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PIPER

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Neuauflage einer früheren Ausgabe

Für M.

Übersetzung aus dem Englischen von Herberth E. Herlitschka.

ISBN 978-3-492-97656-5

Mai 2017

© Piper Verlag GmbH, München 2017

© Mrs. Laura Huxley 1954, 1956

Die englische Originalausgabe erschien unter dem Titel »The Door of Perception« und »Heaven and Hell«, Chatto & Windus, London 1954, 1956

© für die deutschsprachige Ausgabe Piper Verlag GmbH, München 1970, 1981

Covergestaltung: semper smile, München

Covermotiv: age / mautitius images

Datenkonvertierung: abavo GmbH, Buchloe

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Die Pforten der Wahrnehmung

Meine Erfahrung mit Meskalin

Würden die Pforten der Wahrnehmung gereinigt,

erschiene den Menschen alles, wie es ist: unendlich.

William Blake

Im Jahre 1886 veröffentlichte der deutsche Pharmakologe Ludwig Lewin die erste systematische Untersuchung über das Gewächs, das später seinen Namen erhielt. Anhalonium Lewinii war der Wissenschaft noch unbekannt. Primitiven Religionen und den Indianern Mexikos und des Südwestens von Nordamerika war dieser Kaktus seit undenklichen Zeiten ein guter Freund; tatsächlich mehr als ein Freund, denn, wie ein früher spanischer Besucher[1] der Neuen Welt berichtete, »sie essen eine Wurzel, die sie Peyotl nennen, und sie verehren sie, als wäre sie eine Gottheit«.

Warum sie das taten, wurde klar, als so hervorragende Psychologen wie Jaensch, Havelock Ellis und Weir Mitchell ihre Versuche mit Meskalin, dem Wirkstoff des Peyotl, begannen. Sie gingen freilich nicht so weit, einen Abgott daraus zu machen; aber alle wiesen sie einhellig dem Meskalin einen ganz besonderen Platz unter den Rauschmitteln zu. In geeigneten Dosierungen verabreicht, verändert es die Qualität des Bewußtseins gründlicher und ist dabei weniger toxisch als jede andere Substanz aus dem Fundus der Pharmakologen.

Die Meskalinforschung ist seit Lewin und Havelock Ellis von Zeit zu Zeit immer wieder aufgenommen worden. Es gelang Chemikern nicht nur, das Alkaloid zu isolieren; sie lernten auch, es synthetisch herzustellen, so daß der Vorrat nicht mehr von der spärlichen und nur zeitweiligen Ernte eines Wüstenkaktus abhängt. Psychiater nahmen selber Meskalin, weil sie hofften, dadurch zu einem besseren, aus erster Hand gewonnenen Verständnis der psychischen Prozesse bei ihren Patienten zu gelangen. Psychologen beobachteten, wenngleich leider an zu wenigen Versuchspersonen und unter zu stark eingeschränkten Bedingungen, einige der auffallenderen Wirkungen dieses Präparats und beschrieben sie. Neurologen und Physiologen entdeckten einiges, was Aufschluß über die Wirkung der Droge auf das Zentralnervensystem gab. Und mindestens ein Philosoph nahm Meskalin, um dadurch womöglich Licht in so uralte ungelöste Rätsel zu bringen, wie sie die Fragen darstellen, welche Bedeutung dem Geist in der Natur zukomme und welche Beziehung zwischen Gehirn und Bewußtsein bestehe.[2]

Und dabei blieb es, bis vor wenigen Jahren eine neue und vielleicht höchst bedeutsame Tatsache beobachtet wurde.[3]

