Meine Wahrheit 7 – 50 Seiten Private Bekenntnisse

Meine Wahrheit –7–

50 Seiten Private Bekenntnisse

Roman von Diverse Autoren

Impressum:

Epub-Version © 2016 KELTER MEDIA GmbH & Co. KG, Sonninstraße 24 - 28, 20097 Hamburg. Geschäftsführer: Patrick Melchert

Originalausgabe: © KELTER MEDIA GmbH & Co.KG, Hamburg.

Internet: http://www.keltermedia.de

E-mail: info@kelter.de

Dargestellte Personen auf den Titelbildern stehen mit dem Roman in keinem Zusammenhang.

ISBN: 978-3-74091-512-4

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Geschichte 1

Krankhafte Eifersucht

Roman von Jana R. (28)

»Selbst zum Elternsprechtag darf ich nicht alleine.«

Als junge Mutter allein mit meinem Sohn Marvin hatte ich einen schwierigen Start gehabt.

In Tim hatte ich endlich wieder einen Partner gefunden, auf den ich mich verlassen konnte. Doch als die Beziehung enger wurde, ließ er mir keine Luft mehr zum Atmen.

Wo gehst du hin, Jana?«, klang Tims Stimme aus der Küche. Mein Freund war wie immer zum Essen in der Mittagspause nach Hause gekommen. In Gedanken versunken hatte ich meine Tasche in der Diele geholt.

»Ich muss los. Mein Elternsprechtagstermin ist schon in einer halben Stunde. Und danach bringe ich meiner Mutter noch die beiden Wasserkästen.«

»Warum hast du mir das nicht gesagt?« In seiner Stimme schwang ein Hauch von Ärger mit.

Ich war schon auf dem Weg zur Tür gewesen, kehrte jetzt noch einmal zurück und lugte verwundert um den Türrahmen. »Wieso?«

»Der Elternsprechtag geht mich doch wohl auch etwas an, oder? Immerhin leben wir schon seit vier Wochen in einer gemeinsamen Wohnung! Wir teilen unser Leben miteinander!«

»Oh, ja, das ist schon richtig. Entschuldige bitte. Ich bin seit Marvins Geburt acht Jahre mit ihm allein gewesen. Ich bin es einfach nicht gewohnt, dass sich noch jemand um ihn kümmert.«

»Dann solltest du dich langsam daran gewöhnen!« Aus seinem Tonfall konnte ich wieder leichten Ärger hören. »Jetzt ist es zu spät, jetzt kann ich nicht mehr freinehmen.«

»Ist doch nicht so schlimm. Beim nächsten Mal vereinbare ich den Termin so, dass du mitkommen kannst. In Ordnung?«

Besänftigt gab er mir einen Kuss, und ich machte mich auf den Weg zur Schule.

*

Vor der Klasse musste ich nicht lange warten. Als ich den Klassenraum betrat, erwartete mich eine Überraschung. Statt der Klassenlehrerin saß hinter dem Pult Herr Ohm, der Ergänzungslehrer. Er war für die Sprachunterstützung der schwächeren Schüler zuständig. Seine große, sportliche Erscheinung ließ das schwere Pult vor ihm wie einen Kinderschreibtisch wirken.

»Guten Tag, Frau Rabe!« Herr Ohm stand sympathisch lächelnd auf. »Es tut mir leid, dass Sie heute mit mir vorlieb nehmen müssen. Frau Schnitzler ist erkrankt. Da ich die Kinder nach ihr am besten kenne, vertrete ich sie.«

»Na, das ist ja immerhin eine nette Überraschung«, beruhigte ich ihn.

»Danke. Kommen wir also zu Marvin.« Er blätterte kurz in seinen Notizen. »Der Übergang in die dritte Klasse war problemlos. Eigentlich ist er in meinen Augen ein Kind ohne große Schwierigkeiten. Es wäre allerdings gut, wenn Sie hin und wieder mit ihm die englischen Vokabeln durchgehen könnten. Die Sprache ist ja für alle Kinder neu, und wenn sie von Anfang an begleitet werden, schaffen sie den Einstieg einfach leichter.«

»Kein Problem«, sagte ich zu und sah ihn erwartungsvoll an.

»Nun ja, das war’s eigentlich schon. Wie ich schon sagte: Er ist ein guter Schüler, und ich sehe keine Probleme«, wiederholte er. »Es gäbe da andere Eltern, die diesen Besuch dringender nötig hätten.«

»Da bin ich ja froh«, lachte ich erleichtert, stand auf und reichte ihm die Hand. »Dann sehen wir uns vermutlich beim Schulfest?«

»Vermutlich«, bestätigte er.

