Inhaltsverzeichnis
Der Marsspion
Pierre Maurignacs Abenteuer
Das Ei des Urvogels
Katalyse
Ein verirrter Telephondraht
Mr. Vivacius Style
Ballon und Eiland
Mysis
Das Ende der Erde?
Heimkehr
Die Maschine des Theodulos Energeios
Carl Grunert

Die Geschichten aus der Zukunft (Science-Fiction Sammlung)

Der Marsspion, Pierre Maurignacs Abenteuer, Ballon und Eiland, Mysis, Die Maschine des Theodulos Energeios
e-artnow, 2016
Kontakt info@e-artnow.org
ISBN 978-80-268-6922-1

Der Marsspion

Inhaltsverzeichnis

Auf der Sternwarte in Flagstaff in Arizona. –

»Hier ist eine unserer gestrigen Marsphotographieen,« sagte Mr. Lampland, einer der Assistenten, trat aus der Dunkelkammer hervor und zeigte Mr. Lowell, dem Leiter der Sternwarte, eine eben entwickelte Platte.

»Die erste oder die zweite?« fragte Mr. Lowell, die noch nasse Glasplatte vorsichtig an den Rändern fassend und gegen das Licht haltend.

»Die erste. – Mit der zweiten wird unser neuer Photograph aber auch bald fertig sein; sie liegt schon im Fixierbad –«

»Er scheint seine Kunst zu verstehen, meinen Sie nicht auch, Mr. Lampland?«

»Ich denke doch. An sein seltsames Wesen wird man sich gewöhnen, um so schneller, je besser seine Leistungen sind –«

»Ich finde die Einzelheiten, namentlich die Feinheiten in den Lichtunterschieden, auf dieser Platte ganz vorzüglich herausgearbeitet – und da ist er ja auch wieder und schärfer und klarer, dächt' ich, als auf unsern früheren Platten –«

»Sie meinen den wandernden Fleck, Mr. Lowell?« fragte der Assistent, der nun auch näher herantrat und die Marsaufnahme betrachtete.

»Ja, Mr. Lampland – der rätselhafte wandernde Fleck auf der Marsoberfläche, der seine Lage zum Südpol fortwährend zu ändern scheint; denn jede unserer bisherigen Aufnahmen zeigt ihn an einer andern Stelle –«

»Ich hoffe, unsere nächsten Aufnahmen sollen uns in den Stand setzen, dies wandernde Rätsel zu lösen, das mir vorläufig noch verschleierter erscheint, als die Frage der vielumstrittenen Kanäle –«, entgegnete Lampland.

»Man hat sie abgeleugnet bis heute; nach unseren Photographieen der beiden Kanäle Thot und Astaboras aber wird man sie nun wohl nicht länger anzweifeln. Das menschliche Auge kann sich täuschen, die phantasielose photographische Platte nicht!«

Er reichte dem Assistenten die Platte zurück, der sie sorgfältig auf einem Trockengestell unterbrachte, indessen Mr. Lowell an den riesigen Refraktor trat. –

»Ist die Verbesserung am Objektiv schon angebracht, Mr. Lampland?«

»Gewiß, Mr. Powell – und ich denke, unsere nächsten Aufnahmen sollen beweisen, daß die Einschaltung dieser Lichtfilter für Strahlen bestimmter Wellenlänge zur Erzielung größerer Schärfe und feinerer Einzelheiten von ungeheurem Werte ist –«

»Hoffentlich helfen sie uns auch bei der Enträtselung des wandernden Flecks!« vollendete Lowell.

Der Assistent kehrte in die Dunkelkammer zurück, hier arbeitete beim schwachen Scheine des roten Lichts der seit gestern neuangestellte Photograph, Mr. Ferrum.

Es war eine ungemein zierliche, fast knabenhafte Gestalt. Jetzt, im roten Dämmerlicht, erschien sein Gesicht seltsam alt, die Haut pergamentartig und wie durchscheinend, so daß man das Netz der Adern unter ihr deutlich zu sehen meinte. Eine breite, schwarze Binde, die den oberen Teil der Stirn bedeckte, vollendete den abstoßenden Eindruck des Mannes.

Aber seine Kunst schien er meisterhaft zu verstehen. Der Assistent Lampland nahm die zweite, nun ausfixierte Platte aus dem Bad und schaltete einen Augenblick weißes Licht ein, um sie zu betrachten. Wie wunderbar klar hob sich die Eiskappe des Südpols von dem unbestimmten Grau der Umgebung ab! Deutlicher noch, als auf der ersten Platte markierten sich die gradlinigen Streifen der Kanäle, und da war auch wieder der rätselhafte »wandernde Fleck«. Eben wollte Mr. Lampland die Platte etwas näher an die Lampe heranbringen, um genauer sehen zu können, als das Licht plötzlich erlosch! »Was ist das ?« rief der Assistent, »haben Sie versehentlich ausgeschaltet, Mr. Ferrum?«

Mr. Ferrum antwortete nicht, sondern deutete mit allen Zeichen des Erschreckens auf einen bläulich-weißen Funkenstrom, der sich an einer Stelle der Wand plötzlich unter knatterndem Geräusch gebildet hatte.

»Ein Kurzschluß! Schnell! Zum Hauptschalter!«

Beide Männer wandten sich instinktiv zum Ausgang. Dabei stieß Mr. Ferrum im Dunkel an Mr. Lampland, der noch immer die eben fertig gewordene Platte hielt –

Ein Klirren und Knirschen.