In Wirklichkeit hatte sich diese Tatsache schon mehrere Jahrzehnte lang nahezu aufgedrängt; aber wie es sich traf, hatte niemand sie bemerkt, bis einem jungen englischen Psychiater, der gegenwärtig in Kanada arbeitet, die große Ähnlichkeit in der chemischen Zusammensetzung von Meskalin und Adrenalin auffiel. Im Verlauf weiterer Forschungen erwies es sich, daß Lysergsäure, ein äußerst starker, aus Mutterkorn gewonnener Erreger von Halluzinationen, eine strukturelle biochemische Verwandtschaft mit den beiden genannten Substanzen hat. Dann folgte die Entdeckung, daß Adrenochrom, ein Zerfallsprodukt des Adrenalins, viele der beim Meskalinrausch beobachteten Symptome hervorrufen kann. Adrenochrom aber bildet sich im menschlichen Körper wahrscheinlich von selbst. Mit anderen Worten, jeder von uns ist vielleicht fähig, in sich eine chemische Substanz zu erzeugen, von der, wie man nun weiß, winzige Mengen tiefgreifende Veränderungen des Bewußtseins bewirken. Einige dieser Veränderungen gleichen den bei der Schizophrenie auftretenden  – derjenigen Krankheit, die eine der charakteristischsten Heimsuchungen der Menschen im 20. Jahrhundert darstellt. Hat die geistige Störung eine chemische Ursache? Und ist die chemische Störung ihrerseits durch seelische Prozesse bedingt, die auf die Nebennieren einwirken? Eine solche Behauptung wäre voreilig. Wir können noch nicht mehr sagen, als daß ein begründeter Verdacht besteht. Mittlerweile geht man den Anhaltspunkten systematisch weiter nach, und die Detektive – Biochemiker, Psychiater und Psychologen  – verfolgen die Spur.

Durch eine für mich äußerst günstige Verknüpfung von Umständen befand ich mich im Frühjahr 1953 auf dieser Spur. Einer der Detektive war beruflich nach Kalifornien gekommen. Trotz der siebzig Jahre lang betriebenen Meskalinforschung war das psychologische Material, das ihm zur Verfügung stand, noch immer in höchstem Maße unzulänglich, und er unternahm den Versuch, es zu erweitern. Ich war zur Stelle und bereit, ja begierig, Versuchskaninchen zu sein. So kam es, daß ich an einem schönen Maimorgen vier Zehntelgramm Meskalin, in einem halben Glas Wasser aufgelöst, schluckte und mich dann hinsetzte, um die Wirkung abzuwarten.

Wir leben miteinander, wir beeinflussen uns gegenseitig und reagieren aufeinander; aber immer und unter allen Umständen sind wir einsam. Die Märtyrer schreiten Hand in Hand in die Arena; gekreuzigt werden sie allein. In ihren Umarmungen versuchen Liebende verzweifelt, ihre jeweilige Ekstase in einer gemeinsamen Transzendenz zu vereinigen – jedoch vergebens. Die Natur verurteilt jeden Geist, der in einem Körper lebt, dazu, Leid und Freud in Einsamkeit zu erdulden und zu genießen. Empfindungen, Gefühle, Einsichten, Einbildungen – sie alle sind etwas Privates und nur durch Symbole und aus zweiter Hand mitteilbar. Wir können Berichte über Erfahrungen austauschen und sammeln, niemals aber die Erfahrungen selbst. Von der Familie bis zur Nation – jede Gruppe von Menschen stellt eine Inselwelt dar, wobei jede Insel ein Weltall für sich bildet.

Die meisten Inseln haben soviel Ähnlichkeit miteinander, daß Verständnis oder sogar wechselseitige Einfühlung möglich wird. So können wir, indem wir uns unserer eigenen schmerzlichen Verluste und Schicksalsschläge erinnern, mit anderen Menschen in gleichen Umständen fühlen, können uns (natürlich immer in einem ein wenig pickwickischen Sinn) an ihre Stelle versetzen. Aber in bestimmten Fällen ist diese Möglichkeit der Kommunikation zwischen einem Universum und dem anderen unvollständig oder gar nicht vorhanden. Der Geist ist sein eigener Ort, und die von Geisteskranken und außergewöhnlich Begabten bewohnten Orte sind so verschieden von denen, wo gewöhnliche Menschen leben, daß wenig oder kein gemeinsamer Boden der Erinnerung vorhanden ist, der als Grundlage für Verstehen oder Mitgefühl dienen könnte. Wohl werden Worte geäußert, aber sie vermögen nichts zu erhellen. Die Dinge und Ereignisse, auf die sich die Symbole beziehen, gehören Erfahrungsbereichen an, die einander ausschließen.

