Lisa Geuecke

ADHS im Erwachsenenalter

Ein Ratgeber für Betroffene, Angehörige
und Ergotherapeuten

RATGEBER

für Angehörige, Betroffene und Fachleute

Herausgeber

Lisa Geuecke

ADHS
im Erwachsenenalter

Ein Ratgeber für Betroffene, Angehörige und Ergotherapeuten

| Vorwort des Herausgebers

Die „Ratgeber für Angehörige, Betroffene und Fachleute“ vermitteln kurz und prägnant grundlegende Kenntnisse (auf wissenschaftlicher Basis) und geben Hilfestellung zu ausgewählten Themen aus den Bereichen Ergotherapie, Sprachtherapie und Medizin.

Die Autorinnen und Autoren dieser Reihe sind ausgewiesene Fachleute, die seit vielen Jahren als Therapeuten in der Behandlung und Beratung und/oder als Dozenten in der Aus- und Weiterbildung tätig sind. Sie sind jeweils für den Inhalt selbst verantwortlich und stehen Ihnen für Rückfragen gerne zur Verfügung.

Im Ratgeber „ADHS im Erwachsenenalter“ fasst Lisa Geuecke ihre Erfahrung und die Ergebnisse ihrer Studienarbeit zusammen, für die sie 2014 mit dem Ergotherapie-Preis des Deutschen Verbandes der Ergotherapeuten sowie der Schulz-Kirchner Verlag GmbH ausgezeichnet wurde.

Sie beginnt mit einem Überblick über ADHS im Erwachsenenalter, einschließlich der Geschichte, Symptomatik, Diagnostik und Behandlungsmöglichkeiten. Hierbei gelingt es ihr, informativ und gut verständlich die notwendigen Hintergründe zu erläutern, die ADHS ausmachen.

Den Schwerpunkt des Ratgebers bilden ausführliche Informationen zu den Behandlungsmöglichkeiten der Ergotherapie, wobei immer wieder übergreifende Hinweise gegeben werden, die für weitere Interventionen hilfreich sind. Die Betroffenen können sich so ein Bild der für sie sinnvollen Behandlungsbausteine machen. Hinweise und wertvolle Tipps für Angehörige, Betroffene zu unterstützen und sich selbst zu schützen, ergänzen den Ratgeber. Abgerundet wird dieser Teil durch zwei Fallbeispiele, die die Behandlungsmöglichkeiten plastisch darstellen.

Den Abschluss bilden allgemeine Tipps, bundesweite Kontaktadressen von Selbsthilfegruppen sowie Literaturhinweise.

Der Ratgeber gibt somit einen guten Überblick über ADHS im Erwachsenenalter und über Therapieoptionen, er liefert Hinweise, was Betroffene und Angehörige wissen sollten und tun könnten. Er bietet sich daher sowohl für Laien als auch Fachleute an, die sich mit dem Thema auseinandersetzen wollen. Wir hoffen, mit diesem Ratgeber dazu beizutragen, dass der Alltag für Erwachsene mit ADHS von weniger Vorurteilen und Schwierigkeiten geprägt ist und so die Belastungen der Betroffenen selbst und ihrer Angehörigen verringert werden können.

Arnd Longrée

Herausgeber für den DVE

| Einleitung

Liebe Leserinnen und Leser,

was veranlasst Sie, diesen Ratgeber zu lesen?

Vielleicht gibt es jemanden in Ihrer Umgebung, der von ADHS betroffen ist oder bei dem Sie es vermuten. Oder es besteht bei Ihnen selbst die Diagnose. Wie viele andere auch haben Sie wahrscheinlich lange Zeit gedacht, ADHS gibt es nur bei Kindern. Das Störungsbild kommt aber auch bei Erwachsenen vor. Die Diagnose ist oftmals zunächst ein Schock. Dadurch, dass Sie sich jetzt aber immer mehr Wissen über ADHS aneignen werden, können Sie die eigenen Besonderheiten, Stärken und Schwächen besser verstehen.

