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Table of Contents

Titel

Impressum

Teil I

Am Polarmeer

Worterklärungen

Rätsel

Teil II

Start ins Ungewisse

Worterklärungen

Rätsel

Teil III

Landung im Indianerfort

Über die Autorin

 

 

 

 

 

Karin Köhnlein

 

 

 

ANANA AUS DEM EIS

 

Die spannenden Abenteuer

eines Eskimo-Mädchens

 

 

 

 

 

 

 

© Verlag DeBehr

 

Copyright by: Karin A. Köhnlein

Herausgeber: Verlag DeBehr, Radeberg

ISBN: 9783957531186

Erstauflage: 2014

Umschlaggrafiken und Grafiken Copyright by Fotolia by andreapetrlik, ©Erica Guilane-Nachez, © senoldo

 

 

 

Teil I

 

Anana und die Krummels

 

 

Am Polarmeer

 

Es war einmal vor langer, langer Zeit im hohen Norden im ewigen Eis, mitten im endlosen Polarmeer auf einer riesigen schwimmenden Eisscholle. In einem schneeweißen, glitzernden Iglu lag ein anmutiges, liebreizendes Mädchen: Jule, die Eisprinzessin. Doch sie war nicht allein. Eine Schar sonderbarer, niedlicher Wesen sorgte sich rührend um sie, nämlich die Krummels.

 

Landung in der Polarnacht

Ursprünglich wohnten die Krummels in bootsähnlichen Holzkesseln und schipperten über die unendlichen Ozeane. Sie fühlten sich wohl in ihren schwimmenden Behausungen. Viele ihrer Vorfahren waren in der ganzen Welt herumgekommen. Hatten sie irgendwann die ständige Schaukelei satt und gefiel ihnen ein Ort, so siedelten sie sich dort an.

Bei unseren Krummels war es jedoch anders. In jener eisigen Winternacht, an die sich alle genauestens erinnern konnten, kam es zum Schiff- oder besser gesagt zum Kesselbruch. Ein heftiger Orkan tobte und wütete auf dem Meer. Oft dauerten solche Stürme bis zu zwei Wochen. Tückische Eisberge schoben sich wie weiße Eisriesen an den Seefahrern vorbei. Ein kräftiger Ostwind setzte ein. Die Geister der Berge, des Himmels und des Wetters zeigten sich von ihrer schlimmsten Seite. Meterhohe Wellen schlugen unermüdlich gegen die Planken ihres schwimmenden Heimes. Es krachte und knackte zwischen den dicken, alten Holzbalken. Mit ungeheurer Wucht wurden sie urplötzlich gegen eine mächtige Eiswand geschleudert. Diesen Donnerschlag würde keiner der Krummels jemals vergessen, der die Luft erzittern ließ, als die hölzerne Wohnkugel auseinander platzte. Jeder war glücklich darüber, diese unfreiwillige und schmerzhafte Landung ohne größere Verletzungen überlebt zu haben. Immer wieder zählten die Familienmitglieder in der Finsternis tastend nach, ob sie wirklich alle auf der Eisfläche lagen. Doch so sehr sie sich auch mühten, die Zahl stimmte nicht. Einer war ständig zu viel. Bald klarte die Nacht auf und der Polarstern warf sein gleißendes Licht auf ein kleines Bündel, das auf ein Strohlager gebettet war. Neugierig bestaunten sie ihren Fund, denn es war ein kleines süßes Mädchen.

 

Die Krummels als Lebensretter

Auf Julstroh zu schlafen, war ein uralter Julbrauch, das wussten die weit gereisten Krummels aus zahlreichen Erzählungen. Seltsamerweise lag das Findelkind auf dem Rücken eines aus Stroh geflochtenen Ziegenbocks. Bis in die heutige Zeit ist es in nordischen Ländern üblich, dass der Ziegenbock schwer beladen zur Weihnachtszeit den braven Kindern die Geschenke bringt. Sollte dieses Mädchen etwa ein Willkommensgeschenk für die Gestrandeten sein? Verwundert betrachteten alle Augen dieses unschuldige, hilflose Wesen. Es steckte in einer Hülle aus Eis und schien zu schlafen. Sein flacher Atem bildete winzige Nebeltröpfchen, die in regelmäßigen Abständen zu kunstvollen Eisblumen erstarrten. Ein zierliches Stupsnäschen leuchtete durch die frostige Schicht. Ein mit Tausenden von Eiskristallen bedecktes Krönchen schmückte sein pechschwarzes Haar. Behutsam und mit vereinten Kräften hoben sie das Mädchen hoch und brachten es an einen sicheren Ort.

