Vollständige eBook-Ausgabe der Hardcoverausgabe

Copyright © 2016 by Tom O’Donnell, Tim Miller

Originaltitel: Hamstersaurus Rex

Published by arrangement with HarperCollins Children’s Books, a division of HarperCollins Publishers.

Die Originalausgabe ist 2016 im Verlag HarperCollins Children’s Books, New York, erschienen.

© 2017 arsEdition GmbH, Friedrichstraße 9, 80801 München

Alle Rechte vorbehalten

Text: Tom O’Donnell

Covergestaltung und Innenillustrationen: Tim Miller

Übersetzung: Bettina Münch

Umsetzung eBook: Zeilenwert GmbH

Dieses Werk wurde vermittelt durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, Garbsen.

ISBN ebook 978-3-8458-2389-8

ISBN Printausgabe 978-3-8458-1987-7

www.arsedition.de

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

Für Colleen

– T. O. D.

Für Onkel Dieter und Tante Daggi.

Vielen Dank für alles.

– T. M.

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Widmung

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

11. Kapitel

12. Kapitel

13. Kapitel

14. Kapitel

15. Kapitel

16. Kapitel

17. Kapitel

18. Kapitel

19. Kapitel

20. Kapitel

21. Kapitel

22. Kapitel

23. Kapitel

Weitere Titel

Leseprobe zu
"So überlebte ich das Schuljahr trotz Aliens, Robotern und der grausamen Missy"

1. Kapitel

Manche Klassentiere sind legendär. Jeder hat schon einmal von der Ente der Grundschule von Marneyville gehört, die einen elektrischen Bleistiftanspitzer bedienen konnte. Und dann war da natürlich Bert, das Chamäleon, von dem Ms. Simons Viertklässler schworen, es würde manchmal ein Karomuster annehmen. In der Schule meines Cousins erzählen sich die Kinder immer noch leise von einem Goldfisch, der eine Viertelstunde in die Zukunft sehen konnte, aber das Pech hatte, das, was er erfuhr, niemandem erzählen zu können. Weil er nun mal ein Goldfisch war.

So beeindruckend diese Geschöpfe auch sein mögen, keines von ihnen kann es mit Hamstersaurus Rex aufnehmen. Er war ein Riese unter den Nagern, ein Volksheld für die Ewigkeit. Und der Stolz von Mr. Copelands sechster Klasse. Aber vor allen Dingen war er mein Freund.

Niemand wusste, woher Hammy Rex kam. Wir wussten nur, dass plötzlich ein Hamsterkäfig in der Ecke stand, als wir nach dem Kolumbus-Tag wieder in die Schule kamen. Mr. Copeland schien ebenso überrascht zu sein wie alle anderen.

»Tja, Kinder, ich schätze, wir haben jetzt einen Hamster«, sagte er achselzuckend. »Mir sagt an dieser Schule ja keiner was.«

»Ich wünschte, der Hamster wäre eine Schildkröte«, meinte Tina Gomez. »Glaubt ihr, in der Zoohandlung gibt es eine Umtauschregelung?«

»Ich wette, wir könnten ihn zurückbringen und mindestens hundertfünfzig Schnecken dafür bekommen«, sagte Wilbur Weber. Wilbur hatte zu Hause eine Menge Schnecken. Ich schätze, die reichten ihm noch nicht. Ich schaute in den Käfig. Auf den ersten Blick schien darin ein ganz normaler Hamster zu sitzen: oranges Fell, rosa Nase, schwarze Knopfaugen. Dann öffnete er das Mäulchen und gab ein merkwürdiges Knurren von sich. Die anderen Kinder erschraken. Auch wenn er nicht größer war als ein Muffin, hatte dieser Hamster vor nichts Angst.

»Ich finde den neuen Hamster cool«, sagte ich und zeichnete eine Skizze von dem kleinen Kerl in mein Notizbuch.

»Nö, ich finde ihn blöd«, sagte Miefer Vanderkoff, der mich von der gegenüberliegenden Seite des Klassenzimmers mit zusammengekniffenen Augen ansah. In Wirklichkeit heißt er Kiefer, aber so nennen ihn nur die Lehrer.

»Halt die Klappe, Miefer«, entgegnete Kim D’Amato. Sie ist meine beste Freundin und ziemlich mutig.