Uns selbst zu sehen, wie andere uns sehen, ist eine sehr heilsame Gabe. Kaum weniger wichtig ist die Fähigkeit, andere zu sehen, wie sie selbst sich sehen. Was aber, wenn die anderen einer ganz verschiedenen Spezies angehören und ein von Grund auf fremdes Weltall bewohnen? Zum Beispiel, wie können geistig Gesunde je erfahren, was für ein Gefühl es eigentlich ist, wahnsinnig zu sein? Oder wie können wir, wenn wir nicht eben ein Visionär, ein Medium oder ein musikalisches Genie sind, je in die Welten gelangen, in denen Blake, Swedenborg, Johann Sebastian Bach sich bewegten? Und wie kann ein Mensch, der an den äußersten Grenzen von Ektomorphismus und Zerebrotonie[4] steht, sich an die Stelle des an den Grenzen von Endomorphismus und Viszerotonie Stehenden denken oder in mehr als bestimmten eng umschriebenen Bereichen die Gefühle eines Menschen teilen, der an den Grenzen des Mesomorphismus und der Somatotonie steht? Einem überzeugten Verfechter des Behaviorismus stellen sich derartige Fragen vermutlich nicht. Aber für diejenigen, die als Theorie übernehmen, was ihnen aus der Praxis als wahr bekannt ist – nämlich, daß es neben der äußeren auch eine innere Erfahrung gibt  –, sind die aufgeworfenen Probleme wirkliche Probleme, die sich um so mehr aufdrängen, als einige völlig unlösbar, andere nur unter außergewöhnlichen Umständen und durch nicht jedermann zur Verfügung stehende Methoden lösbar sind. So ist es so gut wie sicher, daß ich nie wissen werde, was für ein Gefühl es ist, Sir John Falstaff oder Joe Louis, der schwarze Weltmeister im Boxen, zu sein. Andererseits hielt ich es immer für möglich, daß ich zum Beispiel durch Hypnose, Autosuggestion, durch regelmäßige Meditation oder auch durch das Einnehmen eines geeigneten chemischen Präparats meinen Bewußtseinszustand so verändern könnte, daß ich in die Lage versetzt würde, in meinem Inneren selbst die Erfahrung zu machen, von der der Visionär, das Medium, ja sogar der Mystiker berichten.

Nach allem, was ich über die Erfahrungen mit Meskalin gelesen hatte, war ich im voraus überzeugt, daß diese Droge zumindest für ein paar Stunden Zugang zu jener inneren Welt gewähren würde, die von William Blake und A. E.[5] beschrieben wurde. Aber was ich erwartet hatte, trat nicht ein. Ich hatte erwartet, vor meinen geschlossenen Augen würden Visionen von vielfarbigen geometrischen Formen auftauchen, von unerhört schönen, ein eigenes Leben besitzenden architektonischen Gebilden, von Landschaften mit heroischen Gestalten, von symbolischen Dramen, die ständig höchste Offenbarung verhießen. Wie sich jedoch erwies, hatte ich nicht mit den Idiosynkrasien meiner geistigen Konstitution, mit den Gegebenheiten meines Temperaments, meiner Erziehung und meiner Gewohnheiten gerechnet.

Mein visuelles Gedächtnis, meine visuelle Phantasie sind und waren, solange ich mich erinnern kann, immer wenig ausgeprägt. Worte, sogar die bedeutungsvollen Worte der Dichter, vermögen in meinem Geist keine Bilder hervorzurufen. Auch Schlafmittel erzeugen bei mir keine Visionen, die mich auf der Schwelle des Einschlafens in Empfang nehmen. Erinnerungen bieten sich mir nicht als lebhaft wahrgenommene Bilder oder Gegenstände dar. Mit einiger Willensanstrengung bin ich in der Lage, ein nicht eben lebhaftes Bild dessen in mir heraufzurufen, was gestern nachmittag geschah, wie der Lungarno ausgesehen hatte, bevor die Brücken zerstört wurden, oder die Bayswater Road, als die einzigen Omnibusse, die dort verkehrten, grün und winzig waren und von bejahrten Gäulen gezogen wurden, wobei sie eine Geschwindigkeit von fünf Stundenkilometern erreichten. Aber solche Bilder haben wenig Substanz und absolut kein Eigenleben. Zwischen ihnen und den wirklich wahrgenommenen Gegenständen besteht dasselbe Verhältnis wie zwischen Homers Geistern und den Menschen von Fleisch und Blut, die sie im Schattenreich besuchten. Nur wenn ich Fieber habe, erwachen meine inneren Bilder zum Leben. Menschen, bei denen die Fähigkeit zu visueller Vergegenwärtigung stark entwickelt ist, müßte meine innere Welt merkwürdig farblos, beschränkt und uninteressant erscheinen. Dies war die Welt  – »ein armselig Ding, aber mein eigen« –, von der ich erwartete, daß sie sich in etwas völlig Entgegengesetztes verwandeln würde.

