Hauptkommissarin Cornelia Weber-Tejedor hat es nicht gerade leicht. Ihr Mann Jan ist ausgezogen, und ihre Affäre mit dem Kollegen Leopold belastet nicht nur den beruflichen Alltag. Da kommt ihr ein Auftrag aus dem Drogendezernat nur recht. Auf dem Frankfurter Flughafen ist eine Reinigungskraft tödlich verunglückt, offenbar hatte das Opfer Kontakt zum organisierten Drogenhandel. Als verdeckte Ermittlerin und mit völlig neuer Identität mischt sich Cornelia unter das Reinigungspersonal des Flughafens. Schon bald gewinnt sie das Vertrauen ihrer neuen Kolleginnen und ihres Chefs und geht ganz in ihrer Rolle auf. Vielleicht zu sehr? Denn aus falschem Vertrauen heraus begeht sie einen fatalen Fehler.

Rosa Ribas wurde 1963 in Barcelona geboren und studierte dort Hispanistik. Sie lebt seit vielen Jahren in ihrer Wahlheimat Frankfurt. Falsche Freundin ist nach Kalter Main und Tödliche Kampagne der dritte Band der Krimiserie um die deutsch-spanische Kommissarin Cornelia Weber-Tejedor.

Rosa Ribas

FALSCHE FREUNDIN

Der dritte Fall für
Kommissarin Cornelia Weber-Tejedor

Kriminalroman

Aus dem Spanischen von
Peter Schwaar

Suhrkamp

Die Originalausgabe erschien 2011 unter dem Titel
En caída libre
bei Editorial Viceversa, Barcelona.
© Rosa Ribas, 2011

Für die deutsche Übersetzung durchgesehene Fassung

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2012

© Suhrkamp Verlag Berlin 2012

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Umschlaggestaltung und -motiv:
HAUPTMANN & KOMPANIE Werbeagentur, Zürich

eISBN 978-3-518-75660-7

www.suhrkamp.de

EIN STURZ

Die ans Flugzeug geschobene Gangway hatte zwei Plattformen und dreiundzwanzig Metallstufen. Der Schnürsenkel von Fatma Celiks rechtem Turnschuh verfing sich in der Ritze zwischen der ersten Plattform und der Stange des dazugehörigen Geländers.

Viele Faktoren mussten zusammenwirken, damit das geschehen konnte: der genaue Abstand zwischen Fuß und Ritze, die Beschaffenheit des Schnürsenkels, zwar dünn genug, um in die Ritze hineingeraten zu können, aber auch dick genug, um darin steckenzubleiben, wodurch der nächste Schritt der Frau abrupt gestoppt wurde, Schubkraft und Geschwindigkeit, mit der sie aus der Tür trat, beides kaum zu bremsen, nachdem die Trägheit einmal wirksam geworden war; die falsch kalkulierte Distanz zwischen Geländerstange und Händen. Hätte an diesem heißen Nachmittag, es war der letzte Dienstag im Juli, auch nur ein einziger dieser Faktoren nicht mitgespielt, so wäre nichts geschehen, und Fatma Celik hätte problemlos die Gangway des fünften Flugzeugs, das sie in ihrer Schicht saubergemacht hatte, hinter sich gebracht. Schlimmstenfalls wäre sie leicht gestolpert.

An diesem Tag jedoch kam alles zusammen, der Schnürsenkel blieb hängen und stoppte ihren raschen, nervösen Gang, so dass sie den Boden unter den Füßen verlor. Instinktiv wollte sie sich an etwas festklammern, doch die Finger fanden das Geländer nicht, die grün behandschuhten Hände flatterten wild im Leeren, und der Brustkorb der Reinigungskraft durchschnitt die Luft wie der eines Läufers im Endspurt. Danach besorgten die Schwerkraft und die Hast, mit der sie die Kabine der Maschine aus Santiago de Chile verlassen hatte, den Rest.

Beim Aufprall auf die untere Plattform brach sie sich zwei Rippen, aber das Entscheidende passierte erst auf der neunzehnten Stufe, als ein brutaler Hieb sie in den Nacken traf. Sie überschlug sich noch einmal und blieb dann bewusstlos auf dem Rücken liegen. Die Zipfel ihres offenen Kittels bewegten sich im Wind, und ein Rinnsal Blut trat ihr aus dem Mundwinkel.

Da sie bereits das Bewusstsein verloren hatte – sie sollte es erst eine halbe Stunde später wiedererlangen, um eben noch zu realisieren, dass sie in diesem Krankenwagen sterben würde –, konnte sie nicht sehen, dass ihre Kollegin Sonia Raimondo, als sie sie stürzen sah, aus dem Flugzeug eilte, die Gangway hinunterhastete und, während sie entsetzt ihren Namen rief, die Hand in eine von Fatmas Kitteltaschen steckte, etwas herausnahm und im eigenen Kittel verbarg.

Hingegen sah es eine der Stewardessen, die in die Flugzeugtür getreten war. Ohne den Blick von der Gestürzten abzuwenden, meldete sie den Unfall dem Notdienst und verlangte dann mit der Polizei zu sprechen.

AUF DEM WASSER

»Langsam, langsam.«

Die Erste wurde langsamer, die Zweite passte sich sofort an. Sie machten zwei weitere Züge. Cornelia beobachtete, wie die Ruderblätter ins Wasser ein- und dann wieder auftauchten, ergriff die Skulls und zog beim dritten Mal mit. Beim vierten Ruderschlag stieg auch Senna ein, die Vierte und Hinterste.

Sie ruderten flussabwärts. Jeder Zug wollte die Strömung des Mains beschleunigen, der an diesem Augustsonntag träge dahinfloss. Es war, als ob die ungewöhnliche Hitze die Bewegungen der Menschen an den Ufern verlangsamte, sie aber auch zu Schreihälsen machte. In der Flussmitte vermischten sich die Stimmen von beiden Seiten, aber mit geschlossenen Augen hatte sie das Gefühl, die vom Sachsenhausener Ufer seien kräftiger. Gelächter, Fahrradklingeln, die Rollen der Skates auf dem Asphalt, die von Bellen begleiteten ständigen Hundebegegnungen. Und Kinder. Vor allem Kindergeschrei, das oft ihnen galt:

»Hallo, hallo!«

»Tschühüss, tschühüss.«

Was war häufiger, die Begrüßungen oder die Verabschiedungen? Machte es einen Unterschied, ob man flussauf oder flussab ruderte?

Die Stimme der Steuerfrau erreichte sie an einem Punkt im Gehirn, an dem sie ihre Gedanken nicht beeinträchtigen konnte.

»Schneller. Langsamer. Kommt nicht aus dem Rhythmus.«

Man brauchte nur diesen simplen Anweisungen zu folgen und sich vom Wasser mittragen zu lassen.

»Gut. So, ja, so.«

Man musste nichts denken – jemand, der im Bug saß und wusste, wohin die Fahrt ging und wie man ans Ziel gelangte, erteilte die Befehle. Mindestens zwei Stunden lang würde sie nicht denken müssen. Zwei Stunden einen leeren Kopf. Zwei Stunden, ohne sich an ihren Mann Jan zu erinnern, der am Nachmittag bei ihr ein paar Dinge holen würde, die er benötigte. Warum ausgerechnet an einem Sonntag? Wenn jemand wusste, wie ungeeignet ein Sonntagnachmittag für so triste Aktionen war, dann ein Lehrer wie er, dem bewusst war, welche Melancholie den letzten Stunden des Wochenendes innewohnte. Die Wunden der Trennung waren noch weit offen und dem Virus der Sonntagstraurigkeit schutzlos ausgeliefert.

