Preiwuß, Kerstin Nach Onkalo

PIPER

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ISBN 978-3-8270-7934-3

© Berlin Verlag in der Piper Verlag GmbH, München/Berlin 2017

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1

Mutter ist weg. Stimmt nicht, sie liegt noch im Bett, aber Matuschek kann nichts anderes mehr denken. Er rennt durch das Haus, als gäbe es kein Morgen, eher ein Tier als ein Mensch so früh um sechs. Eine halbe Stunde zu spät ist er schon, weil sie ihn nicht geweckt hat. Der Tisch ist nicht gedeckt und der Ofen kalt. Matuschek fasst an die Heizung, aber auch die ist aus. Bevor er losfährt, muss er aufs Klo. Eine Dreiviertelstunde dauert es bis zum Flughafen, und wenn dann noch was in ihm steckt, wird es eng. Man hat so seine Zeiten, und bei ihm kommt es immer morgens. Essen ist nicht das Problem, dafür hat er Brote und eine Thermoskanne Tee, nur keinen schwarzen, sonst muss er zu oft pinkeln. Hagebutte mit Hibiskus macht sie ihm oft, manchmal auch Pfefferminze. Das hat sich eingespielt, so wohnen sie seit Jahren zusammen, sie unten, er oben. Morgens macht sie ihm Frühstück, und wenn er von der Spätschicht kommt, steht der Teller in der Mikrowelle, da muss er nur den Knopf drücken. Auch seine Wäsche wäscht sie. Du weißt doch gar nicht, wie das geht, schimpft sie dann immer. Wenn du mal keine Frau findest.

Aber das fehlt heute wie überhaupt alles. Matuschek redet vor sich hin. Da ist etwas ganz und gar nicht in Ordnung und er muss gleich los. Schon fangen seine Hände an zu zittern. Die Stille drückt und lässt ihn schwer atmen. Sonst klopft sie immer mit dem Besenstiel von unten an die Decke. Seine Stimme überschlägt sich. Auch dass er sich atmen hört, ist nicht gut.

Er stellt das Radio an und ist gleich beim Wetter. Eine Luftmassengrenze über dem Norden und Osten trennt sehr warme und labil geschichtete Luft von deutlich kühlerer in den übrigen Landesteilen und bewegt sich kaum von der Stelle. Er will nicht, aber er geht nochmal alles ab, es sind ihre Wege, vom Bad in die Küche ins Wohnzimmer und zurück, und vielleicht lässt sich ja dadurch etwas wiederherstellen von der gewohnten Ordnung. Aber in der Küche ist sie nicht, im Wohnzimmer ist sie nicht, im hinteren Zimmer auch nicht, und die Haustür ist abgeschlossen. Bleibt nur das Schlafzimmer und da liegt sie dann, hat die Augen offen, macht aber immer noch keine Anstalten aufzustehen oder irgendwas zu tun.

Seitdem läuft er durchs Haus und spricht mit ihr. Er muss zur Arbeit und nichts ist gepackt. Scheiße, Mutter, brüllt es auf einmal aus ihm heraus, und er haut mit der Hand gegen die Tür. Aber die gibt nach, und er stolpert und fällt fast hin.

Über sich hört er es scharren, die Tauben, wer soll die füttern, das macht sonst sie, und fliegen müssen die auch. Geht heute nicht, geht alles gar nicht. Matuschek lässt sich auf den Stuhl sinken, der sein Frühstücksplatz ist. Was soll er jetzt machen, was macht man denn überhaupt ?

Draußen geht Licht an, das ist vom Russen, ist der schon auf ? Mutter mag ihn nicht, kaum sind wir sie los, kommen die wieder an, hat sie immer geschimpft, seit der Russe mit seiner Frau neben ihnen wohnt. Jetzt aber, denkt Matuschek, wenn man das noch Denken nennen kann, eher ist es ein Impuls, dem er folgt, als er ohne Jacke in die Kälte tritt. Es ist noch dunkel draußen.

Nicht der Russe öffnet, sondern seine Frau. Als sie Matuschek sieht, weicht sie zurück und macht gleich wieder zu. Er hört sie etwas nach hinten rufen und dann steht plötzlich der Russe da. Matuschek bringt bloß ein Wort raus und deutet mit der Hand auf sein Haus.

Was ist mit Mutter, fragt der Russe.

Mutter, sagt Matuschek wieder, entlang seiner Hand.

Also gut, sagt der Russe, ruft was ins Haus, zieht eine Jacke über und geht mit.

Das Schlafzimmer riecht nach ihr und etwas anderem. Matuschek macht erstmal Licht. Mutter liegt da und starrt an die Decke. Der Russe tut erstmal gar nichts, presst bloß die Hände zusammen und murmelt irgendwas. Dann geht er zum Fenster und öffnet es.

Bessere Luft, sagt er, auch für sie.

