Leitner, Thea Skandal bei Hof

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Für Dr. Marion Pongracz, die mich angeregt und ermutigt hat, anderes und mehr zu schreiben als Zeitungsartikel, Kinder- und Jugendbücher.

© Piper Verlag GmbH, München/ Berlin 1995 © Carl Ueberreuter Verlag, Wien 1993

Covergestaltung: semper smile, München

Covermotiv: Porträt of Madame Sophie (1734–82), daughter of Louis XV, at Fontevrault, 1748 (oil on canvas), Nattier, Jean-Marc (1685–1766) /Chateau de Versailles, France /Giraudon/ Bridgeman Berlin

Datenkonvertierung: abavo GmbH, Buchloe

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»Die Geschichte ist wenig mehr
als ein Register der Verbrechen,

Torheiten und Mißgeschicke der Menschheit.«

Edward Gibbon,

englischer Historiker, 1737–1794

Als Liebe noch das Leben kostete …

Wenn im Lauf der letzten Jahre und Jahrzehnte immer wieder Schand- und Schundgeschichten über das englische Königshaus durch die Gazetten geisterten, habe ich manchmal den Kopf geschüttelt und klammheimlich gedacht: Mein Gott, wenn sie wüßten …

Bis dann in mir die Idee reifte, mein (damals noch rudimentäres) Wissen nicht länger für mich zu behalten, sondern, nach ausgiebigen Recherchen, einem interessierten Publikum mitzuteilen, daß die sogenannten Skandale unseres Jahrhunderts ein laues Lüftlein sind, gemessen an den Stürmen vergangener Zeiten, als Liebe noch das Leben kosten konnte; dies allerdings nur dann, wenn es Frauen betraf. Männern ließ man augenzwinkernd alles durchgehen.

Am Beispiel von fünf Fürstentöchtern aus dem Zeitraum zwischen 1666 und 1821 soll nun versucht werden, die Chronique scandaleuse von anderthalb Jahrhunderten ausschnittsweise nachzuzeichnen und die menschlich berührenden psychologischen Wurzeln dieser Sensationsgeschichten aufzuspüren.

Nicht irgendwelche Fürstinnen wurden ausgewählt, sondern Blutsverwandte aus dem weitmaschigen Beziehungsnetz zwischen Maria Stuart und Maria Theresia, das sich über ganz Europa spannte.

Unsere Protagonistinnen gehören – und das macht ihre Biographien reizvoll – zum engsten Familienkreis der Windsors. So bietet sich ein anschaulicher Vergleich zwischen den echten Tragödien verblichener »Ahninnen« und den lachhaften Wehwehchen der heutigen Generation an.

Um komplizierte Zusammenhänge zu verdeutlichen, müssen wir uns kurz mit der englischen Geschichte befassen, die dem übrigen Europa – sofern nicht überdurchschnittlich gebildet oder speziell interessiert – ein Buch mit sieben Siegeln ist. Wilhelm der Eroberer und die Magna Charta fallen spontan zum Thema ein, selbstverständlich Maria Stuart und Königin Elisabeth I., Cromwell und sein König Karl I., der unter dem Fallbeil endete. Anschließend ein großes Loch bis zu Königin Victoria. Bei Elisabeth II. gewinnt man endlich festen Boden unter den Füßen.

Fragen Sie einmal, wieso ein Prinz von Hannover, nämlich Georg I., auf den englischen Thron gelangte, der fortan fest in deutscher Hand blieb. Die Antworten werden, ich wette, überwiegend verschwommen bis ausweichend sein.

Sie brauchen keine Angst zu haben: Das vorliegende Buch befaßt sich nur am Rand mit englischer Geschichte. Sie ist aber wichtig für den Lebenslauf unserer fünf Fürstinnen. Eine sechste Dame, Sophie von Hannover (1630–1714), gesellt sich ihnen zu. Sie spielt zwar keine Haupt-, aber eine bedeutende Nebenrolle als Schlüsselfigur in den nachfolgenden Biographien.

Das Schicksal der Sophie von Hannover, geborene Prinzessin von der Pfalz (Details im folgenden Kapitel nachzulesen) wurde weitgehend von ihrer Herkunft aus dem Hause Stuart bestimmt. (Siehe Stammtafel.)

Maria Stuart darf ich als bekannt voraussetzen, ebenso Königin Elisabeth I., die ihre Cousine Maria um eine Krone ärmer und einen Kopf kürzer gemacht hat. Als Elisabeth nach ruhmreicher Regierungszeit für immer die Augen schloß, war es letzten Endes doch ein Stuart, der ihr auf dem Thron nachfolgte: Marias Sohn Jakob I.

Jakobs Herzblatt, sein liebreizendes Töchterchen Elisabeth (Kosename: »The Heart of England«), heiratete sechzehnjährig den gleichaltrigen Friedrich V., Kurfürsten von der Pfalz, trotz seiner Jugend im Zentrum der heranbrechenden Auseinandersetzung zwischen Katholiken und Protestanten, die im Dreißigjährigen Krieg ihren schaurigen Höhepunkt fand. Friedrich ließ sich von seinen protestantischen Glaubensbrüdern, vor allem aber von seiner ehrgeizigen Frau, dazu überreden, 1619 die böhmische Krone anzunehmen, die der Habsburger Kaiser Ferdinand II. als Familienbesitz ansah.

Statt sich nun auf den unvermeidlichen Konflikt gewissenhaft vorzubereiten, feierten Friedrich und Elisabeth, beide 24 Jahre jung und unfaßbar sorglos, auf dem Hradschin ausgelassene Feste. Sie feierten noch immer, als sich die Kaiserlichen bereits zur Eroberung Prags formierten. Atemlos stürzte sich Friedrich, viel zu spät, ins Kampfgetümmel; er wurde 1620 in der Schlacht am Weißen Berg geschlagen und aus dem Land gejagt. Da er nur wenige Monate regiert hatte, ging er als lächerliche Figur unter dem Spottnamen »Winterkönig« in die Geschichte ein.

Auch sein Stammland, die Pfalz, war inzwischen von den Katholischen besetzt. Niemand wollte den Winterkönig, seine Winterkönigin, eine Schar kleiner Winterprinzen und Winterprinzessinnen haben – nicht einmal Elisabeths eigener Vater. Holland erbarmte sich schließlich der Flüchtlinge und bot ihnen Unterschlupf. Im ärmlichen Exil wurde, als vorletztes Kind des Paares, 1630 Sophie geboren, wenig beachtet und schon gar nicht geliebt von ihrer verbitterten Mutter, die sich nichts weniger wünschte als ein zwölftes Kind.

