Anna Michels

26 Küsse
und ein Happy End

Aus dem amerikanischen Englisch
von Sonja Häußler

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Deutsche Erstausgabe
1. Auflage als Arena Taschenbuch 2017
Deutschsprachige Ausgabe © 2017 Arena Verlag GmbH, Würzburg
Original English language edition copyright
© 2016 by Simon & Schuster, Inc.
Die Originalausgabe erschien 2016 unter dem Titel 26 Kisses bei
Simon Pulse, einem Imprint der Simon & Schuster Publishing Division.
Alle Rechte vorbehalten
Aus dem amerikanischen Englisch von Sonja Häußler
Umschlaggestaltung: Frauke Schneider, unter Verwendung von Bildern
von © Lukas Flekal; © shutterstock / Natascha Pankina;
© shutterstock / smilewithjul und © shutterstock / SonyaDehartDesign
ISSN 0518-4002
ISBN 978-3-401-80647-1

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1

Seth hat mich zuerst geliebt. Und wahrscheinlich war es falsch von mir zu glauben, dass er tief in seinem Innersten immer mich am meisten lieben würde. Selbst als ich mit einem anderen zusammenkam, selbst als die Schule und das Leben und andere Freunde in die Quere kamen, habe ich aus irgendwelchen Gründen angenommen, dass ich wegen allem, was zwischen uns passiert war, immer seine Nummer eins sein würde. Doch jetzt, wo wir uns den Weg durch die Menschenmenge auf der Dune-Days-Parade bahnen, sehe ich, dass er Melinda so ansieht, wie er mich immer angesehen hat. Dieser Blick, wenn seine Augen sanft werden und seine Gesichtszüge sich entspannen, weil seine ständige innere Aufgedrehtheit – die ihn von einer Sache zur nächsten, von einem Abenteuer ins nächste treibt – plötzlich verschwindet. Bei diesem Blick habe ich mich immer von ihm zurückgezogen und von ihm abgewandt, weil er mir zu intensiv war. Jetzt schenkt er diesen Blick ihr, und anstatt mich für ihn zu freuen, kann ich nichts anderes denken als oh, Mist. Was wird denn dann aus mir, wenn meine beiden besten Freunde diesen Sommer zusammenkommen?

Eine Mikrosekunde später reißt sich Seth zusammen, er nimmt einen riesigen Bissen von seinem Churro und wirbelt dabei eine Wolke Puderzucker auf.

»Komm«, sagt er über seine Schulter hinweg und stürzt sich in den dichtesten Teil der Menge. Mit seinen wie immer dunklen Klamotten hebt er sich von den Touristen in grellen farbigen T-Shirts und Mützen ab. »Von hier sehen wir nichts.«

Mel hakt sich mit dem Finger in meiner Gürtelschlaufe ein. Um uns herum wird das Gedränge immer dichter und ich kämpfe gegen das Bedürfnis an, sie abzuschütteln und in der Menge zu verschwinden. Doch Seth greift nach meinem Handgelenk und schließlich sitzen wir drei eng beieinander auf der Bordsteinkante, an einer erstklassigen Stelle, um Süßigkeiten und Geschenke aufzufangen, die vielleicht von den Festwagen geworfen werden.

»Möchtest du?«, fragt Seth und bietet Mel den halben Churro an. Sie schüttelt den Kopf und wendet sich angewidert ab.

»Zu viel Zucker«, sagt sie und fährt sich mit der Hand durch das kurze schwarze Haar, wobei sich ihre Finger in ihren Locken verheddern.

»Es ist Dune Days«, sage ich. »Wozu lebt man, wenn man nicht mal dann Churros oder ein Eis isst?« Ich versuche, nicht genervt zu klingen, weil Mel vor Kurzem beschlossen hat, dass Zucker Gift ist.

Sie zuckt mit den Schultern, lehnt sich nach hinten, stützt sich auf ihren Händen auf und streckt die Füße auf die Straße. Die Schnürsenkel ihrer Converse-Schuhe schleifen durch den Staub.

Ich versuche, über Mels Kopf hinweg Seths Blick zu erhaschen, aber er sieht sie wieder so an und beachtet mich nicht. Jemand, der hinter uns steht, rammt mir das Knie in den Rücken und ich zucke zusammen.

»Soll ich dir ein bisschen gerösteten Rosenkohl vom Biostand holen?«, fragt Seth Mel mit neckendem Unterton. »Oder vielleicht einen Weizengrassaft? Einen Grünkohlsalat? Du weißt schon – irgendetwas, das wirklich zur Parade passt.«

Mel lächelt und stößt Seth mit der Schulter an. »Ach, halt doch die Klappe«, erwidert sie und lehnt sich einen Moment länger an ihn, als streng genommen notwendig wäre.

Ich schiebe mir den Rest meiner Eiswaffel in den Mund und versuche, ein neues Gesprächsthema zu finden – eines, bei dem die beiden sich nicht mehr ansehen wie zwei Neuntklässler bei ihrem ersten Schulball. Wie lange geht das schon und warum habe ich es erst jetzt bemerkt? Was bin ich blind gewesen, dass mir die Spannung zwischen den beiden nicht aufgefallen ist! Allerdings war ich in letzter Zeit auch ziemlich mit meinem eigenen Kram beschäftigt.

Ich binde meine Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen und kann mich nur auf zwei Dinge konzentrieren: erstens darauf, wie unglücklich ich gerade bin, und zweitens darauf, wie viel unglücklicher ich für den Rest des Sommers noch sein werde, wenn Mel und Seth von der Bildfläche verschwinden und dieses Freund-Freundin-Ding passieren wird. Nicht dass ich es nicht verdient hätte, nachdem ich sie die letzten zwei Jahre total vernachlässigt habe.

Endlich reißt Seth seinen Blick von Mel los und schaut über die Straße. Seine Augen weiten sich. »Veda, ist das nicht …?«

»Was?« Ich blinzle in die Sonne.

»Äh … nichts. Vergiss es.« Seth wickelt den Rest seines Churros in eine Serviette und legt ihn neben sich. »Ich glaube, ich höre den Musikzug.«

»Echt? Ich höre nichts …« Meine Stimme gerät ins Stocken, als ich merke, was – wen – Seth entdeckt hat. »Oh Gott. Wir müssen weg von hier.« Ich rapple mich auf.

»Nein!« Mel packt mich am Arm und zieht mich wieder nach unten. »Was soll das? Wir haben einen super Platz hier.«

Ich drehe den Kopf und schirme mein Gesicht mit der Hand ab. Seth runzelt die Stirn und heftet den Blick aus seinen grünen Augen auf mich. Ich fühle mich wie gefangen in der Menge von aufgedrehten, Churros mampfenden Touristen. »Bitte, Leute. Lasst uns hier verschwinden.«

»Es ist Mark«, erklärt Seth Mel. »Er sitzt gleich da drüben.«

Sie verzieht das Gesicht und beugt sich vor, um die Menge abzusuchen.

