Leitner, Thea Habsburgs verkaufte Töchter

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Dem Andenken meines Großvaters,

Franz Hugo Kunze, der mich schon

als Kind lehrte, in der Geschichte

mehr zu sehen als Daten und Taten

berühmter Männer.

ISBN 978-3-492-96473-9

Mai 2017

© Piper Verlag GmbH, München/Berlin 1994

Covergestaltung: Buero Jorge Schmidt, München

Covermotiv: AKG Images (Bildnis der Erzherzogin Leopoldine. Gemälde von Josef Kreutzinger (1757–1829))

Datenkonvertierung: abavo GmbH, Buchloe

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Verkaufte Töchter – minus zwei

»Sie sind Opfer der Politik«, hat Maria Theresia über das schreckliche Schicksal einiger ihrer Töchter geklagt – während sie gleichzeitig ungerührt alle Hebel in Bewegung setzte, das nächste Opfer auf dem Altar der Politik darzubringen. Es war ihre jüngste, Marie Antoinette, die man als Fünfzehnjährige nach Frankreich verschickte, um einen alten Erbfeind als neuen Verbündeten zu gewinnen. Fast auf den Tag genau vierzig Jahre später wurde Maria Theresias neunzehnjährige Urenkelin Marie Louise mit Napoleon I. vermählt, in der trügerischen Hoffnung, den verhaßten Aggressor milde zu stimmen.

Die Faszination des gewaltsamen Todes der Marie Antoinette und die Faszination, die von dem gewalttätigen Korsen, Marie Louises erstem Mann, ausging, hat die beiden Frauen zu beliebten Objekten seriöser Historiker wie voyeuristischer Trivialautoren werden lassen. Stefan Zweig nannte Marie Antoinette in seiner berühmten Biographie einen »mittleren Charakter«, ein Urteil, das durchaus auch auf Marie Louise zutrifft. Beide waren keine markanten Persönlichkeiten, über beide wäre längst der Schleier des Vergessens gesunken, hätte ihnen das Fatum nicht einen Platz im Rampenlicht der Geschichte zugewiesen.

Der Schleier des Vergessens ist, aus welchen Gründen immer, über eine Reihe anderer Habsburgertöchter gebreitet, die keine mittleren, sondern ganz außerordentliche Charaktere waren. Ihre Lebensgeschichte liest sich überwiegend ebenso abwechslungsreich, aufwühlend und tragisch wie jene von Marie Antoinette und Marie Louise. Letztere scheinen daher in dieser Anthologie lediglich als Randfiguren auf, weil über sie im wesentlichen alles gesagt worden ist, was zu sagen ist.

Das vorliegende Buch versteht sich quasi als Wiedergutmachung an tapferen, geduldigen, zum Teil auch schönen und geistreichen Frauen aus einem berühmten Geschlecht, über welche die große Geschichtsschreibung meist nur marginal berichtet, von denen ein breites Publikum, wenn überhaupt, nur bruchstückhaft Kenntnis genommen hat. Die Biographien ihrer Väter, Brüder, Söhne und Onkel sind bis ins letzte Detail durchleuchtet. Kaiser Maximilian I., zum Beispiel, ist jedem Volksschüler ein Begriff, der Name seiner Schwester Kunigunde auch Gebildeten fremd; Ludwig XIV. ist in aller Munde – das Andenken seiner Mutter, Anna von Österreich, die immerhin neunzehn Jahre lang allein regierte, wird nur in Frankreich bewahrt. Selbst die feministische Literatur, die in den letzten zwanzig Jahren mit wahrer Entdeckerwut noch die letzte Suffragette aus dem Dunkel der Vergangenheit hervorgeholt hat, ist merkwürdigerweise achtlos an diesen Frauen vorübergegangen, obwohl sie deutliche emanzipatorische Züge zeigten.

Die Töchter des Hauses Habsburg wurden meist schon in den Windeln verlobt und als halbe Kinder verheiratet, mit Knaben und Greisen, mit Krüppeln und Kretins – einmal sogar wurde eine kleine Habsburgerin einem Ungeborenen versprochen, im ehernen Gottvertrauen, daß es schon das passende Geschlecht haben werde. Es handelte sich um Maria, die Schwester Kaiser Karls V., die später in seinem Namen die Niederlande regieren sollte.

All diese Frauen haben dennoch mit bewundernswerter Disziplin versucht, das Beste aus ihrem Leben zu machen, ohne sich kaum je den Luxus zu leisten, persönliches Unglück offen zur Schau zu tragen. Das Gefühl und die Pflicht, einem großen Haus und damit einer großen Sache zu dienen, mag ihnen dabei eine wesentliche Stütze gewesen sein. Manche brachten sogar das Kunststück zuwege, den aufgezwungenen Mann von Herzen zu lieben. Es gab unter ihnen eine Reihe höchst begabter Politikerinnen, geschickter und tüchtiger als mancher wohlbekannte Herrscher aus derselben Familie, jede einzelne wert, dem Vergessen entrissen zu werden. Was hiermit, zumindest ansatzweise, versucht werden soll.

Thea Leitner

Blutige Mitgift

Kunigunde 1465–1520

Will man die Lebensgeschichte eines Menschen nachzeichnen, dann gilt es vor allem, sein Umfeld, seine Zeit und seine Herkunft zu erforschen, denn aus vielerlei Wurzeln bildet sich ein Charakter, werden Aktionen und Reaktionen erklärbar.

Dabei ergeben sich erhebliche Schwierigkeiten, wenn es sich um Begebenheiten handelt, die ein halbes Jahrtausend zurückliegen. Zwar kannten Kunigundes erste Biographen (und auch deren Leser) die Rahmenbedingungen genau, unter denen die Tochter Kaiser Friedrichs III. und Schwester Maximilians I. aufgewachsen ist und gelebt hat. Aber gerade weil ihnen dieses Umfeld so selbstverständlich war, gingen sie in ihrer Schilderung nicht näher darauf ein – und das Bild Kunigundes wirkt auf den heutigen Leser schemenhaft und verschwommen.

Es gilt also, den Hintergrund von Kunigundes Dasein zu erhellen, um so ihr Wesen plastischer hervortreten zu lassen. Allerdings könnte man dabei leicht in den Fehler verfallen, die Menschen, ihr Tun und ihr Lassen aus heutiger Sicht zu erklären und Schlüsse zu ziehen, die mit der Wirklichkeit des ausgehenden Mittelalters nicht das geringste zu tun haben. Was uns heute absurd erscheint, war damals vielleicht allgemeines Gedankengut, was wir für selbstverständlich halten, hingegen umwälzend und revolutionär.

