Vollständige eBook-Ausgabe der Hardcoverausgabe

Copyright © 2016 by Tom O’Donnell, Tim Miller

Originaltitel: Hamstersaurus Rex vs. Squirrel Kong

Published by arrangement with HarperCollins Children’s Books, a division of HarperCollings Publishers.

Die Originalausgabe ist 2016 im Verlag HarperCollins Children’s Books, New York, erschienen.

© 2017 arsEdition GmbH, Friedrichstraße 9, 80801 München

Alle Rechte vorbehalten

Text: Tom O’Donnell

Covergestaltung und Innenillustrationen: Tim Miller

Übersetzung: Bettina Münch

Satz: Angelika Schön

Umsetzung eBook: Zeilenwert GmbH

ISBN ebook 978-3-8458-2388-1

ISBN Printausgabe 978-3-8458-1962-4

www.arsedition.de

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Für Rudy – T.O.D.

Für Andy und Detlef,

meine ersten Helden – T. M.

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Widmung

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

24. Kapitel

25. Kapitel

Leseprobe zu
"Hamstersaurus Rex"

1. Kapitel

Mr. Copelands Mund bewegte sich und gab definitiv auch Laute von sich. Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, dass es Worte waren, vermutlich sogar Sätze. Doch ich hörte nicht zu. Stattdessen kritzelte ich in meinem Notizbuch herum. Hätte ich meinem neuen Meisterwerk einen Namen geben müssen, hieße es Hamster-Saurier-Mutant feuert Augenlaser auf Raumschiff ab.

Ich warf einen Blick über die Schulter. Mein Modell lag zu einem Knäuel aus Fell und Schuppen zusammengerollt – total süß und irgendwie verstörend – in einer Ecke seines Käfigs und schnarchte vor sich hin. Wahrscheinlich hatte Mr. Copelands Stimme auf uns beide genau die gleiche Wirkung. Mit zusammengekniffenen Augen radierte ich das Maul von Hamstersaurus Rex zum dritten Mal aus. Es war wirklich schwer, seinen Sabber so zu zeichnen, dass er richtig glänzte.

»… also, kurz und gut: das Stempelsteuergesetz«, sagte Mr. Copeland und schlug sein Lehrerhandbuch so fest zu, dass alle zusammenzuckten. Im nächsten Moment klingelte die Schulglocke und schläfrige Sechstklässler drängten hinaus in den Korridor.

Ich bahnte mir den Weg zu Hammys Käfig, aber Martha Cherie, Eliteschülerin und selbst ernannte »Hamsterbeauftragte«, war schneller als ich.

»Es riecht, als müsste bei Hamstersaurus Rex wieder mal die Spreu gewechselt werden«, sagte sie mit kraus gezogener Nase.

Hammy funkelte sie an, er war eindeutig beleidigt.

»Weißt du, Martha, wenn du dir den Nachmittag freinehmen willst, komme ich bestimmt auch allein klar«, schlug ich vor. »Schließlich bin ich der Stellvertretende Hamsterbeauftragte.« Ich zückte meinen Ausweis und das dazugehörige Schlüsselband.

»Eines Tages vielleicht«, erwiderte Martha, »wenn du so weit bist.« Sie tätschelte mir gönnerhaft den Kopf.

»Wie du willst«, sagte ich achselzuckend. Dann sah ich Hammy Rex tief in die Augen und gab ihm unser Geheimzeichen. Es war ein simultanes Doppelzwinkern, das man leicht mit einem Blinzeln verwechseln konnte, wenn man es nicht besser wusste. Der kleine Kerl brummte zur Bestätigung. Ich drehte mich um und ging.

Draußen im Korridor traf ich meine beste Freundin Kim D’Amato, die eine riesengroße Sporttasche aus ihrem Schließfach zerrte.

»Yo, Sam«, sagte Kim, »willst du mit zum Sportplatz kommen und zusehen, wie ich werfe? Wir üben heute mit richtigen Wettkampfscheiben.«

»Ich würde dir zu gern beim Disc-Golf-Training zusehen, aber ich bin jetzt schon spät dran für das Treffen vom Treffclub«, erklärte ich ihr.