Er geht zum Bett und fährt ihr mit der Hand über die Augen. Die sind jetzt zu.

Komm, sagt er zu Matuschek, ist nicht mehr unsere Welt.

In der Stube drückt er ihn auf einen Stuhl.

Kaffee ?

Dann holt er sein Handy aus der Hosentasche und ruft den Arzt.

 

Als der Arzt kommt, steht Kaffee auf dem Tisch. Der Russe hat drei Tassen hingestellt und der Arzt nimmt gern eine. Der Arzt ist eine Ärztin und jung obendrein. Dass sie nicht von hier sein kann, merkt man am R, das rollt sie weiter hinten, aber anders als der Russe.

Todeszeitpunkt ist etwa gegen drei. Im eigenen Bett eingeschlafen. Das schaffen nicht mehr viele. Sie sind der Sohn, fragt sie den Russen. Der deutet auf Matuschek.

Sie sind der Sohn, fragt die Ärztin mit unveränderter Stimme, nur dass sie jetzt Matuschek ansieht. Der hebt den Kopf und nickt. Dann nimmt er die Milchtüte vom Tisch und will sie der Ärztin reichen, aber die sagt, danke, keine Milch.

Zucker ?

Auch nicht. Sie müssen das hier unterschreiben.

Matuschek nimmt den Stift und setzt seinen Namen ans Ende des Blattes. Seine Unterschrift wird zittrig, es ist auch ihr Name.

Mein Beileid. Sie können jetzt den Leichenwagen rufen. Zu welchem Bestatter gehen Sie ?

Matuschek guckt sie nur an.

Die Ärztin wartet kurz, dann schaut sie zum Russen.

Wir kümmern uns, sagt der Russe.

Gut, sagt die Ärztin, für die Leichenschau muss ich Ihnen leider etwas berechnen. Zur Feststellung des Todes.

Sie trinkt einen Schluck, wartet und schaut wieder zum Russen. Der berührt Matuschek leicht an der Schulter.

Matuschek steht auf und schlurft zu ihrem Nähtisch. In der mittleren Schublade bewahrt sie immer das Geld auf. Er tastet, bis er die zusammengerollten Scheine findet, dann gibt er der Ärztin das Bündel und setzt sich wieder auf seinen Stuhl. Die Ärztin zieht ein paar Scheine heraus und gibt ihm den Rest zurück.

Ihre Quittung. Alles Weitere besprechen Sie bitte mit dem Bestatter. Nochmal mein Beileid.

 

Als die Ärztin sich verabschiedet, bleibt er sitzen. Der Russe telefoniert wieder, aber das ist weit weg. Wieder hält oben ein Auto, schwarz diesmal, mit langem Heck. Die zwei Männer, die da aussteigen, tragen Anzüge. Der Russe empfängt sie, spricht mit ihnen und leitet sie ins Schlafzimmer. Matuschek kann das durch die Flurtür sehen. Mittlerweile ist es nicht mehr dunkel, aber hell wird es auch nicht, geschlossene Wolkendecke heute und eine Temperatur um den Gefrierpunkt. Nicht mal richtig geschneit hat es, liegt nur Griesel auf dem welken Gras. Sie gehen wieder raus, um eine Trage zu holen. Als sie damit zurück zum Auto gehen, liegt Mutter drauf.

Der Russe ist die ganze Zeit geblieben, aber jetzt steht er auf, geht in den Flur und nochmal in ihr Zimmer. Es klickt, dann ist das Licht aus und der Russe zurück.

Komm mit, sagt er, was du jetzt brauchst, ist Schnaps, in deinem Haus ist es zu kalt dafür.

Beim Aufwachen sitzt Matuschek ein Wespenschwarm im Schädel, obwohl doch Winter ist. Er steht auf und geht vor die Tür, vielleicht verzieht sich dann der Schwarm. Draußen ist es glatt, über Nacht muss es gefroren haben, der wenige Schnee ist verharscht. Matuschek stellt sich an die Hecke und will gerade eine Anklage in den Schnee pissen, da kommt der Russe raus.

Das ist gestern alles sehr unglücklich gelaufen, sagt er, wir sind doch Freunde ? Und fängt auf einmal laut an zu lachen, weil Matuschek ihn nur blöd anschaut und lieber schnell die Hose hochzieht. Towarischtsch, du siehst furchtbar aus, komm nachher zum Mittag rüber, es gibt Hecht.

 

Gestern ist Matuschek einfach mitgegangen. Du musst trinken, hat der Russe gesagt, aber nicht allein, nur wer allein trinkt, ist auch Alkoholiker.

Er holt zwei Gläser und eine Flasche Klaren aus der Vitrine und stellt sie auf den Tisch.

Ist guter Wodka aus der Heimat, nicht das Zeug von hier.

Matuschek zögert, es ist früh und er hat noch nichts gegessen, aber an Essen ist gerade nicht zu denken, also nickt er nur, leert sein Glas und stellt es wieder hin, damit der Russe nachschenkt.