Erschwerend kommt hinzu, daß die Frau in jenen Tagen, zumindest solange sie nicht verheiratet war, de facto als selbständiges Wesen nicht registriert wurde. Es ist bezeichnend, daß aus Kunigundes Jugendtagen kein authentischer Ausspruch, keine einzige aktive Handlung belegt ist. Um so bemerkenswerter ist, daß die Überlieferung aus ihren letzten Lebensjahren, nachdem sie Witwe geworden war, ihr ausdrücklich sehr klares Denken und strebsames Vorgehen bescheinigt.

Wir werden diesem Phänomen in weiteren Biographien von Habsburgertöchtern wieder begegnen: Erst als Ehefrauen werden sie überhaupt wahrgenommen, verwitwet gelten sie endlich als eigenständige Menschen.

Schon wenn wir uns mit Kaiser Friedrich III. beschäftigen, dessen Leben in zahllosen wissenschaftlichen Arbeiten von allen Seiten ausgiebig beleuchtet worden ist, geraten wir in Schwierigkeiten bei der Deutung seines Charakters und seiner Motivationen. Des Kaisers Zeitgenossen sowie Generationen von Historikern hielten schlichtweg fast gar nichts von ihm. Erst in den letzten zwanzig Jahren erfährt er eine wesentlich freundlichere Beurteilung. Seine notorische Schlafmützigkeit wird als bedächtige Politik, sein Geiz als Sparsamkeit, sein ständiges Zögern als kluges Taktieren gewertet.

So dürfen wir auch nicht in den Fehler des rationalistischen 19. Jahrhunderts verfallen und ihm seinen Hang zur Astrologie, zu Amuletten, zur Alchemie, zur Beschwörung günstiger Vorzeichen ankreiden, was überhaupt nicht mit seiner vielfach erwähnten aufrichtigen Frömmigkeit in Einklang zu stehen scheint. Für die meisten Menschen des späten Mittelalters waren derlei Praktiken durchaus mit ihrer Religiosität zu vereinbaren, denn sie glaubten einfach, durch Sprüche und Zeichen den Lauf des Schicksals beeinflussen, Böses abwenden zu können.

Friedrichs bekannteste Obsession besteht in den berühmten fünf Buchstaben A. E. I. O. U., die er bereits von seinem zweiundzwanzigsten Lebensjahr an auf jeglichem seiner Besitztümer, vom kleinsten Gegenstand bis zum imposanten Schloß, aufmalen, aufprägen oder für die Ewigkeit einmeißeln ließ. Noch in der Schule lehrte man uns, diese Vokalfolge als »Austria est imperare omni universo« (Alles Erdreich ist Österreich Untertan) zu verstehen und unterstellte damit dem jungen Mann schier überirdische hellseherische Gaben, den Aufstieg des Hauses Habsburg zur Weltherrschaft betreffend.

Zu jener Zeit kann indes nicht einmal ein tollkühner Wunsch der Vater des Gedankens gewesen sein, weil Friedrich damals nichts weiter war als ein kleiner, unbedeutender Landesfürst, dessen Horizont bestimmt nicht viel weiter reichte als bis zu den Grenzen seiner Steiermark. Er konnte weder damit rechnen, daß er einmal römisch-deutscher Kaiser werden, noch daß sein Jahrzehnte später geborener Sohn Maximilian das reiche Burgund erheiraten und sein Enkel Karl Spanien erben würde. Von der aberwitzigen Vorstellung der Entdeckung eines späteren habsburgischen Weltreichs im fernen Westen durch Christoph Kolumbus einmal ganz zu schweigen.

Die hochfahrend-imperiale Deutung, das weiß man heute sicher, wurde dem A. E. I. O. U. erst mehr als 200 Jahre später durch plumpe Hinzufügungen in Friedrichs Notizbuch unterlegt. Das Geheimnis der ursprünglichen Bedeutung, die auch seinen Zeitgenossen nicht bekannt war, hat er mit ins Grab genommen. Wichtig war ihm wohl in erster Linie, alles Eigentum penibel zu markieren, gewitzt durch üble Erfahrungen mit seinem Onkel und Vormund, Herzog Friedrich von Tirol, der dem früh zur Halbwaise gewordenen Knaben sein Erbe unter den fadenscheinigsten Vorwänden lange vorenthalten hatte.

Das Rätsel, warum Kaiser Friedrich III. bei der Taufe seiner fünf Kinder, von denen nur zwei überlebten, von einer alten Tradition abwich und die in der Familie seit eh und je gebräuchlichen Vornamen durch solche mehr oder weniger bekannter Heiliger ersetzte, läßt sich leichter lösen. Friedrich war der Religion mehr verbunden als die meisten seiner Vorfahren, und er hat sich Vorteile für das Schicksal und das Seelenheil seiner Söhne und Töchter erwartet, wenn er diese in innige Beziehung zu den großen Vorbildern der Kirche brachte. Seine Lieblingsheilige war St. Kunigunde, und so lag es nahe, daß er auch eine Tochter so nannte. Von Interesse mag sein, wieso Friedrich die heilige Kunigunde so offensichtlich bevorzugte – sie war keine Märtyrerin, keine Kämpferin, sondern heiliggesprochen wegen ihrer Keuschheit. Sie war die Gemahlin Kaiser Heinrichs II., der um die Jahrtausendwende regierte. Als das Gerücht auftauchte, sie hätte ihren Mann betrogen, stellte sich Kunigunde einer Feuerprobe: Sie betonte, daß sie nicht nur keine Ehebrecherin, sondern, trotz langjähriger Ehe, unberührt wie die Heilige Jungfrau sei. Unversehrt wandelte sie über zwölf glühende Pflugscharen und legte so wunderbaren Beweis für ihre Behauptungen ab.

Zwangsläufig stellt sich die Frage, warum Friedrich ausgerechnet die unbefleckte Kaiserin zu seiner bevorzugten Heiligen gemacht hat. Es böte sich ein weites Spekulationsfeld für moderne Sexualwissenschaftler, wenn es gälte, das Verhältnis Friedrichs gegenüber den Frauen zu untersuchen, wobei auch Friedrichs Ehe und die Beziehung zu seiner Tochter Kunigunde mit einbezogen werden müßten, sowie die Tatsache, daß er, obwohl jahrzehntelang Witwer, niemals wieder geheiratet hat.