»Goddam! Die Platte!« rief der Assistent. – Aber schon schlug züngelnd eine Flamme aus der gefährdeten Wand der Dunkelkammer, und beide eilten hinaus, um den Wechselstrom auszuschalten und den entstandenen Brand im Keime zu ersticken ... 

Am nächsten Tage war der Schaden wieder gut gemacht, und auch die zerbrochene Platte war durch mehrere in der Nacht gewonnene Aufnahmen ersetzt, die eben jetzt in der Dunkelkammer entwickelt wurden. Gleich die erste der neuen Aufnahmen zeigte überraschende Einzelheiten. Mr. Lowell hatte die Entwicklung der Platte persönlich überwacht und prüfte sie gerade mit der Lupe. Auch der »wandernde Fleck« war wieder da, und an ihm entdeckte Mr. Lowell zum ersten Male eine Abweichung im Vergleich zu früheren Aufnahmen. Abgesehen davon, daß seine Lage abermals geändert und dem Südpole des Mars noch näher gerückt erschien, zeigte der rätselhafte Fleck deutlich einen ihn begleitenden, dem Sonnenstande entsprechenden Schatten, der sich in der verzerrten Form und in der weniger dunklen Färbung bestimmt von dem Flecke selbst trennen ließ. Eine Hypothese, den wandernden Fleck als einen dritten kleinen, von der Kugelgestalt abweichenden Marsmond zu erklären, schien nach Lage der Dinge völlig unangebracht, und so sah Mr. Lowell mit begreiflicher Spannung der Entwicklung der weiteren Aufnahmen entgegen, mit der Mr. Ferrum und Mr. Lampland noch beschäftigt waren.

Mr. Ferrum zeigte heute eine gewisse nervöse Unruhe, die auch dem Assistenten auffiel, als er die nächste der fertigen Platten ihm aus der Hand nahm, um sie Mr. Lowell vorzulegen.

»Was haben Sie heute, Mr. Ferrum?« fragte er ihn – »ist Ihnen der gestrige kleine Kurzschluß in die Finger gefahren? Sie zittern –«

Mr. Ferrum sagte nichts, sondern klappte den Rahmen der nächsten Plattenkassette auf, um ihr die belichtete Platte zu entnehmen. Mitten in dieser Manipulation hielt er inne, durch einen Ausruf des Assistenten veranlaßt.

»Ah – jetzt endlich scheint sich das Rätsel zu lösen!« rief Mr. Lampland, die kostbare Platte aus dem Dunkelzimmer zu dem Leiter der Sternwarte tragend.

Mr. Ferrum war einen Augenblick allein. Blitzschnell vertauschte er die Platte mit einer unbelichteten, indes er die belichtete, die letzte der heutigen Aufnahmen, mit einem Diamanten in kleine Stücke schnitt, die er bei sich verbarg.

Mr. Lowell betrachtete unterdessen mit seinem Assistenten die neugewonnene Platte. Auch ihm entfuhr unwillkürlich ein Aufschrei der Verwunderung.

»Das ist ja mehr, als wir ahnen konnten, Mr. Lampland!« sagte er dann, die Aufnahme einer genauen Prüfung unterwerfend – »das sieht ja aus, als gehöre der »wandernde Fleck« gar nicht zur Marsoberfläche, als schwebe er frei in der Atmosphäre des Planeten? Aber was kann das sein, da seine Form und die Art seiner ganz willkürlichen Ortsveränderung es völlig ausschließt, ihn etwa als einen neuen Trabanten des Planeten anzusprechen?«

»Nun, Mr. Lowell,« entgegnete der Assistent, »was hindert uns anzunehmen, daß der wandernde Fleck das Werk intelligenter Wesen ist? Haben wir durch unsere diesjährigen Marsphotographieen doch einwandfrei bewiesen, daß die »Marskanäle« wirklich existieren, wenn wir sie auch weniger als Wasseradern, wie als Vegetationszonen bezeichnen müssen. Die Regelmäßigkeit ihrer Anlage, die praktische Ausgestaltung des Kanalnetzes spricht jedenfalls für ihre künstliche Entstehung durch denkende Geschöpfe –«

»Nun, und –« unterbrach ihn Mr. Lowell.

»Nun –« fuhr der Assistent lebhaft fort, »sind diese Riesenkanäle das Werk menschenähnlicher Geschöpfe vom Mars, warum kann der seltsam vagabundierende Fleck nicht irgendeine in der Atmosphäre des Mars schwebende Vorrichtung sein, beispielsweise eine nach Art unserer Fesselballons verankerte, meteorologische Station?«

»Die müßte allerdings eine gewaltige Ausdehnung haben, um in unserem Fernrohr als ein Fleck von dieser Größe sichtbar zu werden! Im übrigen glaube ich zu bemerken, daß der Fleck auf den Photographieen immer größer wird, als ob er sich in großer Geschwindigkeit vom Mars entferne –«

»Zugegeben! Ein in der Marsatmosphäre schwebendes, sich bewegendes Etwas muß es sein, das lehrt diese Aufnahme mit hoher Wahrscheinlichkeit, Mr. Lowell. Ich hoffe, die letzte Photographie, die Mr. Ferrum eben entwickelt, wird meine Hypothese noch mehr unterstützen.«

Damit wandte sich Mr. Lampland, um in die Dunkelkammer zurückzukehren.