 

Der Eispalast

Für jedes Mitglied der Krummelfamilie stand in diesem Moment fest, dass es eine Fügung des Schicksals war, hier gestrandet zu sein. So errichteten sie genau an dieser Stelle ihren Eispalast für ihre Eisprinzessin. Die Weltenbummler wurden am Polarmeer sesshaft. Ähnlich gebaut und ihrem schwimmenden Holzkessel zur Erinnerung nachempfunden, nannten sie ihr neues Zuhause Schneekessel. Dieses Kunstwerk war ein gläserner Eispalast, der in seiner Bauweise an die Form eines Iglus erinnerte. Ähnlich wie die Eskimos stapelten sie unzählige Eisblöcke zu einem Turm, der nach oben hin immer schmaler wurde, bis er in einer Kuppel endete. Riesige Eiszapfen hingen wie durchsichtige Spitzenvorhänge von der Decke. Die Wände waren geschmückt mit herrlichen Eisbildern, die der Fantasie keine Grenzen setzten. Die wunderschönsten Eisblumen waren an den Fensterscheiben zu bestaunen. Ihre Vielfalt war unübertrefflich. Kein Maler dieser Welt hätte mit Farbe und Pinsel prächtigere Gemälde zaubern können.

 

Träumen in der Schneekugel

Inmitten der rauen und einsamen Eiswelt zwischen Polarfuchs, Eisbär und Schneehase lebte Julchen, die Schneeprinzessin. Lebte konnte man eigentlich nicht sagen, denn die ganze Zeit verbrachte sie in einer Art Winterschlaf. Sie dämmerte vor sich hin, friedliches Dunkel umhüllte sie. Schemenhafte Bilder begleiteten ihre Träume. Manchmal schreckte sie kurz zusammen, besonders wenn der eisige Wind durch die zugigen Fensterritzen des Iglus ins Innere pfiff. Kurze Kälteschauer durchzuckten dann heftig ihren zarten Körper. Da passierte es hin und wieder, dass ein Eiszapfen oder ein Stück ihres gefrorenen Winterkleides abbrach und klirrend zersprang. Abertausende von flimmernden Schneeflöckchen, die ihr Haar und Gesicht benetzten, verwandelten das Mädchen in solchen Momenten in eine märchenhafte Schönheit. Ab und zu schwebten einzelne dieser leichten Kristalle wie Federn zu Boden. Man hätte meinen können, Julchen läge in einer winterlichen Schneekugel aus Glas.

 

Julzeit

Das Julbrot spielte im Winterhalbjahr in den weiten Eiswüsten des Nordens eine besondere Rolle. Es war rund, dick und so lang wie ein etwa fünfjähriges Kind. Um die Weihnachtszeit verteilte man Stücke des Brotes an fremde und unbekannte Leute. Die Wochen vor und nach der längsten Nacht des Winters war die Julzeit. An diesen Tagen wurden in den Häusern für unsichtbare Gäste die Tische gedeckt. Dazu legte man ein riesiges Julbrot mit einem übergroßen scharfen Messer. Man glaubte eben an Geister und diese sollten davon essen. Dieser abergläubische Brauch wollte darauf hinweisen, dass man diesem Backwerk wundersame Kräfte zusprach.

 

Die Krummels

Was die Eisprinzessin während der langen Ruhezeit benötigte, waren kleine Annehmlichkeiten und Dienste, welche die pfiffigen Krummels gerne übernahmen. Diese Helfer waren flink, geschickt und überaus liebenswert. Es waren kuschelige, schneeweiße Erdmännchen mit einem dichten weichen Fell, niedlich anzusehen. Durch ihr zweischichtiges, üppiges Fellkleid waren sie bestens ausgestattet. Das innere wollige Unterfell schützte die robusten Kerlchen vor der bitteren Kälte und den niedrigen Temperaturen im Winter. Ihre langen, glänzenden Grannenhaare des Oberfells hielten wie ein Regenmantel die Nässe und Feuchtigkeit ab. So waren sie hervorragend ausgerüstet und gegen Wind und Wetter gefeit. Hilfreich zeigten sich auch ihre plüschigen Haarbüschel in den Ohrmuscheln. Sie trotzten dem eisigen Polarwind genau wie die buschigen Halskrausen, die sie vor gefährlichen Erkältungen schützten. Die hübschen Gesichter mit den rehbraunen, kugeligen Augen waren zum Verlieben. Den lebhaften Knopfaugen, die wie Glasperlen leuchteten, entging nichts, aber auch gar nichts. Putzige Näschen, deren feuchte Nasenflügel in ständiger Bewegung waren, schnüffelten und schnupperten überall herum, als wollten sie alle Gerüche dieser Welt erkunden. Mit winzigen Fingerchen übten sie ihre täglichen Pflichten schnell und zuverlässig aus. Es schien fast so, als würden sie sich niemals Ruhe gönnen. Lautlos huschten sie mit ihren kurzen Beinchen über den blanken Boden des Glashauses. Dabei wackelten die pelzigen Hinterteile mit den flauschigen Puschelschwänzchen lustig hin und her. Untereinander gaben sich die munteren Gesellen sehr herzlich und lachten viel, so wie man sich den Umgang in einer Großfamilie vorstellt. Es war eine durchorganisierte Gemeinschaft mit einer strikten Aufgabenverteilung. Die Krummels hier im Iglu waren einfach etwas Besonderes, sie waren die Unzertrennlichen. Und nicht zu vergessen: Ihre Leibspeise waren knusprige Krummelkringel, ein süßes Hefegebäck, das sie auf einer ihrer unzähligen Reisen kennengelernt hatten. Zu den Aufgaben der fleißigen Helfer gehörte es vorrangig, die ständig lodernde Feuerstelle zu schüren, die bei diesen hohen Minusgraden nicht erlöschen durfte. Unmengen an Treibholz hatten die eifrigen Sammler während des letzten kurzen Polarsommers zusammengetragen, um für den harten Winter gerüstet zu sein. Ebenso wichtig war die Zubereitung der einfachen Mahlzeiten, die aus Trockenobst, Stockfisch und Julbrot bestanden.