»Nicht hinschauen!« Ich ducke mich noch mehr, aber auch ich riskiere einen Blick auf die andere Straßenseite. Sofort finde ich die verwaschene blaue Baseballkappe, die ich so gut kenne. Mark sitzt mit seinen Eltern und seinen beiden jüngeren Brüdern auf Gartenstühlen. Zu ihren Füßen steht eine große Kühlbox auf Rollen, die vermutlich mit legendär leckeren Sandwichs von seiner Mutter gefüllt ist. Mein Magen macht einen Salto. Vor genau einem Jahr bin ich mit ihnen zusammen hier auf der Parade gewesen. Mark hat mich mit Kartoffelchips gefüttert, während der Bürgermeister von Butterfield in einem Cabrio an uns vorbeifuhr. Die Erinnerung ist zum Greifen nah und mich überläuft ein Schauder, als ich mich daran erinnere, wie sich Marks Augen geweitet hatten, als ich zärtlich das Salz von seinen Fingerspitzen leckte.

»Hey.« Mel greift nach meiner Hand und verschränkt ihre Finger mit meinen. Ihre silbernen Ringe fühlen sich warm auf meiner Haut an. »Vergiss Mark. Ist doch sein Pech, oder nicht?«

»Ja, sein Pech«, stimme ich ihr automatisch zu. Nur wie soll ich diesen Anblick in der nächsten Stunde ohne eine Art öffentlichen Zusammenbruch ertragen?

Ich schließe die Augen. Es ist jetzt zehn Tage her, seit Mark mir gesagt hat, dass er »nicht gebunden« sein wolle, wenn er wegzieht, um aufs College zu gehen. Dass niemand für immer mit seiner Highschool-Freundin zusammenbliebe.

Keiner bleibt bei seiner Highschool-Freundin. Das klingt, als wäre es wahr. Was ist Highschool auch schon außer Cross-Country-Teamtreffen, Drei-Minuten-Pausen und Energy-Drink-Trinken um Mitternacht, damit man wach genug ist, um seine Mathehausaufgaben fertig zu kriegen?

Die Highschool ist nicht wichtig. Und Highschool-Freundinnen wahrscheinlich ebenso wenig.

Was für ein Pech, dass mein Highschool-Freund alles für mich gewesen war.

Ich öffne die Augen. Unter keinen Umständen kann ich heute Mark entgegentreten. Ich werde mich einfach verstecken, so tun, als würde ich die Parade anschauen, und sobald sie vorbei ist, verschwinden.

»O-ooh«, sagt Seth.

Marks Mutter zeigt auf uns und flüstert Mark etwas ins Ohr. Er schiebt mit der einen Hand seine Baseballmütze nach oben, die andere hebt er zu einem zögerlichen Winken.

»Oh Mann, verdammt.« Ich lasse den Kopf sinken und starre in den Rinnstein, in dem lauter Bonbonpapiere und Ticketabrisse liegen, der übliche Abfall von Sommerfestivals.

»Er kommt rüber«, warnt mich Mel und drückt meine Hand fester. »Interaktion in drei, zwei …«

»Hey, Vee.«

Ich hole tief Luft und schaue in das Gesicht, das mir auf dieser Welt das liebste ist. »Hi, Mark.«

Er hat sich vor uns dreien hingestellt, sodass er die Sonne verdeckt. Er trägt das Lederarmband, das ich ihm im Februar zu seinem achtzehnten Geburtstag geschenkt habe. Warum trägt er das noch?

»Was geht?« Mark ist total locker, hat die Daumen in seine Gürtelschlaufen eingehängt und wirkt völlig entspannt. Als wären wir Freunde – obgleich wir doch in Wirklichkeit so viel mehr und gleichzeitig, inzwischen, sehr viel weniger sind als Freunde.

»Ganz okay.«

Mel lässt meine Hand los, beugt sich zu Seth und flüstert ihm etwas ins Ohr. Beide scheinen vollkommen unbeeindruckt von der Tatsache, dass Mark direkt vor ihnen steht.

»Ich soll dir liebe Grüße von meiner Mom ausrichten. Und Kyle und Oliver wollen wissen, warum Jeffrey heute nicht kommen konnte.«

Ich winke Marks Mom zu, die begeistert mit beiden Händen zurückfuchtelt, und wieder spüre ich einen Stich des Bedauerns. Darüber, dass ich an den Wochenenden nicht mehr zu Mark nach Hause gehen würde, um am Lagerfeuer zu sitzen oder ein Tischtennisturnier zu machen.

»Es ist Dads Wochenende, deshalb hat ihn Mom gestern Abend hingebracht.«

Mark nickt. »Das ist ja ätzend. Und dein Dad wollte nicht zu Dune Days kommen?«

Ich zucke mit den Schultern. »Du weißt doch, dass meine Stiefmutter keine Menschenmengen mag.«

Mark senkt den Blick und fummelt an seinem Armband herum. Aus der Ferne dröhnen Paukenschläge und künden den Beginn der Parade an.

»Also dann … ist bei dir alles in Ordnung, Vee?«, fragt er, während er Mel mit einem unbehaglichen Blick streift. »In Bezug auf alles?«

Fast hätte ich gelacht. Typisch Mark: Dass er sich nach meinem Befinden erkundigt, selbst jetzt, wo wir gar nicht mehr zusammen sind. Er hat es gehasst, wenn wir mal Streit hatten, und konnte mich nie nach Hause bringen oder selbst nach Hause fahren, wenn er nicht das Gefühl hatte, dass zwischen uns alles okay war. Selbst als ich mich vor zehn Tagen unter Tränen von ihm abwandte, versuchte er, mich zu trösten, seine Finger brannten wie heiße Eisen auf meinem Arm.

»Klar«, sage ich mit brüchiger Stimme. »Es geht mir gut.«

»Schön. Das ist gut.« Er sieht aus, als wollte er noch mehr sagen, doch das Geräusch der Blaskapelle kommt immer näher. »Na, dann setze ich mich wohl besser wieder hin«, sagt er. »Wir sehen uns. Vielleicht bei der Arbeit?«

»Ich habe gekündigt«, rufe ich ihm nach, während er über die Straße rennt und sich auf seinen Gartenstuhl fallen lässt – das einzige Anzeichen dafür, dass es ihn überhaupt aus dem Konzept gebracht hatte, mich hier zu sehen. Es überrascht mich, dass das ihm gegenüber noch niemand erwähnt hat. Ich hatte den Ferienjob im Butterfield Big 6 Cinema überhaupt nur angenommen, damit Mark und ich uns mit Popcorn füttern und in leeren Kinosälen rummachen konnten – und dafür auch noch 8,25 Dollar pro Stunde bekamen. Jetzt war ich mir ziemlich sicher, dass ich dort nie wieder einen Film würde anschauen können, ganz zu schweigen davon, mit Mark an dem Ort weiterzuarbeiten, wo er mir zum ersten Mal gesagt hatte, dass er mich liebte.

»Arschloch.« Seth sagte das so laut, dass uns ein paar Leute in der Nähe Blicke zuwarfen. Es ist nicht das erste Mal, dass Seth Mark so nennt, aber es ist das erste Mal, dass ich ihm irgendwie zustimme.

»Gut gemacht, Vee.« Melinda gibt mir High-five, beugt sich vor und schiebt sich ihre dicke schwarze Brille nach oben. »Du warst total cool. War gar nicht so übel für die erste Begegnung nach der Trennung, oder?«

»Nein«, sage ich, als der Cheeky-Cherry-Basket-Wagen vorbeigleitet und mir die Sicht auf Mark versperrt. Mel legt mir den Arm um die Schultern, lehnt ihren Kopf kurz an meinen und fast glaube ich meine eigene Lüge. »Überhaupt nicht übel.«

Seth gibt heute Nachmittag eine Klavierstunde, deshalb verschwindet er nach der Parade im Musikgeschäft, während Mel und ich schweigend zum Wagen gehen.