»Nun, Mr. Ferrum,« sagte er beim Eintreten, »ist die letzte Aufnahme entwickelt?«

»Ich bin dabei,« erwiderte der Angeredete mit eigentümlich abgestimmtem Tonfall – »aber – ich weiß nicht – ist diese Platte nicht zu kurz belichtet worden? Der Entwickler, den ich bei allen übrigen Aufnahmen verwendet habe, bleibt bei ihr wirkungslos! Bitte, überzeugen Sie sich –«

Damit reichte er dem Assistenten die Entwicklerschale, in der die Platte lag.

Mr. Lampland kippte die Schale, so daß die Entwicklungsflüssigkeit von der Platte abfloß –

»Noch keine Spur eines Bildes,« sagte er verwundert, aber wie ist denn das möglich? Wir haben doch so lange wie sonst exponiert? Haben Sie schon den Entwickler erneuert, Mr. Ferrum? Vielleicht, daß daran die Verzögerung liegt!«

»Habe ich – ich will noch einen Zusatz von Ammoniak machen –«

»Tun Sie das, Mr. Ferrum; es liegt uns sehr viel gerade an dieser Aufnahme,« rief der Assistent; dann, einen Blick auf die Hände des Photographen werfend, setzte er hinzu: »Arbeiten Sie immer mit Gummihandschuhen, Mr. Ferrum? Ich wollte Sie schon gestern deshalb fragen –«

»Immer, Mr. Lampland. Ein langwieriges Fingerleiden, das ich mir in meinem Berufe zugezogen, zwingt mich dazu –«

»So. – Nun – tun Sie Ihr möglichstes, die Platte zu retten, wir sind einer neuen Entdeckung in der Marsatmosphäre auf der Spur, und gerade diese letzte Aufnahme verspricht uns wichtige Aufschlüsse!« – – –

Es war leider nicht gelungen, auf der fraglichen Platte die Spur eines Bildes zu entwickeln. Mit diesem Bescheid trat nach einiger Zeit Mr. Lampland wieder bei dem Leiter der Sternwarte ein. So unangenehm der Mißerfolg war, für den weder Mr. Lowell noch der Assistent vorläufig die zureichende Erklärung fanden, so hatte er doch, wie Mr. Lampland rühmend hervorhob, die wissenschaftlichen Kenntnisse und technischen Fähigkeiten des neuen Photographen in hellem Lichte gezeigt. Wohl ein Dutzend Versuche und Kunstgriffe hatte er angewandt, das latente Bild der »unterbelichteten« Platte hervorzurufen.

Die Sonne näherte sich dem Untergang, und Mr. Lowell ließ alles zu einer Reihe neuer Marsaufnahmen vorbereiten.

Der »wandernde Fleck« war in diesen späten Abendstunden infolge der auf dem Mars herrschenden Lichtverteilung weniger gut sichtbar; doch versprach in Hinsicht auf die früheren photographischen Aufnahmen dieses fraglichen Objekts die Klarheit der Marsatmosphäre für heute nacht die wichtigsten Aufschlüsse.

Mr. Lowell hatte das Observatorium ein Weilchen verlassen; Mr. Lampland war allein und beobachtete durch ein kleineres Fernrohr das Firmament, um einige Ablesungen zu machen.

Es war ganz still und dunkel in der hohen Kuppelhalle; nur die Sekundenuhr tickte mit leisem Schlage. Mr. Lampland richtete sich aus seiner beobachtenden Stellung am Fernrohr auf. Es war ihm, als habe er ein Geräusch gehört. Er blickte scharf ins Dunkel und strengte sein Gehör an; aber es war doch wohl nur Täuschung gewesen. Zur Sicherheit ließ er einen Moment die kleine elektrische Notlampe aufleuchten – er vermochte nichts zu entdecken.

Seltsamerweise glaubte er nach einigen Minuten an einer bestimmten Stelle des dunklen Raumes einen mattleuchtenden Punkt zu sehen, wie das phosphoreszierende Auge eines nächtlichen Raubtieres. Aber als er die Erscheinung fest ins Auge fassen wollte, war sie verschwunden. Ärgerlich über sich selbst, schalt er sich eine Beute seiner aufgeregten Nerven und wandte sich dem großen Refraktor zu, um ihn für die neuen photographischen Aufnahmen des Mars einzustellen.

Er brachte sein Auge an das Okular des riesigen Instruments – ein nebeliger Schleier verhüllte das Gesichtsfeld!

Eben trat Mr. Lowell ein.

»Nun – eingestellt?« fragte er.

»Nein – sehen Sie doch, Mr. Lowell! Das Gesichtsfeld des Refraktors ist völlig verschleiert – die Atmosphäre ist doch völlig klar?«

Mr. Lowell blickte zuerst durch das Okular des großen Refraktors, dann durch das auf demselben Gestell montierte kleinere Sucherfernrohr. Das Gesichtsfeld des letzteren war völlig klar!

»Sollte durch irgendeine Ursache das Objektiv plötzlich getrübt worden sein – irgendein Niederschlag oder Staub von außen die Lichtdurchlässigkeit hindern?« fragte der Assistent.

Mr. Lowell antwortete nicht. Ein seltsamer, scharf säuerlicher Geruch machte sich mit einem Male in der Nähe des Refraktors bemerklich. –

Und eben wollte Mr. Lampland sein Gesicht aufs neue dem Okularende des riesigen Fernrohrs nähern, als ein furchtbarer Knall die beiden Männer zu Boden warf.

In dem Flammenblitz der gewaltigen Explosion aber erschien einen Moment das fleischlose, fahle, jetzt von einem triumphierenden Lachen verzerrte Gesicht – Mr. Ferrums!