 

Kleine Hilfeleistungen

In einem silbernen Flötenkessel blubberte fortwährend Wasser für einen Kräutertee oder eine heiße Gemüsesuppe. Sollte die Eisprinzessin plötzlich aus ihrem Dämmerschlaf erwachen, so wollten ihre flinken Helfer allzeit bereit sein, um sofort für ihr leibliches Wohl zu sorgen. An nichts durfte es ihr fehlen. Selbst an kuschelige Filzpantoffel hatten sie gedacht, die an ihrem Himmelbett standen und nur darauf warteten, benutzt zu werden. Wurden die Fantasien und Träumereien des Mädchens durch wache Momente unterbrochen, so verrichteten die treuen Krummels ihre Pflichten zügig und gewissenhaft. In Sekunden entstand augenblicklich ein quirliges und rühriges Treiben im Iglu. Schnell flößten sie ihrer Prinzessin heißen Tee oder eine warme Suppe ein. Sie verehrten und liebten ihren Schützling über alles.

 

Erwachen in der Wirklichkeit

Plötzlich rief Qannik ganz aufgeregt: „Schnell, es ist so weit!“ Aus allen Ecken und Winkeln kamen die Krummels zu Schneeflocke geeilt. Tatsächlich schien der Schneeprinzessin, sie habe ein Klirren vernommen. Sie konnte ihre Augenlider einen schmalen Spalt öffnen. Die Wintersonne schickte ihr erstes Morgenlicht zaghaft durch die Fensterscheiben des Schneekessels. Überall funkelten und glitzerten Eiskristalle wie echte Diamanten im grellen Sonnenschein. Ein dünner, zerbrechlicher Eiszapfen fiel aus ihren Haaren zu Boden. Sie konnte es kaum fassen. Es knirschte an ihrem Kopf, ebenso im ganzen Gesicht. Auch in ihrem zarten Hals knisterte es. Geräusche, die sie bisher nicht kannte und die für sie unerklärlich waren. Wassertröpfchen kugelten wie winzige Perlen von ihrer Nasenspitze herab und zerplatzten auf ihrem Schoß. Eine kleine Pfütze hatte sich unter ihr gebildet. Alle Eiszapfen, die Schnee- und Eiskristalle schmolzen weiter und weiter. Jetzt knackte es in ihren Fuß- und Kniegelenken. Selbst in den Zehenspitzen zuckte es. Es war unfassbar. Unglaubliches hatte sich in ihrem Körper ereignet. Das süße Stupsnäschen kam zum Vorschein. Kleine Rinnsale bildeten sich auf ihrer Stirn. Unter den Eisplättchen an ihren Ohren formten sich allmählich silberne Ohrringe heraus. Dunkle Schatten, die bislang schemenhaft unter einer frostigen Schicht geschlummert hatten, verwandelten sich in eine schwarze Lockenpracht, die sich auf ihre Schultern ergoss. Das weiße, fahle Gesicht verzauberte sich in ein rosiges kindliches Antlitz, das besonders hübsch geformt war. Die Hände und Finger, die sich nach und nach aus dem Eis schälten, griffen jetzt vorsichtig in ihr Gesicht. Langsam befühlte das Mädchen Wangen und Mund. Der ruhige, flache Herzschlag pochte von Minute zu Minute stärker in ihrer Brust.

 

Die Enttäuschung

Glückselig über das sehnsüchtig erhoffte Ereignis hüpfte und tanzte die Krummelschar um das goldene Himmelbett herum. Jeden Augenblick warteten sie nun darauf, dass ihr Schützling völlig erwachen würde. Doch diese Hoffnung wurde enttäuscht. Ruhig atmend und mit einem befreiten Lächeln lag Julchen auf ihrem weichen Lager und schlummerte tief und fest. Auch das neugierige Betasten der Wangen ihrer schlafenden Prinzessin durch die Krummelhände konnte sie nicht wecken. Es war unfassbar! Wie lange würde dieser Schlaf noch dauern? Würde ihr Findelkind jemals erwachen?

Doch bald kehrte bei den Krummels die gewohnte Zuversicht zurück. Sie waren fest überzeugt, dass ihre unermüdliche Fürsorge wahre Wunder vollbringen konnte. So beschlossen sie, alle erdenklichen Vorbereitungen für das endgültige Erwachen ihres Lieblings zu treffen.