Nun mal langsam, brummt der und ruft was in die Küche.

Sie sitzen im Wohnzimmer auf der Couch. Die Couch gefällt ihm. Sie geht über Eck, dass man sich auch gut hinlegen kann, und am liebsten würde er das jetzt tun, doch da sind überall Kissen, also bleibt er sitzen. Er sieht sich um. Der Couchtisch ist aus Glas und hat ein Unterfach für Illustrierte. Obenauf liegt eine übers Angeln, das interessiert Matuschek, da schaut er gleich mal rein. Ein Mann mit einem Hecht im Arm hält dessen Maul in Richtung Linse. Auch die Vitrine an der Wand ist aus Glas, auf ihr stehen Fotos in Schwarzweiß, daneben das Bild einer Frau mit Heiligenschein, davor ein paar gelbe, dünne Kerzen.

Was soll das, fragt Matuschek und deutet drauf.

Erinnerungen, sagt der Russe, was man so mitnehmen kann.

Matuschek steht auf und geht nah ran. Auf einem Foto ist der Russe jung und wird von einer Frau im Arm gehalten. Auf einem anderen hat er bereits den Arm um sie gelegt. Das letzte Bild zeigt sie allein, eine krumme Gestalt im Kittel, die Haare streng zum Knoten gesteckt. Irgendwann sehen sie alle gleich aus.

Wo ist sie jetzt, fragt er.

Ist da geblieben.

Ich mein meine.

Towarischtsch, sagt der Russe und sieht ihn bestürzt an, tut mir leid, ich sitz hier rum und schwatz dich voll.

Er schraubt die Flasche auf und gießt noch einmal ein. Dann steht er auf und holt einen Becher mit Würfeln aus der Vitrine.

Handgeschnitzt, sagt er und lässt sie über die Finger rollen. Einen legt er vor Matuschek auf den Tisch. Ich schenk sie dir, aber erstmal würfeln wir.

Warum, fragt Matuschek.

Was du jetzt brauchst, ist Glück.

Du hast doch Glück, sagt Matuschek mit Blick auf dessen Frau, die gerade mit einem Tablett aus der Küche kommt. Sie stellt eine Schale mit Trockenfisch hin, hebt kurz die Gläser an und sagt was, weil sich um Matuscheks Glas ein nasser Kreis gebildet hat. Matuschek hört nicht, dass sie schimpft, sieht nur beim Bücken ihre Brüste vorrutschen. Er mag es, wenn Frauen gut bestückt sind. Er kratzt sich am Bauchnabel. Die Frau vom Russen hat wirklich mächtig Holz vor der Hütte.

Towarischtsch, sagt der Russe, der seinen Blick gesehen hat, die Frauen schimpfen ohne Unterlass. Wir müssen dir eine suchen, dann merkst du es selbst. Er sagt etwas auf Russisch zu seiner Frau, sie antwortet gereizt und geht zurück in die Küche.

Matuschek glotzt ihr auf den Hintern, bis sie verschwunden ist. Der Russe nimmt die Fernbedienung und stellt den Fernseher an. Männer fahren in Monstertrucks über Eis. Einer gerät ins Rutschen, sein Hänger schert aus, während der Fahrer am Lenkrad kurbelt und brüllt. Matuschek versteht nicht, was der Mann sagt, auch den Kommentar versteht er nicht, und vom Lesen der Untertitel werden ihm die Augen schwer. Langsam muss er mal was essen. Er greift in die Schale und nimmt einen Trockenfisch. Der schmeckt salzig. Er greift nach seinem Glas, greift einmal daneben, da kommt die Frau wieder rein. Sie hat ein Tuch in der Hand, hebt die Gläser an und wischt sie unten ab. Matuschek kann ihr Parfüm riechen. Es ist schwer und süß, und wenn sie sich bewegt, sendet ihr Körper Wölkchen aus, die ihm den Atem nehmen. Sie wischt noch einmal über die Tischplatte, dann ist sie fertig und setzt sich zwischen ihn und den Russen auf die Couch. Der Russe sagt etwas zu ihr, doch sie antwortet nicht, sondern starrt auf den Bildschirm.

Kein Hecht heute, Towarischtsch, sagt der Russe, wir haben die Hausherrin gegen uns.

 

Matuschek macht das alles zu schaffen. Er ist betrunken und müde obendrein, so dass es beim Aufreißen der Lider immer nur für einen kurzen Blick zum Fernseher reicht. Der Truck hat sich festgefahren, die Kamera hält auf den Mann, wie er schaltet und flucht und Zentimeter für Zentimeter navigiert. Matuschek drückt sein Knie gegen das der Frau. Sie schreit und springt auf, warum schreit die denn, denkt er und zieht das Knie zurück. Schreien können sie alle, und es klingt überall gleich, aber die hier hört gar nicht mehr auf. Sie steht vor dem Russen und fuchtelt mit der Hand in seine Richtung. Der Russe erhebt sich, er will eigentlich nicht, aber seine Frau hört nicht auf zu keifen, also steht er auf, packt Matuschek am Arm und setzt ihn vor die Tür.

