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Die Texte sind mit Ausnahme von »Frau im Rausch. Eine Einleitung«, »Schüchtern sein«, »Nicht mehr ganz jung sein« und »Trinken in Teheran. Eine Geschichte aus einem anderen Land« unter dem Titel »Die trinkende Frau« zuerst erschienen im ZEITmagazin.

ISBN 978-3-492-97516-2

Oktober 2016

© Piper Verlag GmbH, München / Berlin 2016

© Zeitverlag Gerd Bucerius GmbH & Co. KG, Hamburg 2011 – 2016

Covergestaltung: Cornelia Niere

Covermotiv und Innenillustrationen: Jean Jullien

Datenkonvertierung: Kösel Media GmbH, Krugzell

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Frau im Rausch. Eine Einleitung

Diese Kolumne, die zwischen 2011 und 2016 im ZEITmagazin erschienen ist, hätte eigentlich von einem Mann geschrieben werden sollen. Von einem Kollegen, der im Gegensatz zu mir berühmt ist. Er wollte aber nicht, weil er keine Zeit und wohl auch keine Lust hatte.

Hätte er die Kolumne übernommen, hätte sie nicht »Der trinkende Mann« geheißen, sondern »Prost!« oder so ähnlich. Ich erinnere mich nicht genau. Es wäre in jedem Fall nicht um einen Mann gegangen, der trinkt, sondern ums Trinken im allgemeinen und philosophischen Sinne, sicherlich wären auch Hemingway und Charles Bukowski vorgekommen.

Da ich aber nun diese Kolumne übernehmen sollte, bekam sie den Titel »Die trinkende Frau«.

Die Episode erzählt, wie Frauen an ihre Jobs kommen, nämlich wenn Männer nicht können oder wollen. Soweit ich weiß, wurde Angela Merkel Vorsitzende der CDU, weil nach der Spendenaffäre der Partei schlicht keine halbwegs unbelasteten Männer zur Verfügung standen.

Diese Geschichte beschreibt auch, dass es heute immer noch so ist: Frauen haben Frauenprobleme, Männer haben Menschheitsprobleme. Frauen schreiben über Frauen, Männer schreiben über Menschen.

Ich freue mich schon darauf, wenn ich eine alte Frau bin und meine Enkelin, sollte ich eine haben, mich ungläubig fragen wird: »Ihr Frauen musstet wirklich immer über Familienpolitik, Gefühle und sexuelle Gewalt schreiben? Ist ja irre, warum habt ihr euch das gefallen lassen?«

Dann werde ich sagen: »Wir fanden es halt normal, außerdem: Besser als nichts. Werd du erst mal so alt wie ich. Und jetzt schenk mir was von dem Eierlikör nach.«

Bis dahin wird Weltschmerz für Frauen immer PMS heißen, Prämenstruelles Syndrom. Sie, liebe Leserin, fühlen sich bisweilen melancholisch? Nun, das liegt sicher an Ihrer Gebärmutter oder Ihren Eierstöcken und nicht etwa daran, dass die Einsicht Sie bewegt, wie sinnlos die menschliche Existenz ist und wie schnell alles vergeht, nämlich von einem Augenblick auf den nächsten.

Ich weiß nicht, warum weibliche Gefühle als kleinlich gelten, während männliche Gefühle angeblich vom Weltganzen handeln. Obwohl, natürlich weiß ich es, aber das Wort Patriarchat macht wirklich allen schlechte Laune.

Ich habe jedenfalls die Erfahrung gemacht, dass eine Tischgesellschaft in betroffenes Schweigen verfällt, wenn irgendjemand das P-Wort erwähnt. Wahrscheinlich, weil die Frauen darüber nachdenken, ob dieses Monstrum von Begriff irgendetwas mit dem Magazinartikel zu tun haben könnte, den sie neulich über Anti-Aging-OPs am kleinen Zeh gelesen haben. Und die Männer, weil das Wort für sie ein Synonym für Vorwurf ist (und dabei haben sie nicht ganz unrecht, denn Hand aufs Herz: Welche Frau kann schwören, das latente schlechte Gewissen, das Männer Frauen gegenüber haben, niemals, nicht ein einziges Mal, ausgenutzt zu haben, wenn die eigenen Argumente vielleicht ein bisschen schwach waren? Seid ehrlich!).

Dabei sitzen wir ja im selben Boot. Dieses Patriarchat besteht darauf, dass Frauen ganz anders sind als Männer, wo wir doch inzwischen wissen, dass das so nicht stimmt. Man muss keine von Harald Martenstein verfolgte Genderwissenschaftlerin sein, um zu erkennen, dass Männer auch Frauen sind und Frauen auch Männer.

Für die meisten von uns, ob Mann oder Frau, läuft das Leben ungefähr so ab: Vernunft und Irrsinn geben sich die Klinke in die Hand. Irrationales steht neben Rationalem. Tiefe Gefühle kommen und gehen: Sehnsucht, Freude, Euphorie, Scham. Kuriose Gefühle mischen sich darunter, wie die Angst vor Fahrstühlen und der dringende Wunsch, auf einem Pony durch die Mongolei zu reiten. Man macht Fehler, man bereut, man verzweifelt, man steht auf und macht weiter. Das Leben nimmt seinen Lauf.