»Ich hasse Paraden«, sagt sie, als wir in ihrem alten Buick Zentimeter für Zentimeter die Hauptstraße entlangkriechen. Im Sommer ist es in Butterfield wegen des Verkehrs zum Strand praktisch unmöglich, irgendwohin zu fahren. Viele Leute aus Chicago flüchten übers Wochenende hierher und zwischen Memorial Day und Labor Day allein finden fünf verschiedene Festivals statt, die Touristen magisch anziehen.

»Ich weiß.« Ich schließe die Augen und verstelle die Lehne nach hinten, sodass ich praktisch in der Horizontalen bin. »Warum bist du dann hergekommen?«

Sie hebt die Schultern. »Seth wollte gern hingehen.«

Mir fällt wieder ein, wie er sie vorhin angesehen hat, und ich muss mir auf die Zunge beißen, Mel nicht daran zu erinnern, dass sie und Seth sich überhaupt nur dank mir kennen. Mein Herz ist zwar gebrochen, aber so arschig bin ich nicht.

Nachdem Mel von New York in unsere Kleinstadt in Michigan gezogen war, hat es nicht lange gedauert, bis wir uns anfreundeten. Am ersten Tag der siebten Klasse stand sie mit klobigen Armreifen und verlegenem Lächeln in unserer Klasse und alle anderen fanden sie ein wenig seltsam. Für mich war sie damals der coolste Mensch, dem ich je begegnet war. Schon bald kam sie regelmäßig zu mir nach Hause und da stellte ich sie Seth vor, der bei uns gegenüber wohnt und so was wie mein Rettungsanker gewesen war, als sich meine Eltern hatten scheiden lassen.

Gemeinsam hatten wir die Mittelstufe überlebt und waren dann auf die Butterfield High gegangen. Während der letzten beiden Jahre jedoch habe ich Seth und Mel ziemlich vernachlässigt und vor allem Zeit mit Mark und seinen Freunden vom Cross-Country-Team verbracht. Ich habe eine Menge Insider-Witze, Instagram-Fotos, Schulfeste und Filmabende mit meinen Freunden verpasst, weil ich so sehr mit Mark beschäftigt gewesen war. Offensichtlich habe ich nicht einmal gemerkt, wie nah sich die beiden gekommen sind. Und es wäre unfair, ihnen das jetzt übel zu nehmen.

Mel schaltet das Radio ein und summt die Gitarrenriffs mit, während ich in meine Tasche greife und nach meinem Lederarmband taste. Es ist das Gegenstück zu Marks, das er unerklärlicherweise noch immer trägt. Es ist ganz weich geworden, weil ich es ein Jahr lang ununterbrochen getragen habe. Ich habe es auch nicht zum Duschen oder Schwimmen abgenommen – bis zu dem Tag, an dem er mit mir Schluss gemacht hat. Ich verstecke es in meiner Tasche und habe es immer dabei. Mel würde mich umbringen, wenn sie das wüsste.

Ich hebe den Arm, damit Mel nicht mitbekommt, wie mir Tränen über die Wangen fließen – aber es dauert nur einen Moment, bis Mel merkt, dass ich wieder die Krise bekomme.

»Oha, langsam«, sagt sie, dann schaltet sie die Musik aus und legt ihre Hand auf mein Knie. »Alles okay?«

Ich schüttle den Kopf. Für mich ist gar nichts okay – nicht die Tatsache, dass Mark etwa acht Minuten, nachdem er sein Highschool-Abschlusszeugnis in der Hand hielt, Schluss mit mir gemacht hat. Nicht das überwältigende Gefühl, dass mein Leben auf möglicherweise verheerende Art und Weise vom Kurs abgekommen ist. Und auch nicht die Vermutung, dass Seth jetzt Mel mehr liebt als mich – und das ist am schlimmsten von allem, weil es vollkommen unfair von mir ist.

»Vee, du hast das toll hingekriegt. Wir hätten nicht zur Parade gehen sollen. Wir hätten wissen müssen, dass Mark da sein würde.«

Ich reibe mir die Augen, schlucke schwer und versuche, mich zusammenzureißen. »Ich komme mir einfach nur blöd vor.«

»Ich weiß, Süße. Aber das solltest du nicht. Er ist derjenige, der …« Sie seufzt und trommelt mit den Fingern aufs Lenkrad. »Ach, egal. Es hat keinen Sinn, noch mal aufzuwärmen, was für ein vollkommener, totaler Arsch Mark ist.« Sie holt tief Luft. »Ich muss zum Big Float, arbeiten. Willst du immer noch mitkommen?«

Ich antworte nicht, weil ich auf einmal erschöpft bin. Flaherty’s Float & Boat gehört Mels Dad. Es ist die größte Bootsvermietung in der ganzen Gegend. Er sponsert jedes Jahr zu Dune Days kostenlose Reifenschlauchtouren auf dem Fluss. Beim Big Float zu arbeiten, ist ein Albtraum aus schreienden Kindern, die ihre Schwimmwesten nicht ordentlich angezogen haben, und Leuten von der Highschool, die ich eigentlich den Sommer über meiden will. Außerdem muss man komplett angezogen im Fluss herumplanschen, um auf Abwege geratene Wasserreifen wieder einzufangen. Es steht nicht auf der Liste meiner Lieblingsbeschäftigungen, aber ich helfe gerne mit, um Mel Gesellschaft zu leisten – und die fünfzig Dollar, die ihr Dad dafür springen lässt, schaden auch nicht. Doch heute steigen mir die Tränen in die Augen, wenn ich auch nur an das bevorstehende Chaos denke.

»Du musst nicht«, sagt Mel sanft. Sie lässt das Lenkrad los, nimmt meine Hand und drückt sie so lange, bis ich wieder die Augen aufschlage. »Im Ernst, Vee. Ich bringe dich einfach nach Hause.«

Mein Bruder ist über das Wochenende bei meinem Dad, deshalb wird sich meine Mom in Sachen Putzen wieder völlig verausgaben. Früher oder später aber wird sie sich langweilen und mitten im Aufräumen und Abstauben aufhören. Ich werde vermutlich den ganzen Nachmittag auf der Couch liegen, fernsehen und immer wieder Fat Snacks, meine übergewichtige Katze, von meiner Brust herunterschieben. Außerdem werde ich Mark schamlos auf seinem Instagram-Account stalken. Klingt, als würde dies der deprimierendste Tag aller Zeiten.

Ich räuspere mich. »Schon gut«, widerspreche ich. »Ich will dich nicht im Stich lassen.«

Mel wirft mir einen Blick zu. »Und ich will nicht verantwortlich dafür sein, wenn du komplett zusammenbrichst.«

»Ich verspreche dir, dass der Big Float meiner fragilen Psyche nicht den Rest geben wird.«

Mel grinst und hüpft auf ihrem Sitz auf und ab. »Gut. Und du wirst Killian kennenlernen.«

Ich starre aus dem Fenster auf den Verkehr, der hinter der Parade herzockelt, und bin unfähig, Begeisterung für den neuesten männlichen Ferienjobber bei Flaherty’s Float & Boat zu zeigen. Ich kenne Mel – sie würde es schaffen, jeden Jungen innerhalb von zwei Wochen total verrückt nach sich zu machen und dann den ganzen Sommer über mit ihm zu spielen. Das macht sie öfter mit Jungs, als sie zugeben will. Sie schiebt das auf ihre Bindungsängste.