*

Glücklich verließ ich das Gebäude. Als ich mit gerade mal zwanzig Jahren schwanger geworden war und Marvins Vater uns verlassen hatte, hatte ich mich vor düsteren Prophezeiungen nicht retten können.

»Das Kind hat ja von vornherein keine Chance.«

»Das kann doch nicht funktionieren, wenn eine Mutter so jung ist und nicht einmal der Vater zu dem Kind steht.«

Diese und ähnliche Kommentare hatte ich immer wieder zu hören bekommen. Alle hatten Probleme vorausgesagt. Umso glücklicher machten mich solche Termine, wie dieser bei Herrn Ohm. Langsam lenkte ich den Wagen auf einen Parkplatz vor dem Haus, in dem meine Mutter wohnte. Mit einer kleinen, klappbaren Sackkarre schob ich die beiden Wasserkästen bis vor ihre Wohnung im Erdgeschoss.

»Danke, Jana. Was würde ich nur ohne dich machen?« Sie freute sie sich sichtlich, als sie mich sah.

Ich umarmte sie herzlich. »Ach, Mama, lass mal. Was hast du nicht schon alles für Marvin und mich getan? Ich war übrigens vorhin beim Elternsprechtag.« Glücklich erzählte ich von dem Termin. »Und stell dir vor, Tim war total verärgert, weil ich ihn nicht mitgenommen habe.«

Ein Schatten huschte über das Gesicht meiner Mutter. »Ist schon manchmal seltsam. Ihr kennt euch erst seit fünf Monaten, zieht so schnell zusammen, und er kümmert sich fast schon zu viel um alles.«

»Ich bin mir nicht sicher, ob es mir zu viel ist«, erwiderte ich. »Es ist nur ein merkwürdiges Gefühl für mich. Bisher habe ich immer alles allein bewerkstelligt. Mit deiner Hilfe natürlich. Dass sich jemand für meinen Tagesablauf interessiert, ist einfach ungewohnt für mich.«

Ich vertiefte das Thema nicht mehr, weil ich schon wieder auf dem Sprung war. Meine Kollegin Lisa hatte eine SMS geschrieben, weil sie ein Problem mit unserem neuen Abrechnungsprogramm hatte. Da ich das Programm von meinem vorigen Arbeitgeber kannte, war es für mich ein Leichtes, ihr innerhalb von fünf Minuten zu erklären, wie sie das Problem lösen konnte.

»So einfach ist das? Na, super! Danke, Jana! Übrigens hatte ich Tims Nummer heute Morgen wieder vier Mal auf dem Display. Aber du warst schon nicht mehr da, wegen des Elternsprechtags.«

»Vier Mal?«, wunderte ich mich. »Na, wenn man das mal nicht Engagement nennen kann! Ich habe ihn in der Zwischenzeit zu Hause getroffen. Er hat gar nichts davon gesagt, dass er angerufen hat.«

»Ein bisschen viel Engagement, finde ich«, kommentierte Lisa.

»Findest du wirklich?«

»In den vier Stunden, die du im Regelfall pro Tag hier bist, ruft er fast jeden Tag mindestens drei Mal an. Findest du das nicht viel?«

Ich dachte einen Moment nach. »Eigentlich schon. Aber das ist sicher nur in der Anfangsphase so. Das gibt sich bestimmt mit der Zeit.«

Mein Handypiepston unterbrach mich. Ich blickte kurz auf das Display, Lisa hob die Augenbrauen.

»Tim?«, fragte sie kurz.

»So ist es«, bestätigte ich.

»Siehst du? Das meine ich. Du kannst ja bald keinen Schritt mehr machen, ohne dass er anruft oder SMS schreibt.«

»Du übertreibst«, lachte ich und verabschiedete mich.

Auf dem Weg zur Schule gingen mir ihre und die Worte meiner Mutter jedoch noch einmal durch den Kopf. War es wirklich zu viel des Guten, wie Tim sich um mich und Marvin kümmerte? Als ich aber meinen Jungen glücklich mit seinem Matheheft in der Hand auf mich zurennen sah, vergaß ich diese Frage.

»Mama, ich habe eine Eins geschrieben!« Er freute sich.

»Ich sagte ja, Ihr Junge hat keine Probleme«, raunte Herr Ohm lächelnd im Vorbeigehen und winkte.

