Arendt, Hannah Wahrheit und Lüge in der Politik

PIPER

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Der Aufsatz »Die Lüge in der Politik« erschien erstmals 1971 unter dem Titel »Lying and Politics« im New York Review of Books; in deutscher Fassung wurde er 1972 in der Neuen Rundschau veröffentlicht.

Der Essay »Wahrheit und Politik« erschien erstmals 1967 unter dem Titel »Truth and Politics« im New Yorker und wurde 1980 in die 2. Auflage von »Between Past and Future« aufgenommen. Die deutsche Fassung wurde erstmals 1969 in den Philosophischen Perspektiven veröffentlicht.

ISBN 978-3-492-96444-9

Februar 2017

© 1967, 1971, 1972 by Hannah Arendt mit Genehmigung von Harcourt Brace Javanovich, Inc., New York

Deutschsprachige Ausgabe:

© Piper Verlag GmbH, München/Berlin 1972, 1987, 2013

Covergestaltung: semper smile, München

Covermotiv: Fred Stein Archive/gettyimages

Datenkonvertierung: abavo GmbH, Buchloe

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Die Lüge in der Politik

Überlegungen zu den Pentagon-Papieren

Es ist kein schöner Anblick, wie die größte Supermacht der Welt bei dem Versuch, eine winzige rückständige Nation wegen einer heftig umstrittenen Sache in die Knie zu zwingen, wöchentlich tausend Nichtkombattanten tötet oder schwer verwundet.

Robert S. McNamara

I

Wie so vieles in der Geschichte haben auch die Pentagon-Papiere verschiedenen Lesern Unterschiedliches zu sagen und verschiedene Lehren zu erteilen. Manche behaupten, sie hätten erst jetzt begriffen, daß Vietnam die logische Folge des Kalten Krieges oder des ideologischen Antikommunismus sei; andere sehen darin eine einzigartige Gelegenheit, etwas darüber zu erfahren, auf welche Weise eine Regierung ihre Entscheidungen trifft. Inzwischen sind sich aber die meisten einig, daß das fundamentale Problem, mit dem uns diese Papiere konfrontieren, das der Täuschung ist. Offensichtlich hat dieses Problem vor allem auch jene beschäftigt, welche die Pentagon-Papiere für die ›New York Times‹ zusammengestellt haben. Auch ist es zumindest wahrscheinlich, daß dieses Problem für das Autoren-Team, das die siebenundvierzig Bände der ursprünglichen Studie geschrieben hat, von entscheidender Bedeutung gewesen ist. Die berühmte ›Glaubwürdigkeitslücke‹ (credibility gap), die uns seit sechs Jahren vertraut ist, hat sich plötzlich in einen Abgrund verwandelt. Der Flugsand unwahrer Behauptungen aller Art, von Täuschungen und Selbsttäuschungen, benimmt dem Leser den Atem. Atemlos realisiert er, daß er es mit der Infrastruktur der amerikanischen Außen- und Innenpolitik während fast eines Jahrzehnts zu tun hat.

Weil man sich in den obersten Rängen der Regierung so ausschweifend der politischen Unwahrhaftigkeit ergeben hatte, und weil man infolgedessen zuließ, daß sich die Lüge in gleicher Weise überall im militärischen und zivilen staatlichen Apparat breit machte – die frisierten Zahlen der mit ›Suchen und Vernichten‹ beauftragten Einheiten; die zurechtgemachten Erfolgs- und Verlustmeldungen der Luftwaffe[1]; die ›Fortschritte‹, die Untergebene von der Front nach Washington meldeten, wohl wissend, daß ihre Leistungen nach ihren eigenen Berichten beurteilt würden[2] –, gerät man leicht in die Versuchung, zu übertreiben und den geschichtlichen Hintergrund zu vergessen. Vor diesem Hintergrund jedoch, der ja auch nicht gerade einen makellosen Anblick bietet, muß man diese neueste Episode betrachten und beurteilen.

