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Über das Buch

»Le Minh Khue beschenkt uns mit einem kostbaren und seltenen Insiderblick auf Vietnam.« The Columbus Dispatch

 

»Die vietnamesische Schriftstellerin zeigt sich als souveräne und feinsinnige, dabei trocken-knappe Stilistin mit einem subtilen Sinn fürs Dunkle und Satirische.« The New York Times Book Review

 

Die vietnamesische Schriftstellerin Le Minh Khue beschreibt die Wirkung von Krieg und Machtmissbrauch im Alltag, im familiären Rahmen. Hier zeigt sie in zwei Erzählungen, wie Menschen ohnmächtig und vereinzelt vor den Konsequenzen vergangener Gewalttaten stehen. Das ist reflektierende, dunkle Literatur über Verbrechen und Moral.

In Stürmische Zeiten geht es um eine Familie, deren Mitglieder auf beiden Seiten des Krieges gekämpft haben, um Rache und Versöhnung und um die Aufklärung eines Massenmords. In Eine kleine Tragödie scheitert eine geplante Hochzeit, weil sich Verbrechen der Vergangenheit ins Bewusstsein drängen, unter denen die soziale Fassade einstürzt. Nach und nach enthüllt sich, wie dramatisch die Folgen von Krieg und Landreform ihre Schatten in die Gegenwart werfen.

 

Le Minh Khues zwei Erzählungen sind elegant-realistische Sittenbilder über die Folgen von Krieg und Gewalt, unaufgeregt, lakonisch, mit kühlem Galgenhumor und durchaus noir.

 

Über die Autorin

Le Minh Khue, geboren 1949, verlor in den Wirren der Landreform ihre Eltern, wuchs unter Bombardierungen der US-Luftwaff e bei Onkel und Tante auf. 1965 meldete sie sich freiwillig zur Armee, lebte 4 Jahre im Dschungel, las Tschechow, London, Steinbeck, Hemingway und viele andere, notierte ihrerseits, was um sie herum geschah. 1969 kehrte sie nach Hanoi zurück und schrieb bis 1975 als Kriegsberichterstatterin für Presse und Rundfunk. Nach dem Krieg setzte sie ihre Tätigkeit als Journalistin und Schriftstellerin fort, bekam eine Tochter und wurde Lektorin im Vietnam Writers’ Association Publishing House. Le Minh Khue gehört zu den führenden SchriftstellerInnen Vietnams, ihr Werk ist in viele Sprachen übersetzt.

Le Minh Khue

Nach der Schlacht

 

Erzählungen

 

Deutsch von Günter Giesenfeld,
Marianne Ngo und Aurora Ngo

 

CulturBooks Verlag

www.culturbooks.de

 

Impressum

eBook-Ausgabe: © CulturBooks Verlag 2017

Gärtnerstr. 122, 20253 Hamburg

Tel. +4940 31108081, info@culturbooks.de

www.culturbooks.de

Alle Rechte vorbehalten

Copyright für beide Erzählungen: © Le Minh Khue

»Stürmische Zeiten«: Nhiệ t đớ i gió mù a (2011),
in: Nhiệ t đới gió mù a, Hanoi
(Verlag nhà xuấ t bả n hộ i nhà văn) 2012

»Eine kleine Tragödie«: Bi kị ch nhỏ (1986),
in: Mộ t mì nh qua đườ ng, Hanoi
(Verlag nhà xuấ t bả n hộ i nhà văn) 2006

Deutsch von Günter Giesenfeld, Marianne Ngo und Aurora Ngo

Herzlichen Dank an Marianne Ngo und Günter Giesenfeld,
durch deren Engagement dieses Projekt möglich wurde
und die die meiste Arbeit damit hatten.

Printausgabe: © Argument Verlag 2016

Umschlaggestaltung: Magdalena Gadaj

Lektorat: Iris Konopik

Umschlaggestaltung: Magdalena Gadaj

eBook-Herstellung: CulturBooks

Erscheinungsdatum: März 2017

ISBN 978-3-95988-079-4

Glossar

Ahnenverehrung, Ahnenkult

In praktisch jedem Haus gibt es einen Ahnenaltar, wo die Vorfahren des Ehemannes geehrt werden. Dazu werden Namens­tafeln bzw. Fotos der Verstorbenen aufgestellt (mindestens drei Generationen), Räucherstäbchen entzündet (besonders zum jährlichen Gedenken am Todestag) und regelmäßig frische Früchte, aber auch Zigaretten und andere Genussmittel dargeboten. Die Ahnenverehrung steht nicht in Konflikt mit irgendeiner Religionszugehörigkeit.

