pferd, für sich selbst und für das, was man tut. Das alles setzt in meinen Augen eines voraus: ein Bewusstsein für das Leben und der mit ihm verbundenen Weisheit, die nicht immer an der Oberfläche zu finden ist.

Ich habe dieses Buch in der Hoffnung geschrieben, dass sich immer mehr Pferdemenschen ihrem Leben und ihrem Mensch-Sein zuwenden, um so zu einer Sicherheit zu finden, die Pferde wirklich überzeugt und Raum für Achtung und Mitgefühl gibt. Nur so können wir lernen, durch unser Beispiel zu führen. Das alles geht für mich mit dem Respekt für die natürlichen und individuellen Bedürfnisse von Pferden einher – die unseren menschlichen in vieler Hinsicht ähnlich und doch grundverschieden sind.

Vorwort

Von Alexandra Rieger

Liebe Leserin, lieber Leser,

ich beglückwünsche Sie zum Kauf dieses Buches! Silke hat mich darum gebeten, das Vorwort für dieses wunderbare Buch zu schreiben, daher hatte ich das Vergnügen und die Ehre, das Manuskript vor Veröffentlichung zu lesen.

Nachdem ich die ersten Seiten gelesen hatte, konnte ich das Buch nur noch schwer zur Seite legen. Es spricht mir mit jeder Zeile aus der Seele! Viele im Buch bearbeitete Konzepte und Ideen konnte ich bereits vertiefen und noch besser in meine Arbeit integrieren.

Die Forderung an die Reiterwelt: »maximale Gelöstheit bei maximaler Aufgerichtetheit«, kennt jeder, der schon einmal eine Reitstunde erlebt hat. Doch welche tiefen Zusammenhänge und enorm wichtigen Konsequenzen sich aus dieser so scheinbar leichten Anforderung ergeben, beschreibt Silke in einer spannenden, wissenschaftlich belegten, nachvollziehbaren und sehr klaren Art und Weise.

Sehr gut recherchiert und leicht verständlich formuliert, verbindet sie die östliche Weisheitslehre mit wissenschaftlichen Erkenntnissen der jüngeren Gegenwart, sodass sie den Reiter inspiriert, sich einer näheren und vielleicht sogar tieferen Betrachtung des Zusammenhangs von »maximaler Gelöstheit bei maximaler Aufgerichtetheit« zu stellen.

In unserer Arbeit als Raidho Trainer konzentrieren wir uns sehr darauf, unseren Klienten die ›Wurzelatmung‹ zu vermitteln. Es handelt sich um eine spezielle Atmung, verbunden mit der Kraft der Imagination, die es dem Einzelnen ermöglicht, tief in den Köper einzutauchen und blockierte Energien über die Wurzeln zu entlassen.

In meinen Seminaren lege ich großen Wert auf die Vermittlung dieser Atemtechnik, da ich mich persönlich immer wieder von deren Wirksamkeit überzeugen kann. Durch die Lektüre von Silkes Buch kann ich nun noch intensiver auf den fundamentalen Aspekt dieser Atmung und der damit verbundenen Erdung eingehen.

Dieses Buch sollte jeder lesen, der auf irgendeine Art und Weise mit Pferden zu tun hat, und es sollte jeder lesen, der sich seiner selbst bewusster werden möchte. Es ist kein Buch ›nur‹ für Reiter. Vielmehr unterstützt es den Suchenden in seinem Bemühen, ein Bewusstsein nicht nur für das Pferd, sondern vor allen Dingen auch für sich, den eigenen Körper und die daraus resultierende Energie zu bekommen.

Das Buch veranschaulicht, wie komplex die scheinbar einfache Aufforderung, »sich seines Körpers bewusst zu sein«, ist, und erzählt zugleich sehr lebendig, wie bereichernd es ist, wenn uns das gelingt.

Mit diesem Buch ist es Silke gelungen, die Leserinnen und Leser umfassend über die ›alten‹ Forderungen der großen Meister aufzuklären, sodass im Leser ein neues Bewusstsein bezüglich dieser Forderung erwachsen kann.

Herzlichen Glückwunsch zu diesem sehr gelungenen Buch!

Alexandra Rieger

Vorwort

Von Christine Tetau

Liebe Leserin, lieber Leser,

ich freue mich sehr darüber, dass Silke mich gebeten hat, ein Vorwort für ihr Buch zu schreiben, da uns beide – neben vielen anderen Übereinstimmungen beim Blick auf Tier und Mensch – vor allem das Faible für eine präzise und gleichberechtigte Kommunikation verbindet. Ungeachtet dessen, ob es dabei um verbale Ausdrucksmöglichkeiten, Körpersprache oder den Ausdruck von Gefühlen geht.

Im vorliegenden Buch wird deutlich, dass Kommunikation das achtsame Bindeglied zwischen allen beseelten Wesen ist und darüber entscheidet, ob ein Kontakt abbricht, oberflächlich bleibt oder in die Tiefe geht und uns das schenkt, wonach wir pferdeliebenden Menschen uns so sehr sehnen: Einklang und Harmonie mit unseren Freunden und Familienmitgliedern in Pferdegestalt.