Seit der Entscheidung waren drei Wochen vergangen.

»Wir brauchen Zeit.«

»Ja, natürlich.«

Keiner hatte den Mut gehabt, zu fragen, wofür.

Drei Wochen. Sie war eben von einem Urlaub ohne ihn in Tschechien und Ungarn zurückgekehrt. Ihre Freundin Iris und sie, zwei Wochen von Kurbad zu Kurbad. Die schönsten Bäder und Schwimmbecken, die sie je gesehen hatte.

»Dekadent«, sagte Iris jedes Mal, wenn sie einen weiteren gekachelten Raum im Jugendstil mit von tempelwürdigen Säulen gestütztem Gewölbe betreten hatten. Einmal wurden sie von Nymphen, Faunen und Weinblättern, ein anderes Mal von Blumenmotiven und verspielten Mäandern oder sonstigen Geometrien empfangen.

»Dekadent«, echote Cornelia, bevor sie in Karlovy Vary, Prag, Budapest in ein Schwimmbecken tauchte.

Das Wasser entleerte einem den Geist, machte die Menschen zu glücklichen Protozoen, die keinen anderen Wunsch hatten, als sich von der einhüllenden Flüssigkeit auf die eine und die andere Seite tragen zu lassen.

Während sie umdrehte und in einem Budapester Freiluftbad zu einer weiteren Länge ansetzte, dachte Cornelia, es gebe kaum absurdere, willkürlichere Betätigungen, als in einem Becken hin und her zu schwimmen.

»Da fallen mir noch viele weitere ein«, hatte Iris aus ihrem Liegestuhl heraus geantwortet, als sie ihr das in einer Pause gesagt hatte.

»Stimmt.« Sie schaute einer Gruppe Badegäste zu, die im Wasser auf schwimmenden Brettern eine Partie Schach spielten.

Nach dem Urlaub hatte sie ihrem Mann erzählt, was mit Leopold vorgefallen war.

»War es nur dieses eine Mal?», fragte er.

»Ja.«

Das stimmte, als sie es ihm sagte. Ebenso wenig war es gelogen, als sie behauptete, sie werde Leopold nicht mehr außerhalb der Arbeitszeit sehen – in diesem Moment war sie überzeugt davon. Trotzdem schlug sie ihm eine befristete Trennung vor.

»Wir brauchen Zeit«, hatte sie vor drei Wochen gesagt.

»Ja, natürlich.«

Eine Gruppe Mütter war stehen geblieben, um ihre Kinder auf das Boot aufmerksam zu machen. Drei Knirpse winkten ihnen zu. Der Vierte überließ es in seiner Gleichgültigkeit der Mutter, seine Hand zum Gruß zu schütteln.

Rudern ist beinahe wie schwimmen.

Zwei Stunden ohne einen Gedanken an Leo.

Die Party auf dem Präsidium war schon fast zwei Monate her. Sie ermittelten damals in einem sehr dringenden Fall, was sie daran hinderte, über diese Nacht zu sprechen, oder vielmehr gestattete der Fall es ihnen, nicht darüber zu sprechen. Zunächst war sie diejenige, die sich hinter der Arbeit verschanzte; danach, als der Fall gelöst war, verschwand er für mehrere Tage. Beider Handys blieben stumm. Auch während der zwei Urlaubswochen mit Iris.

Die Wiederbegegnung war unvermeidlich gewesen.

Am ersten Arbeitstag nach dem Urlaub war sie mit weichen Knien an Leopolds Büro vorbeigegangen. Sie erspähte ihn aus dem Augenwinkel und entnahm seinem Zusammenzucken, dass auch er sie gesehen hatte. In den ersten Stunden schaffte sie es, ihm aus dem Weg zu gehen. Immer war jemand da, immer gab es irgendetwas zu tun. Bis am Mittag viele in Richtung Kantine entschwanden, auch Reiner Terletzki. Sie blieb allein im Büro, ja fast im ganzen Flur.

Da erschien Leopold auf der Schwelle, die Hände in den Jeanstaschen.

»Willst du mir bis zur Pensionierung aus dem Weg gehen?«

Sie konnte sich nicht mehr an ihre Antwort erinnern, sicherlich nichts Denkwürdiges. Kurz darauf war sie mit ihm in einem Hotelzimmer. Den Rest der Woche versuchten sie, einander aus dem Weg zu gehen, und das Wochenende verbrachte Cornelia allein.

Morgen wieder mit Leopold auf dem Präsidium arbeiten. Na und? Nichts. Was nach der Party zwischen ihnen geschehen war, war ein Ausrutscher gewesen. Ein Zeichen. Das war es gewesen – das Vorgefallene war ein Zeichen dafür, dass es mit ihrer Ehe zu Ende ging. Es hatte ihr einen Grund gegeben, das zu akzeptieren. Das mit Leo war und blieb eine Bettgeschichte. Schlimmer noch, eine Sofageschichte. Also auch noch lächerlich.

Kopfschüttelnd versuchte sie es aus dem Gedächtnis zu streichen. Nichts, nichts, nichts. Das war zu Ende. Eine Stimme im Bug riss sie aus dieser Spirale heraus.

»Cornelia, du gerätst aus dem Takt.«

Das hat man davon, wenn man denkt.

Im Takt und ohne schneller oder langsamer zu werden, glitten sie unter dem Holbeinsteg durch, danach unter der Friedensbrücke, und dann ließen sie die luxuriösen Wohnhäuser hinter sich zurück, die die alten Hütten am Westhafen ersetzt hatten. Sie fuhren auf den Sandstrand von Niederrad zu.

Dieselbe Strecke, die drei Wochen zuvor auch Nicole Eulenbergs Leiche zurückgelegt hatte. Die Arme hatten ihr gefehlt. Vielleicht lagen sie auf dem Flussgrund, möglicherweise genau unter dem Boot mit den vier Ruderinnen und der Steuerfrau, die mit ihren Schlägen beharrlich den Fluss aus seiner sommerlichen Siesta wecken wollten.

Doch in diesem Moment wusste Cornelia noch nicht, dass wenige Stunden später die Leiche auftauchen und in den Gebüschen am Südufer hinter der Autobahnbrücke hängen bleiben würde. In diesem Moment ließ sie sich wieder vom gleichmäßigen Rhythmus der Ruder davontragen.

OHNE ARME

Der Fall Nicole Eulenberg erwartete sie am Montag. Ein Rentner, der am Sonntagnachmittag mit einem Metalldetektor und seinem Hund vorbeispaziert war, hatte die Leiche entdeckt.

