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Oliver Hassencamp

Die Frühstücksfreundin

Ein heiterer Roman

LangenMüller

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© für das eBook: 2016 LangenMüller in der F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

© alle Rechte für die deutsche Sprache: 1975 LangenMüller in der F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Wolfgang Heinzel

eBook-Produktion: F. A. Herbig Verlagsbuchhandlung GmbH, München

ISBN 978-3-7844-8278-1

Inhalt

1. Die Parklücke

2. Niemand hineinziehen

3. Möglichst offiziell

4. Klare Abmachung

5. Keine Spuren

6. Sich nicht verändern

7. Räumliche Trennung

8. Sofort wieder versöhnen

9. Mit Zufällen rechnen

10. Disziplin in der Öffentlichkeit

11. Korrekt mit Mogeln

1. Parklücke

»Morgens Zeit haben – der ganze Tag sieht anders aus!« hat der Mann gesagt, der Robert in die knappe Lücke eingewinkt hat, nach der dritten Runde um den Block, vier Minuten vor acht. Es war mühsam hier im Viertel der Versicherungen und Banken. Wenn die Firma keine eigene Tiefgarage besaß, hatten ihre Mitarbeiter Dauerprobleme.

»Ich stehe immer am selben Platz. Genau vor der Tür«, hat der Mann gesagt, und Robert hat gelacht.

»Haben Sie ein Baustellenschild im Kofferraum, das Sie abends hinstellen?«

Der Mann hat den Kopf geschüttelt.

»Ich komme früh genug.«

»Nur wegen dem Auto?«

»Wegen der Gesundheit.«

»Und dann? Laufen Sie um den Block, bis es Zeit ist?«

Robert hat versucht, den Honig an seinem Zeigefinger mit dem Daumen wegzuribbeln. Der Mann hat über die Straße gedeutet.

»Um die Ecke ist ein kleines Garni Hotel mit einem Café. Das macht sehr früh auf; die Hotelgäste sind meist Vertreter, die um acht schon weiß Gott wo sein müssen.«

»Und da frühstücken Sie. Jeden Tag?« Robert hat sofort an die Kosten gedacht, und der Mann hat gelächelt.

»Da lese ich in Ruhe meine Zeitung, trinke meinen Kaffee, gehe danach ein paar Schritte.«

Zufrieden klingt er. Fast ein bißchen vorsätzlich zufrieden, hat Robert gedacht und sich gerade verabschieden wollen. Da hat der Mann den Satz gesagt:

»Morgens Zeit haben – der ganze Tag sieht anders aus.«

Es gibt wenige Sätze, die so haften bleiben, daß sie Weichen stellen könnten im Leben. Längst sitzt Robert über den Akten des wichtigen Falls, mit dem er den Herren Doktores im Hause beweisen will, daß seine Einschätzung die richtige ist. Ihm wird das nichts nützen, nur der Firma. Er wird bleiben, was er ist: juristischer Handlanger. Mehr kann er nicht werden, mehr kann er nicht verdienen, es sei denn, er entwickle eine geniale Idee. Robert fehlt das Staatsexamen.

Petra, die Sekretärin, bringt neues Aktenmaterial zur gewohnten Vorbearbeitung. Doch zuerst muß sich Robert die Hände waschen. Honigfinger erleichtern zwar das Umblättern, können aber Spuren hinterlassen. Jennifer hat recht, denkt er vor dem Doppelbecken im Waschraum. So eines sollten wir auch haben. Ein einzelnes ist für vier Personen einfach zu wenig. Und Franziska hat auch recht: Erst wenn die Wohnung abbezahlt ist. Und er erinnert sich, was Martin darauf gesagt hat: Typisch Mami! Die wär’ ja schon mit ’nem Ziehbrunnen zufrieden.

Mit den Namen der Kinder hatten sie sich Mühe gegeben, hatten allen Modeströmungen getrotzt. Martin hieß nach dem Vater seines Vaters, weil er dem Neunzigjährigen in den ersten vierzehn Tagen seines irdischen Vorhandenseins frappierend ähnlich gesehen hatte, und Jennifer war sein Einfall gewesen, ein sehr guter Einfall, wie er fand, kein anderes Mädchen weit und breit hieß Jennifer. Wäre es nach Franziska gegangen, ihre Tochter würde Anna heißen.