Sophie war nicht besonders hübsch, dafür gescheiter als für ein Mädchen eigentlich erlaubt. Sie besaß keine Mitgift, keine Verbindungen, ihre Zukunftsaussichten waren mehr als trüb. Stab und Stütze ihres Selbstbewußtseins war lediglich das Wissen um ihre königliche Abstammung aus dem Haus Stuart. Die Idee, daß sie einmal den englischen Thron erben könnte, war das absurdeste aller vorstellbaren Hirngespinste, dem nicht einmal sie selbst nachhing.

Wie überall in Europa ging es derweilen auch in England drunter und drüber. Neben den allgemein üblichen Glaubenskämpfen gab es auch noch mörderische Auseinandersetzungen zwischen Parlament und Krone, Anhängern und Gegnern der Stuarts, ganz zu schweigen von ungezählten Revolten in Irland.

König Karl I., Bruder der Winterkönigin Elisabeth, verlor sein Leben auf dem Schafott, ihr Neffe, Karl II., lebte im holländischen Exil, ehe er, nach dem Interregnum durch Cromwell, an die Macht kam. Karls Bruder, Jakob II., wurde gestürzt und floh nach Frankreich. Es regierten dann Wilhelm III. von Oranien, der mit einer Stuart verheiratet war, und schließlich eine weitere Stuart, Königin Anna. Ihre Erbin wurde, nach den unwahrscheinlichsten und unvorhersehbaren Kapriolen des Schicksals, die nun schon betagte einstmalige »Winterprinzessin« Sophie von Hannover, Urenkelin der Maria Stuart, Mutter des späteren Königs Georg I. von England.

Soweit, in gröbsten Umrissen, der Hintergrund, vor dem sich das Leben unserer fünf Prinzessinnen abspielt, die allesamt mit Sophie von Hannover verbunden sind.

Was auf diesen wenigen Seiten bislang zu lesen war, ist Weltgeschichte – die wir alle brav gelernt und zumeist, ihrer datenüberfluteten Trockenheit wegen, vergessen und verdrängt haben. Was auf den nächsten paar hundert Seiten folgt, ist Familiengeschichte – in all ihren intimen und dramatischen Verästelungen. Ich hoffe, daß sie meinen Lesern ebenso unter die Haut geht wie mir selbst.

Thea Leitner

Mord im Schloß

Sophie Dorothea 1666–1726

Sie war ein Kind der Liebe, und sie wurde von beiden Elternteilen gleichermaßen vergöttert, verwöhnt und verzogen. Dazu war sie außergewöhnlich schön, außergewöhnlich impulsiv, herzlich und – kokett. Die Katastrophe im Leben der Prinzessin Sophie Dorothea war unausweichlich, denn neben den vielen guten standen auch drei böse Feen an ihrer Wiege. Sie trugen die Namen »Verschmähte Liebe«, »Verbotene Liebe« und »gekränkte Ehre einer adelsstolzen Fürstin«.

Ihr Vater war Herzog Georg Wilhelm von Braunschweig-Lüneburg aus dem edlen Geschlecht der Weifen. Er und sein jüngerer Bruder Ernst August regierten, voneinander getrennt, nach einem komplizierten Erbteilungssystem, das für unsere Geschichte ohne Belang ist, über das Herzogtum Lüneburg (später hieß es Herzogtum Hannover). Sophie Dorotheas Vater residierte in dem damals bedeutenderen Celle, sein Bruder in Hannover.

Georg Wilhelm und Ernst August, einander herzlich zugetan, scherten sich wenig um ihr kleines Reich. Während Deutschland, ausgeplündert, ausgepowert, ausgebrannt, unter den Nachwehen des Dreißigjährigen Krieges litt, reisten die beiden jungen Herren durch halb Europa, zerstreuten sich bei Kartenspiel und Karneval, bei Fest und Tanz, und das immer in Begleitung ansehnlicher und williger Frauenzimmer.

Die beiden hätten ihr lustiges Leben vermutlich bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag fortgeführt, wären die Landstände von Celle nicht rebellisch geworden: Sie stellten Georg Wilhelm, den älteren der beiden Brüder, vor die Wahl, entweder standesgemäß zu heiraten und für Nachwuchs zu sorgen, wie es seine herzogliche Pflicht war, oder auf weitere Apanagen zu verzichten. Georg Wilhelm besaß zwar ein beträchtliches Privatvermögen – die Staatseinkünfte wollte er aber auch nicht missen. Er sagte ja und amen, als man ihm auch gleich die scheinbar passende Braut anbot: Sophie von der Pfalz, stolze, aber mittellose Nachfahrin der Maria Stuart (siehe Einleitung »Als Liebe noch das Leben kostete«).

Er reiste nach Heidelberg, wo Sophie in der Residenz ihres Bruders Karl Ludwig, Kurfürst von der Pfalz, unauffällig lebte. Sophie war fast achtundzwanzig, langnasig, schmallippig, dünnhaarig, und sie hatte außer einer spitzen Zunge auch etliche Pockennarben. In den Augen allerdings blitzte wache Intelligenz.

Meist war sie damit beschäftigt, für die Kinder ihres Bruders zu sorgen, einen Jungen und ein Mädchen, die unter den ständigen Reibereien der Eltern zu leiden hatten und darum der Liebe ihrer Tante Sophie besonders bedurften. Sophies bevorzugter Liebling war die kleine Elisabeth Charlotte, ein vergnügter Pausback – später die berühmte Liselotte von der Pfalz, der das folgende Kapitel dieses Buches gewidmet ist.

Sophie mußte ihrem Schöpfer auf den Knien danken, den stattlichen Georg Wilhelm zum Mann und damit die Würde einer Herzogin zu bekommen, nachdem sich das bislang einzige Heiratsprojekt mit ihrem Vetter, dem späteren Karl II. von England, zerschlagen hatte. Daß Georg Wilhelm sie nicht aus Liebe heiraten würde, wußte sie nur zu gut, daß er aber einfach das Hasenpanier ergriff und sie buchstäblich verkaufte – das war schier unerträglich. Da wurde Haß fürs Leben gesät …

Wie Georg Wilhelm es anstellte, seinen Bruder Ernst August zu beschwatzen, an seiner Statt in den Ehekontrakt einzutreten, ist nicht überliefert. Finanzielle Argumente dürften eine wesentliche Rolle gespielt haben. Georg Wilhelm sagte dem Bruder erhebliche regelmäßige Einkünfte zu, schriftlich verpflichtete er sich, »… keineswegs in einige Heirath mit niemand einzulassen und die noch übrige Zeit meines Lebens in Coelibatu gänzlich hinzubringen«. Ernst August und seine Nachkommen sollten Georg Wilhelm beerben, Celle und Hannover würden in einer Linie vereint.

