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Olga Witt

Ein Leben ohne Müll

Olga Witt

Ein Leben ohne Müll

Mein Weg mit Zero Waste

Tectum

Olga Witt

Ein Leben ohne Müll: Mein Weg mit Zero Waste

Tectum Verlag Marburg, 2017

ISBN 978-3-8288-6630-0

(Dieser Titel ist zugleich als gedrucktes Buch unter der ISBN 978-3-8288-3843-7 im Tectum Verlag erschienen. Die Printausgabe ist nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip auf umweltfreundlichem Papier, mit mineralölfreien Druckfarben und klimaneutral hergestellt.)

Lektorat: Volker Manz

Illustrationen: Olga Witt

Fotografien: Stephanie Kunde – Kundefotografie, Olga Witt, Claudia Heyer

Redaktionelle Unterstützung: Alena Stephan, Vanessa Lüdde, Alisa Wienand

2017 © Olga Witt

Umschlag: Pongphan Ruengchai © 123RF.com

Dieses Werk wurde durch die Literaturagentur Beate Riess vermittelt.

Besuchen Sie uns im Internet
www.tectum-verlag.de

Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der
Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind
im Internet über
http://dnb.ddb.de abrufbar.

 

 

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Inhalt

imagesZuallererst

imagesÜber mich

imagesDer Mensch und sein Müll

imagesUnd was ist das Problem daran?

Abfall gestern und heute

Recycling

Ressourcen

Müll

Zero-Waste-Bewegung

imagesReduce, Reuse, Recycle

imagesWie anfangen?

Was würde Oma sagen

Erste Schritte – Einwegprodukte

imagesLebensmittel einkaufen

Anders einkaufen

Das kleinere Übel

Was einkaufen?

Gewürze

Einkaufsausstattung

imagesSelber machen

Kochen

Problemfall Backen

Vegetarisch und vegan

Lieferservice

Müllfrei to go

imagesIst Zero Waste Verzicht?

imagesRohstoffe

Kunststoff

Aluminium

Glas

Papier und Pappe

Textilien

Palmöl

Seltene Erden

imagesReinigungsmittel

Inhaltsstoffe

Die Crux der Reinigung

Reinigungsbausteine

Reiniger selbst mischen

Waschnüsse und Kastanien

Waschverhalten

imagesKörperpflege

Inhaltsstoffe in Kosmetik

Alternative Körperpflege

Rasur

Damenhygiene

Ohren

Haar

Haut

Körpergeruch

Dekorative Kosmetik

Nägel

Zero Waste im Alter

imagesWas ist überhaupt Müll?

Der Nutzungskreislauf

Reduktion

Kleidung

Shopping is voting

Sonderfall Kompost

imagesLebensmittelverschwendung

Verlustposten

Was können wir tun?

imagesNebenwirkungen

Geld sparen

Zeitaufwand vs. Zeit sparen

Werte gewinnen

Keine Angst um das Wirtschaftswachstum

imagesRefuse

imagesBüro und Schule

Die Bedeutung von Recyclingpapier

imagesMüllfrei gesund

imagesIch und der Rest der Welt

Zero Waste mit Partner

Das Umfeld

Gleichgesinnte finden

imagesTradition – der schlimmste Feind

Silvester

Karneval

Ostern

Geburtstags- und andere Feiern

Weihnachten

imagesRethink

imagesLinks

imagesEndnoten

imagesGalerie

imagesRegister

Zuallererst,

denn diese Frage wird jedem, der dieses Buch in die Hand nimmt, unter den Nägeln brennen: Warum bringe ich ein Buch heraus, wenn ich doch eigentlich jedes bisschen Papier einsparen möchte? Die Frage ist durchaus berechtigt, denn immerhin werden dafür eine Menge Holz, Energie und Druckfarbe benötigt.

Wenn dieses Buch allerdings dazu führt, dass jeder, der es in die Hand nimmt und liest, im Jahr auch nur einen gelben Sack weniger vor die Tür stellt, dann hat es sich ökologisch bereits amortisiert. Und genau deshalb habe ich dieses Buch geschrieben und mich dafür entschieden, es auch in Papierform zu veröffentlichen.

Auch wenn es um eine ernste Sache geht, wünsche ich den Leserinnen und Lesern viel Spaß damit – und lasst euch an der Kasse ja keine Tüte geben!

Im Übrigen ist dieses Buch aus 100 Prozent Recycling-Papier und mit mineralölfreien Druckfarben gedruckt.

Über mich

Ich bin Jahrgang 1983, aufgewachsen in einem kleinen Dorf am Rande von Mönchengladbach, der Stadt, die man zwar weltweit kennt, von der aber kaum jemand mehr weiß, als dass dort Fußball gespielt wird. Nach meiner Schulzeit studierte ich in Koblenz, Thessaloniki (Griechenland) und Köln, wo ich schließlich auch blieb. Mein ausgedehntes Studium nutzte ich nicht nur zum Erhalt eines Masterabschlusses in Architektur mit dem Schwerpunkt Energieoptimiertes Bauen. Ich erweiterte meinen Horizont auf zahlreichen Reisen. Nach dem Studium arbeitete ich in einem Architekturbüro und lebte gemeinsam mit meinem Partner im Kölner Süden. So weit, so normal.

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Bis die Turbulenzen begannen. Zufällig stolperte ich über den Begriff »Zero Waste«, begann zu recherchieren und merkte schnell: Genau das suchte ich unterbewusst schon lange Zeit, wenn ich vom Einkauf aus dem Supermarkt nach Hause kam. Ich zögerte nicht lange und begann mein Leben zu ändern.

Meine Beziehung sollte die Veränderung nicht überstehen, und wenig später blieb auch meine Tätigkeit als Architektin auf der Strecke. Nichts mehr schien so wirklich zu passen. Ich betrachtete die Welt plötzlich mit vollkommen anderen Augen, und unser ganzes alltägliches Tun kam mir so absurd vor.

Ich kündigte spontan und flog für sechs Monate nach Südostasien, um mich in gebührendem Abstand neu zu sortieren. Nach einem halben Jahr Müllvermeidung glaubte ich, die Einzige auf der Welt zu sein, die das Thema interessierte. Ich hatte keine genaue Vorstellung, was ich dort drüben sollte, ich ließ mich treiben, führte ewige Gespräche mit Gleichgesinnten und Andersgesinnten und begab mich schließlich auf eine Fahrradtour von Thailand bis nach Vietnam. Immer dabei: Besteck und Tupperdose. Ich freundete mich mit dem Gedanken an, wohl niemals dem Mann zu begegnen, der zu meinem Lebensstil passte. Meine Selbstfindung gab mir auch mit Blick auf eine mögliche Beziehung den Rückhalt, dass mein Glück nicht von einem Partner abhängen würde. In der tiefsten Gewissheit geschah dann das, was normalerweise nur in Hollywoodfilmen passiert: Ich traf den perfekten Deckel für meinen Topf. Ich wollte eigentlich nur mal kurz in Deutschland vorbeischauen, bis ich Gregor kennenlernte. Als wir uns das erste Mal trafen und er mit seinen Kindern das Treppenhaus herunterschaute, wusste ich, dass sich mein Leben verändern würde. Es dauerte keine zwei Wochen, bis ich bei ihnen einzog, keine zwei Monate, bis wir uns verlobten, und genau ein Jahr bis zu unserer Hochzeit. Mittlerweile haben wir die Familie mit weiterem Nachwuchs noch ein wenig vergrößert und arbeiten gemeinsam daran, über Müll und seine Auswirkungen zu informieren und Lösungen zu finden.