Der Kragen sitzt nicht, stellt er im Spiegel fest. Mal wieder Maßhemden machen lassen, drei vielleicht. Zuerst hatte er ein anderes angezogen. Bis Jennifer die Handbrause ausrutschte, als er sich im Bad die Krawatte band und nicht an den Spiegel herankonnte, weil sich Martin im Waschbecken die Zähne putzte. Da ist ihm ein Satz eingefallen:

»Der schlimmste Stau am Morgen ist nicht der auf dem Altstadtring, sondern der in unserem Badezimmer. Nur weil ihr nicht aus den Federn kommt, Scheißkinder.«

Sie sagten oft Scheißkinder, beide. Franziska war das Wort einmal herausgerutscht, als Jennifer und Martin ihr Kakao über ein geliehenes Buch schütteten, ein Buch über Kinderpsychologie. Sie hatte sich Vorwürfe gemacht, und die Vorwürfe verschlimmerten sich, je weiter sie las, bis Robert meinte:

»Wenn wir die Bezeichnung als scherzhafte Rüge beibehalten, müssen sie nicht zum Therapeuten. Und du auch nicht.«

Dabei blieb es. Aus dem Wandschrank in der Diele hatte sich Robert das Hemd mit dem schlechtsitzenden Kragen geholt. Bis er es angezogen und die Krawatte umgebunden hatte, war der Toast kalt, das Ei zu hart und keine Zeit mehr zum Zeitunglesen. Zu allem Überfluß rief auch Freund Karl noch an. Aus dem Tennis morgen nachmittag werde nichts, weil er nach Genf müsse, zu einem Mandanten. Unangenehm erfolgreich klang das. Karl hatte sein Staatsexamen. Und eine Villa mit Schwimmhalle.

Franziska legte Papiere neben Roberts Teller.

»Da ist eine Mahnung gekommen. Wegen der Hausratversicherung. Das mußt du entscheiden.«

»Warum muß ich das entscheiden? Der Fall ist völlig klar. Sei doch ein bißchen selbständiger.«

Franziska ließ sich nicht beirren.

»Und hier mußt du unterschreiben, damit das weg kann. Es betrifft die Zahnversicherung für die Kinder.«

Die gebärdeten sich auch nicht gerade konzentrationsfördernd.

»Mami, was heißt Doppelwaschbecken auf lateinisch?«

»Da mußt du Pappi fragen. Er hat Abitur.«

»Pappi, was heißt Doppelwaschbecken auf lateinisch?«

»Ich muß jetzt lesen, Scheißkind.«

»Pappi, was heißt Scheißkind auf lateinisch?«

Und auf einmal war es passiert: Reiner Waldhonig auf reiner Krawattenseide. Honig duldet keine Ablenkung. Durch den Krawattenwechsel wurde der Verzehr des tropfenden Brotes verzögert. Kauend verabschiedete sich Robert. Für den Liftknopf genügte der kleine Finger der linken Hand, die andern hielten das Honigbrot, die rechte Hand die schwere Aktentasche.

Wo sind die Schlüssel? Alles klebt, die Aktentasche, die Hosentasche, die Jackentasche, die Innentasche, die Hintertasche, der Türgriff, das Lenkrad, der Schalthebel. Die Uhr empfiehlt Katzenwäsche für die fünf Finger und zügigen Start in den Stau auf dem Altstadtring.

Ruhe. Keinen Verschleiß beim Transport. Locker die Arme. Alles wird warm und schwer. Wenn man schon im Auto autogenes Training machen muß, ist das ein Zeichen, die Weiche zu stellen: Morgens Zeit haben – der ganze Tag sieht anders aus.

»Ich möchte es einmal ausprobieren«, sagte er zu Franziska, spät abends, und holte sich den Wecker von ihrer Seite auf die seine herüber. Franziska verwaltete in der Familie die Zeit.

»Das wird ungewohnt sein für uns.«

»Ich möchte es wie gesagt nur einmal probieren.«

Unter der Decke hat sie herübergetastet, und Hand in Hand, mit abgespreizten Armen und Beinen, wie Lebkuchenmännchen platt nebeneinander liegend, haben sie sich entspannt. Zuerst die Arme schwer gemacht, dann die Beine, alles mit Konzentration beheizt und miteinander geatmet, ruhig und tief. Dann hat sie sich zum Einschlafen an seine Schulter gerollt:

»Haben wir’s nicht schön?«

Den Wecker zu ungewohnter Zeit und von ungewohnter Seite empfindet Robert als physischen Schmerz, die ganze Idee als Kateridee. Grämlich schlurft er hinaus, schaltet das Flurlicht ein und das im Bad. Ist er hier in einem Hotel? Wie laut das Wasser läuft. So laut, daß er aus Rücksicht ins Waschbecken pinkelt, freihändig, während er sich kämmt. Mit dem Zähneputzen weckt er den restlichen Organismus, hält den Kopf unter die kalte Brause, bis Frische einzieht. Niemand stößt ihn beim Rasieren, ungehindert kann er sich bewegen, sich anziehen vor dem Wandschrank im Flur, ohne im Weg zu stehen. Mit Bedacht wählt er eine helle Krawatte. Die Ruhe und die Bewegungsfreiheit geben der Wohnung etwas Leichtsinniges, Junggesellenhaftes. Keine Haushaltsgeräusche, kein Wasser, das kocht, kein Honig, der tropft. Da wird er umarmt, bettwarm.

»Wollte dir wenigstens auf Wiedersehn sagen.«

Franziska schnurrt wie eine verschlafene Geliebte, in der es noch nachschwingt von heute nacht – dreiundzwanziguhrelf bis dreiundzwanziguhrfünfzehn.