Ernst August und Sophie heirateten 1658. 1660 wurde ihr erster Sohn Georg Ludwig geboren, fünf weitere Knaben und ein einziges Mädchen folgten rasch hintereinander.

So weit, so gut. Georg Wilhelm war die ungeliebte Braut los – aber zum Leben in Keuschheit war er nun einmal nicht geschaffen. Er flüchtete zunächst nach Venedig, erholte sich in den Armen einer langjährigen Geliebten von dem ausgestandenen Schrecken, ehe er sein Wanderleben wieder aufnahm.

Es führte ihn eines Tages ins holländische Breda, eine alte Festungsstadt, wo es damals kaum weniger hoch herging als in Venedig. Breda war der Treff- und Sammelpunkt der großen Welt, sofern sie gezwungen war, ihr Dasein im Exil zu verbringen. Abgetakelte, aber wohlsituierte Adlige aus England lebten dort ebenso wie verarmte Hugenotten aus Frankreich, und da man sonst nichts zu tun hatte, amüsierte man sich Tag und Nacht.

Der spätere englische König Karl II., dessen Vater hingerichtet worden war, führte in Breda ein aufwendiges Schein-Hofleben. Viel lieber besucht wurden allerdings die großartigen Gesellschaften der Prinzessin von Tarent, Gemahlin eines Hugenotten. Ihre Erste Hofdame, Eleonore dʼOlbreuse, ebenfalls aus Frankreich vertriebene Hugenottin, war das Ziel vieler lüsterner Männerblicke. Mit ihren braunen Mandelaugen, der phantastischen Fülle kastanienfarbenen Haares und biegsamer Schlankheit erweckte sie Wünsche und Träume, allerdings keineswegs Heiratswünsche – denn außer sich selbst hatte sie nicht das geringste zu bieten. Aber dieses Selbst, ihr einziges Kapital, das verteidigte sie mit der Entschlossenheit einer Jeanne dʼArc.

Auch Georg Wilhelm war unter ihren Anbetern, und ihm, dem ehernen Junggesellen, der auf die Vierzig zuging, widerfuhr, was ihm noch nie widerfahren war: Er verliebte sich rettungslos, und er war zu allem bereit, wobei es über das Ausmaß dieses »Alles« erhebliche Unterschiede in der Auslegung gab. Georg Wilhelm meinte eine morganatische Ehe, Eleonore dʼOlbreuse wollte die volle Anerkennung als ebenbürtige Herzogin.

Sie zögerte lange, dann stimmte sie doch einer Ehe zur Linken zu: Georg Wilhelm vermachte ihr sein gesamtes Privatvermögen und versprach, für Eleonores Vater, einen Marquis am Bettelstab, standesgemäß zu sorgen.

Ernst August und Sophie waren außer sich über Georg Wilhelms offensichtlichen Vertragsbruch, besiegelten dann aber doch nolens volens ein weiteres Dokument: Georg Wilhelm bekam, mit der Zustimmung von Bruder und Schwägerin, seine Eleonore (»die Kanaille«, »das Stück Fleisch« nannte sie die empörte Sophie) – aber die Kinder aus dieser Verbindung würden niemals erbberechtigt sein, alles sollte den Nachkommen von Ernst August und Sophie zufallen.

So weit, so gut! Aber was ist schon ein Fetzchen Papier gegen den kämpferischen Willen einer Mutter? Als Eleonore am 15. September 1666 ihr erstes Kind, Sophie Dorothea, gebar, begann ihr langes, zähes Ringen um die volle Anerkennung für sich und ihre Tochter. (Immerhin hatte ein von Georg Wilhelm reichlich entlohnter Genealoge herausgefunden, daß Eleonore in direkter Linie von Karl dem Großen abstammte!)

Der Kampf sollte volle zehn Jahre dauern, ehe, nach zahlreichen Intrigen und Interventionen bis zu Kaiser Leopold I., Eleonores großer Tag anbrach: Sie trat zum zweiten Mal vor den Traualtar, und als sie die Kirche verließ, war sie Herzogin und Sophie Dorothea eine Prinzessin Braunschweig-Lüneburg. Ernst August und Sophie blieben der Vermählung demonstrativ fern. Sophie, die Stuart-Nachkommin, die sich sehr viel auf ihre feine englische Art zugute hielt, höhnte über die neue kleine Prinzessin, sie sei ein »Mausdreck im Pfeffer«. (Um den Schimpf vollkommen zu begreifen, muß man wissen, daß Pfeffer damals fast ebenso kostbar war wie Gold.)

Übrigens: Einen Vertrag zwischen den Brüdern, den Sophie mitunterzeichnete, gab es auch diesmal. Weitere Kinder aus der Verbindung zwischen Georg Wilhelm und Eleonore sollten weder erb- noch nachfolgeberechtigt sein, auch die Titel von Prinzen und Prinzessinnen wurden ihnen abgesprochen. Diese letzte unter den kuriosen brüderlichen Vereinbarungen hatte ausnahmsweise Aussicht, eingehalten zu werden: Herzogin Eleonore war nach drei schweren Fehlgeburten unfruchtbar.

All ihre Liebe richtete sich auf Sophie Dorothea, ein hübsches, lebhaftes Kind, jedermanns Liebling im behäbigen Schloß und in der kleinen Stadt mit ihren heimeligen Fachwerkhäusern. Da Eleonore in den ersten Jahren ihrer Ehe keinerlei offizielle Verpflichtungen auferlegt waren, hatte sie mehr Zeit als andere Damen ihres Standes, sich dem Kind zu widmen. Es entstand eine vollkommene Einheit zwischen Mutter und Tochter. Sophie Dorothea empfing mehr Zärtlichkeit, mehr Aufmerksamkeit als andere Fürstenkinder ihrer Zeit.