Vor uns strömt eine Gruppe von Leuten auf die Straße und Mel steigt fluchend auf die Bremse.

»Blöde Idioten!« Sie hupt und kurbelt das Fenster herunter. »Geht nach Hause, ihr Schlafmützen!« Mels Intoleranz gegenüber Urlaubern, die jeden Sommer die Stadt überrennen, ist legendär, aber insgeheim liebt sie es, Touristen zu beschimpfen, und würde sie vermissen, wenn sie nicht da wären. Man sagt, dass sie ihnen sogar absichtlich falsche Wegbeschreibungen gibt und sie vor Haien im Michigansee warnt. Sie drückt weiter auf die Hupe, flucht leise vor sich hin und verdreht die Augen, als eine Familie bei Rot die Kreuzung überquert.

Trotz allem muss ich lächeln.

2

Der Parkplatz des Float & Boat ist schon voller Minivans und SUVs sowie Familien in Badeklamotten und T-Shirts, die vor ihren Fahrzeugen stehen, sich mit Sonnencreme einschmieren und Badetücher verteilen. Mel fährt auf eine grasbewachsene Fläche hinter dem Bürogebäude und holpert dabei über frei liegende Baumwurzeln.

»Ich schwöre dir, diese dumme Veranstaltung hier wird jedes Jahr voller und lächerlicher«, murrt sie, während sie ihre Sonnenbrille in das Wirrwarr aus dunklen Haaren schiebt. »Schauen wir mal, wo Dad uns eingeteilt hat.«

Mel arbeitet meist im Büro, da sie die Einzige ist, die weiß, wie man das Bankkartenlesegerät bedient, wenn jemand Snacks oder eine Flasche Wasser an der Minitheke kaufen will. Nach einer hitzigen Runde Schere-Stein-Papier mit Mitchell und Heather, zwei der Angestellten, werde ich der Reifenbrigade zugewiesen. Da ich auf keinen Fall in meinen Lieblingsshorts in den Fluss steigen will, schnappt sich Mel den Rucksack voll alter Klamotten, den sie immer im Auto aufbewahrt, und wirft ihn mir zu. Ich ziehe mich in der dunklen, von Spinnen bevölkerten Toilette um und schlüpfe in eine alte, kurze Sporthose von Mel und ein T-Shirt mit Powerpuff-Girls-Aufdruck. Dann stecke ich meine nackten Füße in ein Paar verkrustete Tennisschuhe, denen man ansieht, dass sie schon viele Stunden durch Flussschlamm gewatet waren.

»Hübsch«, verkündet Mel und packt einen sehr großen, solide aussehenden Kerl am Ellbogen, der gerade durch die Tür hereinkommt. »Killian! Das ist meine beste Freundin, Vee.«

Wie Mel letzte Woche bei jeder sich bietenden Gelegenheit erwähnt hat, sieht Killian ziemlich gut aus. Er hat wuscheliges blondes Haar, das unter einer Baseballmütze hervorlugt, und strahlend blaue Augen. Und – was für Mel vielleicht am wichtigsten ist – er kommt aus Trawley, der nächsten Kleinstadt, deshalb wissen wir überhaupt nichts über ihn, was ihn laut Mel automatisch interessant für uns macht. Ich zwinge mich zu lächeln und male mir schon die stundenlangen Diskussionen aus, die Mel der Analyse von Killian widmen wird und allem, was er jemals gesagt oder getan hat.

»Ich freue mich sehr, dich kennenzulernen«, sagt Killian und streckt seine Hand aus. Ich will sie gerade schütteln, da ballt er seine Finger zur Faust und stößt damit gegen meine. Dabei grinst er mich schräg an, wobei eine kleine Zahnlücke zwischen seinen Schneidezähnen sichtbar wird.

»Ähm, ja. Ich auch«, entgegne ich und schüttle irritiert den Kopf.

Mr Flaherty eilt vorüber, ein Klemmbrett unterm Arm. »Die Leute stehen Schlange. Mel, geh zum Schuppen mit den Schwimmwesten. Ihr zwei« – er deutet auf Killian und mich– »geht hinunter ans Wasser.«

Killian nickt. »Ja, Sir.« Als sich Mr Flaherty abwendet, zwinkert er mir zu. »Sieht aus, als käme gleich die heiße Phase«, sagt Killian. Er nimmt seine Baseballmütze ab und setzt sie verkehrt herum wieder auf. »Bereit, nass zu werden?«

»Aufgepasst, Vee!«

Ein schwarzer Reifenschlauch rollt die steile Uferböschung herunter, prallt gegen meine Brust und haut mich fast um. Ich gewinne das Gleichgewicht wieder und greife im letzten Moment nach dem Wasserreifen, bevor er davontreibt.

»Okay«, sage ich und winke drei Teenies in winzigen Bikinis zu mir. »Ich seid die Nächsten.« Vorsichtig bahnen sie sich ihren Weg zu mir und kreischen jedes Mal, wenn eine Wasserpflanze ihre Füße streift. Sie schießen Fotos mit ihren iPhones, die in Ziploc-Tüten wasserdicht verpackt sind. Behutsam setzen sie sich in ihre Wasserreifen und ich schubse sie zur Mitte des Flusses. Eines der Mädchen kreischt mir ins Ohr und ich zucke zusammen.

»Dann lasst euch mal schön treiben«, murmle ich, als sie von der Strömung erfasst werden. Ich halte einen Moment lang inne, die Hände in die Hüften gestemmt, und überlege, wie viele Leute in der Schlange vor der Schwimmwestenausgabe wohl noch stehen. Ich habe das Gefühl, ungefähr jeden, der in Butterfield wohnt, heute in Badeklamotten gesehen zu haben – was nicht zwangsläufig erfreulich ist.

»Vee!« Killian steht oben ohne am Ufer. Ein Hauch von Sonnenbrand breitet sich auf seinen Schultern aus. »Tut mir leid wegen dem letzten Reifen. Meine Muskeln waren einfach stärker als ich.«

»Schon klar.« Ich spritze Wasser in seine Richtung. »Damit kannst du vielleicht die Mädels da beeindrucken, aber ich stehe nicht so auf aufgeblasene Fitnessstudiotypen.«

Killian wirft sich in eine alberne Pose, seine Muskeln treten so beeindruckend hervor, wie man es bei Teenagern eigentlich eher selten sieht. »Würdest du mir glauben, wenn ich dir sage, dass ich noch nie in meinem Leben Gewichte gestemmt habe? Ich bin zu faul für diesen Blödsinn.«

»Und wie erklärst du dir dann das?« Ich zeige auf seinen prallen Bizeps.

Killian zuckt mit den Schultern. »Gene. Glück. Die Tatsache, dass ich dieses Jahr fünfzehn Zentimeter gewachsen bin und mich offenbar in den Hulk verwandle.« Er tippt sich auf die Brust. »Glaub mir, tief in meinem Herzen bin ich ein dürrer Winzling.«

Ich muss zugeben, dass er gut aussieht – und überhaupt nicht wie ein dürrer Winzling. Aber nachdem wir uns den ganzen Nachmittag lang klebrige Reifenschläuche zugeworfen und uns mit neckischen Beleidigungen aufgezogen haben, werde ich Killian mit ziemlicher Sicherheit nie wieder anschauen können, ohne an den übelkeiterregenden Geruch von heißen Gummireifen und Sonnencreme denken zu können. Mel kann ihn haben.