Übers Gaspedal tritt er hinaus ins freundliche Leben. Es ist Mai. Um diese Stunde gleicht die Fahrt in die Innenstadt einem Morgenritt über Wiesen und Felder. Weite braucht das Auge, stellt er fest, Weite. Wenigstens einmal am Tag. Nur wenige Wagen stehen am Straßenrand, Robert parkt à la carte unter dem Fenster seines Büros. Die Stadt ist Stadt, nicht Verkehrsanlage, und frisch die Luft. In der Nähe zu sein und noch nicht gefordert zu werden, schon das verschafft Ruhe. Robert braucht gute Nerven für den schwierigen Fall, den er durchstehen muß, gegen alle Argumente der Volljuristen. Mit festem Schritt überquert er die Straße. So eine Sache zieht man nicht allein mit Fachwissen und mit Ellenbogen durch, da spielen noch andere Dinge mit, Instinkt, Menschenkenntnis, Ausstrahlung, Taktik. Vor ihm biegt eine Frau in die Seitenstraße ein, wo das Café sein soll.

Wenn man innerlich reif und bereit ist, in der Mitte seiner Möglichkeiten steht, dann kommt die Entsprechung von außen – hat Robert in einer esoterischen Zeitschrift gelesen. Aber man darf nicht darauf warten, muß unspekulativ sein, absichtslos. Und das in einer hochneurotischen Leistungsgesellschaft. Robert muß sich sammeln, einschwingen. Dafür ist er früher aufgestanden. Gewisse Anzeichen lassen ihn hoffen, diesmal zum Zug zu kommen. Sein Intimfeind in der Firma, der alte Syndikus, der ihn zurückstuft, wo er nur kann, ist krank. Auf Wochen, heißt es. Und der Mann gestern, der ihm den Tip gegeben hat, kam vielleicht auch nicht von ungefähr.

Elite Hotel garni steht in giftigen Leuchtbuchstaben auf der schmuck gegliederten Altbaufassade. Daneben, vorgeschoben wie ein Erker, das Café. Die Frau vor ihm zieht an der sichtlich schweren Glastür, sieht ihn kommen, hält sie, die schwere Tür, Robert beeilt sich. »Sie wollen sicher auch frühstücken«, sagt sie vergnügt; er nimmt ihr die schwere Tür ab.

»Danke. So herum bin ich das gar nicht gewöhnt.«

Sie lächelt, geht hinein, eine hübsche Erscheinung. Robert zögert, sieht sich erst um. Da winkt der einzige, den er hier kennt, der Mann, der ihm den Tip gegeben hat.

»Na? Setzen Sie sich zu uns. Übrigens: Ich heiße Tiedemann.«

Auch Robert nennt seinen Namen, nickt den anderen Herren zu und setzt sich. Die hübsche Erscheinung hat bei Herren am Nebentisch Platz genommen, wo man sie anscheinend kennt. Ob sie auch Frühparkerin ist?

Zu Hause standen sie jetzt erst auf. Franziska hatte noch einmal tief geschlafen. Seit die Kinder da waren, konnte sie überall und zu jeder Zeit einschlafen und verlor, wenn sie geweckt wurde, nie ihre gute Laune.

»Dusch nicht so lang, Jennifer. Sonst wirst du wieder nicht fertig.«

»Es ist aber so schön, Mami.«

»Dann dusch kalt, dann ist es nicht mehr schön.«

Martin hatte heute überhaupt keinen Spaß daran, sich vor dem Waschbecken mit der Zahnbürste breit zu machen.

»Wieso ist Pappi schon im Büro?«

»Weil er keine Parklücke findet, wenn er später kommt.«

»Warum nimmt er nicht die Stadtbahn?«

»Das fragst du ihn am besten selber.«

Franziska mußte noch viele Fragen beantworten, bis die beiden gefrühstückt hatten und für die Schule fertig waren.

»So. Jetzt raus mit euch! Es ist höchste Zeit.«

Es war jeden Tag dasselbe.

Sie schloß die Tür, zog sich aus, drehte das Radio auf Wohnungslautstärke, duschte, cremte, kämmte sich vor dem Schrankspiegel in der Diele, suchte nach Falten, nach Speckansätzen und Strumpfhosen, turnte rhythmisch zu Dvorak, kochte sich Kaffee, eine große Tasse, mit Zucker und Sahne, ohne das eine oder andere, je nach Zeigerstand der Waage.

Franziska genoß dieses Alleinsein in der Wohnung, dieses Zeithaben für sich. Robert hatte das nie. Eigentlich wurde er morgens wie ein Kind behandelt, wie ein älterer Schüler. Jetzt verstand sie seinen Wunsch.

Zum Kaffee, heute ohne Zucker und ohne Sahne, las sie ausgiebig Zeitung. Politik, Kultur, Meldungen über aussterbende Vogelarten, Eheschließungen mit fünf Jahrzehnten Altersunterschied, umgekippte Flüsse und Seen, Nashornzwillinge, Gelegenheitskäufe und Frauen, die im Beruf ihren Mann stehen, Selbständige, Frauen in Schlüsselstellungen

Brachte das Radio einen Sprachkurs, wollte sie ab morgen mitmachen; bei Tips für Autofahrer dachte sie an den Führerschein, den sie immer noch nicht hatte. Dabei blieb es. Der Haushalt hielt sie fest und sie sich am Haushalt.