Sie war es von Anfang an gewöhnt, geliebt und bewundert zu werden, nicht nur von Vater und Mutter, sondern von ganz Celle und Umgebung. Eleonore versäumte es nicht, den guten Bürgern ihr kostbares Kind vorzuführen und nahezubringen. Regelmäßig fuhr sie mit der Kleinen, einem entzückend herausgeputzten Püppchen, durch die Straßen der Stadt. Mutter und Tochter winkten und nickten freundlich, sprachen gelegentlich auch mit den Passanten. Damals schon begann sich das Charakterbild Sophie Dorotheas zu formen: ihre Unbefangenheit gegenüber den Menschen von »niederem Stand« und ein leichter Hang zum Narzißmus.

Sie entwickelte eine leidenschaftliche Liebe für schöne Garderobe, und sie verbrachte mehr Zeit vor dem Spiegel als bei allen anderen langweiligen Beschäftigungen wie Beten und Lernen. Über ihren Bildungsweg ist nicht allzuviel bekannt; Sophie Dorothea erhielt die übliche Schulung eines Mädchens von hohem Adel ohne sonderlichen Tiefgang. Ihre rasche Auffassungsgabe war bemerkenswert. Tanz und Musik waren ihre Stärken, die eigentliche Muttersprache, Französisch, beherrschte sie makellos.

Eleonore sehr ähnlich und zu einer vollendeten Schönheit heranreifend, hing ihr, ebenso wie der Mutter, bald der Beiname »die Französin« an – später nicht nur einmal als Schimpfwort gemeint.

»Ich muß bekennen, daß man ihresgleichen in Deutschland nicht findet«, heißt es im Brief einer Zeitzeugin. »So klug und artig … Enfin, es ist ein recht bijou … Bereits mit zwölf Jahren wurde sie mannbar, welches stracks der ganze Hof hat wissen müssen …«

Dies war tatsächlich ein aufsehenerregendes Ereignis, denn die Mädchen damaliger Zeit wurden erst mit durchschnittlich siebzehn Jahren »mannbar« – auch darin also unterschied sich »die Französin« merkbar von deutschen Altersgenossinnen.

Die Männer ihrer Umgebung begannen sehr bald, sie mit anderen Augen anzusehen, die Jungen bei Hof waren samt und sonders in sie verliebt. Sophie Dorothea genoß es sichtlich. Meist hielt sie zwar durchaus Abstand zu den jungen Männern, wie man es von einer Prinzessin erwarten durfte – aber ihre Art zu blicken und sich zu bewegen war eine einzige Verlockung.

Sie war gerade zwölf, als man geräuschlos einen jungen Pagen aus ihrem Dienst entfernte, weil seine Verliebtheit allzu offensichtlich geworden war. Als Vierzehnjährige flirtete sie so heftig mit einem Sechzehnjährigen, der mit seiner Mutter zu Besuch in Celle weilte, daß man die Dame bat, ihre Visite früher als vorgesehen abzubrechen und mit dem Jüngling abzureisen. Er hieß Philipp Christoph Graf Königsmarck.

Seit ihrem zehnten Lebensjahr war Sophie Dorothea nicht nur eine den Herrscherhäusern ebenbürtige, sie war auch eine pekuniär überaus erstrebenswerte Partie. Der Vater hatte ihr im Lauf der Zeit große Vermögenswerte übertragen. Schon als sie ein Kind war, meldete sich der erste Freier, Prinz August Friedrich von Wolfenbüttel, ein Sohn aus der Nachbarschaft also, aber der blieb bald auf dem sogenannten Feld der Ehre.

Weitere Kandidaten waren, unter anderen, der Herzog von Württemberg, der Bayernherzog Max Emanuel und der König von Schweden. Den Zuschlag erhielt ihr Vetter Georg Ludwig, Herzogin Sophies Erstgeborener, sechs Jahre älter als Sophie Dorothea.

Herzogin Sophie hatte zuvor einen ganz anderen, sehr ehrgeizigen Heiratsplän ausgeheckt. Georg Ludwig sollte Prinzessin Anna, die zukünftige Königin von England, zur Frau nehmen, aber bei seinem ersten Besuch in London erlitt er eine eisige Abfuhr. Abgesehen davon, daß er, im Gegensatz zu seiner Mutter, kein einziges Wort Englisch sprach, war er linkisch, kalt, abweisend, mißtrauisch und kontaktarm. Er sei »drucken wie kalt Eise«, charakterisierte ihn seine Cousine Liselotte von der Pfalz.

Einerseits pedantisch ordentlich und sparsam bis zum Geiz, war er andererseits maßlos in sexueller Hinsicht. Bereits als Fünfzehnjähriger lebte er seine Triebe hemmungslos aus – mit ausdrücklicher Genehmigung seines Vaters: »… de coucher avec qui il vouloit, pourvu quʼon nʼen sceut rien«. (Er darf schlafen, mit wem er will, vorausgesetzt, daß niemand etwas erfährt.) Mit sechzehn hat er seinen ersten Bastard gezeugt.

Wenig später nannte er eine offizielle Maitresse sein eigen, Catharina von Busche, geborene Gräfin Meissenburg. Deren Schwester, Clara Elisabeth von Platen, die Maitresse von Georg Ludwigs Vater, hatte die beiden miteinander verkuppelt. Vater und Sohn veranstalteten mit ihren Gefährtinnen im Sommerschloß Linsburg »Parties carrées«. Nicht nur Lord Cresset, englischer Gesandter am Hof zu Hannover, der dies schockiert nach London berichtete, wird es gewußt haben.

Die Schwestern Meissenburg waren Töchter eines vazierenden Haudegens und Hochstaplers, der die auffallend hübschen Mädchen dem Höchstbietenden zu vermarkten trachtete. Nachdem er in Versailles abgeblitzt war, zog er an den Hof des Herzogs Ernst August. Die beiden Komtessen, von denen Clara Elisabeth die weitaus schlauere und skrupellosere war, angelten sich die Prinzenerzieher Platen und Busche als Ehemänner. Die Platen errang darüber hinaus die Gunst des Herzogs und übte mächtigen Einfluß auf ihren Liebhaber aus. Herr von Platen machte sehr rasch Karriere, er wurde Ministerpräsident und zum Grafen erhoben. Seine Frau war schließlich eine der einflußreichsten Personen des Landes; die Fäden der Politik liefen über die diversen Betten.

Das Hofleben orientierte sich immer mehr an dem von Ludwig XIV., äußerst kostspielig mit endlosen Vergnügungen, Tänzen, Festen, Redouten, Schäferspielen, Galaabenden in Theater und Oper. Ernst August konnte es bezahlen. Mit dem Verkauf von Soldaten hatte er eine ständig sprudelnde Geldquelle erschlossen. Das Beispiel machte bald in den meisten deutschen Fürstentümern Schule.