Ein paar Jungs kommen angerannt und springen in den Fluss, dass es nur so spritzt. »Killian Hughes! Mann, was geht?« Einer von ihnen hebt die Hand zu einem High-five, zieht sie aber dann, kurz bevor Killians Handfläche sie trifft, weg. »Reingelegt!«

»Witzig, Drew«, sagt Killian mit ruhiger, bedächtiger Stimme. Er nimmt ein paar Wasserreifen vom Gestell und reicht sie Drew und seinem Kumpel. »Viel Spaß.«

Der andere Kerl, eine Bohnenstange, dessen Badehose gerade so von seinen knochigen Hüften oben gehalten wird, grinst und entblößt dabei eine Zahnspange.

»Cooler Job, Kill. Bestimmt kriegst du hier mit, was in Butterfield so los ist! Irgendwelche heißen Mädels?« Er zieht die Augenbrauen nach oben.

»Klar.« Killian wendet ihnen den Rücken zu, verschränkt die Arme und späht zum Schuppen mit den Schwimmwesten hinüber. »Bis dann, Leute.«

Drew stößt seinem Kumpel den Ellbogen in die Rippen, dann werfen sie ihre Schläuche in den Fluss, stürzen sich darauf und spritzen dabei mein T-Shirt nass.

»Freunde von dir?«, erkundige ich mich, als sie außer Hörweite sind.

Killian schnaubt. »Nur ein paar Penner aus Trawley.« Er seufzt und nimmt seine Baseballmütze ab. Dann beugt er sich vor, taucht seine Hand in den Fluss und fährt sich mit den Fingern durch das Haar. »Ich glaube, es kommen keine mehr. Sollen wir eine Pause machen?«

»Gerne.« Ich platsche zum Ufer und lasse mich auf den dichten Teppich aus Kiefernnadeln fallen.

Killian folgt mir, rutscht aber im Matsch aus und platscht durchs Wasser, als er versucht, sich zu setzen.

Ich ziehe eine Augenbraue nach oben. »Du bist wie ein Elefant.«

»Nee.« Er streicht sich die Haare aus den Augen. »Elefanten sind graziöser.«

Ich schließe die Augen und versuche, das Kreischen und das Gelächter der Leute, die auf dem Fluss treiben, auszublenden und mich auf die Vögel in den Bäumen und das Rascheln der Zweige im sanften Wind zu konzentrieren. Mein Körper entspannt sich, als mir eine kühle Brise über das Gesicht streicht. So schlecht ist das gar nicht.

»Mel hat erzählt, ihr zwei seid bald im vierten Jahr an der Highschool?« Killian zerstört meinen Zen-Moment brachial.

Ich hole Luft und setze mich auf. »Ja. Und du?«

Killian nickt. »Ich auch. Ich und die zwanzig anderen in meiner Abschlussklasse.«

»Wow, kleine Schule. Kennst du die beiden da von dort?« Ich deute auf den Fluss.

Killian nickt. »Leider. Und ob du es glaubst oder nicht, es gibt noch mehr von der Sorte. Deshalb habe ich beschlossen, den Sommer über abzuhauen und in Butterfield zu arbeiten.«

»Ich sage dir das nur ungern, aber ich glaube, Typen wie die gibt es überall.«

»Glaub mir.« Killian richtet seine tiefblauen Augen auf mich. »Überall ist es besser als in Trawley.« Er schaut wieder weg und lässt seine Fingerknöchel knacken. »Das ist echt hinterste Provinz. Alle hören nur Country-Musik. Wir haben noch nicht mal ein Kino.«

Uff. Das erinnert mich daran, dass ich keinen Ferienjob mehr habe. »Ich habe im Butterfield Big 6 gearbeitet.«

»Ach echt?« Killian stützt sich nach hinten auf seine Hände. »Dann magst du wohl Filme?«

Ich starre auf den Fluss hinaus. Es ist peinlich zuzugeben, dass ich mich dort nur wegen meines Exfreundes beworben hatte, der am Ende doch nicht so sehr in mich verknallt war, wie ich gedacht hatte. »Klar. Du nicht?«

»Doch, total. In Trawley bin ich beim Theaterclub. Nicht dass das viel heißt, aber … Schauspielerei, Theater, Filme, Improvisation, Rhetorik. Finde ich alles toll.«

Ich warf ihm einen Blick zu. »Du stehst auf Rhetorik?«

»Ist der Himmel blau?«

Ich schweige, ein wenig überrascht. »Meine Frage mit einer anderen Frage beantworten – und dann auch noch eine, die eine eindeutige Antwort erfordert. Klassiker«, erwidere ich. »Ich bin auch im Debattierclub.« Ich zerbreche mir den Kopf und versuche mich zu erinnern, ob ich ihn wohl schon einmal bei einem Turnier gesehen habe. Ich hätte Killian nicht für einen Typen gehalten, der im Debattierclub ist, aber bei der Tatsache, dass er zumindest ein bisschen nerdig ist, fühle ich mich automatisch wohler. Ich bin nicht wie Mel, die praktisch mit jedem mühelos ins Gespräch kommt und ihren Charme dermaßen aufdreht, dass sie fünfzehn Minuten später schon Freunde fürs Leben sind. Aber gibt man mir ein Thema, bei dem ich in die Tiefe gehen, worüber ich diskutieren kann, dann ich bin dabei, bis ich meinen Standpunkt klargemacht oder totalen Schiffbruch erlitten habe. Das liebe ich so am Debattieren – es ist schwarz-weiß. Es gibt eine Seite, die recht hat (die, auf der man selbst steht), und eine, die falschliegt (die des Gegners). Nicht wie im echten Leben, wo alles so viel komplizierter ist.

Killian lacht. »Echt jetzt? Sind im Debattierteam von Butterfield auch so viele Nerds wie in dem von Trawley?«

Ich grinse. »Das kommt darauf an. Hat euer Team je eine Mottoparty mit dem Thema ›Verfassung‹ geschmissen?«

»Ist das ein Kreuzverhör?«

»Sprichst du nur in Fragen?« Ich lächle und Killian spritzt Wasser in meine Richtung. »In Butterfield herrscht totaler Nerd-Alarm. Wir sammeln immer obskure Fakten, die wir für unsere Debatten verwenden können. Man kann nie wissen, wann einem so was mal nützlich sein kann – einmal haben wir zum Beispiel debattiert, ob der Weihnachtsmann real ist. Ich habe gewonnen, weil ich mich an etwas aus dem Biounterricht erinnert habe, in dem es um den Nordpol ging.«

Killian sieht mich an und zieht die Augenbrauen hoch. »Du hast bewiesen, dass es den Weihnachtsmann gibt? Du bist ab sofort offiziell meine Heldin.«

Ich ziehe den Kopf ein. »Das war wahrscheinlich meine allerbeste Debatte bisher. Leider war das nur beim Üben nach der Schule in der Bibliothek und nicht auf einem Turnier.«

»Was möchtest du dann später werden – Schauspielerin oder Anwältin?«, fragt er. »Jeder Debattierer, den ich kenne, will entweder das eine oder das andere werden.«

»Anwältin.« Ich ziehe meine Füße durchs Wasser. Recherchieren und argumentieren und damit den Lebensunterhalt zu verdienen … was kann es Besseres geben?«

»Dann werde ich Sie künftig mit dem gebührenden Respekt ansprechen, Frau Anwältin.« Er neigt den Kopf und deutet eine Verbeugung an.