Am späteren Vormittag rief meist Karin an oder kam vorbei, um sie zum Einkaufen abzuholen. Karin, mit Roberts Freund Karl verheiratet und seit gemeinsamer Schulzeit mit Franziska befreundet, stammte aus einer spät geadelten Beamtenfamilie, und beides hing ihr nach. Sie hatte die Villa in die Ehe eingebracht, – genau der Rahmen, den sich Robert für seine Familie erträumte, auch wenn er nie ein Wort darüber verlor.

Karl und Karin, kurz K & K genannt, waren ihre besten Freunde. Um zwölf rief Franziska im Büro an. Robert hatte wieder Pech gehabt, kam nicht durch zum Chef. Sie bewunderte ihn dafür, daß er sich nicht entmutigen ließ, und kochte, bis Jennifer und Martin aus der Schule kamen und die Früchte ihrer Bemühungen kommentarlos wegschaufelten.

Nach dem Essen spielten die Kinder mit den Kindern aus dem Haus auf dem Rasen hinter dem Haus.

Franziska nahm den Bus, fuhr zu Karin und half ihr im Garten. Später servierte das Hausmädchen Tee, und Sebastian, Karins einziges, unter erschwerten Umständen zur Welt gebrachtes Kind, durfte die nachmittäglichen Etüden auf der Geige beenden.

»Bei Akademikern begabtes Kind sein müssen, ist auch eine Auflage«, hatte Robert einmal gesagt. Zwei Stunden täglich mußte der blasse Wunderknabe dem Ehrgeiz seiner Mutter opfern; er sollte der Jüngste im Schülerorchester werden. »Nur mit Disziplin können es Kinder über den Durchschnitt bringen«, erklärte Karin.

Die Meinen sind reiner Durchschnitt, aber unbeschwert und gesund, dachte Franziska, doch sie sagte nichts.

Robert war auf der Heimfahrt dem dreispurigen Stau des Altstadtrings entwischt und über Einbahnstraßen zu der renommierten Bäckerei gefahren, wo es das Schwäbische Bauernbrot gab, das die ganze Familie schätzte, besonders zu Käse. Wie aus der Versenkung katapultiert stand Karl vor ihm.

»Du hast mich nicht gesehen. Ist das klar?«

Er faßte das Mädchen neben sich am Arm und zog es fort, um die nächste Ecke. Ein Paar ohne Dialog. Daß man einem Freund begegnet, der nicht gesehen werden will, kann vorkommen. Mit Karl war es nicht die erste Begegnung dieser Art.

»Ich denke, du bist in Genf?« hatte Robert gerade sagen wollen. Deswegen also das abgesagte Tennismatch. Die beiden konnten nur aus dem Haus der Bäckerei gekommen sein.

Nicht gesehen werden wollen und mitten durch die Stadt laufen, als nicht ganz unbekannter Prominentenanwalt, – das konnte sich nur Karl leisten, und wenn Robert sich bisweilen wie der ältere, weniger erfolgreiche Bruder vorkam, war das kein Wunder. Was Karl anpackte, führte zum Erfolg, unbesehen der moralischen Qualität.

Robert kaufte einen Laib von dem Brot und fuhr nach Hause. Wie immer begrüßten ihn zuerst die Kinder, machten ihn lautstark zur Hauptperson. Dann kam Franziska an die Reihe. Bei einem Obstler berichteten sie einander über ihren Tag.

»Ich war bei Karin heute nachmittag. Karl ist gut gelandet. Er läßt schön grüßen.«

»Ich habe ihn gerade getroffen.«

»Aber er ist doch in Genf?«

»Natürlich ist er in Genf. Ich hab ihn auch gar nicht gesehen. Er war in Begleitung.«

Franziska sah betroffen drein.

»Das ist eine Gemeinheit.«

»Ich könnte mir vorstellen, sie weiß es längst und will es nur nicht wahrhaben.«

Franziska überlegte:

»Es ist ja nicht das erste Mal.«

»Ist es dann nicht gleichgültig, ob er ihr etwas vormacht oder sie sich selbst?«

Franziska stellte ihr Glas weg.