 

Die Einrichtung

Die Einrichtung war gemütlich und sinnvoll ausgestattet. Eine waagrecht abgeschnittene und fein säuberlich geschliffene Scheibe einer Mooreiche fand ihre Verwendung als Tischplatte. Gestützt wurde sie von frisch aufpolierten Kufen eines ausrangierten Schlittens, den sie bei einem Ausflug gefunden hatten. In der Mitte, über einem ausgesägten Loch, hing ein glänzender Kupferkessel. Darunter befand sich eine aus Stein gemauerte Grube, in der lustig ein kleines Feuer loderte. Sieben hochbeinige Hocker und ein besonders prachtvoll geschnitzter Stuhl für ihre Eisprinzessin, der aber bislang unbenutzt blieb, reihten sich nebeneinander um den Tisch. Jeder dieser Hochstühle bestand aus einem Birkenstamm, dessen Sitz mit weichem Rentiermoos gepolstert war.

Seit Monaten sammelten die Krummels fleißig bei der täglichen Fellpflege all ihre Haarbüschel ein. Gegenseitig bürsteten sie sorgfältig ihre schneeweißen Krummelhaare und rupften sich überflüssige Fellbüschel aus, damit keine Knötchen und Verfilzungen entstanden. Die flauschigen Knäuel stopften sie in viereckige Ledersäckchen. Aneinander geknotet entstand so nach und nach eine kuschelweiche Krummelfelldaunendecke. Gewissenhaft über dem herrlichen Stuhl ausgebreitet wartete sie nun darauf, von der Prinzessin bald benutzt zu werden.

Zwischen zwei Fensternischen stand ein bequemes rotgoldenes Himmelbett. Es war mit molligen Daunenkissen ausgekleidet, auf denen das hübsche Mädchen tief und fest schlummerte. Links und rechts daneben lagen die krummeligen Strohsäcke für die fleißigen Helfer. Etliche Gegenstände waren wie in einem Wintermärchen überzogen mit feinsten Schneekristallen und glitzernden Eisgebilden. Selbst das Geschirr, die Gläser, die Teller und die Töpfe waren in klirrender Eispracht erstarrt.

 

Jahreszeiten

Schlimm waren die langen, frostigen Polarnächte. Nur die starke Leuchtkraft des Polarsternes brachte in solchen Nächten etwas Licht in das Dunkel. Aus der Ferne konnte man die hungrigen, jaulenden Schreie der Tundrawölfe und Polarfüchse wahrnehmen, die sicher verzweifelt nach Futter suchten. Und so reihte sich eine Jahreszeit an die andere. Auf den schier endlosen Winter folgte der Frühling als Vorbote des herannahenden Sommers. Dieser gab aber nur ein kurzes Stelldichein, bevor die ersten Herbststürme wieder übers Land fegten und es mit Riesenschritten auf die kalte Jahreszeit zuging. Nun war für die Krummelfamilie höchste Eile geboten, Wintervorräte mussten beschafft werden. Bald würde sich erneut der schwere, unendlich scheinende Schneeteppich als Eiswüste ausbreiten und alles unter sich begraben.

 

Reges Treiben

Die Jahre eilten dahin und das kleine Mädchen wuchs zusehends zu einer jungen hübschen Frau heran. Voller Stolz beobachteten die Krummels die wundersame Verwandlung. Bislang war ihre Eisprinzessin zufrieden gewesen in ihrer Traumwelt, aber zunehmend vermischten sich deren Fantasien mit dem Reich der Wirklichkeit. Während dieser langen Zeit des Hoffens, ihre Prinzessin möge endlich erwachen, beschäftigten sich die emsigen Helfer unentwegt damit, für ihren Liebling die herrlichsten Kleider zu nähen. Sie strickten und stickten, sie webten und spannen und häkelten, was das Zeug hielt. Aber seit einigen Wochen arbeiteten sie an einem besonders prächtigen Gewand.

Miki, der kleinste der Krummelfamilie, war der beste Schneider in der Nähstube. Seine winzigen Fingerchen fädelten die Perlen so flink auf die Nadel, man hätte meinen können, sie hätten nie etwas anderes getan. Mit seinem unwiderstehlichen Charme konnte er jeden um den Finger wickeln.

Der ebenfalls zierliche Koko, sein verschmitztes Gesicht war so dunkel wie Zartbitterschokolade, spann die allerfeinsten Goldfäden. Unaufhörlich sauste die Spindel auf und ab.

Nanuq, der etwas brummige, dickliche Krummel, er aß einfach zu oft und zu viel Krummelkringel, machte sich in mondklaren Polarnächten mit dem starken Tikaani auf die Suche nach Sternschnuppen. Manchmal half ihnen Sila, der Geist von Wind und Wetter, dabei, sie einzufangen.

