Buchcover

Nataly von Eschstruth

Potpourri

Novellen und Erzählungen

Saga

Ihrer Excellenz

der Frau Staatsminister

Auguste von Bernstorff

geb. von Dewitz,

meiner hochverehrten mütterlichen Freundin,

in aufrichtigster Ergebenheit

gewidmet.

Die Verfasserin.

Das Feuer auf dem Berge.

Die Salons des Grafen S. in St. Petersburg waren zu glänzendem Jourfix geöffnet. Die elegante Welt und die Vertreter der Kunst, Uniform und Frack, Fürstenkrone und Bischofsmütze gaben sich hier ein Rendezvous, und die strahlenden Kerzen blickten auf das interessanteste Mosaik hernieder, welches wohl jemals seine launigen Wechselbilder auf dem Petersburger Parkett zusammengeschoben. Heute konzentrierte sich jegliches Leben in dem Musiksaal. An dem gewaltigen Dreieck des Konzertflügels, zurück gelehnt gegen die purpurne Wanddraperie stand eine schlanke Männergestalt, die Geige lässig im Arm, das bleiche Antlitz tief zur Brust geneigt. Langes glanzschwarzes Haar fiel auf Stirn und Schultern, wirr und zwanglos, bis es eine ungeduldige Kopfbewegung zurückwarf, und für Minuten die Stirne freigab, eine hohe, ideale Künstlerstirn. Das war der Stern am Himmel der Kunst, der Mann, welchem Petersburg in nie gekanntem Enthusiasmus zujauchzte, welchem es Lorbeer und Rosen überhoch auf den Triumphwagen seines Ruhmes streute — Sarasne. Heute war der Gefeierte im Salon des Grafen S. erschienen, und, unerhörtes Wunder! er hatte ohne Aufforderung zur Geige gegriffen, er stand wie in tiefem Traume und spielte. Seine Wimpern waren gesenkt, es schien, als ruhe die Starrheit des Schlafes auf den scharfgezeichneten Zügen, in welchen kein Tropfen Blut kreiste, kalt wie Marmor war das Antlitz Sarasnes. Schneller und schneller fliegt der Bogen über die klingenden Saiten, nie gehört in gleicher Vollendung spielt der Künstler seine Meisterstücke, er leistet fast Unmögliches, und wie die Klänge wilder und wilder unter der weissen Hand hervorsprühen, knisternd wie Feuerfunken, jubelnd, brausend, übermächtig in zügelloser Leidenschaft, da heben sich die langen Wimpern, ein einziger Blick bricht aus den dunklen Augen, flammend, durchzittert von unaussprechlicher Empfindung, ein dämonischer Blick.

Nur ein Einziger in dem weiten Saale hatte das Auge des Virtuosen beobachtet. Es war der Kammerherr der Kaiserin, Eugène Baron Melnick. Wie von giftigem Dolch getroffen zuckte er empor, fahle Blässe überzog sein ernstes Antlitz, und sein Blick folgte demjenigen Sarasnes; lang, regungslos haftete er.

Entfernt, an den Portieren der weitgeöffneten Saalthüre, halb versteckt unter den tiefhängenden Blütenzweigen einer Pflanzengruppe, sass Natasche Kalnaffskoi, die Nichte des Hausherrn. Schimmernde Atlasfalten flossen weich auf den Teppich nieder, gleich kräuselnden Wogen, aus welchen still und einsam der schneeige Kelch der Wasserlilie steigt; eine weisse Hand stützte das tiefgeneigte Haupt, umrahmt von dunklem Haar, dessen glänzende Locken als einziger Schmuck um das ovale Antlitz schmeichelten.

Natasche fühlte Sarasnes Blick. Voll und ruhig schlug sie die Augen auf, feuchter Glanz leuchtete darin, eine tiefe, unaussprechliche Bewunderung, und ihr Antlitz, dieses stolze, ernste Frauenantlitz, lächelte. —

In dem Boudoir des jungen Grafen Paul, durch wenige Salons von dem Konzertsaal getrennt, brannten die gedämpften Kuppeln des Lüsters und lösten die tiefen Schatten, welche sich dämmernd über die entfernter stehenden Möbelgruppen senkten.

Das Haupt tief in die Sammetpolster einer Causeuse gedrückt, lag Eugène Melnick. Er regte sich nicht, nur seine Brust arbeitete unter den Atemzügen tiefster Qual. Neben ihm auf dem Boden lag eine Geige, zerrissen ihre Saiten, und der Bogen geknickt.

Da rauschte es wie seidenes Frauengewand neben ihm, zwischen den Portieren stand Natasche.

Melnick verharrte regungslos. Ihr Blick traf den Freund, schweifte über seine gebrochene Gestalt und haftete auf der zerstörten Geige, da blitzte es wie zürnender Unmut aus den stolzen Augen, die Stirn faltete sich und langsam trat sie näher.

