Meine Wahrheit 2 – 50 Seiten Private Bekenntnisse

Meine Wahrheit –2–

50 Seiten Private Bekenntnisse

Roman von Diverse Autoren

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-237-6

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Geschichte 1

Verzweifelte Mutter

Roman von Petra S.

Mein Sohn war immer still und in sich gekehrt. Ich hätte niemals gedacht, dass er auf die schiefe Bahn geraten könnte. Doch als er abrutschte, wäre es fast sein Ende gewesen…

Um Dominik haben mich viele meiner Freundinnen beneidet. Ihre eigenen Kinder waren häufig Rabauken, die ihnen den letzten Nerv raubten und sie ständig auf Trab hielten. Wenn sie jedoch bei mir zum Kaffeetrinken waren, schauten sie häufig verzückt auf meinen kleinen Sohn, der still in einer Ecke saß und mit seinen Legosteinen spielte.

»Dein Sohn ist immer so was von brav. Du kannst wirklich von Glück sagen, dass du so einen Engel zum Kind hast.«

Und ich war auch glücklich. Schon kurz nach der Geburt hatten mein Mann und ich uns getrennt, und ich musste Dominik ganz allein aufziehen. Mein Exmann schickte uns zwar jeden Monat einen festen Geldbetrag, aber ich musste noch jeden Tag arbeiten gehen, damit wir genug Geld zum Leben hatten. Der Job schaffte mich: Ich arbeitete in einem Lebensmittel verarbeitenden Betrieb. Und so war ich insgeheim froh, dass Dominik mir so wenig Sorgen bereitete. Manchmal las ich ihm etwas vor, oder wir schauten gemeinsam fern – das war es aber eigentlich auch schon, was ich ihm an Zuwendung gab. Ich musste ja auch noch den kompletten Haushalt in Schuss halten und war abends häufig nur todmüde und wie erschlagen.

Dominik schaffte nach der Grundschule den Sprung aufs Gymnasium. Als er älter wurde, begann er, viel vor dem Computer zu sitzen. Er hatte nur wenige Freunde in der Schule, kam aber gut im Unterricht mit.

Als er vierzehn war, lernte ich Werner kennen. Er und Dominik verstanden sich nicht besonders gut, aber ich war so verliebt und glücklich, wieder jemanden an meiner Seite zu haben, dass ich Werner nicht aufgab. Und ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich auch häufig am Wochenende bei ihm war, um mit ihm schöne Stunden zu verleben.

Ich ließ Dominik zu dieser Zeit auch schon mal für das ganze Wochenende allein. Ein schlechtes Gewissen war zwar immer dabei, aber ich war ein wenig selbstsüchtig und dachte mir im Stillen: »Dominik sitzt ja sowieso immer nur vor dem Computer, da musst du ja nicht immer dabei sein.«

Und schließlich schien Dominik sogar Anschluss in der Schule gefunden zu haben. Es waren zwei Freunde aus seiner Klasse, mit denen er immer häufiger etwas unternahm. Mir passte das sehr, denn umso eher konnte ich in mein Liebesnest zu Werner flüchten.

Alles schien prima zu laufen, und mir ging es richtig gut. Doch dann kam der Tag, an dem die Polizei mit meinem Sohn vor der Tür stand.

*

Zwei Beamte standen im Treppenhaus, in der Mitte Dominik mit hängendem Kopf. Die Männer fragten, ob sie mal hereinkommen könnten. Etwas verdutzt ließ ich sie ins Wohnzimmer.

»Tja, Frau Safranski«, begann der eine, »wir haben ihren Sohn dabei erwischt, wie er mit zwei Freunden in eine Gaststätte eingebrochen ist.«

Mir blieb fast das Herz stehen. Es war ein bisschen so, als ob eine schillernde Seifenblase zerplatzen würde, eine Blase, in der ich mich in einer heilen Welt gewähnt hatte. Ich bekam diese beiden Bilder erst nicht zusammen: Mein stiller Dominik vor dem Computer und derselbe Dominik als Einbrecher. Das konnte nicht sein, das war nicht mein Sohn.