Es dauert ein paar Minuten, bis er weiß, wo er ist. Er merkt es eigentlich erst am Schnee unter seinen Händen, ist gar nicht kalt, der Schnee, wenn er ihn verwischt, schöner Schnee. Da geht die Tür nochmal, der Russe ist es, er packt ihn und stellt ihn auf die Beine und dreht ihn Richtung Haus.

Ab mit dir, sonst hab ich dich morgen noch vor der Tür. Der Russe gibt ihm einen Schubs. Matuschek nickt und trottet los. Sein Zeitgefühl hat sich längst verabschiedet, aber der Kompass funktioniert und führt ihn bis in sein Wohnzimmer auf die Couch. Menschenskinder, das wird brummen morgen.

Es brummt nicht, es gurrt und raschelt hinter der Dachbodentür. Matuschek weiß nicht mehr viel von dem, was gestern war, und will es auch gar nicht wissen, dafür tut der Kopf zu weh. Aber seine Tauben vergisst er nicht, um die muss er sich kümmern. Tauben sind Morgentiere, vor dem Füttern müssen die raus.

Es ist noch dunkel im Schlag. Die Sonne ist längst aufgegangen, aber heute ist wieder für den ganzen Tag geschlossene Wolkendecke angesagt. Die Front zieht nur langsam ab. Alle Tauben sitzen pärchenweise in ihren Nistfächern. Als sie ihn sehen, fangen sie an zu gurren und nicken mit dem Kopf. Matuschek geht am Nistregal vorbei zum Ausflug und öffnet die Klappe. Sofort dringt kalte Luft herein. Luft ist gut, Matuschek hält erstmal selbst den Kopf raus und schüttelt sich. Die Tauben heben ihre Flügel und werden unruhig. Eigentlich ist es noch zu kalt und die Sicht zu schlecht, aber es sind wieder einige Junge dabei, und vor dem Fressen müssen die fliegen, damit die sich gleich mal dran gewöhnen, wieder in den Schlag zu springen. Er tritt zur Seite, schon kommen die ersten, schlüpfen durch die Luke, sitzen noch kurz auf der Klappe und heben dann ab. Als alle raus sind, tritt er wieder an die Luke und schaut ihnen nach. Für einige Minuten bilden sie eine veränderliche Wolke über dem Haus, dann dreht der Schwarm ab.

Es rührt ihn, sie fliegen zu sehen. Auf seine Tauben kann er sich verlassen. Die kommen wieder und wenn nicht, liegt das nicht an ihm, sondern am Habicht oder den Windrädern, die mittlerweile wie Pilze aus dem Boden schießen. Die toben sich jetzt mal ordentlich aus, in der Zwischenzeit macht er hier sauber.

Matuschek nimmt den Besen und fegt den verklumpten Sand zusammen. Er schiebt alles zu einem Haufen, nimmt es mit der Kehrschaufel auf und lässt es in den Eimer fallen. Dann kippt er die Wassernäpfe über die Dachpfannen aus, so dass sich eine Eisschicht bilden kann und der Marder keinen Halt findet. Ist ein Tipp von Witt, der weiß mehr über Tauben als die Tauben selbst.

 

Die Tauben gehören zu Matuschek, seit er vierzehn ist. Nach der Jugendweihe hat Vater ihn an der Schulter gefasst und zu ihm gesagt, nun komm mal mit, und ist mit ihm auf den Dachboden und hat die Tür geöffnet, die sonst immer verschlossen war.

Das Gerümpel ist weg, dafür stehen da zwei Transportkörbe, aus denen es gurrt. Da, sagt Vater nur und zeigt auf die Tauben, und als Matuschek ihn fragend ansieht, fügt er hinzu: sind deine, und als er immer noch nichts sagt: Oder sollen die gleich im Kochtopf landen ? Sind von Witt, aber den Schlag hab ich gebaut. Reinsetzen musst du sie selbst.

Dann ist er wieder raus und Matuschek mit den Tauben allein. Er hockt sich vor die Körbe. Die Tauben laufen unruhig hin und her und schlagen mit den Flügeln.

Ganz ruhig, sagt Matuschek und streckt die Hand aus, ganz ruhig, als er einen nach dem anderen öffnet.