Marvin sah ihm einen Moment nach. »Der ist nett«, stellte er fest.

Das fand ich auch, machte mir aber keine weiteren Gedanken darüber. Wir mussten los. Tim würde bald schon von der Arbeit kommen, und wir wollten gemeinsam essen.

Kaum hatte ich vor der Haustür einen Parkplatz gefunden, als Tims Bruder Jan auf die Beifahrertür zustürmte. »Wo bleibst du denn? Ich wollte Tim seinen neuen Laptop bringen, und bei euch ist mal wieder keiner zu Hause!«

»Entschuldige mal bitte, erstens gehe ich arbeiten, und zweitens habe ich auch noch andere Termine!«

»Termine, von denen Tim nichts weiß. Das habe ich schon mitbekommen, was das für Zustände bei euch sind! Eins sag ich dir: Bei mir gäbe es so etwas nicht!«

»Also hör mal!«, empörte ich mich. »Das geht dich ja wohl gar nichts an!«

»Natürlich geht es mich etwas an! Tim ist schließlich mein jüngerer Bruder. Und wenn seine zukünftige Frau ihm auf der Nase herumtanzt, werde ich dazu sicher nicht schweigen.«

In der Zwischenzeit war ich ausgestiegen. Jan drückte mir das Paket mit dem Laptop in die Hand und ließ mich stehen wie ein Schulmädchen.

Ich schüttelte den Kopf. »Unglaublich, wie der sich aufführt!«, sagte ich halblaut zu mir selbst.

Marvin hatte alles schweigsam beobachtet und schüttelte jetzt den Kopf. »Der ist jedenfalls nicht nett«, stellte er fest und stieg aus.

Als Tim nach Hause kam, war das Essen fertig, und der Rest des Tages verlief harmonisch. Vielleicht war ich ja wirklich zu lange allein gewesen und hatte deshalb verlernt, mich mit einem Partner sinnvoll abzusprechen? Jedenfalls beschloss ich, auf Tims Bedürfnis einzugehen und ihn mehr in mein Leben einzubeziehen. Schließlich wollte ich mit ihm leben, und ich wollte, dass auch er sich in unserer Beziehung wohlfühlte. Also würde ich in Zukunft darauf achten, ihm zu erzählen, wie ich den Tag verbrachte.

*

Sechs Wochen später wartete ich vor der Schule auf Marvin. Ich hatte spontan beschlossen, ihn abzuholen, als Herr Ohm aus dem Gebäude trat. Als er mich sah, breitete sich sofort ein Lächeln auf seinem Gesicht aus.

»Guten Tag Frau Rabe. Schön, Sie zu sehen!«

»Danke, gleichfalls!« Ich freute mich über die freundliche Begrüßung.

»Marvin hat sich im Englischen übrigens in der Aussprache sehr gut gemacht. Wiederholen Sie die Vokabeln mit ihm?«

»Ja, so wie Sie es geraten haben«, antwortete ich und musste schon wieder einen Handyanruf von Tim unterdrücken.

»Er macht gute Fortschritte. Sie können auf Ihren Sohn sehr stolz sein.«

»Das bin ich auch, danke.«

Schon wieder das Handytonpiepsen. Jetzt hatte Tim eine SMS geschrieben. Ich warf einen flüchtigen Blick auf das Display.

Melde dich sofort!, las ich dort.

»Da will Sie aber jemand dringend erreichen«, kommentierte der Ergänzungslehrer. »Wollen Sie nicht drangehen?«

»Nein, jetzt nicht. Das ist schon der vierte Anruf dieser Art«, seufzte ich und schrieb schnell zurück: Bin gerade im Gespräch.

Herr Ohm wartete höflich, bis ich den Text abgeschickt hatte. »Marvin hat erzählt, dass Sie für eine Versicherung arbeiten, ist das richtig?«

»Ja, ich arbeite da im Vertragswesen.«

»Ich suche eine gute Versicherung für mein Fahrrad. Vielleicht könnten Sie mir da bei Gelegenheit helfen?«, bat er.

»Natürlich, gern. Morgen Nachmittag?«

»Passt prima. Wenn Sie möchten, können wir uns hier im Lehrerzimmer treffen.«

»Abgemacht«, bestätigte ich.