Verschieden wie Tag und Nacht war dazu das Hofleben in Celle. Georg Wilhelm, nun in den Fünfzigern, kannte nur drei Leidenschaften: die Jagd, das Reiten und seine Familie. Nichts liebte er so sehr wie bequeme Häuslichkeit. Celle war ein gemütlicher kleiner Hof in des Wortes bester Bedeutung.

Aus dieser ruhigen Atmosphäre familiärer Geborgenheit sollte Sophie Dorothea nun hinausgestoßen werden in den Sündenpfuhl von Hannover: ein zauberhaftes Mädchen, witzig, schlagfertig in der Konversation, mit Neigung zu großen Gefühlsausbrüchen und gelegentlichen Depressionen, niemals daran gewöhnt, im richtigen Augenblick den Mund zu halten. Sie konnte ihren Cousin nicht ausstehen, sie kannte seine schlechten Manieren, wußte von seiner ungezügelten Lebensweise, und sie verabscheute seine Mutter, die Herzogin Sophie, die stets nur schlecht und abfällig über Sophie Dorothea und Herzogin Eleonore sprach.

Herzogin Sophie hatte jedoch entschieden, daß ihr Ältester den »Mausdreck im Pfeffer« heiraten sollte, nachdem Georg Ludwig am Londoner Hof durchgefallen war. Es lockte die reiche Mitgift, es lockte die Aussicht, Celle und Hannover zu vereinigen. »Es ist [zwar] eine bittere Pille, aber wenn sie mit 100 000 Talern vergoldet wird, macht man die Augen zu und schluckt sie hinunter«, heißt es zynisch in einem Brief Sophies. Die Sorge um das Wohl ihrer Kinder überwog die Abneigung gegen den Mann, der ihren Stolz tödlich getroffen hatte, gegen seine Frau, »die Kanaille«, und gegen Sophie Dorothea, die in ihren Augen mit Sicherheit noch immer nichts weiter war als ein Bastard aus einer sündhaften Beziehung.

Was Georg Wilhelm bewogen haben mag, seine geliebte Tochter sehenden Auges in die Schlangengrube von Hannover zu schicken, bleibt unklar. Er, der selbst einer ungewünschten Ehe entwichen war, mußte die Gefühle Sophie Dorotheas zumindest erahnen können. War es ein Rest von schlechtem Gewissen gegenüber der Frau, die er verraten hatte? War es die noch immer enge emotionale Bindung an den Bruder, den Gefährten seiner tollen Jugendzeit? Die spärlich vorhandenen Unterlagen geben keinen Aufschluß.

Georg Wilhelm ließ sich weder von den Einwendungen seiner Frau noch vom Entsetzen seiner Tochter umstimmen. Als Sophie Dorothea das Miniaturbildnis ihres zukünftigen Mannes überreicht wurde, warf sie es wütend an die Wand, so daß der kostbare Brillantrahmen zersplitterte.

Am Abend ihres sechzehnten Geburtstags wurde die Verlobung bekanntgegeben. Während der Bräutigam, auch er mit allen Anzeichen des Widerwillens, den Saal betrat, flüchtete Sophie Dorothea weinend in die Arme ihrer Mutter.

Die Vertragsverhandlungen über die Höhe der Mitgift und die Gestaltung der Hochzeitszeremonie zogen sich über einige Wochen. Das Ergebnis war denkbar schlecht für Sophie Dorothea: Ihr zukünftiger Mann bekam die Verfügungsgewalt über ihr ganzes Vermögen, ihr selbst blieb nicht die Spur eines eigenen Einkommens. Das einzige, was sie durchsetzte, war die Zusage, daß Georg Ludwig sich von seiner Maitresse Catharina von Busche trennen mußte. Sie schuf sich damit von Anfang an zwei erbitterte Feinde in Hannover: ihren eigenen Mann und Catharinas Schwester, die Gräfin Platen, Geliebte des Schwiegervaters in spe und Ehefrau des Ministerpräsidenten.

Am 18. November 1682 fand in der Kapelle des Schlosses von Celle die Trauung des unglückseligen Paares statt, und die Vorzeichen standen von Anfang an auf Sturm. Ein für diese Jahreszeit ungewöhnliches Unwetter übertönte den Klang der Orgel, die Worte des Geistlichen, und die Braut erweckte den Eindruck eines Opferlamms kurz vor der Schlachtung.

Überraschenderweise ließ sich der Anfang dieser Ehe einigermaßen erträglich an. Der Erotomane Georg Ludwig erlag – zumindest vorübergehend – den Reizen seiner bezaubernden Kindfrau. Sie erfüllte auch brav ihre erste und oberste Pflicht, indem sie am 30. Oktober 1683 den erwünschten Sohn gebar, der auf den Namen Georg August getauft wurde.

Da der junge Vater bereits wenig später dem Ruf der kaiserlichen Fahnen zum Kampf gegen die Türken folgte, konnte die Siebzehnjährige unbeschwert das Leben genießen. Allerdings hatte sie Mühe, sich der steifen, an Versailles orientierten Etikette zu unterwerfen. Man sah es ihr, der Mutter des Thronerben – noch – nach, wenn sie einmal über die Stränge schlug, munter mit Leuten schwatzte und lachte, denen in der strengen Hierarchie des Hofes nicht mehr zustand als ein huldvolles Kopfnicken.

Sophie Dorothea bewohnte das »Alte Palais«, ein unauffälliges, zweigeschossiges Steingebäude zwischen Fachwerkhäusern, nahe dem wuchtigen Leineschloß, das dem Herzogspaar (allerdings meist nur bei offiziellen Anlässen) als Wohnsitz diente. Herzog Ernst August und Herzogin Sophie lebten lieber auf dem eine gute halbe Wegstunde vom Zentrum entfernten Landsitz Herrenhausen, einem eleganten, langgestreckten Bau inmitten eines riesigen Parks. (Der Park existiert noch heute, das Gebäude fiel den Bomben zum Opfer).

Sophie Dorothea pflegte lange zu schlafen. Nach der Katzenwäsche folgte die Zeremonie des Ankleidens, denn nach wie vor war es vor allem schöner Putz, der sie interessierte. Einmal pro Woche nahm sie – sehr fortschrittlich! – ein Wannenbad, Unikum an einem Hof, an dem es mit der Hygiene anscheinend nicht allzu weit her war: Wie wir den noch vorhandenen Personalverzeichnissen entnehmen können, gab es zwar Hunderte Bedienstete aller Ränge, aber nur zwei Wäscherinnen.