Eine der größten Schwierigkeiten im Umgang mit Pferden und auch anderen uns nahestehenden Tieren besteht in der absichtlichen oder auch unabsichtlichen Missachtung ihrer Bedürfnisse. Diese Bedürfnisse anzuerkennen, legt jedoch den Grundstein für ein funktionierendes Miteinander.

Wir bringen Pferde mehrmals täglich in Situationen, die, bedingt durch ihr Wesen als Fluchttiere, für sie untypisch bis hin zu vermeintlich lebensgefährlich sind. Und doch lernen die meisten Pferde im Laufe des Lebens, unserer Bitte (im besten Fall) oder unserem Befehl (leider die Regel) zu folgen. Nun könnte man das vereinfachen oder radikalisieren und beschließen, alle Pferde gehörten in die Wildbahn und die Menschen hätten in ihrer Nähe nichts verloren, weil beider Lebensentwürfe nicht zusammenpassen.

Meine Beobachtung dieser wundervollen Geschöpfe in den letzten Jahren und besonders meine Arbeit als Lehrerin für Tierkommunikation und Tellington TTouch© hat mir jedoch gezeigt, dass in der Verbindung von Mensch und Pferd ein solcher Schatz verborgen liegt, der, wenn es fair zugeht, auch von beiden Seiten als solcher empfunden wird.

Mit einem Pferd in der Freiarbeit oder auch beim Reiten in Kontakt zu treten, lässt beide Seiten nicht unberührt. Viele Pferde lieben die Nähe des Menschen. Suchen sich diesen häufig sogar ganz bewusst aus. Pferdehalter und -halterinnen wissen genau, wovon ich spreche. – Die wenigsten haben sich ihr Pferd mit dem Kopf ausgesucht. Die meisten wurden von ihrem Pferd gewählt, so wie es auch in diesem Buch zu lesen ist.

Was ich an Silkes Zugang neben ihrer hohen fachlichen Kompetenz so sehr schätze, ist ihre Fähigkeit, Situationen differenziert und aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten. Selten habe ich einen im besten Sinne des Wortes so selbstkritischen Menschen getroffen wie sie. Immer darauf bedacht, anderen, egal ob Mensch oder Tier, so zu begegnen, dass diese Begegnung eine Bereicherung ist.

Das kritische Hinterfragen dessen, was wir von unseren Tieren verlangen oder erbitten, bestimmt ihre Arbeit. Hierbei schafft sie es auf besondere Weise, sich nicht von oben herab oder etwa mit erhobenem Zeigefinger zu äußern. Ja, mit dem, was sie tut und schreibt, ist sie eine Anwältin der Pferde, eine verlässliche Verbündete. Und trotzdem ist ihre Menschenliebe in jeder Zeile spürbar, das Wissen um unsere Fehlbarkeit, unsere Ecken und Kanten, unsere Unsicherheiten und Ängste. Alles darf sein, wertfrei, wertschätzend. Und dennoch zeigt sie konstruktive Wege auf, um aus dieser Konstellation, die so einzigartig ist, das Beste herauszuholen und in jedem Lebewesen die beste Saite zum Klingen zu bringen.

Über die Entschleunigung, das Innehalten, die achtsame Reflexion des eigenen Denkens, Handelns und Fühlens lädt Silke uns in diesem Buch dazu ein, alte Muster zu durchbrechen. Das Besondere hierbei – anders als in vielen anderen Fachbüchern zum Thema Pferde und Menschen – ist, dass nicht das Außen im Vordergrund steht; nicht einmal das Ergebnis. Das kommt von allein, wenn man dem Prozess vertraut.

Wahre Präsenz, die sich als zentrales Element im ganzen Buch wiederfindet, entsteht durch die Losgelöstheit von dem, was war und was sein könnte. Das sind die Momente, in denen Pferd und Mensch einander auf Augenhöhe und ohne Druck begegnen. Das Prinzip, das dem zugrunde liegt, ist denkbar einfach. Das Innen findet sich im Außen. Wie ich mit mir umgehe, beeinflusst meinen Umgang mit meinem Gegenüber und dessen Umgang mit mir.

Im vorliegenden Buch werden diese Wechselwirkungen klar abgebildet und in jeder Zeile spüre ich den Respekt und die Demut gegenüber dieser sich ständig entwickelnden Beziehung.

Ein großartiges Buch, das sicher weite Kreise ziehen und viele Pferdeund Menschenleben bereichern wird!

Christine Tetau

Einleitung

»Schreiben ist für mich ein
Austausch über Wahrnehmung.«

Das Kleingedruckte –
Der Subtext in der Kommunikation

In meiner Tätigkeit als Drehbuchautorin bildete das Kleingedruckte in der menschlichen Kommunikation ein zentrales Element meines Schreibens, nur dass es dafür in der Filmsprache einen Fachbegriff gibt, den Subtext, der folgendermaßen definiert wird.