Er war wirklich sympathisch, dieser Herr Ohm. Er verabschiedete sich in dem Moment, in dem Marvin bereits aus der Tür spazierte. Er freute sich, als er sah, dass er abgeholt wurde. Ich machte noch einen kleinen Umweg über den Supermarkt. Tim, Marvin und ich liebten Kiwi, die dort heute im Angebot waren.

*

Wo warst du?«, grollte Tims Stimme mir schon in der Diele entgegen. Marvin verschwand sofort in sein Zimmer. Der aggressive Tonfall war nicht zu überhören gewesen. »Und warum drückst du meine Anrufe weg und rufst nicht einmal zurück? Was war das denn für ein ach so wichtiges Gespräch, wegen dem du nicht einmal ans Telefon gehen konntest?«

Ich war überrascht von seinem Ärger, der jetzt offenbar zur Wut hochkochte.

»Ich habe Marvin von der Schule abgeholt und da Herrn Ohm getroffen. Wir haben…«

»Ach? Herr Ohm also. Na der muss ja wichtig sein! Wichtiger also als ans Telefon zu gehen, wenn ich anrufe? Das ist ja spannend! Und was ist da in der Tüte?«

»Kiwi. Die habe ich für uns…«

»Ich habe dich nicht um Kiwi gebeten. Es war auch nicht abgesprochen, dass du auf dem Weg nach Hause noch woanders hinfährst!«, wetterte er jetzt.

»Warum regst du dich eigentlich so auf? Ich wollte uns allen nur eine Freude bereiten!«

»Eine Freude bereiten? Das nennst du eine Freude bereiten? Wenn du durch die Gegend gondelst, ohne das mit mir zu besprechen?«

Aus der Küche überraschte mich nun eine andere Stimme. Es war Jan, der jetzt in den Flur trat und sich einmisch-te. »Ich habe dir doch gesagt, die wird dir auf der Nase herumtanzen«, wandte er sich an seinen Bruder.

»Was machst du denn hier?«, wunderte ich mich.

»Meinen Bruder unterstützen, was denn sonst? Wenn seine Freundin sich stundenlang nicht meldet, werde ich ihm wohl noch Beistand leisten und Rat erteilen dürfen.« Er trat mit erhobenem Zeigefinger drohend auf mich zu.

»Eines sage ich dir: Wenn du meine Freundin wärst, würde ich dir schon Manieren beibringen. Zuerst mal hättest du bei mir gar kein Auto mehr!«

Jetzt wurde es mir langsam zu bunt! »Sag mal, spinnst du? Für wen hältst du dich eigentlich?«, fuhr ich Jan an und stellte klar: »Ob und wann ich Auto fahre, entscheide ich ganz allein! Dazu brauche ich dich nicht zu fragen!«

Jan nickte grimmig, sah dann Tim an und erklärte: »Siehst du, sie tanzt dir auf der Nase herum.« Damit ging er, von Tim begleitet, nach unten zur Haustür.

Den Rest des Tages sprach mein Freund kein Wort mehr mit mir.

*

Auch am nächsten Morgen herrschte zwischen uns steinerne Stille. Als er mich bei der Arbeit anrief, teilte er mir lediglich kurz und knapp mit, dass er mich nach der Arbeit unverzüglich zu Hause erwartete. Bis zu meinem Arbeitsschluss gegen Mittag sandte er noch mehrere SMS, um sich zu vergewissern, ob ich noch im Büro war und dass ich nur ja gleich nach der Arbeit nach Hause fuhr.

Plötzlich fiel mir Herr Ohm ein. Ich schickte Tim eine SMS mit der Info, dass ich vorher noch kurz in die Schule müsste. Eine halbe Minute später klingelte das Telefon. Lisa verdrehte bereits die Augen. Auch ihr gingen Tims ständige Anrufe und SMS auf die Nerven.

»Warum musst du schon wieder zur Schule?«, hörte ich Tim grollen.

»Weil ich gestern Herrn Ohm zugesagt habe, ihm bei der Wahl einer Versicherung zu helfen«, erklärte ich.

»Das erlaube ich nicht«, hörte ich am anderen Ende.

»Wie bitte?«

»Ich sagte, das erlaube ich nicht. Du kommst nach der Arbeit nach Hause. Ich will in meiner Mittagspause mit dir essen. Basta!«

Nun wurde ich sauer. »Tim, ich habe diesen Termin zugesagt, und ich werde diesen Termin einhalten. Wir können gern heute Abend wieder gemeinsam essen.«

Mitten in meinem Satz brach das Gespräch plötzlich ab.

»Hat er aufgelegt?«, fragte meine Kollegin.