„Melnick!“ sagte sie ernst. Er schrak auf, sein wirrer, brennender Blick traf ihr Antlitz. Hastig richtete er sich empor und strich mit der Hand über die glühende Stirn. „Ich gehe schon!“ sagte er dumpf.

Natasche wies auf die Geige. „Wer that das?“ fragte sie leise.

„Ich!“ Sein Haupt zuckte trotzig empor.

„Und warum?“

Da flammte es in seinen Augen. „Weil ich lieber nichts sein will, als ein Stümper!“ rief er ausser sich, „ich ertrage es nicht länger, Sarasnes Erfolge zu schauen, niemals werde ich spielen wie er, niemals werden Sie mir zulächeln wie ihm, niemals werde ich über ihn siegen! Und so ist es besser, ich zerreisse die Saiten, und reisse mich los von ihnen, und von dem süssen, trügerischen Wahn, von dem ganzen elenden Leben!“ und Eugène warf sich in die Polster zurück und presste die zitternden Hände vor das Antlitz.

Ernst und streng blickte Natasche Kalnaffskoi zu ihm nieder.

„Sie haben recht, Melnick, zerreissen Sie die Saiten, weder ich noch je eine andere Seele wird einen Mann bewundern können, welcher sich nicht selber beherrschen kann, wie viel weniger das eigensinnigste Instrument der Kunst!“

Ein erlöschender Blick traf sie aus seinem Auge. „Sie sind grausam, Natasche, und doch gerecht!“ flüsterte er bitter. „Sie nennen mich einen Schwächling, warum setzen Sie nicht gleich hinzu, dass Sie mich verachten? Es passt so schlecht zu Ihrem Charakter, ein armes Herz tropfenweise verbluten zu lassen, brechen Sie es schnell, und zeigen Sie mir, dass Ihnen die Barmherzigkeit doch nicht völlig unbekannt!“

Natasches schmale Hand legte sich schwer auf die Schulter des Sprechenden, weisse Spitzen zitterten um die schlanken Finger, Edelsteine leuchteten purpurn auf, und süsser Veilchenduft umschmeichelte sie, langsam neigte sie das kluge, stolze Antlitz und blickte ihm fest in die Augen.

„Wenn ich Sie verachtete, Melnick,“ sprach sie mild, „so würde ich kein Mitleid für Sie kennen, und fühlte ich kein Mitleid, so würde Natasche Kalnaffskoi viel zu stolz sein, um hier neben Ihnen zu stehen. Wer kennt Ihr wunderliches Herz besser denn ich? Wer las in Ihrer Seele klarer als die Freundin? Ich verstehe Sie, Eugène, und weil ich weiss, dass Ihr Edelmut es verdient, so bin ich wahr zu Ihnen. Sie nennen mich grausam? Blicken Sie auf diese Geige hernieder und sagen Sie mir, ob Sie milde sind? Wer sich in jäher Aufwallung hinreissen lassen kann, sein Liebstes mit Füssen zu treten, der ist mehr wie herzlos, der ist charakterlos! Glauben Sie. Eugène, dass Sie jemals einem Weibe mit solch sinnloser Heftigkeit imponieren werden? Ich verachte es schon an meinen Mitschwestern, wenn sie sich gleich schwankem Rohr von jedem Lebenssturm auf den Boden peitschen lassen, wie viel kleinlicher aber deucht mir erst ein Mann, der sich von seiner eigenen Haltlosigkeit willenlos hin- und herschleudern lässt. Sie sind eine edle, eine grossangelegte Seele, Melnick, ein Adler scheinen Sie mir, ausgestattet mit den stolzesten Schwingen, beseelt von dem hohen Drang, zur Sonne emporzusteigen, und dennoch ratlos am niederen Boden flatternd, weil Sie Ihrer eigenen Kraft nicht vertrauen! O, dass ich Ihnen diese feste, gewaltige Energie in das Herz pflanzen könnte!“

Der Kammerherr der Kaiserin presste die zuckenden Lippen auf ihre kühle Hand. „O, dass Sie mit mir zur lichten Höhe schweben könnten, Natasche, an Ihrer Seite fände ich den Weg!“

Die Russin neigte sich und hob die Geige von dem Boden. „Ziehen Sie neue Saiten auf!“ sprach sie ernst.

Melnick blickte verwirrt empor, er nahm jedoch ohne Entgegnung das Instrument zur Hand und folgte ihrem Geheiss, Natasche trat an einen Seitentisch, öffnete den Violinenkasten des jungen Grafen Paul, und reichte dem Kammerherrn den unversehrten Bogen. „Spielen Sie mir!“ sagte sie kurz, lehnte sich auf einen Sessel und wartete.