»Sie hatte keine Arme, und ich dachte erst, sie ist eine Schaufensterpuppe«, hatte er der Polizeistreife gesagt, die auf seinen Anruf hin gekommen war. »Ich habe nichts angerührt. Als ich sah, dass es ein Mensch ist, habe ich auch Rocky nicht in die Nähe gelassen. Es ist eine Frau, nicht wahr? Armes Ding.«

Zwei Fotos von der Toten waren am linken Rand der Pinnwand in dem Raum befestigt, wo sich das Ermittlungsteam zusammengesetzt hatte. Eins zeigte das helle Gesicht einer Frau von zweiundzwanzig Jahren mit blondem Kurzhaar, riesigen blauen Augen und Stupsnase. Auf dem anderen Bild war das Haar länger, schmutzige Strähnen fielen ihr auf die Schultern, die Augen waren geschlossen und die Nase eine formlose Masse Fleisch mitten im Gesicht. Wie immer bei Wasserleichen hatte sich die Haut grünlich verfärbt.

Ein drittes Foto rechts auf der weißen Fläche zeigte den Ort, an dem die verstümmelte Leiche Nicole Eulenbergs gefunden worden war, Betriebswirtschaftsstudentin, zweite Tochter eines mittelständischen Ehepaars; ordentliche Noten, weder brillant noch schlecht, mittelmäßig eben; ein großer Freundeskreis, einige von der Schule, einige von der Uni, andere vom Studentenheim; ein Exfreund, von dem sie sich ein Jahr zuvor getrennt hatte, als er nach Hamburg an die Universität gegangen war; unspektakuläre Hobbys, ein bisschen Musik, Discos; als kleines Mädchen Pferde, wie bei vielen Töchtern der Mittelklasse.

Sie war vom Schambein bis zum Hals längs aufgeschlitzt worden. Um sich der Leiche auf sicherem Weg zu entledigen, hatte man sie mit Gewichten beschwert, höchstwahrscheinlich mit Steinen oder Sandsäcken an den Knöcheln und am Abdomen.

»Das haben sie alles post mortem gemacht«, sagte Winfried Pfisterer am Montagvormittag. »Die definitive Todesursache kann ich euch morgen sagen, aber ihr könnt euch vorstellen, worum es geht.«

Sie konnten es sich mehr als nur vorstellen, sie wussten es.

Nach einer ersten Einschätzung des Pathologen hatte die Leiche zwei oder drei Wochen im Wasser gelegen, ehe sie auftauchte und in Niederrad strandete. Der Trick mit den Steinen war nicht sehr erfolgreich gewesen.

»Das erinnert mich an das Märchen vom Wolf mit dem Bauch voller Steine«, sagte Cornelia zu ihren Kollegen.

»Rotkäppchen?«, fragte Leopold.

»Nein. Das mit den sieben Geißlein«, sagte Reiner.

»Endet Rotkäppchen nicht auch so?«, fragte Cornelia.

Reiner sagte nichts, kritzelte aber etwas in ein Notizbuch. Zweifellos würde er abends zu Hause die Märchen der Brüder Grimm aus dem Regal ziehen, um sich zu vergewissern. Ob er seinen Zwillingen diese brutalen Erzählungen vorlesen würde, wenn sie ins Märchenalter kämen? Mit angsteinflößenden Botschaften aufgeladene Geschichten, stets den Zeigefinger mahnend erhoben – geh nicht in den Wald, sprich mit keinem Fremden, gehorch immer deinen Eltern, mach keinem Unbekannten die Tür auf.

Sie kamen auf Nicole Eulenbergs Tod zurück. Die Leiche war nackt gewesen, und wenn diejenigen, die sie in den Fluss geworfen hatten, nicht allzu beschränkt waren, hatten sie ihre Habseligkeiten in einem Abfallcontainer verschwinden lassen. Nur dank des Fotos auf der Vermisstenanzeige ihrer Familie hatten sie sie schnell identifizieren können.

»Wir dachten, sie sei in den Vereinigten Staaten. Sie hatte Freunde dort und sagte, sie wäre eine Woche bei ihnen in Chicago und würde dann noch zwei, drei Tage in New York bleiben«, erzählte ihnen der Vater.

»Wann haben Sie gemerkt, dass irgendwas nicht stimmt?«

»Einen Tag, nachdem sie hätte zurücksein sollen. Sie hat sich immer gemeldet, wenn sie von einer Reise zurückkam. Sie war sehr verantwortungsbewusst. Sie hat uns vor der Abreise und dann zweimal aus den USA angerufen«, sagte die Mutter.

»Oder woher auch immer«, ergänzte der Vater bitter.

Er hatte darauf bestanden, seine Tochter im Leichenschauhaus zu sehen. Das Fehlen der Arme hatte man vertuschen können, aber der Zustand des Gesichts konnte weder darüber hinwegtäuschen, dass sie lange Zeit im Wasser gelegen, noch darüber, dass das Schiff, das ihr auch die Arme abgerissen hatte, sie entsetzlich zugerichtet hatte. Man hatte ihm abgeraten, die Tochter zu sehen, und ihm vorgeschlagen, ihnen Röntgenaufnahmen des Zahnarzts vorzulegen, die ihre Identität bestätigen konnten, doch Nicole Eulenbergs Vater brauchte diesen Keulenschlag, um ihren Tod zu begreifen.

»Haben Sie in letzter Zeit den Eindruck gehabt, sie habe sich verändert?« Cornelia stellte die Routinefrage.

Zunächst verneinten sie. Der Vater, die Mutter, die Schwester, zwei Jahre älter als Nicole. Dann begannen sie sich an Einzelheiten zu erinnern, andere Kleider, eine andere Frisur, Wortkargheit.

»Vielleicht hatte sie ja einen Jungen kennengelernt«, mutmaßte der Vater.

»Ja, sie hatte einen Mann kennengelernt«, bestätigte die Schwester. »Mehr hat sie mir aber auch nicht gesagt.«

»Merkwürdig«, sagte die Mutter, »dir hat sie doch sonst immer alles erzählt.«

»Sie hat wirklich nicht mehr gesagt«, wiederholte die Schwester, als Cornelia insistierte.

Sie glaubte ihr.

Wenn Nicole Eulenberg einen Mann kennengelernt hatte, dann musste es sich um jemanden gehandelt haben, der es aus irgendeinem Grund nicht wert gewesen war, dass sie mit ihrer Schwester über ihn sprach.

Sie fragte die Eltern nicht, ob sie ihr Rotkäppchen hatten, als sie noch klein war.

»Man liest uns allen diese Märchen vor, und da könnt ihr sehen, wozu es gut ist«, sagte sie zu ihren Kollegen.

Um auf dem Grund des Mains zu enden, den Bauch voller Steine.

»Wie der Wolf im Märchen mit den sieben Geißlein«, sagte Reiner.

Am Abend suchte sie im Bücherregal die Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm, eine Ausgabe, die sie mit Jan auf einer Reise nach Kassel gekauft hatte. Eine grauenhafte Reise, an die sie sich aber beide voller Zärtlichkeit erinnerten. Staus, eine falsche Autobahnausfahrt, der falsche Tag, um sich die Wasserspiele auf der Wilhelmshöhe anzuschauen, und Regen. Und dennoch ein wundervoller Tag, weil sie ihn gemeinsam verbracht hatten. Vor dem Regen hatten sie sich in ein Café geflüchtet, mit einer illustrierten Ausgabe der Grimm’schen Märchen, die sie in einer Buchhandlung im Zentrum erstanden hatten. Jeder hatte dem anderen das Lieblingsmärchen seiner Kindheit vorgelesen.