Geheimhaltung nämlich und Täuschung – was die Diplomaten Diskretion oder auch die arcana imperii, die Staatsgeheimnisse, nennen –, gezielte Irreführungen und blanke Lügen als legitime Mittel zur Erreichung politischer Zwecke kennen wir seit den Anfängen der überlieferten Geschichte. Wahrhaftigkeit zählte niemals zu den politischen Tugenden, und die Lüge galt immer als ein erlaubtes Mittel in der Politik. Wer über diesen Sachverhalt nachdenkt, kann sich nur wundern, wie wenig Aufmerksamkeit man ihm im Laufe unseres philosophischen und politischen Denkens gewidmet hat: einerseits im Hinblick auf das Wesen des Handelns und andererseits im Hinblick auf unsere Fähigkeit, in Gedanken und Worten Tatsachen abzuleugnen. Diese unsere aktive, aggressive Fähigkeit zu lügen unterscheidet sich auffallend von unserer passiven Anfälligkeit für Irrtümer, Illusionen, Gedächtnisfehler und all dem, was man dem Versagen unserer Sinnes- und Denkorgane anlasten kann.

Ein Wesenszug menschlichen Handelns ist, daß es immer etwas Neues anfängt; das bedeutet jedoch nicht, daß es ihm jemals möglich ist, ab ovo anzufangen oder ex nihilo etwas zu erschaffen. Um Raum für neues Handeln zu gewinnen, muß etwas, das vorher da war, beseitigt oder zerstört werden; der vorherige Zustand der Dinge wird verändert. Diese Veränderung wäre unmöglich, wenn wir nicht imstande wären, uns geistig von unserem physischen Standort zu entfernen und uns vorzustellen, daß die Dinge auch anders sein könnten, als sie tatsächlich sind. Anders ausgedrückt: die bewußte Leugnung der Tatsachen – die Fähigkeit zu lügen – und das Vermögen, die Wirklichkeit zu verändern – die Fähigkeit zu handeln – hängen zusammen; sie verdanken ihr Dasein derselben Quelle: der Einbildungskraft. Es ist nämlich keineswegs selbstverständlich, daß wir sagen können »Die Sonne scheint«, wenn es tatsächlich regnet (gewisse Hirnverletzungen haben den Verlust dieser Fähigkeit zur Folge). Es beweist vielmehr, daß wir mit unseren Sinnen und unserm Verstand zwar für die Welt gut ausgerüstet, daß wir ihr aber nicht als unveräußerlicher Teil eingefügt sind. Es steht uns frei, die Welt zu verändern und in ihr etwas Neues anzufangen. Ohne die geistige Freiheit, das Wirkliche zu akzeptieren oder zu verwerfen, ja oder nein zu sagen – nicht nur zu Aussagen oder Vorschlägen, um unsere Zustimmung oder Ablehnung zu bekunden, sondern zu Dingen, wie sie sich jenseits von Zustimmung oder Ablehnung unseren Sinnes- und Erkenntnisorganen darbieten –; ohne diese geistige Freiheit wäre Handeln unmöglich. Handeln aber ist das eigentliche Werk der Politik.[3]

Wenn wir also vom Lügen und zumal vom Lügen der Handelnden sprechen, so sollten wir nicht vergessen, daß die Lüge sich nicht von ungefähr durch menschliche Sündhaftigkeit in die Politik eingeschlichen hat; schon allein aus diesem Grund wird moralische Entrüstung sie nicht zum Verschwinden bringen. Bewußte Unaufrichtigkeit hat es mit kontingenten Tatbeständen zu tun, also mit Dingen, denen an sich Wahrheit nicht inhärent ist, die nicht notwendigerweise so sind, wie sie sind. Tatsachenwahrheiten sind niemals notwendigerweise wahr. Der Historiker weiß, wie verletzlich das ganze Gewebe faktischer Realitäten ist, darin wir unser tägliches Leben verbringen. Es ist immer in Gefahr, von einzelnen Lügen durchlöchert oder durch das organisierte Lügen von Gruppen, Nationen oder Klassen in Fetzen gerissen oder verzerrt zu werden, oftmals sorgfältig verdeckt durch Berge von Unwahrheiten, dann wieder einfach der Vergessenheit anheimgegeben. Tatsachen bedürfen glaubwürdiger Zeugen, um festgestellt und festgehalten zu werden, um einen sicheren Wohnort im Bereich der menschlichen Angelegenheiten zu finden. Weshalb keine Tatsachen-Aussage jemals über jeden Zweifel erhaben sein kann – so sicher und unangreifbar wie beispielsweise die Aussage, daß zwei und zwei vier ist.