»Der Subtext ist die unausgesprochene Bedeutung bzw. die zweite Ebene einer Szene. Er bezieht sich nicht nur auf den Dialog, sondern auf alle Handlungen, auf Blicke und Gesten in jedem Augenblick des Films. Er umfasst alles, was nicht an die Oberfläche kommt.«1

Nun ist der Subtext aber nicht als Kunstprodukt zu verstehen, sondern als etwas, was der Kommunikation von Menschen eigen ist. Doch gerade das ist die Kunst beim filmischen Schreiben. Um den Subtext schreiben zu können, muss man seine Figuren sehr genau kennen. Ihre Wünsche, Sehnsüchte, inneren Abgründe, verdrängten Gefühle, Unsicherheiten, Leidenschaften, Werte, Moralvorstellungen und Erfahrungen. Die ganze Biografie einer Figur schwingt in jeder Handlung und jedem Wort mit. Kennt man eine Figur also nicht inund auswendig wie sich selbst oder wie einen sehr vertrauten Menschen, dann bleibt der Dialog unbelebt, eindimensional, und es wirkt, als würde eine Marionette und nicht eine lebendige Person sprechen. Will man eine Figur also glaubhaft in einem Film abbilden, muss daher bei Dialogen die besondere Art und Weise, wie Menschen sich austauschen, berücksichtigt werden. Filmdialoge leben somit nicht nur von dem, was gesagt wird, sondern insbesondere auch von dem, was nicht gesagt wird – aber dennoch immer mitschwingt.

Subtext – oder das Kleingedruckte – ist somit das Leben unter der Oberfläche. Gedanken und Gefühle, bekannt wie unbekannt, die nicht zwingend nur über Worte zum Ausdruck gebracht werden. Schauspieler haben die Aufgabe, diese unausgesprochenen, sogar unbewussten Gefühle und Gedanken sichtbar zu machen, indem sie das Innere der Figur z. B. durch Gesten und Blicke zum Leben erwecken.

Für das Drehbuchschreiben ist diese tiefere Ebene, der Subtext, elementar. In unserem Leben und unseren Beziehungen führt es jedoch zu Verwirrung, wenn wir nicht sagen, was wir meinen, oder etwas anderes zum Ausdruck bringen, als wir empfinden. In einem solchen Fall sind wir nicht authentisch.

Pferde sind jedoch immer authentisch. Pferde lügen nie. Sie meinen immer, was sie sagen, handeln stets situationsbezogen und reagieren unmittelbar und aufrichtig auf uns. Die Duplizität unseres Verhaltens – dass wir also glauben, etwas zu sagen oder zu tun, aber unbewusst was anderes meinen bzw. empfinden – führt bei ihnen häufig zu Verwirrung und Verunsicherung. Es ist ihnen nicht eigen, nur auf das Fettgedruckte, auf das laut Ausgesprochene zu reagieren, so wie wir häufig. Sie sind wahre Künstler darin, ›zwischen den Zeilen zu lesen‹.

Um mit Pferden in einen Dialog zu treten, der die Basis für Harmonie sein kann, müssen wir also lernen, unseren eigenen Subtext zu erkennen, um zu verstehen, auf was sie reagieren. Wo wir etwas transportieren, was uns möglicherweise nicht einmal bewusst ist. So kann es uns gelingen, das Unbewusste in uns ins Gefühl zu bekommen und einen für Pferde verwirrenden Widerspruch aufzulösen. Denn nur, wenn wir ohne inneren Widerspruch sind, können wir verlässliche Partner für sie werden.

Pferde wissen häufig mehr über uns als wir selbst. Es ist nötig, auf das zu hören, was sie uns immer und immer wieder zurückmelden und zu sagen versuchen. Damit sie sich bei uns sicher fühlen können und wir unserem Wunsch nach Harmonie zwischen Pferd und Reiter ein Stück näher kommen.

Wie alles begann

Als Pferde in mein Leben traten, war ich 34 Jahre alt. Ich hatte nach meinem Studium an der Filmhochschule den Sprung in die erfolgreiche Freiberuflichkeit als Drehbuchautorin und Dramaturgin geschafft, schrieb für Serien wie Schloss Einstein, Verliebt in Berlin, Anna und die Liebe und hatte gerade eine Anstellung an der Filmuniversität Babelsberg als Dozentin für Mediendramaturgie bekommen.

Ich hatte meine bewegte Kindheit und mein turbulentes Leben als junge Erwachsene mit der Geburt meiner Tochter hinter mir gelassen. Im Fokus meiner Bemühungen stand die Überwindung meiner negativen Selbstwahrnehmung, die aus einer Mischung unkonkreter Gefühle bestand, die ich damals allerdings nicht genauer zu benennen wusste.

Die sehr große Liebe zu meiner Tochter hat mich vieles gelehrt. Ich hatte jedoch kurz vor meiner Schwangerschaft meine Ausbildung abgebrochen und es galt nun, dieses Defizit aufzuholen, um ihr ein Leben in wirtschaftlicher und sozialer Sicherheit zu ermöglichen. Ich begann zu studieren. Schnell erkannte ich, dass eine saubere Vita, gepaart mit Leistungsbereitschaft, Belastbarkeit und in meinem Beruf Kreativität, zu einer gänzlich anderen Wahrnehmung meiner Person beitrug, als ich das früher gewohnt war. Damals galt ich tendenziell als ›schwierig‹, und ich nahm mich selbst ebenfalls so wahr.