Der Mensch
und sein Müll

Für die meisten Menschen ist es normal, etwas zu kaufen, es auszupacken und die Verpackung in den Müll zu schmeißen. Dieser Müll wird regelmäßig geleert, in die große Mülltonne vorm Haus. Diese große Mülltonne wird ebenfalls regelmäßig geleert, von der zuständigen Müllabfuhr. Dieses System ist ein Segen für unsere Zivilisation, denn bevor es die Müllabfuhr gab, vergammelte der Müll in den Straßen und führte zeitweise zu katastrophalen hygienischen Zuständen, die Ratten anlockten und ein idealer Nährboden für Krankheiten waren.

Dieser Segen führte aber auch dazu, dass wir jegliches Gefühl dafür verloren, wie viel Müll bei uns eigentlich anfällt. Der Müll ist aus den Augen – und damit auch aus dem Sinn. Tatsächlich betrug das kommunale Abfallaufkommen in Deutschland alleine im Jahr 2013 ganze 617 kg pro Person.1 Das sind mehr als 1,5 kg Müll pro Tag!

Diese Zahl ist erschreckend hoch, und auf den ersten Blick kaum vorstellbar. Wenn wir jedoch unseren Alltag näher betrachten, wird schnell deutlich, woher der stetig zunehmende Müll kommt: Er ist in hohem Maße an unsere gesellschaftliche Entwicklung gekoppelt.

Wir werden immer gemütlicher. Ein dauerhafter Trend, der sich perfekt in dem Werbespruch »Zewa – wisch und weg« zeigt. Alles muss praktisch sein und schnell gehen. Kaufen, auspacken, wegwischen, wegschmeißen. Anstatt Kaffeepulver in einen Kaffeefilter zu geben, schieben wir eine Aluminiumkapsel in ein Gerät, das alles vollautomatisch für uns erledigt. Das ist sehr praktisch: kein lästiges Kaffeepulver mehr umfüllen und nachher Krümel von der Arbeitsplatte wegwischen. Es führt allerdings allein in Deutschland zu zwei Milliarden entleerten Kaffeekapseln pro Jahr mit einem Gewicht von 4.000 Tonnen.2

Oft genug ist aber für den Kaffee zu Hause gar keine Zeit und wir trinken ihn lieber unterwegs. Mit Coffee-to-go leert Deutschland ganze 320.000 To-go-Becher in nur einer Stunde. Was kaum einer weiß: Die Pappbecher sind keineswegs nur aus Pappe. Dazu noch einen Schokoriegel in den Mund, mittags eine Plastikschale Salat vom Supermarkt und abends nach der ganzen Anstrengung Essen vom Lieferservice. Fruchtzwerge, Bonbons, Eis am Stiel, vorgeschnittene Fruchtstückchen – »mit einem Happs sind sie im Mund«. Wir lieben unsere Zwischenmahlzeiten mundgerecht verpackt.

Abgesehen von der Gemütlichkeit führt dies aber auch dazu, dass wir zunehmend all unsere hauswirtschaftlichen Errungenschaften verlernen. Käse mit der Hand zu schneiden bedeutet nicht nur einen gewissen Aufwand, man muss es erst mal lernen, und die Scheiben sehen am Ende alle unterschiedlich aus. So kaufen wir lieber vorgeschnittene Scheiben in der Kunststoffschale, und damit diese nicht aneinanderkleben, kommt noch eine Folie dazwischen. Auch selbst zu kochen ohne Zauberpulver und Fertigpackungen ist für das Gros der Gesellschaft gar nicht mehr möglich. Man lernt es weder von den Eltern noch in der Schule. Gut, dass es Fertiggerichte aus dem Tiefkühlfach und den Lieferservice gibt. So kommt das Essen fertig und warm in der Aluminiumschale mit Serviette vor unsere Haustür.

Weiter kommt die stetige Gier nach Neuem hinzu. Immer das neuste Handy, jede Saison neue Klamotten, das Spielzeug der Kinder muss immer aufregender, größer und toller sein, und die Verwandten überbieten sich gegenseitig mit den Weihnachtsgaben. Auch die Wohnungseinrichtung wird immer kurzlebiger. Mit der Erfolgsgeschichte eines sehr bekannten Möbelhauses kann sich nicht nur jeder neue Möbel leisten, das Möbelstück ist zum Wegwerfartikel verkommen. Passend zu den steigenden Bedürfnissen sinkt die Wertigkeit von dem, was wir kaufen. So halten Kleidung, Elektronik, Haushaltsgegenstände und Co. nur einen Bruchteil der Zeit, die sie noch vor ein paar Jahrzehnten in der Lage waren, ihre Funktion zu erfüllen. Und selbst gezielt eingebaute Sollbruchstellen werden von uns toleriert. Durch den steten Überfluss von allem und die grenzenlose Verfügbarkeit von Nachschub verlieren wir zunehmend jede Wertschätzung für die Dinge, die uns umgeben, sodass es uns nicht wehtut, wegzuschmeißen und auszutauschen.

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Auch vor Nahrungsmitteln macht diese Entwicklung nicht halt. So landen tonnenweise essbare Lebensmittel im Müll oder vergammeln in den Tiefen unserer Kühlschränke. Wir lassen gedankenlos Reste auf dem Teller liegen, schneiden einen großen Teil essbarer Gemüseteile einfach weg, und ein durchschnittlicher Grillabend endet mit einem Berg an nicht gegessenem Fleisch, mit dem niemand mehr etwas zu tun haben will. So schmeißen wir durchschnittlich 53 kg essbare Lebensmittel pro Person und Jahr einfach weg. Das sind deutschlandweit insgesamt 11 Millionen Tonnen pro Jahr an vermeidbarem Lebensmittelmüll.

 

Ein letzter Aspekt bei all dem ist die Unachtsamkeit, mit der wir gedankenlos alles annehmen, was man uns in die Hand drückt. Werbegeschenke von Kugelschreibern bis zu Kalendern, Servietten und Strohhalmen. Werbepost und Einkaufskataloge flattern zuhauf in den Briefkasten und erzeugen noch mehr Bedürfnisse, die wir davor nicht hatten. Wir nehmen tendenziell erst mal alles an und schmeißen dann zu Hause weg.