Kim verdrehte die Augen und ich ging weiter. Ein Stockwerk höher huschte ich in die Bibliothek, wo ich der Bibliothekarin Mrs. Baxley zuwinkte. Dann ging ich weiter zu Raum 223b, einem umgebauten Besenschrank, in dem sich die Bücher befanden, die am seltensten ausgeliehen wurden. Ich setzte mich auf einen großen Stapel der dritten Auflage von Leitfaden für Büroklammersammler und wartete.

»Hiermit eröffne ich die Versammlung des Treffclubs«, sagte ich zu niemand Speziellem. Ja, ich war das einzige Mitglied des Treffclubs (und darüber hinaus auch Vorsitzender, Stellvertreter, Schriftführer und Schatzmeister in einer Person).

Doch anders, als Kim vielleicht vermutete, war der Club nicht gänzlich frei erfunden. Nachdem ich die entsprechenden Formulare ausgefüllt und eingereicht hatte, war der Treffclub von der Schule offiziell anerkannt worden. Sogar einen Versammlungsraum und ein jährliches Budget von fünfunddreißig Dollar hatte man mir zugewiesen. Alles in allem bot mir der Treffclub die perfekte Ausrede, um mich auch nach Schulschluss halbwegs unbeobachtet weiter auf dem Schulgelände aufhalten zu können.

Dank meines werwolfbesessenen Widersachers Kiefer »Miefer« Vanderkoff wäre es für mich bis vor Kurzem eine gefährliche Angelegenheit gewesen, nach Schulschluss allein in der Schule zu sein. Doch Miefer war nicht mehr da. Während der letzten Science Night hatte er den Bogen endgültig überspannt. Die Firma SmilesCorp – Hersteller von Fast Food, Swimmingpoolfolien, Lasersteuerungen und praktisch allem, was man sich sonst noch vorstellen kann – hatte ihre Vertreterin Roberta Fast an unsere Schule geschickt, um den Prototyp eines neuen Snacks vorzuführen: den unsichtbaren Donut. Miefer hatte die Gelegenheit genutzt und versucht, Hamstersaurus Rex vor allen Leuten an seine zahme Boa constrictor Michael Perkins zu verfüttern.

Nach fünfunddreißig zerstörten Science-Night-Projekten, einem zerschmetterten Pokal und 4800 Dollar Schaden war Miefer Vanderkoff von der Horace-Hotwater Mittelschule geflogen.

Ich sah auf die Uhr: 14.47 Uhr. Martha müsste mit der Reinigung von Hamstersaurus Rex’ Käfig inzwischen fertig und auf dem Weg zu ihrer Privatstunde in portugiesischer Konversation sein. Perfekt! Ich vertagte den Treffclub und kehrte in unser leeres Klassenzimmer zurück. Zum Glück war das kaputte Türschloss immer noch nicht repariert worden. Ich huschte hinein.

»Rarrrrug«, schnarrte Hammy Rex aus seinem Käfig, was die Wissenschaft eines Tages vermutlich als »Ich liebe dich« entschlüsseln würde.

»Hallo, Kleiner. Ich rarrruge dich auch«, sagte ich, während ich den Schlüssel des Stellvertretenden Hamsterbeauftragten herauszog und den TIERCATRAZ Pro® aufschloss (den angeblich besten Käfig für Kleinnager auf dem Markt). Martha würde durchdrehen, wenn sie wüsste, dass ich Hamstersaurus Rex für ungeplante und nicht genehmigte Zwecke herausholte.

Ich hielt meine Brusttasche auf. Hammy Rex sprang aus dem Käfig, schlug einen Vierfachsalto und glitt hinein.

»Wow, das war ein Überschlag mehr als sonst«, sagte ich. »Du scheinst richtig wild darauf zu sein anzufangen. Heb dir noch ein bisschen Energie für das Set auf.«

Ich lauschte in den Korridor. Nichts. Die Luft war rein. Also schlich ich auf Zehenspitzen zu meinem Schließfach, um einige Sachen herauszuholen: ein paar Requisiten, meine Filmklappe, drei Tüten Funchos Würzchips Marinara mit Frischkäsegeschmack (hergestellt von SMILESCORP®) und, am allerwichtigsten, meine brandneue UltraLight SmartShot Digicam, das beste Geburtstagsgeschenk, das meine Mutter mir je gemacht hatte.