Und dieses Gesicht zeigte, von keiner schwarzen Stirnbinde mehr bedeckt, ein auf Erden nie geschautes Phänomen: es besaß – drei Augen, zwei, wie andere Menschenaugen, und das dritte, ein Scheitelauge, mitten auf der Stirn! Und jetzt, da tiefes Dunkel wieder den großen Raum erfüllte, leuchtete das dritte Auge in grünem Phosphoreszenzlichte.

Was war das für ein grauenhaft-rätselvolles Wesen?

Mr. Lowell war der erste, der die Besinnung wiedererlangte. Er sprang auf und tastete nach dem elektrischen Lichtschalter, – da hörte er hinter sich ein Geräusch: auch sein Assistent war nur betäubt worden und richtete sich auf. In demselben Moment aber stürzte er nach einer Ecke des Raumes, aus der ein mattleuchtender Punkt schimmerte.

Mr. Lowell vernahm ein heftiges Ringen und Stöhnen. – Endlich hatte er den Einschalter gefunden und legte den Hebel um – die Beleuchtung versagte!

»Zu Hilfe!« rief Mr. Lampland heiser.

Mr. Lowell eilte nach der Stelle, woher der Ruf kam.

»Hierher – Mr. Lowell, hierher – ich hab' ihn!«

Mr. Lowell packte zu: er faßte einen mit aalglatter Gewandtheit sich drehenden Körper. Ehe er aber mit sicherem Griff zupacken konnte, schrie Mr. Lampland heftig auf –

In demselben Augenblick entschlüpfte ihnen die erhaschte Beute.

Jetzt erst erinnerte sich Mr. Lowell an das kleine, von einem Akkumulator gespeiste Notlicht zur Eintragung der astronomischen Ablesungen.

Mit zwei Schritten war er dort und schaltete es ein. Er war mit seinem Assistenten allein; Mr. Lampland hielt sich die Rechte, die ihm der nächtliche Störenfried aus dem Gelenk gedreht hatte.

Beider Blicke fielen zuerst auf den großen Refraktor. Eine Explosion hatte das untere Ende, den Okularteil, glatt fortgerissen. Zum Glück schien die kostbare Objektivlinse am oberen Ende unbeschädigt geblieben zu sein!

»Wer war der Eindringling? Und wie hat eine Explosion im Innern des Reflektors stattfinden können?« rief Mr. Lowell einmal über das andere.

Nun kamen auch einige Diener, die der Lärm herbeigerufen.

»Bringt Licht!« befahl Mr. Lowell.

»Und ruft Mr. Ferrum!« setzte Mr. Lampland hinzu. – Die Diener kehrten mit Lichtern zurück; einer von ihnen brachte die Meldung, daß Mr. Ferrum nicht mehr auf seinem Zimmer sei – nur seine Gummihandschuhe lägen dort.

»So bringt sie!« sagte Mr. Lampland, unausgesetzt die schmerzende, verstauchte Rechte reibend.

»Und seht, ob ihr Mr. Ferrum irgendwo entdecken könnt!« rief ihnen Mr. Lowell nach.

»Wir werden keine Spur mehr von ihm entdecken,« meinte Mr. Lampland. Mr. Lowell sah ihn fragend an.

Der Diener brachte die schwarzen Gummihandschuhe.

»Sehen Sie, Mr. Lowell,« sagte der Assistent, »mein Verdacht hat mich nicht getäuscht. Seit heute abend, seit wir den photographischen Apparat von neuem für das Fernrohr herrichteten und ich unseren Mr. Ferrum bei seinen Manipulationen beobachtete, entstand plötzlich – ich wüßte kaum zu sagen, wie! – mein Verdacht; mich überkam ein Gefühl, als sei der Mann nicht der, für den er sich ausgab. Seine glänzenden chemischen und photographischen Kenntnisse machten ihn mir plötzlich nur noch mehr verdächtig; wie ein Blitzstrahl kam mir vorhin, als ich hier allein war, die Erleuchtung, daß alle die Vorkommnisse der letzten Tage sich wie Ringe einer Kette schlossen: der plötzliche Kurzschluß in der Leitung in dem nämlichen Augenblick, als ich gestern die Platte mit dem »wandernden Fleck« mir genauer betrachten wollte, und die in der Dunkelheit und Verwirrung erfolgte Zerstörung der Aufnahme – der Vorfall mit der völlig unbelichteten Platte von heute – und schließlich hier – die Gummihandschuhe, die er fortwährend trug.«

Mr. Lampland hob sie empor. »Sehen Sie; jeder Handschuh hat fünf richtige Finger – aber der fünfte ist bei beiden ein künstlicher, ausgestopfter!«

Starr vor Überraschung, befühlte Mr. Lowell die Handschuhe –

»Wahrhaftig,« rief er, »der kleine Finger an jeder Hand ist falsch!«

»Nun,« sagte Mr. Lampland fortfahrend, »vierfingrige Menschen gibt es augenblicklich auf Erden noch nicht; nehmen Sie dazu sein seltsames Aussehen, ein Greisenkopf mit dem Körper eines Kindes, seine eigentümliche Aufregung, die um so höher stieg, je besser uns die Photographieen vom Mars gelangen, – die offenbar von ihm in einem unbewachten Augenblick in unseren Refraktor geschmuggelte Bombe, deren Zündschnur so berechnet war, daß sie heute nacht die Explosion und damit nach seinem Plan die Zertrümmerung des kostbaren Instruments herbeiführen sollte – vielleicht auch Ihre und meine Vernichtung! – so bleibt nur die Annahme übrig, und der alte römische Grundsatz: cui bono! bestätigt sie: Mr. Ferrum war – kein Mensch, sondern – ein Spion vom Mars!«

Mr. Lowell schüttelte den Kopf und wollte eben etwas erwidern, als einer der Diener, derselbe, der die Gummihandschuhe entdeckt hatte, ihm ein Stück eines photographischen Negativs überreichte, das er soeben beim Durchstöbern der Dunkelkammer in einem Winkel des Fußbodens entdeckt hatte.