»Ein Anwohner hat den Einbruch beobachtet und uns gerufen. Wir haben die drei auf frischer Tat ertappt.«

Mein Kopf war in diesem Augenblick vollkommen leer. Ich blickte Dominik an. Jetzt erst sah ich, wie bleich er war. Ein tiefes Gefühl der Schuld erfasste mich. Hatte ich in der letzten Zeit überhaupt noch auf ihn geachtet? Hatte ich mich überhaupt jemals richtig um ihn gekümmert? Dominik starrte stumm auf den Couchtisch.

»Es liegt jetzt eine Strafanzeige gegen Ihren Sohn vor, in etwa zwei Wochen wird es wohl zu einer Verhandlung kommen.«

Ich suchte nach Worten. »Dominik«, sagte ich schließlich, »wie konnte das nur passieren?«

Er schwieg.

Die Beamten standen auf und verabschiedeten sich. Kaum hatte ich die Tür hinter ihnen geschlossen, hörte ich das Schlagen von Dominiks Zimmertür und das Geräusch des Schlüssels, der sich im Schloss drehte. Ich klopfte an die Tür, versuchte, mit ihm zu sprechen, vergeblich.

Verzweifelt setzte ich mich wieder aufs Sofa. Ich musste zu ihm Kontakt aufnehmen. Da hörte ich Dominiks Tür gehen. Ich stand auf, doch schon zwei Sekunden später fiel die Wohnungstür ins Schloss.

Ich war allein.

*

Während der folgenden Tage hörte ich erst einmal nichts mehr von ihm. Ich starb fast vor Sorge und machte mir unglaubliche Vorwürfe. Über Jahre hinweg hatte ich einfach alles laufenlassen. Ich dachte, ich wäre eine gute Mutter gewesen, weil ich Dominik ein Dach über dem Kopf, zu essen und ordentliche Kleidung geboten hatte. Jetzt wurde mir klar, dass das zu wenig gewesen war. Wie konnte ich das nur wiedergutmachen?

Am dritten Tag ging ich zur Polizei. Ich konnte diese Ungewissheit einfach nicht mehr ertragen. Ich stellte Vermisstenanzeige.

»Ihr Sohn ist siebzehn«, sagte der Beamte. »Da haben Sie noch das Sorgerecht. Und die Strafanzeige gegen ihn läuft auch noch. Ich werde eine Fahndung herausgeben.«

Bangen Herzens wartete ich auf Ergebnisse. Doch eine Woche später rief mich die Polizei an und sagte, dass sie ihn nicht hatten finden können. Mit klopfendem Herzen legte ich den Hörer auf.

Mein Sohn war intelligent, das wusste ich. Er konnte sich denken, dass die Polizei nach ihm suchte, und er würde sich sorgfältig versteckt halten.

Ich quälte mich die nächsten Tage durch meinen Job. Ich schlief schlecht und rauchte zu viel. Mir ging es miserabel.

Und eine Woche später schreckte ich aus meinem unruhigen Schlaf hoch. War da nicht die Wohnungstür gegangen? Schlich da nicht jemand durch den Flur? Mein Herz klopfte zum Zerspringen. Dann hörte ich, wie eine Schublade mit aller Sorgfalt aufgezogen wurde. Mit einer raschen Bewegung schlug ich die Bettdecke beiseite und ging in den Flur.

Ich drehte das Licht an und da sah ich meinen Sohn vor der offenen Schublade knien, mit der Keksdose, in der ich immer meine Barschaft aufbewahrte.

»Dominik!«, rief ich entgeistert, »Wie kannst du nur?«

Ich ging einen Schritt auf ihn zu. Im selben Moment sprang er auf und ging rückwärts zur Wohnungstür, die Keksdose in der Hand.

»Dominik!«, schrie ich verzweifelt. »Bleib hier!«

Ich griff nach seinem Arm, versuchte ihn festzuhalten, doch er begann sich zu wehren.