»Offenbar hat er das.« Ich schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht, wie er darauf kommt, dass ich sein Eigentum bin und dass ich über jeden Schritt Rechenschaft ablegen muss!«

Lisa überlegte einen Augenblick.

»Und wenn du mal versuchst, mit seinem Bruder zu sprechen? Vielleicht weiß der ja einen Rat?«, schlug sie vor.

Ich winkte ab: »Um Himmels willen! Der ist noch um Längen schlimmer! Der stachelt Tim sogar noch an. Er ist der Meinung, Tim ließe mir zu viele Freiheiten!«

Lisa klappte für einen Moment die Kinnlade herunter. »Dann scheint das wohl ein familiäres Problem zu sein«, mutmaßte sie.

»Sieht so aus. Jedenfalls ist es ein Problem, das ich bisher unterschätzt habe.«

»Vielleicht hat er Angst, dich zu verlieren, oder er ist eifersüchtig? Und wenn du ihm mal eine Weile immer sagst, wo du bist? Vielleicht wird er dann etwas entspannter?« Lisa suchte mit mir nach einer Lösung des Problems.

»Ach, Lisa, das habe ich bisher so versucht. Aber statt besser wird es immer schlimmer. Ich werde heute Abend mit ihm offen darüber reden. So geht es schließlich nicht weiter«, beschloss ich.

*

Vorher fuhr ich nach der Arbeit jedoch zur Schule, wie ich es zugesagt hatte. Die richtige Versicherung für den sympathischen Ergänzungslehrer war schnell gefunden. Schon nach zehn Minuten wollte ich mich verabschieden.

»Eine Sache hätte ich noch, die ich gern kurz mit Ihnen besprechen würde.« Herr Ohm hielt meine Hand fest, die ich ihm bereits zum Abschied gereicht hatte.

Er blickte kurz verlegen auf unsere Hände, ließ mich dann los und räusperte sich.

»Mir ist in den letzten Wochen etwas an Marvin aufgefallen. Er interessiert sich wohl für ein Mädchen aus seiner Klasse und versucht, sie für sich zu gewinnen. Aber er versucht es auf eine merkwürdige Weise…«

»Was macht er denn?«

»Er folgt ihr auf Schritt und Tritt. Und wenn er sie auf dem Schulhof mal nicht sofort findet, setzt er ihr richtig zu. Er verhört sie fast schon, weil er wissen will, was sie gemacht hat, wo sie gewesen ist und so weiter. Ich habe den Eindruck, dass er dieses Verhalten…« Er stockte einen Moment und wusste offenbar nicht, wie er es ausdrücken sollte.

Ich half ihm, schlagartig ernüchtert: »…dass er dieses Verhalten irgendwo sieht und es nachahmt.«

»Genau«, stimmte er zu.

Langsam nickte ich und sah dann auf meine Uhr. »Tut mir leid, ich muss los«, sagte ich knapp und verließ das Lehrerzimmer.

*

Kaum war ich den ersten Kilometer gefahren, suchte ich mir einen Parkplatz am Straßenrand. Ich stellte den Motor ab, lehnte mich zurück und schloss die Augen. In meinem Kopf ließ ich die letzten Monate mit Tim Revue passieren. Wir hatten uns kennen und lieben gelernt. Und je näher wir uns gekommen waren, umso mehr kontrollierte er jede meiner Bewegungen. Und nun ahmte mein Sohn dieses krankhafte Benehmen schon nach!

Das musste ein Ende haben. Ich musste heute Abend mit Tim reden. Nachdem ich mich zu diesem Entschluss durchgerungen hatte, startete ich den Motor und fuhr los.

Doch zu einem ruhigen abendlichen Gespräch, wie ich es mir vorgestellt hatte, kam es nicht mehr. Tim war nach der Mittagspause nicht mehr zur Arbeit gefahren und wartete schon an der Wohnungstür auf mich.

»Was fällt dir eigentlich ein?«, fuhr er mich an, kaum dass ich die Tür hinter mir geschlossen hatte.

»Tim, lass uns bitte mal in Ruhe darüber…«

»Da gibt es nichts in Ruhe zu reden!«, brüllte er nun und schlug donnernd mit der Faust auf die Holzkommode im Flur. »Wenn ich dir sage, du kommst nach der Arbeit sofort nach Hause, dann kommst du nach der Arbeit sofort nach Hause!«

In diesem Moment hatte ich Angst vor ihm. Alle Gefühle, die ich für diesen Mann einmal gehegt hatte, starben in dieser Sekunde. Um ihn nicht weiter zu provozieren, sagte ich erst einmal nichts.