Seit meiner Kindheit verfügte ich über ein sehr impulsives Wesen, gepaart mit massiven Selbstzweifeln. Eine explosive Mischung – nicht nur für die Menschen um mich herum, die sich mein sprunghaftes Verhalten häufig nicht erklären konnten, sondern auch für mich, da sich die unbestimmte Wut, die ich im Stillen gegen mich hegte, nicht selten gegen mich selbst entlud. Ich verlangte von mir, jeder an mich gestellten Erwartung gerecht zu werden. Ich nahm Kreislaufzusammenbrüche in Kauf und ignorierte, dass ich tagelang nicht aß. Der Erfolg half mir, mich mit mir zu versöhnen – so glaubte ich. Ich definierte mich über ihn und hatte so endlich eine Identität. Er gab mir Sicherheit. Die Arbeit lenkte mich außerdem von mir ab und trug dazu bei, mir viel Freizeit von mir selbst zu verschaffen. Ich versuchte Ruhe und Pausen zu vermeiden, da ich Ruhe als bedrohlich erlebte. Ich war also so ziemlich das Gegenteil von authentisch. Jedoch war mir das damals nicht bewusst. Ich war davon überzeugt, auf dem richtigen Weg und bei mir selbst angekommen zu sein. – Bis ich begann, mein Leben mit Pferden zu teilen.

Kapitel 1

Daria – Der lange Weg zum gegenseitigen Verständnis beginnt

Daria war Schulpferd in dem Reitstall, in dem meine Tochter ritt, und ich verliebte mich in dieses Pferd. Es war wie zu Teenagerzeiten. Ich hatte morgens Schmetterlinge im Bauch, wenn wir nachmittags in den Stall fuhren und ich wieder ein wenig Zeit mit der Schimmelstute verbringen durfte. Als Kind hatte ich mir immer ein Pferd gewünscht. Die Erfüllung dieses Wunsches war für meine alleinerziehende Mutter natürlich unmöglich gewesen. Als meine Tochter meiner Mutter aber von ›Mamas Verliebtheit‹ in ein Pferd erzählte, schenkte mir meine Mutter kurzerhand die weiße Schimmelstute. Für mich wurde ein Kindheitstraum wahr!

Ich dachte damals nur ans Reiten. Pferde waren für mich Reittiere, auf denen man so ritt, wie ich es als Jugendliche gelernt hatte. Doch Daria konfrontierte mich sehr schnell mit Herausforderungen, auf die ich nicht vorbereitet war. Sie war immer sehr nervös. Es fiel ihr schwer, angebunden still zu stehen. Sie trabte an, sowie man aufsaß, und sie hatte die Neigung, unter dem Reiter davonzurennen. Darüber hinaus war es unmöglich, sie zu führen – stattdessen führte sie einen von der Koppel zum Stall. Sie war auch gnadenlos, wenn man versuchte, sie daran zu hindern: Daria konnte ungeniert durch einen Menschen hindurch laufen.

Ich wusste zu dieser Zeit über Pferde und das Reiten nur das, was man mir früher im Schulbetrieb beigebracht hatte. Zunächst versuchte ich mich also ›durchzusetzen‹. Ich hatte jedoch sehr schnell das Gefühl, dass es bei Daria darum ging, ihr Vertrauen zu gewinnen, und dass ihr Verhalten nichts anderes war als Ausdruck von Angst und Unsicherheit, die auf schlechten Erfahrungen in der Vergangenheit basierten. Ich wollte ihr helfen, diese Angst und Unsicherheit zu überwinden, und begann nach Wegen dafür zu suchen. Bei dieser Suche stieß ich auf Horsemanship, insbesondere Pat Parelli. Auch ich war der Meinung, dass ein Pferd einen als ›Leittier‹ anerkennen muss, und alles, was ich in der einschlägigen Literatur dazu las, gab mir recht. In dieser Literatur wird ausgiebig darüber berichtet, wie ein Herdenverband funktioniert, und methodisch darauf aufgebaut. Es gibt einen Leithengst und eine Leitstute, die für die Sicherheit der Herde sorgen – also ihr Vertrauen genießen – und ihre Position dadurch unterstreichen, dass sie entscheiden, wer sich wohin bewegt. »Wer bewegt wen?« wurde also zu meinem Handlungscredo, da ich dieses unmittelbar mit dem Erlangen von Vertrauen verknüpft sah.

Einige Gedanken zum Begriff des Horsemanship

Bevor ich weiter über meinen Weg mit Daria berichte, muss differenziert werden, was ich genau meine, wenn ich von Horsemanship spreche. Dieser Begriff wird nämlich so allgemein verwendet, dass durch das Wort alleine unmöglich klar sein kann, was damit gemeint ist. Am geläufigsten ist mittlerweile eine Gleichsetzung von Horsemanship und ›Pferdeflüstern‹. Horsemanship ist also zu einem Überbegriff für die vertrauensbildende Pferd-Mensch-Interaktion auf dem Boden geworden. Damit ist jedoch noch keine Methodik umrissen.