Kurzum, unsere Zeit ist geprägt von Schnelligkeit, praktischer Gemütlichkeit, übertriebener Hygiene, verloren gehenden hauswirtschaftlichen Fähigkeiten und dem Drang nach immer mehr, nach größeren und schöneren Dingen. Das alles gepaart mit unserem vergleichsweise hohen Einkommen ergibt am Ende des Jahres die genannten 617 kg Müll pro Person, Tendenz steigend.

Und was machen wir mit der ganzen gesparten Zeit? Werbefernsehen gucken, das bei uns Verbrauchern stets neue Bedürfnisse schafft, und noch mehr arbeiten, um diese Bedürfnisse dann auch befriedigen zu können.

Und was ist das
Problem daran?

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ABFALL GESTERN UND HEUTE

Müll anzuhäufen ist dem Menschen eigen, seit er sich entschieden hat, sesshaft zu werden. Die Art des Mülls ist das, was sich seitdem sehr verändert hat. Die ersten Siedler produzierten naturgemäß lediglich Abfälle, die innerhalb kürzester Zeit von der Natur als Nährstoff wieder aufgenommen wurden – also organische Abfälle. In einer dünn besiedelten Welt waren Umwelt- und daraus entstehende Gesundheitsprobleme ausgeschlossen. Mit wachsender Verdichtung und der Herausbildung von städtischen Strukturen wurde dann aber das Müllaufkommen zunehmend zum Problem. Müll, der einfach auf die Straßen gekippt wurde, zog Ungeziefer an und brachte Krankheiten mit sich. Und dennoch war der Müll an sich relativ harmlos, denn in freier Natur wurden auch diese Überreste schnell zu fruchtbarer Erde. Das änderte sich mit der Förderung neuer Rohstoffe, wie zum Beispiel Erdöl, und der Entwicklung von Materialien wie Kunststoff, die biologisch nicht so leicht abgebaut werden. Auch der Einsatz von Chemikalien, die schädlich auf das Ökosystem wirken, veränderten die Qualität unserer Abfälle. Mit der technischen Entwicklung der Menschheit, steigt auch unser Müllaufkommen stetig an. Während wir in unseren Anfängen ein paar Speerspitzen hinterließen, begannen wir später, stetig mehr zu produzieren, um unser Leben zu »erleichtern«, angenehmer und vergnüglicher zu gestalten. Seitdem gilt ein einfacher und logischer Zusammenhang: Je mehr wir uns leisten können, desto mehr kaufen wir und desto mehr entsorgen wir auch wieder. Lediglich eine Sache hat sich in dieser Entwicklung seit ein paar Jahrzehnten deutlich geändert: Während unsere Produkte und Erzeugnisse früher produziert wurden, um für die Ewigkeit zu halten, werden sie heute produziert, um schnell ersetzt zu werden. Stetiger Austausch unserer Dinge bedeutet aber stetig neuer Müll.

In einem auf Wachstum ausgerichteten System ist ein solcher Austausch notwendig, damit die Produktion nicht ins Stocken gerät, wenn viele bereits alles haben. Aber ist dieses System zukunftsweisend? Ist grenzenloses Wachstum möglich auf einem runden Planeten?

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RECYCLING

Wir Deutschen gehören nicht zu den achtlosesten Menschen. Wir trennen fleißig Müll, und die Mülleimer an unseren Straßen bleiben nicht ungenutzt. Wir glauben an unsere Müllabfuhr, an die Straßenreinigung und an das Recycling, und deshalb wiegen wir uns in Sicherheit. Ein Trugschluss! Während für uns das Problem am Mülleimer endet, geht es für die Müllverarbeitungsbetriebe erst richtig los.

Kaum einer weiß, dass nur ein knappes Viertel unseres Plastikmülls wieder stofflich verwertet, also recycelt wird.3 Diese erschreckend geringe Ausbeute hat diverse Gründe. In der Sortieranlage werden die Stoffe mittels Infrarotstrahlung aussortiert. Bei sortenreinem Kunststoff ist das ein sehr effizientes Verfahren. Aber sobald der Joghurtdeckel aus Aluminium in den Joghurtbecher hineingeklappt wird, ist das System überfordert. Zudem kommen immer komplexer werdende Verbundmaterialien und Vermischungen verschiedener Kunststoffsorten in Umlauf. Was aber nicht klar zugeordnet oder getrennt werden kann, wird aussortiert.

Ist die Sortieranlage durchlaufen, kommen die eindeutig zugewiesenen Bestandteile zum Recyclingunternehmen. Bevor dieses mit der eigentlichen Arbeit beginnt, folgt aber erst noch eine weitere Sortierung, um die nötige Reinheit für die Wiederverwertung zu gewährleisten. Erst dann wird der Kunststoff eingeschmolzen und zu Kunststoffgranulat verarbeitet. Dieser Prozess ist aufwendig und teuer – ganz im Gegensatz zu Granulat aus frischem Rohöl, das in direkter Konkurrenz zu Recyclinggranulat steht.

Die Verbrennung dagegen ist ein lukratives Geschäft. Bei Müll geht und ging es schon immer um harte Dollars. Die Geschichte der New Yorker Müllabfuhr beispielsweise war von Anfang an geprägt von mafiösen Strukturen, bei denen die persönliche Bereicherung im Mittelpunkt stand, und schon früh wurde erkannt, wie viel sich damit verdienen lässt, dass der anfallende Müll beseitigt werden muss. Ähnlich läuft es im Süden Italiens seit Jahrzehnten bis heute. Eine fehlende Abfallwirtschaft und eine Mafia, die ein einträgliches Geschäft wittert, führen zu mit Müll verstopften Straßen, überfüllten Mülldeponien und einer illegalen Müllentsorgung mit verheerenden Auswirkungen auf Umwelt und Gesundheit. Wie durchtrieben das ganze Spiel um den Müll ist, hängt auch nur bedingt mit dem Entwicklungsstand eines Landes zusammen. So verdienen sich deutsche Firmen eine goldene Nase mit dem Import und der Verbrennung von Müll aus anderen Ländern wie eben Italien. Indem unsere Müllverbrennungsanlagen schon überdimensioniert geplant werden, wird die Notwendigkeit für einen solchen Müllhandel geschaffen, denn eine Müllverbrennungsanlage kann nur arbeiten, wenn sie ausgelastet ist. Und so kommt es, dass ein großer Teil des tatsächlich wiederverwertbaren Kunststoffs doch in der Müllverbrennungsanlage landet.4

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RESSOURCEN

Wachstum, Wachstum, Wachstum!, wird uns von allen Seiten der Medien, der Politik und der Wirtschaft unablässig zugerufen. Nur so könnten wir unsere Zukunft sichern. Wenn man das reine Bruttosozialprodukt und unser Rentensystem anschaut, klingt das auch erst einmal nach der einzig richtigen Lösung. Allerdings ist dieser Ansatz etwas zu kurz gedacht. Denn auf einem Planeten, der die Form einer Kugel hat, ist grenzenloses Wachstum faktisch nicht möglich. Würden alle Menschen dieser Erde plötzlich den gleichen Ressourcenbedarf für sich beanspruchen, wie wir es in den hoch entwickelten Industrieländern tun, würde die Welt sofort kollabieren.

