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Für Robin

Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Enrico Heinemann und Norbert Juraschitz

ISBN 978-3-492-97601-5

Juni 2017

© 2015 by Mark Riebling

Deutschsprachige Ausgabe:

© Piper Verlag GmbH, München 2017

Covergestaltung: Büro Jorge Schmidt, München

Covermotiv: AKG-Images und ullstein-bild

Datenkonvertierung: Kösel Media GmbH, Krugzell

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Wie stellen wir unsere Religion dar?

Nur als ein System oder als Glut?

– Pater Alfred Delp, deutscher Jesuit

Prolog

Im April 1945 versuchten die Nationalsozialisten den Mann zu brechen, den sie als den besten Agenten des Vatikan-Geheimdienstes in Deutschland bezeichneten. Oberflächlich betrachtet, war Josef Müller nur ein bayerischer Rechtsanwalt mit auffallend großen Ohren, Pfeifenraucher und Briefmarkensammler. Aber seit seiner Verhaftung, die deshalb erfolgt war, weil er Juden mit falschen Papieren und Geld ausgestattet hatte, erschien er plötzlich als Akteur in einem Kriminalfall von sensationeller Bedeutung. Die Gestapo warf Müller vor, er habe an einem Komplott zur Ermordung Hitlers teilgenommen, mit »der katholischen Geistlichkeit«, die »hier ein[en] besondere[n] Nachrichtendienst aufgezogen« habe.[1]

Müller dachte allerdings gar nicht daran, ein Geständnis abzulegen. Er »hatte Nerven wie Drahtseile und beherrschte die Situation«, erinnerte sich ein Mitarbeiter des Gefängnisses. Als ihm die Wärter die Fesseln abnahmen, stürzte er sich auf sie und versuchte sie mit Jiu-Jitsu niederzuringen. Seine Entschlossenheit nötigte den Mitgefangenen, die ihn für einen Durchschnittsmenschen gehalten hatten, Ehrfurcht ab. »Wenn man ihn ansah«, schrieb ein britischer Spion, der mit Müller einsaß, »war er nur ein gewöhnlicher vierschrötiger Mann mit rosigem Teint und einem aschblonden Bürstenschnitt, der Typ, den man keines zweiten Blicks würdigt, wenn man ihm irgendwo begegnet, dabei aber der tapferste und entschlossenste Mann, den man sich vorstellen kann«.[2]

Ein einbeiniger SS-Hüne trat in Müllers Zelle. Sturmführer Kurt Stawizki kettete Müller an seinen Fußschellen an das Gitter an. Müllers Zellennachbarn im Konzentrationslager Flossenbürg sahen mit an, wie er mit auf den Rücken gefesselten Händen seine Essensration wie ein Hund von einem Teller auf dem Boden essen musste.[3]

Stawizki durchwühlte Müllers Koffer und nahm einen Umschlag heraus. Dieser enthielt einen Brief von Müllers Frau, die wissen wollte, was aus ihm geworden war. In einem beigefügten Brief teilte ihm seine Tochter mit, dass sie am kommenden Sonntag ihre Erstkommunion feiern würde. Stawizki nahm beide Briefe und zerriss sie.[4]

Er wollte mehr über Müllers Verbindungen zum Vatikan herausbekommen. In einer Akte zum Fall wurde dieser »ein ungewöhnlich geschickter Mann aus der jesuitischen Schule« genannt, über den regimekritische deutsche Generäle »Verbindungen zum Papst« unterhielten. Wie aus beschlagnahmten Unterlagen zu Plänen für einen Putsch hervorging, hatte Pius XII. Müller mitgeteilt, dass ein Frieden mit dem Deutschen Reich grundsätzlich nur nach einem Regierungswechsel möglich sei.[5]

Stawizki konfrontierte Müller mit einem Papier zum Putschplan. Der einleitende Satz lautete: »Anständige Deutsche haben sich entschlossen, über den Vatikan mit den Engländern Verhandlungen aufzunehmen.« Stawizki las den Text laut vor und schlug Müller jedes Mal, wenn er auf die Worte »anständige Deutsche« stieß, mit der Handkante auf die Oberlippe, bis ihm Zähne ausfielen. Am Ende versetzte er ihm einen so heftigen Hieb, dass Müller auf seinem Stuhl umkippte. Dann trat er auf ihn ein und brüllte: »Verrecke, du Hund!«[6]

Am Sonntag, den 8. April, ging Müller mit einem verschwollenen Gesicht voller Blutergüsse schlurfend in seiner Zelle auf und ab, um wieder etwas Blut in seinen tauben Füßen zirkulieren zu lassen. Plötzlich wurde die Tür aufgerissen. »Jetzt geht das Theater zu Ende«, sagte Stawizki und schrie durch den Korridor: »Ist der Adjutant im Liquidationshof?«[7]

Der Galgen stand auf dem Paradeplatz. Sechs Stufenleitern führten zu einer Reihe Haken hinauf, an der Schlingen hingen. »Oftmals wurden die Personen nackt aufgehängt«, hieß es in einem Bericht zu Kriegsverbrechen über Flossenbürg. »Die unglücklichen Opfer wurden vor dem Aufknüpfen häufig so lange geprügelt, bis sie darum bettelten, endlich erhängt zu werden, damit ihre Qualen ein Ende hätten. Eine andere Hinrichtungsmethode bestand darin, die betreffende Person an den Handgelenken aufzuhängen und an den Knöcheln ein schweres Fass zu befestigen. Risse in inneren Organen führten zum Tod.«[8]

Der sowjetische Kriegsgefangene Generalmajor Pjotr Priwalow sah mit an, wie Müller zum Galgen geführt wurde. Er rief ihm etwas zu in der Hoffnung, dass ihn ein letzter Blick noch einmal aufrichten könnte. Weil er Russisch redete, reagierte Müller allerdings zunächst nicht. Als er schließlich doch aufschaute, wirkte er »zufrieden« und verschwand aus Priwalows Blickfeld.[9]