„Natasche!“ rief Eugène gequält, „verlangen Sie es heute nicht! nicht jetzt, wo noch die Melodien jenes andern vor meinen Ohren schwirren, dessen Spiel Ihr Lächeln gewann und dessen Meisterschaft ich nie erreiche.“

„Sarasne fliegt voran zur Sonne, Sie sahen den Weg heute, den er nahm — folg’ ihm, junger Adler!“

Der grosse, flammende Blick der Kalnaffskoi ruhte auf seinem Antlitz, und gleichsam, als müsse er empor zu diesen schwarzen Augensonnen streben, fasste Melnick Bogen und Geige und spielte.

Regungslos lauschte Natasche. Eugène spielte keine Komposition, er sprach in Tönen und all dies Hangen und Bangen, Jubeln, Weinen und Seligsein quoll in goldener Melodie aus den Saiten und zitterte durch das kleine Boudoir wie der sehnsuchtsvolle Seufzer: „Lächle auch mir zu, Natasche, strahlt auch mir, ihr Sterne meines fernen Ziels!“ —

Und er liess die Geige sinken und schlug die Hand vor das zuckende Angesicht.

„Melnick!“ klang es leise neben ihm.

Da schaute er empor wie ein Sterbender.

Unter dem Lüster stand Natasche, wie Strahlenglanz floss der lichte Atlas um sie her, das ernste, stolze Haupt war ihm zugeneigt, und das Antlitz lächelte.

„Sie haben den Weg gefunden, Eugène,“ sprach sie leise, „nicht allein Sarasne hat heute abend ein Meisterstück gespielt!“

„Natasche!“ schrie er auf, sank in die Knie und hob die Arme — —

Da winkte ihm die weisse Hand, und das lächelnde Antlitz ward ernster denn je, und die Portieren schlugen hinter ihr zusammen.

Es war im Frühling, die Zeit der langen Tage. Auf den Inseln, der Promenade der eleganten Petersburger Welt, wogte ein endloser Korso von Wagen und Reitern. Im offenen Coupé, allein mit der jugendlichen Cousine, Comtesse Delly S., lag Natasche in hellen Seidenpolstern. Sie neigte sich zur Rechten, um mit der Fürstin K., der gefeierten Komponistin manches reizenden russischen Liedes, deren Wagen dicht an ihrer Seite fuhr, herzliche Begrüssungsworte zu tauschen. Fürstin K. fuhr in Begleitung des jungen Sarasne, welcher, ihr vis-a-vis, gleichgültig, fast unhöflich teilnahmlos sein Haupt in die Hand stützte. Ihm verzieh man alles. Noch immer in gewaltigen Pelz gehüllt, den Hut tief in das bleiche Antlitz gezogen, starrte er regungslos vor sich nieder, unverwandt auf den sammetnen Dolman der Fürstin, dessen goldgestickte Dessins sein Blick mechanisch verfolgte. Plötzlich aber hoben sich die schwarzen Wimpern, sein Auge glühte auf Natasches Antlitz.

„Wann reisen Sie ab, Fräulein von Kalnaffskoi?“ fragte er kurz.

„In wenigen Tagen, wir nehmen längeren Aufenthalt in Ischl.“

Ein Ross parierte an der freien Seite des gräflich S.schen Gefährts und Melnick zog grüssend den Hut. Natasche neigte das Haupt flüchtig gegen ihn, und fuhr zu Sarasne gewandt fort: „Kennen Sie Ischl? Wie freue ich mich auf das Idyll dieser Bergeinsamkeit!“

„Ich werde es kennen lernen,“ entgegnete Sarasne kurz, „ich vollende in nächster Zeit eine neue Komposition; ist sie fertig, reise ich über Ischl nach Paris und spiele sie Ihnen vor.“

„O köstlich! Welcher Art ist das Werk?“ Natasche rief es hastig, ihr Auge leuchtete auf.

„Ich habe es ‚Eifersuchts-Notturno‘ getauft.“ Der Künstler lachte leise, hob mechanisch die bleiche Hand und zog den Pelz fester um sich her.

„Origineller Titel!“ Die Fürstin K. blickte den gefeierten Mann schwärmerisch an und setzte leiser hinzu: „Was können Sie über Eifersucht sagen, Sarasne, ich glaube, es ist dies die einzige Leidenschaft, zu welcher Sie — noch keine Veranlassung hatten!“

„Wer weiss, Fürstin? Mag’s meine Musik beweisen. Ich vergöttere die Eifersucht, denn ohne sie fehlte der Liebe die schärfste Waffe.“

„Inwiefern?“ Natasche hob mit fragendem Blick das stolze Haupt.