Schon der Energieerhaltungssatz lässt vermuten, dass nicht endlos etwas hinzukommen wird, sondern dass alles immer nur von einem Zustand in einen anderen umgewandelt wird. Nun haben wir unserer Erde viele Milliarden Jahre Zeit gegeben, um Bäume zu Erdöl, Erdgas und Kohle oder Diamanten umwandeln zu lassen, um aus Muscheln Kalkstein zu machen und Seltene Erden zu produzieren. Seit wir von diesen Bodenschätzen wissen, finden wir immer neue Methoden, um sie zu fördern und in Energie und Produkte unseres täglichen Gebrauchs umzuwandeln. Was die Erde Milliarden von Jahren an Zeit gekostet hat, kann also in der vergleichsweise kurzen Lebensspanne des modernen Menschen als endlicher Rohstoff kategorisiert werden. Wir werden es in unserer Lebenszeit auf natürlichem Wege nicht erleben, wie aus einem Baum Erdöl wird. Folglich bedeutet die kontinuierliche Förderung eines Rohstoffs, dass dieser irgendwann nicht mehr zur Verfügung stehen wird. Irgendwann ist er aufgebraucht. Wie lange unser Erdöl noch reicht, wird seit gut 40 Jahren prognostiziert, und dies mit Zahlen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Die Vergangenheit zeigt, wir wissen es nicht. Was wir tatsächlich mit Sicherheit sagen können, ist, dass es nicht ewig reichen wird. Wir können uns noch in den prognostizierten Zeiträumen gemütlich einrichten, aber schon unsere Kinder dürfen es irgendwann ausbaden, dass die Quellen infolge der übermäßigen Ausbeutung versiegen.

Selbst wenn wir Alternativen finden, unseren Kunststoff in der gleichen Qualität komplett aus nachwachsenden Rohstoffen produzieren zu können, muss klar sein, dass auch diese Rohstoffe irgendwoher kommen müssen. Schon jetzt werden die Flächen für unsere Lebensmittelproduktion knapp. Wir beuten unsere Böden immer weiter aus, zerstören wertvolle Humusschichten durch Monokulturen und verseuchen unser Land durch Überdüngung und Pestizideinsatz. So verringern wir stetig das fruchtbare Potenzial unserer Böden und sorgen für einen Rückgang der heimischen Tier- und Pflanzenvielfalt. Und das nicht nur bei uns vor der eigenen Haustür, sondern auch in anderen Regionen der Erde. Sukzessive werden mehr Regenwaldflächen gerodet, um unserem Bedarf an Palmöl für Kosmetik und Lebensmittel gerecht zu werden und Soja für unsere Fleischproduktion anzubauen. Eine weitere Konkurrenz um Anbauflächen aus der Rohstoffindustrie würde bei unserem hohen Bedarf an Rohstoffen verheerende Folgen haben. Bereits der vermeintliche Ökosprit E10 mit einem Anteil von 10 Prozent Pflanzenmasse ließ einen Protestaufschrei in der Bevölkerung erkennen, die das Problem im Gegensatz zur Politik schon im Vorhinein erkannte. Und trotzdem – E10 gibt es immer noch.

Eines muss klar sein: Erneuerbare Rohstoffe wachsen zwar theoretisch unendlich häufig nach, man muss aber auch ihnen die Fläche, die Zeit und die Nährstoffe geben, die sie benötigen, um sich entsprechend entwickeln zu können. Unser Papier ist also nur so lange ein nachhaltiger Rohstoff, wie die Bäume auch in ausreichender Menge nach der Abholzung wieder aufgeforstet werden.

Zu der Knappheit unserer Ressourcen kommen diverse Umweltprobleme bei dessen Förderung und Verarbeitung hinzu. Bestes Beispiel sind die in regelmäßigen Abständen auftretenden Erdölkatastrophen, wenn Tausende Tonnen Rohöl in den Ozean fließen, zahlreiche Meerestiere verkleben und ganze Küstenzüge verseuchen. Auch liegen die Rohstoffe nur selten in reiner Form in der Erde herum, sondern müssen häufig mithilfe von Chemikalien aus ihr herausgelöst werden. Die Aluminiumproduktion beispielsweise hinterlässt gigantische Mengen giftigen Rotschlamms, der nur noch deponiert werden kann. Auch hier besteht keine sonderliche Sicherheit bei der dauerhaften Endlagerung, wie Ungarn 2010 der Welt zeigte. Hier brach der Damm einer Rotschlamm-Endlagerung. Die herauslaufende toxische Brühe verseuchte mehrere Dörfer, es kam zu vielen Verletzten und letztlich endete der Strom in der Donau mit entsprechenden Folgen für deren Ökosystem. Die Förderung von Seltenen Erden und Edelmetallen wie Gold führt zu menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen für die lokale Bevölkerung, die in den Minen für einen Hungerlohn schuftet und ihre Gesundheit dabei aufs Spiel setzt.

Wenn man Müll also nicht nur als stinkende Reste betrachtet, die schnellstmöglich beseitigt werden sollen, sondern sich klarmacht, welcher Aufwand in der Förderung der Ausgangsstoffe und der Produktion steckt und welche Folgen für die Umwelt daraus resultieren, wird schnell klar: Es geht hier nicht um Abfall, es geht um wertvolle Rohstoffe. Wird das Material in der Müllverbrennungsanlage verbrannt, wird es zwar ebenfalls verwertet, denn es wird Strom und Wärme daraus erzeugt. Anders als bei der stofflichen Verwertung, bei der ein neues Produkt daraus erzeugt wird, ist der Rohstoff danach allerdings für immer verloren. Aus dem im Erdöl und im Kunststoff gebundenen CO² wird bei der Verbrennung ebendieses CO² freigesetzt. Während das gebundene CO² noch ein sehr praktischer Rohstoff ist, wird das freigesetzte zunehmend zu einem Problem in unserer Atmosphäre.

Langsam wird deutlich, dass der weggeworfene Joghurtbecher nicht nur der Müllabfuhr ein geregeltes Einkommen beschert, sondern auch seinen Beitrag zur Klimaerwärmung beisteuert. Damit ist er beteiligt an schmelzenden Polkappen, der zunehmenden Desertifikation, also der Wüstenausbreitung, sowie an den Dürren in den wärmeren Regionen unserer Erde. Die immer schlechteren Lebensbedingungen führen nicht zuletzt dazu, dass die ansässigen Menschen vor den Klimaveränderungen flüchten und sich in gemäßigteren Regionen wie Nordeuropa niederlassen. Nach einer Studie der US-amerikanischen National Academy von Anfang 2015 wäre es ohne eine jahrelange, bislang nicht gekannte Dürreperiode in Syrien niemals zu einem solchen Konflikt gekommen, wie er momentan herrscht.5 Der Joghurtbecher ist also noch viel mehr als eine verlorene Ressource und Mittäter bei der Klimaerwärmung, er trägt auch noch seinen Teil zu den nicht abreißenden Flüchtlingsströmen nach Nordeuropa bei. Wer sich also demnächst wieder einmal über die ganzen Flüchtlinge beschweren möchte, der schaue doch einfach mal in seinen Einkaufskorb.