Die Veränderung, die tatsächlich in dieser Welt vorging, war in keinem Sinn revolutionär. Eine halbe Stunde nachdem ich das Meskalin genommen hatte, wurde ich mir eines langsamen Reigens goldener Lichter bewußt. Ein wenig später zeigten sich prächtige rote Flächen, und sie schwollen an und dehnten sich aus, wurden von hellen Energieknoten gespeist, die sich ständig veränderten und dabei stets neue, vibrierende Muster bildeten. Als ich meine Augen erneut schloß, enthüllte sich mir ein Komplex grauer Formen, in dem ständig bläulichblasse Kugeln auftauchten, sich mit ungeheurer Gewalt zusammenballten, um dann geräuschlos nach oben zu gleiten und zu verschwinden. Aber weder erschienen Gesichter noch menschliche oder tierische Gestalten. Ich sah keine Landschaften, keine riesigen Weiten, kein zauberhaftes Wachsen und Sichverändern von Gebäuden, nichts, was im entferntesten einem Drama oder einer Parabel glich. Die »andere« Welt, zu der das Meskalin mir Zutritt gewährte, war nicht die Welt der Visionen; sie existierte draußen, war das, was ich mit offenen Augen sehen konnte. Die große Veränderung vollzog sich im Bereich objektiver Tatsachen. Was mit meinem subjektiven Weltall geschehen war, war verhältnismäßig unbedeutend.

Ich schluckte meine Pille um elf Uhr. Eineinhalb Stunden später saß ich in meinem Arbeitszimmer und blickte angespannt auf eine kleine Glasvase. Die Vase enthielt nur drei Blumen – eine voll erblühte Rose mit dem Namen »Schöne aus Portugal«, sie war muschelrosa, mit einer wärmeren, flammenderen Tönung am unteren Rand jedes Blütenblattes; eine große magentarote und cremeweiße Nelke und auf gekürztem Stengel die blaßviolette, sehr heraldische Blüte einer Schwertlilie. Nur zufällig und vorläufig zusammengetan, verstieß das kleine Sträußchen gegen alle Regeln herkömmlichen guten Geschmacks, Beim Frühstück an diesem Morgen war mir die lebhafte Disharmonie seiner Farben aufgefallen. Aber auf sie kam es nicht länger an. Ich blickte jetzt nicht auf eine ungewöhnliche Zusammenstellung von Blumen. Ich sah, was Adam am Morgen seiner Erschaffung gesehen hatte – das Wunder, das sich von Augenblick zu Augenblick erneuernde Wunder bloßen Daseins.

»Ist es angenehm?« fragte jemand. (Während dieses Teils des Experiments wurde alles, was gesprochen wurde, von einem Diktiergerät aufgenommen, und es war mir daher möglich, meine Erinnerung später aufzufrischen.)

»Weder angenehm noch unangenehm«, antwortete ich. »Es ist.«

Istigkeit – war das nicht das Wort, das Meister Eckhart so gerne gebrauchte? Das Sein der platonischen Philosophie – nur daß Plato den ungeheuren, den grotesken Irrtum begangen zu haben schien, das Sein vom Werden zu trennen und es dem mathematischen Abstraktum der Idee gleichzusetzen. Der arme Kerl konnte nie gesehen haben, wie Blumen aus ihrem eigenen inneren Licht heraus leuchteten und so große Bedeutung erlangten, daß sie unter dem Druck erbebten, der ihnen auferlegt war; er konnte nie wahrgenommen haben, daß das, was Rose und Schwertlilie und Nelke so eindringlich darstellten, nichts mehr und nichts weniger war, als was sie waren – eine Vergänglichkeit, die doch ewiges Leben war, ein unaufhörliches Vergehen, das gleichzeitig reines Sein war, ein Bündel winziger, einzigartiger Besonderheiten, worin durch ein unaussprechliches und doch selbstverständliches Paradoxon der göttliche Ursprung allen Daseins sichtbar wurde.