Wie schwer es ist, sich diesem Begriff und seiner Definition sinnvoll zu nähern, zeigt die Tatsache, dass Horsemanship übersetzt Reitkunst heißt. Folgerichtig trägt die englische Übersetzung von Xenophons »Reitkunst«1 den Titel »The Art of Horsemanship«2. Würde man heute so einen Titel lesen, würde man an Leading Rope und Knotenhalfter denken. Dass es sich dabei in Wahrheit um ein Grundlagenwerk der klassischen Reitkunst handelt, ließe der Titel anhand der gegenwärtigen Entwicklung des Begriffs Horsemanship kaum noch vermuten. Pat Parelli versteht seine Arbeit auf dem Boden als Vorbereitung für das Reiten und lehrt dieses auch darauf aufbauend. Jedoch hat seine Lehre mit den Prinzipen der klassischen Reitkunst nichts gemein, und Monty Roberts habe ich noch niemals auf einem Pferd gesehen. Es ist also erstaunlich, dass eine Bewegung, welche die Reitszene in den letzten Jahren derart umfassend erfasst hat, übersetzt Reitkunst heißt, mit den grundlegenden Gedanken der (klassischen) Reitkunst jedoch so gut wie nichts gemein hat.

Um Missverständnisse zu vermeiden, möchte ich daher an dieser Stelle differenzieren, dass sich die folgenden, teilweise kritischen Betrachtungen zur Methodik des Horsemanship auf das Join-up und auch die von Parelli gelehrte Vorgehensweise beziehen. Ich möchte die grundlegenden Überlegungen dieser Methoden nicht in Frage stellen, halte eine Reflexion darüber jedoch für unabdingbar, da diese Methoden im Freizeitsport sehr in Mode gekommen sind und als Universalrezept für vertrauensbildende Maßnahmen zwischen jedem Pferd und jedem Menschen verstanden werden. Diese Entwicklung halte ich für sehr bedenklich, da Menschen ihren Pferden in bester Absicht sehr großes Leid zufügen können, ohne sich dessen bewusst zu sein. Bewusstsein ist jedoch die unabdingbare Voraussetzung für die Zusammenarbeit mit Pferden. Wir müssen uns mit den Hintergründen jeglicher Arbeitsweise tiefgreifend auseinandersetzen, sie hinterfragen und prüfen, ob wir bereits in der Lage sind, diese umzusetzen. Vor allen Dingen müssen wir uns fragen, wie eine Theorie in der konkreten Pferd-Mensch-Beziehung in die Praxis umgesetzt werden kann, ohne dass unsere Pferde körperlichen oder geistigen Schaden nehmen, sondern wir sie durch Achtung und unsere wertschätzende Anleitung bei der Entfaltung ihrer natürlichen Anlagen unterstützen. Dieser Anspruch sollte für alles gelten, was wir mit unseren Pferden tun. Ob wir nun am Boden mit ihnen arbeiten, uns dem Westernsport zuwenden, gemeinsam mit dem Pferd Hindernisse überwinden, das Pferd in der Dressur ausbilden oder mit ihm partnerschaftlich durch die Natur reiten möchten.

Wir sollten uns also immer fragen: Wie kann ich als der Mensch, der ich bin, meinem Pferd mit seinem individuellen emotionalen Wesen und physischen Vermögen das vermitteln, was ich es lehren möchte?

Dass ein Pferd weichen muss, versteht sich von selbst. Sehr viele Hilfen des Reiters basieren auf dem ›Weichen‹ z. B. des Schenkels. Ebenso muss ein Pferd aus Gründen der Sicherheit einen gewissen Raum einhalten. Es steht also vollkommen außer Frage, dass ein Pferd in der Zusammenarbeit lernen muss, zu weichen und einen gewissen Raum zu wahren. Die Frage ist jedoch, wie wir unser Pferd lehren, zu weichen und unseren Raum zu wahren! Es geht also primär immer um das ›Wie‹ und nur sekundär um das ›Was‹, da das ›Wie‹ darüber entscheidet, was das Pferd lernt.

Ich will an dieser Stelle kurz auf Inhalte vorgreifen, die ich in den folgenden Kapiteln noch ausführlicher erläutern werde. Die erste Voraussetzung, um von unseren Pferden erwarten zu können, dass sie unseren Raum wahren oder unserem Wunsch, zu weichen, Folge leisten, ist in meinen Augen unsere Präsenz und unsere innere Balance. Diese beiden Eigenschaften und Fertigkeiten, die dem Menschen ein hohes Bewusstsein abverlangen, müssen wir in die Zusammenarbeit mit Pferden einbringen, bevor wir uns überhaupt mit dem Gedanken tragen, unseren Pferden etwas beibringen zu wollen. Bringen wir diese Eigenschaften nicht ein, bleiben wir in den Augen unserer Pferde die Raubtiere, die wir kraft unserer Spezies sind, und gewinnen durch den Aufbau von Druck mitnichten ihr Vertrauen, sondern erreichen eher das Gegenteil: Wir lehren sie, uns zu fürchten, was es ihnen zwangsläufig unmöglich macht, sich in unserer Gegenwart zu entspannen – was jedoch die absolute Voraussetzung für eine gute Ausbildung darstellt.