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MÜLL

Nicht nur die Grenzen der Recyclingunternehmen führen zu den bereits erwähnten geringen Recyclingquoten. Abfall, der nicht vom Verbraucher vorsortiert wird, geht ohne Umwege in die Verbrennung. Dazu zählen auch alle öffentlichen Mülleimer. Wer hier etwas hineinwirft, ist stolz darauf, dass er so vorbildlich handelt, bedenkt aber nicht, dass er damit auch eine Ressource für immer verschenkt. Wer wirklich umsichtig handeln will, nimmt seine Reste deshalb lieber mit nach Hause – oder hat im besten Fall natürlich keine.

Ein nicht unbeträchtlicher Anteil unseres Mülls sieht einen Mülleimer aber niemals von innen. Nicht alle Länder dieser Erde können ihren Müll so gut verstecken wie Deutschland. Wer beispielsweise nach Südostasien reist, wird erschrecken über die wahnwitzige Menge an Kunststoffverpackungen, die einem förmlich aufgedrängt und hinterhergeschmissen werden und nach dem Verzehr oft achtlos in der Landschaft landen. Nicht abbaubare Abfälle liegen offen herum in Straßen, in Wäldern und in Flüssen, und das in Mengen, bei denen wir uns gerne angewidert umdrehen und nur noch den Kopf schütteln über so viel Ignoranz. Aber auch wenn wir schnell zu wissen glauben, dass ein Asiat vollkommen unreflektiert Plastiktüten konsumiert, so bleibt es doch eine Tatsache, dass er immer noch weniger Müll produziert als ein Europäer, Amerikaner oder Australier. Tatsächlich besteht eine direkte Abhängigkeit zwischen Wohlstand und Müllaufkommen. Je reicher eine Gesellschaft, desto mehr Müll produziert sie – und desto besser lernt sie, ihn zu verstecken.

Hierzulande sorgen Bildungsstand und Erziehung für eine relativ saubere Umwelt. Im Allgemeinen wird der Müll zumindest in Mülleimern entsorgt, wenn auch bei Weitem nicht immer sortiert. Aber schaut man einmal genau hin, sieht man, dass es mit dieser Erziehung gar nicht so weit hin ist, wie wir glauben. Auf unseren innerstädtischen Straßen kommt regelmäßig die Straßenreinigung vorbei und kehrt zusammen, was den Weg in den Mülleimer nicht gefunden hat, sodass man glauben könnte, Silvester hätte nie stattgefunden. Schnellstraßen, Autobahnen, Zufahrten und Bereiche, wo die städtische Müllabfuhr nicht zuständig ist, sind hingegen von achtlos weggeworfenem Material aller Art gesäumt. Selbst Grünstreifen, Parks und Flussufer bleiben nicht verschont. Und die Müllabfuhr erwischt niemals alles. Tiere fressen den Müll, Wind und Wetter tragen ihn in unsere Flüsse und arbeiten ihn langsam in die Erde ein. Unsere regelmäßigen Müllsammelaktionen auf Kölner Grünflächen und meine Bepflanzungen von öffentlichen Beeten zeigen immer wieder: Unsere gesamte Umwelt ist gespickt mit kleinen Plastikteilchen.

Von den 275 Millionen Tonnen Kunststoff, die wir weltweit jedes Jahr erzeugen, enden jedes Jahr 80 Millionen Tonnen in unseren Weltmeeren.6 Dort zirkuliert der Müll in fünf großen Müllteppichen, angetrieben durch die Meeresströmung – im Nordpazifik, im Südpazifik, im Indischen Ozean und im Atlantik, wo sogar zwei kreisen. Naturbelassene Strände ohne Kunststoffteile gibt es schon lange nicht mehr. Mein Bruder fragte schon als Kind meinen Vater beim Durchstreifen der am Strand angeschwemmten Gegenstände: »Papa, gibt es eigentlich auch Strandschlecht?!« Das ist jetzt 30 Jahre her, und es wird immer mehr.

Das Ganze ist nicht nur ein optisches Problem. Tiere fressen davon auf der Suche nach Nahrung und verhungern mit vollem Magen, vergiften sich an den enthaltenen Schadstoffen, erdrosseln sich damit. Vögel bauen Nester aus Kunststoffteilen, in denen ihre Jungen erfrieren. Wenn wir Meerestiere essen, dann haben wir unser Plastik bereits wieder auf dem Teller.

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ZERO-WASTE-BEWEGUNG

Seit gut zehn Jahren gibt es eine Bewegung, die diese Zusammenhänge erkannt hat und unter dem Namen »Zero Waste« Menschen im direkten Gegensatz zur wachstumsorientierten Gesellschaft leben. Anstatt Dinge wegzuwerfen und zu ersetzten, reduzieren sie ihren Abfall und damit ihren Ressourcenverbrauch auf ein Minimum. Bekanntestes Vorbild ist die US-Bloggerin Bea Johnson, die in ihrem Blog beschreibt, wie sie schon seit 2008 müllfrei lebt, und eine wahre Herausforderung daraus gemacht hat, ihren Jahresmüll auf die Größe eines Einmachglases zu reduzieren. Seitdem wächst die Bewegung langsam, aber stetig. Viele ihrer Nachfolger schreiben eigene Blogs und Internetseiten, um das Thema weiter in die Öffentlichkeit zu rücken, so wie auch ich. Denn es ist ein Wettlauf. Während die Bewegung stetig wächst, wächst auch das mangelnde Bewusstsein im Rest der Bevölkerung und damit auch der von uns produzierte Müll.

»Zero Waste« bedeutet übersetzt »Kein Müll«. Wer sich länger mit dem Thema beschäftigt, merkt bald, dass die zweite Bedeutung des Begriffs aber noch viel wesentlicher ist, nämlich »Keine Verschwendung«. Es geht im Wesentlichen also um die bereits erwähnte Verschwendung von Ressourcen. Zero Waste ist die Utopie eines geschlossenen Wertstoffkreislaufs, in dem keine Ressourcen mehr verloren gehen. Also das perfekte Cradle-to-Cradle-Prinzip, in dem jedes Produkt wieder so weit zerlegt und aufbereitet wird, dass daraus Neues entsteht – ohne Verlust. Das ist ein sehr hoher Anspruch und scheint nur mit einem Rückzug in die Wildnis möglich.

Zero Waste zu leben bedeutet aber nicht, in die Wildnis auszuwandern, sondern dieser Utopie entgegenzustreben. Dabei geht es nicht um einen perfektionistischen Anspruch. Und auch nicht darum, voller Stolz einmal im Jahr sein Einmachglas mit Müll zu präsentieren. Menschen, die das tun, sind wichtig, denn sie machen uns auf das Problem aufmerksam und zeigen uns Lösungen. Sie sind unsere Vorbilder. Aber jeder, der anfängt, Verschwendung dort zu minimieren, wo sie vermeidbar ist, lebt bereits den Gedanken von Zero Waste.