»Wie angenehm, daß wir andere Sorgen haben.«

Eine merkwürdige Atmosphäre herrscht in dem Café. Nicht Club, nicht Kantine, nicht Stammlokal und doch von allem etwas. Die Gäste, die einander größtenteils kennen, bleiben nach Firmen beziehungsweise nach Interessen getrennt. Die in der Ofenecke sind die Sportler, wie Tiedemann sagt. Montags soll es da wild zugehen, wenn sie alle Tore des Wochenendes noch einmal nachschießen. Der lange Tisch am Fenster, – das sind die Berufsstammtischler, denen die Politik schon auf den nüchternen Magen schlägt; daneben, nicht zu übersehen, die Skatspieler, und am Nebentisch sitzt wieder die hübsche Erscheinung mit dem glatten dunklen Haar. Fremdländisch sieht sie aus; ein Herr an Roberts Tisch redet auf sie ein. Bei einem Wochenendausflug nach Paris hat er ein Paar Schuhe stehenlassen. Er reicht ihr einen Brief an das Hotel hinüber, damit sie ihn auf Fehler durchsieht. Sie überfliegt die Zeilen, holt einen Kugelschreiber aus ihrer Handtasche und beginnt zu korrigieren:

»Ich schreib’s Ihnen gleich hier drauf. Dann können Sie’s nochmal abtippen.«

Und schon schreibt sie, französisch, so schnell, wie Robert auf deutsch nicht einmal stenographieren könnte. Wenn er stenographieren könnte. Knochige Hände hat sie, am linken Ringfinger stecken zwei Bandringe, unter denen ein schmaler Goldreif vorschaut, wie ein gut versteckter Ehering. Zu ihrem Kopf fällt ihm die Bezeichnung rassig ein. Vielversprechend, wie Männer in solchen Fällen zu sagen pflegen, denkt Robert.

»Wie kommen Sie ausgerechnet ins Hotel Adria?« fragt sie den Herrn von der Bank. »Wenn Sie wieder einmal nach Paris fahren, sagen Sie’s mir. Ich weiß ein gemütliches Hotel in sehr guter Lage.«

Sie wirkt deplaziert in dieser Umgebung.

Das Lokal ist teilrenoviert: Stuckdecke und Plastikstühle, Plüschnischen mit beschichteten Tischen. Wer läßt sich hier freiwillig zum Frühstück nieder? Tiedemann kennt die Motive der Frühparker: Familienflucht, Sorge um das Auto, für das man einen sicheren Platz will; weil man Junggeselle ist oder zu faul, sich Frühstück zu machen; weil man nicht allein sein kann, reden muß oder den Tag nicht mit Hast beginnen möchte.

Hast – das ist sein Stichwort. Robert beginnt zu unterscheiden: Die Hastigen sind die Hotelgäste. Wie ungeduldig sie ihre Butterpäckchen, ihre Zuckerstückchen auspacken, die Marmeladedöschen öffnen! Er nickt Tiedemann zu.

»Morgens Zeit haben …«

»Sich Zeit nehmen! Man bekommt nichts geschenkt«, sagt die hübsche Erscheinung und reicht dem Herrn von der Bank den umgeschriebenen Brief. Die Männer am Nebentisch erobern sie zurück, verwickeln sie in Belanglosigkeiten. Offensichtlich glauben sie zu flirten. Robert schaut in die Zeitung, die er neben seinem Teller zweispaltig zusammengefaltet hat, schneidet das zweite Brötchen auf und verfolgt das Gespräch am Nebentisch. Die hübsche Erscheinung führt das Wort. Sie habe eine ausgesprochene Schwäche für uni-Krawatten, erzählt sie zu Roberts Vergnügen. Allein an den Gesichtern kann er ablesen, was die Angeredeten umgebunden haben. Dann erst fällt ihm ein: Als einziger an den beiden Tischen entspricht er ihrer Schwäche. Sie steht auf, ohne jeden Seitenblick.

»Ich muß noch etwas Stadtluft schnuppern. Der Rauch hier …«

Die Herren werden unruhig.

»Gute Idee«, bemerkt einer und erhebt sich.

Ein anderer ist schon aufgesprungen, hat ihren Mantel geholt und hilft hinein.

»Guten Morgen allerseits«, sagt der erste und macht eine Geste, sie möge vorausgehen. Aber sie bleibt stehen, sieht ihn an, innig-eisig.

»Ich möchte lieber allein gehen. Ich brauche ein bißchen Zeit für mich, bevor der Betrieb losgeht. Sie verstehen das?«

»Deswegen stehen wir ja so früh auf!« sagt Robert, ohne es zu wollen. Sie lächelt allgemein und geht zur Tür. Der abgeblitzte Begleiter überholt sie, hält ihr die schwere Tür auf und schlägt draußen eine andere Richtung ein.

»Na, was sagen Sie?« fragt Tiedemann mit der Miene eines Theaterdirektors, nachdem sein Star den Raum verlassen hat. Robert sagt nichts und erfährt Einzelheiten.

Konferenzdolmetscherin sei sie gewesen, französisch, italienisch, englisch, acht Jahre lang. Heute Rom, morgen New York und alles simultan. Er könne sich ja vorstellen, was das bei Wirtschaftskonferenzen heißt. Sämtliche Fachausdrücke von Zersetzungsdestillation bis Kernverschmelzungsreaktion auswendig parat haben.

»Und warum ist sie das nicht mehr?«

Sie habe geheiratet, erfährt er. Vor ein paar Jahren. Der Mann soll sehr gut aussehen, sehr kultiviert sein und viel älter. Sie schaue nicht rechts und nicht links, alles ganz prima. Vater General a. D. Was er tut, der Ehemann, weiß Tiedemann nicht. Irgend etwas mit Kunst. Sie äußere sich da nie genauer, sei überhaupt sehr zurückhaltend.