„Ist ein Herz aus Eis und Stein gemeisselt, Fräulein von Kalnaffskoi, gleiten Bitten, Beteuerungen und Liebesschwüre wie mattes Mondlicht an ihm ab, dann greift der erfinderische Mensch zu einem Funken, die Eifersucht genannt, streut ihn spielend auf das kalte Herz, und nicht lange währt’s, dann glimmt und zündet es, Unmut, Groll, Bitterkeit und Zorn züngeln mit lichter Flamme auf, um schliesslich Seele und Leib in ein lohendes Meer der Leidenschaft zu verwandeln!“ Sarasnes leise Stimme hatte sich gesteigert, eine fast unheimliche Überzeugung durchklang sie, und der dunkle, dämonische Blick brannte auf den bleichen Wangen Natasches.

„Bravo, Sarasne!“ rief Melnick mit jähem Auflachen, grüsste hastig die Damen, riss seinen Rappen herum und sprengte, an Wagen und Rossen vorbei, die Promenade hinab.

Die Gesellschaftsräume des Hotel Bauer zu Ischl waren der vornehmen Welt zu Spiel und Tanz geöffnet. Sarasne war da; fast zu gleicher Zeit mit ihm war Baron von Melnick in dem Hotel abgestiegen.

In weitem Kreis sassen die russischen Herrschaften, unter ihnen Träger der höchsten Würden, in dem kleinen Salon neben dem Speisesaal. Sarasne lehnte neben dem Sessel Natasches, er neigte sich oft lebhaft zu ihr hernieder, er lachte, scherzte, er war wie umgewandelt, kein Mensch wusste den seltsamen Mann zu deuten.

Fräulein von Kalnaffskoi war zerstreut.

An der weitgeöffneten Balkonthüre stand Madame Wreffsky, die gefährliche, kokette Schönheit Petersburgs. Sie trug eine weisse Bluse, durch deren gesticktes Spitzenmuster das warme Rosa ihrer Sammethaut leuchtete, ein farbiger Seidenrock floss in langen, schmucklosen Falten von den Hüften hernieder, als einzige Zierde glühte die dunkle Rose im Gürtel.

Aschblondes Haar fiel tief in Stirn und Nacken, und ständig wechselnd im Ausdruck, träumerisch von langer Wimper verscheiert, oder in sprühender Leidenschaft voll aufgeschlagen, glänzten die gefeiertsten Augen des Russenreichs in dem ovalen, zartrosa Antlitz.

Neben ihr lehnte Melnick. Er schien sich nicht von ihrem Anblick losreissen zu können, er war der Schatten der schönen Frau. Stundenlang begleitete er sie auf den Promenaden, welche Madame Wreffsky mit Vorliebe zu Pferde in die Umgegend Ischls machte, er sass mit verschränkten Armen neben ihr, wenn die reizende Amazone, hoch auf luftigem Kutschersitz thronend, ihr feuriges Dreigespann durch die Promenaden peitschte, und donnerte das Gefährt an dem Balkon Natasches vorüber, dann flog sein Blick unbemerkt zu ihr empor, und sah er die tiefe, zornige Falte zwischen den Brauen des stolzen Weibes, dann leuchtete es wie Sonnenschein über sein bleiches Antlitz.

Auch jetzt irrte Natasches Blick über all die plaudernden Gruppen zu Melnick hinüber. Er fühlte es, lächelte noch schwärmerischer zu der verführerischen Frau an seiner Seite auf, wies hinaus in das milde, träumerische Mondlicht des Gartens und bot Madame Wreffsky den Arm.

Sie kicherte hinter dem Fächer und hob scherzhaft drohend den Finger, aber sie legte die weisse Hand auf seinen Arm und folgte ihm in das magische Dämmerlicht des Parkes.

Natasche fühlte einen brennenden Schmerz im Herzen, sie lehnte das Haupt zurück und schloss momentan die Augen.

„Es ist entsetzlich schwül hier,“ flüsterte Sarasne mit brennendem Blick zu ihr nieder, „darf ich Sie hinaus in die Anlagen führen, Fräulein von Kalnaffskoi, es ist wunderbar schön, durch blühende Büsche und silbernen Mondschein zu gehen, man träumt die Märchen aus Tausend und einer Nacht.“

Natasche entfaltete gelassen den goldeingelegten Fächer. „Ich danke Ihnen, Sarasne, ich hege im Augenblick nur ein Verlangen, das, Ihr ‚Eifersuchts-Notturno‘ zu hören!“

„Sie sollen es hören!“ und der Künstler wandte sich zur Thür, um seine Geige zu holen.

Wenige Augenblicke und er stand mit fahlen Zügen wieder vor der Kalnaffskoi.