»Das reicht, Kinder«, rief Mr. Copeland mit gerunzelter Stirn.

Martha Cherie meldete sich. »Äh, Arnold, darf ich der Klasse bitte etwas sagen?«, fragte sie. Alle außer Miefer verdrehten die Augen.

»Na gut, Martha«, sagte Mr. Copeland. »Aber im Ernst: Du musst mich ›Mr. Copeland‹ nennen, ja? Darüber haben wir doch schon geredet.«

Sie nickte und wandte sich zu uns um. »Also, Klasse, ich will euch nur sagen, dass es zwar so aussehen mag, als wäre es das reinste Vergnügen, ein Haustier zu haben, aber in Wirklichkeit ist es eine Riesenverantwortung, für die ihr wahrscheinlich noch nicht bereit seid.«

»Hm, und warum nicht?«, fragte Kim, der niemand so auf die Nerven ging wie Martha Cherie.

»Weil die meisten von euch leichtsinnig und, offen gesagt, auch unreif sind, Kim. Ich habe bei einem Online-Test mitgemacht, bei dem festgestellt wurde, dass mein geistiges Alter fünfundvierzig beträgt, also …«

»Sich um einen Hamster zu kümmern, ist keine Wissenschaft«, meinte Kim. »Man gibt ihm jeden Tag Futter und Wasser und wechselt einmal in der Woche die Sägespänne. Ich glaube, das schaffen wir.«

»Mein Onkel Tony ist zufällig ein auf Hamster spezialisierter Zoologe, und er sagt, zur Hamsterpflege gehört viel mehr als nur das«, erklärte Martha mit hochmütiger Miene. »Ich finde einfach, dass es das Beste wäre, wenn wir jemanden auswählen – eine Person die als sehr, sehr verantwortungsvoll gilt – und ihr die Aufgabe übertragen, sich um unser geliebtes neues Klassentier zu kümmern.«

Mr. Copeland seufzte. »Also schön, Martha, du darfst unsere Hamsterbeauftragte sein.«

Martha quietschte vor Begeisterung, was wirklich ein unglaublich verstörendes Geräusch war. »Oh, vielen Dank, Arn- äh, Mr. Copeland, wollte ich sagen. Kriege ich als Hamsterbeauftragte auch einen richtigen Ausweis mit Umhängeband?«

»Nein«, sagte Mr. Copeland.

»Dann mache ich mir selbst einen«, erklärte Martha.

»Tu dir keinen Zwang an«, sagte Mr. Copeland. »Also. Wer will heute etwas über die Pilgerväter lernen?«

»Entschuldigen Sie, Mr. Copeland.« Martha meldete sich schon wieder.

Mr. Copeland rieb sich die Schläfen. »Ja, Martha?«

»Ich finde, der neue Hamster sollte einen Namen haben.«

»Schön.«

»Als Hamsterbeauftragte erkläre ich hiermit, dass der Hamster von jetzt an Zahnbürste heißen soll.«

Die anderen Kinder buhten im Chor.

»Nein, nein, nein«, rief Caroline Moody. »Wir nennen ihn Xullthrox den Zerstörer

Weitere Buhrufe.

»Wie wär’s mit Schleimi?«, schlug Wilbur Weber vor.

Noch mehr Buhrufe. Vielleicht fielen Wilbur nur gute Namen für Schnecken ein?

»Ich finde, der Hamster sollte Martha Junior heißen«, schlug Miefer vor. Die Buhrufe verstummten. Alle starrten ihn an. »Ich meine, keine Ahnung. Egal«, brummte Miefer. »Mann, haltet doch einfach die Klappe.«

Plötzlich fiel mir, wie aus heiterem Himmel, der perfekte Name ein. Ich traute mich nicht, noch einmal den Mund aufzumachen, aus Angst, Miefer noch mehr zu provozieren. Deshalb schrieb ich ihn stattdessen auf einen Zettel, den ich Kim zuschob, als Mr. Copeland gerade nicht hinsah.

Kim las den Zettel und nickte zufrieden. »Hört mal her, wir nennen den kleinen Kerl Hamstersaurus Rex«, erklärte sie der Klasse. »Und damit basta!«

Nun starrten alle Kim an. Von mir wäre der Vorschlag wohl kaum angenommen worden. Aber Kim hatte bei den meisten einen Stein im Brett.