»Frau Holle«, hatte Cornelia gesagt.

»Rumpelstilzchen«, hatte Jan gesagt, der das Buch nach der Trennung anscheinend mitgenommen hatte.

Auch die Andersen-Märchen fand sie nicht. Da fiel ihr ein, dass dieser Band bei ihren Eltern in Offenbach geblieben war. Sie würde ihn beim nächsten Besuch mitnehmen, sie hatte Lust, diese in nordische Melancholie getauchten Geschichten noch einmal zu lesen, die weder die Brutalität noch die Botschaften der Grimm’schen Märchen hatten. Letztere waren Jans Favoriten, weil seine Eltern sie ihm als kleinem Jungen abends vorgelesen hatten, eine Woche lang die Mutter, eine Woche lang der Vater. Wenn sie nicht gerade unterwegs gewesen waren. Sie waren beide Zoologen und ständig auf Reisen, um für verschiedene Zoos Tiere einzukaufen. Jan hatte sie verloren, als er noch sehr jung war; die Märchen der Brüder Grimm waren Erinnerungen an ihre Stimmen. Ihr dagegen waren die von Hans Christian Andersen haftengeblieben, es waren die ersten »richtigen« Texte, die sie gelesen hatte, das erste eigene Buch, an das sie sich erinnern konnte.

Ja, sie wollte es holen und damit eine der Lücken füllen, die Jan in den Regalen hinterlassen hatte.

Für diesen Abend zog sie Tausendundeine Nacht hervor. Sie hoffte, es sei kein schlechtes Omen für die noch bevorstehenden schlaflosen Nächte, und nahm das Buch mit ins Bett. Gegen zwei konnte sie einschlafen. Um vier drangen durchs offene Fenster mürrische Stimmen in ihren Schlaf ein.

»... musst du eigentlich immer das letzte Wort haben?« Es war eine zornige, schrille Frauenstimme.

»Du hättest es natürlich lieber, stimmt’s?«, antwortete eine Männerstimme.

»Klar, wenn ich recht habe.«

»Nur deshalb möchtest du recht haben, was?«

Sie hörte, wie sich ihre schnellen Schritte entfernten. Wie lange mochten diese Gesprächsfetzen gedauert haben? Eine halbe Minute, vielleicht weniger, aber sie raubten ihr zwei Stunden Schlaf – eine halbe Stunde beim Versuch, wieder einzuschlafen, und, nachdem sie das aufgegeben hatte, eine Stunde mit Lesen und die letzte halbe Stunde mit Einschlafen.

Was überwog: die Stunden, in denen sie schlief, oder die, in denen sie wach lag? Die Ringe um die Augen und die schweren Lider wiesen auf letzteres hin.

Am Mittwochvormittag füllten die Aussagen von Nicole Eulenbergs Studienkollegen und Professoren zwei Aktenordner. Cornelia und Reiner saßen sich an Cornelias Schreibtisch gegenüber und gingen die Formulierungen durch, die gefallen waren.

»Sie war ein sehr guter Mensch.«

»Sehr nett.«

»Ein sehr angenehmes junges Mädchen.«

»Nicole Eulenberg war eine fleißige, korrekte Studentin.«

»Sehr aufmerksam und konstant.«

»Nicole war unkompliziert.«

»Ich würde nicht unbedeutend sagen, das ist nicht das Wort.«

»Unaufdringlich. Genau, sie fiel nicht besonders auf.«

Kopfschüttelnd las Cornelia die Aussagen.

»Grau, grau, grau.«

»Was hast du?«, fragte Reiner. »Grau?«

»Nicole Eulenberg ist viel zu grau. Zu flach. Wo sind denn die Schatten? Hatte sie keine Ecken und Kanten?«

»Na ja, offenbar war sie ein ganz normales junges Mädchen.«

»Du sagst es selbst: offenbar. So normal, so fade kann gar niemand sein.«

»Warum denn nicht?«

»Weil das gegen die menschliche Natur ist. Wir haben alle irgendwelche Manien und geheime Leidenschaften.«

»Ah ja?« Reiners spöttischer Ton war nicht zu überhören, aber sie ging nicht darauf ein.

»Ein stilles Wasser. Ein gutes, nettes, angenehmes, unkompliziertes junges Mädchen. Ein stilles Wasser. Allen erzählt sie, dass sie nach Chicago und New York fährt, ja sie tut so, als riefe sie von dort aus an, dabei ist sie in Kolumbien.«

In Bogotá, wie das Anrufregister der Telefongesellschaft zeigte. Zwei verschiedene Telefonnummern, unter denen sich niemand meldete. Nachdem sie die Passagierlisten der Flüge in die Vereinigten Staaten kontrolliert hatten, ohne ihren Namen zu finden, hatten sie sie in einem Flug aus Bogotá ausfindig gemacht.

»Und dann taucht sie mit offenem Bauch im Fluss auf.«

Alle konnten sich vorstellen, was geschehen war. Trotzdem hatten sie in verschiedene Richtungen ermittelt, aber sowohl Beziehungsmotive wie Diebstahl waren unwahrscheinlich. Einige eher abwegige Hypothesen, versuchte Entführung etwa, hatten sie fast im selben Moment wieder verworfen, wie jemand sie aufbrachte.

Die Bestätigung dessen, was sie seit Auftauchen der Leiche vermuteten, kam kurze Zeit später mit Leopold.

»Hier ist endlich der Obduktionsbericht.«

»War aber auch Zeit! So lange hat Pfisterer noch nie gebraucht.«

Sie riss ihm die Papiere beinahe aus der Hand. Sie brannte so sehr darauf, das Ergebnis der Autopsie zu erfahren, dass ihr bei Leopolds Eintreten etwas weniger unbehaglich war als sonst.

»›Ein Fehler bei der Urlaubsplanung‹, hat er gesagt. Sie sind völlig unterbesetzt«, erklärte Leopold, aber seine Kollegen hörten ihm gar nicht mehr zu.

»Überdosis«, las Cornelia laut.

Der Obduktionsbericht besagte, dass sie an Multiorganversagen gestorben war, bedingt durch eine Überdosis, nachdem ein Paket Kokain in ihrem Magen geplatzt war. Dann hatte man sie aufgeschlitzt, um an die in Latexkapseln in ihrem Körper steckende Schmuggelware zu kommen. All das war vermutlich kurz nach der Landung passiert, noch bevor sie die Droge ausscheiden konnte.

»Also war Nicole Eulenberg eine Drogenkurierin?«, sagte Reiner.

»Genau. Eine deutsche Körperschmugglerin, eine Schluckerin.«

DEUTSCHE SCHLUCKERINNEN

»Wir haben auch schon Fälle von deutschen Drogenkurierinnen gehabt«, sagte Hauptkommissar Wolfgang Rossmann vom Drogendezernat. Er und Oberkommissar Heiko Sulima hatten sich der Ermittlung angeschlossen.

Rossmann war in Reiners Alter, vielleicht sogar älter als er, aber bei seiner adretten Erscheinung, die ihn wie einen Herzensbrecher aus einem Film der vierziger Jahre aussehen ließ, war es schwierig, sein Alter genauer zu schätzen. In seinem sorgfältig nach hinten gekämmten, mit Gel fixierten Haar mischten sich Grautöne mit dunkelblonden Reminiszenzen.