»Hör bloß auf. Und du?«

»Beides«, antwortet Killian sofort. »Ich will Schauspieler werden und in Law & Order einen Anwalt spielen.«

Bevor ich etwas erwidern kann, ertönt hinter uns ein schriller Pfiff und ich drehe mich um. Bob, Melindas Dad, winkt uns, sein Gesicht ist fast so rot wie sein Haar. Eine Trillerpfeife, wie sie Rettungsschwimmer haben, baumelt an einer Schnur um seinen Hals. »Leute, ihr seid fertig für heute!«, ruft er. »Der Ansturm ist vorbei.«

»Gott sei Dank«, stöhne ich und wackle in Mels Turnschuhen mit den Zehen. Meine Füße fühlen sich aufgedunsen und kalt an und ich versuche, nicht über all das nachzudenken, was meine Haut eventuell in den letzten paar Stunden aus dem Flusswasser aufgesogen hat.

Killian packt meine Hand und zieht mich mit einem Ruck auf die Beine. Wie kraxeln die Uferböschung hoch, wobei unsere Tennisschuhe beim Gehen schmatzende Geräusche von sich geben. Mel steht neben dem Schuppen mit den Schwimmwesten und staffiert gerade ein paar Nachzügler aus, die sich noch den Fluss hinuntertreiben lassen wollen. Unwillkürlich bin ich neidisch, dass sie vollkommen trocken ist in ihrem Polohemd mit aufgestelltem Kragen und den unverschnürten Converse-Schuhen, während ich aussehe, als wäre ich gerade aus einer Schlammgrube gekrochen.

»Wow, bin ich froh, dass ich gelernt habe, wie man dieses blöde Bankkartenlesegerät bedient«, sagt Mel grinsend, während sie zu uns herüberkommt und sich die Hände an den makellosen Shorts abwischt. »Du musst vor heute Abend eindeutig noch duschen, Vee.«

»Was ist heute Abend?« Ich wringe etwas Wasser aus dem T-Shirt.

Mel hält ihr Handy hoch. »Brianna und Landon wollen losziehen. Und Seth hat auch noch nichts vor. Wir sollten etwas unternehmen.« Sie wirft Killian ein Lächeln zu. »Bist du dabei?«

»Klar«, sagt er. Er zieht sich sein T-Shirt über den Kopf und unterbricht damit Mels nicht allzu diskrete Begutachtung seiner Bauchmuskeln.

Mel zieht uns zu sich. »Super. Ich habe auch schon eine Idee.« Sie wirft einen Blick über die Schulter und flüstert: »Lasst uns heute Abend, wenn es dunkel wird, hierher zurückkommen. Wir können uns vom Anleger aus das Feuerwerk anschauen.«

»Mel! Ist das dein Ernst? Willst du, dass wir alle verhaftet werden?«

»Mach dich mal locker, Vee. Das Gelände gehört meinem Dad, es ist ja nicht so, dass wir es unbefugt betreten.«

Ich tue mein Möglichstes, die Staatsanwältin in mir zum Schweigen zu bringen. »Äh, eigentlich wäre es genau das, also … unbefugtes Betreten, wenn …«

Mel ergreift meine Hand, drückt sie fest und bringt mich damit zum Schweigen. »Bist du dabei, Killian?«

Er verlagert sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. »Ich weiß nicht …«

»Ach, komm schon.« Sie seufzt ungeduldig. »Was ist los mit euch? Entspannt euch mal. Das wird lustig.« Sie verschränkt die Arme und wartet.

Killian sieht mich an, die Augenbrauen zu einer stummen Frage hochgezogen.

Ich zögere eine Sekunde, dann nicke ich.

»Okay«, sagt er schließlich, nimmt seine Baseballmütze ab und fährt sich durch die Haare. »Ich bin dabei.«

3

Das ist keine gute Idee«, sage ich. Mel und ich sitzen wieder im Buick, der auf dem Parkplatz des Float & Boat steht, und warten auf die anderen. Ich kann kaum atmen wegen der Parfümschwaden, die Mel umgeben. Die Sonne geht gleich unter. Vereinzelte Wolken jagen von Westen heran und bedecken die Sterne. Schon bald wird der Himmel stockfinster sein – perfekt, um das Feuerwerk anzusehen.

»Psst«, macht sie. »Das wird bestimmt super. Du wirst dich amüsieren – vielleicht sogar jemanden kennenlernen.«

»Was? Wen sollte ich denn kennenlernen?«

Sie dreht sich zu mir, ihre braunen Augen wirken im Dunkeln riesig. »Du brauchst diesen Sommer einen Kerl, Vee. Deshalb habe ich ein paar eingeladen.«

Ungläubig starre ich sie an.

Mel hebt die Schultern und wendet den Blick ab. »Was ist? Ich habe die Initiative ergriffen. Und ich will dich ja nicht verkuppeln, es geht nur darum, mit ein paar Jungs abzuhängen. Wenn du dich gut mit jemandem verstehst, umso besser. Wenn nicht, kannst du immer noch weiterhin Mark nachtrauern.«

Ich lasse mich an die Lehne des Beifahrersitzes zurückfallen, schockiert darüber, wie falsch Mel meine derzeitige mentale Verfassung in Sachen Trennungsprozess einschätzt. »Du hast Seth, Killian und Landon eingeladen. Landon ist mit Brianna zusammen, du selbst hast bereits Ansprüche auf Killian geltend gemacht und Seth ist … Seth. An wen soll ich mich deiner Meinung nach ranmachen?«

»Erstens habe ich gar keinen Anspruch auf Killian geltend gemacht. Es wäre von meiner Seite vollkommen in Ordnung, wenn du dich auf seinen durchtrainierten Körper stürzt. Ich habe aber auch Vince und Adam eingeladen. Sie sind beide Single. Und total heiß.«

Vince und Adam. Ich blättere im Geiste unser Jahrbuch durch und versuche, mit diesen Namen Gesichter zu verbinden. Die einzigen Leute, mit denen ich die letzten paar Jahre zu tun hatte, waren Marks Cross-Country-Freunde und meine Teamkollegen vom Debattieren – und Mel und Seth natürlich, wenn ich die Zeit für sie fand. Mel hingegen scheint an der Butterfield-Highschool jeden zu kennen – vor allem alle Jungs, obwohl sie nie eine richtige Beziehung gehabt hat.

Ich reibe mir die Schläfen. »Mel, ich bin absolut noch nicht bereit, an einen neuen Typen zu denken. Ich funktioniere momentan nur gerade so. Ich heule immer noch jeden Morgen, wenn ich aufwache. Einen Job habe ich auch nicht. Ich brauche diesen Sommer keinen Kerl.«

Sie seufzt. »Hör mal, versteh mich nicht falsch. Ich weiß, du glaubst, dass du wegen Mark völlig am Boden zerstört bist …«

Ich schnaube.