Er macht die Tür zu, lehnt sich mit dem Rücken dagegen und verschmilzt mit der Wand, bis sie ihn nicht mehr bemerken. Nur der Staub bewegt sich innerhalb der Linien, die das Licht durch die Dachritzen schickt. Taube auf Taube hüpft raus, sitzt eine Weile am Boden und flattert schließlich auf. Noch ist nicht klar, ob Männchen oder Weibchen, aber das wird sich gleich ändern. An die Wand hat Vater ein Regal gebaut, mit Fächern, in denen Schälchen stehen. Die erste Taube setzt sich ins oberste Fach. Sofort folgt ihr eine weitere und treibt sie wieder runter auf den Boden. Dort plustern sich beide auf und verbeugen sich ruckartig, während die Schwanzfedern wie Fächer über die Dielen schleifen. Auf einmal stürzen sie los, schlagen mit Flügeln und Schnäbeln aufeinander ein, bis einer zurückweicht und mit den Flügeln zittert. Sofort lässt der andere von ihm ab und fliegt wieder hinauf. Der Verlierer bleibt noch etwas sitzen und fährt sich mit dem Schnabel durchs Gefieder, bevor er sich ein Schälchen weiter unten sucht. Eine weitere Taube fliegt auf und setzt sich ins oberste Regal dazu. Das Männchen, das bis eben noch gekämpft hat, fängt nun an zu gurren, dreht und verbeugt sich und richtet sich wieder auf, vertreibt die Taube aber nicht.

Matuschek bleibt sitzen, bis alle sich verteilt haben, erst dann steht er auf. Die Tauben bleiben ruhig, als er geht. Es sind nun seine. Er sagt ihnen das, und manche heben dabei die Flügel. Er hat’s sonst nicht so mit dem Reden, aber hier ist alles klar.

Abends schenkt Vater ihm ein, bis Matuschek sich übergibt.

Nicht dass du denkst, du weißt Bescheid. Und um die Tauben kümmerst du dich allein. Meine Idee war das nicht, also gehst du morgen zu Witt und bedankst dich.

Matuschek nickt blass in Richtung Vater und schleppt sich ins Bett. Sein Magen ist leer wie sein Kopf, da ist viel Platz für die Tauben, die sanft mit den Schnäbeln gegen den Schädel stoßen.

Während er Futter einstreut, klingelt es. Matuschek nimmt den Eimer mit runter, geht wortlos an Witt vorbei und kippt den Sand auf den Kompost. Dann geht er ins Bad und lässt frisches Wasser in den Eimer. Auch Witt sagt nichts, schließt aber die Tür hinter sich und wartet, bis Matuschek die Treppe wieder hochsteigt. Jetzt erst folgt er ihm. Witt kennt die Wege und die Zeiten sowieso, darüber müssen sie nicht reden. Der steht jeden Morgen um halb sechs auf und geht noch vor dem Frühstück in den Schlag. Im Sommer lässt er sie gleich hinaus, im Winter ist es dafür noch zu dunkel. Wenn die dann fliegen, prallen sie irgendwo gegen oder bleiben hängen, reißen sich was auf und finden nicht zurück. Für den Winter hat er die Voliere, dann sind sie trotzdem an der Luft.

Bei Witt in der Küche hängt ein Kalender, in dem steht genau, wann jeden Tag die Sonne aufgeht. Wie wär’s mal mit ausschlafen, denkt Matuschek, dann stünde der Alte auch nicht so früh bei ihm auf der Matte, arbeiten muss der schon lang nicht mehr. Den haben sie damals gleich zuerst entsorgt. Matuschek wär gern an Witts Stelle, er selbst hat noch fünfundzwanzig Jahre, wenn er Pech hat, sogar mehr. Aber Witt hat nen Stock verschluckt, der kann nicht anders, der geht ein ohne seine Organisation.

Was wird nun, fragt Witt.

Matuschek gießt langsam das Wasser aus dem Eimer in die Tränke.

Was soll sein ?

Kriegst du das hin ?

Sie unter die Erde zu bringen ? Macht der Bestatter schon.

Wo du jetzt allein bist.

Hab doch die Tauben.

Wenn du Hilfe brauchst.

Erstmal geh ich wieder arbeiten.

Matuschek dreht Witt den Rücken zu, damit der ihn nicht beim Sprechen sieht. Mutter ist weg, darüber reden will er nicht, also bitte nur bis hierher und nicht weiter. Er nimmt eine Dose in die Hand, stellt sich an die Luke und schlägt mit einem Holzstab rhythmisch dagegen.

Die erste Taube landet auf dem Dach. Matuschek tritt einen Schritt zurück. Sofort flattert die Taube vom Giebel aufs Einflugbrett und schlüpft in den Schlag. Es ist der Vogtländer, das sieht er sofort, schon wie der sich duckt. Der Vogtländer ist sein Ass. Den Namen hat der von seinem ersten großen Flug, als er als Schnellster zurückkam.

Matuschek greift in den Körnersack und hält ihm die geöffnete Hand hin. Der Vogtländer landet erst auf seiner Schulter, dann auf der Hand und fängt sofort an zu picken. Matuschek wartet, bis er fertig ist, dann greift er ihn und hält ihn fest, mit der linken Hand die Brust, mit der rechten den Schwanz, die Beine zwischen die Finger geklemmt. Der Vogtländer bleibt dabei ruhig. Nur das Herz lässt den Körper erbeben. Alles fest und straff. Die Augen glänzen und die Federn liegen geschlossen ums Brustbein.