Hier ist indes nur Platz für nüchterne Tatsachen, die auf der lakonischen Feststellung des besten Friedrich-Kenners unserer Tage, dem Wiener Historiker Alphons Lhotsky, fußen: Friedrich habe, vermutlich aufgrund schmerzlicher Erfahrungen in der Jugendzeit, eine zeitlebens äußerst reservierte Einstellung zum anderen Geschlecht bewahrt.

Auffällig ist, daß Friedrich in einer Ära, da Fürsten bereits an der Schwelle der Geschlechtsreife heirateten oder verheiratet wurden, immer wieder vor einer Bindung zurückschreckte. Es gab zahlreiche Eheanbahnungen, die sich jedoch im letzten Augenblick stets zerschlugen. Friedrich selbst hat am Scheitern dieser Projekte keinen unwesentlichen Anteil gehabt.

Er war bereits siebenunddreißig, als er die einundzwanzig Jahre jüngere Prinzessin Eleonore von Portugal heimführte, vorwiegend wohl aus dem Grund, weil die junge Dame aus dem stürmisch aufwärts strebenden Kolonialreich eine der begehrtesten Partien Europas war und Friedrich sich stets in verzweifelten Geldnöten befand. Wie sehr ihn die hinreißende Schönheit der zarten, dunkelhaarigen Kindfrau mit den riesigen schwarzen Augen beeindruckt hat, ist nicht dokumentiert. Belegt ist nur, daß der große, ein wenig linkisch wirkende Mann mit den fahlen Haaren weiß wie die Wand wurde und zu zittern begann, als er und seine Braut einander zum ersten Mal in Siena begegneten.

Man schrieb das Jahr 1452, und Friedrich befand sich auf dem Weg nach Rom, wo er von Papst Nikolaus V. zum Kaiser gekrönt werden sollte. Praktischerweise wurde an Ort und Stelle auch die Trauung vollzogen, einer der wenigen Anlässe, bei denen das junge Paar einige Worte wechselte – assistiert von einem Dolmetscher, denn Eleonore hatte bis dahin noch keine Zeit gefunden, Deutsch zu lernen.

Nach Trauung und Krönung – übrigens die letzte in Rom –, die mit großem Pomp auf Kosten des Papstes gefeiert wurden, zogen die Neuvermählten in getrennte Quartiere. Sie hielten es auch so auf der Reise nach Neapel, wo König Alphons, ein Onkel der jungen Frau, mit allem nur erdenklichen Aufwand die Hochzeitsfeierlichkeiten ausrichtete.

Es bedurfte keiner indiskreten Schlüssellochguckerei, um festzustellen, daß die Ehe von Friedrich und Eleonore nach mehr als einem Monat noch immer nicht konsumiert worden war. Ob Eleonore sich deswegen bei ihrem Onkel beklagte oder ob dieser aus eigenem Antrieb die Initiative ergriffen hat, bleibt dahingestellt. Jedenfalls machte der Ältere dem Jüngeren Vorhaltungen wegen dieses befremdlichen Flitterwöchner-Benehmens. Friedrich ließ verlauten, er fürchte in Neapel ein Kind zu zeugen, das womöglich mit einem »italienischen Charakter« ausgestattet sein würde, und das könne er nicht verantworten. Nachdem Alphons nicht lockergelassen hatte, sagte Friedrich widerwillig einer »deutschen Beiwohnung« zu und ließ ein öffentliches Prunkbett errichten, das er und seine Frau im Angesicht des ganzen Hofes bestiegen. Ehe noch einige zartbesaitete Damen in Ohnmacht fallen konnten, war die ganze symbolische Zeremonie bereits vorüber, nachdem Friedrich einen Augenblick lang die Decke über sich und seine Gemahlin gezogen hatte, um auf der Stelle zu entfliehen.

Die Kammerfrauen der Kaiserin gingen nun daran, deren Gemach für die Nacht zu richten. Sie sparten nicht mit Sprüchen und Gebeten und reichlich über das Bett versprühten Duftwässerchen. Auch das paßte dem Kaiser nicht. Er weigerte sich, das womöglich verhexte Lager zu benützen. Nach langem Hin und Her entschwand die Kaiserin in Friedrichs Schlafzimmer, und was dort passierte oder nicht passierte, blieb der Phantasie der Zeitgenossen überlassen.

Wenige Tage später verließ das Kaiserpaar Neapel, um sich nach Venedig zu begeben, der Kaiser auf dem Landweg, die Kaiserin zu Schiff. Nach weiteren turbulenten Festlichkeiten in der Lagunenstadt ging es nach Norden, Richtung Heimat, aber erst ab Pottenau, also bereits auf Friedrichs Hoheitsgebiet, reisten sie gemeinsam. Diese Reise blieb einer der wenigen Abschnitte im Eheleben des Paares, während dessen die beiden ständig zusammen weilten. Von da an sahen sie einander oft Wochen und Monate nicht.

So begann man sich zu fragen, ob es wohl mit rechten Dingen zugegangen wäre, daß dennoch fünf Kinder gezeugt wurden, und böswillige Lästermäuler bezweifelten sogar Friedrichs Vaterschaft. Diese Unterstellungen nahmen jedoch niemals das Ausmaß eines begründeten Verdachtes an, ein zweiter Fall Kunigunde wurde nicht provoziert. Nur: das vierte Kind des Kaisers erhielt eben diesen Namen, und es bleibt schon jetzt ausdrücklich anzumerken, daß sie dank der väterlichen Verzögerungstaktik beinahe als ewige Jungfrau sitzengeblieben wäre. Bei seinem Sohn war Friedrich weitaus großzügiger: Maximilian durfte bereits als Siebzehnjähriger mit der schönen, reichen Maria von Burgund die Freuden der Ehe genießen.

Kunigunde kam am 16. März 1465 in der Burg zu Wiener Neustadt zur Welt, fast auf den Tag genau sechs Jahre nach ihrem Bruder Maximilian, den man dereinst den letzten Ritter nennen würde. Der Vater war zu diesem Zeitpunkt bereits fünfzig, die Mutter neunundzwanzig Jahre alt.

Wiener Neustadt, heute eine niederösterreichische Kleinstadt von mäßiger Bedeutung, gehörte damals zur Steiermark und war ein für damalige Begriffe glanzvolles urbanes Zentrum von vorragender strategischer Bedeutung zwischen den Einflußsphären von Türken, Ungarn und den einander konkurrierenden österreichischen Stammlanden.