»Seht euch doch nur diese winzig kleinen T-Rex-Arme an«, fügte sie achselzuckend hinzu, als wäre das nicht zu übersehen.

Die Klasse sah hin. Alle waren sich einig, dass seine Arme tatsächlich winzig klein waren.

»Ich weiß nicht, Kim«, sagte Tina. »Das mit den Armen sehe ich ja ein. Aber was hat er sonst noch von einem Dinosaurier? Er kann nicht –«

Wieder knurrte der Hamster.

Das entschied die Sache. Das Klassentier der Sechsten hieß jetzt offiziell Hamstersaurus Rex. Alle außer Miefer schienen sich darüber zu freuen. Der Name Martha Junior lag ihm wohl wirklich am Herzen.

»Und jetzt zu den Pilgervätern«, sagte Mr. Copeland. »Also im 17. Jahrhundert trugen alle diese komischen Hüte –«

»Entschuldigen Sie, Mr. Copeland.« Wieder streckte Martha den Arm in die Luft.

»Martha«, sagte Mr. Copeland zähneknirschend. »Wir haben heute Morgen schon sehr viel Zeit damit verbracht, über Hamster zu reden. Wenn das, was du sagen willst, also das Wort ›Hamster‹ enthält, muss ich dich bitten, es für dich zu behalten. Ja?«

Martha nickte.

»Und, kommt in dem Satz, den du sagen willst, das Wort ›Hamster‹ vor?«

Martha schüttelte den Kopf.

»Na schön«, sagte Mr. Copeland. »Um was geht es?«

»Als offizielle Beauftragte für eine bestimmte Art von Nagetier wollte ich Ihnen nur mitteilen, dass die bestimmte Art von Nagetier verschwunden ist.«

»Was?«, fragte Mr. Copeland.

»Schauen Sie«, sagte Martha. Sie zeigte auf den Käfig.

Er war tatsächlich leer. Die kleine Tür stand offen und schwang in den Angeln hin und her.

»Tja, Kinder«, sagte Mr. Copeland, der sich am Kopf kratzte. »Ich schätze, wir haben keinen Hamster mehr.«

2. Kapitel

Danach fehlte von Hamstersaurus Rex eine Woche lang jede Spur. Die meisten anderen Kinder schienen ihn vergessen zu haben. Aber nicht Martha Cherie. Sie trug die ganze Zeit das Umhängeband mit ihrem selbst gemachten Ausweis als Hamsterbeauftragte um den Hals.

Auch ich vergaß ihn nicht. Ich suchte vor dem Unterricht das Klassenzimmer ab und hielt zwischen den Unterrichtsstunden in den Gängen nach ihm Ausschau. Ich fragte die Kinder aus den anderen Jahrgängen, ob sie ihn gesehen hatten. Ich hängte sogar Vermisstenanzeigen auf – die ich höchstpersönlich gezeichnet hatte. Immer noch nichts. Kim hielt mich für verrückt, aber ich gab die Hoffnung nicht auf, dass er eines Tages zurückkommen würde. Obwohl ich ihn nur ganze vier Minuten gekannt hatte, konnte ich nicht anders; ich mochte den kleinen Kerl.

Dienstag nach Schulschluss beging ich einen schrecklichen Fehler. Ich war gerade dabei nachzusehen, ob sich Hamstersaurus Rex vielleicht im Wasserhahn von einem der beiden Waschbecken der Jungentoilette im ersten Stock versteckte, als ich aus Versehen Wasser in sämtliche Richtungen verspritzte. Nun ja, nicht unbedingt in sämtliche Richtungen. Das meiste davon landete genau auf Miefer Vanderkoffs T-Shirt.

»Arrgh!«, knurrte er. »Du hast mein T-Shirt nass gemacht, du Blödmann!«

»Miefer! Ich habe dich gar nicht gesehen. Hier, ich mache das schon«, sagte ich und griff nach einem Papierhandtuch, um sein T-Shirt abzutupfen, auf dem ein kotzender Zombie zu sehen war. »Ich bin mir eigentlich sicher, dass Wasser keine Flecken hinterlässt, falls das ein Trost für dich ist.«

»Soll das ein Witz sein?«, fragte Miefer, der mich mit zusammengekniffenen Augen ansah. »Du weißt doch wohl, dass ich den durchsichtigen Gürtel in Karate habe, oder?«

»Den durchsichtigen Gürtel?«, fragte ich.