Es war niemand in der Nähe, also legte ich einen Stein in die Tür des Hinterausgangs und lief mit Hammy Rex zum Wald hinter der Horace-Hotwater-Schule. Es war ein kühler Herbstnachmittag. Hammy Rex sprang aus meiner Tasche und lief hinter mir her. Es gefiel ihm, sich durch das trockene Laub zu wühlen. Wir bahnten uns den Weg durch das Unterholz zu einer Lichtung. Sie lag nur wenige Hundert Meter von der Schule entfernt, hätte sich aber ebenso gut im Regenwald des Amazonas befinden können. Hier konnte sich die Magie des Films entfalten.

Ich drehte nämlich gerade meinen ersten eigenen Spielfilm, mit niemand anderem als Hamstersaurus Rex in der Hauptrolle. Ich will ja nicht angeben, aber es würde mit Sicherheit ein Megablockbuster mit gewaltigem Zuschauerpotenzial werden. Schnell baute ich das Filmset auf: Ein Miniaturstadt-Diorama aus Pappe, ein paar Matchbox-Autos und Soldaten vervollständigten die Szenerie. Dann schob ich die Speicherkarte in meine Digicam.

»Also gut. Jeder auf seinen Platz«, sagte ich und sah mich nach meinem einzigen Schauspieler um. »Na komm, es wird Zeit, deine unwiderstehliche Leinwandpräsenz zu verewigen, Kleiner.«

Leider war Hammy in der Wildnis ziemlich leicht abzulenken. Häufig verschwand er für längere Zeit, um Schmetterlinge zu jagen, Eicheln zu zerstampfen oder hier und da an kühlen Steinen zu nagen. Also setzte ich meine effektivste Motivationstechnik ein: Ich riss eine Tüte mit Funchos Würzchips auf und leerte sie über dem Stadt-Diorama.

Wie aus dem Nichts fiel Hammy Rex über den Chipshaufen her und begann sie auf die gierigste Art zu vertilgen, die man sich vorstellen kann. Ich platzierte die Digicam ganz tief – in einem Winkel, der einen zehn Zentimeter großen Hamster aussehen ließ, als wäre er fünf Meter hoch – und drückte auf Aufnahme.

»Okay. Chinchillazilla gegen MechaChinchillazilla, zweiundzwanzigste Szene, die Erste«, sagte ich und schlug meine Filmklappe.

Nachdem er mit den Würzchips fertig war, tobte Hammy Rex auf der Suche nach Nachschub durch die Stadt. Er kickte einen winzigen Laster aus dem Weg, stopfte sich ein paar Soldaten ins Maul und stieß ein wildes Gebrüll aus. Genial! Ich hielt meine SmartShot Digicam in der einen Hand und blätterte gleichzeitig mit der anderen mein Script durch.

»Wir erhalten weitere Berichte über ein riesiges mutiertes Nagetier-Dingsbums, das unser schönes Buenos Aires terrorisiert!«, verlas ich im Tonfall eines Nachrichtensprechers. »Ist denn niemand in der Lage, Chinchillazilla aufzuhalten und uns zu retten?«

Mit einem wütenden Knurren trampelte Hamstersaurus Rex so lange auf einem kleinen Sportwagen herum, bis die Räder von den Achsen flogen.

»Moment!«, sagte ich, während ich die Kamera nach links schwenkte. »Was ist das dort am Horizont? Kann das sein? Noch ein riesiges Nagetiermonster? Aber das da sieht aus, als wäre es ganz und gar aus … Metall?! Und Schnitt!« Ich hörte auf zu filmen und schlug abermals die Klappe. Ich hatte keine Ahnung, warum ich das tat, aber es schien mir irgendwie wichtig zu sein. Hamstersaurus Rex war immer noch dabei, das Spielzeugauto in den Dreck zu stampfen.

»Schnitt«, sagte ich. »Gute Arbeit, Kumpel, aber ich finde, uns geht gerade ein bisschen was von der Subtilität verloren, die mir bei deinem Casting so gut gefallen hat. Das Publikum muss nachvollziehen können, dass Chinchillazilla innere Qualen leidet, auch wenn er ein riesiger radioaktiver Mutant ist.«

Hamstersaurus Rex ignorierte meinen Hinweis und packte mit seinen kleinen Stummelpfoten ein Miniaturhochhaus, um damit auf den Sportwagen einzudreschen. Wenn der kleine Kerl erst einmal in Fahrt war, hatte man wirklich alle Mühe, ihn zu stoppen.