„Ich kann nicht spielen,“ murmelte er mit funkelndem Blick, „ruchlose Hände haben mir den Geigenbogen zerbrochen!“

Wie von einem Dolch getroffen, schrak Natasche empor. „Undenkbar!“ rief sie empört, und dennoch war es, als leuchte ihr Auge auf. „Wer wäre einer solch sinnlosen That fähig! Es kann nur ein Neider gewesen sein, und darum soll seine Absicht nicht gelingen; Herr von Melnick hat sein Instrument bei sich, ich werde ihn bitten, dasselbe für eine Viertelstunde zu leihen!“

„Melnick?“ Sarasne lachte hell auf. „Wohlan, Baronin, versuchen Sie es, ob Melnick mir seine Geige leiht!“

Natasche erhob sich und schritt schweigend in den mondhellen Park hinaus.

Sie ging langsam den Abhang hernieder, der Bach rieselte übermütig durch die blühenden Gebüsche, und hell vom Mond beschienen sah sie Melnick allein auf einer Bank unter den alten Eichen sitzen, von einem Nebenweg herüber schallte die Stimme der Madame Wreffsky, welche von der Fürstin K. zurückgerufen war, um Sarasne spielen zu hören.

Lautlos schritt Natasche näher. Mit eigentümlich forschendem Blick schaute ihr Eugène entgegen.

„Gut, dass ich Sie allein treffe, Melnick,“ sagte sie hastig, „ich komme mit einer Bitte zu Ihnen.“

Der Kammerherr hatte sich erhoben, er stützte sich schwer auf die Bank. „Sprechen Sie!“ sagte er gepresst.

„Man hat Sarasnes Geigenbogen zerbrochen, ich habe mich erboten, Ihr Instrument für seinen kurzen Vortrag zu leihen!“

Melnick lachte, ein bitteres Lachen. „Meine Geige? Scherzen Sie, Natasche? Sie wissen, dass ich Sarasne hasse!“

„Gerade darum, nicht allein ich, die ganze Welt weiss es, und weil jeder sagen wird, Melnick liess sich von seinem Hasse zu dem kleinlichsten Bubenstreich hinreissen, darum hielt ich es für meine Pflicht, einem solchen Gerede vorzubeugen!“

„Wie klug Sie sind, Natasche! so klug, dass Sie ganz genau wissen, dass ich den Bogen in der That zerbrach, weil ich nicht will, dass Sarasne Ihnen sein Notturno vorspielt, weil ich weiss, dass es mich Ihr Herz kostet!“ Eugènes Hand ballte sich, seine Stimme klang heiser vor Erregung.

„Es kann wohl dem Sklaven der Madame Wreffsky gleichgültig sein, an wen Natasche Kalnaffskoi ihr Herz verliert!“ Die Sprecherin wich voll eisigen Stolzes zurück. „Frage ich etwa danach, in welchen Staub Herr von Melnick das seine getreten hat? Auch die Freundschaft hat ihre Grenze, Eugène.“

„Ich liebe Madame Wreffsky nicht!“

„Ich hielt Sie für ein feiges Leugnen zu stolz!“

„Wollen Sie Beweise? Fordern Sie?!“ brauste der Kammerherr auf.

Natasche lächelte schnell. „Beweise! Ich verschmähe sie nicht. Sagen Sie die Wahrheit: Dachten Sie je an mich, wenn Sie in die Augen der Wreffsky sahen?“

„Ja!“ klang es fest und laut von seinen Lippen. „Die Wreffsky war nur der Funken, welchen ich Narr, nach Sarasnes teuflischem Rezept, auf Ihr kaltes Herz streuen wollte, Natasche, und dessen sollen Sie sich überzeugen. Madame Wreffsky erbat sich für morgen abend meine Begleitung zu einem Ritt auf jene Bergesspitze, um die zauberischste aller Landschaften im Mondschein zu sehen. Ich weiss, welcher Gefahr ich mich aussetze, Prinzess Ilse wird an meiner Seite reiten und alle Künste der Bezauberung aufbieten, um ihren Kaiser Heinrich mit weissem Arm gefangen zu halten, die Wreffsky wünscht eine gute Partie zu thun. Dennoch wird Ihr Bild unwankbar in meinem Herzen leben, Natasche! Treten Sie bei anbrechender Dunkelheit auf den Balkon, blicken Sie empor zu jener Bergkuppe, und wenn Sie ein helles Feuer lodern sehen, dann seien Sie überzeugt, dass heiss wie seine Flamme auch meine Liebe treu und ewiglich für Sie im Herzen glüht!“

Er hatte ihre Hände ungestüm an seine Brust gezogen, Natasche entzog sie ihm leise, zitternd.

„Wohlan, Eugène, ich warte auf das Feuer am Berge und ich werde ihm glauben!“

Schritte näherten sich, Comtesse Delly eilte durch die Anlagen.