»Jep. Das ist eine Stufe über dem schwarzen Gürtel«, erklärte Miefer. »Er ist so schwer zu kriegen, dass keiner davon weiß. Bei der letzten Prüfung lassen sie dich mit dem Kopf einen Stein spalten.«

»He, das ist ja super«, sagte ich. »Meinen Glückwunsch zum durchsichtigen Gürtel. Wahnsinn, Miefer!« Ich will es nicht schönreden – ich schleimte mich bei ihm ein.

Miefer sah mich misstrauisch an. »Ist das ironisch gemeint? Du hältst dich wohl für wahnsinnig komisch mit deinen komischen kleinen Bildchen. Mann, du hättest im Dojo keine Chance. Weißt du, was passieren würde?«

»Äh, was denn?«

»Das da: Kiiiii-jah!«, kreischte Miefer und versetzte dem Mülleimer einen Schlag. Der schwankte eine Sekunde lang, ehe er umkippte und einen Haufen nasser Papierhandtücher über den Fußboden ergoss.

»Warte …«, sagte ich, ehrlich verwirrt. »Bin ich in der Szene der Mülleimer? Oder der Typ, der gegen ihn kämpft?«

»Halt die Klappe«, zischte Miefer, der seine Handknöchel umklammerte und vor Schmerz die Zähne zusammenbiss.

Jemand wie du oder ich hätte sich vielleicht vorher überlegt, dass es wehtun würde, mit voller Wucht auf einen metallenen Gegenstand einzuschlagen. Miefer erschlossen sich solche Zusammenhänge nur über praktische Erfahrung.

»Ich fasse es nicht, dass du mich dazu gebracht hast, meine Karatetechnik in wütendem Zustand einzusetzen«, sagte er, während er unter Schmerzen die Finger bewegte. »Dafür bringe ich dich um.«

Das war mein Stichwort. Ich schoss vorbei zur Tür und auf den Flur hinaus.

»Komm sofort zurück, Sam!«, brüllte Miefer mir hinterher.

Ich rannte um mein Leben.

Dazu müsst ihr wissen, dass es nicht gerade zu meinen Lieblingsbeschäftigungen gehört, um mein Leben zu rennen. Ehrlich gesagt, steht Rennen, aus welchen Gründen auch immer, bei mir ziemlich weit unten auf der Liste. Ich lese gerne Comicbücher. Es macht mir Spaß, mit Kim Disc Golf zu spielen (auch wenn ich nie gewinne). Und manchmal stülpe ich mir gern ein Paar Schuhe über die Hände und tue so, als wäre ich ein Pferd (Letzteres solltet ihr vielleicht lieber für euch behalten). Doch in letzter Zeit schien ein Großteil meiner freien Zeit darin zu bestehen, um mein Leben zu rennen. Dank Miefer war Rennen plötzlich die Nummer eins meiner unfreiwilligen Hobbys.

Das alles hängt mit meiner tatsächlichen Lieblingsbeschäftigung zusammen: dem Zeichnen. Ich zeichne für mein Leben gern. Das war schon immer so. Früher fanden es die anderen Kinder cool, fast ein bisschen wie Zauberei. Aber das änderte sich im letzten Jahr.

Ich hatte gerade gelernt, Roboter zu zeichnen, die sich gegenseitig die Köpfe einschlugen, und wollte daraufhin ein bisschen an meinen karikaturistischen Fertigkeiten arbeiten. Also zeichnete ich zum Üben von sämtlichen Schülern meiner Klasse eine Karikatur. Ich hatte nie die Absicht, sie irgendjemandem zu zeigen (okay, ich habe sie Kim gezeigt, die über ihr Bild gelacht hat). Aber eines Tages ließ ich aus Versehen in der Schulbücherei mein Skizzenbuch liegen. Caroline Moody fand es – und kurz darauf hatten alle ihr offizielles Sam-Gibbs-Porträt gesehen. Sie waren ziemlich sauer, abgesehen von Martha Cherie, die sich auf irgendwie unheimliche Art geschmeichelt fühlte. Am sauersten war Miefer Vanderkoff. Ich gebe ja zu, dass die Linien um seinen Kopf, die seinen müffeligen Gestank darstellen sollten, vielleicht ein bisschen zu viel waren.