Dieser Ratgeber soll Ihnen zum einen die Grundlagen von ADHS und dessen Besonderheiten im Erwachsenenalter vermitteln und zum anderen die ergotherapeutischen Möglichkeiten und Hilfestellungen für den Alltag näher bringen. Dabei stellt folgendes Zitat einen Leitgedanken für die Therapie dar:

„Chaos ist, wenn ADHS mit mir macht, was es will.

Kontrolle ist, wenn ich mit ADHS mache, was ich will.“

(Hesslinger, Philipsen, Richter 2004)

Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird die Bezeichnung ADHS sowohl für die Diagnose Aufmerksamkeitsdefizitstörung mit als auch ohne Hyperaktivität verwendet. In der ICD-10 (WHO 2016) wird die Diagnose unter ‚Hyperkinetische Störung‘ geführt, in dem DSM-V hingegen unter ‚Aufmerksamkeitsdefizit/Hyperaktivitätsstörung‘ (American Psychiatric Association 2013). Entsprechend den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) (Ebert, Krause & Roth-Sackenheim 2003) wird in diesem Ratgeber kein Diagnosesystem präferiert und die Abkürzung ADHS für die Diagnosen beider Systeme (ICD-10 und DSM-V) verwendet.

ADS

Aufmerksamkeitsdefizit-Störung

ADHS

Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung

Galt bis vor wenigen Jahren ADHS als Erkrankung im Kindes- und Jugendalter, so weiß man heute, dass auch Erwachsene unter ADHS leiden können. Für das Kindesalter wird eine Prävalenzrate von 4-6 % und für das Erwachsenenalter von 2-4 % angegeben (Taurines et al. 2010 zitiert in Mehler-Wex & Deimel 2013, S. 49). Die Symptome der ADHS bei Erwachsenen führen zu weiterführenden Problemen im Bereich der Partizipation. Diese Partizipationsprobleme sind Inhalt der Ergotherapie Das grundsätzliche Ziel der Ergotherapie besteht laut Definition darin, die Menschen „… bei der Durchführung für sie bedeutungsvoller Betätigungen in den Bereichen Selbstversorgung, Produktivität und Freizeit in ihrer persönlichen Umwelt zu stärken.“ (DVE 2007)

Für Kinder und Jugendliche stellt die Ergotherapie bereits eine Option im multimodalen Behandlungskonzept bei ADHS dar. Viele Erwachsene erfahren erst heutzutage, dass sie, ähnlich wie ihre Kinder, ADHS haben. Sie werden z. B. bei einem Arzt vorstellig, weil sie sich in dem Verhalten ihrer Kinder wiedererkennen oder in den Medien von ADHS bei Erwachsenen erfahren haben. Da noch nicht lange bekannt ist, dass ADHS eine chronische Erkrankung ist und auch im Erwachsenenalter fortbesteht, steht die Forschung in vielen Bereichen noch am Anfang (Schmidt, Waldemann, Petermann & Brähler 2010; Kooij 2013). Eine Befragung von Barmer GEK-Versicherten machte deutlich, dass es eine Versorgungslücke im Übergang zum Erwachsenenalter gibt (Lehmkuhl & Schubert 2013).

Im Folgenden soll nun etwas näher auf die Besonderheiten von ADHS im Erwachsenenalter eingegangen werden. In gesonderten Kapiteln werden Symptome und Behandlungsmöglichkeiten anhand von zwei ausführlichen Fallbeispielen vorgestellt. Dabei wird die Bezeichnung ‚Klient‘ benutzt. Einigen wird dieser Begriff etwas fremd erscheinen, da man ihn eher aus dem juristischen Bereich kennt. In den letzten Jahren hat sich die Ergotherapie von einer defizitorientierten hin zu einer ressourcenorientierten Therapie weiterentwickelt, deshalb wird von ‚Klient‘ statt von ‚Patient‘ gesprochen. Bei ‚Patient‘ denken viele direkt an einen kranken, hilfebedürftigen Menschen mit wenig Eigenverantwortung. ‚Klient‘ hingegen ist zunächst neutral und beinhaltet eine aktive Rolle des Menschen. Laut Definition ist ein Klient „… ein Mensch, der die professionellen Dienste anderer in Anspruch nimmt. Ein Klient hat das Recht, Informationen zu verlangen und seine Meinung frei zu äußern …“ (Sumsion 2002, S. 35).