Die Autorin

Dr. Claudia Hammann

studierte von 1987–1992 Sonderpädagogik (Sprachheilpädagogik und Lernbehindertenpädagogik) an der Universität zu Köln. Nach ihrer Promotion zum Thema „Vermeidung berufsbedingter Stimmstörungen“ absolvierte sie ihr Referendariat an einer Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Sprache in Bergisch-Gladbach. Von 1997–1998 war sie Lehrerin an einer Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Lernen in Lemgo, danach Sonderschullehrerin im Hochschuldienst am Seminar für Sprachbehindertenpädagogik der Universität zu Köln. Von 2003–2016 unterrichtete sie an der Förderschule mit dem Förderschwerpunkt Sprache in Lage/Lippe und hier seit 2005 spezielle Klassen für Kinder mit auditiven Störungen bei sprachlichem Förderbedarf. Parallel dazu war sie von 1994–2008 Lehrbeauftragte der Universitäten Köln und Dortmund. Seit 1994 führt sie kontinuierliche Fortbildungstätigkeiten für Berufsverbände (dgs, vds), Fortbildungsverbände, Kommunen und Schulen zu den Themen „Werkzeug Lehrerstimme“ und „Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen bei Schulkindern“ sowie zu verschiedenen Fördermaterialien für die Fächer Deutsch und Mathematik durch. Darüber hinaus arbeitete sie von 2012–2015 in der Inklusion an einer Grundschule und ist seit 2016 als Sonderpädagogin an einer Realschule tätig. Claudia Hammann veröffentlichte bereits zahlreiche Artikel in Fachzeitschriften sowie zwei Fachratgeber.

Claudia Hammann

AVWS – Auditive Verarbeitungs- und

Wahrnehmungsstörungen bei Schulkindern

Ein Ratgeber für Lehrer, Betreuer, Angehörige und Betroffene

Claudia Hammann

AVWS – Auditive

Verarbeitungs- und

Wahrnehmungsstörungen

bei Schulkindern

Ein Ratgeber für Lehrer, Betreuer,

Angehörige und Betroffene

| Vorwort zur Reihe

Die Ratgeber für „Angehörige, Betroffene und Fachleute“ vermitteln kurz und prägnant grundlegende Kenntnisse auf wissenschaftlicher Basis und geben Hilfestellungen zu ausgewählten Themen aus der Medizin, der Sprach- und der Ergotherapie. Die Autor(inn)en der Reihe sind ausgewiesene Fachleute mit langjähriger Erfahrung in Diagnostik, Therapie, Beratung und Lehre.

Schulkinder mit einer auditiven Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung (AVWS) stehen vor ganz besonderen Herausforderungen, weil sie aufgrund ihrer Behinderung dem oft sehr sprach-zentrierten Unterricht nicht ausreichend folgen können. Das eigentlich nur die Hörverarbeitung betreffende Problem wächst sich in der Schulzeit daher oft zu einem viel größeren Problem des schulischen Lernens und Sozialverhaltens aus.

Mit ihrer Erfahrung als Lehrerin von Kindern mit AVWS, mit einem ausgesprochen großen Verständnis für die Schwierigkeiten der Kinder und mit sehr viel Praxis-Know-how zum Unterrichtsalltag gelingt es der Autorin, das komplizierte Dickicht der AVWS zu durchdringen. Mit anschaulichen Informationen im Theorieteil wird das Problem fassbar, und die vielen in der Schulpraxis erprobten Beispiele verdeutlichen, was das Schulkind mit AVWS braucht. Die Hilfestellungen und Unterstützungsvorschläge reichen dabei von der Ausstattung des Klassenzimmers über die Optimierung der Unterrichtsgestaltung bis hin zu Vorschlägen für Übungs- und Therapieprogramme.

Mit dem vorliegenden Ratgeber erhalten Lehrer, Eltern und betroffene Kinder eine kompakte Informationssammlung darüber, was genau eigentlich das Problem ist, wenn ein Kind eine AVWS hat, und wie alle Beteiligten helfen können. Die klugen Praxistipps, die im Schulalltag umgesetzt werden können, helfen hoffentlich vielen Schulkindern mit AVWS und ihren Lehrern dabei, die Lernumgebung und -bedingungen möglichst optimal zu gestalten.

Dr. Claudia Iven

(Herausgeberin)

| Danksagung

„Was du ererbt von deinen Eltern hast, erwirb es, um es zu besitzen“. Sehr frei nach Goethe gilt meine tief empfundene Dankbarkeit meinen Eltern, deren „Erbe“ mir ermöglicht, so viel zu tun!

Dankbare Verbundenheit möchte ich zu Rolf-Dieter Morgenthal (leider ab Februar 2013 ehemaliger Leiter der Förderschule Sprache des Kreises Lippe) ausdrücken, dem ich das Thema sowie die praktische Erfahrung und Umsetzung zu verdanken habe.

Große Anerkennung auch allen KollegInnen der Irmela-Wendt-Schule in Lage-Pottenhausen, die mit viel Geduld alle Risiken und Nebenwirkungen des Themas ertragen und immer zur aktiven Mitarbeit und Unterstützung bereit sind.

Dank allen SeminarteilnehmerInnen der letzten Jahre, die mich mit ihren Fragen und Kindern immer wieder neu zum Nachdenken und Nachforschen gebracht haben.

Vielen Dank auch dem Schulz-Kirchner Verlag für die Verwirklichung des Projektes und die immer wieder tolle Zusammenarbeit.

Meine künstlerische Achtung und Bewunderung gehören Andrew Garsden und David Gilmour, deren musikalische Inspirationen den gesamten Geburtsvorgang des Ratgebers begleitet haben, und die hoffentlich gerne gemeinsam genannt werden.