Viele Menschen bringen diese nötige Präsenz und Balance als Grundvoraussetzung mit. Diese Menschen können sich glücklich schätzen und sind möglicherweise in der Lage, nach Methoden wie Parelli und dem Join-up zu arbeiten, ohne dass ein für das Pferd übermäßiger Druck entsteht. Ob wir selbst diese Voraussetzung mitbringen, erkennen wir an der Reaktion unserer Pferde auf uns sehr schnell. Ein Mensch, der über Präsenz und innere Balance verfügt, muss ein Pferd nicht herumschicken, damit sein Raum gewahrt wird und es ihm vertrauensvoll durch als bedrohlich wahrgenommene Situationen folgt. Er muss es lediglich bitten, und das Pferd wird seinem Wunsch folgen. Die beiden erwähnten Methoden suggerieren jedoch, dass wir durch ihre Anwendung in den Augen unserer Pferde Präsenz erlangen. Hierbei werden jedoch Präsenz und Dominanz – zwei grundlegend verschiedene Dinge – gleichgesetzt. Ein eklatanter Irrtum!

Wenn wir Präsenz und Dominanz verwechseln, werden sich unsere Pferde niemals bei uns sicher fühlen können, sondern in unserer Nähe im Gegenteil Angst bis hin zur Panik entwickeln. Warum das so ist, versuche ich im Verlauf dieses Buches anhand meiner eigenen Beobachtungen, Erfahrungen und Reflexionen ausführlich zu erläutern und aufzuzeigen, wie wir für unsere Pferde zu Partnern werden können, in deren Nähe sie sich sicher fühlen.

Doch nun zurück zu meinen Anfängen. Ich begann also, die von Parelli gelehrte Methodik anzuwenden, und verlangte von Daria demgemäß, zu weichen, wenn ich es von ihr forderte. Daria hatte bis zum damaligen Zeitpunkt in ihrem Leben schon sehr viel durchgemacht. Daher erschien ihr diese Methode möglicherweise sogar als fair. Zunehmender Druck, wenn sie nicht weicht, sobald sie weicht, keinen Druck.

Die Übung, die mir jedoch am nachhaltigsten im Gedächtnis geblieben ist, war die erste Übung, bei der es einfach nur darum geht, Zeit mit dem Pferd in der Box oder dem Auslauf zu verbringen, ohne etwas von ihm zu fordern. Vielleicht war es auch jene grundsätzlich neue Erfahrung, die dazu beitrug, dass in Daria offenbar die Vermutung wuchs, dass ich es gut mit ihr meinte – auch wenn ich mich mit meinem orangefarbenen Stab ansonsten wunderlicher Methoden bediente, die, von meinem heutigen Standpunkt aus betrachtet, alles andere als fair waren.

Um Daria zu vermitteln, angebunden still zu stehen, bediente ich mich einer Methode Michael Geitners aus seinem Buch Be strict3. Wenn Daria sich bewegte, korrigierte ich sie und bewegte sie genau an die Stelle zurück, auf der sie zu Beginn gestanden hatte. Das musste ich zu Beginn rund zwanzig Mal pro Putzeinheit tun. Irgendwann führte diese Methode tatsächlich dazu, dass sie ruhig stand. Ich verließ mit Daria also den Weg der Überforderung und Hilflosigkeit angesichts ihrer Verhaltensweisen und wählte Strategien, die gemäß meiner damaligen Überzeugung dazu angetan waren, ihr Vertrauen zu gewinnen. Die Methoden erschienen mir schlüssig, praktikabel und pferdegerecht.

Heute wende ich diese Form der Korrektur nicht mehr an. Meine Pferde lernen durch Klickern, still zu stehen. Durch Klickertraining kann ich ihnen sehr gut vermitteln, welches Verhalten in der jeweiligen Situation gewünscht ist. Ich persönlich finde es schöner, mein Pferd für etwas, was es tut, zu belohnen, statt immerfort sein Verhalten zu korrigieren.

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die so erlernten Verhaltensweisen, z. B. höfliches Verhalten im Umgang miteinander, vom Pferd wirklich verinnerlicht werden und dadurch nachhaltiger sind als durch Korrektur oder ›Wer bewegt wen?‹ erlernte Verhaltensweisen. Auf diese Zusammenhänge werde ich gleich noch etwas ausführlicher eingehen.

Über die Anwendung einer Methode, die auf dem Gedanken von ›ranghoch‹ und ›rangniedrig‹ basiert

Ich habe in den elf Jahren, die seither vergangen sind, viel über Methoden nachgedacht und in diesen Jahren selbstverständlich auch viele solcher Methoden kennengelernt und ausprobiert. Sehr spät, und erst auf Grund weiter fortschreitender Erfahrungen, habe ich mich gefragt, was eine Methode eigentlich ist. Eine Methode [griech. Methodos: ›Weg zu etwas‹] ist per Definition ein auf einem Regelsystem aufbauendes Verfahren zur Erlangung von [wissenschaftlichen] Erkenntnissen oder praktischen Ergebnissen.4

An anderer Stelle wird eine Methode auch als ein planmäßiges, systematisches Verfahren zum Erreichen eines bestimmten Zieles definiert. Eine Methode ist also ein Regelsystem oder ein Verfahren, um praktische Ergebnisse zu erzielen. Die Anwendung einer Methode ist somit eine Handlung, die auf die Zukunft ausgerichtet ist, da sich der/die Handelnde stets am zu erreichenden Ziel orientiert. Diese Vorgehensweise scheint mir sehr menschlich zu sein, da sie eine gewisse Planung und die Definition eines Ziels voraussetzt.