»Lass mich in Ruhe!«, schrie er.

»Dominik, wir müssen reden. Du kannst nicht einfach verschwinden. Wir können das Ganze besprechen«, sagte ich mit Tränen in den Augen.

»Wir müssen gar nichts!«, schrie er zurück. »Du hast mein Leben lang nicht mit mir geredet, da brauchst du auch jetzt nicht damit anzufangen!«

»Dominik, ich habe Fehler gemacht. Ich sehe es ja ein. Lass uns daran arbeiten. Das lässt sich einrenken, ganz bestimmt.« Meine Stimme zitterte vor Erregung.

»Du kannst mich mal!« Mit einer raschen Bewegung riss er sich los, öffnete die Wohnungstür und verschwand durch den Hausflur.

Ich rief ihm noch hinterher, doch es war vergeblich. Die halbe Nacht saß ich auf der Couch, rauchte eine Zigarette nach der anderen, während mir die Tränen über die Wangen liefen. Wie sollte das nur weitergehen?

*

Mehrere Monate hörte ich gar nichts mehr von ihm. Auch die Polizei meldete sich nicht. Ich vermutete, dass er nach Berlin abgehauen war. Wir wohnen etwa 150 Kilometer entfernt in einer kleinen Stadt. Ich wachte jeden Morgen mit dem Gedanken an ihn auf und schlief abends mit seinem Bild ein. Ich malte mir alle möglichen Szenarien aus.

Ob er noch lebte? Ich konnte mir nichts anderes vorstellen. Wie gesagt, er war intelligent und auf seine Weise zäh. Wann immer Bilder in meinen Kopf kamen, die mit seinem Tod zu tun hatten, verdrängte ich sie schnell. War er obdachlos? Das war ziemlich sicher anzunehmen. Wovon er lebte? Ob er bettelte? Vielleicht noch besser, als wenn er kriminell geworden wäre.

Oft stand ich in der Tür zu seinem Kinderzimmer. Ich hatte das Gefühl, er könnte jeden Moment die Wohnungstür aufschließen, seinen Schulranzen unter die Garderobe legen, wie er es immer tat, und mich fragen, was es zu essen gäbe. Doch das war nur eine Illusion. Er war verschwunden, und die Wohnung erschien mir unendlich trostlos.

Manchmal stellte ich mir vor, er wäre durch unglaubliches Glück zu Geld gekommen und es ginge ihm richtig gut, doch im selben Moment schalt ich mich selber für so viel Naivität. Er hatte wahrscheinlich nur richtig Geld, wenn er mit krummen Geschäften sein Geld verdiente und das wäre schlimmer als alles andere.

*

Und dann kam der Tag, an dem das Telefon klingelte. Am anderen Ende der Leitung war Gerhard, ein alter Freund und Geschäftsmann.

»Ich habe Neuigkeiten für dich, Petra«, sagte er. »Ich habe Dominik gesehen.«

Mein Herz begann zu schlagen. »Wo ist er?«, fragte ich nur.

»In Berlin«, meinte er, »und es scheint ihm nicht gut zu gehen. Er stand in der Nähe des Hauptbahnhofes und schien auf Drogen zu sein. Ich habe ihn angesprochen. Erst hat er mich überhaupt nicht erkannt, aber dann wurde er pampig und ist schließlich abgehauen.«

Mir schnürte sich der Hals zu. Die schlimmsten Befürchtungen schienen sich zu bewahrheiten. »Danke«, sagte ich, »du hast mir sehr weitergeholfen.«

Ich legte den Hörer auf und blickte aus dem Fenster. Immerhin, ich hatte einen Anhaltspunkt und Dominik lebte. Was jetzt? Ich dachte noch einige Sekunden nach und dann stand mein Entschluss fest: Ich würde nach Berlin fahren.

Zwei Tage später war Freitag, und eine Stunde nach Ende der Schicht stand ich mit einer Reisetasche am Bahnsteig unseres kleinen Bahnhofes.