Bis dahin hatte sich Cornelia höchstens zweimal mit ihm unterhalten. Vor ihrer ersten Besprechung zu dem Fall fragte sie sich, ob sie sich wohl mit einem der Probleme konfrontiert sähe, die sich manchmal mit älteren Kollegen ergaben, denen es unangenehm war, mit einer Frau zusammenzuarbeiten. Nichts dergleichen. Kein väterlicher Tonfall, keine dummen Witzeleien.

Rossmann begrüßte sie mit kräftigem Händedruck, hörte sich aufmerksam ihren Bericht an, stellte ein paar Fragen, machte sich Notizen und begann, sobald er alle Informationen beisammen hatte, neue Fakten beizutragen.

»Die Arbeitsweise der Drogenkurierinnen beobachten wir schon seit einiger Zeit. Anfänglich war es üblicher, die Ware am Körper zu transportieren, in Leibbinden, die mit Drogen gefüllt waren, aber dann kam das mit den Körperschmugglerinnen. Sie haben alle etwas gemeinsam: Es sind junge Mädchen, die, sagen wir, sehr nordeuropäisch aussehen, so wie die hier. Die sind weniger verdächtig.«

»Wenigstens bis vor kurzem«, ergänzte Heiko Sulima, sein jüngerer Kollege.

Es sollte sich zeigen, dass er es war, der mit ihr Probleme hatte. Anscheinend musste das einfach so sein, rein statistisch betrachtet. Das hatte ihr bereits eine Kollegin gesagt, Kommissarin Uschi Obersdörfer von der Jugendkriminalität.

»Fünf.«

»Fünf?«, hatte Cornelia mit einem Blick auf Uschis ausgestreckte Wurstfinger gefragt.

»Einer von fünf Typen macht Probleme.«

»Hast du das in einer Studie gelesen?«

»Nein. Feldforschung. Fünf. Und sollte es einmal nicht so sein, dann kriegst du beim nächsten Fall zwei.«

»Oder du bekommst meine ab«, hatte Cornelia geantwortet.

»Du bist ja echt witzig.«

Heiko Sulima war jünger als sie, wohl noch keine fünfunddreißig. Nicht sehr groß, auch nicht sehr kräftig, wirkte er dennoch sehr schwer, gleichsam kompakt. Das sehr kurze Haar zeigte bereits die Lichtungen beginnenden Haarausfalls. Er hatte sich mit seinen Kenntnissen über die Arbeitsweise der Drogenhändlerringe in Deutschland einen Namen gemacht. Seit drei Jahren war er in Frankfurt, zuvor hatte er in Düsseldorf gearbeitet, wo er Erfahrung in der Verschiebung von Drogen zwischen den Grenzen Hollands, Belgiens und Deutschlands gesammelt hatte, vor allem, was die im Allgemeinen von türkischen Banden kontrollierten Routen des Heroins betraf.

Die ganze Besprechung lang hatte Sulima sie keines Blickes gewürdigt. Sie hatte seine großen dunklen Augen sehen können, wenn er sich an den neben ihr sitzenden Reiner wandte, den er auf Grund seines Alters und Geschlechts anscheinend für den Verantwortlichen hielt und dem er jetzt erzählte:

»Viele Kuriere werden schon bei der Zwischenlandung in Madrid geschnappt. Die Beamten erkennen sie auf den ersten Blick. Kein Passagier sieht nach einem Flug in der Touristenklasse von Lateinamerika besonders frisch aus, aber die Kuriere bieten einen noch sehr viel schlimmeren Anblick. Sie haben stundenlang nichts gegessen und getrunken, haben stark gerötete Augen und riechen. Drogenkuriere verströmen einen ganz charakteristischen Geruch.«

Obwohl sie diesen Geruch nicht kannten, rümpften die Kommissare aus dem Morddezernat die Nase.

»Eine trainierte Drogenschmugglerin kann zwischen achtzig und neunzig Päckchen im Magen transportieren«, fügte Rossmann hinzu.

»Der bisherige Rekord liegt bei hundertachtzig«, sagte Sulima.

»Na ja, in diesem Fall waren es die kleinen, die zu fünf Gramm. Einmal haben wir einen mit hundertvierundvierzig normalen geschnappt, von denen zu zehn.«

»Das sind die, die ihr erwischt habt«, präzisierte Leopold.

»Natürlich. In diesen Kreisen munkelt man aber auch von legendären Kurieren«, fuhr Rossmann fort. »Einer soll mit hundertachtzig Päckchen zu zehn Gramm durchgekommen sein. Aber ich bin sicher, das ist einfach eine moderne Sage.«

»Wie lange dauert es, bis man eine solche Ladung ausgeschieden hat?«, fragte Cornelia.

Sie verspürte einen gewissen Druck im Unterleib und vermutete dasselbe auch von ihren Kollegen.

»Mit einem guten Abführmittel etwa vierundzwanzig Stunden«, sagte Rossmann, »aber es gibt welche, die brauchen zwei Wochen, und in Extremfällen hat man einen Chirurgen bemühen müssen.«

Der Druck in der Magengegend nahm zu.

»Dieses junge Mädchen da war eine Anfängerin«, Sulima zeigte auf Nicole Eulenbergs Foto an der Pinnwand. »Sie hat sicher nicht mehr als fünfzig Päckchen transportiert. Die Haaranalyse zeigt einen sporadischen Kokainkonsum, und das erst in letzter Zeit. Nach dem zu schließen, was ihr erzählt, dürfte es ihr erster Transport gewesen sein.«

»Und auch der letzte«, sagte Cornelia.

»Was bringt ein junges Mädchen wie Nicole Eulenberg dazu, mit dem Magen voller Kokainpäckchen zu enden?«, fragte Leopold.

»Ein Mann«, antwortete Reiner. »Dieser Freund, von dem sie nicht einmal ihrer Schwester etwas erzählen mochte.«

MÄNNER

Am Sonntagnachmittag übermannte sie nach einer arbeitsintensiven, schlaflosen Woche die Müdigkeit. Kurz nach der Rückkehr von ihren Eltern nickte sie auf dem Sofa ein, bis drei Stunden später das Klingeln an der Tür sie weckte. Es war Iris. Sie blieb im Treppenhaus stehen.

»Kommst du rauf zum Tatort

Iris wohnte einen Stock höher, im dritten.

»Süß oder salzig?«, fragte Cornelia.

»Salzig. Bei dieser Hitze hab ich ein paar Bier in den Eisschrank gestellt.«

»Ich komm gleich rauf.«

Cornelia holte in der Küche zwei Tüten Kartoffelchips. Eine nur mit Salz, die andere mit Paprika, Iris’ Lieblingschips. Immer wenn sie Chips mit dieser Geschmacksnote sah, erinnerte sie sich an Johannes Sperber. Diesen Fall hatte sie kurz vor ihrem Urlaub abgeschlossen. Wie lange war das her? Noch keine zwei Monate. Und doch, wie weit schien er zurückzuliegen. Wie all ihre Toten würde sie auch Johannes Sperber, der charismatische, attraktive Werber, für immer begleiten. Aber bei ihm war es besonders intensiv, sie hatte ihn noch lebend gekannt und sich mit ihm unterhalten, und nun schwebte sein Geist auf Grund eines oberflächlichen Gesprächs – oder gibt es vielleicht etwas noch Oberflächlicheres, als über die verschiedenen Geschmacksrichtungen von Chips zu sprechen? – über den Snackregalen der Supermärkte und den Büdchen: »Während unserer ganzen Pubertät und Jugend«, hatte Sperber gesagt, »haben wir die falschen Chips gegessen.« Die mit Paprikageschmack, wie sie sie jetzt aus einem Küchenschrank zog, zusammen mit Johannes Sperbers Geist. Eigentlich, dachte sie beim Hinaufgehen, blieb jeder Verlust in irgendeiner Kleinigkeit haften, an einem alltäglichen Gegenstand oder einer Bewegung, die nun für immer melancholisch eingefärbt war.