Das Mittagessen nahm die ganze Familie gemeinsam ein. Es folgte eine ausgedehnte Ruhepause – im Bett.

Nachmittags unternahm Sophie Dorothea bei schönem Wetter kleine Spazierfahrten, bei Schlechtwetter las sie, erledigte ihre Korrespondenz oder empfing Besuche. Täglich rund eine Stunde verbrachte sie mit ihrem Sohn.

Nach dem Diner unterhielt man sich im Kreise des Hofes, spielte Karten, musizierte, tanzte, wenn nicht gerade Bälle, Galadiners oder Theaterbesuche angesagt waren.

Das größte Ereignis dieser Art fiel in die ersten Oktobertage des Jahres 1684, als Sophie Charlotte, einzige Tochter des Herzogspaares, mit allem nur denkbaren Pomp dem Kurfürsten Friedrich von Brandenburg vermählt wurde. Er war ein schmächtiges Männchen, verwitwet schon, aber ein Herrscher mit Zukunft: Der Kurfürst sollte sich 17 Jahre später selbst zum ersten König von Preußen krönen.

Sophie Dorothea war nicht unglücklich, daß ihre Schwägerin ins ferne Berlin zog, denn die jungen Frauen konnten einander nicht ausstehen; ständig gab es Gezänk und Reibereien zwischen den beiden, weil Sophie Charlotte auf die viel anmutigere, lebhaftere und herzlichere Frau ihres Bruders eifersüchtig war.

Ein aufregendes Abenteuer brachte das Jahr 1686 für Sophie Dorothea: Sie durfte mit ihrem Schwiegervater – begleitet von der unvermeidlichen Gräfin Platen – nach Venedig reisen, um dort ihren vom Türkenfeldzug heimkehrenden Mann zu treffen. Abgesehen von Herzogin Sophie, die in Herrenhausen blieb, vergnügte sich der halbe Hof im Karneval. Der Herzog warf mit dem Geld nur so um sich. Er hatte leicht werfen, denn soeben hatte er den Venezianern 2 400 Soldaten verkauft.

Zwar verstand sich Sophie Dorothea mit ihrem Mann viel weniger als vor der Trennung – »sie hat schon übel gelebt mit ihm in Venedig und haben sich gar scheiden wollen«, notiert die Hofdame Eleonore von dem Knesebeck –, doch die junge Frau nahm es leicht. Sie war zwanzig, sie war schön, und die Männer lagen ihr zu Füßen. Besonders der Herzog von Mantua hatte sich an ihre Fersen geheftet sowie – bei einem Abstecher der Hannoveraner nach Rom – ein Marquis Armand de Lassays, fast berufsmäßiger Don Juan und Herzensbrecher. Der Marquis hat später in seinen Memoiren behauptet, nicht weniger als dreizehn Liebesbriefe von der Prinzessin erhalten zu haben – gezeigt hat er die Schriftstücke niemandem.

Wie dem auch sei: Sophie Dorothea dürfte nicht ganz unschuldig an den Annäherungen des Marquis und anderer Mitglieder der italienischen Jeunesse dorée gewesen sein, denn in einem Brief der Liselotte von der Pfalz steht – zwar bösartig, vielleicht aber nicht ganz ohne Grund: »Ich kann nicht begreifen, wie oncle [gemeint ist Sophie Dorotheas Schwiegervater, Herzog Ernst August] sie nicht gleich nach der italienischen Reise hat einsperren lassen, denn sie hat es ja dermalen genug verdient, so ein doll Leben geführt zu haben …«

Doch das »doll Leben«, das die Männer der Hofgesellschaft bis zur Neige auskosteten, den Damen indes verwehrt war, hatte schnell wieder ein Ende. Nach Hannover zurückgekehrt, schenkte Sophie Dorothea am 26. März 1687 einer Tochter das Leben. Wir werden diesem Kind, das wie die Mutter Sophie Dorothea hieß, im übernächsten Kapitel wieder begegnen. Da ist sie bereits Königin von Preußen und Mutter des späteren Friedrich des Großen sowie einer Tochter namens Wilhelmine, der dann unsere besondere Aufmerksamkeit gelten wird.

So schön, so unbeschwert es in Italien gewesen war, so unerquicklich gestalteten sich die folgenden Jahre in Hannover: endlose Familienquerelen. Herzog Ernst August war mit den meisten seiner sechs Söhne übers Kreuz; jeder intrigierte gegen jeden, und alle Fäden wurden von der Gräfin Platen gezogen. Die saß wie eine Spinne im Netz in ihrem Schlößchen Monplaisir, auf halbem Weg zwischen Leineschloß und Herrenhausen. Niemand gelangte von da nach dort, ohne daß es die Gräfin registrierte, und viele machten nur zu gern bei ihr Station. Es ging immer fidel zu, und in einem verschwiegenen Salon konnte man beim Kartenspiel astronomische Summen gewinnen oder verlieren. Meist verlieren. Den Schmerz darüber linderte die Gräfin mit kleinen Gefälligkeiten.

Die Platen mischte sich in alles und jedes ein, und wehe dem, den sie aufs Korn genommen hatte. Wehe der armen Sophie Dorothea, welche die Schwester der Platen aus dem Bett des Prinzen Georg Ludwig vertrieben hatte. Gräfin Platen ließ keine Gelegenheit ungenützt, um einen Keil zwischen Sophie Dorothea und ihren Schwiegervater, zwischen die Prinzessin und ihren Mann zu treiben.

Was immer Sophie Dorothea tat oder sprach – die Platen wußte es ins schlechte Licht zu rücken. Die Beziehung zwischen Sophie Dorothea und Georg Ludwig wurde immer gespannter, die Geburt der Tochter änderte nichts daran.

Lange hatte die Gräfin versucht, ihre Schwester wieder auf den prinzlichen Maitressenthron zu heben. Als ihr dies nicht gelang, führte sie Georg Ludwig ein blutjunges Hoffräulein zu, Ermengarda Melusine von der Schulenburg, zwar einen halben Kopf größer als der Prinz, aber gut gewachsen, mit wunderbarem Blondhaar gesegnet, sehr anschmiegsam und von schlichtem Gemüt.