Friedrichs Vater, Herzog Ernst der Eiserne von Steiermark, hatte die ehemalige Babenbergerfeste zu seiner zweiten, ständigen Residenz neben Graz gemacht. Dort hielt er häufig hof, zusammen mit seiner legendären Ehefrau Cimburgis von Masovien, die in die Geschichte eingegangen ist, weil sie über phantastische Körperkräfte verfügt, Eisennägel mit der bloßen Hand aus der Wand gezogen und ganze Heufuder gestemmt haben soll. Außerdem stammt von ihr angeblich die berühmte, hängende Habsburgerlippe, hervorgerufen durch eine Mißbildung des Unterkiefers, die durch Generationen das charakteristische Aussehen der Habsburger geprägt hat.

Friedrich ließ die väterliche Burg, auf der er zusammen mit acht Geschwistern einen erheblichen Teil seiner Jugend verbracht hatte, in großem Umfang erweitern und die Befestigungsanlagen verstärken. Die Stadtmauer war 12 Meter hoch und mehr als 2,5 Kilometer lang; sie hatte vier gewaltige Türme nebst zahlreichen Eck- und Zwischentürmen. Die Festung, von einer ständigen Bürgerwehr in Verteidigungsbereitschaft gehalten, galt als eine der stärksten im Deutschen Reich und praktisch als uneinnehmbar, auch lange Belagerungen waren aussichtslos, weil die Wiener Neustädter Lebensmittelvorräte für mindestens ein Jahr horten mußten.

In Kunigundes Kindheitstagen stand die Stadt mit 7 000 bis 10 000 Einwohnern in ihrer Hochblüte und konnte sich rühmen, zuweilen der Mittelpunkt des gesamten Deutschen Reiches gewesen zu sein. Die Bürger profitierten von zahlreichen in- und ausländischen Delegationen ebenso wie von der kaiserlichen Beamtenschaft, die nicht in der Burg, sondern in der Stadt wohnte. Kaufleute, Künstler und Handwerker sonder Zahl belebten Handel, Wandel und gesellschaftliches Leben, während »Bettler, fremde Kinder und anderes untaugliches Volk« aus der Stadt gewiesen wurden. Feine Sitten bürgerten sich ein: An Sonn- und Feiertagen durfte niemand mehr die Kirchen barfuß betreten. Als sogar die Straßen gepflastert und, auf allerhöchsten Befehl, die Schweine angehalten wurden, sich nicht mehr, wie bis dahin üblich, auf den Gassen zu wälzen und zu scharren, fühlte man sich auf dem Höhepunkt großstädtischer Kultur.

Auf Eleonore indes mag die Großmannssucht weniger Eindruck gemacht haben, denn sie war aus der Heimat Besseres gewöhnt als eine kahle, kalte Burg, die zwar geräumig, aber alles andere denn behaglich war. Außer einem prächtigen Thronsaal, eine Art kaiserlicher guter Stube, wo Delegationen empfangen, aber niemals Feste gefeiert wurden, gab es in der Burg keine Spur des Komforts, den die Portugiesin gewöhnt war.

Von großer Schönheit und Anmut waren die ausgedehnten Parkanlagen mit ihren Obstbäumen und Blumenbeeten, ihren fischreichen Gewässern und einem stattlichen Tiergehege. Gleich vor der Stadtmauer erstreckten sich weite Weingärten, umgeben von duftenden Föhrenwäldern, die Friedrich in jungen Jahren hatte anlegen lassen. Doch Park und Gärten und Wälder konnten ihren vollen Reiz nur in der warmen Jahreszeit entfalten, und das waren in diesen Breiten doch immer nur wenige Monate.

Ansonsten muß es in der Wiener Neustädter Burg, die noch weit entfernt war vom Glanz mediterraner Renaissancehöfe, ziemlich eintönig zugegangen sein, kaum anders als auf den übrigen Burgen des Deutschen Reiches, wo Hofleben sich in des Wortes ursprünglicher Bedeutung abspielte – mit Stallungen, nicht nur für Pferde, sondern auch für Kühe, Schweine, Hühner und Gänse, mit Feldwirtschaft und Molkerei. Auch in der Wiener Hofburg wurde damals Vieh gehalten. Eleonore, an festliche Bankette, heitere Tanzveranstaltungen und geistreiche Konversationen unter südlicher Sonne gewöhnt, muß sich wie eine aus dem Paradies Verstoßene gefühlt haben in ihrem einfachen Heim, wo die abendlichen Vergnügungen aus Sticken und Nüsseknacken bestanden.

Ihr Mann war kein passionierter Jäger, also konnte sie nur selten diesem standesgemäßen Zeitvertreib adeliger Damen frönen. Friedrich machte sich nichts aus gutem Essen, und was er aß, schlang er, wohl infolge seiner Gebißentartung, fast unzerkaut hinunter. Er hat, so vermutet man heute, an einer chronischen Gastritis gelitten und verabscheute darum auch Alkohol in jeglicher Form. Das war, nebst der Religiosität, einer der wenigen Berührungspunkte des Ehepaares. Auch Eleonore machte sich nichts aus Wein. Hingegen war sie eine leidenschaftliche Tänzerin. Es wird berichtet, daß sie, hingerissen vom Jubel des Volkes bei ihrem ersten Einzug in Wien, mit den Bürgern auf der Gasse getanzt habe – zum Entsetzen ihres sauertöpfischen Gemahls, der es nur ein einziges Mal in fünfzehn Ehejahren über sich brachte, seine Frau auf eine Tanzfläche zu führen.

Die zunehmend verhärmte und verbitterte Kaiserin soll in ihren letzten Lebensjahren nur einmal noch von Herzen fröhlich gewesen sein. Das war anläßlich des Besuches eines Gesandten; der brachte eine Gruppe portugiesischer Musikanten mit und ließ sie im »Frauenzimmer« aufspielen. Eleonore tanzte und zeigte ihrem Sohn Maximilian, wie man sich anmutig zu drehen und zu wenden hatte. Kunigunde, damals ein Knirps von zwei Jahren, wird wohl auch dabei gewesen sein.

Kam es wegen dieser unschuldigen Eskapade zum Krach zwischen den Ehepartnern? Gewiß nicht, denn es ist sicher, daß die beiden nie wirklich gestritten haben. Dazu war der konsequente Spätaufsteher Friedrich, der vermutlich an zu niedrigem Blutdruck litt, viel zu phlegmatisch. Explosionen erfolgten gelegentlich nur von seiten Eleonores, wenn das romanische Temperament, Wut und Enttäuschung einer um ihr Leben Betrogenen, das Korsett der kaiserlichen Disziplin sprengten.