So richtig verziehen hatte mir noch niemand, aber Miefer war der Einzige, der mich wirklich plattmachen wollte. Soweit ich es beurteilen konnte, war Leute plattzumachen eines von drei Dingen, die ihm wirklich wichtig waren – neben Horrorfilmen und Junkfood. Ohne die Ablenkung einer Zombie-DVD oder einer Packung Funchos Würzchips mit Southwest-Style-Teriyaki-Ranch-Geschmack® (hergestellt von SMILESCORP®) war ich in ernsthafter Gefahr.

»Ich brate dir dermaßen eins über, dass du vergisst, wie das Dividieren funktioniert«, brüllte er, während er mir nachsetzte. »Ernsthaft, die Prügel werden sich in deinem Zeugnis bemerkbar machen!«

Mir blieb nur eine Hoffnung: Vermutlich würde mich Miefer nicht vor den Augen von Mr. Copeland verdreschen. Ich rannte zu unserem Klassenzimmer. Als ich um die Ecke schlitterte, rutschte mir das Herz in die Hose. Das Licht war aus, der Raum war leer. Mr. Copeland war bereits nach Hause gegangen. Was bedeutete, dass die Tür abgeschlossen sein würde. In meiner Verzweiflung versuchte ich trotzdem mein Glück.

Mit Erfolg! Der Türgriff drehte sich. Ich huschte ins Klassenzimmer und zog die Tür hinter mir zu und schloss ab. Dann ließ ich mich auf alle viere nieder und versteckte mich hinter einer Tischreihe. Ich will es nicht schönreden: Ich kauerte mich zusammen.

Jetzt konnte ich Miefer draußen hören, direkt vor der Tür.

»Wo bist du, Sam?«, schrie er. »Wehe, du liest mein Tagebuch. Da stehen persönliche Sachen drin – ich habe gar kein Tagebuch, wollte ich sagen. Ach, halt die Klappe!«

Er betätigte den Türknauf, der sich drehte, dann hörte ich die Tür aufschwingen. Ich vergrub mein Gesicht in den Händen. Natürlich hatte Mr. Copeland die Tür abgeschlossen. Aber das Schloss war kaputt! Miefer kam herein.

»Ich weiß, dass du hier irgendwo bist, Sam«, sagte er. »Ich habe in diesem Raum so oft nachgesessen, dass ich hier jeden Zentimeter kenne, glaub mir. Du kannst dich vor mir nicht verstecken. Ich finde dich. Ich bin wie ein moderner Scherblock Holmes.«

Leise kroch ich die Tischreihe entlang. Meine Lage wurde allmählich verzweifelt. Ich suchte nach etwas, nach irgendetwas, das mich retten könnte.

Ein Taschenrechner? Negativ.

Eine Tube Plusterfarbe? Negativ.

Eine Walross-Handpuppe? Negativ.

Weiter kam ich nicht. Ich war in der Ecke angelangt, direkt unter dem großen, unförmigen Modell des Sonnensystems, das dort von der Decke hing. Irgendein Schüler habe es letztes Jahr aus alten Pennys und Plastikfolie für eine Veranstaltung namens »Science Night« gebastelt, hatte man uns erzählt. Es sah grauenhaft aus, war aber viel zu schwer, um es wegzuräumen, also ließ Mr. Copeland es hängen.

»Hab dich«, knurrte Miefer.

Ich drehte mich um. »Oh, hallo, Miefer«, sagte ich und bemühte mich um einen lockeren Tonfall.

»Jetzt musst du dein Schicksal wählen, Sam«, sagte er. »Willst du den Nerdkiller?« Er hob die linke Faust. »Oder lieber den Streberhammer?« Er hob die rechte Faust.

»Was sind die Vor- und Nachteile?«, fragte ich, um Zeit zu gewinnen.

»Hör auf, Zeit zu schinden, Sam.«

»Also schön. Die eine heißt Nerdkitzler, hast du gesagt?«

»Nerdkiller! Nerdkitzler wäre ja wohl ein lächerlicher Name für eine Faust.«

»Stimmt, tut mir leid …«

Aus den Augenwinkeln bemerkte ich über mir eine Bewegung. Irgendetwas lief an den Fäden des Sonnensystems entlang.

»Wenn das so ist«, sagte ich, »vielleicht lieber die Streberklammer?«

»Sie heißt Streberhammer!«, brüllte Miefer. »Du nimmst die Sache überhaupt nicht ernst! Das macht mich total –«

Da hörten wir ein Knurren.