»… aber sehen wir den Tatsachen ins Auge, Vee: Du weißt gar nicht, wie es ist, mit jemand anderem auszugehen.«

Ich bin versucht, aus dem Wagen zu steigen und per Anhalter nach Hause zu fahren, anstatt mir das anzutun, was offenbar ein verrücktes Blind Date zu dritt werden soll. »Ja, ich weiß«, erwidere ich. »Ich habe nur mit einem einzigen Typen geschlafen …«

»Du hast nur einen einzigen Typen geküsst.«

Ich funkle sie an. Wenn man es laut ausspricht, klingt das armseliger, als es eigentlich ist. Und es ist auch nicht so, dass sie so viel mehr Erfahrung hätte als ich. Ich habe nur einen einzigen Typen geküsst, weil ich eben keinen anderen gebraucht habe, nachdem ich mit Mark zusammengekommen war – nicht etwa weil ich prüde oder in der Kunst der Verführung irgendwie gehandicapt wäre. Und außerdem hätte mich Seth geküsst, wenn ich ihn gelassen hätte – aber das ist schon eine Million Jahre her und das braucht Mel nicht zu erfahren. Vor allem nicht jetzt.

Mel greift nach meiner Hand, als Autoscheinwerfer über uns hinweggleiten. »Da ist jemand gekommen.«

Wir beobachten, wie ein dunkler Pick-up auf den Schotterparkplatz fährt, rasch gefolgt von einem weißen Jeep. Wir steigen aus und gesellen uns zu Killian, Brianna und Landon.

Mel umarmt Brianna und Landon überschwänglich, als hätte sie sie jahrelang und nicht nur seit Ferienanfang nicht mehr gesehen. Ich hebe verlegen die Hand und überlege, was ich sagen könnte, damit sie nicht nach Mark fragen.

Killian stupst mich in die Seite. »Wie hoch ist das Risiko, dass wir erwischt werden?«, flüstert er.

»Klein bis nicht vorhanden. Niemand kommt hier bei Nacht vorbei. Außerdem habe ich Mel eingeschärft, auf keinen Fall ein Lagerfeuer zu machen, deshalb glaube ich kaum, dass uns jemand entdecken wird.«

»Gut. Ich will echt nicht schon in meiner ersten Woche gefeuert werden.«

Ich blicke zu ihm auf. Mel scheint ja ziemlich schnell ihre Klauen in ihn geschlagen zu haben. »Warum bist du dann gekommen?«

»Ich will unbedingt deinen Beweis hören, dass es den Weihnachtsmann gibt. Ich konnte den ganzen Tag an nichts anderes denken.« Er boxt mir spielerisch mit der Faust gegen den Arm. In meinem Kopf gehen die Alarmglocken an. Flirtet Killian etwa mit mir?

Ich bleibe ihm die Antwort schuldig, weil Brianna mir eine Dose Insektenspray in die Hand drückt. Ich sprühe mich ein – in den Wäldern von Michigan ist das immer ratsam –, während noch mehr Autos auf den Parkplatz fahren. Vince und Adam kommen nur wenige Sekunden nacheinander an, als hätten sie sich abgesprochen, und noch dazu sind sie fast gleich gekleidet – khakifarbene Baggy-Shorts und enge T-Shirts, dazu Baseballmützen über sorgfältig gegelten Haaren. Mel macht mich mit ihnen bekannt und strahlt dabei wie eine stolze Mutter.

»Schön, euch kennenzulernen«, sage ich und bereue die Worte, sobald sie aus meinem Mund gekommen sind. Wir sind seit drei Jahren zusammen auf der Highschool – wir müssen uns also irgendwann über den Weg gelaufen sein, nur waren sie mir einfach zu egal, als dass ich mich an sie erinnern könnte.

Seth kommt als Letzter. Wie immer trägt er Schwarz und dazu auffällige Schuhe. Heute Abend: rote Converse. Er steigt aus dem roten Minivan seiner Mom, kommt zu uns rübergelaufen und wippt nervös auf den Fußballen. Ich bin fast überrascht, dass er hier ist, denn er geht selten auf Partys. Nicht, weil die Leute ihn nicht einladen – alle mögen Seth –, aber er findet Partys langweilig und vorhersehbar und bleibt lieber zu Hause, um Klavier zu üben (typisch zurückgezogenes Musikgenie). Zumindest ist das die Erklärung, die er auf Nachfrage zum Besten gibt.

»Hey, Vee.« Er berührt sanft meinen Ellbogen und wendet sich dann an Mel. »Lass es uns hinter uns bringen.«

Mel führt uns durch den Wald, vorbei am Schwimmwestenschuppen und hinunter zum Bootssteg. Es hat zwar merklich abgekühlt, aber die nächtliche Feuchtigkeit setzt gerade ein, sodass sich der ganze Körper klebrig anfühlt. Ich stolpere über eine Baumwurzel.

Adam hält mich am Arm fest und beugt sich ganz nah zu mir. »Vorsicht«, sagt er. Seine Zähne blitzen weiß in der Dunkelheit auf, seine Hand fühlt sich heiß an.

»Danke.« Ich ziehe meinen Arm weg, sobald ich wieder Halt gefunden habe.

Landon und Vince tragen zusammen eine große Kühlbox und verteilen Bier, während wir uns auf dem Steg niederlassen. Ich schnappe mir eins und nehme mir vor, zumindest eine Stunde lang so zu tun, als würde mir das widerliche Gebräu schmecken. Als Seth ganz cool ablehnt, wünschte ich sofort, ich hätte es auch so gemacht.

Brianna und Landon schlendern Hand in Hand zum Ende des Stegs. Mel lehnt sich zu Killian hinüber. »Ist es nicht toll hier draußen?« Die letzten Sonnenstrahlen erleuchten den Horizont, die Wolken sind rosa und orange. Es ist ein typischer Sonnenuntergang am Michigansee, einer, wie ich ihn eine Million Male an Mark geschmiegt erlebt habe. Ich nehme einen riesigen Schluck von meinem Bier.

»Und wie.« Killian reicht Mel eine Dose. »Wann fängt das Feuerwerk denn an?«

Mel schaut auf ihr Handy. »In zehn Minuten.«

Seth macht einen Moskito platt und schaut finster drein. »Wir werden hier lebendig aufgefressen. Ich glaube, das Insektenspray wirkt nicht.«

Mel legt ihm die Hand auf den Arm. »Armes Ding. Ein kleiner Moskitostich wird dich schon nicht umbringen.«

Seth verschränkt die Arme.

»Okay.« Mel seufzt. »Wenn du heute Abend keinen Spaß haben willst, Seth, dann hättest du ja auch einfach zu Hause bleiben können.« Sie knackt mit den Fingern und wendet sich Killian zu. »Wollen wir uns da vorne hinsetzen? Dort können wir besser sehen.« Sie zeigt auf das Ende des Stegs, wo Brianna und Landon gerade miteinander knutschen.

»Äh …« Killian schaut zu mir, aber ich ziehe mein Handy heraus und tue so, als würde ich eine Nachricht lesen. »Gerne«, antwortet er und folgt ihr.

Seth starrt ihnen hinterher und stößt schnaubend den Atem aus. Dann lässt er sich auf den Anleger sinken und starrt aufs Wasser hinaus. Adam bedeutet mir, mich neben ihn zu setzen. Ich schenke ihm ein kurzes Lächeln, bevor ich mich vorsichtig auf den Brettern niederlasse. Vince lässt sich neben mich fallen und öffnet seine Dose.

»Prost«, sagt Adam und stößt sein Bier gegen meines. »Happy Dune Days.«

»Gleichfalls«, erwidere ich und versuche, den Bier-Nachgeschmack auf meiner Zunge zu ignorieren.