Es geht um den achtsamen Umgang mit unserer Welt und deren begrenzten Ressourcen. Und es geht darum, die weltweiten Auswirkungen unseres Konsumverhaltens zu erkennen, sich immer wieder neu damit auseinanderzusetzen, ob es das wert ist, und entsprechend zu handeln. Es ist das ganzheitliche Neu-Denken gewohnter Verhaltensmuster unter Betrachtung globaler Zusammenhänge. Es geht darum, selbst zu denken und nicht bloß das zu tun, was wir immer getan haben.

Im Grunde ging es mir nicht anders als vielen Menschen auch. Wenn ich einkaufen ging, hatte ich immer ein schlechtes Gefühl dabei, all dieses Verpackungsmaterial mitzukaufen. Mir war nicht klar, wieso eine einzelne Gurke in Folie eingeschweißt ist, und empfand es als lästig, den Müll runterzubringen. An der Kasse habe ich schon allein deshalb auf Plastiktüten verzichtet, weil ich dafür nicht zahlen wollte. Dann war aber auch schon Schluss. Man findet das System irgendwie komisch, aber es ist, wie es ist, und was soll man daran ändern?!

Bis zu dem Tag, als ich ein Zeitungsblättchen in die Hände bekam, in dessen Vorwort der Begriff »Zero Waste« fiel, der mir bis dato vollkommen unbekannt war. Das machte mich neugierig. Zero Waste? Kein Müll? Das klingt toll. Und es gibt Menschen, die keinen Müll machen? Ich setzte mich an meinen Rechner, und aus meiner Neugier wurde schnell Ehrgeiz. Mein Entschluss war gefasst. Das wollte ich auch versuchen. Meine Leidenschaft zum Schreiben begleitete mich von Anfang an, denn auch ich teile seitdem mein Experiment auf einem Blog mit der Öffentlichkeit. Und es sollte nicht nur meinen Mülleimer, sondern mein komplettes Leben verändern.

Reduce, Reuse,
Recycle

Das bisherige Konzept unserer Regierungen war es, den entstehenden Müll so gut es geht stofflich wiederzuverwerten, also zu recyceln, um die enthaltenen Rohstoffe wieder nutzbar zu machen. Das Konzept des geschlossenen Wertstoffkreislaufs ist erstrebenswert, die Realität zeigt uns aber, dass es nicht aufgeht. Die Recyclingquoten sind schlecht und die Mülleimertrefferquoten ebenfalls, weshalb viele Rohstoffe verloren gehen oder gar Schaden anrichten. Auch die aufbereiteten Recyclingprodukte erreichen nicht bei jedem Stoff die gleiche Qualität wie neuwertige Rohstoffe. Gerade bei Kunststoffen nimmt die Materialgüte ab, sodass der Begriff »Recycling« eher einer Augenwischerei gleichkommt. Es handelt sich vielmehr um Downcycling: Das Material wird zwar wiederverwendet, die Qualität sinkt aber, und es können nur noch Produkte damit hergestellt werden, die diese geringere Qualität in Kauf nehmen, beispielsweise Parkbänke. Parkbänke sind super, man kann sie aber auch sehr gut aus Holz produzieren. Wenn überhaupt Altmaterial verwendet wird, so ist der Anteil produktionsbedingt meist begrenzt. Für die neuen Joghurtbecher muss also doch wieder frisches Erdöl her.

Aluminium dagegen lässt sich nahezu vollständig recyceln. Der Prozess ist aber mit einem hohen Energieaufwand verbunden, ebenso wie bei Glas. Verunreinigungen in den Glascontainern durch Stoffe, die dort nicht hineingehören, vermindern zudem die Qualität. So kann der Anteil an neu hergestelltem Glas je nach Farbe zu maximal 60 bis 90 Prozent7 aus Altglas bestehen. Es wird deutlich, dass selbst eine Recyclingquote von 100 Prozent mit Verlusten einhergeht, nämlich mit einem Aufwand an Energie, der je nach Material sehr hoch sein kann. Energie wiederum ist immer verbunden mit dem Einsatz von Rohstoffen und endlichen Ressourcen, selbst wenn Ökostrom aus der Steckdose kommt.

Auch Papier kann gut recycelt werden. Energieaufwand und Wasserverbrauch für die Herstellung von Altpapier sind deutlich geringer als bei Frischpapier. Das Ergebnis zeigt aber einen entscheidenden Qualitätsverlust: Da die Rückstände der Druckfarben aus der vorherigen Nutzung nicht vollständig beseitigt werden können, ist das Papier quasi mit Schadstoffen kontaminiert. Während dies für Schreibpapier maximal zu einem Farbunterschied führt, ist der Einsatz von Recyclingpapier im Lebensmittelbereich nicht empfehlenswert, wenn nicht verboten. Giftstoffe wie das Mineralöl aus den Druckfarben voriger Nutzung können in die Lebensmittel migrieren und damit auch in den Körper. Solange wir unsere Druckfarben nicht komplett auf umweltfreundliche, giftstofffreie Farben umstellen, kann also auch hier nur von einem Downcyclingprozess gesprochen werden.

Recycling ist unumgänglich und zweifelsohne sinnvoll, da wir ohne Rohstoffe nicht weit kommen. Wir sollten daran arbeiten, 100 Prozent unserer eingesetzten Materialien in eine stoffliche Verwertung zu geben. Vor allem sollten wir aber daran arbeiten, dass der benötigte Einsatz von neu geförderten Rohstoffen drastisch zurückgeht. Das Recycling kann dabei immer nur der letzte Schritt im sinnvollen Umgang mit Ressourcen sein.

Die Zero-Waste-Bewegung hat dieses Dilemma erkannt und packt das Problem an der Wurzel – dem Ressourcenverbrauch. Denn alle Rohstoffe, die gar nicht erst eingesetzt werden, müssen auch nicht recycelt werden. Reduce, Reuse, Recycle – die drei berühmten Rs geben eine klare und logische Handlungsanweisung zum achtsamen Umgang mit Ressourcen, und zwar genau in der genannten Reihenfolge.

Reduce – Einsparung: Es geht also darum, von vorneherein umsichtiger und sparsamer mit unseren Ressourcen umzugehen und nur das zu verwenden, was sinnvoll und notwendig ist, darum, unsere Bedürfnisse und unsere Verschwendung zu verringern. Eine Brötchentüte ist zwar nur aus Papier, aber letztendlich unnötig. Genau aus diesem Gedanken heraus ist es auch nicht möglich, sich »grün« zu kaufen, indem man nur genügend ökologisch sinnvolle Produkte konsumiert. Das sinnvollste Produkt ist immer »kein Produkt«. Auch wenn es mittlerweile ökologische Alternativen für alles Mögliche gibt, so bleibt die beste Wahl, mit dem zufrieden zu sein, was man bereits hat.