An dem hast du was, sagt Witt und tritt näher.

Matuschek hebt den Vogtländer hoch und prüft die Kloake. Alles sauber. Selbst das Scheißen beherrscht der. Dann streicht er ihm mit der Hand über den Rücken und drückt ihn eng. Sofort streckt der die Füße nach hinten und stemmt den Körper dagegen.

Der kann fliegen. Ist immer als Erster zurück und selbst für den Habicht zu schnell.

Ein Glückstreffer, sagt Witt, das hat man nicht oft. Wenn der jetzt den Schwanz fächert und hoch, kannste vergessen, musste aussortieren. Der kann dann nicht Sonntag für Sonntag gut fliegen. Wenn du die Taube an der Brust hältst und die dich mit dem Schwanz erschlägt, ist das keine Reisetaube. So aber hat der das Zeug zum Stammvater. Den musst du gut verpaaren. Was hast du an Weibchen ?

Weiß nicht. Sollen die selbst machen. Der holt sich schon was Passendes.

Was Passendes. Das weißt du oft gar nicht. Was hat es vorher für Junge gegeben ? Das musst du wissen. Vielleicht ist das auch nur ein Blender, und die Jungen taugen nichts. Steck ihn am besten zu seiner Mutter.

Ich steck da nichts. Das macht der von allein. Soll doch auch ein bisschen Spaß haben.

Junge, dann wird das nichts. Dann hängt es immer nur vom Glück ab. Du hast ein Gespür für Tauben, aber ansonsten hast du den Schlendrian drin. Du willst doch auch mal ganz vorne mitfliegen. Dafür brauchst du Kontrolle.

 

Matuschek schweigt. Der Alte kann ihn mal gernhaben. Bei der Paarung hat Matuschek seine eigene Methode. Das überlässt er ihnen. Nicht mal vor den Flügen trennt er sie, sondern vertraut drauf, dass sie umso schneller zurückkommen, wenn ein Gelege bebrütet wird.

Er hat gar keine, sagt Witt immer, aber das stimmt nicht. Wer der Stärkste ist, sieht er auch so, der Stärkste sitzt ganz oben. Das führt am Anfang zu Rangeleien, aber ist das mal entschieden, ist auch schnell wieder Schluss damit. Es wechselt nur eben, wie alles im Leben, warum soll es den Tauben anders gehen ? Sie sollen wissen, wofür sie fliegen. Nur Vögel, die sich wohlfühlen, entwickeln einen starken Heimkehrwillen.

Das sind die Konstanten in Matuscheks Leben. Alles folgt einem festen Rhythmus, das Paaren, das Brüten, das Füttern, im Sommer das Fliegen. Auch die Arbeit läuft in Schichten ab. Das sind die Konstanten, aber dazwischen ist viel Platz, dass man sehen kann, was fehlt, und jetzt mit Mutter sieht man es wieder eine Spur zu viel.

 

Mittlerweile sitzen alle Tauben wieder in ihren Nistschalen. Matuschek zählt einmal durch. Keine fehlt. Seine Tiere. Es tut ihm in der Seele weh, wenn er welche töten muss, er macht das nicht gern und sieht beim Halsumdrehen auch nicht hin. Ein Ruck und es ist zappenduster. Wenigstens geht es schnell.

Es hustet trocken hinter ihm, aber Matuschek dreht sich nicht um, obwohl er spürt, dass der Alte ihn ansieht. Als würde sich ein Loch in seine Schulter brennen. Vielleicht fragt er ihn einfach, ob das möglich ist, schließlich war der lang genug im Kraftwerk dabei. Mittlerweile hat er eine ordentliche Wut auf Witt. Was weiß denn der vom Ficken. Kann doch gar nicht mehr. Konnte vielleicht noch nie oder wollte nicht. Seitdem der raus ist, gibt es Gemunkel: Warum arbeitet der nicht ? Gibt wohl nichts mehr zu kontrollieren. Dem haben sie damals gleich den Stecker gezogen, das kam schon einem Rausschmiss gleich. Aber das will der nicht hören, dann wird der sofort fuchtig.

Gesoffen haben die, zischt er dann, und ich hab aufgepasst, dass die keinen Unsinn anstellen, der reinste Kindergarten war das. Aber gedankt hat es einem niemand. Ohne Überwachung keine Sicherheit, das will heute keiner mehr wissen. Nur irgendwann kommen sie alle wieder an und sagen: Hätten wir das geahnt. Aber mit Ahnen ist da nichts. Wissen muss man, um vorbereitet zu sein.