Während der Fahrt blickte ich aus dem Fenster, und Gefühle unterschiedlichster Art zogen durch mein Inneres. Ich war aufgeregt und hatte auch Angst. In was würde ich hineingeraten? Gleichzeitig war ich voller Liebe zu meinem Sohn, obwohl ich wusste, dass er mich wahrscheinlich alles andere als freundlich begrüßen würde. Aber er war mein Sohn, und ich konnte ihn einfach nicht im Stich lassen.

In Berlin suchte ich mir ein Zimmer in einer kleinen Pension. Dann machte ich mich auf zum Hauptbahnhof. Doch schon als ich durch die Straßen ging, sank mir das Herz in die Hose. Was hatte ich mir da überhaupt vorgenommen? Es war doch ein völliger Irrsinn, in dieser Riesenstadt jemanden finden zu wollen. Ich hatte ein Foto von Dominik dabei und tapfer fing ich an, am Bahnhof Leuten das Foto zu zeigen und nach ihm zu fragen. Und ich konnte mein Glück kaum fassen: Schon nach etwa zwanzig Minuten traf ich einen jungen Mann, der ihn erkannte.

»Den habe ich hier schon öfter gesehen«, sagte er. »Der hängt hier regelmäßig ab.«

Mehr konnte er mir nicht sagen, und ich suchte weiter. Nach einer Stunde trank ich einen Kaffee in der Bahnhofsgaststätte und schaute auf den Strom von Menschen, der vor den Fenstern vorbeizog. Und da stockte mir der Atem! Dominik ging vor dem Fenster vorbei! Ich zögerte keine Sekunde und lief ihm hinterher.

Schlecht sah er aus, abgemagert, ungepflegt, mit entzündeten Augen.

Mein erster Impuls war, ihn zu umarmen.

»Dominik«, sagte ich, »Junge.«

Er wich vor mir zurück und sah mich misstrauisch aus zusammengekniffenen Augen an.

»Was willst du hier?«, fragte er nur.

»Ich… ich… will dich zurückholen.«

Er lachte kurz und höhnisch auf. »Mich zurückholen? Da gibt’s nichts zurückzuholen. Ich lebe jetzt hier.«

»Aber das geht doch nicht. Hier gehst du vor die Hunde. Schau dich doch mal an. Du bist ja nur noch Haut und Knochen.«

»Mir geht es gut. Ich komme zurecht.«

»Wovon lebst du? Nimmst du Drogen?«

»Ich komme zurecht, und jetzt lass mich in Ruhe!«

Abrupt drehte er sich um und ging weiter die Passage hinunter.

Ich lief ihm hinterher. »Das kannst du nicht machen! Ich lasse dich nicht hier zurück. Ich hole die Polizei!« Die letzten Worte hatte ich regelrecht geschrien.

Dominik drehte sich um und starrte mich giftig an. »Schrei mich nicht an«, sagte er gefährlich ruhig, »Ich bin seit vier Wochen achtzehn, und du hast mir gar nichts mehr zu sagen. Ich sage dir, lass mich in Ruhe, oder es passiert ein Unglück.« Wütend kam er einen Schritt auf mich zu.

Ich wich verwirrt zurück. »Dominik, ich will dir doch nur helfen…«, sagte ich verschüchtert.

Er warf mir noch einen drohenden Blick zu, und dann verschwand er ohne ein weiteres Wort.

Ich hatte das Gefühl, mich nicht mehr länger auf den Beinen halten zu können. Alles drehte sich um mich, und ich war froh, als ich eine Bank entdeckte, auf die ich mich setzen konnte. Ich war gescheitert. Ich hatte meinen Sohn verloren.

*

Ich bezahlte mein Zimmer und fuhr noch am selben Abend zurück. Auf der Rückfahrt konnte ich noch nicht einmal mehr weinen. Mein Inneres war einfach nur noch tot und leer. Dominik lebte und ich wusste ungefähr, wo er sich aufhielt, aber das war auch alles. Ich hatte das Gefühl, bei ihm gegen eine Wand zu rennen. Eine Wand, die undurchdringlich war.