Ganz spezieller Dank gilt aber den Kindern, die mich mit ihrer Offenheit, ihren Bedürfnissen und Entwicklungen, ihrer Verzweiflung wie ihrer spontanen Freude immer wieder inspirieren, nach neuen, nicht notwendigerweise wissenschaftlichen Wegen des Umgangs mit Beeinträchtigungen zu suchen.

| Einleitung

Jan lauscht aufmerksam der Erzählung eines Mitschülers, der vom Geburtstag seiner Oma berichtet. Am Ende ruft er das eine Wort laut und fragend in die Klasse, das bei ihm vollständig angekommen ist: „Kuchen?

Lisa versucht angestrengt, den Erklärungen der Sportlehrerin in der Turnhalle zu folgen. Als alle anderen Kinder in die angewiesenen Richtungen laufen, weiß sie nicht, was sie machen soll und orientiert sich an ihrer Freundin.

Mischa hört die Anweisungen der Lehrerin: „Hole jetzt deine rote Mappe aus dem Ranzen und deinen Bleistift aus dem Stiftekasten.“ Mischa überlegt eine Weile und holt einen roten Stift aus der Federmappe.

Tim arbeitet an seinem Gruppentisch und tauscht sich gelegentlich mit einem Nachbarn aus. Die Lehrerin steht an der Tafel und ruft seinen Namen. Hilflos und suchend blickt sich Tim in der Klasse um und sucht die Person, die offensichtlich etwas von ihm will.

Alex wiederholt gerade die erste Klasse, ohne in angemessener Weise Lesen und Schreiben zu lernen. In den anderen Fächern sind seine Leistungen mindestens durchschnittlich. Im Deutschunterricht betätigt er sich gerne als Klassenclown. Immer öfter ist er in körperliche Auseinandersetzungen verwickelt. Als die Lehrerin ihm in einer Stillarbeitsphase helfend über die Schulter schaut, dreht Alex sich um und meint abwehrend: „Du brauchst gar nicht zu gucken – ist eh alles verkehrt.

Fünf Kinder – Fünf verschiedene Symptombilder – Fünf Leidensgeschichten – Eine gemeinsame Diagnose: AVWS.

Die sogenannte „Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörung“ (AVWS) ist ein vielschichtiges und oft nur schwer zu fassendes Phänomen. Vor wenigen Jahren wurde die reine Existenz des Störungsbildes noch infrage gestellt. Heute diskutieren Fachleute weltweit über mögliche Definitionen, Diagnosestandards und Therapieansätze. Einigkeit ist – wenigstens in diesen Bereichen –nicht in Sicht.

Übereinstimmung herrscht alleine bei der Erkenntnis, dass die Zahl der betroffenen Kinder eher zunimmt, die Kinder einem z.T. enormen Leidensdruck ausgesetzt sind und insbesondere in der Schule mit dramatischen Problemen konfrontiert werden.

Aber eine noch nicht abgeschlossene wissenschaftliche Diskussion über Goldstandards und Statements darf nicht dazu führen, dass Kinder, Eltern und Lehrer mit ihren ganz praktischen Problemen alleine gelassen werden und oft genug schließlich scheitern. Die Vielschichtigkeit der Symptome lässt Lehrer oft in andere Richtungen denken. Der Verdacht z.B. auf eine Lese-Rechtschreibstörung, ein Aufmerksamkeitsdefizit, eine emotional-soziale Störung oder eine allgemeine Lernstörung verhindert oft eine zeitnahe korrekte Diagnose und damit auch eine zielgerichtete Intervention. Wertvolle Zeit verstreicht, die die betroffenen Kinder einem steigenden Leidensdruck aussetzt. Im schlimmsten Fall droht ein allgemeines schulisches Versagen.

Hier möchte dieser Ratgeber ansetzen. Auf der Basis vor allem praktischer Erfahrungen soll er insbesondere Lehrern, aber auch Kindergärtnern, Sozialpädagogen, allen, die schulbezogen mit Kindern arbeiten, sowie auch Eltern Hinweise geben, auf auditive Auffälligkeiten bei Kindern aufmerksam zu werden, mit gezielten Beobachtungen eine Verdachtsdiagnose in Betracht zu ziehen oder auszuschließen, das richtige Fachpersonal zurate zu ziehen und nach einer gegebenenfalls positiven Diagnose das betroffene Kind optimal in seinem schulischen Lernen, Verhalten und Leben zu unterstützen.

Pauschale Ratschläge werden allerdings kaum möglich sein. Jedes der fünf eingangs genannten Kinder benötigt eine andere Form der Hilfestellung, andere Kompensationsstrategien, eine andere Form der Lehreransprache. Daher muss für jedes betroffene Kind individuell nach den besten Lösungen gesucht werden.

Und nicht immer wird sich für jedes Kind der optimale Weg finden. Schwierige Rahmenbedingungen lassen manche beste Absicht scheitern. Auch dies wird der Leser diesem Ratgeber „aus der Praxis – für die Praxis“ entnehmen können. Dennoch ist die Arbeit mit Kindern, die von einer AVWS betroffen sind, eine spannende und immer wieder herausfordernde Aufgabe, die hohe Anforderungen an die Fantasie, Kreativität und Empathie des Lehrers stellt und im optimalen Fall die besten Früchte erbringt, die pädagogische Arbeit nur „einfahren“ kann: den schulischen Erfolg und das „Aufblühen“ der Kinder bei passender Intervention.

Schauen wir uns also an, wie wir das „Teufelchen“ zwischen Ohr und Gehirn entmachten können.