„Natasche!“ rief sie schon von weitem, „komm schnell, Sarasnes Bogen ist ersetzt, er wird spielen!“

Eine Wolke flog über Melnicks Stirn. „Der Verhasste!“ murmelte er, „ich ertrage es nicht, wenn Sie ihn bewundern, Natasche! Ich bitte Sie, ich flehe Sie an, nicht dieses verklärte, begeisterte Lächeln, wenn er spielt, es frisst an meinem Herzen!“

„Wie kann ein Mann mit Eifersuchtsfunken spielen, Melnick, wenn er selber von ihnen verzehrt wird!“ schüttelte die Russin ernst das Haupt. „Sie quälen sich so unnötig! Ich liebe Sarasnes Kunst, seine Geige bezaubert mich. Spielen Sie wie er, und ich werde Sie bewundern wie ihn!“ —

Eugène presste ihre Hand an die Lippen und schwieg. —

Mattes Lampenlicht dämmerte in dem langen Korridor. Natasche stieg langsam die Treppe empor. Ihr Auge blickte strahlender wie sonst, und die Lippen waren geöffnet, als atme sie in süssem Traum; leise knirschend schleifte der dunkle Seidenstoff auf dem Boden in langer Schleppe, welche die schlanke Gestalt noch stolzer, noch majestätischer denn gewöhnlich emporwachsen liess. Da löste sich ein Schatten aus der Wandnische, Melnick stand vor ihr, bleich, verstört, mit flackerndem Blick.

„Natasche!“ murmelte er zwischen den Zähnen, „hören Sie mich!“

Mit zornigem Laut der Überraschung wich sie zurück, Eugène aber fuhr mit fliegendem Atem fort, ihre Hände mit eisernem Druck umklammernd: „Ich habe alles gesehen, Natasche, Ihren flammenden Blick des Entzückens, Ihren Händedruck, Ihren beredten Dank — o, er ist zu beneiden, der göttliche Sarasne, wie er spielt kein zweiter mehr! Und nun lassen Sie sich sagen, Natasche, dass Ihre Liebe wohl ein Hohes zu erringen, dass mir Ihre Bewunderung aber noch begehrlicher ist! Den höchsten Preis haben Sie noch nicht gegeben, die Rose glüht noch unberührt an Ihrer Brust, und der kühne Sarasne trachtet nach dieser Rose aus Ihrer Hand! Ich gehe, Natasche; jenes Eifersuchts-Notturno wagt wohl keiner dem Sarasne nachzuspielen, ich aber werfe den Handschuh hin, ich will ihn sogar noch übertreffen darin! Und bis ich mein Wort einlösen kann, leben Sie wohl! Das Feuer auf dem Berge soll mein letzter Gruss sein, der Gruss des todwunden Kaiser Heinrich, dem ein Lorbeerreis höher gilt, als der Kuss der Ilse!“ und Melnick presste Natasches Hände in den seinen, schleuderte sie leidenschaftlich zurück und stürmte an ihr vorüber in die Dunkelheit hinein.

Natasche starrte ihm regungslos nach, ihr Herz zitterte in der Vorahnung eines herben Verlustes, und es war ihr zu Sinnen, als müsse sie die Arme öffnen und rufen: „Bleib’ hier, sonst sehe ich Dich niemals wieder!“ Ihre Lippe aber blieb stumm, und sie wandte das Haupt und schritt, wie von schwerem Traum befangen, weiter. —

Wie langsam ward es heute dunkel! Natasche Kalnaffskoi sass auf der einsamen Terrasse, versteckt fast unter den tiefhängenden Klematisranken und Kletterrosen, welche mit zartduftigen Blüten um ihre weisse Stirn schmeichelten. Die Hände im Schoss gefaltet, starrte die Russin hinüber zu dem dunklen Berggipfel, auf welchem noch immer kein grüssendes Feuer aufflammen wollte, und wie Minute um Minute mit bleiernen Flügeln dahinzog, ohne die ersehnte Kunde zu bringen, das zuckte das stolze Frauenherz unter brennenden Qualen, und ihr glanzloser Blick hing in beschwörendem Flehen an den düstern Bergmassen: „Kaiser Heinrich, vergiss mich nicht um einer Ilse willen!“

Aber dunkel blieb es droben, schwarz wie ein Grab, selbst der Mond verbarg sich hinter den aufsteigenden Wolkenmassen, und aus dem Gebirgsthal wehte es wie schwüle, seufzende Gewitterluft.

Da knirschte der Sand der Terrasse hinter der regungslosen Gestalt Natasches, sie wandte aufschreckend das Haupt, Sarasne trat langsam näher.

„Sie sind allein?“ fragte er leise.