Friedrich zankte nicht. Er handelte kühl, gradlinig und so, daß es die stolze Eleonore ins Mark treffen mußte. Da gibt es eine bezeichnende Episode, in deren Mittelpunkt Kunigunde steht: Das Kind erkrankte plötzlich schwer. Es muß bald nach der berühmten Tanzszene in Eleonores Frauengemächern gewesen sein. Offensichtlich handelte es sich um eine jener Magen- und Darminfektionen, wie sie damals an der Tagesordnung waren und besonders unter Kleinkindern ihre häufigsten Opfer fanden. Schon drei Sprößlinge des Kaiserpaares, ein Christoph, eine Helena und ein Johannes, waren daran zugrunde gegangen, zwei davon ebenfalls genau im Alter von vierundzwanzig Monaten.

Friedrich war kein weltfremder Tor. Er mußte wissen, daß die Hälfte aller Knaben und Mädchen in Stadt und Land, bei arm und reich, von Leiden dieser Art dahingerafft wurden. Doch er wollte es anscheinend nicht wissen. Er beschuldigte seine Frau immer wieder, am frühen Tod der drei Kinder schuld zu sein, und zwar, wie es in zeitgenössischen Berichten heißt, weil sie die Kleinen mit der »süßen portugallischen Kost« überfütterte. Vermutlich ist darunter ein überhöhter Konsum von Rohrzucker zu verstehen. Portugal bezog seinen jungen Reichtum unter anderem aus den Zuckerplantagen in den neuen Kolonien auf den Kanarischen Inseln, auf Madeira und an der westafrikanischen Küste. Natürlich hatte Eleonore viel von dem neuen Prestige-Nahrungsmittel aus der Heimat mitgebracht und erhielt reichlich Nachschub von daheim. Sicher hat sie ihre Kinder mit Dragant verwöhnt, einer Mischung aus Stärkemehl, Gummiarabikum und Zucker, das dem heutigen Rahat ähnlich ist. Aber umgebracht? So viel besser war die »deutsche Kost« wohl auch nicht, mit den Unmengen von grobem Fleisch, dickem Mus aus Hirse und Gerste und derben Gemüsebeilagen, die hauptsächlich aus »Kumpost« (Sauerkraut) und eingesäuerten Rüben bestanden. Nicht zu vergessen die mannigfaltigen Obstbreie, die mit Honig und viel Pfeffer serviert wurden.

Wie dem auch sei – als Kunigunde erkrankte, stürzte Friedrich in das Frauenzimmer, riß das plärrende Kind aus der Wiege und brachte es in sein eigenes Schlafgemach, wo es bis auf weiteres dem schädlichen Einfluß der Mutter entzogen und nach Art des Hauses ernährt werden sollte.

Kunigunde, eine robuste Natur, genas tatsächlich; die Mutter jedoch verschied am 3. September 1467, zwei Wochen vor ihrem 31. Geburtstag, plötzlich und unerwartet, an einer Magen-Darm-Infektion. Ob sie ihr kleines Mädchen noch einmal wiedergesehen hat, ist ungewiß.

Eleonore wurde, eingehüllt in ein Leichentuch aus flammend roter Seide, im Inneren der Neuklosterkirche zu Wiener Neustadt beigesetzt. Ein lebensgroßes Abbild der Kaiserin bedeckt das Hochgrab an der Wand hinter dem Altar. Es zeigt eine wunderschöne Frau voll Anmut und Würde. Das mädchenhafte Gesicht wirkt entspannt,᾿um die Lippen spielt ein feines, kleines Lächeln, aus dem sich gleichermaßen Wehmut und das Glück endlicher Erlösung herauslesen lassen.

In derselben Kirche ist eine weitere Portugiesin begraben, und zwar eine gewisse Beatrix Lopi. Sie war die einzige Landsmännin, die Eleonore in ihre neue Heimat mitgenommen hat oder mitnehmen durfte. Begleitet von achtzig Rittern und vierzig Edeldamen in Brokat und golddurchwirktem Samt sowie einem Erzbischof ist Eleonore ihrem Mann einst in Siena entgegengeschritten. Alle wurden wieder nach Hause geschickt, bis auf jene einfache Kammerfrau Beatrix Lopi. Und die starb kaum ein Jahr nach ihrer Ankunft in Wiener Neustadt.

Der neue Hofstaat der Kaiserin setzte sich vorwiegend aus Grazer und Wiener Neustädter Bürgern und Bürgerinnen zusammen, Aristokraten waren deutlich in der Minderzahl. Friedrich hatte zeit seines Lebens ein gespanntes Verhältnis zu den Vornehmen seiner Länder, die nicht nur einmal gegen ihren Herrn und Gebieter aufsässig wurden.

Einfache Bürger hingegen waren dankbar für die Auszeichnung, bei Hofe dienen zu dürfen, und pflegten nicht auf ihre Rechte zu pochen, auch nicht auf das Recht, regelmäßig entlohnt zu werden. Noch Jahre nach Eleonores Tod wurden längst überfällige Gehälter zögernd nachgezahlt. So erhielt zum Beispiel eine Katharina Wehinger erst 1469 132 Pfund Pfennige ausgezahlt. Andere Frauen bekamen statt einer finanziellen Abgeltung einen Ehemann zugeschanzt und mußten es wohl auch zufrieden sein. Friedrich in eigener Person machte sich die Mühe, dem Wiener Neustädter Bürger Wolfgang Pillichhofer eine Braut schmackhaft zu machen. Der Kaiser schrieb, er habe gehört, daß Pillichhofer, soeben verwitwet, wieder zu heiraten gedenke, und er legte ihm Anna Erber ans Herz, nicht ohne hinzuzufügen, daß er erwarte, Pillichhofer werde »sich gutwillig erweisen«, wofür er mit »Gnade und Förderung« rechnen könne.

Eleonores Hofstaat bestand aus zwanzig Frauen und etwa einem Dutzend männlicher Bediensteter, darunter drei Türsteher, ein Silberkämmerer, ein Koch und ein Schneider. Hofmeisterin war Else Pellendorfer; auch deren Ehemann Hans dürfte zum Gefolge gehört haben, denn beide wurden vom Kaiser ausdrücklich gelobt, und er überschrieb ihnen die Einkünfte aus der Herrschaft Ort für vier Jahre.