Die nächste Zeit wurde zur einer Reihe von grauen, trostlosen Tagen und Wochen. Manchmal überlegte ich noch, wieder nach Berlin zu fahren, doch ich wusste, dass es im Moment sinnlos war. Monoton erledigte ich meine Arbeit, saß abends vor dem Fernseher, rauchte und starrte auf den Bildschirm. Meine Beziehung mit Werner war gescheitert. Ich hatte praktisch zu niemandem mehr Kontakt und wollte das auch nicht.

Der Winter kam, dann der Frühling, ein verregneter Sommer.

Und eines Tages wurde mir auf einmal klar: So geht es nicht weiter. So gehst du vor die Hunde und Dominik wahrscheinlich auch. Am nächsten Tag saß ich wieder im Zug nach Berlin und machte mich am darauffolgenden Wochenende erneut auf die Suche nach meinem Sohn.

*

Diesmal wurde ich nicht so schnell fündig. Hielt er sich überhaupt noch in der Nähe des Hauptbahnhofes auf? Auch meine Vorgehensweise mit dem Foto brachte zuerst nicht den gewünschten Erfolg. Den ganzen Samstag suchte ich nach ihm, hielt das Foto unzähligen Menschen vor die Nase, aber keiner wollte ihn kennen.

Ich hatte wieder ein Zimmer in der kleinen Pension und schlief schlecht in dieser Nacht. Musste ich Sonntagabend wieder unverrichteter Dinge nach Hause fahren? Am nächsten Morgen war ich schon um sieben Uhr unterwegs. Den ganzen Vormittag fragte ich mich wieder durch – ohne Erfolg.

Dann, es war halb ein Uhr mittags, fragte ich ein junges Mädchen. Sie mochte gerade einmal zwanzig sein, sah schlecht aus, vermutlich war sie drogenabhängig.

»Das ist doch der Dominik«, brachte sie undeutlich hervor. »Der ist jetzt immer am Alexanderplatz.«

Ich dankte ihr. Zehn Minuten später saß ich in einer U-Bahn.

Ich fand Dominik auf einer großen Treppe, wo er mit anderen Jugendlichen lagerte. Er sah noch schlimmer aus als beim letzten Mal. Seine Kleidung waren jetzt nur noch bessere Fetzen, seine Zähne waren schlecht, die Haare und der dünne Bart waren lang, die Augen lagen tief in den Höhlen. Ich hatte keine Ahnung, was er zurzeit an Drogen nahm. Er war am Ende.

Ich kniete mich nieder und sprach ihn an. Erst nach zwei Sekunden ging ein Erkennen über sein Gesicht. Er war nicht mehr so aggressiv wie bei unserem letzten Treffen, er wirkte nur noch unglaublich müde und erschöpft.

»Dominik, es geht dir nicht gut«, sagte ich, »Bitte komm zu mir zurück.«

Fahrig sah er mich an. Ich merkte, es arbeitete in ihm. Er schien seine Situation zumindest noch einschätzen zu können.

»Ich sage es dir noch einmal, Dominik, ich habe Fehler gemacht, und es tut mir unendlich leid. Aber bitte, wirf dein Leben jetzt nicht weg. Ich verspreche, ich werde es wiedergutmachen.«

»Was will die Alte von dir? Ist das etwa deine Mutter?«

Höhnisches Lachen kam aus der Runde. Ich sah den Jungen an, der das gesagt hatte.

»Ja, ich bin seine Mutter«, sagte ich und sah ihm dabei in die Augen. »Und ihr solltet froh sein, dass es mich gibt. Dominik geht kaputt, genau wie ihr. Und ich werde ihn hier rausholen.«

»Der soll erstmal seine Schulden bezahlen«, sagte ein anderer mit einem brutalen Blick.

»Wie viel ist das?«, fragte ich ungerührt.