Diese Gerechtigkeit eben ist es, die die Täuschung bis zu einem gewissen Grade so leicht und so verlockend macht. Mit der Vernunft kommt sie nie in Konflikt, weil die Dinge ja tatsächlich so sein könnten, wie der Lügner behauptet. Lügen erscheinen dem Verstand häufig viel einleuchtender und anziehender als die Wirklichkeit, weil der Lügner den großen Vorteil hat, im voraus zu wissen, was das Publikum zu hören wünscht. Er hat seine Schilderung für die Aufnahme durch die Öffentlichkeit präpariert und sorgfältig darauf geachtet, sie glaubwürdig zu machen, während die Wirklichkeit die unangenehme Angewohnheit hat, uns mit dem Unerwarteten zu konfrontieren, auf das wir nicht vorbereitet waren.

Unter normalen Umständen kommt der Lügner gegen die Wirklichkeit, für die es keinen Ersatz gibt, nicht auf; so groß das Gewebe aus Unwahrheiten eines Lügners auch sein mag, es wird doch, selbst wenn er Computer zu Hilfe nimmt, niemals groß genug sein, um die Unendlichkeit des Wirklichen zuzudecken. Der Lügner kann zwar mit beliebig vielen einzelnen Unwahrheiten Erfolg haben, aber er wird die Erfahrung machen, daß er damit nicht durchkommt, wenn er aus Prinzip lügt. Das ist eine der Lehren, die man aus den totalitären Experimenten und aus dem erschreckenden Vertrauen totalitärer Herrscher in die Macht des Lügens ziehen konnte: so z. B. in ihre Fähigkeit, die Geschichte immer wieder umzuschreiben, um die Vergangenheit der ›politischen Linie‹ des Augenblicks anzupassen; oder in ihre Möglichkeit, Fakten auszumerzen, die wie etwa Arbeitslosigkeit in einer sozialistischen Wirtschaft nicht zu ihrer Ideologie passen, indem sie einfach deren Vorhandensein leugnen: der Arbeitslose wird zur Unperson.

Werden solche Experimente von Leuten vorgenommen, denen die Staatsgewalt zur Verfügung steht, so sind die Ergebnisse zwar schrecklich, aber nicht weil die Lüge sich definitiv an die Stelle der Wahrheit gesetzt hätte. Das prinzipielle Lügen der Terror-Regime kann nur erreichen, daß die Unterscheidung von Wahrheit und Unwahrheit überhaupt aus dem Bewußtsein der Menschen verschwindet. Auf Wahrheit oder Unwahrheit kommt es nicht mehr an, wenn das Leben davon abhängt, daß man so handelt, als ob man der Lüge vertraute; dann verschwindet die Tatsachenwahrheit und ihre Verläßlichkeit völlig aus dem öffentlichen Leben, und damit auch der wichtigste stabilisierende Faktor im dauernden Wandel menschlichen Tuns.

Zu den Formen, welche die Kunst des Lügens in der Vergangenheit entwickelt hat, müssen wir jetzt zwei neue Spielarten aus jüngster Zeit hinzufügen. Da ist einmal die scheinbar harmlose Form der Public Relations-Manager in der Regierung, die bei Reklame-Experten in die Lehre gegangen sind. Public Relations sind ein Zweig der Werbung; sie verdanken sich also der Konsumgesellschaft mit ihrem maßlosen Hunger auf Waren, die durch eine Marktwirtschaft an den Mann gebracht werden sollen. Das Mißliche an der Mentalität dieser Leute ist, daß sie es nur mit Meinungen und ›gutem Willen‹ zu tun haben, mit der Bereitschaft zu kaufen: also mit ungreifbaren Dingen, deren konkrete Wirklichkeit minimal ist. Das bedeutet, daß es für ihre Einfälle und Erfindungen tatsächlich keine Grenze zu geben scheint – ihnen fehlt die Macht des Politikers, zu handeln und etwas zu ›schaffen‹, und damit auch die simple Erfahrung, daß die Wirklichkeit der Macht Grenzen setzt und dadurch die Phantasie wieder auf die Erde zurückholt.