»Ernsthaft, Schnitt«, wiederholte ich. »He, Schnitt! Schnitt! Hier hast du was zu fressen.« Ich riss eine weitere Tüte Würzchips auf und kippte sie aus. Hamstersaurus Rex ließ von den Überresten des Sportwagens ab und stürzte sich wie ein Irrer auf den Chipshaufen, dass die Krümel und der Sabber nur so spritzten.

»Machen wir mit der Szene weiter, wo MechaChinchillazilla zum ersten Mal auftaucht«, schlug ich vor.

Aufgrund seiner enormen schauspielerischen Fähigkeiten (und der Tatsache, dass ich über keinen weiteren Darsteller verfügte) würde Hamstersaurus Rex auch die Rolle von MechaChinchillazilla spielen, dem bösen Roboterfeind von Chinchillazilla.

»Als Erstes müssen wir dir das Kostüm von Mecha-Chinchillazilla anziehen«, sagte ich und zog eine Rolle Aluminumfolie aus meinem Rucksack.

Doch als ich mich umdrehte, war von Hamstersaurus Rex nichts mehr zu sehen. Er hatte sich schon wieder von irgendwas ablenken lassen! Ich horchte und vernahm in der Ferne ein schwaches, rhythmisches Stampfen.

»Hamstersaurus Rex, wo bist du, Kumpel? Du wirst am Set gebraucht«, rief ich. »Hammy Rex bitte zum Set!«

Das Stampfen dauerte an. Irgendwie klang es, als würde es lauter werden.

Stampf … stampf! … STAMPF!

»He, Hammy«, rief ich, »wie soll ich denn einen Film über ein Riesennagermonster drehen ohne den –«

STAMPF!

Der Boden unter meinen Füßen bebte. Tief in der Dunkelheit des Waldes bemerkte ich etwas: Eine hoch aufragende Gestalt stampfte durch die Baumreihen. Der Waldboden bebte bei jedem Schritt. Viel konnte ich nicht erkennen, aber sie war riesig: doppelt so groß wie ein Erwachsener und ganz und gar mit Fell bedeckt. Ich spürte, wie mir der Magen in die Kniekehlen rutschte.

»Ich glaube, das war’s für heute, Hammy«, flüsterte ich. »Wir müssen hier weg. Und zwar sofort.«

Doch von dem kleinen Kerl war immer noch nichts zu sehen. Ich hatte keine Ahnung, mit welcher Art Monster ich es hier zu tun hatte – einem Kodiakbären, viertausend Meilen von seinem natürlichen Lebensraum entfernt, einem wild gewordenen Bigfoot mit Appetit auf Menschenfleisch oder sogar, ich wage es kaum zu sagen, einem waschechten miefermäßigen Werwolf –, und ich wollte es ganz gewiss auch nicht herausfinden. Alles in mir drängte zur Flucht. Doch ich konnte Hammy Rex nicht einfach zurücklassen.

Zum Glück gab es ein bombensicheres Mittel, um Hamstersaurus Rex zurückzuholen. Ich riss die letzte Funchos Würzchips-Tüte auf. Augenblicklich stieg mir der spezielle Geruch der Chips in die Nase: pikant, scharf und völlig anders als alles, was in der Natur vorkam.

»Komm schon, Hammy. Hierher, mein Junge«, flüsterte ich, während ich die Tüte schüttelte. »Folge deiner Nase. Aber beeil dich!«

Das riesige Geschöpf in der Ferne war stehen geblieben. Es schnüffelte – und schlug dabei mit dem Schwanz, der irgendwie zu buschig wirkte, um einem Werwolf zu gehören. Dann wandte es seinen gewaltigen Schädel und sah in meine Richtung.

»Oh nein«, hauchte ich. »Nein, nein, nein.« Der Boden begann zu dröhnen. Stampf. Stampf. Stampf. STAMPF. STAMPFSTAMPFSTAMPF …

Das Biest stürmte direkt auf mich zu, es brach durch das Unterholz wie ein wild gewordener Bulldozer. Mit einem Aufschrei wich ich zurück, stolperte aber über meine Filmklappe und fiel, alle viere von mir gestreckt, auf den Rücken. Das Geschöpf preschte auf die Lichtung und stieß einen gellenden Schrei aus.