 

Anrede (kulturelle Übersetzungsfragen)

Im Vietnamesischen gebraucht man fast nie einfache Personalpronomen wie »ich«, »du«, »er«, »sie«. Auch an den Verben kann man die grammatische Person nicht erkennen, weil sie nicht flektiert werden. Im Übrigen werden selten explizite Zeitangaben gemacht, da bleibt vieles in der Schwebe, was bei der Übersetzung ins Deutsche genau festgelegt werden muss.

Die Anrede richtet sich nach Alter, Familienstand oder gesellschaftlicher Stellung. Zum Beispiel: Ältere reden Jüngere mit »kleine Schwester/kleiner Bruder« an, umgekehrt »großer Bruder/große Schwester« oder »verehrter Onkel« etc., auch wenn gar keine Verwandtschaftsbeziehung besteht. Man kann also nicht einfach »du« sagen, sondern muss die Anrede gemäß familiärer/sozialer Stellung/Beziehung wählen, und von sich selbst spricht man auch meist nicht von »ich«, sondern bezeichnet sich entsprechend ebenfalls als »jüngere/ältere Schwester«, »Tante« etc.

Auf dem Land, vor allem im Süden, verwendet man für die nachbarschaftlich-freundliche Anrede auch Zahlen, die angeben, die wievielte Tochter/der wievielte Sohn die/der Angesprochene in ihrer/seiner Familie ist, also z. B. »Bruder Hai« (der 2. Sohn), »Tante Ba« (die 3. Tochter).

 

Augustrevolution

So wird die Ausrufung der Demokratischen Republik Vietnam 1945 bezeichnet, des ersten souveränen vietnamesischen Staates seit der Kolonialherrschaft.

 

CBU-Bomben

Cluster Bomb Unit, Streubombe. Es gab eine Vielfalt von Streubomben, gefüllt mit Splittern, Nadeln, Metallkugeln etc. Die verstreuten Partikel konnten auch eigene Explosivstoffe enthalten oder Benzin zur Verursachung von Bränden.

 

elektrischer Zaun s. McNamara-Zaun

 

Jahr der Schlange s. Mondkalender

 

Jahr des Affen 1968 s. Tet-Offensive

 

Landreform

In Vietnam gab es viele Landreformen, meist ist die der 1950er Jahre gemeint, bei der die feudale Landverteilung abgeschafft, die Großgrundbesitzer enteignet und das Land an die Bauern verteilt wurde. Später entstanden Kooperativen. Bei dieser Landreform kam es anfangs zu gewalttätigen Übergriffen seitens der Bevölkerung und unerfahrener Kader gegen Grund­besitzer und bürgerliche Familien. Ho Chi Minh und Vo Nguyen Giap fuhren in die betreffenden Provinzen und entschuldigten sich im Namen der Regierung.

 

McNamara-Zaun

Er wurde 1967 installiert und im Volksmund auch »elektrischer Zaun« genannt. US-Verteidigungsminis­ter ­Robert McNamara ließ die Demarkationslinie am 17. Breitengrad mit aufwendiger Technik sichern, um Infiltrationen aus dem Norden zu verhindern. Das Ganze lief unter dem Namen »project practice nine«, ausgearbeitet von einer Jason genannten Wissenschaftlergruppe. Die plante auch die Automatisierung des Luftkriegs und weitere Maßnahmen mit dem Ziel, möglichst wenige US-Soldaten direkt in Kampfhandlungen zu verwickeln.

 

Mondkalender

In Vietnam (und anderen Ländern Asiens) werden die Jahre oft nicht mit den gemäß Gregorianischem Kalender gebräuchlichen Jahreszahlen bezeichnet, sondern nach dem Tierkreiszeichen im Mondkalender, also »Jahr der Schlange« etc. Dabei entstehen durch Kombination der 12 Tierkreiszeichen (Ratte, Büffel, Tiger, Katze, Drache, Schlange, Pferd, Ziege, Affe, Hahn, Hund, Schwein) mit fünf Elementen (Holz, Feuer, Erde, Metall, Wasser) größere Zyklen von 60 Jahren.