Sie stützte die Wange wieder tief in die Hand. „Ja, Sarasne, ich warte auf Madame Wreffsky!“ es zitterte wie ein Hoffnungsschimmer durch ihre Stimme, ach, vielleicht hörte sie, dass er sie gar nicht begleitet! —

„Das wird vergeblich sein“, entgegnete der Künstler, näher tretend; er stand unter der matten Kugellampe und schaute mit rätselhaftem Blick fest in ihr Antlitz. „Madame Wreffsky ist mit dem Kammerherrn in die Berge hinansgeritten, eine einsame, romantische Tour, so allein mit dem schönen Weibe zwischen Himmel und Erde — ich glaube, man wird bei der Rückkehr gratulieren dürfen!“

„In der That? Es wäre ja nicht überraschend!“ Natasches Stimme klang halb erstickt, aber sie lächelte.

„Und Sie würden es billigen, Fräulein von Kalnaffskoi?“ flüsterte er nähertretend.

„Ein jeder ist seines Glückes Schmied!“ entgegnete sie hart; sie sah ihn nicht an, ihr Auge schweifte in verzweifeltem Blick über den dunklen Berg.

Da fasste er jäh ihre Hände, kniete vor ihr und hob die flammenden Augensterne, in welchen eine Welt verzehrender Leidenschaft glühte:

„Natasche“, rief er mit gedämpfter Stimme, „Sie haben recht, man muss sich sein Glück mit eignen Händen schmieden und erringen, und nun, da ich es hier mit kühnem Griff an mich gefesselt habe, nun, da das Eis gebrochen und meine Lippen beredt sind, nun soll mir Gott auch den Mut geben, es für alle Ewigkeit an diese Brust zu schliessen, in dem Geständnis, dass ich Sie liebe, Natasche!“

Wie eine Sterbende starrte die Russin in dieses dämonisch schöne Angesicht, sie wollte die Hände losringen und erhob sich wankend. „Schweigen Sie, Sarasne, reden Sie jetzt nicht von Liebe, wo meine ganze Seele droben auf den dunklen Bergen irrt!“ rang es sich gequält von ihren Lippen.

Fester noch umschloss er ihre Hände. „Droben auf den dunklen Bergen — ist dies nicht schon selbst die Entgegnung auf Ihre Worte? Glauben Sie, Natasche, ich wüsste nicht alles? Jenes Feuer auf dem Berge sollte ein Zeichen der Treue sein, diese schwarze Nacht ringsum ist die sicherste, die furchtbarste Zeugin seines — Vergessens! Schwank und haltlos wie ein Schilfrohr ist Melnick, unentschlossen und verzagt, mutlos in all seinem Handeln, wissen Sie das nicht selber, Natasche, können Sie es leugnen?“

„Nein, ich kann es nicht!“ rief die Russin in schmerzlichster Erregung.

„Und können Sie in der That einen Mann lieben, den Sie kaum achten können?“ fuhr Sarasne mit heissem Atem fort. „Nimmermehr! Ihre stolze, grosse, herrliche Seele kann sich nicht in den Staub knechten lassen, Natasche, kann nicht im Zweifel sein, wenn es gilt, mit dem Genius empor zur ewigen Sonne zu steigen! Sie müssen mir angehören und mein eigen sein, wollen Sie glücklich werden!“

In furchtbarem Kampfe stand Natasche, zitternd flehten ihre Lippen zu dem dunklen Berg empor. Da brach ein greller Blitz durch das düstere Gewölk, flammend wie Feuerwogen umglühte er das Bergeshaupt, ein blendendes, himmelaufzüngelndes Feuermeer tauchte sekundenlang den schwarzen Bergriesen in zauberische Helle, und mit einem jauchzenden Aufschrei, die Hände gegen die schweratmende Brust gepresst, starrte Natasche empor in das Licht, sekundenlang, dann hüllte sie abermals die schwarze Nacht, und der ferne Donner rollte wie majestätische Göttersprache über das Gebirge.

Begeisterte Entschlossenheit strahlte von der Stirn der Kalnaffskoi, sie hob die weisse Hand zum Himmel und wandte das Haupt langsam zu Sarasne.

„Haben Sie das Feuer auf dem Berge gesehen, Sarasne?“ fragte sie laut. „Dieses Feuer, welches der Himmel selbst zur Rechtfertigung Melnicks entflammt hat? In einem Augenblick, da selbst das treueste Herz an ihm zweifeln wollte? Und dieses treue Herz ist das meine, Sarasne, welches Engène liebt trotz all seiner Fehler und Schwächen, und welches ihm zu eigen bleiben wird, ging auch mein ganzes Lebensglück darüber zu Grunde!“ — —

In ihrem Zimmer lag Natasche und weinte sich aus, dann trocknete sie gefasst die Augen, schellte ihrem Kammermädchen und befahl sofort sämtliche Koffer zu packen, da sie morgen mit dem frühesten reisen werde — Zeugin seiner Verlobung konnte sie nicht sein, und darum floh sie davon in die irre, wirre Welt hinein.