»Und was macht sie jetzt?«

»Fremdsprachenkorrespondentin bei uns«, erfährt Robert von einem der Herren von der Bank.

»Kinder?«

Das wissen sie alle nicht, nicht genau, aber wohl nicht. Robert hätte gern nach dem Namen gefragt, unterläßt es aber und geht. Wieder hat er sich nicht eingestimmt, nicht die Zeitung gelesen.

Morgen wird das anders!

Robert kam etwas früher. Zwei Frühparker saßen schon am Tisch. Bei ihnen bezog er nach freundlichem Gruß und Bestellung hinter der Zeitung die Ich-will-jetzt-lesen-Haltung mit Erfolg. Tiedemann kam und machte mehrere Anläufe zu frohgemutem Geplauder; Roberts Abwehrwellen hielten ihnen stand. Doch je ingrimmiger er sich der Lektüre widmete, die Zeilen zerrannen unter den hastenden Augen. Nichts blieb haften, keine Information erreichte das Depot, aus dem der Bildungsbürger seine Umwelt füttert. Roberts Konzentration galt der Tür. Ständig wurde sie bewegt, nie jedoch im Zusammenhang mit der hübschen Erscheinung.

War sie krank? Hatte sie verschlafen? Warum war er nicht ein paar Schritte gegangen nach dem Frühstück? Hatte er etwa auf sie gewartet?

Jetzt war ihm Tiedemann recht, die unsinnigen Gedanken beiseite zu räumen; er redete auf ihn ein, bis es Zeit wurde zu gehen.

Morgen wird das anders!

Robert kam noch früher. Unausgeschlafene Vertreter kauten hastig, tranken hastig. Von den Frühparkern waren nur die Skatspieler schon komplett. Da niemand mit am Tisch saß, gegen den er die Zeitung hätte aufschlagen können, frühstückte er ohne zu lesen. Als Tiedemann erschien, bezahlte er und ging.

Es hatte geregnet, die Luft schmeckte frischgewaschen. Er ging schnell, um viel davon einatmen zu müssen. Bewegung ist eine wesentliche Form von Freiheit. Die hübsche Erscheinung war wieder nicht gekommen oder kam erst jetzt.

Robert mußte nachdenken, endlich zum Chef durchkommen, die Sache eilte. Was wäre, wenn er einfach im Vorzimmer auftauchte, mit der richtigen Ausstrahlung?

»Hallo.«

Es war kein Zusammenstoß an der Ecke der Seitenstraße, eher ein angenehmer Aufprall.

»Guten Morgen. Heute sind Sie aber spät dran.«

»Die Luft ist so schön. Da mochte ich mich nicht zu den Rauchern setzen. Ich habe zu Hause einen Apfel gegessen.«

Sie ging mit ihm in seiner Richtung. Das überraschte ihn, und er überlegte, was er sagen könnte.

»Ich bin auch an die Luft geflüchtet. Morgenspaziergang an einem Arbeitstag, – das kenne ich noch nicht.«

»Sie wollen allein sein. Ich seh’s Ihnen an!«

Robert sagt nichts. Sie gefällt ihm.

»Wir müssen ja nicht reden«, meint sie.

Hier hätte er eine Bemerkung zu ihrem Aussehen anbringen können. Doch das erscheint ihm zu abgeschmackt. Sie gehen nebeneinander, das Schweigen macht keine Schwierigkeiten. Aber die Nähe. Eine Ewigkeit hat er keine Frau mehr begleitet. Er rettet sich an Fassaden hinauf, die ihm sonst nicht aufgefallen wären: die Zuverlässigkeitspracht der alten Banken und Versicherungen, die Stabilitätsbunker der neuen – zwei Seiten derselben falschen Münze. Dann fühlt er sie wieder, an seiner Seite, ohne jede Berührung. Franziska würde jetzt aufstehen, und die Kinder. Merkwürdig. Stumm war man einander regelrecht ausgeliefert. Schweigen ist eine anspruchsvolle Sache. Weil es Übereinstimmung voraussetzt oder Zerwürfnis. Letzteres scheidet hier aus. Man kennt einander kaum, und Gleichgültigkeit, die Schweigen erleichtert, war nicht gegeben.

»Wo arbeiten Sie eigentlich?«

»Da vorne. Die Bank mit dem Säulenportal. Und Sie?«

»Gegenüber. In dem Würfel auf Stelzen. Noch eine Runde?«

Sie nickt. Schön ist die Stadt. Trotz steigender Verkehrsflut. Bei den Zebrastreifen faßt er sie am Oberarm. Weicher Stoff, beste Qualität. Drüben läßt er sie wieder los. Es war reine Höflichkeit, leicht angestaubte Höflichkeit, aber gerade mit der ließ sich gut Distanz halten. Ausstrahlung hängt ja davon ab, auf was man sich konzentriert. Daran würde er auch beim Chef denken, wenn er zu ihm durchkäme. Sich neutral halten, nichts wollen. Alles Vorsätzliche hindert den Erfolg.