 

Tet-Offensive

Großoffensive der Befreiungsfront im Januar/Februar 1968, bei der mehrere große Städte Südvietnams erobert wurden und sogar eine vorübergehende Besetzung der US-Botschaft in Saigon gelang. Nach einer Schockpause eroberten die Saigoner und US-Streitkräfte die Gebiete wieder zurück, es gab hohe Verluste auf Seiten der Befreiungsfront. Dennoch markierte die Offensive den Wendepunkt vom Guerillakrieg zum offenen Krieg. Beobachtern war von da an klar, dass die USA den Krieg nicht gewinnen konnten.

 

Totengeld

Verkleinerte Geldscheine aus Papier (nicht nur in der vietnamesischen Währung), die man auf allen Märkten bündelweise kaufen kann, um sie bei der Beerdigung (neben Lebensmitteln) den Toten mitzugeben. Denn nach volkstümlicher Auffassung gibt es im Totenreich kostenpflichtige Zeremonien und anderweitige Gebühren. Früher wurde reichen Mandarinen richtiges Geld (­Sapeken) sowie wertvoller Schmuck und Gold ins Grab gelegt.

 

Truong Son-Bergkette / Ho Chi Minh-Pfad

Die Troung Son-Bergkette zieht sich am westlichen Rand von Zentralvietnam entlang und ist die geografische und ethnische Grenze zwischen dem zum chinesischen Kulturkreis gehörenden Vietnam und den beiden zum indischen Kulturkreis gehörenden Ländern Laos und Kambodscha. Dieser Umstand ist auch der Grund dafür, dass sich Vietnam in der frühen Zeit der Ausdehnung von Norden immer nur nach Süden ausgebreitet hat und nie nach Westen. Durch diese Gebirgskette zog sich auch der berühmte Ho Chi Minh-Pfad, ein Geflecht von Straßen und Verbindungswegen, das erst zur Versorgung der Armee der Befreiungsfront diente und später zum Nachrücken nord­vietnamesischer Truppen.

 

Umerziehungslager

Die Umerziehungslager waren die Reaktion der revolutionären Administration kurz nach dem Sieg 1975. Angehörige der südvietnamesischen Armee und ihres Verwaltungsapparats wurden nicht vor Gericht gestellt (auch wenn ihnen Kriegsverbrechen nachgewiesen werden konnten), sondern erhielten die Möglichkeit, sich für ein friedliches Leben im neuen Staat zu entscheiden und zu qualifizieren. Im Vordergrund stand nur anfangs die politische Erziehung, später eine Berufsausbildung. Die Lager wurden im Rahmen der offiziellen »Politik der Versöhnung« organisiert. Wären die Kriegsverbrecher vor Gerichte gestellt worden (die man auch erst hätte schaffen müssen), so hätte man sie nach vietnamesischem Recht zum Tod verurteilen müssen. Nicht nur aus Angst davor, wie das international ankommen würde, entschied man sich bewusst gegen solche Strafverfahren. Die Befreiungsfront und die Kommunistische Partei Vietnams strebten einen friedlichen Übergang an: Sie wollten vor allem die Einheit des ganzen Volkes wiederherstellen, bis heute ein zentrales politisches Ziel der vietnamesischen Regierung.

 

Van Cao

Bekannter Komponist, der 1945 die Nationalhymne der DRV und später des vereinigten Landes komponierte. Von ihm stammen auch sentimentale Lieder wie Thien thai, »Reich der Feen« (Paradies), eine romantische Liebeserklärung an die Heimat und ihre Entstehungslegenden.

 

Verbindungsagent

Der Guerillakrieg wurde vor allem auf dem Land und von der Bauernbevölkerung ausgetragen. Aber es gab auch Widerstandsgruppen in den großen Städten, namentlich in Saigon. Spezielle Verbindungsagenten sorgten für die Koordinierung der einzelnen Aktionen.

 

Vietnam

Heute ist Vietnam vereinigt und trägt seit 1975 den offiziellen Staatsnamen »Sozialistische Republik Vietnam« (SRV). Davor war das Land zweigeteilt: der Norden ein souveräner Staat mit dem Namen »Demokratische Republik Vietnam (DRV), der Süden hieß offiziell »Republik Vietnam« und stand praktisch unter der Herrschaft der US-Armee. Die Truppen des Südens wurden in Nordvietnam »Marionetten« genannt. 1975 wurde dieser Ausdruck offiziell verboten, und in Geschichtsdarstellungen taucht seitdem die Bezeichnung »republikanisch« für die Streitkräfte und Bewohner Südvietnams auf.