Nachdem es durch Wochen und Monate zwischen dem Prinzenpaar zu lautstarken Auseinandersetzungen gekommen war, nachdem, wie der Hofklatsch genüßlich weitertrug, Sophie Dorothea hin und wieder auch eine Tracht Prügel bezogen hatte, kehrte der junge Ehemann dem häuslichen Herd immer häufiger den Rücken, um sich mit seiner neuen Favoritin zu vergnügen. Sie gebar ihm auch bald eine Tochter.

Zu guter Letzt kam er fast überhaupt nicht mehr nach Hause, und wenn, dann wurde er mit wilden Vorwürfen empfangen. So merkwürdig es klingt: Sophie Dorothea traktierte den ungeliebten Mann mit Eifersuchtsszenen!

Sie unterschied sich darin grundsätzlich von ihrer Schwiegermutter. Herzogin Sophie ignorierte das Verhältnis ihres Mannes mit der Gräfin Platen in stoischer Gelassenheit. Sie hatte weitgestreute geistige Interessen und war eng mit dem großen Philosophen Wilhelm Leibniz befreundet, von dem es heißt, daß er das letzte Universalgenie auf dem Gebiet der Natur- wie der Geisteswissenschaften gewesen sei.

Sophie Dorothea war keine Intellektuelle, mit dem hochgelehrten Leibniz wußte sie nichts anzufangen. Sie war so jung, sie war so heißblütig, daß sie wohl auch mit ihrem Mann vorliebgenommen hätte – wäre er nur nachts daheim gewesen.

Und dann kam Königsmarck.

Philipp Christoph Graf Königsmarck, ein Globetrotter, ein Kriegsheld, ein ansehnliches Mannsbild – Traum romantischer Mädchen und reifer Frauen, Objekt der Begehrlichkeit für Mütter heiratsfähiger Töchter.

Philipp Christoph Graf Königsmarck. Wir sind ihm auf den ersten Seiten dieses Kapitels kurz begegnet, als er, sechzehnjährig, sich samt Mutter in Celle aufhielt und mit Sophie Dorothea bedeutungsvolle Blicke tauschte. Nun kreuzt er den Weg der Prinzessin ein zweites Mal. Sie werden ein Stück gemeinsam wandern – direkt in ihrer beider Lebenskatastrophe.

Philipp Christoph Graf Königsmarck – wer war er eigentlich?

Sein Großvater, aus altem brandenburgischen Geschlecht stammend, wurde am Hof eines Braunschweig-Lüneburgschen Herzogs in Celle erzogen, ging dann nach Schweden und war ein vorzüglicher Feldherr Gustav Adolfs im Dreißigjährigen Krieg. Auch Philipps Vater bewährte sich hervorragend im schwedischen Kriegsdienst. Beide wurden mit Ehren aller Art, immensen Gütern und Gold überhäuft. Philipp war einer der reichsten Erben Europas.

Er hatte drei Geschwister: einen älteren Bruder namens Karl Johann und zwei jüngere Schwestern, Amalia Maria und Aurora. Erstere heiratete einen Grafen Lewenhaupt, der später im Dienst des Hofes zu Celle stand. Aurora blieb unvermählt, wurde aber als Geliebte des sächsisch-polnischen Königs August des Starken eine Persönlichkeit der Weltgeschichte. Voltaire nannte sie »die berühmteste Frau zweier Jahrhunderte«.

Die Brüder Königsmarck verbrachten einige Jugendjahre in England. Sie studierten in Oxford und erhielten in London ihre militärische Ausbildung, gern gesehene Gäste bei Hof und in den großen Adelssitzen. Kein Wunder: Einer sah besser aus als der andere, und daß sie keine armen Burschen waren, ließ sich schon daran ermessen, mit welcher Nonchalance sie Unsummen verspielten.

Karl Johann, der Wildere und Hemmungslosere von beiden, vor dem kein Weiberrock sicher war, mußte sich sogar einmal wegen einer dunklen Affäre vor Gericht verantworten: Der Ehemann einer seiner Geliebten war einem Mordanschlag zum Opfer gefallen. Die beiden Täter wurden überfuhrt, verurteilt und hingerichtet. Karl Johann, der als Auftraggeber galt, wurde unter dünnem Vorwand »aus Mangel an Beweisen« freigesprochen, mußte aber England verlassen. Er fand später den Soldatentod, Philipp beerbte ihn.

Nach Abschluß seiner Studien ging Graf Königsmarck auf die für junge Edelleute übliche Kavalierstour, ließ in Versailles und in Dresden seinen Charme spielen und knüpfte wichtige Verbindungen an, unter anderem mit dem sächsischen Thronfolger, der später August der Starke heißen sollte.

Noch als Philipp in England weilte, zog der schwedische Staat Teile der Königsmarck-Güter ein. Der Staat brauchte Geld und fand, daß Gustav Adolf seine Generale allzu großzügig entlohnt hatte. Philipp hätte nun eigentlich seine Lebenshaltungskosten einschränken müssen, aber er dachte nicht daran. Er verkündete, daß jährlich tausend Pfund das mindeste seien, das er brauchte – nach heutigem Wert ein vielfaches Millionenvermögen.

1684, er war noch nicht zwanzig, trat er in den Dienst des Kaisers Leopold I. und kommandierte ein Regiment im Kampf gegen die Türken. Hochdekoriert und ruhmbeladen kehrte er zurück – in Begleitung einer türkischen Sklavin und für den Rest seines Lebens von der Malaria gequält.

Er verlobte sich mit der außerordentlich vermögenden Gräfin Charlotte Rantzau, löste aber die Verbindung aus unbekannten Gründen. Einige Monate später starb die Komtesse, aus Liebeskummer, wie es hieß.

Anfang 1688 kam er nach Hannover. Das genaue Datum ist unbekannt, sein Name scheint zum ersten Mal am 12. März auf der Gästeliste eines Balles auf, den Georg Ludwig und seine Frau Sophie Dorothea veranstalteten. Die Prinzessin habe den Grafen Königsmarck »wie einen alten Bekannten begrüßt«, heißt es. Ein sicheres Zeugnis gibt es dafür nicht.

Die Freundschaft aus Kindertagen konnte jedenfalls nicht gleich erneuert und vertieft werden, denn Philipp verdingte sich in den Dienst des Herzogs Ernst August und nahm sogleich als Oberst der Leibgarde an einem Feldzug gegen Frankreich teil.