Iris hatte schon alles für einen Fernsehabend vorbereitet. Schalen mit Knabbersachen und Bier. Dass sich Cornelia entgegen ihrem Vorsatz nach dem Urlaub wieder mit Leopold getroffen hatte, sah sie eher entspannt.

»Zerbrich dir doch deswegen nicht den Kopf. Warum solltest du dir das nicht gönnen?«

»Ich gehöre nicht zu denen, die sich ›etwas gönnen‹.«

»Ja natürlich, lieber in Schwarz und leidend, wie auf den Bildern von El Greco.«

Cornelia lachte und öffnete eine Flasche Bier.

Offenbar machte es Iris Spaß, wenn sich Cornelia ein wenig unbehaglich fühlte.

»Wo hat er denn deiner Meinung nach all das gelernt, was du mir erzählst?«, fragte sie sie.

»Wie soll ich das wissen? Von einer Freundin. Oder vielleicht hat er’s in einem Film gesehen.«

»Bestimmt nicht in einem dieser Schwarzweißmelodramen, die du so magst. In diesen alten Streifen sieht man so was nicht. Wie viele hast du eigentlich davon?«

»Ich weiß nicht, ich habe sie nicht gezählt. Viele.«

»Ich würde lieber die von deinem Leopold sehen.«

»Warum lachst du?«

»Ich kann mich einfach nicht an den Namen gewöhnen.«

»Ich hätte dir gar nicht erst von ihm erzählen sollen!«

»Weißt du, wie man diese Beziehungen nennt? On – off

So groß ist die Macht des Wortes, dachte Cornelia. Das Wissen, dass es für ihre Beziehung sogar einen Begriff gab, auch wenn er englisch war, machte sie etwas greifbarer. Und auch weniger einmalig.

»On – off«, wiederholte sie laut, während im Fernseher die ersten Takte der Tatort-Titelmelodie erklangen.

Cornelia schlief auf Iris’ Sofa ein, gerade als ihre Fernsehkollegen in Münster eine Leiche untersuchten. Sie wurde erst beim Abspann wieder wach. Dankbar, dass Iris sie hatte schlafen lassen, fragte sie: »Wie viele Tote?«

»Nur noch einer. Weißt du, wie viel sie dafür bezahlen, dass man in einer Tatort-Folge die Leiche spielt?«, fragte ihre Nachbarin.

»Nein. Meine tun’s umsonst.«

»Hundertfünfzig Euro pro Drehtag. Und hundert mehr, wenn man als Leiche nackt ist.«

»Dann waren’s heute die von den billigen. Wenigstens die eine, die ich noch mitbekommen habe.«

»Die zweite auch.«

Sie ging in ihre Wohnung hinunter, löffelte einen Joghurt, da dessen Verfallsdatum am nächsten Tag ablief, und überließ sich dann, diesmal widerstandslos, der Schlaflosigkeit. Schließlich entschlummerte sie mitten in Ali Baba und die vierzig Räuber.

Als der Wecker summte, fühlte sie sich jedoch ausgeruht und bei Kräften. Genug für die Arbeit? Aber selbstverständlich. Genug, um Leopold wieder so nahe zu haben? Das würde sich ja weisen.

Montag.

Pünktlich betrat sie das Sitzungszimmer.

Nicole Eulenbergs riesige blaue Augen schauten sie von der linken Seite der Pinnwand an. Oberkommissar Heiko Sulima hatte die beiden Fotos, vorher und nachher, getrennt und zwischen den beiden eine Lücke offengelassen, in die er das Wort »Freund« geschrieben hatte, das Verbindungsglied zwischen den Bildern.

»Auf Grund unserer Erfahrung angeln sie sich diese Mädchen sehr oft in Salsalokalen«, sagte Wolfgang Rossmann.

Sulima fügte hinzu:

»Deutsche Mädchen stehen auf Latinos, die sind nicht so plump wie die Türken und nicht so fad wie die Deutschen.«

Unwillkürlich musste Cornelia Leopold anschauen, als wollte sie ihm zu verstehen geben: »Du bist nicht gemeint.« Er fing den Blick und die Botschaft auf. Ein schiefes Lächeln entwischte ihm, dann senkte er errötend den Kopf. Auch Cornelia wandte rasch den Blick von ihrem Kollegen ab, als sie bemerkte, dass Reiner zu ihrer Rechten sie beobachtete.

»Und dann sterben sie, während sie für irgendeinen lokalen Dealer mit schönem Hüftschwung den Drogenkurier spielen.«

Ohne etwas von dem mitbekommen zu haben, was sich zwischen seinen Kollegen vom Morddezernat abgespielt hatte, schloss Sulima mit diesen Worten seinen Kommentar.

Nach über zwei Stunden Sitzung beschlossen sie, sich eine Rauchpause zu gönnen, die auch Cornelia gelegen kam. Alle standen gleichzeitig auf, und gleichzeitig eilten alle wie Schüler aufs Pausenzeichen hin zur Tür. Dort geschah, was sie den ganzen Tag hatte vermeiden können – sie stieß mit Leopold zusammen. Die Berührung war wie ein elektrischer Schlag, der sie gegen Rossmann warf, welcher, die Zigarette in der Hand, eilig hinter ihr dem Ausgang zustrebte. Die Zigarette fiel ihm aus der Hand, und er selbst trat auf sie drauf.

»Es gibt subtilere Arten, jemanden dazu zu bringen, das Rauchen aufzugeben«, sagte Reiner.

Obwohl nur Cornelia und Rossmann rauchten, verließen alle fünf das Gebäude und stellten sich hinter dem Präsidium erneut im Halbkreis auf. Wolfgang Rossmann nahm die Zigarette an, mit der ihn Cornelia entschädigte. Sie zog ebenfalls an ihrer und fragte:

»Wie geht es mit der anderen Geschichte?«

»Der mit der Putzfrau? Da gehen wir sehr behutsam vor.«

»Wovon sprecht ihr?«, fragte Reiner.