Die einzige Grenze, an die ein Public Relations-Mann stößt, liegt in der Entdeckung, daß dieselben Leute, die man vielleicht ›manipulieren‹ kann, eine bestimmte Seife zu kaufen, sich nicht manipulieren lassen – man kann sie natürlich durch Terror dazu zwingen –, Meinungen und politische Ansichten zu ›kaufen‹. Die Lehren von den unbegrenzten Möglichkeiten menschlicher Manipulierbarkeit, die seit geraumer Zeit auf dem Markt der gewöhnlichen und gelehrten Meinungen feilgehalten werden, entsprechen der Mentalität und den Wunschträumen der Werbe-Fachleute. Aber solche Doktrinen ändern nichts daran, wie Menschen sich ihre Meinung bilden, und sie können sie nicht davon abhalten, nach eigenem Wissen und Gewissen zu handeln; außer dem Terror ist die einzige Methode, ihr Verhalten wirksam zu beeinflussen, immer noch das alte Verfahren von Zuckerbrot und Peitsche. Wenn die jüngste Generation von Intellektuellen, die in der verrückten Atmosphäre wildgewordener Werbung aufgewachsen ist und an den Universitäten gelernt hat, daß die Politik zur einen Hälfte aus ›Image-Pflege‹ und zur andern Hälfte aus der gezielten Werbung für dieses ›Image‹ besteht, fast automatisch auf die alte Methode von Zuckerbrot und Peitsche zurückgreift, wann immer die Lage für ›Theorie‹ zu ernst wird, so ist das nicht weiter überraschend. Für sie sollte bei dem Vietnam-Abenteuer die größte Enttäuschung in der Entdeckung liegen, daß es Leute gibt, bei denen auch Zuckerbrot und Peitsche nichts ausrichten.

(Seltsamerweise ist der einzige Mensch, der wahrscheinlich ein ideales Opfer vollständiger Manipulierung darstellt, der Präsident der Vereinigten Staaten. Wegen des ungeheuren Ausmaßes des Amtes muß er sich mit Beratern umgeben, den ›Managern der nationalen Sicherheit‹, wie Richard J. Barnet sie unlängst genannt hat, »die ihre Macht hauptsächlich dadurch ausüben, daß sie die Informationen sieben, die den Präsidenten erreichen, und die Welt für ihn interpretieren«.[4] Fast möchte man behaupten, daß der Präsident, angeblich der mächtigste Mann des mächtigsten Landes, in den USA der einzige Mensch ist, dessen Handlungsspielraum von vornherein alternativ determiniert werden kann. Das ist natürlich nur möglich, weil sich die Exekutive von den legislativen Befugnissen des Kongresses emanzipiert hat. Die Manipulierbarkeit des Präsidenten ist die logische Folge seiner Isolierung in einem Regierungssystem, das nicht mehr funktioniert, wenn dem Senat die Macht genommen wird – oder wenn er sie nur mehr widerstrebend ausübt –, an der Führung der Außenpolitik mit Rat und Tat teilzunehmen. Wie wir heute wissen, besteht eine der Aufgaben des Senates darin, den Entscheidungsprozeß gegen die vorübergehenden Launen und Neigungen der Gesellschaft abzuschirmen, in unserm Falle also gegen die Possenstreiche der Konsumgesellschaft und der Public Relations-Manager, die ihr zu Diensten sind.)

Die zweite Spielart des Lügens kommt zwar im täglichen Leben seltener vor, spielt aber eine wichtige Rolle in den Pentagon-Papieren. Hier begegnen wir einem Typ, der in den oberen Rängen der Beamtenschaft nicht selten ist und der geistig wie moralisch auf einem erheblich höheren Niveau steht. Diese Leute, die Neil Sheehan so treffend berufsmäßige ›Problem-Löser‹[5] genannt hat, hat sich die Regierung von den Universitäten und den verschiedenen ›Denkfabriken‹ geholt, damit sie mit Spieltheorien und Systemanalysen sich daran machten, die ›Probleme‹ der Außenpolitik zu lösen. Eine erhebliche Zahl der Autoren der McNamara-Studie gehört dieser Gruppe an; nur ganz wenige von ihnen waren je kritisch, was den Krieg in Vietnam anlangt, und dennoch verdanken wir ihnen diese wahre, wenn auch natürlich nicht vollständige Darstellung dessen, was sich innerhalb der Regierungsmaschinerie abgespielt hat.