Ich starrte zu einem dreieinhalb Meter großen Eichhörnchen hoch.

2. Kapitel

»Hier ruht Sam Gibbs, zermalmt von einem Eichhörnchen, das so groß war wie ein kleiner Schwertwal.« Als Grabinschrift würde das auf dem Friedhof sicher hervorstechen. Dennoch schien es mir nicht die friedlichste Art zu sein, den Abgang zu machen.

Dreißig Zentimeter von meinem Kopf entfernt machte das riesige Nagetier mit einem einzigen Schritt das komplette Papp-Buenos-Aires dem Erdboden gleich. Ich war gelähmt vor Entsetzen und brachte kein einziges Wort heraus. Als Nächstes würde wohl mein Schädel platt getreten werden, was wirklich schade war. Ich hing sehr daran.

In diesem Moment vernahm ich ein wütendes Knurren. Ein verschwommenes oranges Etwas schoss durch die Luft und landete zwischen mir und dem riesigen Eichhörnchen. Hamstersaurus Rex! Er fletschte die Zähne und sträubte das Fell. Der kleine Kerl wollte es wirklich mit der Bestie aufnehmen.

Das riesige Eichhörnchen hielt inne und blinzelte. Es wirkte aufrichtig verblüfft über so viel Angriffslust. Ehrlich gesagt war ich es auch. Was dachte sich Hammy Rex nur? Dinokräfte hin oder her, er war ungefähr viertausend Mal kleiner als dieses Monster. Das Eichhörnchen hob gelassen einen Fuß, um den kleinen Kerl wie einen Käfer zu zerquetschen. Hamstersaurus Rex brüllte herausfordernd und rührte sich nicht von der Stelle. Ich musste etwas unternehmen.

Ich schleuderte die Chipstüte davon und riss Hammy zur Seite, als die Pfote des Eichhörnchens auch schon wie ein Hammer herabdonnerte. BAMM!

Im nächsten Moment war ich wieder auf den Beinen und rannte so schnell ich konnte zurück zur Schule. Zweige schlugen mir ins Gesicht und Brombeersträucher rissen an meiner Kleidung. Hammy, der immer noch in Kampflaune war, knurrte und strampelte in meiner Hand.

Bei der Schule angekommen, musste ich feststellen, dass die Hintertür verschlossen war. Den Stein, mit dem ich sie offen gehalten hatte, hatte jemand aus dem Weg getreten. Das musste Mr Grogan, der Hausmeister, gewesen sein. Ich hämmerte gegen die Tür, aber niemand öffnete. Wieder hörte ich im Wald hinter mir den markerschütternden Schrei des riesigen Eichhörnchens. Ich steckte Hammy in meine Brustasche und rannte weiter.

Ich lief um die ganze Schule – wobei ich mich immer wieder umsah – und blieb erst stehen, als ich den Sportplatz erreichte. Meine Lunge brannte und ich war schweißgebadet, als ich schließlich Kim entdeckte. Sie warf Disc-Golf-Scheiben auf eine Art Fangkorb, der einige Meter entfernt stand. Auf der anderen Seite des Sportplatzes absolvierten Tina Gomez und Joey Feinberg, die anderen beiden Mitglieder der neu gegründeten Disc-Golf-Mannschaft, ihr Grundlagentraining.

»Na, hast du es dir doch anders überlegt?«, sagte Kim grinsend, als sie mich herankommen sah. Sie schleuderte ihre Scheibe in spitzem Winkel auf den Boden. Die Scheibe prallte an der Grasnarbe ab, flog durch die Luft, streifte das Ziel und landete im Korb. »Übrigens nennen wir uns jetzt die Horace-Hotwaters-Scheibenchampions. Krasser Mannschaftsname, was? Hab ich mir ausgedacht.«

»Mega …«, schnaufte ich, immer noch um Atem ringend.

»Mega? Sam, wir werden der Hammer! Coach Weekes und ich haben sogar noch eine weitere Schule mit einer Disc-Golf-Mannschaft entdeckt, zum Glück ist sie nur drei Bundesstaaten entfernt. In vierzehn Tagen werden es die Scheibenchampions bei einem Turnier hier in der Stadt mit den Schleudercracks aus West Blunkton aufnehmen. SmilesCorp hat sich bereit erklärt, das Ganze zu sponsern. Wir kriegen Trikots und alles!«

»… -Eichhörnchen!«, gelang es mir schließlich zwischen zwei Atemzügen hervorzustoßen.