»Vor drei Wochen ist auf dem Flughafen eine Reinigungskraft zu Tode gekommen, als sie von der Gangway eines Flugzeugs fiel, das aus Lateinamerika kam, genauer gesagt, aus Santiago de Chile. Eine der Stewardessen hatte etwas Verdächtiges beobachtet – sie hatte gesehen, wie eine andere Reinmachefrau etwas aus der Kitteltasche der Frau zog, und hatte dann die Kollegen vom Zoll informiert. Es sieht ganz so aus, als wären wir da auf was Größeres gestoßen, als es im ersten Moment den Anschein machte. Seit zwei Monaten hatten wir eine bedeutende Zunahme der Kokaineinfuhr festgestellt, aber wir wussten nicht, auf welchem Weg es reinkam. Wir haben die Drogenspuren im Kittel der Frau vom Flughafen analysiert, und die Zusammensetzung stimmt mit denen überein, die wir einem der Bodenkuriere abgenommen haben.«

»Also etwas Organisiertes?«

»So sieht es aus, und wir glauben langsam, dass es eine Sache in großem Stil ist.«

»Was werdet ihr tun?«

»Unsere Hypothese geht dahin, dass die Droge mit den Flugzeugen kommt und die Reinmachefrauen wissen, wo sie ist. Aus diesem Grund überlegen wir uns, ob wir jemanden in den Reinigungsdienst einschleusen sollen. Wir sind uns noch nicht ganz sicher, ob das die beste Strategie ist. Wir warten darauf, dass einer unserer Informanten auf etwas stößt, was unsere Theorie bestätigt. Aber es ist schwierig, mehr Einzelheiten herauszufinden. Entweder sind sie noch nicht lange im Geschäft, oder sie wissen, wie sie ihre Leute dazu bringen dichtzuhalten.«

»Aber jemanden einschleusen ... Nicht gerade ungefährlich«, bemerkte Reiner.

»Wir wissen noch zu wenig. Und wir werden alles genau analysieren, bevor wir da jemand einsetzen.«

Leopold zappelte dauernd auf seinem Stuhl. Cornelia war sich sicher, dass er es tat, um sie auf sich aufmerksam zu machen. Sie schaute aber weiterhin Rossmann an und nur zwischendurch das Zigarettenpäckchen.

»Wir haben an eine Kollegin des Stuttgarter Präsidiums gedacht. Sie hat Erfahrung und bringt die richtigen Voraussetzungen mit, um inkognito zu arbeiten.«

»Und das heißt?«, fragte Leopold.

»Sie ist eine sehr ausgeglichene Person, die nicht so leicht die Nerven verliert. Gesetzt auch in ihrem Privatleben. Inkognito arbeiten heißt eine Rolle spielen, das ist eine große psychische Belastung. Ein Schauspieler darf mal eine Vorstellung schmeißen und wird dann ausgepfiffen, bei einer Ermittlung kann einen ein Fehler teuer zu stehen kommen. Unter Umständen ruiniert man die ganze Arbeit – und das ist noch nicht das Schlimmste, was einem passieren kann.«

»Sieht sie denn aus wie eine Reinmachefrau?«, fragte Reiner.

»Wie muss jemand aussehen, um wie eine Reinmachefrau auszusehen?«, fragte Cornelia.

»Was weiß denn ich«, wich Reiner aus, der sensibel genug war, zu ahnen, dass das eine Fangfrage war.

Rossmann lächelte ein wenig verwirrt.

Sie zogen ein letztes Mal an den Zigaretten und kehrten ins Sitzungszimmer zurück. Während sie durch den Flur gingen, gesellte sich Leopold zu ihr.

»Hast du nach der Sitzung einen Moment Zeit?«, sagte er äußerst neutral angesichts der anderen Kollegen.

»Ich fürchte, nein.« Auch sie bemühte sich, keinerlei Gefühl durchschimmern zu lassen.

Leopold gab sich nicht geschlagen. Sanft berührte er ihren Arm und flüsterte:

»Und warum nicht?«

Ihre Antwort war ein dunkles Murmeln:

»Was glaubst du wohl?«

»Schon wieder?«

Wenn einer der Polizisten Leopolds Worte hätte hören können, hätte er sich gefragt, worauf der überdrüssige Ton zurückzuführen war. Nur er und Cornelia wussten, dass sie abermals einseitig ihre Beziehung beendet hatte.

Sie betraten den Raum und setzten sich wieder auf ihre Plätze. Ihre nächsten Schritte würden sie in die Salsalokale führen. Das würden die vom Drogendezernat übernehmen, da sie sie besser kannten. Cornelia und ihr Team würden einmal mehr Nicole Eulenbergs Umfeld durchkämmen.

»Wolfgang«, sagte Cornelia zu Rossmann, »ihr habt es mit zwei Fällen auf einmal zu tun und seid überlastet. Ich glaube, Leo könnte euch verstärken. Was meint ihr?«

Leopold Müller warf ihr einen ungläubigen Blick zu, als ihm aufging, dass sie ihn loszuwerden versuchte. Doch er sagte nichts. Genau mit dieser Reaktion hatte Cornelia gerechnet. Ihr war sehr wohl bewusst, dass das, was sie da mit ihm machte, schmutzig und gemein war. Aber es war nötig. Sie ertrug es nicht, so viele Stunden so eng mit ihm zusammenzuarbeiten. Und es fiel ihr mit jedem Tag schwerer.

DONNERSTAG DER HOFFNUNG

»Das kann ich nicht glauben. Doch nicht Nicole.«

»Stimmt es, was man sich erzählt, dass sie als Drogenkurierin gearbeitet hat?«

»Aber wieso denn? Was hat sie dazu gebracht?«

»Hat sie auch konsumiert? Was? Koks?«

»Wer hätte das gedacht, so bieder, wie die wirkte ...«

»Da denkst du, du kennst jemanden, und dann das ...«

Die abermalige Befragung von Leuten aus dem Bekanntenkreis der Toten förderte nichts Neues über sie zu Tage. Sie konstatierten bloß ein weiteres Mal, dass Nicole Eulenberg es verstanden hatte, parallel zwei vollkommen voneinander abgeschottete Leben zu führen.

Dagegen hatten die Ermittlungen der Beamten vom Drogendezernat zu einigen Ergebnissen geführt. In einem Salsalokal im Ostend hatten mehrere Leute die Studentin auf dem Foto erkannt.

»Eine Kellnerin sagt, da habe sie einen spanischen Namen benutzt«, erzählte Reiner.

»Einen spanischen Namen? Welchen denn? María zur Abwechslung?«

»Esperanza. Die Kellnerin weiß nicht mehr, ob sie sich regelmäßig mit jemandem traf. Esperanza – heißt das irgendwas?«

»Ja, Hoffnung.«

»Da schau her.«

Reiner schüttelte den Kopf, als verstünde er es nicht.

»Esperanza«, wiederholte sie. »Esperanza, Esperanza, solo sabe bailar chachachá

Cornelia begann auf Spanisch vor sich hinzuträllern.

»Was ist das?«

Sie sang weiter. Dann stand sie auf und winkte ihn mit einer Handbewegung in die Mitte des Büros. Reiner gehorchte grinsend. Sie legte ihm die eine Hand auf die Schulter und die seine auf ihre Hüfte. Sie begannen zu tanzen.

»›Te conocí y me enamoré y me ilusioné. Y ahora todo se acabó, al conocer tu fingido amor, que causó dolor a mi pobre corazón.‹«

»Corazón – das hab ich verstanden«, sagte Reiner, während er Cornelias Arme anders platzierte, so dass er führen konnte. Sie ließ ihn gewähren und sang weiter.