Die Problem-Löser hat man als Männer mit großem Selbstvertrauen charakterisiert, die »anscheinend nur selten an ihrem Durchsetzungsvermögen zweifeln«; sie arbeiten mit den Militärs zusammen, von denen es heißt, es seien »Männer, gewohnt zu siegen«.[6] Bei solchen Leuten findet man gemeinhin kein großes Bemühen um unparteiische Selbstprüfung; um so erstaunlicher, daß durch sie die Versuche der Regierung vereitelt wurden, die Rolle der Verantwortlichen hinter einem Schirm von Geheimniskrämerei zu verbergen (jedenfalls so lange, bis sie ihre Memoiren geschrieben haben – in unserem Jahrhundert die verlogenste Literaturgattung). Die Integrität jener, die den Bericht geschrieben haben, steht außer Zweifel; McNamara konnte in der Tat sicher sein, daß sie einen »umfassenden und objektiven« Bericht liefern würden ohne Rücksicht auf Personen und Interessen.

Diese moralischen Qualitäten, die Bewunderung verdienen, haben sie aber offensichtlich nicht daran gehindert, das Spiel von Täuschung und Unwahrhaftigkeit viele Jahre lang mitzuspielen. Im Vertrauen »auf Rang, Bildung und Leistung«[7] logen sie vielleicht aus mißverstandenem Patriotismus. Entscheidend ist jedoch, daß sie nicht so sehr für ihr Vaterland und ganz gewiß nicht für sein – niemals gefährdetes – Überleben gelogen haben, sondern für dessen ›Image‹. Trotz ihrer unbezweifelbaren Intelligenz, die von vielen ihrer Memoranden bezeugt wird, glaubten auch sie, daß Politik nur eine Art von Public Relations sei, und wurden so zu Opfern all der absonderlichen psychologischen Voraussetzungen, die damit zusammenhängen.

Immerhin unterschieden sie sich von den gewöhnlichen Image-Fabrikanten. Der Unterschied liegt darin, daß sie trotz allem Problem-Löser waren; das heißt, sie waren nicht nur intelligent, sondern stolz auf ihre unsentimentale Rationalität, in der Tat in geradezu erschreckendem Maße erhaben über jede ›Gefühlsduselei‹, vor allem aber verliebt in ›Theorien‹. Sie waren eifrig auf der Suche nach Formeln, vorzugsweise Formeln in pseudo-mathematischer Sprache, um damit die gegensätzlichen Phänomene auf einen Nenner zu bringen. Sie waren also eifrig um die Entdeckung von Gesetzen bemüht, um mit deren Hilfe politische und geschichtliche Tatsachen zu erklären und vorauszusagen, als ob diese ebenso notwendig und auch so zuverlässig wären wie einst für die Physiker die Naturerscheinungen.

Nun hat aber der Naturwissenschaftler mit Dingen zu tun, die nicht von Menschen gemacht sind oder auf Grund menschlichen Handelns geschehen; man kann mit ihnen nur umgehen – sie beobachten, verstehen und eventuell sogar verändern –, indem man sich peinlich genau an die tatsächliche, einmal gegebene Wirklichkeit hält. Demgegenüber hat es der Historiker wie der Politiker mit menschlichen Angelegenheiten zu tun, mit Gegebenheiten also, die von Menschen gemacht sind und denen gegenüber sie relativ frei sind. Handelnde Menschen werden in dem Maße, wie sie sich als Herren ihrer Zukunft fühlen, immer in Versuchung geraten, sich auch zu Herren ihrer Vergangenheit zu machen. Leute, die Freude am Handeln haben und außerdem in Theorien verliebt sind, werden schwerlich die Geduld des Naturwissenschaftlers aufbringen, der abwartet, bis seine Theorien und Hypothesen von den Tatsachen bestätigt oder widerlegt werden. Sie werden vielmehr versucht sein, die Wirklichkeit – die schließlich ja von Menschen gemacht ist und also auch anders hätte ausfallen können – ihrer Theorie anzupassen, um auf diese Weise wenigstens theoretisch das beunruhigende Moment der Zufälligkeit auszuschließen.

Die Abneigung der Vernunft gegen das Zufällige ist sehr stark. Hegel, der Vater der modernen Geschichtstheorien, meinte: »Die philosophische Betrachtung hat keine andere Absicht als das Zufällige zu entfernen.«[8]