»Oh, ach so. Äh, Nacktmull, würde ich sagen«, erwiderte Kim. »Bist du jetzt wieder dran?«

Ich beugte mich vor und stützte mich mit beiden Händen auf den Knien ab.

»Hör mal, Sam, das ›Welche Nagetiere kennst du‹-Spiel ist zwar ganz witzig«, sagte Kim, »aber ich muss jetzt weitertrainieren.«

»Ich bin von einem dreieinhalb Meter großen … Eichhörnchen … Kong angegriffen worden!«, stotterte ich.

Kim legte den Kopf schief. »Das klingt ja spannend!«

»Nein, es war furchtbar!«, sagte ich.

»D’Amato! Trainieren wir hier unsere Vorhandwürfe oder unsere Kiefermuskeln?« Coach Weekes kam über den Sportplatz auf uns zu.

Kim verzog das Gesicht. »Tut mir leid, Coach.«

»Gibbs, du bist kein Scheibenchampion«, sagte Weekes. »Was zum Teufel hast du hier zu suchen?«

»Ein Rieseneichhörnchen hat mich angegriffen«, sagte ich.

»Ich nehme mal an, dass das eine Metapher sein soll. Aber vergiss nicht: Wenn wir mit Widrigkeiten zu kämpfen haben, haben die Widrigkeiten auch mit uns zu kämpfen. Und jetzt schaff deine Chakras von meinem Sportplatz!«

»Chakras?«, fragte ich.

»Coach Weekes hat neuerdings seine spirituelle Ader entdeckt«, erklärte Kim leise. »Mach dir keine Sorgen, Sam. Wir reden später.«

Immer noch zitternd und voller Adrenalin setzte ich mich. Die letzten zwanzig Minuten des Disc-Golf-Trainings verbrachte ich damit, bei jedem Geräusch zusammenzuzucken und pausenlos nach dem Monster Ausschau zu halten. Unterdessen wurde Coach Weekes auf dem Spielfeld immer ungehaltener über die beiden Nicht-Kims in der Disc-Golf-Mannschaft, dabei würzte er sein übliches Gemecker mit merkwürdigen esoterischen Sprüchen. Hammy Rex war immer noch in Kampfstimmung, er schnüffelte und knurrte in meiner Brusttasche.

»Hör mal, du musst mir nichts beweisen«, flüsterte ich ihm zu. »Ich weiß, dass du ein zäher Brocken bist. Aber ein Eichhörnchen von der Größe? Das Ding muss nur einmal auftreten und du bist platt wie ein Pfannkuchen mit Fell.«

Auf dem Feld schepperte es. Joey hatte es irgendwie geschafft, eine seiner Scheiben in die Anzeigetafel zu dreschen. Coach Weekes seufzte.

»Na schön, das reicht für heute. Macht, dass ihr wegkommt«, sagte er kopfschüttelnd. »Ich will, dass ihr nach Hause geht und darüber meditiert, wie ihr besser werden könnt. Namaste.«

Die anderen beiden Scheibenchampions trotteten vom Feld. Kim kam herübergejoggt und setzte sich zu mir auf die Tribüne. Endlich konnte ich ihr die ganze Eichhörnchen-Kong-Geschichte erzählen.

»Im Ernst?«, sagte sie und rieb sich das Kinn. »Du willst deinen Film Chinchillazilla gegen MechaChinchillazilla nennen? Das ist schon ein bisschen sperrig.«

»Wie bitte? Kim, es geht hier um dieses wild gewordene Eichhörnchen Kong, das mich zertrampeln wollte, und nicht um den Namen für meinen …« Ich verlor den Faden, als mir plötzlich etwas sehr Unerfreuliches klar wurde.

»Was ist?«, fragte Kim.

»Meine UltraLight SmartShot Digicam«, sagte ich mit einem Seufzen. »Ich muss sie im Wald vergessen haben. Wahrscheinlich habe ich sie in der ganzen Aufregung fallen lassen. Jetzt kann ich meinen Debütfilm nicht fertig drehen.«

»Klar kannst du das«, sagte Kim mit einem Grinsen.