Nach Eleonores Tod wurde der Großteil der Dienerschaft entlassen. Ein kleiner Stab unter Führung der bewährten Pellendorferin übernahm von da an Obhut und Erziehung von Erzherzogin Kunigunde – ein Titel, den Friedrichs Vorfahr Rudolf IV. mit dem Privilegium maius rund hundert Jahre zuvor geschaffen und den der Kaiser wieder eingeführt hatte.

Während wir über Maximilians Kinderjahre in der Burg zu Wiener Neustadt gut unterrichtet sind, ist über Kunigunde nichts bekannt, doch dürften einige Analogien zulässig sein. Eleonore hatte Maximilians Erziehung sorgfältig geplant und zum Teil noch selbst die besten und geeignetsten Lehrer ausgewählt. Daß der Knabe lange Zeit nicht artikuliert sprechen konnte, war gewiß nicht ihre Schuld, obwohl der ewig mißtrauische Friedrich sie auch hiefür verantwortlich machte. Eleonore hat die deutsche Sprache niemals perfekt beherrscht – was lag für den Kaiser näher, als die Mutter für Maximilians Unvermögen im Umgang mit der Muttersprache anzuklagen? Frühere Autoren meinten, Maximilian habe wegen der verhängnisvollen Kieferbildung Sprachschwierigkeiten gehabt, neueste Forschungen vermuten eine seelische, sprachhemmende Krise, hervorgerufen durch die latenten Spannungen zwischen den Eltern.

Kunigunde wurde sicher nicht so umfassend gebildet wie ihr Bruder, vermutlich aber von Maximilians Lehrern im Lesen und Schreiben unterwiesen – soweit man es eben für ein Mädchen erforderlich hielt, ohne es zu gefährden. Denn nach damaliger Meinung schadete allzu vieles Lernen der Kraft und der Gesundheit und verminderte die weibliche Anmut. Dafür brachte man dem Mädchen Sticken und Nähen bei, weihte es in die Künste des Reitens und des Weidwerkes ein und unterwies es – so wie auch Maximilian – in praktischer Haushaltsführung.

Kunigunde entwickelte sich gut und wies schon in jungen Jahren eine deutliche Ähnlichkeit mit der schönen Mama auf. Allerdings waren die Gesichtszüge gröber, die Bewegungen plumper, die Gestalt war stämmiger, das Haar dünner und heller.

Die Kinder wuchsen in Wiener Neustadt freizügiger auf als an anderen europäischen Fürstenhöfen, ihr Verhältnis zu den Bedienten war locker und familiär. So wie es einem Besucher widerfahren konnte, daß er, durch eine Tür tretend, unvermutet dem Kaiser gegenüberstand, so waren auch keine unüberwindlichen Schranken zwischen den allerhöchsten Sprößlingen und ihrer Umgebung. Das Spanische Hofzeremoniell war noch in weiter Ferne.

Als Kunigunde zehn Jahre alt war, bekam sie ihre eigenen Gesellschafterinnen und Spielgefährtinnen: Rosina und Sigune von Kraig, die im Alter wesentlich besser zu ihr paßten als die von der Mutter übernommenen, leicht verblühten Hofdamen. Die jungen Mädchen waren entweder Schwestern oder Kusinen. Eine der beiden, Rosina, wurde Maximilians erste große Liebe. Er war so vernarrt in das Mädchen, daß er die Abreise zu seiner späteren Ehefrau, Maria von Burgund, über Gebühr hinauszögerte. Noch als Flitterwöchner erkundigte er sich immer wieder nach der Angebeteten und sorgte sich um ihr Wohlergehen.

Kunigunde wuchs hauptsächlich in Wiener Neustadt und in Graz auf. Den Vater hat sie nicht allzu häufig gesehen, sicher aber war er dem mutterlosen Kind allgegenwärtig, denn sie hatte Augen zu sehen und Ohren zu hören. Was Kunigunde im Laufe der Jahre erfahren hat, muß sie sehr beschäftigt und auch sehr bedrückt haben.

Um es rundheraus zu sagen: Der Kaiser war nicht beliebt. Man hielt ihn für unfähig, und der Haß, der in regelmäßigen Abständen gegen ihn brandete, wird vor noch so festen Burgmauern und noch so tiefen Burggräben nicht haltgemacht haben.

Heute wissen wir, daß die Zeitgenossen Unmögliches und Übermenschliches von Friedrich erwarteten, heute wissen wir, daß er mit abwartender Zähigkeit Katastrophen durchgestanden hat, deren Urheber er nur in den allerseltensten Fällen war. Doch die Menschen waren in jenen chaotischen Zeiten so verzagt und verzweifelt, daß sie von ihrem durch Gott bestimmten Kaiser auch göttliche Wunder erwarteten. Als die ausblieben, als der Kaiser Maßnahmen setzte, die sie nicht begreifen konnten und wollten, richtete sich ihre abgrundtiefe Wut gegen ihn.

Fast jede Situation auf Friedrichs Lebensweg war verworren. Fast jede seiner Unternehmungen trug schon von Anfang an den Keim des Scheiterns in sich. Daß er dennoch nach achtundfünfzigjähriger Regierungszeit seinem Sohn geeinte und befriedete Erblande übergeben konnte und dem Hause Habsburg den Weg zur Weltherrschaft geebnet hat, grenzt an ein Mirakel. Das wissen wir heute. Den Zeitgenossen fehlten Überblick und Einsicht.

Friedrich wurde in eine wüste Zeit hineingeboren. Pest, Krieg und Hunger lösten einander in ununterbrochener Reihenfolge ab. Jeder war jedermanns Feind, und auch das stolze Gebäude der Kirche war bereits ins Wanken geraten: die Hussitenkriege waren die ständige Geißel von Friedrichs Kindheit.

Sein Vater, Ernst, regierte die Steiermark, Teile Kärntens und die Krain. Sein Onkel, Friedrich IV., gebot über Tirol und die Vorlande (das alte habsburgische Stammland am Oberrhein). Sein Großcousin, Albrecht V., Chef des Hauses, saß in Österreich ober und unter der Enns. Er wurde später als Albrecht II. deutscher König. Dessen Frau Elisabeth war das einzige Kind Sigismunds, des letzten Kaisers aus dem Hause Luxemburg; sie sollte einmal Böhmen und Ungarn erben. Damit begann das ganze Unheil.