»Sie haben einen sehr schicken Mantel.«

»Finden Sie?«

»Der würde meiner Frau auch gut stehen«, hört er sich sagen und ärgert sich. Doch sie übergeht den Satz, nennt das Geschäft, wo sie ihn gekauft hat, aber nicht den Preis. Nur, daß er nicht teuer gewesen sei, sagt sie. Bis zur Bank wird Robert sie nicht begleiten. Überall strömen Kollegen.

»Gestern waren Sie nicht im Café.«

Sie schüttelt den Kopf.

»Auch nicht im Büro, wie ich gehört habe. Waren Sie krank?«

Wieder so ein ungeschickter Satz von ihm. Doch sie weicht nicht aus.

»Ich habe mich nicht wohl gefühlt.«

Robert bleibt stehen.

»Dann auf Wiedersehn.«

»Auf Wiedersehn und danke für den Spaziergang.«

Das Schwimmen mit den Kindern in K & K’s prestigetüchtiger Badehalle war um eine Woche verschoben worden. Karin war mit Sebastian zum Geburtstag ihrer Mutter geflogen, und Karl hatte viel auswärts zu tun, was immer er darunter verstehen mochte. Seit ihrer Begegnung vor der Bäckerei hatte Robert ihn nicht mehr gesehen.

Nun schwammen sie wieder, zogen zu viert ihre Bahnen, und Robert mußte von seinem neuen Tagesrhythmus erzählen. Es war ihm nicht recht gewesen, als Franziska das Thema anschnitt. Für subtilere Daseinsgestaltung besaßen K & K keine ausreichende Antenne. Aber Franziska mochte es, wenn Robert erzählte, weil er sehr anschaulich erzählte, wie sie fand. Also erzählte er, lobte den frühen Morgen, das Gefühl, Zeit zu haben. Wie erwartet schüttelte Karl den Kopf.

»Mich kannst du damit jagen.«

In unterschiedlichen Abständen unterbrachen die Kinder. Meist mit einem Eröffnungsschrei von Sebastian, weil Jennifer und Martin ihm zusetzten, wie jetzt, da sie ihn unter der kalten Dusche festhielten. Ihre Abneigung gegen das geigende Einzelkind saß tief. Vor jedem Zusammentreffen wurden sie von Franziska und Robert mit dem Satz: »Man muß auch zu Menschen nett sein können, die man nicht so mag!« auf die Wahrheit der Erwachsenen vorbereitet. Die befreundeten Eltern strapazierten diese Wahrheit ihrerseits, indem sie die offenkundige Antipathie dem Altersunterschied anlasteten. Sebastian war der Jüngste.

»Gibt es bei euch Frühparkern auch Frauen?« wollte Karin wissen. Wahrheitsgemäß berichtete Robert von der einzigen, die er bisher wahrgenommen hatte. Möglicherweise aus der Absicht, die belächelte Gemeinde aufzuwerten, geriet er dabei über die Vergangenheit als Konferenzdolmetscherin, ihre Selbstsicherheit, ihren Witz in geschwätziges Schwärmen, das sich auf eine Frage nach ihrem Aussehen noch steigerte. Und wenn er schließlich darauf verfiel, das Figürliche anhand von Franziska zu detaillieren, lag das nur an Karls hartnäckiger Fragerei. Dabei war der Vergleich nicht schlecht gewählt. Mit Franziska hatte sie die Proportionen gemeinsam, wirkte allerdings größer, dünner. Karl hielt sich am Rand des Beckens fest.

»Das muß ja eine bildschöne Person sein. Franziska, was sagst du dazu?«

Franziska lächelte mild.

»Nichts. Da gibts doch nichts zu sagen.«

Ihr leichter Ton paßte. Karl nahm nichts ernst. Alles veralberte er, um dann unvermittelt verfängliche Fragen zu stellen.

»Wie genau du sie beschreiben kannst, wo du sie erst seit zwei Wochen kennst und nur mit ihr frühstückst. Oder macht ihr auch Spaziergänge?«

»A propos Spaziergänge!« Karin sah Karl an. »Du bist in der Stadt gesehen worden, mit einem Mädchen. Letzten Dienstag.«

Karl grinste.

»Dienstag? War ich da überhaupt hier? Erzähl mal.«

»Du mußt hier gewesen sein. Sonst hätte man dich nicht Arm in Arm sehen können.«

Robert, der peinliche Situationen haßt, versuchte abzulenken.

»Vielleicht war es eine Verwechslung.«

Doch Karl lachte.

»Ich stütze meine Mandantinnen grundsätzlich, wenn wir zu einem Termin gehen.«

»Zu einem Termin? Nachmittags, mitten in der Stadt?«

»Aber ja doch! Zu einem Versöhnungstermin mit Kaffee und Kuchen.«

Karl schwamm zu Karin.

»Hab ich die Dame etwa auch geküßt? Nein, im Ernst: Dienstag war ich in Genf, und morgen muß ich nach Zürich.«

Karin blieb ernst.