»Wie denn?«, fragte ich.

»Wir gehen hin und holen sie.« Kim stand auf und ließ ihre Knöchel knacken.

»Du hast mir wohl nicht zugehört, als ich dir von dem gruseligen Rieseneichhörnchen erzählt habe, das im Wald hinter unserer Schule haust und Sechstklässler sucht, die es platt treten kann«, sagte ich.

»Oh bitte, ich habe keine Angst vor einem zu groß geratenen Eichhörnchen«, erklärte Kim. »Und er auch nicht!«

Sie deutete auf meine Brusttasche, aus der Hammy Rex’ Kopf herausschaute. Seine Augen waren schmal vor Entschlossenheit, und er hatte die pelzigen kleinen Lippen hochgezogen, sodass man seine spitzen Dinosaurierzähne sah.

Er stieß einen wütenden Rülpser aus. Der kleine Kerl dürstete offensichtlich nach Rache.

3. Kapitel

»Wenn ich aus diesem Wald nicht mehr lebend herauskomme«, flüsterte ich, »kannst du alle meine Zeichnungen haben. Die Werke eines Künstlers steigen normalerweise im Wert, wenn er … du weißt schon.«

»Entspann dich, Sam«, meinte Kim. »Ich kann dir nur das Gleiche sagen wie damals im Kindergarten, als du dir das Sandförmchen über den Kopf gestülpt hattest: Du wirst nicht sterben.«

»Das Förmchen war aber sehr klein! Mir hätte darin ohne Weiteres der Sauerstoff ausgehen können!«

»Hör mal, mein Dad kommt in ungefähr fünf Minuten, um mich vom Disc-Golf-Training abzuholen; können wir uns vielleicht einfach deine Kamera schnappen und wieder zurückkommen?«

Ich schluckte und trat ins Unterholz. Kim folgte mir. Während wir auf die Lichtung zusteuerten, klang jeder knackende Zweig für mich wie ein heranstürmendes Monster. Immer wieder blieb ich stehen, um zu horchen, ob das verräterische Dröhnen zu hören war, das die schweren Schritte der Bestie begleitet hatte. Hamstersaurus Rex beobachtete den Wald von meiner Brusttasche aus. Er war bereit.

»Es wird nicht gekämpft«, flüsterte ich ihm zu. »Denk daran!«

Er schnaubte. Nach einer gefühlten Ewigkeit erreichten wir die Lichtung. Sie war leer. Kim sah mich eindringlich an und zuckte die Achseln.

»Sieht aus, als wäre der Wald rieseneichhörnchenfrei«, sagte sie. »Wahrscheinlich hat es mich gehört und es mit der Angst zu tun gekriegt.«

»Eichhörnchen Kong war gerade noch hier«, sagte ich. »Das schwöre ich.«

In diesem Moment knurrte Hammy Rex. Kim und ich sahen uns mit aufgerissenen Augen an. Hammys Ohren zuckten. Der kleine Kerl hörte irgendetwas. Kurz darauf konnten auch wir es wahrnehmen: ein leises Brummen über unseren Köpfen. Wir sahen nach oben. Eine kleine ferngesteuerte Drohne sauste knapp zwanzig Meter über uns vorüber und verschwand wieder außer Sicht.

»Hmm. Vielleicht hast du das gesehen«, vermutete Kim.

»Hatte das für dich irgendeine Ähnlichkeit mit einem Rieseneichhörnchen?«, fragte ich genervt.

»Wenn du die Augen zusammenkneifst und den Kopf ein bisschen zur Seite drehst, hat es schon eine gewisse Ähnlichkeit mit einem fliegenden Eichhörnchen –«

»Eichhörnchen Kong gibt es wirklich!«, schrie ich. Meine Stimme hallte durch den Wald und war so laut, dass ich selbst erschrak.

»Schon gut, schon gut. Reg dich ab, Sam«, beschwichtigte mich Kim. »Immerhin haben wir deine Digicam gefunden.« Sie bückte sich, zog meine UltraLight SmartShot aus einem Gebüsch und gab sie mir.