»›De nada valen los abriles que he vivido, si de mujeres nunca se sabe. La que no es mala lo aparenta muchas veces. Y la que es buena no lo parece.‹«

Sie drehten ein paar weitere Runden durchs Büro, Cornelia wusste noch den ganzen Text. Sie sang zu Ende, die beiden ließen sich los, verbeugten sich mit gespielter Förmlichkeit voreinander und setzten sich wieder auf ihre Plätze.

»Du bist noch immer in Form, Reiner.«

Ihr Kollege war ein ausgezeichneter Tänzer.

»Und das, obwohl ich nicht mehr getanzt habe, seit Sandra schwanger ist. Was bedeutet der Text?«

Cornelia überhörte seine Frage.

»Wo ist die Aussage der Kellnerin?«

Reiner suchte im Papierstapel und reichte sie ihr. Die Übersetzung von Antonio Machíns Lied musste warten.

»Angenommen, du erinnerst dich daran, dass sich ein deutsches junges Mädchen, das ganz gewöhnlich aussieht, eine aus der Masse, Esperanza nennt, wenn sie Salsa tanzen geht – würdest du dich dann tatsächlich nicht mehr erinnern, mit wem sie das Lokal besucht hat?«

Die Kellnerin hieß Claudia, mochte etwa so alt sein wie Nicole Eulenberg, war Chilenin, hasste Salsa und hatte tatsächlich viel zu erzählen. Aber bei sich zu Hause.

»Im Lokal, so vor allen Leuten, da steht etwas mehr als bloß meine Arbeit auf dem Spiel. Da gibt’s zwei Typen, die einen auf der Stelle grün und blau schlagen.«

Claudia nannte ihnen Nicole Eulenbergs üblichen Begleiter – ein Dominikaner namens José Pardo.

»Er verdreht ihnen vollkommen den Kopf.«

»Und wie?«, fragte Reiner.

Claudia lächelte. »Sie müssen ihn nur tanzen sehen.«

Und sie sahen ihn. Am Donnerstagabend. Aber sie achteten nicht weiter auf seine Bewegungen oder auf sein berechnend aufgeknöpftes Hemd oder das Lächeln, das er wie Manna unters hungrige Volk streute. Sie standen vor dem Mann, der für den Tod von Nicole Eulenberg verantwortlich war, das spürten sie, und sie waren ganz darauf konzentriert, einen Dealer zu schnappen, nicht einen Tänzer.

Sie sprachen ihn auf der Tanzfläche mitten unter den verschwitzten Körpern an und setzten sich, nachdem sie sich ausgewiesen hatten, mit ihm an einen runden Tisch, dessen Gäste verschwunden waren, sowie sie kapiert hatten, dass die dunkel gekleidete Blondine und der bullige Kerl mit dem Bürstenschnitt Polizisten waren. Zwei halbvolle, noch kalte Bierflaschen und die großen, in einem Cuba Libre schwimmenden Eiswürfel belegten es. Von der Stelle, wo José Pardo getanzt hatte, schauten zwei Frauen, sich weiterbewegend, sie unverhohlen an, die eine neugierig, die andere mit unübersehbarem Zorn auf die Polizisten, die Pardo abgeschleppt hatten.

Reiner, links, übernahm die Befragung, während Cornelia zu Pardos Rechten den ohrenbetäubenden Lärm im Lokal nutzte, um sich auf die Bewegungen und die Augen des Dominikaners zu konzentrieren. Das laute Trompeten der Musik isolierte sie von den Nachbartischen.

Als ihm Reiner das erste Foto von Nicole Eulenberg zeigte, eine Kopie dessen, das im Präsidium links an der Pinnwand hing, das Bild, auf dem das junge Mädchen lächelte, bestritt Pardo, sie zu kennen, aber die Schnelligkeit, mit der er die Augen vom Foto abwandte, strafte ihn Lügen. In seinem mürrischen Verhalten lag eine gewisse Scheinheiligkeit. Während des Gesprächs wippte er weiterhin mit den Füßen im Takt, als wollte er zu verstehen geben, dass die Unterhaltung bald zu Ende sei und er sich wieder auf die Tanzfläche begeben werde, wo sein Platz noch immer frei war.

Statt sich zu ihm hinzubeugen, um seine Worte zu verstehen, wandte sich Cornelia deshalb noch mehr von ihm ab, als Reiner das zweite Foto hervorzog, auf dem das verunstaltete Gesicht von Nicole Eulenbergs Leiche zu sehen war. Diesmal blieben Pardos Augen ein wenig länger auf dem Bild haften, und obwohl sie ihn nicht verstehen konnte, sah sie, dass er abermals bestritt, sie zu kennen. Doch er war angespannt, nervös. Das Wippen hatte aufgehört.

Da näherte sie sich ihm:

»Trotzdem wären wir Ihnen dankbar, wenn Sie uns aufs Präsidium begleiten würden.«

Pardo schien sie vergessen zu haben, denn ihr plötzliches Auftauchen rechts von ihm schreckte ihn auf.

Er fragte nichts und erhob sich zahm, als ginge ihn die Musik, die sie einhüllte, nichts mehr an.

Sie hatten eben das Lokal verlassen, als mit Riesenschritten, die bei diesen hohen Absätzen überraschten, eine der beiden Frauen, die zuvor mit ihm getanzt hatten, auf sie zutrat, diejenige, die sie eher neugierig angeschaut hatte. Sie steckte in einem kurzen, hautengen rosafarbenen Kleid. Ohne Cornelia und Reiner zu beachten, wandte sie sich an den Dominikaner:

»Wo gehst du hin?«, fragte sie auf Spanisch mit deutschem Akzent.

»Bin gleich wieder da«, antwortete José Pardo ausweichend.

Cornelia witterte die Chance, zog rasch ihren Polizeiausweis hervor und erklärte der Frau auf Deutsch:

»Señor Pardo muss eine Aussage machen wegen des Todes einer Frau, in deren Magen ein Paket Koks geplatzt ist, als sie die Kurierin spielte. Vielleicht haben Sie sie gekannt, sie hat sich Esperanza genannt, aber ihr richtiger Name war Nicole Eulenberg.« Sie zeigte ihr das Bild der toten Nicole. »Sagt Ihnen ihr Gesicht etwas? Oh, Verzeihung! Vielleicht ist es einfacher mit dem Bild vor dem Trip.«

Sie zog das andere hervor. Entsetzt schaute sich die Frau die beiden Fotos an. Mit dem Finger strich sie über Nicole Eulenbergs lächelndes Bild, und als wäre unversehens in ihrem Inneren etwas explodiert, versuchte sie sich auf José Pardo zu stürzen.

»Du Schwein! Also hast du sie am Ende rumgekriegt? Was für Kunststücke hast du dazu vorgeführt?«

Reiner stellte sich dazwischen und hielt sie zurück. Es hatte sich bereits ein Grüppchen Schaulustige um sie herum gebildet. Cornelia hielt José Pardo kräftig am Arm fest und schob ihn Richtung Wagen, den sie auf dem gegenüberliegenden Gehsteig geparkt hatten. Die kurzgekleidete Frau gab nach.

»Ist ja gut«, sagte sie zu Reiner.

Pardo wandte sich zu ihr um und machte eine vielsagende Handbewegung. Das brachte sie erneut in Rage:

»Drohst du mir etwa, du Mistkerl?« Und zu Reiner: »Nehmen Sie mich mit. Ich will eine Aussage machen.«