 

Vietnamkrieg

»Vietnamkrieg« bezeichnet umgangssprachlich in der Regel den amerikanischen Krieg in Vietnam. Da gab es aber vorher den französischen. Korrekt wäre es also, von »den Vietnamkriegen« zu sprechen. Der erste begann schon 1885 mit Protesten viet­namesischer Gelehrter oder Mandarine (Can Vuong, »dem König dienen«) gegen die Kolonialmacht. Von da an reißt die Folge der Revolten nicht mehr ab. 1941 gab sich der Widerstand mit der Gründung der Bündnisorganisation Viet Minh eine einheitliche Führung. 1945 begann kurz nach der Augustrevolution der eigentliche Krieg gegen die Kolonial­macht Frankreich, maßgeblich unterstützt von den USA. Er dauerte bis zur Genfer Konferenz 1954 und dem Sieg von Dien Bien Phu. Der amerikanische Krieg begann etwa zwei Jahre später mit Aufständen gegen das Diem-Regime und die US-»Berater«. 1960 wurde die südvietnamesische Befreiungsfront gegründet. 1964 griffen die USA mit der Landung von Truppen in Da Nang und der Bombardierung des Nordens direkt in den Konflikt ein. 1969 etablierte sich die Befreiungsfront als »Provisorisch-revolutionäre Regierung Südvietnams«. 1973 wurden die US-Truppen durch das Pariser Abkommen gezwungen, Vietnam zu verlassen, 1975 wurde ihr Statthalter in Saigon, Nguyen Van Thieu, besiegt und das Land vereinigt. Dieser letzte Krieg war außerordentlich verlustreich für beide Seiten: 58 000 US-Soldaten fielen, 5 Millionen Vietnamesen fielen oder wurden getötet (inklusive der Opfer des chemischen Krieges bis heute). Und die Infrastruktur, die Anbaugebiete, Dämme und Deiche wurden weitgehend zerstört.

Vorwort von Else Laudan

Nach der Schlacht zeigt uns Vietnam gestern und heute, eine traumatisierte Kultur. Das Kino hat uns an eine Fremdperspektive gewöhnt: Von Cimino über Coppola und Kubrick bis zu Levinson und Stone weist Hollywood Vietnam als amerikanische Tragödie aus. Le Minh Khue aber eröffnet einen anderen Blick, den Blick von innen. Zwischen Pragmatismus und trockenem Humor hält sich der bittere Nachgeschmack von Krieg und Machtmissbrauch, wir sehen Leute ohnmächtig und vereinzelt den Nachwirkungen der Geschichte gegenüberstehen. Es ist schnörkellose Literatur ohne Sicherheitsabstand, die ruhig und kühl vom Alltag im Schatten brachialster Gewalt erzählt.

Die 1949 geborene Le Minh Khue verlor in den Wirren der Landreform ihre Eltern und wuchs unter dem Bombardement der US-Luftwaffe bei Onkel und Tante auf. Beide lasen leidenschaftlich und kämpften gegen die Fremdherrschaft. Mit 16 meldete sich Le Minh Khue zur Armee und kam in eine Jugendbrigade, die am Ho Chi Minh-Pfad die Verbindungswege offen hielt. Vier Jahre lebte sie im Dschungel. In ruhigen Stunden las sie Tschechow, London, Steinbeck und Hemingway und begann aufzuschreiben, was um sie herum geschah. 1969 ging sie zurück nach Hanoi, war sechs Jahre als Kriegsberichterstatterin für Presse und Rundfunk tätig und zog in den letzten Kriegstagen mit einer Einheit nach Da Nang. Nach dem Krieg wurde sie Lektorin bei Nha xuat ban hoi nha van (Verlag des Vietnamesischen Schriftstellerverbands) in Hanoi. Daneben schrieb sie Romane und Geschichten, in denen sich Vietnams Nachkriegsentwicklung widerspiegelt.

Le Minh Khues Erzählungen sind keine Genre-Texte, es sind sondierende, dem Realismus verpflichtete Sittenbilder über die Folgen des Krieges, aber auch über eine uneitle Kultur, die in der Gegenwart neue, eigene Wurzeln auszubilden sucht. Die fast spröde angelegten Figuren und ihre Odysseen vermitteln eine Ahnung vom mühsamen Ringen um Frieden, um Emanzipation von der kolonialen Prägung und um eine Zukunft, in der die Narben heilen können.

 

Else Laudan