Ludwig XIV. hatte, aus heiterem Himmel, einen Krieg gegen die Pfalz begonnen, nachdem der Pfalzgraf gestorben war und der »Sonnenkönig« darauf pochte, daß seine Schwägerin, Liselotte von der Pfalz, die legitime Erbin sei. Der »Pfälzische Erbfolgekrieg« hielt Europa bis zum Jahre 1697 in Atem.

Eine gesamteuropäische Allianz gegen den Franzosenkönig versuchte, mit wechselndem Glück, dessen räuberische Ansprüche zu vereiteln. Nur mit Mühe ließ sich Herzog Ernst August zur Teilnahme an dem Bündnis überreden; er trat erst bei, nachdem der Kaiser ihm die Kurwürde in Aussicht gestellt hatte.

Oberst Graf Königsmarck kehrte, umstrahlt von der Gloriole einesKriegshelden, nach Hannover zurück und etablierte sich in einem feudalen Stadtpalais, das er vom Keller bis zum Dachboden aufs kostbarste einrichtete, mit französischen Möbeln, flämischen Gobelins, englischem Silber, und er umgab sich mit einer angemessenen Dienerschaft von 29 Mann, Haushofmeister und Sekretär mit eingeschlossen. Seine hervorragend bestückten Stallungen erregten beträchtliches Aufsehen, nicht weniger als 52 Rassepferde nannte er sein eigen.

Aufwendige Feste in einem großen Haus zu führen fiel ihm nun nicht allzu schwer, denn er hatte mittlerweile nicht nur den Bruder, sondern auch seinen Vater beerbt, der in Venedig an der Pest gestorben war. Die Beschlagnahmung der schwedischen Güter war offenbar verschmerzt.

Als Oberst der Leibgarde gehörte er zum engsten Kreis der herzoglichen Hofhaltung, und er wurde überall mit offenen Armen aufgenommen. Auch im Schlößchen Monplaisir, wo er nächtelang am Spieltisch saß und mehr verlor, als er eigentlich verantworten konnte.

Die Herrin von Monplaisir, Clara Elisabeth Gräfin von Platen, nun schon ein wenig in die Jahre gekommen, aber trotz üppiger Leibesfülle eine noch immer anziehende Frau, konnte sich dem Charme des siebzehn Jahre jüngeren Lebemanns nicht entziehen. Offensichtlich wollte sie es auch nicht, denn die Gemeinschaft mit einem ältlichen Ehegespons und ihrem ältlichen Liebhaber, dem Herzog Ernst August, war auf die Dauer ziemlich langweilig geworden. Erlag Philipp dem gekonnten Liebeswerben der erfahrenen Frau – oder ließ er sich nur in kalter Berechnung mit der mächtigsten Dame Hannovers ein? Wer weiß?

Ob die Platen an den Orgien teilgenommen hat, die Philipp gelegentlich in seinem Haus veranstaltete, ist vorstellbar, aber nicht dokumentiert. Daß solche Lustbarkeiten stattfanden, kann in einem Bericht an den Ministerpräsidenten von Celle, Graf Bernstorff, nachgelesen werden: Nur mit Perücken bekleidete Damen und Herren tanzten auf den Tischen, um sich nachher »im Takte der Musik zu vermengen«.

Der Kontakt zwischen dem Grafen Königsmarck und Sophie Dorothea war anfangs lose und sporadisch. Sophie Dorothea verschwand zunächst überhaupt aus dem öffentlichen Leben. Ihre Ehe war immer brüchiger, ihr Mann immer rücksichtsloser und rüder geworden. Die Prinzessin befand sich in einer bedenklichen seelischen Krise und wurde körperlich krank. Sie habe »Nervenfieber«, meinten die Ärzte und verordneten ihr wochenlange Bettruhe. Schwiegermutter Sophie nahm sich der Patientin an und holte sie samt ihren Kindern nach Herrenhausen.

Wieder nach Hannover zurückgekehrt, nahm Sophie Dorothea die Routine des höfischen Alltags erneut auf, wozu auch der tägliche Empfang von Besuchern gehörte. Stets gerne gesehener Gast im »Alten Palais« war Prinz Karl, ein Schwager Sophie Dorotheas – erst gelegentlich, dann immer öfter in Begleitung seines neuen Freundes, des Grafen Königsmarck.

Sophie Dorothea begrüßte die beiden Herren, züchtig und ehrbar, im Kreis ihrer Hofdamen, das Gespräch war allgemein und unverfänglich. Daß Königsmarck und die Prinzessin von Anbeginn harmonierten, lag in beider Naturell. Sie waren einander überaus ähnlich: temperamentvoll, spontan, großzügig, den Menschen zugewandt, warmherzig, quecksilbrig, mit leichtem Hang zu nervöser Exaltiertheit. Beide liebten Luxus, elegantes Leben, Tanz und Spiel.

Wann der Funke endgültig übersprang, ist schwer zu sagen. Vielleicht damals, als Sophie Dorotheas Eltern zum Staatsbesuch nach Hannover kamen, ein Ereignis, das mit einer Reihe von Galadiners, Bällen und Empfangen zelebriert wurde.

Einen der Bälle eröffnete Sophie Dorothea mit ihrem Vater. Nachdem sie die vorgeschriebenen Pflichttänze hinter sich gebracht hatte, schritt sie mit Königsmarck aufs Parkett, und fast alle nachfolgenden Tänze gehörten ihm. Sie war ganz in Weiß und Silber gehüllt, einen Kranz lebender Blumen im üppig flutenden, ungepuderten Haar; sein Kostüm war in Rosa und Silber gehalten – ein Paar wie aus einem Märchentraum.

In welche Richtung sich Königsmarcks Gefühle entwickelten, erhellt eine winzige Episode am Rande eines Herrenabends. Philipp erzählte in plastischen und drastischen Worten von den Reizen des Dresdner Hoflebens, und Georg Ludwig fragte ihn, warum er denn nicht dort geblieben sei, wenn es ihm doch so gut gefallen hätte. Königsmarck entgegnete, er habe es nicht mehr länger mit ansehen können, wie ein Fürst das Leben einer schönen und guten Frau zerstörte, indem er sie wegen einer nichtswürdigen Maitresse vernachlässigte. Schallendes Gelächter in der Männerrunde. Jeder wußte, daß Königsmarck nicht nur auf den Kurfürsten von Sachsen anspielte, jeder erfaßte den Doppelsinn der Anekdote. Georg Ludwig hatte Mühe, seine Wut zu verbergen.