Horsemanship5 beruht auf der Überzeugung, dass jenes Pferd am ranghöchsten ist, welches durchsetzt, dass ein Pferd ihm weicht und infolgedessen die meisten Privilegien und das größte Vertrauen genießt. Wie setzt sich ein Pferd durch? Durch Anlegen der Ohren, das drohende Strecken des Kopfes und schließlich das angehobene Hinterbein, bis hin zum angedeuteten oder tatsächlichen Biss oder Tritt, bis das gemeinte Pferd sich bewegt und den eingeforderten Platz ›freimacht‹. Gemäß Horsemanship ist es das Ziel, sich aus bereits erwähnten Gründen in den Augen des Pferdes als ranghoch zu qualifizieren. Dazu imitieren wir das natürliche Verhalten der Pferde, indem wir Menschen mit unserem ›Werkzeug‹ im übertragenen Sinne die Ohren anlegen, den Kopf vorstrecken, das Hinterbein anheben und den Druck erhöhen, bis das Pferd weicht, so wie Pferde das auch tun.

Da bei dieser Vorgehensweise jedoch nur ein sehr eingeschränktes Repertoire aus dem Verhalten von Pferden übernommen und zur Methode erhoben wird, halte ich es mittlerweile für fragwürdig, ob ein Mensch durch diese Vorgehensweise beim Pferd tatsächlich ›pferdegerecht‹ seinen Rang unterstreichen kann. Pferde verfügen über eine sehr komplexe soziale Interaktion und agieren stets situationsbedingt und nicht rational, nicht methodisch. Der Auslöser, der zum gezeigten Verhalten des Pferdes und zu der Entscheidung führt, ein anderes wegzuschicken, auf Abstand zu halten oder an eine bestimmte Stelle zu dirigieren, bleibt durch das ›Herauslösen‹ des dominanten Verhaltens aus dem Kontext der Situation jedoch gänzlich unberücksichtigt. Der Fokus liegt auf der Aktion des ›ranghohen‹ Pferdes. Was das Pferd aber zu dieser Aktion veranlasst hat – die Situation, die seiner Reaktion vorausgegangen ist –, bleibt also außer acht. Die Anwendung einer solchen Methode birgt meines Erachtens somit die Gefahr, dass wir für Pferde nicht nachvollziehbar handeln, wenn wir diese Methode anwenden, da wir ein einzelnes Verhalten aus dem Kontext einer natürlichen und sozialen Interaktion herauslösen.

Arbeit mit positivem und negativem Verstärker

Eine auf dem Grundgedanken der Rangordnung aufbauende Ausbildungsmethode arbeitet durch den Aufbau von Druck. Wie oben bereits beschrieben, steigern Pferde allmählich den Druck, wenn sie ein anderes Pferd zum Weichen bewegen wollen, und diese Steigerung des Drucks ahmen wir durch unsere Hilfsmittel (Stick und Seil) nach. Zeigt das Tier das gewünschte Verhalten, wird der Druck – quasi als Belohnung – augenblicklich weggenommen. Es wird also das Prinzip der negativen Verstärkung eingesetzt.

Was heißt das? Unter einem Verstärker versteht man einen Reiz. Ein positiver Verstärker wäre zum Beispiel Futter. Das Pferd bekommt also etwas, wenn es das gewünschte Verhalten zeigt. In dem oben genannten Zusammenhang wenn es zum Beispiel weichen würde.

Unter einem negativen Verstärker versteht man einen negativen, also unangenehmen Reiz. Bei dem gewählten Beispiel wäre das die Einwirkung über das Halfter, mit dem Stick oder dem Seil, an dem ein Karabiner befestigt ist. Die Methode sieht vor, dass der Druck verstärkt wird, also mit zunehmender Intensität mit diesen Hilfsmitteln auf das Pferd eingewirkt wird, bis es das gewünschte Verhalten zeigt. Das Pferd wird infolgedessen das gewünschte Verhalten immer häufiger und schneller zeigen, um dem als unangenehm empfundenen Ruck im Halfter, dem tippenden Stick oder schwenkenden Seil zu entgehen. Es lernt also, den negativen Reiz zu vermeiden.

Würde mit positivem Verstärker – zum Beispiel Futter – gearbeitet werden, würde das Pferd ein gewünschtes Verhalten zeigen, um das Futter zu bekommen. Etwas ›haben wollen‹ ist eine aktive Handlung. Das Pferd wird folglich dazu ermuntert, selbst Lösungsvorschläge zu machen und sich aktiv an der Zusammenarbeit zu beteiligen. Etwas zu vermeiden ist eine passive Handlung. Das Pferd lernt also, so wenig wie möglich zu tun, um nicht mit einem unangenehmen Reiz konfrontiert zu werden. Es ist an uns zu entscheiden, welche Form der Zusammenarbeit wir mit dem Pferd anstreben!