Nur einen Blick warf der Assistent darauf; dann sagte er: »Dieser Glasscherben, der übriggebliebene Rest jener Aufnahme, die bei dem gestrigen Kurzschluß in Trümmer ging, bildet das Schlußglied meiner Beweisführung! Sehen sie, Mr. Lowell, den »wandernden Fleck«! Ein günstiger Zufall hat es bei dieser einzigen Aufnahme so gefügt, daß die Sonne von dem rätselhaften schwebenden Etwas in der Marsatmosphäre einen ins Riesenhafte vergrößerten Schatten auf die schneeweiße Eiskappe des Pols geworfen hat – und ich glaube, Sie erkennen nun nach allem Vorangegangenen das rätselhafte Objekt – und verstehen, warum jener falsche Mr. Ferrum, offenbar im Auftrage seines Heimatplaneten, alles tat, um unsere Marsbeobachtungen zuerst zu kontrollieren, dann zu erschweren und schließlich für bestimmte Zeit unmöglich zu machen.« –

Mr. Lowell nickte und sagte ernst: »Noch bleibt mir manches von dem Geschehenen ein Rätsel; aber das Rätsel des »wandernden Flecks« ist gelöst: der verräterische Schatten zeigt mir die ins Ungeheure verzerrten Konturen eines – Riesenflugschiffes, das sich unausgesetzt einem Ziele nähert: unserer Erde!«


Pierre Maurignacs Abenteuer

Inhaltsverzeichnis
I
II
III
IV

I

Inhaltsverzeichnis

»Guten Tag, Pierre!«

»Ei – guten Tag, meine kleine Jeanne! Wie verläufst du dich hierher in die Schmiede Plutos?«

»Muß ich nicht in die garstige, rußige Höhle hineinkriechen, wenn ich dich einmal sehen will, du Böser! Dein Mütterchen ist schon ganz verzweifelt, weil du seit ein paar Tagen Essen und Trinken vergißt – wegen des alten Ungetüms da!« –

»Dann mußt du eigentlich mit deinem künftigen Schwager, meinem aufmerksamen Bruder André, schelten und schmollen, kleine Jeanne! Er hat mir dies kuriose Mittelding zwischen einem Fahrrad und einem Webstuhl geschickt, weil er meine Vorliebe für allerlei mechanische Kunstwerke und Maschinen kennt. Du solltest übrigens mit ein wenig mehr Respekt von dieser Maschine sprechen; sie stammt geradeswegs vom – – Grunde des Meeres!«

»Vom Grunde des Meeres? Hast du mich auch nicht zum besten, Pierre?«

»Aber, – – liebe Jeanne! Direkt vom Grunde des Ozeans, wo die Seejungfern und Wasserteufel sie benutzt haben!«

»Pfui, Pierre! Mußt du denn immer deinen Spott mit mir treiben – –« Und die zierliche, schlanke, schwarzlockige und dunkeläugige Südfranzösin verzog schmollend den Mund.

»Nun – nun, meine kleine Jeanne – – einen Scherz darf man doch machen!«

Der hochgewachsene, blonde junge Mann sprang hinter der seltsamen Maschine hervor und umfaßte das junge Mädchen, ihr einen Kuß auf die halbabgewandten Lippen drückend. Dann führte er sie aus dem Rahmen der Eingangspforte, wo sie noch immer gestanden, näher an das »alte Ungetüm« heran.

»Sieh dir das Wunderwerk nur erst an, kleine Jeanne! Es ist volle Wahrheit: sie stammt vom Grunde des Meeres. Du weißt, daß mein Bruder André bei den Hebungsversuchen des vor einigen Tagen gesunkenen Kanaldampfers »Juno« in der Straße von Calais beschäftigt ist. Bei diesen Taucherarbeiten fand er in der Nähe des gesunkenen Schiffes, fast völlig im Meeresgrunde vergraben, diese Maschine. Da ihren Zweck niemand enträtseln konnte, auch niemand großes Interesse für sie zeigte, sandte er sie mir und wie du siehst, ist es mir gelungen, sie von dem Schlamm des Meeres und von allerlei sonstigen Unreinigkeiten zu säubern. Sieh einmal, wie ihre Teile nun wieder funkeln und blitzen: diese vernickelten Hebel und Stangen und Schrauben, diese Stangen aus Elfenbein und vor allem diese schöngedrehten Wellen aus einer durchsichtigen Substanz – –«

»Daß die nicht zerbrochen sind! – Es sieht doch aus wie Glas, nicht, Pierre?«

»Ja, es ist aber kein Glas! Sieh doch einmal, wie sie funkeln und flimmern, liebe Jeanne! Man könnte beinahe denken, sie seien aus lauter Licht und Sonnenschein gemacht – und nicht aus einem festen, irdischen Stoffe –«