Die zwei Jüngsten der Familie, die süße Sakari und ihre Zwillingsschwester Nukka durften in solchen Nächten den geflochtenen Korb tragen. Ihre Aufgabe war es, die Sternschnuppen ganz behutsam einzusammeln, damit sie auch nicht beschädigt wurden, denn sonst hätten sie ihre Leuchtkraft verloren. Als Besonderheit sollten diese später einmal das Traumkleid ihrer Prinzessin schmücken. Die Krummelmädchen glichen sich wie ein Ei dem anderen. Deshalb baumelten an ihren Hälsen immer noch ihre Lieblingsschnuller in den Farben rot und lila. Nur dadurch war es ihren Brüdern möglich, die Schwestern zu unterscheiden und beim richtigen Namen zu nennen. Manchmal machten sich die Zwillinge allerdings einen Spaß daraus, die Schnuller zu vertauschen, um die Geschwister an der Nase herumzuführen.

Qannik, die Schneeflocke, war der Älteste und Klügste in der Krummelfamilie. Er trug die Verantwortung für die Gemeinschaft. Auch die Schlüsselgewalt für ihr beschützendes Heim war ihm übertragen worden, was bei Krummels eine außergewöhnliche Ehre bedeutete. Als Zeichen dieser Würde und zur Sicherheit trug er den silbernen Schlüssel an seinem Gürtel. Seine Hauptaufgabe bestand jedoch darin, stündlich nach dem Schützling zu sehen.

 

Endlose Träumereien

In der ständigen Dunkelheit gefangen, abgeschottet von der Außenwelt, durchlebte die Eisprinzessin die verrücktesten und fantasievollsten Träume, die man sich nur vorstellen konnte. Schemenhafte, wirre Gedanken schossen wie im Fieber durch ihren Kopf. Aber mit der Zeit wurden die Bilder immer klarer und deutlicher. Sie nahmen Gestalt an.

„Meer – Sand – Sonne – Strand – blauer Himmel – Sehnsucht nach Wärme! – Sie sitzt im heißen Sand. Klares Meerwasser umspült ihre Zehen. Warmer Wind weht um ihre Nase und bläst durch die langen, schwarzen Locken. Salziger Geschmack macht sich auf ihren Lippen breit. Schatten spendende Palmen säumen das Ufer. Kolibris umkreisen die leuchtenden Blüten von Hibiskussträuchern. Sie pflückt eine der Blumen und steckt sie sich schmückend ins Haar.“

 

Das Spiegelbild

Wärme, Energie und Lebenskraft flossen durch ihren gesamten Körper. Was war das für ein Getuschel? Der Südseetraum schwand wie im Nebel dahin. Geräusche, geflüsterte Worte. Sie war nicht allein. Jule schlug die Augen auf und entdeckte ihr eigenes Spiegelbild im Fensterglas. Ein Gesicht, das sie nicht kannte, starrte sie an. Lippen leuchteten in kräftigem Rot, blaue Augen strahlten sie an. Als sie mit dem linken Auge zwinkerte, tat ihr Gegenüber das Gleiche. Fragend rümpfte sie die Nase. Wieder machte die Fremde es nach. Wer wagte es, sie so zu veräppeln? Verärgert streckte Jule die Zunge heraus. Nahezu sekundengleich zeigte das unbekannte Mädchen die gleiche Reaktion. Jetzt wurde es der Eisprinzessin bewusst, dass sie es selbst war, die mit ihr dieses Spiel trieb. Neugierig blickte sie um sich.

 

Die Lebensretter

Zum ersten Mal in ihrem jungen Leben sah sie nun diese winzigen, putzigen Wesen. Noch wusste sie nicht, dass diese possierlichen, wuscheligen Tierchen sie all die Zeit umsorgt hatten. Jetzt gaben sich die Krummels zu erkennen als ihre Lebensretter, ihre treuen Freunde, ihre ständigen Wegbegleiter. Sie waren stets an ihrer Seite gewesen, ihr bisheriges Leben lang. Sie war sooo dankbar! Vor Freude und Übermut begann das Mädchen zu hüpfen. Sie sprang so hoch, dass ihre schwarzen Locken wirr durcheinanderwirbelten. Wild drehte sie sich im Kreis und klatschte vergnügt in die Hände. Dazu sang sie lauthals ein lustiges Lied:

 

„Auf Stroh war ich gebunden,

von Krummels aufgefunden.

Sie hegten und sie pflegten mich,

bis eines Tages helles Licht

mich aus dem Traum erweckte,

in dem ich Jahre steckte.

Nun bin ich frei und singe

und hüpfe – tanze – springe.“

 

Namensgebung

Ihr Wissensdurst war unersättlich. Die Krummels mussten ihr unendlich vieles berichten. Sie hatte Fragen über Fragen. Aber die wichtigste davon war: Wer war sie?

Nanuq begann zu erzählen, wie sie damals in jener stürmischen Nacht, zu Beginn der Winterzeit ungewollt strandeten, weitab von jeglicher menschlichen Behausung. „Es war der Tag des Julfestes, als wir dich fanden. Und so tauften wir dich auf den Namen Julchen. Später wurde daraus Jule. Nirgendwo erstrahlte ein Licht oder ein Feuer. Keine einzige Menschenseele war zu sehen. Alles war stockdunkel. Gewöhnlich brannten in diesen Julnächten auf Jultischen in den Wohnungen überall Jullichter. Große Feuer loderten vor den Häusern. Das Julfest wurde tagelang ausgiebig um die Mittwinternacht gefeiert.“ Jule lauschte aufmerksam und gespannt den Erzählungen. Die Krummels berichteten aufgeregt und wild durcheinander, sie konnten kein Ende finden. Irgendwann saß ihre Prinzessin mit geschlossenen Augen auf ihrem gemütlichen Stuhl und schlief tief und fest.