Reuse – Wiederverwendung: Alles, was bereits produziert ist, sollte möglichst lange im Nutzungskreislauf verbleiben, denn solange die Dinge verwendet werden, müssen sie nicht durch Neues ersetzt werden. Deshalb ist es immer sinnvoller, gebrauchte Sachen einzukaufen und auf Mehrwegsysteme zu setzen anstatt auf neue Produkte und Einwegflaschen.

Recycle – Stoffliche Verwertung: Erst im allerletzten Schritt kommt die wichtige Bedeutung des Recyclings zum Tragen. Alles, was absolut keinen Gebrauch mehr findet und somit als Abfall zu deklarieren ist, sollte möglichst gut nach Rohmaterial getrennt und zur Herstellung von neuen Produkten aufbereitet werden, um einen Rohstoffverlust und den Energieaufwand zur Produktion so gering wie möglich zu halten.

Sinnvolle Produkte betrachten diesen Aspekt schon bei ihrer Produktion und ermöglichen eine möglichst sortenreine Trennung ihrer Bestandteile. Nach dem Prinzip »Cradle to Cradle« wäre so ein tatsächliches Recycling möglich, in dem nichts verloren ginge. In der Praxis gibt es leider nur noch sehr wenige Produkte, die dieses Kriterium erfüllen. Organische Abfälle, also quasi Kompost, zählen beispielsweise noch dazu. Nach gebührender Zeit werden sie vollständig zu fruchtbarer Erde umgewandelt, aus der neues Leben entstehen kann.

Wie anfangen?

Die Idee klingt gut – nichts mehr verschwenden. Aber wie soll das gehen? Haben wir denn überhaupt eine Wahl? Es ist doch wirklich alles verpackt.

Ja, wir haben in der Tat die Wahl. Du wirst vielleicht niemals auf null kommen, aber das musst du auch gar nicht. Es wäre schön, aber es wäre auch utopisch. Was du allerdings mit wenig Aufwand schaffen kannst, ist, deinen Hausmüll mindestens zu halbieren. Du musst dich an dieser Stelle nicht entscheiden, ob du Müll oder keinen Müll willst. Jedes bisschen, was du dafür tust, um Müll zu verringern, ist ein gutes bisschen, egal wie weit du damit kommst. Wenn du der Typ dafür bist, steck dir gerne ambitionierte Ziele und pushe dich damit. Wenn du aber nicht der Typ dafür bist, erspar dir den Druck. Lies einfach weiter und schau, was du umsetzten kannst. Mach dich nicht selbst fertig, wenn du stagnierst oder mal etwas gekauft hast, was du eigentlich dauerhaft von deinem Einkaufszettel streichen wolltest. Je entspannter du an die Sache herangehst, desto leichter fällt es dir und desto dauerhafter wird deine Umstellung sein.

Menschen, die anfänglich mit dem Thema konfrontiert werden, neigen gerne dazu, bei dem Gedanken daran, plötzlich auf ihre Lieblingsspeise verzichten zu müssen, komplett abzublocken. Wozu der Stress? Such dir nicht gleich die schwierigste Lebenssituation aus, sondern mache es genau andersherum. Überlege dir, was dir am leichtesten fällt, und fange genau damit an. Spüre, wie es sich anfühlt. Spüre, dass es deinem Leben nicht die Lebensqualität nimmt. Gewöhne dich daran, bis es ein Teil deines neuen Lebens ist. Und wenn du wieder in deiner Komfortzone angekommen bist, dann such dir das Nächste aus, was du leicht ändern kannst. Setze dich nicht übermäßigem Druck aus im Glauben, du müsstest sofort auf alles verzichten. Nimm dir die Zeit, in Ruhe Alternativen zu finden und herauszubekommen, dass es gar nicht um Verzicht geht, sondern um die bewusste Entscheidung, was du akzeptieren möchtest und was nicht. So kannst du dich selbst und deine Umwelt auf deine neue Welt einstellen.

Wenn du es aber gar nicht abwarten kannst und alles sofort willst, dann kann ich dich bestens verstehen, denn so ging und geht es mir auch. Ich wollte mir keine Zeit nehmen. Ich war so Feuer und Flamme, dass ich es kaum abwarten konnte, wieder etwas Neues auszuprobieren. Ich gönnte mir wenig Spielraum und war oft streng mit mir selbst. Das näherte mich meinem Ziel natürlich schneller, führte aber zeitweise auch zu Spannungen, nicht nur in mir selbst, sondern auch mit meinem Umfeld. Ich bereue nichts davon, ganz im Gegenteil, aber nicht jeder ist der Typ für so einen turbulenten Wechsel. Hör also erst einmal auf dich selbst und frage dich, welcher Typ Mensch du bist. Höre auf diesen Typen und gib ihm eine Chance.

Wenn du jetzt sagst, dass du als Typ halt faul, ignorant und egoistisch bist, und glaubst, du könntest aufhören weiterzulesen, dann muss ich dir leider sagen: Selbst du findest in diesem Buch deine Gründe, etwas zu ändern, und Lösungen, die genau auf dich zugeschnitten sind.

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WAS WÜRDE OMA SAGEN

Zero Waste heißt nicht verzichten, sondern Alternativen finden. Es geht nicht darum, sich die Haare nicht mehr zu waschen, weil Shampoo in Kunststoff verpackt ist, sondern darum, eine Alternative zu finden, sich trotzdem die Haare waschen zu können. Genau wie ich früher habt ihr wahrscheinlich ein ganz bestimmtes Bild davon, wie die Dinge zu sein haben. Shampoo ist flüssig, Shampoo kommt aus der Plastikflasche, und man reibt sich einen Klecks davon in die feuchten Haare, bis es schäumt. Das macht man so, das hat man schon immer so gemacht, und das macht jeder so!

Wer auch nur einen Moment darüber nachdenkt, wird rasch feststellen, dass nichts davon stimmt. Bloß weil wir es nicht anders kennen, als uns den Po mit Klopapier abzuwischen, bedeutet das weder, dass es alle Menschen tun, noch, dass das eine gute Idee ist. Und das, was wir heute machen, das hätte unsere Oma früher ganz bestimmt nicht gemacht. Aber was hätte Oma früher gemacht? Diese Frage können wir uns immer wieder stellen, wenn wir nicht weiterkommen, denn sie wird uns konkrete und sehr nützliche Antworten liefern. Oma stammt aus einer Generation, die es sich schlichtweg nicht leisten konnte, ständig Dinge wegzuschmeißen. Wenn ihr noch eine Oma habt, nutzt eure Chance, und fragt sie direkt. Allen anderen erzähle ich auf den nächsten Seiten, was meine Oma früher getan hätte. (Das klappt übrigens auch mit Opas.) Und was Oma nicht weiß, das weiß vielleicht ein Inder, eine Chinesin oder ein Kanadier. Der Blick über die Kontinente lohnt sich, denn auch hier gibt es vieles abzugucken.