Adams und mein Blick treffen sich und er zieht eine Augenbraue nach oben. Langsam breitet sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. Ich wende den Blick ab, mein Atem geht schneller, jede Zelle meines Körpers ist sich bewusst, dass ich ganz nah an einem Kerl sitze, der nicht Mark ist. Wohin mit meinen Händen? Soll ich näher rücken? Soll ich mich auch mit Vince unterhalten? Vielleicht wollen er und Adam rausfinden, wer der dominantere von beiden ist, wie Böcke in der Paarungszeit.

Insgeheim verfluche ich Mel, weil sie heute Abend so viele Leute eingeladen hat. Wenn ich mich lächerlich mache, wird es jede Menge Zeugen geben.

Die ersten Feuerwerkskörper explodieren über den Bäumen und für kurze Zeit bin ich froh, mit niemandem reden zu müssen. Nervös nippe ich an meinem Getränk und beobachte aus den Augenwinkeln jede von Adams Bewegungen. Das Feuerwerk ist nicht mal zur Hälfte vorbei und schon habe ich zwei Dosen Bier ausgetrunken. Schließlich zeigt der Alkohol seine Wirkung und mein Körper entspannt sich. Ich werfe die Bierdose beiseite und lehne mich nach hinten. Es ist ein herrlicher Abend, ich unternehme etwas mit Freunden und Mark sitzt (hoffentlich) allein zu Hause und wünscht sich, er hätte nicht so übereilt mit mir Schluss gemacht. Oder … er ist drüben beim Feuerwerk und hat den Arm um irgendein Mädchen gelegt. Ich verdränge diesen Gedanken und streife mit meiner Hand die von Adam.

Nach gefühlten Stunden beginnt das große Finale und es ist spektakulär – riesige Feuerwerkskörper explodieren kurz nacheinander, es knallt so laut, dass mein Herz immer schneller schlägt, die leuchtenden Muster, die sie am Himmel hinterlassen, überlagern sich und lösen sich in grauem Rauch auf. Die Luft riecht nach einer Mischung aus frischen Kiefernnadeln und beißendem Rauch.

Ich wende mich zu Adam, um ihm etwas zu sagen, und in dem Moment hebt er den Arm und legt ihn mir um die Schultern. Er zieht mich an sich und flüstert mir ins Ohr: »Kühl, oder?«

Ich nicke, meine Handflächen sind schweißnass. Alle anderen stehen auf, strecken sich und diskutieren, welcher Teil des Feuerwerks am schönsten war, doch ich bleibe an Ort und Stelle, weil mich Adam mit dem Gewicht seines Armes unten hält. Er ist kleiner, kompakter als Mark. Sein Deo riecht anders, sein Profil ist schärfer, er hat einen Ohrring – aber wenn ich die Augen schließe und mir vom Alkohol das Gehirn vernebeln lasse, scheint das alles keine Rolle zu spielen. Als Adam mein Gesicht zu sich dreht und mich küsst, fühlt es sich fast normal an. Und als unser Kuss intensiver wird und seine Hände zu meiner Taille wandern, wird mir bewusst, dass ich gar nicht mehr nervös bin. Mark ist jetzt nicht mehr der einzige Kerl, dem ich je nahegekommen bin. Ich bin Single – ich kann tun, was ich will, küssen, wen ich will. Den ganzen Sommer lang.

Ich bin frei.

4

Während ich nur ein wenig beduselt bin und mir schwindlig ist, weil ich mit Adam herumgemacht habe, ist Mel total im Eimer. Killian muss sie praktisch zurück zum Parkplatz tragen, und sie kreischt und kichert und hört gar nicht mehr auf. Die übrigen Jungs gehen hinter uns.

»Psst«, sage ich und stolpere vorwärts, meine Hand in Adams. »Mel, halt die Klappe. Sonst hört dich noch jemand.«

»Wer soll mich schon hören?« Sie reißt sich von Killian los und rennt voraus, dabei breitet sie die Arme weit aus und brüllt Unsinn.

Seth seufzt ungehalten und läuft ihr nach, seine roten Schuhe sind das Einzige, was noch sichtbar ist, der Rest von ihm verschmilzt mit der Dunkelheit.

Killian sieht mich an, schaut aber weg, als Adams Arm um meine Taille gleitet. Wir gehen zu den Autos, unsere Schritte knirschen auf dem Kies und dann sind wir da.

»Nun, wir haben ein Problem«, verkünde ich, als mein armes Hirn mühselig ausrechnet, wer noch nüchtern genug ist, um zu fahren, und wie viele Fahrzeuge wir haben.

Mel lehnt sich an den Buick und beugt sich vor, die Hände auf die Knie gestützt.

»Alles okay?«, fragt Seth und legt ihr die Hand auf den Rücken. Sie atmet ein paar Sekunden lang schwer, nickt und richtet sich dann wieder auf.

»Wir können keine Autos hierlassen«, sagt sie, einen Anflug von Panik in der Stimme. »Mein Dad kommt morgen früh hierher.«

Seth seufzt wieder und verschränkt die Arme. »Wer kann noch fahren?«

Mel und ich wechseln einen Blick und ich verschränke unbeteiligt die Arme hinter meinem Rücken. Killian hebt langsam die Hand, ebenso Landon.

»Okay, gut. Du kannst Brianna und die Jungs nach Hause bringen«, sagt Seth zu Landon. »Ich fahre Mel und Vee.«

»Ich kann sie auch mitnehmen«, wendet Killian ein.

Seth wirft ihm einen langen Blick zu. »Musst du nicht noch die ganze Strecke nach Trawley fahren?«, fragt er. »Ich wohne gleich gegenüber von Vee. Ich bringe die beiden nach Hause.«

Killian erwidert einen Moment lang Seths Blick, dann wendet er sich ab. »Dann bis bald mal«, sagt er. »Danke für die Einladung, Mel.« Er nickt mir zu. »Vee.« Er geht über den Parkplatz zu dem weißen Jeep und schwingt sich, ohne die Tür zu öffnen, hinein.

»Na toll«, sagt Seth, als Killian vom Parkplatz fährt. »Er hätte uns noch helfen können, die Autos wegzufahren.«

»Das kann ich auch, Seth«, meint Mel, während sie auf ihn zutorkelt und ihn am Arm packt. »So betrunken bin ich auch wieder nicht.«

»Mel …« Seth stößt entnervt die Luft aus. »Bleib einfach hier, bei Veda.«

Mel lehnt sich so plötzlich an mich, dass ich fast umgekippt wäre. »Okay, aber versteckt meins unbedingt auch. Es gibt da ein Feld …« Ihr Kopf sinkt auf meine Schulter. »Vee, ich muss heute bei dir übernachten. Meine Mom wird merken, dass ich betrunken bin.«

»Okay«, sage ich. Dann ziehe ich sie zu einem Baumstumpf, damit sie sich hinsetzen kann. Ich schaue zu, wie Seth und Landon die Autoschlüssel von den anderen einsammeln und ihre Autos wegfahren, damit Mels Vater morgen früh keinen Verdacht schöpft. Mel sackt auf dem Baumstumpf zusammen, immer wieder sinkt ihr Kopf langsam Richtung Knie und fährt dann ruckartig nach oben, wenn sie wieder aufwacht. Adam steht hinter mir und reibt mir den Rücken, was am Anfang ganz süß ist, nach fünf Minuten aber irgendwie zu viel des Guten. Als Seth und Landon die Autos weggebracht haben, fühle ich mich beinahe nüchtern – und drehe innerlich fast durch bei dem Gedanken daran, dass ich Adam geküsst habe und nicht mal seinen Nachnamen kenne.