 

Reisefieber

Die Neugier war in Jule geweckt. Am nächsten Morgen wollte sie hinaus in die weite Welt. Die wenigen Habseligkeiten waren sehr schnell gepackt. Aber womit sollten sie verreisen? Es gab weder Autos, Flugzeuge noch Eisenbahnen, nicht einmal einen Schlitten. Durch diese Erkenntnis wurde das Reisefieber schlagartig gedämpft. So beschlossen sie alle gemeinsam, in ihrem Heim weiterhin zu verweilen und darauf zu warten, bis ihr eisiger Untergrund abbrach und als Scholle auf das Meer hinaustrieb. Nicht ganz ungefährlich, aber machbar!

Die Sonne wurde zur Verbündeten. Mit zunehmender Wärme schmolz das Eis mehr und mehr und die Eisplatte brach mit einem lauten Knall ab und trieb ins offene Meer. Tikaani und Nanuq suchten die längsten Stöcke aus ihrem Treibholzlager und lenkten damit ihr Eisfloß der Sonne entgegen. Ein azurblauer Himmel begleitete die fröhliche Reisegruppe.

 

Eine neue Welt

Jules Wissensdurst war kaum zu bremsen. Die unzähligen Eisblumen, die die Scheiben ihres Hauses schmückten, waren fast alle weggeschmolzen. Das Mädchen saß auf dem Fenstersims und schaute sprachlos hinaus auf das schäumende Meer. Ein unglaubliches Schauspiel ereignete sich vor seinen Augen. Die riesigen Eisberge verschwanden langsam in der Ferne, das Meer wurde breiter. Sie kamen an kleinen Inseln vorbei. Auf einem dieser Eilande entdeckte Jule eine beachtliche Kolonie von Seehunden. Fasziniert schrie Jule den Krummels zu: „Schaut nur, zwischen den Kegelrobben winkt uns jemand zu, es muss ein Robbenfänger sein, der auf Nahrungssuche für seine Familie ist. Diese Jäger sind meist Einzelgänger. Sie brauchen viel Ausdauer und Geduld, denn diese Tiere sind äußerst schlau und sie besitzen ein ausgezeichnetes Gehör und sehr gute Augen. Durch gekonnte Nachahmungsrufe locken die Männer die Robben an, um sie dann zu erbeuten.“

„Woher weißt du das?“, wollte der neugierige Koko wissen. „Na ja, ich weiß es eigentlich nicht, aber ich denke, ich habe davon geträumt“, munkelte Jule und in ihren Augen blinzelte der Schalk. Ihre lauten Rufe waren bis zur Scholle herüber zu hören. Treib- und Packeis schoben sich immer wieder an beiden Seiten abwechselnd an ihrem Gefährt vorbei. Alles war so aufregend. Ein Bilderbuch an Naturschönheiten öffnete sich vor ihnen. Laut kreischend begleitete eine Schar von Möwen die Reisegruppe. Die Vögel umschwärmten das Glashaus, flatterten aufgeregt durcheinander, wohl in der Hoffnung, ein paar Abfallkrümel oder Ähnliches erhaschen zu können. Einige dieser Elfenbeinmöwen flogen so knapp oberhalb der Wasseroberfläche, dass es den Anschein hatte, sie würden über das Wasser spazieren können und dabei zwischen den schwimmenden Eisbrocken flink nach kleinen Fischen jagen. Durch das heftige Schaukeln auf den Wellen wurden die gleißenden Sonnenstrahlen durch die Eiskristalle im Inneren des Glashauses in ein schillerndes Feuerwerk verwandelt. Blitze durchzuckten den Raum. Wie schnelle Pfeile schossen die grellen Strahlen kreuz und quer. Alles tauchte in silbernes Licht.

 

Erste Nacht auf hoher See

Langsam dämmerte es. Bald brach die erste Nacht herein. Trockenobst, Stockfisch, Fladenbrot und heißer Tee standen auf dem Speisezettel wie jeden Tag. Gemeinsam ließen es sich alle gut schmecken. Nachdem Miki noch seine übliche Gutenachtgeschichte erzählt hatte, umhüllte wenige Minuten später die Seefahrer tiefer Schlaf. Nur Qannik harrte aus, er übernahm die erste Wache. Sanft schaukelte ihre Eisscholle über das blauschwarze Polarmeer.