Der Weg der Alternativen ist ein spannender Weg. Er wird uns nicht nur Lösungen bringen, sondern auch unseren Horizont erweitern. Wir werden lernen, wie andere Länder und Kulturen mit ihren Alltagsfragen umgehen und was wir, die Menschen, eigentlich gemacht haben, bevor das »Zewa – wisch und weg« erfunden wurde. So werden wir auch ganz alte Glaubenssätze anpacken, werden verstehen, warum wir eigentlich tun, was wir tun, und hinterfragen, ob es noch zeitgemäß ist, das zu tun, was wir immer getan haben.

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ERSTE SCHRITTE – EINWEGPRODUKTE

Ich habe bereits versprochen, dass wir mit dem Einfachsten anfangen, und das will ich auch halten. Nichts in unserem Haushalt ist austauschbarer als das Einwegprodukt. Wir umgeben uns mit zahlreichen solchen Produkten, die nach einmaligem oder kurzem Gebrauch ihren Zweck erfüllt haben und entsorgt werden. Wisch und weg ist ein bekannter Werbespruch, der das Problem auf den Punkt bringt. Wir müssen nichts aus- oder abwaschen, sondern einfach nur wegschmeißen. Dafür müssen wir stetig nachkaufen und stetig die Überreste beseitigen, also den Müll runterbringen. Die mit Abstand leichteste Art und Weise, Müll und Verschwendung zu reduzieren, ist das Ersetzen dieser Einwegprodukte durch solche, die dauerhaft nutzbar sind.

Serviette

Das beste Beispiel dafür ist wohl die Papierserviette. Während Servietten klassischerweise aus Stoff gefertigt wurden, findet man sie heute nur noch in ausgewählten Restaurants. Die Papierserviette hat den Markt erobert mit ihren unschlagbaren Argumenten. Man muss sie nicht waschen und kann sie nach dem Essen einfach entsorgen. Zudem gibt es sie in allen Farben und mit den wildesten Motiven. Somit trifft sie unser heutiges Bedürfnis danach, zu jeder Saison etwas Neues zu haben, voll ins Schwarze. Im Frühjahr gibt es gelbe Servietten, im Sommer solche mit Erdbeeren, im Herbst werden sie bräunlich und im Winter wieder blau. So wird es nie langweilig, und die Tischdekoration passt zu den Vorstellungen in der aktuellen Ausgabe der Frauenzeitschrift.

Aber die Papierserviette hat eben nicht nur Vorteile, sondern auch gravierende Nachteile. Es kostet jedes Mal Geld, wenn man sie für die neue Saison neu kaufen muss, sie ist meist in Kunststofffolie verpackt und sie wandert nach nur einmaligem Gebrauch in den Mülleimer. Oft werden die Servietten noch nicht einmal gebraucht, aber wenn man zum Kaffee einlädt, sieht der Tisch mit Serviette irgendwie freundlicher aus. Aber wie viele Bäume werden täglich dafür gefällt, um allein unser Bedürfnis nach Papierservietten zu stillen? Ich weiß es leider nicht, aber mir scheint, dass jeder Baum einer zu viel ist. Ganz zu schweigen von den Bleichmitteln und Farben, die eingesetzt werden, um den Servietten die Farbe zu verleihen, die dieses Frühjahr in ist. Wer glaubt, es sei gesund, sein Stück Kuchen von einer bunten Papierserviette zu essen, der irrt. Rohstoff- und Energieverbrauch, Transport, Lagerung, Entsorgung, Chemikalieneinsatz und Kosten stehen in keinem Verhältnis zu dem gewonnenen Nutzen.

Du hast also den ersten Schritt getan, wenn du dir einen Satz Stoffservietten kaufst oder selbst nähst und die Papierservietten von nun an im Geschäft liegen lässt. Besorge dir gerne auch vier verschiedene Sätze, je nach Jahreszeit oder Anlass. Dann ist es auch nicht schlimm, wenn die Stücke nur zu Dekozwecken auf dem Tisch liegen. Steht dann mal eine größere Feier an, werden sich die Gäste nicht beschweren, wenn sie Servietten mit verschiedenen Farben gereicht bekommen. Und anstatt die Tischdekoration über die Serviette zu definieren, darf man auch mal wirklich kreativ sein und sich draußen umschauen. Selbst in der Großstadt bietet die Natur eine reiche Auswahl an Dekorationsmaterial, das komplett biologisch abbaubar ist. Wie wäre es zum Beispiel mit einer Herbstdeko aus Tannenzapfen und Kastanien?

Wer zu Hause regelmäßig Servietten verwendet, möchte sie vielleicht nicht gleich nach jedem Essen waschen. Mit personalisierten Serviettenringen können die Servietten zur Seite gelegt und beim nächsten Mahl wieder eindeutig zugeordnet werden. So muss nur gewaschen werden, wenn es die Serviette auch wirklich nötig hat.

Küchenrolle

Küchenrolle hat wahrscheinlich jeder in seiner Küche, weil sie so universell einsetzbar und äußerst praktisch ist. Sie kann aber ohne größere Probleme ersetzt werden. Meist geht es darum, irgendetwas wegzuwischen. Ein guter Lappen schafft das genauso gut.

Die klassischen Spüllappen, die es im Supermarkt zu kaufen gibt, kann ich aber nicht empfehlen. Ihre Lebensdauer ist sehr begrenzt, sie bestehen meistens aus einer Art Kunststoffschaum und beginnen nach kürzester Zeit furchtbar zu stinken. Dauerhafte Spüllappen kann man sich kaufen oder auch aus alten Handtüchern selbst nähen. Handtücher sind der perfekte Ausgangsstoff für einen guten Lappen und bieten eine sinnvolle Möglichkeit, ausgedienten Handtüchern ein zweites Leben zu geben.

Papiertaschentücher

Papiertaschentücher werden ganz simpel durch Stofftaschentücher ausgetauscht, die regelmäßig gewaschen werden. Auch hierfür kann man sehr gut alte Reststoffe von Bettlaken etc. verwenden. Stofftaschentücher sind aber auch im Handel erhältlich. Für viele Menschen scheint es heute geradezu eine Zumutung zu sein, an Stofftaschentücher überhaupt zu denken. Unhygienisch und eklig sind die Vokabeln, die in den Sinn kommen. Woher kommt das? Früher hatte jeder ein Stofftaschentuch. Sie wurden hübsch verziert und gehörten zum guten Ton. Und gestorben ist an ihren Keimen wohl auch noch niemand. Sie verbrauchen nur unmerklich Platz in der Waschmaschine, und gebügelt werden müssen sie auch nicht.

Spülschwämme und Spüllappen

Statt eines Spülschwamms empfehle ich eine Holz-Stabbürste mit auswechselbarem Kopf. Die Wechselköpfe bestehen aus biologisch abbaubarem Naturmaterial und halten beträchtlich länger als der klassische gelbe Spülschwamm aus Kunststoffschaum. Als Spüllappen fungiert der bereits eben erwähnte Lappen, der auch die Küchenrolle ersetzt.

Strohhalme