3. Kapitel

»He, sieh mal. Da ist ja die blöde, knurrende Ratte«, sagte Miefer. Er starrte zu Hamstersaurus Rex hinauf, der sich direkt über seinem Kopf an die Kordel klammerte, mit der das Sonnensystem an der Decke befestigt war.

»Hamstersaurus Rex«, korrigierte ich.

Miefer drehte sich mit funkelndem Blick zu mir um. »Martha Junior«, sagte er.

»Stimmt. Tut mir leid. Martha Junior.«

Über ihm begann Hamstersaurus Rex an der Kordel zu nagen.

»Also, wo waren wir stehen geblieben?«, fragte Miefer.

»Äh, ich glaube, du warst zu dem Schluss gekommen, dass Gewalt keine Lösung ist, und wolltest mich mit einer strengen Verwarnung laufen lassen.«

Miefer kratzte sich verwirrt am Kopf. »Echt? Das klingt gar nicht wie –«

Ein reißendes Geräusch war zu hören. Dann ein Knall. Und schon lag Miefer Vanderkoff platt auf dem Boden, begraben unter einem Berg Planeten aus Plastikfolien und Pennys. Ich blinzelte. Hamstersaurus Rex hatte die Kordel glatt durchgenagt. Er hatte mich gerettet!

»Mom … sind wir schon bei Oma?«, stöhnte Miefer. Wenn er stöhnen konnte, war er nicht tot. Was irgendwie gut war. Nehme ich an.

»Danke!«, sagte ich zu Hamstersaurus Rex, der immer noch an der Kordel von der Decke baumelte. Ich streckte die Hände aus, um ihn aufzufangen. »Warum kommst du nicht einfach zu mir runter?«

Und das tat er. Nur dass er sich, statt in meine ausgestreckten Hände zu springen, geradewegs auf meinen Kopf fallen ließ. Was sich – trotz meiner Pro-Hamster-Einstellung – superschräg anfühlte. Es kann sein, dass ich dabei eventuell geschrien habe. Und zwar volles Rohr. Vielleicht hat das Hamstersaurus Rex erschreckt. Wahrscheinlich ist er deshalb meinen Rücken hinuntergesaust und hat sich unter der Eingangstür hindurchgequetscht.

»Tut mir leid!«, rief ich ihm nach. »Ich habe sehr empfindliche Kopfhaut! Bitte lauf nicht weg!«

Aber er wartete nicht. Als ich wieder draußen im Korridor war, sah ich sein pelzig-oranges Hinterteil gerade noch um die Ecke verschwinden. Ich lief so schnell ich konnte, aber Hamstersaurus Rex war schneller. Er flitzte die Treppe hinunter, und ich folgte ihm, doch als ich das Ende des Korridors erreichte, war er nirgends mehr zu sehen.

Ich stand vor der Tür zur Turnhalle: Dort hinein musste Hamstersaurus Rex gelaufen sein. Auf meiner Uhr war es zehn vor vier. Meine Mutter würde jeden Moment kommen, um mich abzuholen. Trotzdem konnte ich Hamstersaurus Rex nicht einfach so wieder verschwinden lassen.

In der Turnhalle war es dunkel und still. Ich kniff die Augen zusammen. Bewegte sich da nicht etwas und flitzte zum Büro von Coach Weekes? Ich rannte zur Tür und riss sie auf.

Drinnen brannte Licht. Coach Weekes, unser schnurrbärtiger Sportlehrer, stand vor einem mannshohen Spiegel. In der einen Hand hielt er einen Proteinshake, in der anderen einen altmodisch aussehenden Pokal. Er bemerkte mich nicht.

»Und jetzt, der Repräsentant von Maple Bluffs beim regionalen Fitness-Wettkampf«, tönte Coach Weekes mit einer merkwürdigen Sprecherstimme: »Leslie Weekes alias ›Der Samtene Hai‹.«

Coach Weekes trank einen Schluck Proteinshake und spannte dann sämtliche Muskeln an. Er hatte nicht viele.