Matuschek macht das nichts, solange Witt ihm mit den Tauben hilft. Witt plant die Auflässe, führt die Listen und fährt im Transportwagen als Begleiter zum Auflassort, also passt es zwischen ihnen, obwohl der Alte nur noch warmes Wasser trinkt und sich auch sonst so einiges angewöhnt hat. Wer’s braucht, denkt Matuschek, schließlich war er immer mittendrin und sie alle nur drum herum. Er jedenfalls braucht es grade gar nicht, dass ihm jemand in den Kram redet, also lässt er den Alten abblitzen. Soll der doch sein Loch woanders hinstarren.

Sieh zu, dass du deine Tauben hinkriegst, sagt Witt jetzt in Matuscheks Rücken. Den Tauben muss es gut gehen.

Er hustet nochmal, aber Matuschek dreht sich nicht um, bis unten die Tür geht, erst dann schaut er ihm vom Dachfenster aus nach. Alles an Witt ist beige, nur die Mütze ist schwarz. Hager ist der, aber läuft, als hätt er nen Stock im Arsch. Soll er halt. Matuschek sieht ihm nach, bis Witt das Tor verschlossen hat, dann macht er die Luke zu und will runter, aber vor der Treppe steht eine Tasche. Matuschek hebt sie an, etwas Sperriges drückt von innen gegen sein Bein, also zieht er den Reißverschluss auf und schaut nach. Drinnen sind ein Campingkocher und ein Radio, dazu Batterien, ein paar Pappteller und Besteck aus Plastik, Handschuhe und Mülltüten, Streichhölzer, Kerzen, eine Taschenlampe, Tabletten gegen Fieber, eine Packung feuchtes Klopapier. Als Letztes eine Broschüre, Für den Notfall steht darauf.

Notfall, brummt Matuschek, ist der Alte jetzt völlig verstrahlt ?

Der Russe ist mit seiner Frau gekommen. Sie treten vor, verbeugen sich, legen den Kranz nieder und setzen sich nach hinten, obwohl sonst niemand da ist. Dafür hat der Russe ein Gespür, von Anfang an, für den Anfang wie fürs Ende hat der ein Gespür. Das fällt auch Witt auf, er zieht die Brauen hoch, aber Matuschek reagiert nicht, sondern bleibt allein in der ersten Reihe sitzen und starrt die Urne an. Die Hose kneift am Bund, das Hemd spannt, er muss die Schultern eng halten, und unter dem Schlips pocht die Halsschlagader. Anzug ist nicht seins, aber Witt hat gesagt, er muss, also hat er aus Mutters Kleiderschrank den von Vater genommen, der da noch immer hing. Auch Vater hatte ihn nur zu Hochzeiten und Beerdigungen an.

Die Urne hat Witt ausgesucht. Nimm die kleinere, die ist billiger. Sie sind entweder kupferfarben oder schwarz-beige, und Matuschek steht davor und weiß es nicht.

Die meisten nehmen für ihre Eltern die kupferfarbene, sagt der Bestatter.

Nimm die kleine, sagt Witt, das wird noch teuer genug.

Fast niemand nimmt heute noch einen Sarg, sagt der Bestatter. Die meisten stellen es sich unangenehm vor, dass der ganze Körper in die Erde kommt. Und die Grabpflege danach darf man auch nicht vergessen. Eine Urne ist sauberer, und bei der Trauerfeier kann man ein Foto danebenstellen.

Witt bleibt sitzen, als der Bestatter rausgeht und eine Frau reinkommt.

Erzählen Sie, sagt die Frau.

Matuschek schaut sie an.

Von Ihrer Mutter. Es geht mir darum, sie kennenzulernen. Lassen Sie sich Zeit.

Er schaut in die Luft, ohne etwas zu fixieren. Drinnen regt sich was. Mutter, wie sie Unkraut hackt und seine Socken stopft. Die Volksmusiksendungen. Die Kreuzworträtsel in den Illustrierten. Die Fahrten zum Arzt und zum Supermarkt. Wie sie ihm sagt, was er in den Wagen legen soll. Ihr Rufen, wenn das Essen fertig ist. Seine Strafzettel und andere Rechnungen, die er ihr auf den Küchentisch legt und die sie wortlos begleicht. Bei Vater hat nur sie geredet, und er saß daneben.

Es dauert, bis er was sagt.

Sie war eben immer da. Einfach immer da.