»Aber – was ist das für eine seltsame Maschine, Pierre?«

»– Ja, Liebste, – wenn ich das wüßte! Dann würde ich ja nicht Stunde für Stunde hier in der uralten Schmiede in der Kalksteinhöhle hocken und grübeln, sondern würde dir heute früh schon längst entgegengeeilt sein. Von Mütterchen wußte ich ja, daß du kommen würdest, und kannte ja auch deinen Weg zu uns – – immer am Ufer der Dordogne entlang, bis an unsere Holzbrücke, nicht wahr, Liebling? – Aber – ich weiß nicht, noch nicht, was diese vertrackte Maschine bedeuten soll! – Ich wollte eine Zeichnung von ihr anfertigen und sie an die Redaktion der »Science« einschicken – vielleicht weiß man da eine Auskunft –«

»Aber sagtest du nicht selbst, sie sähe aus – halb wie ein Fahrrad und –«

»– halb wie ein Webstuhl – freilich. Hier ist ja auch ein Sitz, wie der Sattel eines Fahrrads – aber – die Räder fehlen, sind auch, wie die Konstruktion zeigt, nie vorhanden gewesen.«

»Und – du hast noch keinen Versuch gemacht, ob die Maschine geht – ob sie –«

»Nein, Liebste! Eher möchte ich all diese Wellen und Scheiben und Hebel nicht in Bewegung setzen, ehe ich mir nicht im Geiste über die ganze Konstruktion der Maschine klar geworden bin. Sie muß doch einen Zweck gehabt haben, zum Kuckuck! – Ehe du kamst, hatte ich übrigens einen Gedanken: ich glaubte einen Äugenblick, das rätselhafte Ding sei die Gondel irgendeines unserer jetzigen modernen, lenkbaren Luftschiffe. Dafür spricht erstens ihr Fundort – auf dem Grunde des Meeres – wohin sie aus der Luft gestürzt sein mag, zweitens der Sattel und das räderlose Gestell; – dagegen spricht erstens der Mangel eines Motors – aber der könnte ja beim Absturz explodiert und losgerissen sein, obwohl sich an der Maschine nirgends bis auf ein paar verbogene schienen die Spuren äußerer Gewalt zeigten – –«

»Und zweitens, Pierre?« – –

»Zweitens, liebe Jeanne, spricht dagegen die ganze diffizile Konstruktion, diese vielen Finessen in der Mechanik, dies Gewirr von Stangen und Walzen und Rollen und Scheiben – und nicht zuletzt – diese seltsam funkelnden Wellen aus Kristall –«

»Ja – aber, lieber Pierre – dann will ich doch lieber gleich wieder gehen und auf gelegenere Zeit wiederkommen –«

»Aber warum, meine kleine Jeanne?« fragte Pierre, aufs neue den Arm um sie legend.

»Weil du gewiß noch viele Tage darüber grübeln wirst, was das kuriose Ding bedeuten soll, und – weil du dann gar keine Zeit übrig haben wirst für mich, deine Verlobte!«

»Aber – meine liebe kleine Jeanne! Ich verspreche dir –«

»Versprich nichts; ich kenne dich! Aber – einen Rat will ich dir doch noch geben, Pierre: Probieren geht über studieren! Grüble nicht länger, sondern – setz' dich in den Sattel des Dinges und versuch', ob du es von da aus nicht in Gang bekommst – –«

»Dir zu Gefallen, Kleine! Also – aufgesessen!«

Und mit einem gewandten Satze schwang sich der junge Mann in den Sattel der Maschine.

»So – liebe Jeanne! Da säß' ich auf meinem neuesten Steckenpferd – und was nun?« –

Jeanne lachte nun doch, als sie ihren Pierre auf dem seltsamen Gestell reitend erblickte. –

»Ja – nun weiß ich auch nicht weiter zu raten, Liebster –«

»Halt einmal! – was ist denn das für eine Art Hebel, den ich hier gerade mit der ausgestreckten Hand fassen kann? – –«

Und Pierre griff mit der einen Hand nach einer halbversteckten kleinen Stange und drückte sie zurück – bis zum Anschlage – –

Wie ein heftiger Schlag ging es durch die kleine Schmiede in der uralten Kalkhöhle des Dordogne-Tales. – Ein Luftwirbel erhob sich – –

Mit einem Aufschrei, so gellend und furchtbar, daß ihn die alte Mutter Pierres in dem anmutigen Landhäuschen am Talrande hörte, sank Jeanne ohnmächtig nieder.

Als sie die Augen wieder aufschlug, lag sie im Arm der Mutter Pierres, und teilnehmend standen die Nachbarn und Nachbarinnen des kleinen, südfranzösischen Ortes um sie her.

»Was ist denn geschehen, meine arme Jeanne?« fragte die Greisin, ihr die Stirn streichelnd.

»– Wo ist Pierre, Mutter?«

»Pierre? – Ja, mein Gott, wir wissen es nicht! Hast du ihn nicht hier in der Schmiede gefunden, Töchterchen?«

»Ja, ich fand ihn – aber dann –«

Und sie erzählte in heftiger Aufregung das Geschehene bis zu dem Moment, wo Pierre verschwand.

»Aber wie ist denn das möglich? Wie ist denn das möglich? Ein Mensch kann doch nicht verschwinden, als ob ihn die Erde verschluckt hätte!«

– Immer größer wurde die Verwunderung und das Kopfschütteln der Umstehenden.