Ich blickte weiter auf die Blumen, und in ihrem lebendigen Licht glaubte ich das qualitative Äquivalent des Atmens zu entdecken – aber eines Atmens ohne das wiederholte Zurückkehren zu einem Ausgangspunkt, ohne ein wiederkehrendes Verebben; nur ein Fluten von Schönheit zu immer größerer Schönheit, von tiefer zu immer tieferer Bedeutung. Wörter wie »Gnade« und »Verklärung« kamen mir in den Sinn, und eben dafür standen diese Worte auch. Meine Augen wanderten von der Rose zur Nelke und von diesem gefiederten Erglühen zu den glatten Schnörkeln des Gefühl verströmenden Amethysts der Iris. Die beseligende Schau, Sat Chit Ananda, Seins-Gewahrseins-Seligkeit – zum erstenmal verstand ich, losgelöst von der Bedeutung der Wörter und nicht durch unzusammenhängende Andeutungen oder nur entfernt, sondern deutlich und vollständig, worauf sich diese bedeutungsvollen Silben beziehen. Und dann erinnerte ich mich einer Stelle, die ich bei dem Zen-Philosophen Suzuki gelesen hatte. »Was ist der Dharma-Leib des Buddha?« (Der Dharma-Leib des Buddha ist ein anderer Ausdruck für Geist, So-Sein, die große Leere, die Gottheit.) Die Frage wird in einem Zen-Kloster von einem ernsten Novizen gestellt. Und mit der prompten Irrelevanz eines der Marx Brothers antwortet der Meister: »Die Hecke am Ende des Gartens.« – »Und der Mensch, der diese Wahrheit begreift«, fragt der Novize zweifelnd weiter, »was, wenn ich fragen darf, ist der?« Groucho gibt ihm mit seinem Stab eins auf die Schulter und antwortet: »Ein Löwe mit einem goldenen Fell.«

Als ich diesen Text gelesen hatte, war er für mich nur ein verschwommen bedeutungsvolles Stückchen Ungereimtheit gewesen. Nun war alles klar wie der Tag, es war so unmittelbar einleuchtend wie Euklid. Selbstverständlich war der Dharma-Leib des Buddha die Hecke am Ende des Gartens. Gleichzeitig aber, und nicht weniger selbstverständlich, war er diese Blumen, er war alles und jedes, worauf ich – oder vielmehr das selige, für einen Augenblick von meiner umklammernden Umarmung befreite Nicht-Ich – zufällig blickte. Die Bücher zum Beispiel, die die Wände meines Arbeitszimmers bedeckten. Wie die Blumen erglühten auch sie, wenn ich zu ihnen hinsah, in leuchtenderen Farben, Farben von einer tieferen Bedeutsamkeit. Rote Bücher gleich Rubinen, smaragdene Bücher, Bücher in weiße Jade gebunden, Bücher von Achat, von Aquamarin, von gelbem Topas, von Lapislazuli, alle Farben waren so intensiv, so zutiefst bedeutungsvoll, daß sie nahe daran zu sein schienen, die Regale zu verlassen, um sich meiner Aufmerksamkeit noch eindringlicher bemerkbar zu machen.

»Wie verhält es sich mit den räumlichen Dimensionen?« fragte der Experimentator, als ich auf die Bücher blickte.

Das war schwer zu beantworten. Gewiß, die Perspektive nahm sich recht sonderbar aus, und die Wände des Zimmers schienen nicht mehr rechtwinklig aneinanderzustoßen. Aber das waren nicht die wirklich wichtigen Tatsachen. Tatsache war, daß räumliche Beziehungen kaum noch eine Bedeutung hatten und daß mein Geist die Welt in Begriffen wahrnahm, die jenseits räumlicher Kategorien lagen. Für gewöhnlich befaßt sich das Auge mit Fragen wie: Wo? – Wie weit? – Position in Beziehung zu was? Bei dem Meskalinexperiment gehören die aufgeworfenen Fragen, auf die das Auge antwortet, einer anderen Kategorie an. Lage und Entfernung verlieren stark an Interesse, und der Geist macht seine Wahrnehmungen in Begriffen der Daseinsintensität, der Bedeutungstiefe, der Beziehungen innerhalb einer bestimmten Anordnung. Ich sah die Bücher, aber ich kümmerte mich keineswegs um ihren Platz im Raum. Was ich bemerkte, was sich meinem Geist einprägte, war die Tatsache, daß alle von lebendigem Licht erglühten und daß in einigen die Herrlichkeit offenkundiger war als in anderen. In diesem Zusammenhang waren der Ort, an dem sie sich befanden, und die drei Dimensionen nebensächlich. Selbstverständlich war die Kategorie Raum nicht abgeschafft. Als ich aufstand und umherging, konnte ich das ganz normal tun, ohne die Lage und Entfernung von Gegenständen falsch einzuschätzen. Der Raum war noch immer da; aber er hatte sein Übergewicht verloren. Der Geist war an erster Stelle nicht mit Maßen und räumlichen Beziehungen der Gegenstände zueinander befaßt, sondern mit Sein und Sinn.