Die Zeit zog dahin, mit grauen, gleichgültigen Flügeln, freudlos und leer für Natasche Kalnaffskoi, welche in langem Wanderzug Deutschland, Frankreich und Italien durchschweifte, rastlos und unglücklich, mit sehnsuchtsvollem Herzen. Von Eugène hatte sie keinerlei Nachricht. Verlobt war er nicht, nach Petersburg war er nur für wenige Wochen zurückgekehrt, um alsdann weiter nach Stockholm zu reisen, wie ein flüchtiger Brief des jungen Grafen Paul S. ihr anzeigte, von da ab fehlte jedoch jede weitere Kunde, seine Spur schien völlig verloren. Der russische Krieg brach aus, Graf Paul errang unsterblichen Siegesruhm bei Plewna, und Natasches Seele flog ungestüm über Berg und Thal zu dem kühnen Feldherrn, an dessen Seite wohl einzig der Platz Melnicks war, den Lorbeer des treuen Freundes zu teilen! Ja, Melnick kämpfte für Fürst und Vaterland, und Natasche rang die weissen Hände im Gebet und flehte zum Himmel für sein teures Leben. Und der Krieg ward beendet und das weite russische Reich lag abermals im Frieden, aber von Melnick mangelte nach wie vor jegliche Kunde.

Am Rhein lag eine Villa, umgeben von parkartigem Garten, halb versteckt in blühendem Gebüsch, welches mit sehnsuchtsvollen Ranken zu dem lauschigen Balkon emporkletterte. Weit und silbern glänzte der heilige Strom direkt zu ihren Füssen, am jenseitigen Ufer von den Bergen begrenzt, welche die sanftlieblichen Konturen malerisch gegen das Himmelsblau abzeichneten.

Hierher hatte sich Natasche in wehmutsvolle Einsamkeit geflüchtet, und als der Vollmond so rein und silberschwebend heute durch die stille Juninacht herniederglänzte, da war sie mit krankem Herzen hinaus auf die Veranda getreten, hatte das Haupt in tiefem Traum in die Hand gestützt, und hinüber nach den dunklen Bergen geschaut, bis es in schmerzlicher Erinnerung feucht an den Wimpern zitterte — da plötzlich, ist es ein Traum, ein Wahn — jenseits auf der kahlen Bergesspitze blitzte ein Flämmchen auf, grösser und grösser wächst es empor zum lohenden Feuer, welches wie jubelnder Liebesgruss hellauf zum Himmel flackert. Mit starrem Blick steht Natasche und staunt jenes süsse Rätsel an, aber noch kann sie nicht den Schritt zur Treppe lenken, als dicht unter ihr, an dem Gitter der Terrasse, leise, wunderholde Klänge zu ihr emporzitterten, anschwellend zu brausendem Tempo, seufzend, flehend, wild und leidenschaftlich, das Eifersuchts-Notturno Sarasnes! Regungslos steht das bleiche Weib, die Hände gegen das Herz gepresst, das Haupt mit den geschlossenen Augen zurückgeneigt gegen die duftigen Blütenzweige, lauscht sie dem sinnbethörenden Spiel. Und die Töne ersterben in der weichen Luft, und eine traute, wohlbekannte Stimme klingt durch ihr Echo: „Natasche!“

Da neigte sich ein glücklächelndes Antlitz über die laubige Brüstung des Balkons, eine schlanke Hand bricht die Rose aus den Zweigen, drückt sie an die Lippen und lässt sie sanft zu dem Harrenden herniedergleiten.

Kein Wort sprach Natasche, sie redete auch nicht, als nach wenigen Minuten eine schlanke Männergestalt vor ihr kniete, um das brennende Antlitz auf ihre kühlen Hände zu pressen, aber sie neigte sich, schloss die Arme um den Künstler Melnick und küsste seine Lippen.

Da war sie sein eigen für Zeit und Ewigkeit. Und das Feuer auf dem Berge? Warum Natasche es in jener Nacht in Ischl nicht glühen sah? Wer ein Meisterwerk „Eifersuchts-Notturno“ schreibt, kann dem die Eifersucht wohl fremd sein? Und wer eifersüchtig ist, sollte es dem wohl so fern liegen, einen Führer zu bestechen, das Bündel Reisig, welches auf dem Berge entflammt werden sollte, fatalerweise in das Bergwasser hinabrollen zu lassen?

Sarasne aber war eine wilde, unbändige Künstlerseele, der Sohn eines klugen, gefährlichen Volkes, und er hatte das Eifersuchts-Notturno geschrieben.