 

Matuschek merkt, wie ihm der Druck in die Augen steigt. Da vorn steht sie und schaut ihn an. Unter ihr liegt der Kranz mit der Schleife: In tiefer Trauer. Dein dich liebender Sohn. Daneben das Gebinde von Witt: In tiefer Anteilnahme, und der Kranz vom Russen. Er hat kein Foto gefunden, auf dem sie lächelt. Matuschek sieht lieber an ihr vorbei, dann sieht sie ihn auch nicht. Die Musik spielt, die Trauerrednerin erzählt etwas, dann ist Schluss und die Trauerrednerin öffnet die Tür. Zwei Männer kommen rein und holen die Urne ab. Matuschek will sitzen bleiben, aber Witt tippt ihm auf die Schulter, also steht er auf und geht als Erster hinaus. Die Trauerrednerin streckt ihm die Hand entgegen, dann geht sie der Urne hinterher. Matuschek folgt ihr, danach kommt Witt und am Ende der Russe mit seiner Frau. Sie gehen an den Grabreihen vorbei bis zur grünen Wiese, wo an einer Stelle ein Loch ausgehoben ist, dann stoppt der Zug. Die Träger lassen die Urne in die Erde und die Trauerrednerin fordert Matuschek auf, Abschied zu nehmen. Er tritt an die Stelle und wirft die gelbe Rose hinein, die Witt ihm gegeben hat. Danach verabschiedet sie sich und Matuschek bleibt mit Witt, dem Russen und dessen Frau zurück. Die hat Klümpchen in den Wimpern und klammert sich an den Arm ihres Mannes. Der Russe tritt auf Matuschek zu.

Towarischtsch, es tut mir leid, eine Mutter hat man nur einmal.

Er tritt dicht an ihn ran und umarmt ihn und küsst ihn einmal auf jede Wange. Matuschek fühlt sich gepackt, er spürt den Bart des Russen und den warmen Knoblauchatem. Die Frau bekreuzigt sich und schluchzt. Der Russe lässt von ihm ab und wendet sich Witt zu.

Guten Tag, sagt Witt, Sie sind der Nachbar.

Igor, sagt der Russe und streckt die Hand aus.

Witt zögert und Matuschek ist gespannt. Witt gibt nie die Hand.

Hubert Witt, sagt der endlich, guten Tag. Und legt kurz seine Hand in Igors.

Meine Frau Galina, sagt Igor, und Witt streckt auch ihr die Hand aus, nachdem er sieht, dass sie Handschuhe trägt. Dann tritt sie zu Matuschek und küsst ihn auch kurz auf die Wangen, wieder mit Knoblauch und noch viel schwerem Parfüm dazu.

Wie geht es jetzt weiter, fragt sie.

Zu mir, sagt Matuschek, erstmal zu mir.

Es ist das erste Mal, dass er das sagt.

In der Küche gibt Igor seiner Frau ein Zeichen. Die zieht ihre Handschuhe aus und räumt das dreckige Geschirr zusammen, kippt Essensreste in den Müll und lässt Wasser in die Spüle, während die Männer ins Wohnzimmer gehen.

Matuschek setzt sich auf seinen Platz und wartet. Witt stellt sich hinter einen Stuhl und stützt die Hände auf der Lehne ab. Am Fernseher leuchtet ein roter Punkt.

Den musst du immer ganz ausstellen, sagt er und drückt den Powerknopf. Das kostet alles Strom. Und strahlen tut es auch.

Na wennschon, sagt Matuschek. Und wo wir einmal dabei sind, die Tasche kannste wieder mitnehmen. Brauch ich nicht.

Behalt die mal.

Wofür ?

Es reicht, wenn der Strom ausfällt. Was tust du dann ?

Dann geh ich erstmal pissen.

Witt steht da mit offenem Mund wie ein Karpfen, dem man den Haken aus dem Maul pult, das gibt Matuschek immerhin ein gutes Gefühl. Gleich fängt der wieder seine Tiraden an, aber dazu kommt es nicht, weil in dem Moment Galina Kaffee und Kuchen auf den Tisch stellt, dass der Alte gucken kann, bis er Maulsperre kriegt.

Woher hast du ? Matuschek sieht Igor an.

Muss sein, Towarischtsch, muss sein.

 

Galina wäscht noch ab und stellt das Geschirr zum Trocknen neben die Spüle. Danach ist Aufbruch. Von Igor gibt es einen Klopfer auf den Rücken, von Galina einen Händedruck, von Witt ein knappes Nicken. Dann ist es still.

Er geht zurück ins Wohnzimmer, setzt sich auf seinen Platz ihr gegenüber und wartet. Er ist doch ihr Sohn, auch wenn sie ihm nichts mehr zu sagen hat, bleibt er immer noch ihr Sohn. Aber es gibt keine Geräusche mehr außer seinen. Er muss erst an den Kühlschrank gehen und sich eins von den Bieren nehmen, die Igor dort reingestellt hat, damit er etwas hört. Seit Jahren haben sie zusammen gewohnt: ein Wohnzimmer, ein Elternschlafzimmer und der Boden für ihn. Er macht den Fernseher an, weil der immer lief, wenn er von der Schicht nach Hause kam. Das Gerät ist noch auf ihren Sender eingestellt. Eine Weile lässt er ihn laufen, dann nervt ihn das ewige Geschunkel und er wählt einen anderen Kanal. Aber auch hier sitzen sie nur zusammen und reden über Erziehung. Das braucht er jetzt gar nicht.