»Liebe Jeanne, besinne dich noch einmal genau! Du erzähltest, Pierre habe sich auf die Maschine gesetzt und habe irgendeinen Hebel daran bewegt – und dann – –-?«

»Dann? – Ja – dann – –«

Aufs neue schluchzte sie und barg das Gesicht im Schoße der Mutter.

»Dann, liebe Jeanne – –?«

»Dann – dann! O, es ist gräßlich! Dann wurde seine Gestalt plötzlich durchsichtig wie ein Schemen, immer durchsichtiger, immer flüchtiger: ich sah nur noch einen Wirbel von glänzenden Metallteilen – eine heftige Luftströmung traf mein Gesicht – eine Wolke aufgewirbelten Staubes umhüllte mich – ich schrie auf – weiter kann ich nichts sagen –«

Sie weinte aufs neue fassungslos.

Kopfschüttelnd entfernten sich einige der Umstehenden und holten den Maire des Ortes.

Ein Protokoll wurde aufgenommen. Der Maire ließ die Schmiede in der alten Kalksteinhöhle genau untersuchen. Zoll für Zoll der Wände und des Fußbodens wurde abgeklopft und geprüft. –

Nirgends fand sich etwas, das den rätselhaften Vorfall erklären konnte. Die Hinterwand der Höhle lief in einen langen, schmalen Gang aus, tief hinein in den Kalkfelsen, am Ende verschüttet von herabgebröckeltem Gestein. –

Aber auch hier keine Spur – –

– Pierre Maurignac war und blieb verschwunden!

Am Abend desselben Tages berichtete schon die »Agence Havas« in einem ausführlichen Telegramm über das seltsame Ereignis, und von ihr übernahmen die meisten größeren Zeitungen des In- und Auslandes die Notiz. Es war diesmal nicht die Zeit der »Enten« oder der »Hundstage«, und so wurde der merkwürdige Vorfall mehr oder weniger wissenschaftlich ernst glossiert. Eine eigentliche zureichende Erklärung vermochte aber keines der Tagesblätter für das seltsame Verschwinden des jungen Mannes zu geben. – Am meisten Wahrscheinlichkeit schien noch ein Erklärungsversuch der »Tägl. Rundschau« zu haben. Der Verfasser dieses Artikels versuchte das Verschwinden Pierre Maurignacs in der Hauptsache mit einem pathologischen Zustande der einzigen Zeugin Jeanne Dauvergne in Zusammenhang zu bringen. Er nahm dabei an, daß das junge Mädchen von ihrem Verlobten lange Zeit getrennt und infolgedessen seelisch aufgeregt gewesen sei und den ganzen Vorgang in der Höhlenschmiede nur als eine Art Halluzination erlebt habe. Die vorhergehende Erzählung der Mutter Pierres von der seltsamen Maschine habe dieser Autosuggestion den Boden geebnet. – Allerdings sei ja mit dieser Auffassung noch immer nicht das Verschwinden des jungen Maurignac objektiv erklärt; – aber da die ersten telegraphischen Nachrichten sofort nach dem Vorfall in die Presse gelangt seien, so müsse doch erst festgestellt werden, ob Monsieur Pierre nicht auf eine weniger wunderbare Weise den Ort verlassen habe, vielleicht bringe die Zukunft hierfür eine Erklärung; – vielleicht – die Erzählung Jeanne Dauvergnes einmal einen Augenblick als objektive Betrachtung angenommen – sei die rätselhafte Maschinerie gar eine – Flugmaschine gewesen, nach dem Prinzip: »Schwerer als die Luft« gebaut – (man wisse ja eigentlich gar nichts genaueres über die Konstruktion als die unvollkommenen Angaben der Mutter und des Mädchens) – und Pierre Maurignac sei mit ihm vielleicht in die Luft geflogen – verunglückt vielleicht – –

Der Bericht schloß mit einem »Vielleicht« und konnte als schlüssige Erklärung auch noch nicht gelten.

– In dem kleinen Landhäuschen am Ufer der Dordogne aber saßen Mutter Maurignac und Jeanne Dauvergne und dachten des Verschwundenen in tiefer Trauer.

Da pochte es an der Pforte des Hauses – tief in der Nacht.

Die alte Dienerin öffnete.

»Ein Telegramm an Mutter Maurignac!« rief der Depeschenbote.

Und schon stürzte Jeanne die Treppe hinab und riß es der Babette aus der Hand. –

Mit zitternden Händen öffnete es die alte Frau.

Und die beiden lasen:

Telegramm aus London, den ... 

»Pierre Maurignac verschwunden auf einer Maschine, wie ich sie in meinem Buche »Die Zeitmaschine« beschrieben habe. Behalten Sie Hoffnung und Glauben.

H.G. Wells.«

Und fast um dieselbe Zeit lief in der Redaktion der »Tägl. Rundschau« ein ähnliches Telegramm ein.

Es lautete:

Telegramm aus London, den ... 

»Pierre Maurignacs Verschwinden ist buchstäblich so geschehen, wie es Jeanne Dauvergne geschildert. Er ist auf einer »Zeitmaschine« in die Zeit gereist. Näheres darüber enthält mein Buch »Die Zeitmaschine«. Entgegen meiner Vermutung, die ich dort im 16. Kapitel aussprach, hat sich also doch, wenn auch nicht die Person, so doch die Maschine des Zeitreisenden wiedergefunden; wie sie aber auf den Grund des Kanals kam, wird wohl für immer ein Rätsel bleiben.

H.G. Wells.«

– Auf einer Zeitmaschine?