Ich arbeite mit allen Pferden mittlerweile nur noch mit positiver Verstärkung durch Klickern. Ich halte Klickern für ein hervorragendes Mittel zur Verständigung, weil ich dem Pferd schnell und auch bei sehr kleinen Impulsen zurückzumelden kann: »Tolle Idee. Danke!« Weniger gute Ideen ignoriere ich einfach und mache dann etwas, von dem ich weiß, dass das Pferd die Lösung finden kann, um ihm sofort ein Erfolgserlebnis in der Zusammenarbeit zu verschaffen. Das klingt nun methodisch. Wirklich funktionieren wird das aber nur, wenn wir echtes Lob meinen und nicht nur ein Leckerli reinschieben. Echtes Lob setzt voraus, dass wir fühlen und uns freuen, dass dem Pferd etwas gelingt. Mir ist es daher wichtig, den Pferden unmittelbar zu einem Erfolgserlebnis zu verhelfen, damit sie wissen, dass dieser kleine Misserfolg keine Rolle spielt und ich ihre grundsätzliche Bereitschaft sich einzubringen schätze und wahrnehme, auch wenn gerade etwas nicht geklappt hat.

Die Pferde überholen mich beim Führen zum Bespiel manchmal. Selten, aber es kommt vor. Für mich hat das keinerlei Bedeutung mehr, außer dass wir so nicht arbeiten können. Es ist für mich also nicht mehr eine Infragestellung meines ›Ranges‹. Es ist einfach nur unpraktisch. Daher bleibe ich auch nur stehen und sage »So können wir nicht arbeiten.« Die Pferde stehen dann eine halbe Pferdelänge vor mir und ich stehe und warte. Da nichts von mir kommt, beginnt es in ihnen zu arbeiten. Am Anfang habe ich die kleinste Tendenz, zurück auf meine Höhe zu kommen, geklickt, mit dem Resultat, dass die Pferde nun von sich aus sofort wieder auf meine Höhe zurückgehen, und es ist, als würden sie sagen: »Oh Entschuldigung, stimmt ja. So können wir nicht arbeiten.«

Das kann natürlich nur gelingen, wenn das Pferd ein Interesse daran hat, mit seinem Menschen zusammenzuarbeiten, und nicht darauf bedacht ist, der Zusammenarbeit so schnell wie möglich zu entkommen, da diese Zusammenarbeit eine Aneinanderreihung von unangenehmen Erfahrungen bedeutet. Ein Pferd, das die Zusammenarbeit so erlebt, wird nach einer halben Pferdelänge nicht stehenbleiben und nachdenken. Es wird schnurstracks versuchen, zurück in den Stall oder zu seinen Freuden zu gelangen.

Es gibt so viele Kleinigkeiten, die mir erst auffallen, seit ich klickere, da ich gezwungen bin, genau zu beobachten, selbst absolut klar und strukturiert zu sein und mich immer zu fragen: »Wie könnte das Pferd die Situation interpretieren?« Dadurch fallen mir so viele Dinge auf, welche die Pferde früher sicher auch gemacht haben, die ich aber nicht verstanden habe. Zum Beispiel haben sie bei der Bodenarbeit an einer bestimmten Seite des Hufschlags – an dem sich hinter dem Zaun ein Hühnerstall befindet – dazu geneigt, die Seite zu wechseln. Hühner sind für die meisten Pferde ausgesprochen unheimliche Wesen. Früher hätte ich so etwas als Ungehorsam interpretiert. Erst sehr spät habe ich gelernt, dieses Verhalten als Auszeichnung zu verstehen: Das Pferd bringt mich zwischen sich und die Gefahr. Ein absoluter Vertrauensbeweis und genau das, was Pferde in ihrer Herde auch tun würden.

Um auf dem Hufschlag zu bleiben, habe ich also daran gearbeitet, dass das Pferd den Mut findet, selbst an der Gefahr vorbeizugehen, indem ich jeden kleinen mutigen Schritt in diese Richtung belohnt habe. Ich habe also am Selbstbewusstsein des Pferdes und nicht an seinem Gehorsam gearbeitet. Das macht einen sehr großen Unterschied in der Haltung und Wertschätzung! Heute gehen alle Pferde ohne Umstände zu jedem Gegenstand, der sie erschreckt, wenn ich vorgehe und den Gegenstand berühre. Dann stehen sie sofort neben mir und beginnen ihn mit dem Maul und dem Huf zu untersuchen.

Klickern setzt also eine enorm gute Beobachtungsgabe und hervorragendes Timing voraus. Sonst kann diese Form der positiven Verstärkung für Pferde sehr schnell mit viel Frust verbunden sein. Ignorieren wir nämlich immer die Ideen des Pferdes und warten nur auf den Vorschlag, den wir sehen möchten, wird das Pferd sehr schnell demotiviert werden.