Da kommt der Alkohol ins Spiel.

Wer lebt, braucht Alkohol. So ist das.

Und das war etwas, das Frauen lange abgesprochen wurde: am Leben zu sein. Frauen waren Gestalten, die in Männerfantasien wohnten. Sie waren Wesen, die Gemälde, Romane und Gedichte bevölkerten, die in der Kunst besungen wurden, aber nicht diejenigen, die Kunst herstellten. Frauen waren Körper, die begehrt wurden. Schön, geheimnisvoll, fremd, exotisch, eine Aufgabe für jeden Mann und weitgehend ohne eigenes inneres Streben.

In jeder Kultur, die jemals erforscht wurde, gelten für Frauen beim Trinken strengere Regeln als für Männer.

Im Dschungel durften sie nicht an Trinkritualen teilnehmen, in England durften sie nicht in die Pubs, Bars und Clubs. Manche Getränke waren komplett tabu. Je mehr die Männer in Amerika im 19. Jahrhundert tranken, desto weniger tranken die Frauen, denn irgendjemand musste ja bei klarem Verstand sein und sich um das Zuhause und die Kinder kümmern. Die Einschränkungen waren mannigfaltig, das Prinzip ist immer dasselbe: Der Rausch ist nichts für dich. Und überhaupt: Mach, was wir dir sagen.

Ich gebe zu, dass es ein bisschen frivol wirken könnte, das Trinken zu einem Akt des Widerstands zu erklären. In Wirklichkeit trinke ich natürlich einfach gern, und zwar nicht immer unbedingt im Namen der Frauenrechte. Ich brauche keinen Anlass zu trinken, es passiert ganz von allein.

Ich weiß auch, dass ich als Frau hier in Europa minor problems habe. In weiten Teil der Welt plagen Frauen ganz andere Sorgen als die, dass man ihnen ihren Appletini nicht gönnt.

Und doch sehe ich einen Zusammenhang. Alkohol für Frauen zu tabuisieren ist ein kleiner Schritt in einem größeren System. Es gibt etwas, das uns mit den Frauen verbindet, die in Südamerika nicht abtreiben dürfen, die in manchen muslimischen Ländern bei jedem Schritt ihren Mann oder Vater um Erlaubnis bitten müssen, und zwar dieses: Frauen waren und sind die ersten Adressaten, wenn eine Gesellschaft sich mehr oder weniger sinnfreie Moralvorstellungen gibt. Ich meine damit nicht die großartigen moralischen Gebote der Menschlichkeit wie zum Beispiel Nächstenliebe, sondern die kleinlichen Regeln des Anstands, die nicht der Verbesserung der menschlichen Seele dienen, sondern der sozialen Kontrolle. Immer sind es die Frauen, die sich damit herumschlagen müssen.

Heutzutage verkleiden sich moralische Vorhaltungen als Ratschläge. Von Verachtung und Moral haben sich Frauen weitgehend befreit, die Mechanismen sind durchschaut. Doch was bleibt, ist die Sorge. Heute macht man sich um Frauen Sorgen. Sind sie stark genug? Haben sie die Nerven, um in dieser Welt zu bestehen? Können sie sich mit ihren Piepsstimmen Gehör verschaffen? Dann noch all diese Frauen, die einfach keinen Mann finden, ganz schlimm ist das für die. Und Frauen vertragen Bier doch so schlecht mit ihrer kleinen Leber. Wie kommen die mit all dem Stress und der Einsamkeit der modernen Existenz zurecht? Schaffen die das, oder sollte man sie nicht – nur zu ihrem eigenen Wohl! – wieder ins Haus sperren?

Wenn ich mir also etwas von den Frauen und Männern, die dieses Buch lesen, wünschen darf, dann dies: Genießt es! Entspannt euch! Es ist nichts Schlimmes, wenn eine Frau gern Alkohol trinkt. Und: Macht euch bitte keine Sorgen um mich, es geht mir gut. Ich habe auch etwas als Gegenleistung anzubieten.

Für dieses Buch habe ich einige neue Kolumnen geschrieben, die nicht im ZEITmagazin erschienen sind. In einer etwas längeren reise ich nach Teheran und mache mich dort auf die Suche – nicht etwa nach Wesen und Bedeutung des politischen Islams, sondern nach einem Drink (war nicht leicht, wie man sich denken kann). Ich schreibe inzwischen übrigens auffallend gern über die unschönen Folgen des Trinkens für den Alterungsprozess, was mich 2011 noch nicht besonders interessiert hat. Die trinkende Frau ist ein bisschen älter geworden, aber das Trinken macht nicht weniger Spaß.

Herausgekommen ist: das weltweit erste Buch über die Kunst des Trinkens, in dem weder Hemingway noch Bukowski eine wichtige Rolle spielen.

Elisabeth Raether, Juli 2016