Ja – auf einer Maschine, die so wunderbar konstruiert ist, daß sie dem darauf Sitzenden ermöglicht, in die Zeit, d.h. in die Vergangenheit oder Zukunft zu reisen. Der geniale Konstrukteur dieser Maschine betrachtet nämlich die Zeit als die vielgesuchte vierte Dimension des Raumes, und wie wir bisher mit unsern gewöhnlichen Vehikeln im Raume hin und her zu fahren vermögen, so fährt er auf seiner Maschine in der Zeitdimension hin und her; er vermag also aus seiner Zeit heraus in eine andere zu reisen, vermag im Fluge kommende oder versunkene Jahre, Jahrhunderte, Jahrtausende zu durcheilen.

Doch der freundliche Leser kann das alles viel besser in dem erwähnten geistvollen Buche des obigen Telegrammabsenders selbst nachlesen ... 

Pierre Maurignac war verschwunden auf einer »Zeitmaschine«.

Das wußte man nun.

Aber – wohin? Und würde er wiederkommen – wiederkommen können?

– – Die alte Mutter Maurignac nahm noch einmal das Telegramm von Mr. H. G. Wells in die Hand – –

»Behalten Sie Hoffnung und Glauben!« las sie leise der armen Jeanne vor. Und Jeanne Dauvergne richtete sich auf und küßte zärtlich die Stirn der Greisin.

»Die Liebe wird mich beides lehren, liebe Mutter!«

II

Inhaltsverzeichnis

Und Pierre?

Was war mit ihm geschehen? Reiste er wirklich in die Zeit?

Er hätte es wahrscheinlich selbst nicht zu sagen vermocht – wenigstens nicht in den ersten Momenten seiner wunderbaren Fahrt!

Auch er sah sich plötzlich allein in dem Raume. Ein schauderhaftes Gefühl, als ob er in eine endlose Tiefe fiele, – ein Gefühl, das ein jeder in schwächerem Maße wohl schon einmal im Traume empfunden hat, – erfaßte ihn. Dabei schlingerte die Maschine, auf der er saß, so arg, daß er sich krampfhaft festhalten mußte, um nicht abgeschleudert zu werden.

Was war das? Was geschah mit ihm? Wo war seine kleine Jeanne? Und wo war er? Fuhr er oder stand er still und wanderte die Umgebung? Denn – er war nicht mehr in der alten Schmiede, welche die Bewohner des Örtchens seit alter Zeit schon in dem vorderen Raume der uralten Kalksteinhöhle eingerichtet hatten – eine gleichmäßige graue Dunkelheit umfing ihn wie eine schwere, greifbare, dichte Hülle.

So raste das geheimnisvoll arbeitende mechanische Ungetüm mit ihm dahin – wie lange schon, er wußte es nicht. Ihm schien es eine endlose Zeit!

Ob er abstieg von der fürchterlichen Maschine? – Aber er fühlte instinktiv an dem Luftstrom, der ihm an den pochenden Schläfen vorbeistrich, wie schnell seine Bewegung war und wie gefährlich ein Abspringen sein würde. Unbedingt mußte er die Maschine vorher zum Stillstand bringen. Aber – wie wurde das gemacht?

Dazu hätte es hell sein müssen, daß er den Mechanismus untersuchen konnte. Aber vielleicht, wenn er den Hebel, den er vorhin bewegt, wieder in seine alte Lage zurückführte?

Er versuchte es, aber in der Aufregung, die ihn gepackt hatte, in der lastenden Dunkelheit, die ihn umhüllte, in dem schauderhaften Gefühl des fortwährenden Fallens, bei dem Schlingern und Schwanken der zitternden Maschine griff er immer daneben. Es war zum Verzweifeln; er fand den Hebel nicht!

Da fiel ihm ein: er hatte ja Zündhölzer! Und den Sattel der Maschine fest mit den Schenkeln umklammernd, fand er glücklich die kleine Schachtel in der Tasche und entzündete ein Hölzchen.

Er schützte es mit der hohlen Hand gegen den Luftstrom, der ihn umsauste. – Und nun neigte er sich tief aus dem Sattel vornüber und tastete nach dem Hebel.

Er faßte ihn und versuchte ihn zurückzuführen – langsam; denn er fürchtete, daß eine plötzliche Hemmung der Maschinerie gefährlich sein könnte; das Beharrungsgesetz, das sich bei jedem plötzlich gebremsten Wagen jedem Insassen sehr unangenehm bemerkbar macht, würde bei dieser unheimlich dahinsausenden Maschine gewiß verderbliche Wirkungen zeitigen.

Langsam, langsam zog er den Hebel zurück!

Und er hatte richtig kalkuliert: die Maschine verlangsamte ihre Bewegung, alle Begleiterscheinungen wurden schwächer. –

Und mit einem Male fiel ein Lichtschein in das öde Grau der Umgebung – von rückwärts her, vom Eingange der Höhle!

Unwillkürlich wandte er den Kopf. Das sah ja aus – wie Morgensonnenschein!

Aber das war ganz unmöglich! Als ihn Jeanne vorhin aufgesucht hatte, war es fast Mittagszeit gewesen.

Er sah nach der Uhr. –

Sie zeigte auf Sieben!

Vor Überraschung hätte er fast wieder den Griff des Hebels fahren lassen; aber er haschte ihn noch wieder. –

Einen Moment erlosch der Lichtschein von draußen wieder – aber dann wurde es wieder hell.

Und abermals sah er nach der Uhr. –

Jetzt zeigte sie plötzlich auf fünf Uhr!