»Danke«, sagte ich, während ich ein paar Blätter fortwischte. »Wenn das Ding kaputt ist, macht meine Mutter Hackfleisch aus Eichhörnchen Kong.«

Mit angehaltenem Atem schaltete ich die Kamera an. Sie schien noch zu funktionieren, aber das Display zeigte eine Fehlermeldung an. »Warte mal. Die Speicherkarte fehlt. Siehst du sie irgendwo?«

»Nö«, sagte Kim, die den Busch absuchte, unter dem sie die Kamera gefunden hatte. »Sieht nicht so aus, als ob sie hier wäre.«

»Sie muss rausgefallen sein«, vermutete ich. »So ein Mist.«

»Wie? So teuer sind Speicherkarten ja wohl nicht, oder?«, fragte Kim.

»Nein, es ist bloß … mein ganzer Film war auf der Karte.«

»Tut mir leid, Sam. Aber wenn du noch mal von vorn anfangen musst, kannst du dir wenigstens auch einen besseren Namen ausdenken. Wie wäre es mit: Ultimative Rache: Die Vergeltung«?

»Das, äh, scheint mir irgendwie in eine andere Richtung zu gehen«, sagte ich.

»Sieh mal, diese ›Riesenmonster bekämpfen sich gegenseitig‹-Streifen gibt es doch schon zuhauf. Ich stelle mir Hammy Rex eher als rebellischen Polizisten vor, den man in die Enge getrieben hat. Er könnte eine supertaffe menschliche Partnerin haben, Vanessa Stahl.«

»Die von dir gespielt wird, nehme ich an?«

»Boah. Das ist eine total interessante Idee«, sagte Kim und rieb sich das Kinn. »Daran habe ich noch gar nicht gedacht.«

Ich seufzte. Wir gingen zurück zum Schulgelände, und ich musste feststellen, dass die anderen Disc-Golfer inzwischen nach Hause gegangen waren und die Schule abgeschlossen war. Es war unmöglich, Hammy Rex zum Übernachten wieder in seinen Käfig zurückzubringen. Ich musste ihn mit nach Hause nehmen. Also fuhr ich mit Kim und ihrem Vater zurück.

Zu Hause ging ich schnurstracks in unsere Garage. Meine Mutter war immer noch gegen sämtliche Tiere allergisch, mit Ausnahme unserer steinalten und haarlosen Nacktkatze Rosine. Ich verwendete daher ein selbst gebautes, hypoallergenes Hamsterhabitat, wenn ich Hammy Rex für eine ungenehmigte heimliche Übernachtung mit nach Hause brachte.

Grob gesagt hatte ich einen alten Pappkarton, auf dem »Verlängerungskabel« stand, in einen Hamsterkäfig umgebaut. Ich hatte mehrere Löcher in die Kiste gebohrt und sie mit Luftfiltern bestückt, um so viele lose Hamsterhaare aufzufangen wie nur möglich. Sogar ein paar Plastik-Dinos hatte ich hineingestellt, damit sich der kleine Kerl dort drinnen wohlfühlte. Ich holte Hamstersaurus Rex aus der Tasche und setzte ihn in die Kiste.

»Danke, dass du mich heute gerettet hast«, sagte ich, während ich sein kleines Öhrchen kraulte. »Aber du musst Eichhörnchen Kong vergessen, hörst du?«

Hammy fauchte, als ich den Namen sagte.

»Ernsthaft, Hammy. Außerdem werden wir das schreckliche Biest nie wiedersehen, also spielt es sowieso keine Rolle.«

Sein Knurren klang zweifelnd. Ich klappte den Deckel zu und wünschte ihm Gute Nacht.

»Hallo, Hasenpopo«, sagte meine Mutter, als ich in die Küche kam. »Wir war’s im Treffclub?«

»Ganz gut. Alle Mitglieder sind supercool und unkompliziert. Echt chillige Stimmung«, sagte ich.

»Chillige Stimmung? Super! War in der Schule sonst noch etwas los?«

»Na ja, ein dreieinhalb Meter großes Eichhörnchen hat versucht, mich zu zerquetschen«, erzählte ich.

»Das ist ja verrückt«, erwiderte Mom, die mich jetzt sorgenvoll anstarrte. »Genau das Gleiche ist mir nämlich auch passiert!« Dann bekam sie einen Lachkrampf, der die nächsten zehn Minuten nicht mehr aufhörte. Meine Mutter hat wirklich einen schrägen Humor.