Friedrich, mit neun Jahren schon vaterlos, wurde zusammen mit Albrecht in Innsbruck beim Onkel Friedel (Spitzname: »mit der leeren Tasche«) erzogen; er mußte sich Freiheit und das väterliche Vermögen schwer erkämpfen. Friedel starb, und nun wurde dessen vierzehnjähriger Sohn Sigismund das Mündel des späteren Kaisers Friedrich III., ebenso Ladislaus Postumus, der Sohn des früh dahingegangenen Königs Albrecht II., Erbe von Böhmen und Ungarn.

Friedrich war fünfundzwanzig, als er einen unmündigen Knaben sowie einen Säugling, den die Ungarn, als er kaum drei Monate alt war, zum König krönten, am Halse hatte; dazu noch einen Bruder, Albrecht nämlich, der auf der Stelle gegen ihn zu intrigieren begann, und er war sechsundzwanzig, als man ihm die deutsche Krone anbot. Ein Jahr lang zögerte er, sie anzunehmen. Dann ließ er sich in Aachen krönen, vermutlich in der Annahme, daß ihm die Autorität eines deutschen Königs und römischen Kaisers aus seiner verklemmten Lage helfen würde.

Nichts dergleichen geschah. In Ungarn, in Böhmen und in den österreichischen Erblanden begann es zu gären und zu brodeln; bald war der Teufel los.

Friedrich, stets darauf bedacht, alle Schwierigkeiten so lange wie möglich zu umgehen, klammerte sich buchstäblich an seinen beiden Mündeln, Sigismund und Ladislaus, fest und weigerte sich, sie herauszugeben. Schließlich erpreßten die Tiroler die Entlassung ihres Herzogs Sigismund aus der Vormundschaft – sein Vermögen behielt Friedrich. Das haben Sigismund und seine Landsleute dem Kaiser nie verziehen, und das sollte noch fatale Folgen haben – auch für Erzherzogin Kunigunde.

Den kleinen Ladislaus schleppte Friedrich ständig mit sich, sogar zur Hochzeit und Krönung nach Rom. Unmittelbar nach seiner Heimkehr wurde der Kaiser in Wiener Neustadt von den Böhmen, den ungarischen und auch von den österreichischen Ständen so lange belagert, bis er den Jungen endlich freiließ.

Ladislaus war kurze Zeit Herrscher über Böhmen, Ungarn und Österreich ob und unter der Enns, als er, kaum siebzehnjährig, überraschend starb. Daß er mit Arsen vergiftet worden sei, wurde nicht nur hinter vorgehaltener Hand gemunkelt, aber die Fama konnte sich nicht einigen, wer nun eigentlich der Mörder gewesen sein sollte. Friedrich? Dessen Bruder Albrecht, angetrieben von seiner unverhohlen zur Schau getragenen Herrschsucht? Der ehemalige böhmische Reichsverweser, der die verworrene Lage nutzte und sich über Nacht zum böhmischen König machte? Etwa der ungarische Landesverweser Johann Hunyadi, dessen ehrgeizigem Sohn Matthias Ambitionen auf die ungarische Krone nachgesagt wurden? Niemand hatte Zeit, sich weiter darum zu kümmern, denn die Ereignisse überstürzten sich, und die Ungarn erkoren Matthias Hunyadi tatsächlich zu ihrem König; er nannte sich von nun an »Corvinus« (Rabe) nach seinem Wappentier.

Die Böhmen fielen in Österreich ein, auch die Ungarn verwüsteten das Land. Friedrichs Bruder Albrecht verbündete sich je nach Zweckmäßigkeit mit dem einen oder dem anderen. Teile des ungarischen Adels besannen sich anders, machten Friedrich zum König von Ungarn, und bald gab es niemanden mehr, der die Übersicht behalten konnte.

Das Volk hatte unter den Auswirkungen der chaotischen Verhältnisse zu leiden. Neben den fremden Heeren, zu denen sich bald die Türken gesellten, zogen Truppen des Kaisers, denen man den Sold schuldig geblieben war, mordend und plündernd durch die Gegend. Verarmte Ritter und gewöhnliche Räuber machten weite Landstriche unsicher. Die Inflation, angeheizt durch die vom Kaiser geprägten, minderwertigen »Schinderlinge«, stieg ins Ungemessene, der Goldpreis erhöhte sich binnen weniger Jahre um das Achtfache. Immer wieder wüteten Pest und andere Seuchen, viele Menschen, vor allem kleine Kinder, starben an Hunger und Entkräftung. Es soll sogar in entlegenen Gegenden zu Fällen von Kannibalismus gekommen sein.

Die Stunde von Friedrichs tiefster Schmach schlug im Jahr 1462, als er, seine Frau und sein Sohn Maximilian drei Monate lang in der Wiener Hofburg von Albrecht, Friedrichs eigenem Bruder, und den eigenen Landsleuten belagert und mit Kanonen beschossen, erst nach langwierigen Verhandlungen freigelassen und dann noch von den Wienern angepöbelt und bespuckt wurden. Das haben weder Friedrich noch sein Sohn Maximilian den Wienern jemals verziehen – so wie die Wiener dem Kaiser ständig ankreideten, daß er sie früher einmal, als sie ihn in einer bedrängten Situation um militärischen Beistand gebeten hatten, schnöde im Stich ließ. Auch wurde ihm verübelt, daß er »nur« ein Steirer war und vorwiegend in Graz und Wiener Neustadt residierte, wodurch Wien schwere wirtschaftliche Einbußen erlitt und über lange Strecken in provinzielle Bedeutungslosigkeit versank. Trotzig leistete Wien dem Herzog Albrecht den Treueeid, worauf Friedrich den Bruder und die Stadt mit dem Bann belegte. Ein Jahr später war Albrecht tot. Es ist niemals geklärt worden, ob er der Pest erlegen oder einem Giftanschlag zum Opfer gefallen ist.

Der Friede zog dennoch nicht ein. Nun war es der steirische Adel, der gegen Friedrich rebellierte, angeführt von Andreas Baumkircher, der Jahre zuvor dem Kaiser in mehreren ausweglos scheinenden Situationen unerschrocken beigestanden war. Die Aufständischen besetzten große Teile der Steiermark. Ihre Wut auf den Kaiser, dessen sie nicht habhaft werden konnten, ließen sie an der Bevölkerung aus, die darüber hinaus von der Pest und von einer vormals nie erlebten Heuschreckenplage heimgesucht wurde. Nach langwierigen Verhandlungen kam es zu einem Waffenstillstand zwischen den Steirern und dem Kaiser, und Andreas Baumkircher wurde begnadigt.