»Neuerdings scheinen sich nur Schweizer scheiden zu lassen.«

»Karin. Bitte nicht auf diesem Niveau.« Es klang fast zärtlich. »Schau, Franziska stört es auch nicht, wenn Robert Spaziergänge macht mit seiner bildschönen Frühstücksfreundin.«

Die Bezeichnung amüsierte beide. Robert ahnte, daß er sie noch öfter zu hören bekommen würde. Damit war die Stimmung wieder im Lot. Doch Karl wechselte nicht etwa das Thema, sondern segelte auf der Berufsroutine weiter.

»Was würdest du tun, wenn Robert mit dieser bildschönen Frühstücksfreundin was anfinge?«

Franziska nutzte die Gelegenheit, um Karin ihren Standpunkt zu dem klarzumachen, was sie ihr direkt nicht sagen konnte.

»Man trägt ja den Ehering nicht durch die Nase mit einer Schnur dran, die der Partner festhält. Mir kann es morgen auch passieren, daß ich mich verliebe. Und dir, Karin, genauso. Wenn er sich verliebt, würde ich mir jedenfalls nicht gleich Vorwürfe machen, daß ich ihn falsch behandelt habe. Das halte ich für ebenso töricht wie stummes Leiden mit Haltung, bis der Wüstling, der ach so männliche, schön um Verzeihung bittet und seinem Frauchen so wenigstens die Chance läßt, Mutti zu spielen, die für alles Verständnis hat. Aber was fragst du mich? Du bist der Fachmann.«

Es klang nicht unvernünftig, was Franziska da sagte. Die Kinder wurden wieder laut. Robert hörte nicht hin. Seine Gedanken blieben, wo sie waren. Zwei Tage hatte ihn die morgendliche Tischrunde verärgert. Konnten die Kerle die Frau nicht eine Minute in Ruhe frühstücken lassen? Pausenlos redeten sie auf sie ein, und immer erwarteten sie charmante Antworten. Aber sie konnte das. Gleichzeitig sprechen, essen, Zeitung lesen, Kaffee trinken und eine Zigarette rauchen. Nein, sie rauchte nicht. Oder doch?

Kürzlich hatte er sich verspätet. Da fragte sie ihn, in der letzten Sekunde, bevor Tiedemann an den Tisch kam, ob er mit ihr spazierengehen wolle. Er reagierte nicht sofort, zu überraschend kam die Frage, und dann war es zu spät.

Gelächter unterbrach seine Gedanken und Jennifers Pappi-Rufe. Sie machte einen Kopfstand unter der Dusche. Um ungestört zu bleiben, setzte Robert ein väterliches Schmunzeln auf.

Am Freitag war er bereit gewesen, sofort mitzukommen. Aber sie wiederholte ihre Frage nicht. Eine kindische Erwartung nach dem Vortag. Diese Art von Frau war Robert fremd. Das war wohl auch der Grund, warum sie ihn beschäftigte. Eitelkeit, alte, überständige Eitelkeit. Wie sehr einem die nichtbewältigten Chancen der Vergangenheit nachhängen können!

Karl wurde am Telefon verlangt.

»Komm, Robert. Wir holen uns was zu trinken.«

Sie zogen ihre Bademäntel über und verließen die tropische Badehalle. Während Karl das nächste der zahlreichen Telefone im Haus abnahm, ging Robert ins Wohnzimmer, öffnete die Flügel der Bar im Wellenschrank und füllte schwerste Gläser mit Eiswürfeln. Draußen klatschten Karls Schlappen auf dem Marmor der Diele, er kam herein.

»Du mußt mir einen Gefallen tun, Robert. Du mußt dem Mädchen Bescheid sagen. Du weißt schon. Ich verreise tatsächlich. Sie hat kein Telefon.«

»Dann schick ihr ein Telegramm.«

Karl schüttelte mitleidig den Kopf.

»Sie ist jung und aggressiv. Ich muß sichergehen, daß sie keine Zicken macht.

»Laß mich da raus, Karl«, bat Robert. »Ich bin auch mit Karin befreundet.«

»Karin ist in diesem Punkt erziehungsgeschädigt. Du hast es ja eben gehört. Nicht jeder hat so eine vernünftige Frau wie du. Ausgerechnet du. Also sei so gut …«

»So was kann unsere Freundschaft belasten.«

»Nur Freundschaften kann man belasten. Du sagst ihr, daß ich weg mußte und mich melde, sobald ich zurück bin. Zweiter Stock links, über der Bäckerei, ja?«

»Ungern.«

»Tu mir den Gefallen. Ich werf dir auch mal einen Stein in den Garten.«

»Ich mag die Rolle nicht. Dir fällt sicher noch was Besseres ein.«

Roberts hilfloser Ausdruck belustigte Karl.

»Du bist mein bester Einfall. Dir glaubt sie am ehesten.«

»Wieso mir?«

»Sie hat es selbst gesagt.«

»Aber sie kennt mich doch gar nicht.«

»Der hält dicht – hat sie gesagt. Den Typ kenne ich: Harmlos und zuverlässig.«