Und zur gleichen Zeit wie diese Gleichgültigkeit gegen den Raum hatte mich eine noch größere Gleichgültigkeit gegen die Zeit erfaßt.

»Sie scheint reichlich vorhanden zu sein«, war alles, was ich antwortete, als der Experimentator mich aufforderte, ihm zu sagen, was für ein Gefühl ich bezüglich der Zeit hätte.

Reichlich viel – aber genau zu wissen, wieviel, war völlig belanglos. Ich hätte selbstverständlich auf meine Uhr sehen können, aber meine Uhr war, das wußte ich, in einem anderen Universum. Tatsächlich hatte ich das Gefühl einer unbestimmten Dauer empfunden und empfand es noch immer, oder auch das einer unaufhörlichen Gegenwart, die aus einer einzigen, sich ständig verändernden Offenbarung bestand.

Von den Büchern lenkte der Experimentator meine Aufmerksamkeit auf die Möbel. Ein Schreibmaschinentischchen stand in der Mitte des Zimmers; dahinter, von meinem Blickwinkel aus gesehen, stand ein Korbsessel und hinter diesem ein Schreibtisch. Die drei bildeten ein dicht verwobenes Muster von Horizontalen, Vertikalen und Diagonalen – ein Muster, das um so interessanter war, als es nicht mit Hilfe der räumlichen Beziehungen der Gegenstände zueinander gebildet wurde. Tischchen, Sessel und Schreibtisch vereinigten sich zu einer Komposition, die einem Bild von Braque oder Juan Gris glich, einem Stilleben, das erkennbar mit der gegenständlichen Welt verwandt war, aber keine Tiefe besaß, keinen Versuch unternahm, mit fotografischen Mitteln Realismus zu erzeugen. Ich blickte auf meine Möbel nicht wie ein Anhänger des Nützlichkeitsprinzips, der auf Sesseln sitzen, auf Schreibtischen und Tischchen schreiben muß, und auch nicht wie der Fotograf oder der Sammler wissenschaftlicher Daten, sondern wie der reine Ästhet, der sich nur mit Formen und ihren Beziehungen innerhalb des Gesichtsfelds oder innerhalb der Grenzen des Bildes befaßt. Aber während ich hinblickte, wich dieses rein ästhetische Sehen mit dem Auge des Kubisten einem anderen, das ich nur als die sakramentale Schau der Wirklichkeit bezeichnen kann. Ich war wieder dort, wo ich gewesen war, als ich auf die Blumen geblickt hatte, ich war wieder zurückgekehrt in eine Welt, wo alles von innerem Licht leuchtete und von unendlicher Bedeutsamkeit war. Die Bambusbeine des Sessels zum Beispiel – die Rundung ihrer Röhren grenzte ans Wunderbare, ihre polierte Oberfläche ans Übernatürliche! Ich verbrachte mehrere Minunten – oder waren es mehrere Jahrhunderte? – damit, diese Bambusbeine nicht nur anzusehen, sondern sie tatsächlich zu sein – oder vielmehr, ich selbst in ihnen zu sein; oder, um mich noch genauer auszudrücken (denn »ich« hatte eigentlich mit der Sache nichts zu tun, und in einem gewissen Sinn »sie« ebenfalls nicht), mein Nicht-Selbst in dem Nicht-Selbst zu sein, das der Sessel war.

Wenn ich über mein Erlebnis nachdenke, muß ich dem Philosophen C. D. Broad in Cambridge beipflichten, »daß wir gut daran täten, viel ernsthafter, als wir das bisher zu tun geneigt waren, die Theorie zu erwägen, die Bergson im Zusammenhang mit dem Gedächtnis und den Sinneswahrnehmungen aufstellte, daß nämlich die Funktionen des Gehirns, des Nervensystems und der Sinnesorgane hauptsächlich eliminierend