Als dem Herrscher allerdings zu Ohren kam, daß Baumkircher einen Mordanschlag gegen ihn plante, besann er sich anders. Er lud Baumkircher zu neuerlichen Gesprächen nach Graz und ließ den Rebellen sowie seine drei Begleiter in der Herberge verhaften.

Man geleitete die vier Männer in die Frauengemächer der Grazer Burg und ließ sie dort einfach warten. Leider läßt sich aus den spärlichen noch vorhandenen Unterlagen nicht entnehmen, unter welchem Vorwand und zu welchem Zweck die vier ausgerechnet in die Frauengemächer gebracht wurden, wo sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit die sechsjährige Kunigunde befand.

Wenn es je präzise Aufzeichnungen gegeben haben sollte, sie sind für immer verloren. Im Jahre 1820 wurde das unübersichtliche und ungeordnete Archiv der Stadt Graz kurzerhand in die Mur geworfen. Sicher ist, daß Baumkircher und seine Gefährten nach zweistündiger Wartezeit überfallsartig gefesselt und, trotz lautstarker Proteste und heftigster Gegenwehr, zum Murtor gebracht und enthauptet wurden. »Steh auf von dem Schlaf, darin du lange nach Leibeslust gelegen bist! Nimm dich an deiner armen Untertanen, angesichts des allgemeinen Jammers …« lautete ein anonymer, auf den Kaiser gemünzter Anschlag an einer Grazer Kirche, in dem sich die Verzweiflung des Volkes über die herrschende Not Luft machte.

»Der Kaiser sitzt in Graz und hört nicht das zum Himmel gellende Geschrei der Unterdrückten«, hieß es hingegen in Wien.

»Er sitzt so still und schaut nur zu, er fragt nicht wie oder wu«, spottete eine Flugschrift; als aktueller politischer Witz wurde eine neue Bedeutung für die geheimnisvolle Buchstabenfolge A. E. I. O. U. kolportiert: »Aller erst ist Österreich verloren.«

»Das Land ist voller Dieb, Räuber und Mörder…« und: »Jedermann ist Herr im Land, er kommt von wannen er wollt«, berichtete der in Bayern beheimatete Georg Schamdocher.

Verstört notierte der deutsche Meistersinger Michael Behaim, der kurze Zeit in Friedrichs Diensten gestanden war, daß man ihn einmal aus einer niederösterreichischen Herberge hinausgeworfen habe, als die Wirtsleute dahinterkamen, daß er bei Hofe diente.

Die latente Aggression richtete sich nicht nur einmal gegen den Herrscher selbst. Daß die ungeliebten Wiener ihn samt Weib und Kind drei Monate lang gefangengehalten hatten, daß der steirische Adel gegen ihn aufstand, vermochte Friedrich anscheinend kaum aus seiner stoischen Ruhe zu bringen. Als aber, Anfang 1480, sogar in Wiener Neustadt, dem Friedrich das lobende Prädikat »die allzeit getreue Stadt« verliehen hatte, wo er am öftesten residierte und die Bürger am häufigsten geehrt, belohnt und ausgezeichnet hatte, als auch in Wiener Neustadt der offene Aufruhr loszubrechen drohte, muß Friedrich zutiefst verstört gewesen sein. Er mußte sich fragen, ob er überhaupt noch einer einzigen Person seiner Umgebung trauen, ob er sich auf die Söldner, die er entweder gar nicht oder mit größter Verzögerung bezahlte, verlassen könnte. Er wird zu der Einsicht gekommen sein, daß er nur noch auf zwei Menschen bauen konnte: auf seine beiden Kinder. Doch Maximilian war fern und unabkömmlich. Seit drei Jahren mit Maria von Burgund verheiratet, hatte er genug mit seinen eigenen Schwierigkeiten zu tun – den stets angriffslustigen Franzosen und den renitenten Untertanen seiner Gemahlin. Außerdem wurde ihm just zu jener Zeit ein zweites Kind, die Tochter Margarete, geboren, nachdem er sich schon eines Stammhalters, Philipp, erfreuen konnte.

Blieb nur Kunigunde, ein blasses, leicht verschrecktes Kind von fünfzehn Jahren. Es war ein klirrend kalter Tag, als Friedrich in der Burg zu Wiener Neustadt einen Schlitten anspannen ließ, seine Tochter hineinverpackte, sich neben sie setzte und im Schrittempo mit ihr durch die Gassen und Straßen der Stadt fuhr, angesichts einer zögernd zurückweichenden Menschenmenge. Langsam löste sich die knisternde Spannung; niemand wagte es, die Hand zu erheben gegen das Mädchen, das die meisten von klein auf kannten und das neben dem großen, düsteren Vater so kindlich und schutzbedürftig wirkte. Nach der Rundfahrt war der Spuk vorbei. Die Leute gingen nach Hause, Wiener Neustadt blieb weiterhin »allzeit getreu«. Fünf Jahre später würden die Bürger die Stadt, aus der Friedrich längst geflohen ist, fast bis zur Selbstaufgabe gegen die Ungarn verteidigen …

Die nicht ungefährliche Schlittenfahrt zu Wiener Neustadt stellt das erste historisch belegte, öffentliche Auftreten Kunigundes dar.

Das zweite erfolgte, wenige Wochen nach ihrem 15. Geburtstag, zu Ostern in der Hofburg zu Wien. Kunigunde wurde im Rahmen von tagelangen Festlichkeiten und Turnieren, die sich um repräsentative Regierungsgeschäfte des Kaisers rankten, offiziell in die Gesellschaft eingeführt. Friedrich vollzog die Belehnung des bayrischen Herzogs Georg aus dem Hause Wittelsbach und erteilte mehreren jungen Adeligen den Ritterschlag.

Längst wieder mit dem Kaiser ausgesöhnt und des Bannfluchs enthoben, genossen die Wiener den feierlichen Einzug der bayrischen Gäste, die vom Kaiser samt Tochter und zahlreichem Gefolge am Stadttor eingeholt und in glanzvoller Prozession zu ihrer Herberge, dem Cilli-Hof, geleitet wurden. Der Zug passierte auch Wiens Jahrtausendbauwerk, den Stephansdom, an dessen zweitem Turm seit 1462 eifrig gearbeitet wurde und der dann doch nicht vollendet werden sollte.