»Hast du nichts dazu zu sagen? Kannst du nicht einmal irgendetwas zu deiner Verteidigung vorbringen?«, brüllte er weiter auf mich ein.

Ich spürte, wie sich kalte Entschlossenheit in mir sammelte. So nüchtern, wie ich mich fühlte, klang auch meine Stimme, als ich ihm sagte:

»Ich brauche mich nicht zu verteidigen. Erst recht nicht für ganz normale Dinge und Vorgänge, wie sie in jedem Leben vorkommen. Ich bin nicht dein Eigentum, und ich werde es niemals sein. Lange habe ich geglaubt, du würdest deinen Kontrollzwang aufgeben, wenn ich dir immer sage, wo ich bin. Stattdessen wirst du immer schlimmer, und sogar mein Sohn nimmt dabei Schaden.«

Eine Sekunde lang stand er vor mir wie vom Donner gerührt. »Was willst du damit sagen?«

»Damit will ich sagen, dass wir beide keinen Tag länger eine Wohnung teilen. Was ist dir lieber: Gehst du oder soll ich mit Marvin zu einer Freundin ziehen?«

Wütend lief mein Freund feuerrot an. Ich dachte, er würde im nächsten Moment auf mich losgehen. Doch er riss sich zusammen. Mit einem Ruck drehte er sich um, stampfte ins Schlafzimmer, riss eine Reisetasche aus dem Schrank und stopfte grob etwas Kleidung hinein. Innerhalb von fünf Minuten hatte er die Wohnung verlassen.

Seither habe ich von ihm kein Wort mehr gehört. Sicherheitshalber habe ich das Schloss an der Wohnungstür sofort austauschen lassen. Termine zur Abholung seiner Sachen haben wir nur noch per SMS vereinbart.

So leer die Wohnung jetzt ist und so sehr ich mir einen Partner an meiner Seite gewünscht hatte, so klar war mir geworden, dass ich mich niemals ganz für eine Partnerschaft aufgeben würde. Und erst recht nicht würde ich das Wohl und die Entwicklung meines Kindes dafür aufs Spiel setzen.

– ENDE –

Geschichte 2

Dramatische Stunden

Roman von Ariane T. (52)

»Ein schlimmes Unglück rettete mein Leben.«

Ein Unfall auf einsamer Strecke krönte meinen rabenschwarzen Tag – so dachte ich. Doch der geplatzte Reifen hatte mein Leben gerettet!

Mein Blick fiel auf den Kalender. Ich glaubte nicht an Unglückstage, aber irgendwie macht das heutige Datum seinem Ruf alle Ehre: Freitag, der Dreizehnte.

Katrin legte eine Hand auf meine Schulter. »Nimm es dir nicht so zu Herzen, Ariane«, klang ihre tröstende Stimme in meine Frustration hinein.

»Du hast gut reden«, antwortete ich leise. »Ständig hackt er auf uns herum!«

»Stimmt schon. Aber du weißt doch, dass Herr Mehlen junior deine Arbeit eigentlich schätzt. Er ist nur so grantig, weil seine Frau die Scheidung eingereicht hat.«

»Kann sein, aber ich bin nicht seine Frau. Soll er doch die anranzen!«, maulte ich geknickt. »Dieser junge Schnösel will mir noch erzählen, wie man meinen Job macht!«

»Der Schnösel ist fünfundvierzig…«, wandte Katrin mit hochgezogenen Augenbrauen ein.

»Und damit acht Jahre jünger als ich.«

Es war wirklich nicht fair. Schon seit drei Wochen ließ unser Juniorchef an uns Sekretärinnen kein gutes Haar mehr. Es passierte mir wirklich selten, dass in einem Schreiben mal ein Punkt fehlte oder sonst irgendetwas nicht in Ordnung war. Aber statt sich zu freuen, dass Katrins und meine Fehlerquote so gering war, krittelte er an jeder Kleinigkeit erbsenzählerisch herum. Es verging einem wirklich die Freude am Arbeiten.

»Fährst du heute wieder auf den Campingplatz?« Katrin wechselte das Thema.

»Ja, das brauche ich dieses Wochenende. Einfach mal nichts mehr hören und sehen. Das wird mir guttun.«

»Und macht dich fit für die neue Woche«, versuchte sie, mich aufzumuntern.