 

Die Weiterreise

Am nächsten Morgen hatte sich die Sonne hinter dicken, grauen Wolken versteckt. Es war eisig und es blies ein scharfer Nordostwind, der durch jede Ritze kroch. Die Krummels wickelten sich in ihre molligen Jacken und stülpten sich bunte Fäustlinge über die Hände. Sie ruderten und paddelten fleißig und unermüdlich durch die schäumenden Wellen. Schneeflocken, die wild durch die Luft wirbelten, nisteten sich in ihrem Fell ein. An ihren Näschen bildeten sich winzige Eiszapfen. Im Nu krönten Schneehäubchen ihre gefütterten Wollmützen. Bewundernd und dankbar sah Jule ihren Freunden durch die Fenster des Glashauses zu, gemütlich in eine wärmende Decke gehüllt. Es waren die angenehmsten und lustigsten Wegbegleiter, die sie sich nur vorstellen konnte. Inzwischen kannte sie jeden beim Namen, obwohl sie sich zum Verwechseln ähnlich sahen. Aber kleine Besonderheiten oder unscheinbare Merkmale machten ihr die Unterscheidung leichter. Sie fühlte sich gut behütet und war rundherum zufrieden. Was würde sie wohl in der großen, weiten Welt erleben? Täglich wartete eine neue Reiseüberraschung auf die Gruppe. Gestern war es eine Herde von Grauwalen, die sie singend über eine lange Zeit begleitet hatte, heute war es eine See-Elefantenfamilie, die ihnen stundenlang spektakuläre Kunststücke vorführte. Eine Kolonie von Albatrossen bevölkerte eine ganze Insel, an der sie gerade vorbeischipperten. Ihr Gekreische und Geschnattere konnte man noch hören, als sie schon fast außer Sichtweite waren. Welche interessanten Erlebnisse würden morgen auf sie warten? Das Naturschauspiel, das sich zu beiden Seiten der Eisscholle bot, war überwältigend und beeindruckend. So kam keine Langeweile auf und die Wochen vergingen wie im Flug.

 

Menschliche Wesen

Es war schon später Nachmittag, als die unermüdlichen Seefahrer in der Ferne menschliche Wesen entdeckten. Mit verstärkter Energie und festem Willen ruderten die flinken Helfer ihre Scholle in Richtung Halbinsel zu der kleinen Menschenansammlung. Die Gruppe winkte ihnen freundlich zu. Gerade noch rechtzeitig vor Einbruch der Dunkelheit legten sie mit ihrem Gefährt an einem wackeligen Holzsteg an. Herzlich wurden sie begrüßt und alle rieben zärtlich ihre Nasenspitzen aneinander.

 

Kobukmuits

Jule und die Krummels waren bei den Eskimos, dem Stamm der Kobukmuit, gelandet. Ein feierliches Festmahl wurde zu Ehren der Neuankömmlinge zubereitet. Nach dem eintönigen Speiseplan der letzten Wochen gab es endlich einmal wieder eine willkommene Abwechslung. Alle ließen sich den gegrillten Lachs, den geräucherten Aal und das frisch gebackene Brot schmecken. Zur Krönung gab es Kokos Lieblingsnachtisch, nämlich Schokoladeneis. Der vorwitzige Koko fragte zur Erheiterung aller die alte Eskimofrau: „Woher wusstest du, dass Schokoladeneis mein Lieblingsnachtisch ist?“ Worauf die Frau des Stammesältesten schlagfertig erwiderte: „Die Fee der Weisheit hat es mir heute Nacht im Traum zugeflüstert.“ Baff löffelte Koko weiter genüsslich an seinem Dessert und ließ es sich vorzüglich schmecken. Als Getränk wurde zuckersüßer Eskimotee gereicht. Nach ausgiebigen und spannenden Erzählungen über ihre bisherige abenteuerliche Seereise fielen die Gäste nach wenigen Stunden hundemüde und völlig erschöpft in ihre weichen Fellbetten.

 

Anana

Durch ein fremdartiges Geräusch wurden Jule und die Krummels zu früher Stunde geweckt. Der Dorfälteste hatte tüchtig in sein mächtiges Walrosshorn geblasen. Es war das Signal, zum morgendlichen Gebet in der Eiskapelle zu erscheinen. Alle Bewohner der Siedlung, vom Baby bis zur Oma, trafen sich vollzählig in der Kirche, um für den neuen Tag zu beten. Die Eisprinzessin und ihre Freunde durften in der ersten Reihe als Ehrengäste Platz nehmen. Viele Fackeln verbreiteten ein angenehmes Licht und schenkten etwas Wärme in dieser frostigen Kapelle. Die Eskimos schlossen die Neuankömmlinge ins Gebet ein und wünschten ihnen viel Glück und gutes Gelingen für die Weiterreise.

Plötzlich, nach neugierigem, intensivem Betrachten der Schneeprinzessin stieß eine ältere Frau einen lauten Schrei aus: „Du bist meine Enkeltochter Anana! Unverkennbar Anana! Du trägst die silbernen Ohrringe mit den roten Herzen, die ich dir zu deiner Taufe geschenkt habe.“ Die Gesellschaft verstummte. In diesem Augenblick hätte man eine Stecknadel fallen hören. Mit Tränen in den Augen lief Großmutter Ona auf ihre Enkelin zu. Alle Blicke waren auf Jule, oder war es Anana, gerichtet. Es bestand kein Zweifel, Jule war Anana und somit eine von ihnen. Jeder stürmte jetzt auf das Mädchen zu, das auf so wunderbare Weise in seine Heimat zurückgefunden hatte. Sie konnte sich kaum vor Nasenküssen, Umarmungen und anderen Liebkosungen retten.