Wieder verkündete er mit Sprecherstimme: »Boah, seht ihr diesen Körperbau, Leute? Es würde mich nicht überraschen, wenn die Jury Weekes den Sonderpreis für ›Die besten Wadenmuskeln‹ zuspricht. Sieht aus, als hätte er sich zwei Schinken in die Socken gestopft. Ihr wisst ja, der Gewinner dieses Wettkampfs kommt in die Landesausscheidung und wird höchstwahrscheinlich reich und berühmt und niemand wird sich je wieder über seinen Schnurrbart lustig machen! Weekes ist von allen der stärkste Kandidat – kleines Wortspiel! –, denn wie wir alle wissen, ist er ein Siegertyp.«

Weekes hielt seinen alten Pokal hoch, lächelte in den Spiegel und spannte abermals die Muskeln an. Ich wich langsam einen Schritt zurück. Eine Bodendiele knarrte. Coach Weekes fuhr herum. Er sah aus, als wollte er im Boden versinken.

»Gibbs!«, stieß er hervor. »Was machst du hier? Mein Büro ist mein persönlicher – … Die Schule ist seit zwanzig Minuten aus – … Äh, warum bist du – Gibbs!«

»Tut mir leid«, sagte ich. »Ich dachte, äh, hier wäre die Toilette?«

»Ist sie aber nicht! Und das nächste Mal klopfst du an, weil ich hier drinnen nämlich wichtige Traineraufgaben verrichte! Gute Manieren sind auch ein Bestandteil körperlicher Fitness, solltest du wissen!«

»Richtig. Tut mir leid«, wiederholte ich. Ich wollte gerade kehrtmachen, als mir etwas ins Auge stach.

Aus einem Loch in der Wand, knapp über dem Boden, direkt neben Coach Weekes’ Spiegel, starrte mir ein Paar schwarze Knopfaugen entgegen.

»Was gibt’s zu glotzen, Gibbs?«, fragte Coach Weekes.

»Ihr Pokal«, log ich und zeigte auf seine Hand.

Coach Weekes betrachtete ihn liebevoll. Oben auf dem Pokal befand sich eine Skulptur: ein wütend aussehendes Kind mit dem Körperbau eines Superhelden. Weekes lächelte. »Der Kleine Mister Mucki. Hab ihn für meine ausgezeichnete körperliche Verfassung bekommen, als ich so alt war wie du. Faustliegestütze! 20-Meter-Sandsackziehen! Das war noch ein richtiger Wettkampf!«

»Boah, Faustliegestütze! Das hört sich, äh, echt stark an«, log ich, um Zeit zu schinden, während ich mich auf das Loch in der Wand zuschob. »Ich wünschte, wir hätten so was, äh, auch heute noch.«

Coach Weekes strich über seinen Schnurrbart. »Weißt du, Gibbs, das ist gar keine so schlechte Idee.«

»Finden Sie, Coach?«, fragte ich zurück. Ich war keine dreißig Zentimeter mehr von dem Loch entfernt. Ich ging in die Hocke und streckte die Hand aus –

»Sam?«

Ich drehte mich um. Es war meine Mutter.

»Ich habe dich überall gesucht«, sagte sie mit gerunzelter Stirn. »Warum warst du nicht in der Bibliothek?«

»Tut mir leid«, sagte ich. »Ich, äh, ich dachte, hier wäre die Toilette.«

Coach Weekes warf meiner Mutter einen besorgten Blick zu. Sie seufzte.

»Na schön, es ist Zeit, zu ha …« Meine Mutter erstarrte. »Es ist Zeit, zu ha … ha … HATSCHUUUUU!«, nieste sie. Niesen ist das lauteste Geräusch, das meine Mutter je von sich gibt. Ich bin mir nicht sicher, aber es könnte das lauteste der Wissenschaft bekannte Geräusch überhaupt sein. Coach Weekes und ich sprangen beide vor Schreck in die Luft.

»Tut mir leid«, sagte meine Mutter, während sie sich über die Nase fuhr. »Ich scheine auf irgendwas allergisch zu reagieren.«

»Muskeln?«, fragte Coach Weekes hoffnungsvoll.

»Ich glaube nicht«, erwiderte sie.

Soweit ich weiß, ist meine Mutter nur gegen eines allergisch: Tiere mit Fell. Das ist der Grund, warum wir eine haarlose Katze haben statt eines – keine Ahnung – Hamsters.

Apropos kein Hamster: Als ich mich wieder zu dem Loch umdrehte, war Hamstersaurus Rex nicht mehr da.

4. Kapitel