»Vierhundert Euro.«

Das war so ziemlich genau das, was ich für dieses Wochenende sicherheitshalber als Reisekasse mitgenommen hatte. Ich öffnete mein Portemonnaie und gab ihm die Scheine. Dann sah ich wieder zu Dominik.

»Komm mit«, sagte ich, »ich bitte dich.«

Dominik fixierte mich mit leerem, unstetem Blick.

»Geh mit«, sagte plötzlich ein junges Mädchen. »Wir hängen doch alle in der Scheiße hier.«

Dominik sah mich noch einmal an, dann stand er plötzlich wortlos auf.

So schnell wie möglich entfernte ich mich von dem Ort und fuhr mit ihm mit dem nächsten Zug zurück in unsere Stadt. Ich ging noch nicht einmal mehr zum Hotel, sondern checkte am Abend von meiner Wohnung telefonisch aus und ließ mir meine Sachen nachschicken.

*

Ich brachte Dominik in das kleine Krankenhaus unseres Ortes zum Entzug. Jeden Tag besuchte ich ihn. Wir redeten oft lange miteinander, und ich gab mir wirklich Mühe, das wiedergutzumachen, was ich an ihm versäumt hatte.

Er schaffte es, clean zu werden, machte sogar noch sein Abitur und dann eine Ausbildung zum Fachinformatiker.

Ich betete zu Gott, dass er nicht wieder an Drogen geriet. Ich unternahm viel mit ihm, wir reisten mehrmals in andere Länder, was wir sonst nie getan haben. Er war oft noch schweigsam und ließ mich nicht immer an sich heran. In diesen Momenten ließ ich ihn auch in Ruhe, denn ich wollte nicht noch einmal etwas falsch zu machen.

Jetzt lebt er auf Mallorca und arbeitet dort für eine große Computerfirma. Er hat sogar eine Kollegin kennen gelernt, eine Schweizerin. Sie ist auch ein bisschen verschlossen, und die Beziehung zwischen beiden ist nicht ganz unproblematisch, aber es scheint so, als ob sich zwei verwandte Seelen gefunden haben. Ich hoffe sehr, dass sie sich auf Dauer zusammenraufen werden.

Ich habe ihn vor zwei Monaten auf Mallorca besucht und war unendlich glücklich zu sehen, wie er das Leben in der Sonne und am Meer genießt. Er sah gesund und gebräunt aus, und er schien zu wissen, wie reich sein Leben jetzt ist.

Und nichts erinnert mehr an die schlimme Episode in seiner Jugend, in der er sein Leben um ein Haar weggeworfen hätte.

– ENDE –

Geschichte 2

Erschütternde Erkenntnis

Roman von Heidrun Z.

»Nach seinem Herzinfarkt erwartet mein Mann, dass ich jetzt für ihn arbeite.«

Als mein Mann einen leichten Herzinfarkt erlitt, machte ich mir große Sorgen. Ich unterstützte ihn dabei, kürzerzutreten, mit ungeahnten Folgen…

Die Nachricht kam aus heiterem Himmel. Die Sekretärin der Baustoffhandlung, wo mein Mann Thomas arbeitete, rief an. Zuerst dachte ich, sie wollte ausrichten, dass Thomas mal wieder später nach Hause kommen würde. Doch dann bekam ich den Schock meines Lebens.

»Er ist plötzlich ohnmächtig geworden«, hörte ich sie sagen. »Wir mussten einen Notarzt holen, er wurde ins Krankenhaus gebracht. Der Arzt wird Sie bestimmt gleich anrufen…«

Plötzlich schien sich alles um mich zu drehen. Wie vom Donner gerührt stammelte ich eine kurze Verabschiedung und legte auf. In meiner Verwirrung hatte ich ganz vergessen zu fragen, in welches Krankenhaus sie meinen Mann gebracht hatten. Nach quälend langen Minuten kam der Anruf.

»Er hat noch einmal Glück gehabt«, sagte der Arzt. »Es war nur ein leichter Herzinfarkt.«