 

Neugier

„Wie und wo habt ihr euch eigentlich getroffen?“, wollte Ona von Anana und den Krummels wissen. So fing Qannik an, die ganze Geschichte jener Julnacht zu schildern. Alle spitzten die Ohren und konnten das Gehörte kaum fassen. Es war eine wundersame Fügung des Schicksals. „Aber wie gelangte ich in dieser Julnacht ausgerechnet an diesen besagten Ort?“, sprudelte es nur so aus Anana heraus, denn bislang konnte ihr niemand diese Frage beantworten. „Leider kann auch ich dieses Rätsel nicht lösen“, stöhnte Ona schweren Herzens. „Mit dir kamen deine Eltern am Julfest zu uns zu Besuch. Seit ihrer Hochzeit hatte deine Mutter Raija nämlich bei den Natakmuits, dem Stamm deines Vaters Pekka, gelebt. Die Familie hatte sich so auf das Wiedersehen gefreut. Ausgiebig wurde gefeiert und gelacht. Es muss schon gegen Mitternacht gewesen sein, als Großvater mahnte, endlich zu Bett zu gehen. Miteinander schufen wir rasch Ordnung. Nachdem du bereits eingeschlafen warst, stellte dich dein Vater noch kurz auf die alte Holzbank neben die Eingangstüre, damit du ein paar Minuten Frischluft schnappen konntest, denn im Iglu war es ziemlich stickig und rauchig. Als dich meine Tochter Raija holen wollte, warst du mitsamt deinem Ziegenbock aus Stroh verschwunden. Entsetzt und leichenblass stand deine Mutter wie ein Häufchen Elend unter der Türe, sie brachte kein Wort über die Lippen, der Schock saß zu tief. Nur ihr ausgestreckter Arm zeigte hinaus ins Leere. Dein Vater, dein Großvater, ich und die restliche Familie stürmten ins Freie. Ratlosigkeit, Verzweiflung und Hilflosigkeit überfielen uns. Etwas Unfassbares war geschehen. Binnen Minuten war das ganze Kobukmuitdorf auf den Beinen, um nach dir zu suchen. Akiaks Großvater und Vater fuhren damals stundenlang die Küste ab, aber vergebens. Jede Ecke, jeder Winkel, jedes noch so kleine Versteck wurde durchforstet, aber nichts. Für mich war es der schlimmste Tag in meinem Leben. Dafür ist heute der schönste Tag in meinem Leben. Wir können alle von größtem Glück reden, dass dich die Krummels in jener eiskalten Julnacht entdeckten. Ihr Kesselbruch fand gerade zur richtigen Zeit am richtigen Ort statt.“

„Und wo leben meine Eltern jetzt?“, fragte Anana neugierig. „Deine Eltern waren über dein Verschwinden so unendlich traurig und verzweifelt, dass sie bei der ersten Robbenjagd im darauffolgenden Frühjahr nicht mehr zurückkehrten. Was genau geschehen ist, darüber möchte ich erst gar nicht weiter nachdenken“, beendete Ona mit Tränen in den Augen ihre Geschichte. „Aber egal, wo deine Eltern auch sein mögen, sie können uns sicher sehen und sich über unser Wiedersehen freuen.“

 

Anana und Akiak

Als jedoch ein Jüngling mit ausgebreiteten Armen auf das Mädchen zueilte, machten alle den Weg frei. Erneut kehrte Stille ein. Es war Akiak, der Mutige. Er hatte sich auf der Stelle in die junge Frau verliebt. Mit einer innigen Umarmung umschloss er seine Anana und ließ sie nie wieder los. Der Eskimoprinz hatte seine Eskimoprinzessin gefunden. Auf diesen Augenblick hatten Miki, Koko, Nanuq, Tikaani, Qannik, Sakari und Nukka seit Jahren gewartet. Endlich konnten die Krummels aus ihrer goldenen Schatztruhe ihr prachtvolles Meisterwerk, das in all den endlosen Nächten entstanden war, voller Stolz hervorholen.

 

Das Eisprinzessinnenhochzeitskleid mit den Sternschnuppen

Ein Staunen und Raunen ging durch die Menge. Jeder wollte sofort das prunkvolle Gewand aus der Nähe betrachten, denn noch niemals zuvor hatte irgendjemand etwas Schöneres gesehen. Vor Freude liefen Anana Tränen über die rosigen Wangen. Während die Kobukmuits in Lobeshymnen über das romantische Brautkleid ausbrachen, verschwanden die Krummels heimlich, still und leise, so wie sie in jener Julnacht in Jules Leben getreten waren.

 

Neuanfang